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BAHÁ'I-
BRIEFE
BLÄTTER FÜR
WELTRELIGION UND
WELTBEWUSSTSEIN
AUS DEM INHALT:
Bahá’u’lláh: „Worte des Paradieses“
Muhammad — ein falscher Prophet?
Laotse und Konfuzius
Sommerschul-Bildberichte
Eine beispiellose Indianer-„Konferenz“
OKTOBER 1962 HEFT 10
Postverlagsort 6 Frankfurt
Der Himmel währt ewig, und die Erde dauert.
Was aber macht, daß Himmel und Erde vermögen
zu währen, zu dauern?
Weil sie nicht sich selber leben,
darum vermögen sie, ewig zu leben.
Deshalb der Weise:
Er setzt zurück sein Selbst -
und es wird vorne sein;
er treibt hinaus sein Selbst -
und sein Selbst tritt ein.
Ist das nicht, weil er ohne Eigennutz?
Darum vermag er, sein Eigen zu vollenden.
- Laotse
- Dau-de-ging 7
- Bahá’u’lláh
Worte des Paradieses[Bearbeiten]
Er ist der wahre Sprecher im Königreiche des Bayán!1)
O ihr, die ihr das Morgenlicht der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit und die Quellen der Treue und der Gunst seid!...
Es geziemt den Bahá’í, dem Herrn durch ihre Äußerungen zu dienen und die Welt durch ihre Taten und guten Sitten zu lehren. Die Wirkung der Taten ist größer als die der Worte ... Wahrlich, der Mensch wird erhöht durch seine Vertrauenswürdigkeit, seine Reinheit, sein gerechtes Urteil und seine Tugenden, und er erniedrigt sich durch Treulosigkeit, Falschheit, Lasterhaftigkeit und Heuchelei. Bei Meinem Leben! Der Mensch wird nicht geadelt durch Schmuck und Reichtum, sondern durch gutes Betragen und Erkenntnis ...
Sprich: O mein Gott! O mein Gott! Du siehst, wie ich Deinen Willen umkreise, zum Horizont Deiner Mildtätigkeit aufblicke und die Herrlichkeit, die von der Sonne Deiner Gaben ausgeht, erhoffe. Ich bitte Dich, o Du Geliebter der Herzen der Wissenden, Du Ziel der Erwählten, gib, daß sich Deine Freunde von ihren eigenen Wünschen trennen und sich fest an Deinen Wunsch und Willen halten.
O mein Gott! Schmücke Deine Freunde mit dem Gewand der Rechtschaffenheit und erleuchte sie mit dem Licht der Loslösung. Alsdann unterstütze sie mit der Fülle Deiner Weisheit und Beredsamkeit, damit sie Dein Wort unter Deinen Geschöpfen verherrlichen und Deinen Bund unter Deinen Dienern kundmachen. Wahrlich, Du hast die Macht zu tun, was Du willst, und in Deiner Hand liegen die Zügel allen Geschehens. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Mächtigen, dem Vergebenden ...
In diesen Tagen müssen alle Harmonie und Eintracht wahren und sich im Dienste der Sache Gottes betätigen; vielleicht gelangen achtlose Seelen dadurch zu dem, was sie zur ewigen Erlösung führt.
Mit kurzen Worten, die Zwietracht unter den religiösen Gemeinschaften führte zur Schwächung. Jede Gemeinschaft verfolgte eine bestimmte Richtung und hielt sich fest an einem Leitseil, und trotz ihrer Blindheit und Unwissenheit glaubten sie, sie seien mit Urteilskraft und Wahrnehmungsvermögen ausgestattet. Zu diesen gehören auch die Mystiker (Sufis) des Islám. Einige halten sich an das, was zu Trägheit und Vereinsamung führt. Beim Leben Gottes, dies erniedrigt die Stufe des Menschen und vergrößert den Dünkel. Der Mensch muß Früchte aufweisen. Ein fruchtloser Mensch gleicht nach den Worten Seiner Heiligkeit des Geistes (Christi) einem fruchtlosen Baum, der für das Feuer bestimmt ist.
Jene Seelen (die Sufis) stellten über die Stufen der „göttlichen Einheit“
Behauptungen auf, durch die das Volk veranlaßt wurde, sich dem Müßiggang
und dem Aberglauben hinzugeben. Sie beseitigten in der Tat jeden
Unterschied zwischen Gott und dem Menschen und bildeten sich ein, sie
selbst seien Gott. Der Eine Wahre steht geheiligt und erhaben über allem;
doch Seine Zeichen sind in allen Dingen offenbar. Diese Zeichen sind von
Ihm, aber nicht Er Selbst; sie sind alle im Buch der Welt sichtbar
aufgezeichnet. Der Plan der Welt ist ein großes Buch; jeder Verständige kann
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ihm entnehmen, was ihn befähigen wird, auf den rechten Weg und zu der
„großen Botschaft“ zu gelangen.
