BAHÁ'I-
BRIEFE
BLÄTTER FÜR
WELTRELIGION UND
WELTBEWUSSTSEIN
AUS DEM INHALT:
Bahá’u’lláh: Tablet Tarázát
Das Haus der Andacht in Sydney
Der Buddhismus
32. Nationaltagung der deutschen Bahá’í
Buchbesprechungen
JULI 1962 HEFT 9
Postverlagsort Frankfurt/Main
- Bahá’u’lláh:
Tablet Tarázát[Bearbeiten]
In meinem Namen, dem Beschützer aller Namen!
Preis und Ruhm
gebührt dem König der Namen
und Schöpfer der Himmel,
daß die Wogen der See Seiner Erscheinung
vor aller Welt offenbar und sichtbar sind.
Die Sonne Seines Befehls
kann nie verdeckt werden
und Sein bejahendes Wort,
ist über jede Verneinung erhaben.
Weder die Verbote der Tyrannen
noch die Unterdrückung der Pharaonen
konnten Ihn hindern,
Seinen Willen auszuführen.
Verherrlicht ist seine Macht
und erhaben Seine Größe!
(Tablet Tarázát, Fortsetzung)
Preis sei Gott! Obschon Seine Zeichen die Welt umgeben und die Beweise und Belege dem Lichte gleich aus allen Richtungen leuchten und offenbar sind, gibt es doch noch unwissende Diener, die nicht darauf achten und sich sogar dagegen wenden. O wenn sie doch mit bloßem Widerspruch zufrieden wären! Aber nein, sie trachten fortwährend danach, den gesegneten Baum zu fällen. Seit Anbeginn dieser Sendung bemühen sich diejenigen, welche nur Selbstsucht an den Tag legen, das Licht Gottes mit aller Tyrannei und Ungerechtigkeit auszulöschen. Aber wahrlich, Gott hinderte sie daran; Seine Kraft bewirkte, daß das Licht erschien, und Seine Macht beschützte es, bis Himmel und Erde von seinem strahlenden Glanz und seiner Helle erleuchtet wurden. Preis sei Ihm in jeder Lage!
Ruhm gebührt Dir, o Gott der Welt, du Verlangen der Völker! O Du, Der Du im Größten Namen offenbar wurdest! Die Perlen der Weisheit und Äußerung kamen hervor aus den Muscheln der unendlichen See Deines Wissens, und die Himmel der Religionen sind geschmückt mit dem Licht, das von der Sonne Deines Angesichts ausgeht.
Ich bitte Dich bei dem Wort, durch das Dein Beweis unter Deinen Geschöpfen und Dein Zeugnis unter Deinen Dienern vervollkommnet wurden: Stärke Dein Volk in dem, wodurch das Ansehen des Glaubens in Deinem ganzen Machtbereich erstrahlt und die Banner Deiner Macht und Führung in Deinen Landen unter Deinen Dienern aufgepflanzt werden!
O mein Gott! Du siehst, wie sie sich an das Seil Deiner Gnade klammern und am Saum des Mantels Deiner Güte festhalten. Verordne für sie, was sie zu Dir zieht, und halte sie ab von allem anderen außer Dir!
Ich bitte Dich, o Du König des Seins und Beschützer des Sichtbaren und Unsichtbaren, mache alle, die sich erheben, um Deinem Glauben zu dienen, zu einem Meer, das durch Deinen Willen bewegt wird, entflammt vom Feuer Deines Sadrat1), das am Horizont des Himmels Deines Willens leuchtet. Wahrlich, Du bist der Mächtige, Den weder die Kräfte der ganzen Welt noch die Macht der Nationen zu schwächen vermögen. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Einen, dem Einzigen, dem Beschützer, dem Selbstbestehenden!
- *
O du, der du den erlesenen Wein Meiner Äußerungen aus dem Kelch Meiner Erkenntnis getrunken hast! An diesem Tag wurden folgende Worte durch das Rauschen des Sadratu’l-Muntahá, der durch die mächtige Hand des Königs der Namen im erhabenen Paradies gepflanzt wurde, gehört:
- DAS ERSTE TARÁZ 2)
und das erste Tajalli3), das am Horizont des „Mutterbuches“ 4)
erschien, besagt, daß der Mensch sein eigenes Selbst und jene Dinge, die zu seiner
Erhöhung oder Erniedrigung, zu Ehre oder Schande, zu Reichtum oder
Armut führen, erkennen soll. Wenn der Mensch sein eigenes Sein erkannt
und die Reife erlangt hat, bedarf er eines guten Auskommens. Wird dieses
durch ein Gewerbe oder einen anderen Beruf erworben, so ist dies den
Weisen und vor allem jenen Dienern, die sich aufmachen, um die Welt zu
[Seite 203]
erziehen und die Seelen der Nationen zu veredeln, willkommen und des
Preises würdig. Diese Diener sind der Kawthar5) der Erkenntnis und die
Führer zum Pfade der Vollendung. Sie leiten alle Menschen der ganzen
Welt auf den rechten Weg und unterweisen sie in dem, was zur Hebung
und zum Fortschritt des Daseins führt.
Der rechte Pfad ist der, der den Menschen in die Morgenröte der Erkenntnis und des Wissens und zu dem geleitet, was die Ursache von Ehre, Ruhm und Größe ist. Wir hoffen, daß durch die Vorsehung des weisen Arztes dem Menschen der Staub aus den Augen entfernt und sein Blick geschärft wird, damit er erkennt, wozu er erschaffen ist. An diesem Tag sollte beachtet werden, was die Blindheit vermindert und die Klarheit des Schauens erhöht. Den Weisen ist dieses geistige Auge Diener und Führer zur Erkenntnis. Diese Erkenntnis erfassen und begreifen zu können, ist der geistigen Sehkraft zuzuschreiben. Das Volk Bahás muß immer richtig handeln und die Menschen in dem beraten, was edel und würdig ist.
- DAS ZWEITE TARÁZ
gebietet, mit den Anhängern aller Religionen in Freude und Wohlgeruch zu verkehren, durch Taten zu erhärten, was der Sprecher des Berges erklärte und in allen Angelegenheiten Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Freunde der Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit müssen mit allen Menschen der Welt in Freude und Wohlgeruch verkehren; denn immer fördert der Verkehr mit anderen Einigkeit und Harmonie, und Eintracht und Harmonie sind die Ursachen der Ordnung in der Welt und im Leben der Völker. Gesegnet ist, wer sich, frei von Zwietracht und Haß, am Seil des Mitleids und der Güte festhält!
Dieser Unterdrückte ermahnt alle Menschen zu Nachsicht und Wohlwollen. Diese Eigenschaften gleichen zwei Lichtern im Dunkel der Welt und zwei Lehrern, die die Völker zur Erkenntnis führen. Gesegnet ist, wer diese Tugenden erlangt, und wehe denen, die achtlos sind!
- DAS DRITTE TARÁZ
betrifft den guten Charakter: Ein guter Charakter ist wahrlich das beste Gewand, das Gott dem Menschen verliehen hat; mit ihm schmückt Gott die Tempel (Körper) Seiner Freunde. Bei Meinem Leben! Das Licht eines guten Charakters überstrahlt die Sonne und ihren Glanz. Wer ihn erlangt, wird zu den wahren Menschen gezählt. Auf gute Charaktere sind Ehre und Ruhm der Welt gegründet; von ihnen sind sie abhängig. Sie sind das Mittel, das die Menschen auf den rechten Weg und zu der großen Botschaft führt. Gesegnet ist, wer sich mit den Eigenschaften und Tugenden der höchsten Heerscharen schmückt!
Achtet stets und unter allen Umständen auf Gerechtigkeit und Unparteilichkeit! Die folgenden erhabenen Worte wurden durch die Feder Abhás in den „Verborgenen Worten“ geoffenbart:
- „O Sohn des Geistes!
- Gerechtigkeit ist Mir vor allem das Kostbarste. Wende dich nicht ab von ihr, wenn du nach Mir verlangst, und achte sie hoch, damit du Mir getreu werdest! Folge ihr und sehe und erkenne die Dinge mit den Augen und dem Verständnis der Gerechtigkeit und nicht mit den Augen und dem Verständnis des Menschen. Denke darüber nach, wie notwendig es ist, daß du gerecht werdest durch Meine Gaben und Meine Gnade! Halte dir dies immer vor Augen!“
Die Gerechten und Unparteiischen nehmen die höchste Stufe und den
erhabensten Rang ein. Aus solchen Seelen leuchten die Lichter der
Rechtschaffenheit und Gottesfurcht. Wir hoffen, daß die Völker und
Länder des Lichtes dieser zwei Sonnen nicht beraubt werden.