Betrachtet die Strahlen der Sonne! Ihr Licht leuchtet über die ganze Welt; aber die Strahlen kommen von der Sonne und ihren Erscheinungen. Sie bestehen durch die Sonne, aber sie sind nicht die Sonne, das heißt deren Wesen oder Substanz. Was wir auf Erden sehen, bringt Gottes Macht, Sein Wissen und Seine Gnade zum Ausdruck, während Er Selbst geheiligt über allem steht. Seine Heiligkeit Christus sagte: „Den Weisen und Klugen hast Du diese Dinge verborgen, und den Unmündigen hast Du sie geoffenbart ..."
Preis sei Gott! Der Reichtum des Menschen ist seine Sprache. Dieser Unterdrückte enthielt sich jedoch des Sprechens, weil die, die Ihn verleugnen, im Hinterhalt auf der Lauer liegen. Unser Schutz kommt von Gott, dem Herrn der Geschöpfe. Wahrlich, Ihm vertrauten Wir, und Ihm stellten Wir alle unsere Angelegenheiten anheim. Er genügt Uns und allen Dingen. Er ist Der, nach Dessen Geheiß und Gefallen die Sonne der Macht am Horizont der Welt leuchtete. Gesegnet sind, die dies einsehen und es erkennen, und wehe denen, die es verwerfen und verleugnen!
Aber dieser Unterdrückte schätzte schon immer die Philosophen, das heißt diejenigen unter ihnen, deren Philosophie nicht in bloßen Worten besteht, sondern dauernde Ergebnisse und Früchte auf Erden zeitigt. Diese edlen Seelen zu achten, ist allen zur Pflicht gemacht. Gesegnet sind, die es tun. Gesegnet sind die Wissenden. Gesegnet sind, die in allen Angelegenheiten Gerechtigkeit walten lassen und sich festhalten an dem Seil Meiner unerschütterlichen Unparteilichkeit. — Die Perser haben den Beschützer und Helfer verbannt, sich mit den Einbildungen der Unwissenden abgegeben und ihnen vertraut, Sie klammerten sich so sehr an Aberglauben aller Art, daß es nicht möglich ist, sie davon zu lösen, es sei denn durch den starken Arm des Einen Wahren — erhaben ist Seine Herrlichkeit. Bittet Gott, daß Er die Schleier der verschiedenen Bekenntnisse mit mächtiger Hand beseitige, damit sie alle die Mittel des Schutzes, des Fortschrittes und der Erhöhung erkennen und dem unvergleichlichen Freund entgegeneilen.
- *
DAS WORT GOTTES, WIE ES DURCH DIE FEDER ‘ABHÁS AUF DEM ERSTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES BESCHRIEBEN UND BERICHTET IST:
Wahrlich, Ich sage euch, die Gottesfurcht war von jeher der sicherste Schutz und die festeste Burg der ganzen Weltgemeinschaft. Sie ist das vortrefflichste Mittel zum Schutz der Menschheit und die Hauptursache für die Erhaltung der Menschlichkeit. Es gibt etwas im Wesen des Menschen, das ihn beschützt und bewahrt vor dem, was unwürdig und unpassend ist. Dieses Etwas wird „Sittsamkeit“ genannt. Aber nur wenigen ist diese Tugend beschieden; denn nicht alle sind mit ihr ausgestattet.
DAS WORT GOTTES AUF DEM ZWEITEN BLATT DES ERHABENEN
PARADIESES:
In diesem Augenblick wendet sich die erhabenste Feder an die mit
Macht und Autorität Ausgestatteten, nämlich an die Könige, Regenten,
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Staatsoberhäupter, Fürsten, Gelehrten und Mystiker und befiehlt ihnen,
stets der Religion zu folgen. Religion ist das vortrefflichste Mittel für die
Ordnung der Welt und die Ruhe aller Lebewesen. Die Schwäche der
Pfeiler der Religion hat die Unwissenden dreist und anmaßend gemacht.
Wahrlich, Ich sage, was immer die erhabene Stellung der Religion
erniedrigt, vermehrt die Widerspenstigkeit unter den Gottlosen und führt
letztlich zur Anarchie. Horchet auf, o ihr Einsichtsvollen, und seid gewarnt,
o ihr, die ihr mit einem weitschauenden Auge begnadet seid!
DAS WORT GOTTES AUF DEM DRITTEN BLATT DES ERHABENEN
PARADIESES:
O Sohn des Menschen! Wenn du auf Barmherzigkeit siehst, dann blicke nicht auf das, was dir Nutzen bringt, sondern halte dich an das, was allen Menschen nützt. Wenn du auf Gerechtigkeit siehst, wähle für andere, was du für dich selbst wählst. Wahrlich, durch Demut wird der Mensch zum Himmel der Macht erhoben, durch Stolz dagegen wird er zur niedersten Stufe der Schmach und Schande herabgewürdigt. O Volk Gottes! Erhaben ist dieser Tag und der Ruf an dich ist machtvoll! In einem der Tablets ist durch den himmlischen Willen das große Wort geoffenbart: „Wenn die Kraft der menschlichen Seele ganz auf den Gehörsinn übertragen würde, dann könnte von diesem gesagt werden, daß er diesen Ruf, der vom höchsten Horizont ausgeht, zu hören imstande wäre, andernfalls sind diese entweihten Ohren nicht würdig, den Ruf zu vernehmen.“ Gesegnet sind die Hörenden, und wehe den Achtlosen!
DAS WORT GOTTES AUF DEM VIERTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
O Volk Gottes! — Erhaben ist Seine Herrlichkeit! — Bitte Gott, daß Er die Quellen der Macht und Autorität vor dem Übel der Selbstsucht und Begierde bewahre und sie mit dem Lichte der Gerechtigkeit und Führung erleuchte. Trotz seines hohen Ranges verübte der Sháh Muhammad zwei abscheuliche Taten. Eine war die Verbannung des Königs der Machtbereiche der Güte und Gnade, Seiner Heiligkeit des Ersten Punktes (des Báb); die zweite die Ermordung des Herrn der Stadt des Rates und der schönen Literatur2). Sowohl der Irrtum als die Freigebigkeit des Sháh waren groß.
Ein König, den der Stolz auf seine Macht und Unabhängigkeit nicht davon abhält, gerecht zu sein, und den Vorteil, Reichtum, Ruhm, Kriegsheere und Soldaten nicht des Glanzes der Sonne der Unparteilichkeit zu berauben vermögen, wird eine hohe Stellung und einen erhabenen Rang bei den höchsten Heerscharen einnehmen. Alle müssen einem so gesegneten König beistehen und ihn lieben. Gesegnet ist der Regent, der die Zügel seines Ichs beherrscht und seinen Zorn überwindet, Rechtlichkeit der Unterdrückung und Unparteilichkeit der Tyrannei vorzieht.
DAS WORT GOTTES AUF DEM FÜNFTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
Auf der ersten Stufe ist Weisheit die größte Gabe und der höchste
Segen. Weisheit ist der Schutz des Seins, seine Hilfe und sein Beistand,
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die Botin des Barmherzigen und die Offenbarerin des göttlichen Namens,
des „Allweisen“. Durch sie wird die Stufe des Menschen bekannt und
offenbar. Sie ist die kundige erste Lehrerin in der Schule des Lebens, die
Führerin, die einen hohen Rang einnimmt. Unter ihrem Schutz und ihrer
Anleitung wurde der Urstoff Erde mit reiner Seele ausgestattet und über
die Himmel erhoben. Weisheit ist der erste Sprecher in der Stadt der
Gerechtigkeit, und im Jahr neun3) erleuchtete sie die Welt mit der
frohen Botschaft der Offenbarung. Sie ist der unvergleichliche Weise, der am
Anfang der Welt die Stufen innerer Bedeutung erklomm und, als er durch
den göttlichen Willen die Rednertribüne einnahm, zwei Worte sprach.
Aus dem ersten Wort ging die frohe Botschaft der Verheißung von Belohnungen
hervor, aus dem zweiten die Furcht, die aus der Androhung von
Bestrafungen entspringt. Hoffnung und Furcht wurden offenbar, und auf
ihnen ruht die Grundlage der Ordnung in der Welt sicher und beständig.
Erhaben ist der Weise, der Besitzer großer Gaben!
DAS WORT GOTTES AUF DEM SECHSTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
Gerechtigkeit ist das Licht der Menschen. Löscht es nicht durch die Stürme der Unterdrückung und Tyrannei! Der Zweck der Gerechtigkeit ist das Zustandekommen von Einheit unter den Menschen. In diesem erhabenen Wort wogt das Meer göttlicher Weisheit; alle Bücher der Welt reichen nicht hin, dieses Wort auszulegen.
Wenn die Welt mit diesem Mantel geschmückt ist, wird die Sonne des Spruches: „An diesem Tag wird Gott alle mit Seiner Fülle befriedigen“, aufgehen und am Horizont der Welt leuchten. Erkennet den Wert dieses Wortes, denn es gehört zu den vornehmsten Früchten der erhabenen Feder. Glücklich ist, wer es hört und erfaßt!
Wahrlich, Ich sage euch: Alles, was vom Himmel des göttlichen Willens herabkam, führt zur Ordnung der Welt und fördert Einheit und Harmonie unter den Menschen. Dies spricht der zu Unrecht Leidende in Seinem Größten Gefängnis.
DAS WORT GOTTES AUF DEM SIEBTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
O ihr weisen Menschen unter den Nationen! Wendet eure Augen ab von allem Fremdartigen; blickt auf die Einheit und haltet euch an das, was zur Ruhe und Sicherheit aller Menschen der Welt führt. Diese kleine Welt ist nur eine Heimat und ein Vaterland für alle. Legt jenen Ruhm ab, der zu Mißklang führt, und wendet euch dem zu, was Harmonie fördert. Der Ruhm der Bahá’í liegt in Erkenntnis, guten Taten, edlen Sitten und Weisheit, nicht im Vaterland oder in gesellschaftlichem Rang. O Völker der Erde! Schätzt den Wert des himmlischen Wortes, denn es gleicht einem Schiff auf dem Meer der Erkenntnis, es ist, was die Sonne für die wahrnehmbare Welt ist.