- DAS VIERTE TARÁZ
handelt von der Vertrauenswürdigkeit. Wahrlich, sie ist die Türe zur Ruhe für alle in der Welt und das Zeichen der Herrlichkeit aus der Gegenwart des Barmherzigen. Wer sie erlangt, besitzt reiche Schätze im Überfluß. Die Vertrauenswürdigkeit ist das weit geöffnete Tor zu Ruhe und Sicherheit der Menschheit. Jedes Vorhaben ist in seiner Beständigkeit von ihr abhängig, und die Welten der Ehre, des Ruhms und der Wohlhabenheit erstrahlen in ihrem Lichte.
Vor einiger Zeit wurden die folgenden kostbaren Worte durch die erhabene Feder geoffenbart:
- „Wahrlich, Wir erinnern dich an die Vertrauenswürdigkeit und an die Stelle, die sie vor Gott, deinem Herrn und dem Herrn des größten Thrones, einnimmt. Eines Tages begaben Wir Uns auf Unsere grüne Insel (Garten Ridván). Als Wir sie betraten, sahen wir fließende Bäche und belaubte Bäume, zwischen deren Blättern die Sonne spielte.
- Unser Gesicht nach rechts wendend, sahen Wir, was die Feder nicht zu beschreiben vermag; auch kann nicht kundgetan werden, was das Auge des Herrn der Menschheit an diesem Ort wahrnahm, welcher der reinste, geehrteste, gesegnetste und vornehmste Ort ist.
- Wir wandten Uns darauf zur Linken. Dort sahen Wir eines der Wesen des erhabenen Paradieses. Diese Gestalt stand auf einer Säule reinen Lichtes und rief mit lauter Stimme: ‚O ihr Bewohner des Himmels und der Erde! Blicket auf meine Schönheit, auf mein Licht, auf meine Erscheinung und auf meinen Glanz! Bei Gott, dem Wahrhaftigen! Ich bin die Vertrauenswürdigkeit, ihre Verkörperung und ihre Schönheit. Ich bin auch die Belohnung für den, der sich an die Vertrauenswürdigkeit klammert, ihren erhabenen Rang und ihre Stellung erkennt und sich festhält an dem Saum ihres Gewandes. Ich bin die größte Auszeichnung für das Volk Bahás und der Mantel der Ehre für alle im Reich der Offenbarung. Ich bin die wichtigste Ursache des Reichtums der Welt und der Horizont der Ruhe für die Menschen dieses Seins‘. Damit offenbarten Wir dir, was die Menschheit näher zum Herrn der Schöpfung ziehen wird.
- O Volk Bahás! Vertrauenswürdigkeit ist das beste Gewand für eure Tempel (Körper) und die prächtigste Krone für eure Häupter. Haltet euch an sie nach dem Befehl des allmächtigen Gebieters!“
- DAS FÜNFTE TARÁZ
bezieht sich auf Erhaltung und Schutz der Stellung der Diener Gottes.
Sie dürfen nicht oberflächlich sein, ihre Rede sei aufrichtig und
[Seite 205]
vertrauensvoll. Die Bahá’í dürfen sich nicht weigern, jedem die ihm
gebührende Belohnung zukommen zu lassen. Sie müssen die Begabten achten
und sich hüten, ihre Zunge mit übler Nachrede zu beflecken, wie dies in
früheren Gemeinschaften der Fall war. Heute ist die Sonne der Kunst und
des Gewerbes am Horizont des Westens sichtbar, und ein Strom der
Geschicklichkeit fließt aus dem See jener Erdhälfte. Jedermann muß gerecht
sein in seinen Aussagen und den Wert der Segnungen, die daraus hervorgehen,
erkennen. Beim Leben Gottes, das Wort „Gerechtigkeit“ leuchtet
und glänzt wie die Sonne. Wir bitten Gott, daß Er alle mit diesem Licht
erleuchten möge. Wahrlich, Er ist mächtig in allen Dingen und großmütig,
dies zu gewähren!
Heutzutage sind Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Krallen der Falschheit gefangen, und die Gerechtigkeit wird durch die Geißeln der Ungerechtigkeit unterdrückt. Der Dunst der Verderbnis hat die Welt derart eingehüllt, daß in allen Ländern nichts mehr zu sehen ist als Kriegsheere und nichts zu hören als das Klirren der Waffen. Wir bitten Gott, daß Er denen, die Seine Macht verkörpern, in dem beistehe, was der Erneuerung der Welt und der Wohlfahrt der Nationen förderlich ist.
- DAS SECHSTE TARÁZ
Wissen ist eine der größten Segnungen Gottes, und Wissen zu erwerben,
ist allen zur Pflicht gemacht. Die praktischen Künste und die heutigen
Hilfsmittel gehören zu den Ergebnissen Seines Wissens und Seiner Weisheit,
die durch die erhabene Feder geoffenbart wurden. Diese ist die Feder
aus der Schatzkammer, aus der die Edelsteine der Weisheit und der
göttlichen Äußerungen und die Kunstfertigkeiten der ganzen Welt hervorgehen
und an den Tag treten. An diesem Tage wurden die Geheimnisse der Erde
enthüllt und sichtbar, und die Spalten der Tageszeitungen
sind wirkliche Spiegel der Welt; sie schildern die Taten und Handlungen
der verschiedenen Nationen und sorgen dafür, daß sie allgemein bekannt
werden. Die Zeitungen sind wie ein Spiegel, welcher mit Gehör, Gesicht
und Sprache ausgestattet ist; sie sind eine wunderbare Einrichtung und
eine wichtige Sache. Es ist aber dringend notwendig, daß die Schriftleiter
der Zeitungen frei sind von Vorurteilen, von Selbstsucht und Begierde,
[Seite 206]
und daß sie sich mit dem Schmuck der Unparteilichkeit und der Gerechtigkeit
schmücken. Sie müssen alle Angelegenheiten eingehend erforschen,
damit sie die wirklichen Gegebenheiten kennen und zu Papier bringen.
Was die Zeitungen über diesen Unterdrückten berichteten, beruht meist auf Unwahrheit. Gute Rede und Wahrhaftigkeit gleichen in der Erhabenheit ihrer Stellung und ihres Ranges der Sonne, welche am Horizont des Himmels der Erkenntnis aufging. Die Wogen dieser See sind für die ganze Welt sichtbar, und die Spuren der Feder der Weisheit und Äußerung sind offenbar.
In den Zeitungen war zu lesen, dieser Diener sei von Persien nach ‘Iráq geflohen. Gelobt sei Gott! Dieser Diener hat Sich nicht einen Augenblick verborgen; Er konnte immer von allen gesehen werden. Wahrlich, Wir sind nicht geflohen, noch fliehen Wir jetzt; nein, im Gegenteil, die unwissenden Diener sind vor Uns geflohen. Wir verließen unser Vaterland, und eine Anzahl Reiter, die von der persischen und der russischen Regierung beauftragt waren, begleiteten Uns, bis Wir im ‘Iráq in Ehre und Macht ankamen. Preis sei Gott! Die Sache dieses Unterdrückten ist erhaben wie der Himmel; sie leuchtet wie die Sonne. Auf dieser Stufe in Verborgenheit zu bleiben, ist unmöglich, und für Furcht und Verschwiegenheit gibt es hier keinen Raum.
Die Geheimnisse des „Tages der Auferstehung“ und die Zeichen der „Stunde“ wurden geoffenbart; aber die Menschen sind achtlos und blind...
Die Herrlichkeit Unserer Gegenwart sei auf dem Volke Bahás, das sich weder durch Unterdrückung der Ungerechten noch durch die Macht der Frevler von Gott, dem Herrn der Geschöpfe, abhalten läßt.
- ----------
Deutsch aufgrund der englischen Übersetzung von ‘Alí Kuli Khán, Chicago 1917 (“Tablets of Bahá’u’lláh“); vgl. “Bahá’í World Faith, Selected Writings of Bahá’u’lláh and ‘Abdu’l-Baha“, Wilmette, Ill. 1943/1956, S. 166 ff. Siehe auch allgemeine Bemerkungen in “BAHA’I-BRIEFE“, Heft 8/1962, S. 178.