DAS WORT GOTTES AUF DEM ACHTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
Die Schulen müssen die Kinder zuerst in den Prinzipien der Religion
erziehen, damit sie durch die Verheißungen und Drohungen in den
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Büchern Gottes davon abgehalten werden, Verbotenes zu tun, und mit
dem Mantel der göttlichen Gebote geschmückt werden. Diese Belehrung
darf aber nicht in einer Weise erfolgen, die blinden Fanatismus und
ungesunde Frömmelei hervorruft, denn dadurch würde den Kindern geschadet.
Die Mitglieder des „Hauses der Gerechtigkeit“ müssen über Gesetze, die nicht ausdrücklich in dem Buch geoffenbart sind, miteinander beraten und alsdann das ausführen, was sich ihnen als das Angemessene und Richtige erweist. Wahrlich, Gott wird sie mit dem erleuchten, was Ihm gefällt, denn er ist der Herrscher, der Wissende! Wir erklärten bereits, daß die Sprachen auf zwei beschränkt werden sollten, und daß man sich bemühen sollte, sie auf eine Sprache zurückzuführen. Mit dem Schreiben sollte es in der ganzen Welt ebenso gehalten werden, damit die Menschen ihre Zeit nicht unnötig mit dem Erlernen verschiedener Sprachen und Schreibweisen vergeuden müssen, und damit die ganze Erde wie eine Stadt und ein Land angesehen werde.
DAS WORT GOTTES AUF DEM NEUNTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
Wahrlich, Ich sage: Mäßigung in allen Dingen ist wünschenswert. Wenn sie nicht eingehalten wird, so führt dies zum Schaden. Betrachtet die Zivilisation des Westens — wie hat sie Erregung und Gärung unter dem Volk der Welt hervorgerufen! Es ist ein Hölleninstrument aufgetaucht, durch das eine solche Abscheulichkeit in der Zerstörung des Lebens entfaltet wird, wie ähnliches weder von dem Auge der Welt gesehen, noch von den Ohren der Nationen gehört wurde. Es ist unmöglich, diese heftigen, überwältigenden Übel zu mildern oder ganz zu beseitigen, es sei denn, die Völker der Welt einigen sich in allen Angelegenheiten oder in einer Religion. Hört die Stimme dieses Unterdrückten und haltet euch an den Größten Frieden!
Es gibt ein seltsames und wunderbares Mittel in der Erde, aber es ist dem Menschengeist und den Seelen noch verborgen. Es ist ein Mittel, das die Macht hat, die Atmosphäre der ganzen Erde zu verändern; und sein Gift verursacht Zerstörung...
O Volk Bahás! Jedes der geoffenbarten Gebote ist eine starke Feste für den Schutz der Welt. Wahrlich, dieser Unterdrückte wünscht nur eure Sicherheit und Erhöhung.
Wir ermahnen die Mitglieder des „Hauses der Gerechtigkeit“ und befehlen ihnen, sich der Diener und Mägde sowie der Kinder anzunehmen, sie zu bewachen und zu beschützen. Sie müssen unter allen Umständen den Anliegen der Arbeitenden Beachtung schenken. Gesegnet ist der Fürst, der einem Gefangenen beisteht, der Reiche, der sich des Bedürftigen annimmt, der Gerechte, der dem Unterdrückten zu seinem Recht verhilft, und der Vertrauensmann, der das ausführt, was ihm von seiten des ewigen Gebieters befohlen wurde...
DAS WORT GOTTES AUF DEM ZEHNTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
O Volk der Erde! Ein einsiedlerisches Leben und strenge Kasteiung finden
Gottes Beifall nicht. Die Verständigen und Einsichtsvollen sollten ihr
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Augenmerk dem zuwenden, was Freude und Wohlgeruch hervorruft;
Einsiedelei und Kasteiung rühren vor abergläubischen Einbildungen her und
sind des Volks der Erkenntnis unwürdig. Früher wohnten gewisse Menschen
in den Höhlen der Berge, und andere hielten sich des nachts in
Grabgewölben auf. Hört auf den Rat dieses Unterdrückten! Gebt auf, was
ihr behauptet und haltet euch an das, was euer treuer Ratgeber befiehlt!
Beraubt euch nicht dessen, was für euch erschaffen wurde!
Barmherzige Werke sind Gott angenehm und werden als die hervorragendsten aller guten Taten bewertet. Denkt hierüber nach und erinnert euch dessen, was der Barmherzige im Qur’án offenbarte: „Aber sie ziehen die Armen sich selbst vor, obgleich Dürftigkeit unter ihnen selbst herrscht. Wer sich vor der Gier seiner eigenen Seele bewahrt, wird bestimmt reich werden“. In der Tat, dieses gesegnete Wort strahlt in Verbindung mit dem folgenden wie eine Sonne im Reich der Worte: „Gesegnet ist, wer seinen Bruder sich selbst vorzieht; er gehört zum Volke Bahäs, das sich bei Gott, dem Allweisen, in der „Roten Arche“4) befindet“.
DAS WORT GOTTES AUF DEM ELFTEN BLATT DES ERHABENEN PARADIESES:
Wir gebieten den heiligen Seelen, welche die Wahrheit lehren, sich hinfort an das zu halten, was in dieser größten Offenbarung verkündet wurde. Bis ans Ende, welches kein Ende hat, sollen sie zum Himmel dieses strahlenden Wortes, wie es in diesem Sendschreiben geoffenbart ist, aufschauen und nie die Ursache der Zwietracht werden. Zwietracht führt zu Blutvergießen unter den Menschen und hat Aufruhr im Gefolge. Hört auf die Stimme dieses Unterdrückten, und wendet euch nicht von ihr ab!
Wenn jemand über das nachdenkt, was in dieser Offenbarung von der Höchsten Feder verkündet wurde, so wird ihm klar werden, daß dieser Unterdrückte mit allem, was Er sprach, nie die Absicht hatte, Sich Selbst äußerlichen Rang und Namen zu schaffen. Vielmehr war es Unsere Absicht, die Menschen durch erhabene Worte zum höchsten Horizont emporzuführen und sie bereit zu machen, auf das zu hören, was die Menschheit von allem Streit und Mißklang, wie sie aus religiösen Meinungsverschiedenheiten entstehen, befreit und reinigt. Dies bezeugen Mein Herz, Meine Feder, Mein offenbares und Mein verborgenes Wesen. Gott gebe, daß sich alle den Schätzen zuwenden, welche in ihnen selbst verborgen liegen.
O Volk Bahás! Der menschliche Geist ist eine Schatzkammer für Gewerbe, Künste und Wissenschaften. Bemüht euch, damit die Edelsteine der Erkenntnis und der Weisheit aus dieser vollkommenen Fundstätte hervorgebracht werden und zur Ruhe und Vereinigung der verschiedenen Nationen der Welt führen ...
Wir haben alles, was zu sagen nötig war, gesagt, früher durch Andeutungen,
heute durch deutliche Worte. Wären die Zustände in Persien dadurch
verbessert worden, so hätte sich der Duft des Wortes über andere
Länder verbreitet; denn alles, was aus der Höchsten Feder floß, führt seit
alters her zur Hebung und Erziehung aller Menschen der Welt und ist das
vortrefflichste Heilmittel für alle Krankheiten. Würden sie dies doch
verstehen und begreifen!...
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Bittet Gott, daß Er euch die Augen stärken und sie mit einem neuen Licht erleuchten möge, damit sie das entdecken, was unvergleichlich und einzig in seiner Art ist. An diesem Tag leuchten und strahlen die Verse des „Mutterbuches“ wie die Sonne; sie können nicht mit früheren noch mit späteren Worten verglichen werden ...
O du, der du auf das Angesicht deines Herrn schaust! Sprich: O achtlose Diener! Um eines einzigen Tropfens willen habt ihr euch der See der göttlichen Verse beraubt, und eines einzigen Sonnenstäubchens wegen ließet ihr euch vom Glanz der Sonne der Wahrheit abhalten. Wer außer Bahá hat die Macht, vor aller Welt zu sprechen? Seid gerecht und gehöret nicht zu denen, die andere unterdrücken. Durch Ihn wurden Meere bewegt, Geheimnisse offenbar, und selbst die Bäume äußerten: Wahrlich, das Königreich und die irdische Welt sind Gottes, des Offenbarers der Zeichen und Verse und des Morgens klarer Beweise ...
Dies ist der Tag, an dem der Sadratu’l-Muntahá5) ausruft: „O Menschenkinder! Blickt auf Meine Früchte und auf Meine Blätter! Alsdann hört auf Mein Rauschen! Hütet euch, daß der Argwohn der Menschen euch nicht vom Licht der Gewißheit abhält!“ Auch das Meer der Äußerung braust und spricht: „O Völker auf Erden! Blickt auf Meine Wogen und auf die Perlen der Weisheit und der Äußerungen, welche von Mir hervorgingen! Fürchtet Gott und gehört nicht zu den Achtlosen!“
An diesem Tag wird bei den erhabenen Heerscharen ein großes Fest gefeiert; denn alles, was in den göttlichen Büchern verheißen wurde, hat sich erfüllt. Dies ist der Tag der größten Freude. Alle müssen sich in größter Glückseligkeit, mit Freude und Frohlocken dem Hof der göttlichen Nähe zuwenden und sich dadurch vom Feuer der Gottesferne erlösen ...
Unsere Herrlichkeit ruhe auf denen, die sich zum Aufgangsort der Offenbarung begaben und das bekannten und bezeugten, was an diesem Tag, dem gesegneten, dem mächtigen, dem wunderbaren, durch Seine Zunge im Reiche der Erkenntnis geäußert wurde!
- —————
Deutsch in Auszügen aufgrund der englischen Übersetzung von ‘Alí Kulí Khán, Chicago 1917; vgl. “Bahá’í World Faith, Selected Writings of Bahá’u’lláh and ‘Abdu’l-Bahá’”, Wilmette/Ill., USA, 1943/1956, S. 180 ff.
Der Empfänger dieses Sendschreibens Bahá’u’lláhs war Hájí Mírzá Haydar-‘Alí, auch Haydar Quabli ‘Alí oder „der Engel vom Karmel“ genannt, ein hochgeehrter und verdienter Bahá’í-Lehrer, der sein ganzes Leben dem Dienst an der Sache Bahá’u’lláhs weihte und nach langen Jahren der Verfolgung, Einkerkerung und Verbannung nach ‘Akká in Palästina kam, wo er 1920 starb.