- 1) Sadratu’l-Muntahá = Baum, den die Araber früher an das Ende der Wege als Markierung pflanzten. Symbolisch der „göttliche Lotosbaum, über den hinaus niemand gehen kann“, d. h. der göttliche Offenbarer. Vgl. Qur’án 53:16 und „Gott geht vorüber“, S. 105.
- 2) Tarázát (Einzahl Taráz) = Schmuck, verzierter Mantel.
- 3) Tajallíyát (Einzahl Tajallí) = Strahlenglanz.
- 4) Mutterbuch (Ummu’l-Kitáb) =
- a) das himmlische Original der heiligen Bücher, die den Propheten geoffenbart wurden; vgl. Qur’án 13:40, 43:3 ff. und 85:22;
- b) in den Schriften Bahá’u’lláhs auch Bezeichnung für das Kitáb-i-Aqdas, das „Buch der Gesetze“; vgl. „Gott geht vorüber“, S. 242 ff.
- 5) Kawthar = „Fülle, Überfluß“, im Islám Name eines Flusses oder Sees im Paradies; vgl. Qur’án 108.
Gedanken zu einem Kongreß[Bearbeiten]
Treffen europäischer Schriftsteller in Florenz
Wie sich allenthalben die Zeichen eines allverwandelnden göttlichen
Frühlings mehren, die von einer heiligen Ausgießung erfüllte Luft die
Geschöpfe zu einem mächtigen Erwachen anrührt, und die von uns als
Bahá bezeichnete Kraft der Neuschöpfung zur neuen Wirklichkeit hinführt,
erwies sich beim europäischen Autorenkongreß im März 1962 in Florenz.
Die über zweihundert Vertreter aller europäischen Staaten — außer
der sogenannten „DDR“ — waren sich von Anfang an darüber klar, daß
die Politiker unserer Tage, mochten sie nun ehrlich oder „verschlagen“,
machterpicht oder verständigungsbereit sein, kaum noch die Voraussetzungen
garantieren, eine moralische Neuordnung zu begründen und
damit einen neuen Menschen, eine neue Gesellschaft und dauerhaften
Frieden zu schaffen, welche den wahren Sinn der menschlichen Existenz
bestätigen und erfüllen.
Was diesem Kongreß besondere Bedeutung verlieh, war die relativ
starke Beteiligung von Schriftstellern aus Sowjetrußland, die in
[Seite 207]
Ansprachen und den der Verständigung dienenden Gesprächen zu dem
Grundthema der Freiheit, das die westlichen Autoren immer wieder
variierten, den Kontrapunkt der moralischen Neuorientierung fügten und
sich mit einer überraschenden, durchaus glaubhaft wirkenden Freimütigkeit
zu den Prinzipien bekannten, die — neben den zu erörternden Problemen
der Stellung des Schriftstellers zu Rundfunk und Film als
Kunstwerken — den eigentlichen Tenor des Ganzen bildeten.
Mit keinem Wort wurde das Politische und das Trennende berührt. Mit aller Entschiedenheit wurde der Hauptakzent auf die geistige Verantwortlichkeit gesetzt; denn wo Alles versagte, aus dem Geist, aus der moralischen Überzeugung heraus die Unruhe, die Ungewißheit und die innere Apathie der Zeit zu überwinden, obliege es den Dichtern und den Männern der Feder, den elfenbeinernen Turm der Abriegelung vor den Zukunftsverpflichtungen zu verlassen und mit bildenden und führenden Ideen die Fundamente für eine neue Weltordnung des Friedens, der Gerechtigkeit und der Sammlung zu schaffen.
Wie vertraut das alles klang! Hier wurde es zum Bekenntnis. Noch aber war das allein gültige Wort nicht gesprochen worden. Man hatte diskutiert und Ansprachen gehört; man hatte vielerlei wesentliche Begegnungen gewonnen, Gedanken getauscht, sich von der Gemeinsamkeit der Auffassungen vom Weltgeschehen überzeugt, hatte im Zeichen einer geradezu überwältigenden Gastfreundschaft der Stadt gefeiert und genossen. Es bedurfte wohl der letzten mitreißenden Ansprache des liebenswerten, franziskushaften Oberbürgermeisters von Florenz, La Pira, um die religiöse Note aufklingen zu lassen. Er, der sein Gehalt den Armen verschenkt, in freiwilliger Armut lebt und von der Bevölkerung geliebt wird, begann, von einem Neuen Jerusalem zu sprechen. Allen düsteren Wolken zum Trotz, allen Ängsten, aller Kleingläubigkeit zuwider sei dies, so rief er aus, die Zeit einer höchst wunderbaren Neugeburt, die mehr verlange als eine politische Koexistenz. Den Gläubigen allein gehöre die Welt, und darin bestehe eben die ungewöhnliche Aufgabe des Schriftstellers gleichviel, welcher Nation, Zunge und Tradition: im Bewußtsein einer neuen Ordnung und mit der Verantwortung für den tausendjährigen Frieden, der jetzt begonnen habe, das Gültige und Notwendige dem Bewußtsein aller zu vermitteln. In seiner bedeutenden Geschichte habe Florenz schon immer das Gegensätzliche zu harmonisieren vermocht. Die Jahre hätten dieser Fähigkeit nichts genommen. Es gebe nicht Bewohner von Ost und West, es gebe nur noch Menschen einer Erde, die im Geistigen ihre Heimat hätten. Und um das Gemeinsame gleich wirksam zu machen, verlieh er im Namen der Stadt allen Mitgliedern des Kongresses die florentinischen Bürgerrechte mit keinen anderen Pflichten als den geistigen und den moralischen.
Es erhoben sich jetzt die Deutschen und Franzosen, die Finnen und die Iren, die Russen und die Polen, die Belgier und die Schweden, um mit stürmischem Applaus ihre Zustimmung und ihr Ja zu dieser neuen, hohen Verpflichtung zu geben.
Einem Bahá’í klopfte dabei stürmisch das Herz...
- Dr. Karl Schück
Religionswissenschaflliche Kurzinformationen (IV)[Bearbeiten]
Der Buddhismus
Der Name dieser universalistischen Religion, die aus dem Hinduismus hervorging und jetzt etwa 500 Millionen Anhänger zählt, kommt vom Namen ihres Stifters Buddha (Sanskrit: der aus der Nacht des Irrtums zum Lichte der Erkenntnis „Erwachte“). Die typologischen Beziehungen zwischen dem Hinduismus als Mutterreligion und dem Buddhismus selbst sind denjenigen zwischen Juden- und Christentum sehr ähnlich.
Der Offenbarer des Buddhismus, Prinz Gautama Siddharta, lebte in Nordostindien ungefähr zwischen 560 und 480 v.Chr. Sein Leben ist von so vielen legendären Wundern umgeben, daß es schwierig ist, die geschichtlichen Züge der Persönlichkeit Buddhas herauszuschälen. Es ist jedenfalls sicher, daß Buddha einer aristokratischen Familie der Kshatriya-Kaste (Kaste der Krieger) angehörte, und daß er, als er noch jung war, sich berufen fühlte, einen neuen, von dem hinduistischen verschiedenen, einfacheren Weg für die Befreiung des Menschen von der Schicksalskette des Samsara seinen Mitmenschen zu lehren. Wie alle großen Propheten, spricht Buddha als auctoritatem habens, als ein Gottgesandter: „Ich Selbst habe die Erkenntnis erlangt; wessen Anhänger sollte Ich Mich nennen? Ich habe keinen Lehrer, Ich bin der unvergleichliche Lehrer.“ (Mahavagga I, 6, 7). Wie Christus, Muhammad und Bahá’u’lláh (und ganz verschieden von den hinduistischen Theologen) widmete der Buddha seine göttlichen Fähigkeiten der Lösung von ethisch-praktischen, nicht von metaphysisch-theologischen Problemen.
Was aber war das Hauptproblem des asiatischen Menschen in jener von
Jaspers treffend als „Achsenzeit der Menschheitsgeschichte“ gekennzeichneten
Epoche? Es war das Problem, gegenüber der anti-individualistischen
archaischen Kastengesellschaft eine freie Persönlichkeit zu begründen.
Die Befreiung ist, wie wir schon gesehen haben, immer die Zentralfrage
des indischen Denkens gewesen. Buddha verschiebt diese Befreiung vom
Metaphysischen zum Ethischen. Die buddhistische Lehre nimmt die für
den indischen Geist des 6. Jahrunderts v. Chr. selbstverständlichen
„Tatsachen“ des Karma und der Seelenwanderung an.
Die Seelenwanderung wird aber vom Buddha anders als von den meisten
philosophisch-theologischen Schulen des Hinduismus gedeutet. „Während die
meisten Brahmanen annehmen, daß eine unveränderliche Geistmonade
aus dem Körper des Toten in einen Mutterleib eingeht und in diesem
mit dem physischen Vehikel für ein neues Dasein versehen wird, lehrt
Buddha eine Wiederverkörperung, bei welcher ein sich unaufhörlich
ändernder Bewußtseinsstrom sich fortsetzt und im abgelaufenen Dasein
angesammelte Kräfte sich zu einem neuen Individuum zusammenfügen ...
Streng genommen sind der Verstorbene und der auf Grund von dessen
nachwirkenden karmischen Kräften Wiedergeborene zwei verschiedene
Wesen; sie sind dies andererseits jedoch auch wieder nicht, weil das neue
Individuum aus dem alten mit derselben Notwendigkeit herauswächst wie
die Flamme der zweiten Nachtwache aus derjenigen der ersten.“
(Glasenapp, „Die fünf großen Religionen“, Düsseldorf/Köln 1951-1952, S. 97-98).
[Seite 209]
Diese Kette von Wiedergeburten bedeutet Leid und Schmerz. Der Weltschmerz kann nicht durch übertriebene asketische Kasteiungen, sondern nur durch ein göttlich erleuchtetes Wesen von seinen wirklichen Ursachen befreit werden. Diese Erleuchtung zeigt uns, daß die Ursache allen Leidens die Begierde ist, ein von Krankheit, Alter und Sterben bedingtes Leben zu erstreben. Der Arhat (Heilige) ist derjenige, dem es gelungen ist, alle Begierde und Leidenschaft zu töten, der auf dieser Erde lebt, bis sein Karma aufgezehrt ist; mit dem Tode aber geht er, für immer von jeder Wiedergeburt erlöst, in die ewige Ruhe des Nirvana ein. Über die wahre Bedeutung des Wortes Nirvana (etymologisch „Vernichtung“) hat man sehr viel diskutiert. Es scheint, daß Nirvana „etwas allem Irdischen, Vergänglichen völlig Inkommensurables, im Verhältnis zu der in unablässiger Bewegung befindlichen Welt ein ruhiges Nichts“ ist (Glasenapp, a.a.O., S. 99). Was Buddha vom Nirvana sagt, erinnert uns an die Worte Bahá’u’lláhs, wenn Er von der absoluten Transzendenz, der totalen Unerreichbarkeit des Wesens Gottes spricht.
Buddhas Heilslehre wurde nicht nur einmal in der Welt gepredigt. Nach Ansicht der Buddhisten ist in historischer Zeit nur ein Buddha erschienen; diesem geschichtlichen Buddha sind aber andere vorausgegangen und andere werden ihm folgen. Die heiligen Schriften wissen sogar die Namen dieser Buddhas zu nennen und Details über ihren Lebenslauf zu geben.
Im Laufe der Geschichte fand die buddhistische Lehre natürlich viele
Umdeutungen, und es gab mehr oder minder abergläubische „Anhängsel“.
Heute bestehen zwei Hauptrichtungen: das sogenannte Hinayana
(„das kleine Fahrzeug“, praktisch nur in Ceylon, Burma, Siam, Kambodscha und
Laos mit etwa 25 Millionen Anhängern verbreitet) und das Mahayana
(„das große Fahrzeug“, in Nepal, Sikkim, Bhutan, Ost-Pakistan, China,
Japan, Indochina und Tibet verbreitet mit mehr als 400 Millionen
Anhängern). Bis in neueste Zeit waren fast alle Wissenschaftler der Ansicht,
nur die Hinayana-Lehre wiederspiegle die echte, alte buddhistische Lehre.
Jetzt aber gibt es Forscher (z.B. Conze), die gewisse archaische Züge der
Mahayana-Lehre hervorheben. Kurz gesagt, besteht der Hauptunterschied
darin, daß die Hinayana-Lehre tendenziell das Ethische, die Mahayana-Lehre
mehr das Metaphysische betont. Der Arhat des Hinayana wird
individualistischer beschrieben: Vom Samsara erlöst, geht er
in das Nirvana ein, ohne sich um das Los der anderen Menschen zu kümmern;
der mahayanische Bodhisattva („dessen Wesen Bodhi, Erleuchtung,
ist“), ein potentieller Buddha, bleibt auch nach der Erleuchtung auf Erden,
um seine Mitmenschen zu retten. Im Mahayana sind leider viele abergläubische
und sogar magische Elemente eingeströmt: eine komplizierte hierarchische
Priesterschaft, unzählige Paradiese und Höllen sowie überirdische Welten,
ein Kult der Heiligen u.a.m. Besonders betont wird von den Mahayana-Buddhisten
die Figur der künftigen Buddhas, wie Amitabha
(Pali: amita = „unsterblich“, bha = „Licht, Herrlichkeit“),
der „im Paradies des Westens“ lebt; Maktreya, Vairocana, Avalokiteshvara usw.
Die Tendenz, diesen metaphysischen Wirrwarr symbolisch zu deuten, ist bei den
Buddhisten aller Richtungen — wie bei den Hindus — sehr stark. Man kann deshalb
nicht von eigentlichen Dogmen
[Seite 210]
sprechen, sondern eher von Bildern, die für das niedere Volk materialistisch „wahr“
sind, von den Gebildeten aber symbolisch-ethisch umgedeutet werden.
Von großer Wichtigkeit ist der organisatorische Aspekt des Buddhismus. Wenn der neue Buddhist den Glauben annimmt, pflegt er zu sagen: „Ich suche Zuflucht im Buddha, im Dharma (Lehre), im Sangha (Orden)“. Sangha ist der Mönchs- und Nonnenorden, dessen Anhänger die fünf allgemeinen buddhistischen Vorschriften, „nicht zu morden, nicht zu stehlen, nicht zu lügen, nicht die Ehe zu brechen und nicht berauschende Getränke zu sich zu nehmen“, in verschärfter Form beachten (völlige Keuschheit und Armut, Einhaltung bestimmter asketischer Regeln usw.)
Die Geschichte des Buddhismus zeigt uns zwei Haupttatsachen: einerseits das graduelle Verschwinden des Buddhismus von seinem streng traditionalistischen Mutterlande Indien (nach einer Blütezeit unter König Ashoka, 3. Jahrhundert v.Chr.; endgültig ungefähr im 12. bis 13. Jahrhundert n.Chr.) und seine großartigen Erfolge in ganz Ost-, Süd- und Zentralasien (China, 1. Jahrhundert n.Chr.; Tonking 190; Korea 372; Japan 552; Tibet 642; Ostturkestan, Iran, Afghanistan, Ceylon, Siam, Indochina usw.). Das wurde auch dadurch erleichtert, daß die Buddhisten keine heilige unübersetzbare Sprache anerkennen, sondern die Übersetzung der heiligen Worte Buddhas in die verschiedensten Sprachen empfehlen. Andererseits sehen wir, wie die buddhistische Lehre, besonders durch die Einbeziehung metaphysicher und kultureller Elemente verschiedener Herkunft, immer verwickelter wird. Dies wurde auch dadurch erleichtert, daß sich Buddha nicht für metaphysische Fragen interessiert hatte. Die vom ursprünglichen Buddhismus vielleicht am meisten entfernte Gestalt weist die besonders in Tibet verbreitete Schule des Vajrayana („Diamantenfahrzeug“) auf, praktisch eine Art von Magie und automatischem Ritualismus.
Die heiligen Bücher des Buddhismus sind die im sogenannten Pali-Kanon (in Pali-Sprache) erhaltenen Predigten und Reden Buddhas. Nach der buddhistischen Überlieferung wurde der Kanon schon im 3. Jahrhundert v.Chr. fixiert, aber erst im 1. Jahrhundert n. Chr. schriftlich abgefaßt. Der Pali-Kanon heißt auch Tripitaka (Die drei Körbe): Vinaya-pitaka, der den buddhistischen Mönchsorden betreffende Texte enthält, Sutta-pitaka (Predigten und Weisheitssprüche Buddhas), Abhidhamma-pitaka (Meditationen und Diskussionen über verschiedene Punkte der buddhistischen Lehre). Dieser Kanon wird besonders von der Hinayana-Schule verehrt. Die Mahayanisten besitzen auch andere Texte, hauptsächlich in Sanskrit, die aber keinen fixierten Kanon bilden.