- 1) Bayán = „Darlegung“, „Erklärung“, die wichtigste Offenbarungsschrift des Báb,
sinnbildlich für Seine Sendung.
- 2) Qá’im Maqám, ein bedeutender persischer Staatsmann und Schriftsteller. Er
wurde seiner großen Volkstümlichkeit wegen durch Sháh Muhammad ermordet.
- 3) Das neunte Jahr nach der Offenbarung des Báb, in dem sich Bahá’u’lláh
öffentlich als der Verheißene erklärte.
- 4) Die „Rote Arche“ versinnbildlicht das Bündnis Gottes durch Bahá’u’lláh mit der
Menschheit.
- 5) Sadratu’l-Muntahá = Baum, den die Araber früher an das Ende der Wege als
Markierung pflanzten. Symbolisch der „göttliche Lotosbaum, über den hinaus niemand gehen kann“, d. h. der Offenbarer Gottes. Vgl. Qur’án 53:16 und „Gott geht vorüber", S. 105.
Ihr seid alle die Blätter eines Baumes ...[Bearbeiten]
Eine beispiellose „Konferenz” bei amerikanischen Indianern
Pine Springs, in der großen Reservation der Navajo-Indianer in Arizona,
im Südwesten der Vereinigten Staaten, gelegen, war im Juni dieses
Jahres Schauplatz einer „Konferenz“, wie sie in dieser Art bisher ohne
Beispiel gewesen sein dürfte. Über 1000 Menschen aus vielen Teilen der
Welt, Angehörige zahlreicher Rassen — vor allem aber eine große Zahl
Indianer — waren zusammengetrömt, um das neu geoffenbarte Wort Gottes
von der „Einheit der Menschheit“ zu hören. „Verschiedene Rassen — im
Gebet vereint“, dieses Motto hatten die Navajo-Indianer selbst der
„Konferenz“ gegeben, und sie wurde zu einem unvergeßlichen Erlebnis.
Prominenter Sprecher dieser Veranstaltung, die auf eine Idee einiger
Bahá’í vom Stamme der Navajo-Indianer zurückgeht und die vom Nationalen
Geistigen Rat der Bahá’í der USA unterstützt wurde, war Zikru’lláh
Khádem aus Teheran/Iran, der es verstand, durch seine gütigen Worte die
Herzen aller tief zu bewegen. „Wir hörten Gebete, und wir hörten
Ansprachen, die alle eines gemeinsam hatten: Sie kündeten von jenem Tag,
da die Menschheit im Meer der Einheit verschmolzen sein wird“, so
berichtete ein amerikanischer Teilnehmer an jenem denkwürdigen Ereignis.
„Alle sprachen von der Macht der Liebe, die der Welt die Einheit des
Menschengeschlechtes bringen wird.“ Das Wort Bahá’u’lláhs: „Ihr seid
alle die Früchte eines Baumes ...“ wurde hier wie kaum anderswo
eindrucksvoll demonstriert.
- *
Wie aufnahmebereit gerade die Herzen der indianischen Bevölkerung für die Botschaft Gottes, die neue Sendung von Bahá’u’lláh, sind, geht aus
- Beim Treffen der Indianer: Rechts Zikru’lláh Khádem.
[Seite 234]
einem anderen Bericht hervor, der die Redaktion der „Bahá’í-Briefe“
erreicht hat. Danach haben in Panama rund 700 Angehörige des Stammes
der Kuna-Indianer im Frühjahr dieses Jahres den Bahá’í-Glauben angenommen.
In einem anderen Fall trat der Häuptling mit seinem ganzen
„Volk“ — etwa 500 an der Zahl — zum Bahá’í-Glauben über.
Ähnliches wird aus Brasilien mitgeteilt. Anläßlich der zweiten Nationaltagung der Bahá’í in Brasilien war zu erfahren, daß im Süden des Landes ein weiteres indianisches Dorf den Bahá’í-Glauben angenommen hat, während im Norden des Landes am Amazonas drei andere Stämme der Bahá’í-Religion „ihre Herzen geöffnet“ haben.
- Aus allen Teilen Brasiliens kamen die Freunde zur National-Tagung.
- Erstmals wählten in diesem Jahr die schwedischen Bahá’í einen Nationalen
Geistigen Rat. Hier die Teilnehmer an der ersten Nationaltagung.
NEU AUF UNSEREM Büchertisch
Muhammad - ein falscher Prophet?[Bearbeiten]
Herbert Gottschalk, „Weltbewegende Macht Islam“. Otto Wilhelm Barth-Verlag, Weilheim/Obb. 1962, 303 Seiten, Ln. DM 26,80.