In den verschiedenen Ländern, wo sich der Buddhismus während seiner
langen Geschichte verbreitete, wurden viele Schulen und Sekten geboren,
die sich oft — wie es auch in der christlichen Religion der Fali ist — von
der ursprünglichen Offenbarung sehr weit entfernt haben. In China und
[Seite 211]
Japan hat der Buddhismus Elemente der taoistischen und shintoistischen
Religion aufgenommen. Eine der bedeutendsten Richtungen ist die in
China (6. Jahrhundert n. Chr.) entstandene, in Japan (7. bis 12. Jahrhundert)
sehr verbreitete Zen-Sekte (das japanische zen
kommt vom chinesischen chan, das seinerseits eine Entstellung
des Sanskrit-Wortes dhyana = „Meditation“ ist). Die
Zen-Buddhisten betrachten die Meditation als das
wichtigste Mittel, um Bodhi (Erleuchtung) zu erlangen.
Die Erleuchtung kann aber plötzlich sein, und als Vorbereitung dazu
pflegen die Zen-Meister in ihren Schülern jede Tendenz
zu den gewöhnlichen logischen Assoziationen zu zerstören. Sogar in
Europa hat die Zen-Bewegung (besonders in den geistvollen
Darstellungen des Japaners D. Suzuki) viele Anhänger gefunden.
Leider kennen die europäischen Bewunderer des Buddhismus — wie im Falle des Hinduismus — mehr eine buddhistische Philosophie als die eigentliche buddhistische Religion. Als Religion ist der Buddhismus von heute in einem Zustand äußersten Verfalls. Nur von einem neuen, den modernen Zeiten entsprechenden Buddha könnte diese Religion wirklich reformiert und von ihrem magischen Aberglauben befreit werden, von einem Offenbarer, der für die Bahá’í in Bahá’u’lláh erschienen ist.
- Professor Dr. A. Bausani, Rom
Literaturhinweise: H. von Glasenapp, „Die fünf großen Religionen“, Düsseldorf/
Köln, 1951—52; Der Brahmanismus oder Hinduismus, S. 7-78; Der Budhismus, S.
79—151. Das Buch enthält auch eine gute Bibliographie.
Das Haus der Andacht in Sydney[Bearbeiten]
Jede der großen Weltreligionen schuf sich ihre eigenen Gotteshäuser. In den heiligen Büchern der Vergangenheit gibt es kaum einen Hinweis darauf, nach welchen Grundsätzen diese Stätten der Anbetung errichtet werden sollen und wie die Gottesdienste darin zu vollziehen sind; trotzdem sind Tempel, Synagogen, Kirchen, Pagoden und Moscheen jeweils nach gleichen Normen gebaut und verwendet worden.
In der Offenbarung Bahá’u’lláhs finden sich recht präzise Prinzipien für den Bau und die Benützung des Mashriqu’l-Adhkárs, des „Aufgangsortes der Anbetung Gottes“: Er soll neun Seiten und Tore haben und von einer Kuppel gekrönt sein. Allen Menschen soll er offenstehen, wie immer auch ihr Bekenntnis lauten möge. Nur das Wort Gottes, gesprochen oder als a-capella-Chor, soll in den Andachten zu Gehör gebracht werden. Mehr, als in den Sendungen der Vergangenheit soll in den Baulichkeiten zum Ausdruck kommen, daß die vornehmste Aufgabe der Religion weniger im Blick auf das Jenseits als vielmehr darin liegt, das Leben der menschlichen Gesellschaft zu ordnen und zu leiten. Wie die Sonne von den Planeten, so soll deshalb der Mashriqu’l-Adhkár von zahlreichen erzieherischen und humanitären Institutionen umgeben sein: Schule, Universität, Krankenhaus, Altersheim, Waisenhaus, Fremdenheim usw. 1).
In der stilistischen Ausgestaltung der Häuser der Andacht ist der
Eingebung ihrer Erbauer keine Grenze gesetzt. Der „Muttertempel des
Westens“ in Wilmette bei Chicago versucht, die Baustile früherer
Jahrhunderte zu einer Synthese zu vereinen. Beim europäischen Tempel in
Langenhain nahe Frankfurt am Main, der dieses Jahr seiner Vollendung
näherrückt und dessen Modellbild die Titelseite dieser Zeitschrift ziert,
[Seite 212]
- Aus allen Erdteilen kamen die Bahá’í zur Einweihung des Hauses der Andacht nach Sydney.
[Seite 214]
wurde ein Sprung in die Moderne gewagt. Das erste afrikanische Haus
der Andacht auf einem Hügel unweit Kampala in Uganda2) bringt in
seiner schlichten Klarheit die Grundform des Bahá’í-Tempels deutlich zum
Ausdruck, während der „Muttertempel der Antipoden“ in der Nähe von
Sydney wie schon der erste Mashriqu’l-Adhkár der Bahá’í in ‘Ishqábád,
Turkmenistan, stark an orientalische Vorbilder erinnert, was indes durch
den vorgeschriebenen Kuppelbau naheliegend ist.
1954 hatte Shoghi Effendi, der Hüter des Bahá’í-Glaubens, dem Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Australien nahegelegt, ein geeignetes Tempelgelände zu kaufen. Ein Grundstück in 14 km Entfernung vom Stadtkern Sydneys, das sofort erworben wurde, mußte wieder aufgegeben werden, weil nach den Planungen der Stadt dort die Schule einer neuen Wohnsiedlung vorgesehen war. Schließlich wurde in 31 km Entfernung von der Stadtmitte bei Ingleside ein Gelände von 28000 qm auf einem Hügel ausfindig gemacht, der über 200 m über dem 5 km entfernten Meer aufragt und einen herrlichen Ausblick gewährt.
Ein Entwurf, den der Hüter dem australischen Nationalen Rat übersandt hatte, bildete den Ausgangspunkt der Bauplanungen, die von 1957 an rasch vorangetrieben wurden. Der Nationale Geistige Rat bediente sich dabei vor allem der Dienste von John Brogan, einem Architekten aus Sydney. Zunächst war eine Backsteinkonstruktion vorgesehen, aber da diese Bauweise in Australien wenig gebräuchlich ist und Spezialanfertigungen nötig gemacht hätte, entschied man sich für eine Ausführung in Beton und Stahl.
Ende 1957 waren die Grabarbeiten, im April 1958 die Grundmauern vollendet. Nachdem der Boden der Haupthalle eingezogen worden war wurden die neun 20 m hohen Stahlsäulen, die die Kuppel tragen, aufgerichtet und durch einen Ring an ihrer Spitze miteinander verbunden. In ihrer Mitte wurde als Stütze und Transportweg für die Baumaterialien ein provisorischer Betonturm gebaut, den man später wieder entfernte. So weit wie möglich wurden die Betonteile vorfabriziert; dabei wirkte es sich vorteilhaft aus, daß alle Konstruktionselemente mindestens neunfach wiederkehren.
Erhebliches Kopfzerbrechen machte die Frage der äußeren Verkleidung. Normale Keramik- oder Marmorplatten, wie sie heutzutage viel an Profanbauten verwendet werden, kamen nicht in Betracht, weil sie ebenso wie normaler Verputz nicht dauerhaft genug erschienen. Man entschied sich schließlich für gemahlenen hellen Quarzstein, der ähnlich wie beim amerikanischen Tempel in Wilmette, Illinois3), mit weißem Zement gemischt und in Platten gegossen wurde — für Australien wie seinerzeit für die USA ein völlig neuartiges Verfahren. Nach langer Suche, in die auch das Nationalmuseum eingeschaltet war, fand man schließlich in der Nähe von Tamworth ein geeignetes Quarzvorkommen. Die Steine wurden in Sydney gemahlen und an der Baustelle in Formen gegossen. Durch Metallbolzen und eine Zementschicht wurden die einzelnen Platten, in Größen bis zu 3 X 3 m, auf den Betonwänden verankert.
Erst jetzt kam der Bau der Kuppel an die Reihe. Neun Stahlträger
vereinigen sich in einem Ring, der den sechs Meter hohen Dachreiter aus
Aluminium trägt. Durch diesen Dachreiter fällt das Tageslicht ins Innere
[Seite 215]
der Kuppelwölbung. Seine Anbringung war eine kleine Sensation, wurde
sie doch durch einen Hubschrauber bewerkstelligt, der über Sprechfunk
millimetergenau in die vorgesehene Position dirigiert wurde.
Zum Zweck der inneren Auskleidung mußte ein Labyrinth von
Stahlrohrgerüsten durch den 31 m hohen und 22 m breiten Kuppelbau gezogen
werden. Besonders die Fenster- und Türbögen boten dabei gewisse Probleme.
Man entschied sich für das Verfahren der sogenannten
[Seite 216]
„Zementpressung“, das bisher noch nie bei derart großen Objekten angewandt
worden war. Wie bei der Außenverkleidung wurden Quarzsplitter mit
weißem Zement zu einer diesmal sehr trockenen Mischung vereinigt, die
unter Druck in Gipsformen gefüllt wurde. Flaschenzüge brachten die
fertigen Platten in ihre Position. Auf die gleiche Weise entstanden auch die
Balustraden der Galerie, die rings um den Hauptbau führt. Die ganze
Verkleidung erforderte eine umfangreiche, sorgfältige Nacharbeit an Ort
und Stelle.
Weithin über Land und Meer leuchtet heute der „Muttertempel der Antipoden“ in seinem strahlenden Weiß, als ein „Symbol der Hoffnung in unserer entzweiten, alles andere als friedfertigen Welt“, wie eine australische Zeitschrift kürzlich schrieb. 39 m hoch und außen 40 m breit, bietet er über 700 Menschen Sitzplatz. Die Baukosten von 1,8 Millionen DM wurden ausschließlich von den Bahá’í aufgebracht.
Zu den Einweihungsfeierlichkeiten im September 1961 waren viele hundert Bahá’í aus allen Weltteilen in Sydney zusammengekommen. Die Zahl der Besucher, die in Andacht das außergewöhnliche Bauwerk betreten, wächst von Tag zu Tag. Regelmäßige Gottesdienste, in denen Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament, dem Qur’án und den Bahá’í-Schriften von Chor- und Sologesängen umrahmt werden, finden ein nachhaltiges Echo in der Presse und wurden auch schon von Rundfunk und Fernsehen übertragen. Noch ehe die Tempelanlage durch die Gartengestaltung des Grundstücks und den Baubeginn an den beigeordneten Institutionen — Lehranstalten und soziale Einrichtungen — vervollständigt ist, erfüllt der Mashriqu’l-Adhkár als ein „stummer Lehrer“ seine Aufgabe, eine verzweifelnde Menschheit im Glauben an die Einheit Gottes aufzurichten.
- Peter Mühlschlegel
- ---------
- 1) vgl. „BAHA’I-BRIEFE“ Nr. 3/Januar 1961, S. 62 ff.
- 2) vgl. „BAHA’I-BRIEFE“ Nr. 4/April 1961, S. 98 f,
- 3) vgl. „BAHA’I-BRIEFE“ Nr. 3/Januar 1961, S. 69 ff.
- Was die Welt heute braucht
Was die Welt heute braucht, ist der Bahá’í-Geist. Die Menschen sehnen sich nach Liebe, nach einem hochgesteckten Richtmaß, zu dem sie aufschauen können, nach Lösungen für ihre vielen ernsten Probleme. Auf alle, denen sie begegnen, sollten die Bahá’í den warmherzigen, liebevollen Geist der Sache ausströmen. Dies und ihre Lehrtätigkeit zusammengenommen muß unweigerlich die aufrichtigen Wahrheitssucher dem Glauben näherbringen.
- Shoghi Effendi
(aus einem Brief an einen amerikanischen Bahá’í; zit. in
BN/USA März 1962)
32. Nationaltagung der deutschen Bahá’í[Bearbeiten]
Europäisches Haus der Andacht nahezu im Rohbau fertig
Die 32. Nationaltagung der deutschen Bahá’í-Gemeinde, die am 28. und 29. April in Frankfurt/Main stattfand, vereinte rund 100 Bahá’í-Freunde aus allen Teilen der Bundesrepublik und dem Ausland. Die Beratung der Abgeordneten aus den Wahlkreisen bewegte sich in erster Linie um Fragen der weiteren Verbreitung des weltumspannenden Glaubens. Die Vorsitzenden der verschiedenen Ausschüsse des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í gaben ihre Jahresberichte, denen zu entnehmen war, daß auch im verflossenen Bahá’í-Jahr 118 (1961/62) von den Bahá’í-Freunden überall im Lande gute und wertvolle Arbeit geleistet worden war. Das Ergebnis der Beratungen durch die Abgeordneten wurde in 22 Empfehlungen zusammengefaßt, mit denen sich der am 29. April neu gewählte Nationale Geistige Rat in den kommenden Monaten zu befassen haben wird. Im Bahá’í-Jahr 119 (1962/63) gehören dem Nationalen Geistigen Rat an: Erik Blumenthal, Annelise Bopp, Margot Dörnbrack, Otto Häfner, Dr. Bozorg Hemmati, Ruprecht Krüger, Hans Rande], Dr. Eugen Schmidt, René Steiner.
Ein besonderes Erlebnis für alle Teilnehmer der Tagung war am Sonntagfrüh der Besuch der Baustelle des europäischen Hauses der Andacht auf den Taunus-Höhen, nahe der Gemeinde Langenhain. Eine lange Autokarawane setzte sich mit den Freunden in Bewegung. Mit Freude konnte festgestellt werden, daß die Arbeiten schon gute Fortschritte gemacht haben; voraussichtlich im Spätsommer wird das Richtfest gefeiert werden können. Inzwischen sind alle Oberteile der Pfeiler montiert, so daß das Rahmenwerk der Kuppel fertig dasteht. In diesen Tagen ist begonnen worden, die Verschalung für den oberen Betonring einzubauen, und auch der Aushub für das Kellergeschoß ist bereits im Gange.
- Teilnehmer der Tagung vor dem Gesellschaftshaus des Frankfurter Zoos.
217
- Nahezu im Rohbau fertig ist die Kuppel des ersten europäischen Hauses der Andacht bei Langenhain im Taunus. 27 Meter hoch, ist sie bis in die Main-Ebene sichtbar.
- Mit dem Drehkran werden die Betonrippen eingeschwenkt (links). — Die Verstrebungen zwischen den Rippen werden nach diesem Muster angebracht (rechts).
Neu auf unserem Büchertisch[Bearbeiten]
Alois Winklhofer: „Das Kommen Seines Reiches, Von den letzten Dingen“, Josef Knecht Verlag, Frankfurt/Main, 1959, DM 12,80.
Ergreifend ist die Wucht und Größe der heutigen Übergangszeit, ihre Auflösungs- und Untergangsprozesse aller Art, die in buntem Durcheinander und in einem scheinbar chaotischen Auseinander alle Bereiche des Lebens durchdringen, in einem zersetzenden und vernichtenden Einfluß auf alle Geschehnisse, Vorhaben und Unternehmungen unserer Zeit. Kein Gebiet, kein noch so unbedeutender, winziger Vorgang bleibt von dieser zersetzenden Wirkung verschont.
Dieser ungeahnte Prozeß hinterläßt ein Vakuum dort, wo bis jetzt das gesamte Leben „harmonisch“ ablief. Alles Bemühen seitens der Denker, Politiker und Gesetzgeber reicht nicht aus, diese Lücke zu füllen: Das kompensatorisch-kompromißmäßige Denken von heute, das den Grund nicht erreicht und die wahren Ursachen nicht kennt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt; der Prozeß ist viel zu ernst und einmalig, und anscheinend ist diese brausende, gärende Entwicklung dazu berufen, das Antlitz der Erde grundsätzlich neu zu gestalten. Es ist darum nicht weiter verwunderlich, daß begrenzte Verbesserungen im Rahmen des Traditionellen der Aufgabe nicht Herr zu werden vermögen: Sie sind mangelhaft und dürftig, und meist schon veraltet und verbraucht, ehe sie eingesetzt werden. Allein die Technik ist es, die in ständigem, intensivem Fortschrittsdrang begriffen ist. Anscheinend ist der Geist des Menschen heute beauftragt und begnadet, dieser Umwälzung zu Hilfe zu eilen und ihren Schwung bis zum äußersten anzukurbeln.