Wer erwartet, im Anschluß an die Gesamtdarstellungen des Glaubenslebens der Menschheit, die wir den Forschungen Menschings, v. Glasenapps und anderer in den letzten Jahren verdanken, hier eine objektive Analyse der islamischen Geisteswelt vorzufinden, sieht sich enttäuscht. Immer wieder spürt man zwar das Bestreben des Verfassers, den Kreis selbstgerechter christlich-abendländischer Vorurteile zu durchbrechen. Er tut dies vor allem, indem er die hohen kulturellen Leistungen der islamischen Blütezeit ungeschmälert anerkennt. Aber ist ein solcher Durchbruch jemals möglich, wenn man sich nicht einer aufgeklärten, liberalen Auffassung Lessing’scher Prägung annähert, geschweige denn auf dem Grundsatz der Einheit Gottes und der fortschreitenden Gottesoffenbarung fußt? Wer den Standpunkt vertritt, daß die einzelnen Religionen „manches gemeinsam“ haben (S. 245), daß aber „zwischen den bedeutenden Weltreligionen wesentliche Unterschiede in den entscheidenden Lehren bestehen“ (S. 238), der kann zwar eine subjektive Rechtfertigung seiner christlichen Überzeugung, aber niemals einen Schlüssel zum tieferen Verständnis anderer Hochreligionen oder gar der geistesgeschichtlichen Gesamtentwicklung der Menschheit finden. Ihm fehlt auch das Kriterium für die Unterscheidung zwischen der ewig gleichen, einen Wahrheit, die von den Gesandten Gottes zu verschiedenen Zeiten dem fortschreitenden Fassungsvermögen der Menschen entsprechend erweitert und vertieft wurde, und den zeit- und ortsbedingten Geboten und Gesetzen, die jeder Offenbarer für Seinen Zyklus gab, ferner zwischen dem Wort Gottes selbst und den Dogmen und Lehrmeinungen, die darauf aufbauen und davon abweichen.
Ohne dieses Unterscheidungsvermögen kommt der Verfasser beim Vergleich des Islams mit dem christlichen Glauben zu — nicht immer klar formulierten — Fehlurteilen wie diesen (S. 258 und 260):
- „In der koranischen Verneinung des Erlösers setzt der Islam den Weg des Judentums fort. In der Umdeutung des Prophetenbildes zum Mittler hat er aber voller Ungeduld die Wartezeit selber verkürzt. Das hat er nach christlicher Ansicht dem Judentum voraus. Aber dieser Fortschritt enthält zugleich eine wesentliche Absage an Mohammeds eigene Botschaft, ja deren Verleugnung. Mohammed gilt dem Christen daher als ein falscher Prophet. Dadurch, daß er Christus ablehnte, schuf er die Voraussetzung für seine eigene Erhöhung und lud Schuld auf sich selbst wie auf die Gläubigen. Im Hinblick auf die Schuld, die ja alle Menschen vor dem Vater tragen, betrachtet der Christ den Islam voller Mitgefühl
- (Forts. Seite 238)
Bahá’í-Sommerschulen 1962[Bearbeiten]
- 1 Sommerschule Hustedt: Dr. Mühlschlegel (rechts) und der Leiter der Woche, Günther Maltz.
- 2 Hustedt: Nach den Kursen wurde eifrig diskutiert.
- 3 Gauting: Einige Teilnehmer im Park des UNESCO-Instituts.
- 4 Treffling, Kärnten: Auch hier stellte man sich gern dem Photographen.
Im „UNESCO-Haus der Jugend“ in Gauting bei München fand vom 11. bis 18. August zum zweitenmal eine Bahá’í-Sommerschule statt. Das Haus befindet sich in einem Park, umgeben von einer großen Liegewiese mit Schwimmbecken und einem Tennisplatz — geschaffen zur Erholung, aber auch zu geistiger Arbeit. Etwa 50 Bahá’í-Freunde und Gäste hatten sich zusammengefunden, gemeinsam die Lehren Bahá’u’lláhs zu studieren.
Die Referate waren vielfältiger Art; es schloß sich ihnen jeweils eine Aussprache an. Die Themen behandelten die Lehren und Prinzipien Bahá’u’lláhs und Seine Sendung; die Geschichte der Bahá’í-Religion und ihr administrativer Aufbau wurden erläutert; die Bedeutung des Bündnisses Gottes mit den Menschen — als einem wichtigen Bestandteil jeder Religion — näher betrachtet; das Leben und Werk Shoghi Effendis, des ersten Hüters des Bahá’í-Glaubens, gewürdigt; die Wandlung zum Bahá’í und die Verbindung des Menschen mit dem Kosmos in den Kreis der Betrachtung einbezogen; über „Weltzentrum und Weltgemeinde“ sowie über nationale Geistige Räte und nationale Gemeinden gesprochen. Die Mitarbeit am Aufbau einer neuen Weltordnung wurde klargelegt; die Wege eines Gottsuchers anhand der Schrift „Die sieben Täler“, — des größten mystischen Werks Bahá’u’lláhs, — beschrieben; die Freiheit aus der Sicht eines Bahá’í dem Verständnis näher gebracht. Ein Referat über „Erziehung, Selbsterziehung, Gnade“ rundete das reichhaltige geistige Programm ab.