Gelehrte und Wissenschaftler, überrascht, ja erschreckt von der Wirkung
ihrer eigenen Entdeckungen, sind erfolglos bemüht, dort die Oberhand zu
behalten und zu bremsen, wo das Unerwünschte, Zerstörerische
einsetzt. Und doch droht das scheinbare Chaos stärker und gewaltiger zu
sein, indem es doppelseitig auftritt: einerseits zerstörerisch und auflösend.
zum andern jedoch aufbauend und dem echten Fortschritt dienend. Es
verspricht, in beiden Richtungen grandios und einmalig zu sein. Im
positiven Sinne schreitet die Technik weiter aufwärts und macht den
Menschen fähig, den interplanetarischen Raum zu erobern, um Himmel und
Erde in eine Einheit zu verschmelzen. Wäre diese äußere Einheit nicht
eine Parallele, ein Symbol einer anderen, noch größeren, einer Einheit
von Himmel und Erde in der geistigen Welt, d.h. einer Einheit der
göttlichen und menschlichen Welt, wie sie seit Jahrtausenden erträumt,
besungen und verheißen wurde? Und tatsächlich, von der Ahnung dieser
unerhörten Umwälzung getroffen, heben sich die großen Hindernisse auf
dem Wege zu dieser Einheit auf, Hindernisse, die von menschlicher Hand
aufgeschichtet wurden, die als statisch, unveränderlich gültig und göttlich
autorisiert geglaubt werden: die altehrwürdigen religiösen Einrichtungen
[Seite 220]
und Dogmen, deren Sturz größer und katastrophaler zu sein scheint als
die Spaltung des Atoms in der Atombombe.
Diese neue, noch nicht dagewesene Lage eröffnet ungeahnte Perspektiven auch unter den Völkern und Nationen; die Schranken fallen, die Völker ändern ihr Antlitz, und eine Schar der Ungebildeten tritt auf. Die große Zahl der Völker, Rassen und Religionen steht auf von ihren Totenbetten, um auf der Tribüne der Welt Rechenschaft abzulegen. Ist dies nicht wahrhaftig der Auferstehungstag?
Es ist nicht verwunderlich, daß die messianischen Hoffnungen und Endzeiterwartungen in unserer Zeit wiederaufleben und zur Geltung kommen sogar dort, wo sie bis jetzt verschwiegen und verloschen waren: in den Kirchen, bei den Theologen.
Ein Buch scheint diesbezüglich viel zu versprechen, denn es ist betitelt mit einer großen Botschaft: „Das Kommen Seines Reiches“. „Es kann kein Zweifel sein: Das Reich Gottes ist schon in dieser Welt und Weltzeit gegenwärtig und eine Wirklichkeit; gewiß nicht in der verheißenen, endgültigen Gestalt, aber verborgen und anfänglich ... (S. 12).
In Anbetracht des eingangs erwähnten einzigartigen Geschehens und der Neugestaltung aller Dinge im Bereiche des menschlichen Wissens ist man der Hoffnung, in dem genannten Werk ein unabhängiges, freies Wort
- Ich habe kein Ziel als die Besserung der Welt und die Ruhe ihrer Völker. Das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, bevor nicht ihre Einheit fest begründet ist. Diese Einheit kann niemals erlangt werden, solange die Ratschläge aus der Feder des Höchsten unbeachtet bleiben.
- Die Kraft der Worte, die Er gesprochen hat, kann die ganze Menschenrasse mit dem Licht der Einheit erleuchten. Der Anruf Seines Namens vermag die Herzen aller Menschen zu entzünden und die Schleier zu verbrennen, die die Menschen von Seiner Herrlichkeit trennen.
- Bahá’u’lláh
[Seite 221]
zu hören, auf den Tatsachen der Bibel fußend und frei von allzumenschlichen,
selbstgewünschten Hoffnungen und Träumen. So erwartet man
heute, endlich ein neues Verständnis der alten Begriffe „Heilslehre“ und
„Endzeit“ zu finden, das dem heutigen Bewußtsein näher und der Vernunft
zugänglicher wäre. Denn mit Gerhard Szczesny1) könnten wir wohl
sagen: „Die Ereignisse der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts haben zwar
nicht zu einer Renaissance des christlichen Glaubens, wohl aber zu einer
Wiederherstellung der Geltung und Autorität des Christentums geführt...
Der Versuch der Wiederentdeckung und Wiedererweckung des Christentums als
einer allgemeinverbindlichen moralischen Institution hat nun
allerdings an der Tatsache, daß der eigentliche Inhalt der christlichen
Heilslehre für einen vorherrschenden Typ des zeitgenössischen Menschen
unannehmbar und gleichgültig geworden ist, nichts geändert...“
Trügerisch ist auch die Hoffnung der letzten Zeit, daß das Versagen der Ersatzreligionen die Massen der Völker wieder zum Glauben führen werde. Darum erscheint auch natürlich, daß man bestrebt ist, mittels des neuen kirchlichen Schrifttums dem Mangel abzuhelfen. Es gibt Denker und Theologen, die der Meinung sind, daß diesbezüglich vieles schon geschehen ist. So schreibt Dr. I. Fetscher2), daß „das heutige Christentum der beiden großen Konfessionen die legitime Autonomie der modernen Wissenschaften längst anerkannt und auf die Prägung eines spezifisch-christlichen Weltbildes verzichtet hat ...“ Dieser Standpunkt wäre an sich richtig, denn der Glaube daran, daß das Wort Gottes einmalig und unveränderlich ist, bedeutet in keiner Weise, daß das Verständnis dieses Wortes auch einmalig ist und für alle Zeiten dasselbe bleiben muß. Noch richtiger aber wäre es, nicht auf dieses Weltbild zu verzichten, sondern vielmehr bemüht zu sein, es richtig auszulegen und zu verstehen.
Winklhofer ist anscheinend mit diesen Gedanken in keiner Weise
einverstanden, denn bei ihm läuft alles genau wie am Schnürchen weiter wie
seit eh und je; alle Ereignisse der „Eschata“, der letzten Dinge, geschehen
harmlos in altehrwürdigem Sinne fort. Man merkt keine Wiedergeburt in
Gedanken und Ideen, keinen neuen Impuls, der dazu verhelfen könnte,
die Sache tiefer, wahrheitsgetreuer zu verstehen. Winklhofer versucht
zwar, moderner zu denken, vernunftmäßig zu gestalten, aber es bleibt
bei einem Versuch; er strebt, ängstlich und bereuend, zu den alten,
sicheren Bahnen zurück. So versucht er einmal vom materiellen Begriff des
„Himmels“ abzukommen und ihn als „Schauen Gottes“ (S. 145) oder als
„Christus selber“ (S. 139) zu betrachten, um bald darauf die Bedeutung
des materiellen Ortes wiederzugewinnen und ihn als Ort dienen zu lassen,
wo die Auferstehung des Fleisches stattfinden soll. Bei der Beschreibung
des auferstandenen Leibes wieder erscheint dies Winklhofer wohl selbst
fraglich, wenn er schreibt: „Im einzelnen wissen wir keine Antwort; ja es
würde grotesk, wenn wir etwa fragten, ob der auferstandene Mensch noch
Magen und Nieren habe; ebenso entstünde der Eindruck des Grotesken,
wenn wir versuchen wollten, den neuerstandenen Menschen zu operieren
[Seite 222]
und zu amputieren und so seine neue Auferstehungsanatomie zu
rekonstruieren.“ (S. 266/267). Indessen, Winklhofer kann nicht umhin, denn
„diese Auferstehung der Toten ist keine Randwahrheit. Sie gehört
vielmehr so innerlich zum Bestand der neutestamentlichen Verkündigung,
daß das Christentum selber als Heilswirklichkeit in sich zusammenstürzte,
wenn man sie herausbräche. So hat das kirchliche Lehramt seit alters
diese Wahrheit, daß alle Menschen, Gerechte und Ungerechte, am jüngsten
Tage auferstehen werden, verbindlich vorgelegt ...“ (S. 247). Was
würde wohl Winklhofer über all das denken, wenn er das offizielle
kirchliche Lehramt verließe und diese „neutestamentliche Verkündigung“
direkt aus der Quelle studierte?
Was aber das Ende dieser Welt anbelangt, so weiß Winklhofer nicht genau zu berichten, „ob diese Welt durch Feuer, in einem ‚Weltbrand‘ also, zugrundegeht, ob nur die Erde mit ihrem atmosphärischen ‚Himmel‘ umgewandelt wird und bleibt und die übrige Welt versinkt, oder ob die Schöpfung als Ganzes davon betroffen wird“ (S. 285). Selbstverständlich könnten wir uns auch nicht vorstellen, was unter diesem „neuen Himmel und dieser neuen Erde“ zu verstehen ist. Am Ende habe man es wohl schwer, sich auszumalen, wo „Sein Reich“, das vom Himmel kommt, Platz haben sollte, und so erscheint die ganze frohe Botschaft, die das Buch verspricht, mysteriös und unwahrscheinlich.
Es bleiben uns noch ein paar Worte über das Wesen der Sache zu sagen: Das Ganze konzentriert sich wohl auf das Heilsgeschehen am Ende der Zeit in den ‚Letzten Dingen‘. „... In ihnen vollendet sich die Heilsgeschichte — es gibt seit Christus keine andere mehr —, jener geheimnisvolle und jetzt noch verborgene Ablauf, der auf die letzte Sinn- und
- Keine Weltordnung
- kann die Religion überdauern, von welcher
- sie ausging.
- Constantin Frantz
[Seite 223]
Wesenserfüllung der Schöpfung zielt, auf ihre Integrierung“ (S. 11). Ein
sehr komplizierter, geheimnisvoller Ablauf, wenn man will, oder aber
ein sehr einfacher, den der Mensch selbst schwierig gestaltet, weil er ihn
nicht verstanden hat.
Die Parusie, die Wiederkunft Christi, sollte alles wieder vereinfachen, verwirklichen, aber leider blieb sie aus. Es begann die Zeit der Säkularisierung, der Verweltlichung; die Völker verzichteten auf ihren Glauben, knieten vor der Göttin „Vernunft“ und nahmen ihre Geschicke in die eigene Hand. Was daraufhin geschah, wurde eingangs geschildert; die Auswirkungen spüren wir täglich am eigenen Leib.
Es ist merkwürdig, daß in allen Religionen der Verheißene die versprochene Wiederkunft „vergessen“ hat: nicht nur Christus, sondern schon Elia und der Messias bei den Juden, Sháh-Bahrám in der zoroastrischen Religion, der Mahdí im Islam, Krishna im Hinduismus, Buddha Maitreya usw. Das ist ein Problem, worüber nachzudenken von Wert wäre. Und noch eine Frage: Warum geschah es jedesmal, wenn sich einer aus dem Volke auszeichnete und als der versprochene Messias erklärte, daß Er, anstatt sehnsüchtig empfangen zu werden, Verfolgung, Kreuzigung, Erschießung erlitt? Christus von den Juden, Muhammad von den Arabern, Báb von den Muslim ... Das sind Kardinalfragen, deren Lösung viele anscheinend unlösbare Fragen entscheiden könnte.
All die schwierigen Zustände, komplizierten Fragestellungen und Vorstellungen im Abendland hätten entweder nicht aufkommen dürfen, oder sie müßten von dem Verheißenen selbst, wie versprochen, erklärt und gedeutet werden. Sagte nicht Christus selbst: „Ich habe euch noch viel zu sagen ...?“ Dann aber ist jede vorgefaßte menschliche Meinung, die nicht fest auf das geoffenbarte Wort Gottes gegründet ist, eine ungeheuerliche Anmaßung. Es müßte jedem aufrechten Christen klar sein, daß Christus bei Seiner Wiederkehr so wenig wie bei Seinem ersten Kommen „neuen Wein in alte Schläuche“ füllt. Der Christ, der sich frei macht von allem menschlichen Ballast, der selbständig und vorurteilsfrei sucht und dabei nicht im begrenzten eigenen Lager stehen bleibt, der wird nicht nur erkennen, daß alle Religionen aus der gleichen Quelle schöpfen; mit der Zeit wird ihm bewußt, daß so etwas wie ein göttlicher Plan in der Aufeinanderfolge der Offenbarungen liegt — derselbe Plan, nach dem er die Wiederkunft Christi erwartet. Und wenn er vorurteilsfrei weiterforscht, mag ihm eines Tages klar werden, daß Christus bereits in Muhammad, dem „Tröster“, wie Er in den Prophezeiungen der Bibel heißt, wiedergekommen ist. Das tragischste, folgenschwerste Fehlurteil der Geschichte, das entscheidend zu dem heutigen Chaos auf allen Gebieten beigetragen hat, mag damit für unseren Sucher beseitigt sein. Losgelöst und reinen Herzens weiter forschend, mag er schließlich entdecken, daß Christus heute, in unseren Tagen, wiedergekommen ist in der „Herrlichkeit des Vaters“.
„Suchet, so werdet ihr finden!“ sprach Er in der Bergpredigt. Das ist nicht nur eine Verheißung, das ist ein Befehl!
- Dr. Aminullah Ahmedzadeh
- 1) „Die Zukunft des Unglaubens“, S. 9 und 10
- 2) Dr. Ining Fetscher, „Der wissenschaftliche Anspruch des dialektischen Materialismus“ in „Christen oder Bolschewisten“, S. 89
Ursula von Mangoldt: Meditation, Heilkraft im Alltag. Weilheim: Otto-Wilhelm-Barth 1960. 97 S. Lw. DM 9,40.
Das Buch trifft mit seinem Titel ins Schwarze; denn wer wollte in unserer so heillosen Welt nicht gerne geheilt werden von seinen vielerlei Kümmernissen, Nöten und Sorgen? Von den mancherlei Wegen, die der einzelne dabei gehen kann, zeigt die Verfasserin den der Meditation in seiner Bedeutung für den heutigen Menschen. Über den Begriff der Meditation herrscht nicht überall Klarheit, und man begegnet des öfteren einer gewissen Skepsis. Es ist deshalb zu begrüßen, daß das Wesentliche und Eigentümliche der Meditation sowie ihre verschiedenartigen Wesenszüge im indischen und abendländischen Bereich gezeigt werden.
Ursprünglich sind die Methoden der Meditation auf dem Mutterboden der Religion gewachsen, den heute viele verlassen haben. Aber auch diesen möchte die Verfasserin aus der Fülle der Möglichkeiten eine Führung geben, die der Wesensart des abendländischen Menschen entspricht. Damit sein inneres Wesen angesprochen und seine unbewußten Kräfte in Bewegung gesetzt werden, kann dem Menschen ein Symbol, das mit seiner bildhaften Aussageweise auf das Bewußte wie aufs Unbewußte wirkt, hilfreich werden. Dieses Symbol wird in einer von unten nach oben aufsteigenden Spirale gefunden, die „einen dynamischen Zug, einen Drang nach Aufstieg zum Ausdruck bringt“. Der Leser empfängt hier wichtige Impulse, ebenso auch in dem Kapitel über die Gebärden, die als leiblich-seelische Übungen in die Praxis der Meditation miteinbezogen werden können.
Das Anliegen des Werkes, Hilfe zu bringen, kommt am stärksten in dem umfangreichsten Kapitel „Meditation im Alltag: Rhythmischer Tagesablauf“ zum Ausdruck. Hier werden dem rational gewordenen Arbeitsmenschen Wege gezeigt, wieder zu sich selbst zu finden. Die vielfachen Hilfen können von jedem ohne besondere Willensanstrengung oder komplizierte Übungen im Tageslauf angewandt werden. Bei Beachtung der Erfordernisse Regelmäßigkeit, Sammlung, Ordnung und Stille wird der rastlose Mensch von heute die „Heilkraft der Meditation im Alltag“ an sich erfahren.
Auch in der Praxis des Bahá’í-Lebens ist die Meditation ein unerläßliches Mittel für die geistige Entwicklung. Dabei kann dieses mit großer Sachkenntnis, Klugheit und Einfühlungsvermögen geschriebene Buch durch seine vielen praktischen Winke eine wertvolle Hilfe sein.
- awe
Die „BAHA’I-BRIEFE“ werden vierteljährlich herausgegeben vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Deutschland e. V., Frankfurt/Main, Westendstraße 24. Alle namentlich gezeichneten Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion dar.
Redaktion: Dipl.-Volksw. Peter A. Mühlschlegel, Leinfelden/Württ., Jahnstraße 8, Telefon (07 11) 79 16 74, und Dieter Schubert, Leinfelden/Württ., Fliederweg 3, Telefon (07 11) 79 35 35.
Druck: Buchdruckerei Karl Scharr, Stuttgart-Vaihingen, Scharrstraße 13.
Vertrieb: „BAHA’I-BRIEFE“, Auslieferungsstelle Eßlingen-Obereßlingen a. N., Hindenburgstraße 161; Telefon (07 11) 35 91 08.
Preis: DM —,80 je Heft, einschließlich Versandkosten, im Abonnement DM 3,20 jährlich. Zahlungen erbeten an den Nationalen Geistigen Rat der Baha’i in Deutschland e. V., Bahá’í-Verlag, Frankfurt (Main), Postscheckkonto Stuttgart 35 768, mit dem Vermerk „BAHA’I-BRIEFE“.