Jeder Tag begann mit einer Andacht. Die Nachmittage standen zu freier Verfügung; sie dienten dem Ausgleich und der Entspannung, wobei der Donnerstag für einen gemeinsamen Ausflug an den Kochel- und Walchensee vorbehalten blieb. An einem Abend sah man Lichtbilder aus Alaska, Israel und Haifa.
Den Abschluß der von schönstem Wetter begünstigten Sommerschulwoche, die allen Teilnehmern viele Stunden frohen Zusammenwirkens schenkte, bildete ein Einigkeitsfest, zu dem auch Freunde aus München und Umgebung gekommen waren.
- R.S.
Die gleichen Themen wie in Gauting wurden in der Sommerschule in Hustedt, Niedersachsen, behandelt, die schon in der Zeit vom 15. bis 21. Juli zahlreiche Freunde aus vielen Teilen Deutschlands und auch dem Ausland vereint hatte, Fast 50 Bahá’í und Interessenten nahmen teil. Referate und Leitung der Sommerschule waren ausgezeichnet. Alle Kurse und Vorträge fanden am Vormittag statt; nachmittags wurde weiter studiert und diskutiert. Die Abende dienten der Entspannung und Unterhaltung. Die Lage der Heimvolkshochschule Hustedt, in der reizvollen Landschaft der Lüneburger Heide, trug viel dazu bei, daß diese Woche harmonisch und für alle Teilnehmer unvergeßlich verlief.
Die österreichische Sommerschule fand in diesem Jahr vom 25. August bis zum 2. September in Treffling am Millstätter See statt. Nahezu 100 Bahá’í-Freunde aus Österreich und dem Ausland — unter ihnen eine ganze Anzahl persischer Studenten — hatten sich an dem idyllisch gelegenen Platz eingefunden, um gemeinsam den Bahá’í-Glauben zu studieren. U.a. wurden folgende Themen behandelt: Religion — Grundlage der Kultur und Zivilisation; Christentum — Islam — Bahá’í-Religion; die Entfaltung der neuen Weltzivilisation; die Frau in der Religion; die Beziehung des Bahá’í-Glaubens zu anderen Religionen. Eine Vortragsreihe befaßte sich außerdem mit der Geschichte der Bahá’í-Religion. Neben der ernsten Arbeit war in der herrlichen Umgebung Gelegenheit zu ausgiebigen Wanderungen; bunte Abende und ein Vortrag über berühmte Bahá’í-Künstler rundeten das ansprechende Programm der Woche ab.
- —————
- (Forts. von Seite 235)
- als den verlorenen Sohn, dem vielleicht eines Tages die Vergebung des Vaters zuteil wird.“
- „Da sich (der Islam) mit offenen Augen gegen Christus stellte, sieht man in ihm eine Offenbarung des Unglaubens. Er ist Sünde wider die in den Heiligen Geist einbezogene Erlösergestalt Christi.“
Behauptungen wie die, daß Muhammad Christus ablehnte oder sich der
Islam gegen Christus stellte, bedürfen keiner Widerlegung; Widersprüche
hiergegen finden sich in dem Buch selbst zur Genüge. Aber eingedenk des
Christuswortes, daß man sie an ihren Früchten erkennen sollte, den
Begründer einer Weltreligion als falschen Propheten abzutun, nachdem man
250 Seiten lang die einzigartigen geistigen und kulturellen Früchte Seiner
Offenbarung behandelte — dies offenbart eine Geisteshaltung, deren
Zwiespältigkeit bezeichnend für das überkomplizierte abendländische
Bewußtsein ist. Und ein falscher Prophet ist Muhammad deshalb, weil Er
den vom paulinischen Christusverständnis aufgebauschten Erlösungsgedanken,
der in allen Hochreligionen, auch im Islam, anklingt und gewiß
seine Berechtigung hat, den Erfordernissen Seiner Sendung gemäß in die
Schranken weist! Sollte dies nicht vielmehr heute, 1300 Jahre zu spät,
Anlaß zu einer Besinnung auf die wahren Werte der Religion im allgemeinen
und des Christentums im besonderen sein? Ist nicht das gesetzgeberische
Element der Religion, das der Verfasser richtig als Charakteristikum
[Seite 239]
des Judentums und des Islams hervorhebt, mindestens ebenso
wichtig wie das Moment der Erlösung?
Die tragische Fehlentwicklung in der Nachfolge des Propheten, der Schlüssel zu vielen christlich-islamischen Mißverständnissen und Gegensätzlichkeiten, wird vom Verfasser nicht weiter verfolgt. Sunnitischen Quellen nachgehend, handelt er die Schia auf einer halben Seite unter den islamischen Sekten ab. Der Kampf ‘Alis und seiner Nachkommen gegen die Umayyaden (von ‘Abdu’l-Bahá als „das Tier“ der Johannesoffenbarung charakterisiert) wird nur in chronistischer Kürze geschildert (S. 75); die Idee des Imamats als einer göttlich inspirierten, durch die Abstammung vom Propheten legitimierten theokratischen Statthalterschaft geht völlig verloren — mit ein Grund, warum der Verfasser über die oberflächliche Betrachtung einer veräußerlichten Gesetzesreligion nicht hinauskommt.
So nimmt es auch nicht wunder, daß der „Behaismus“ im Kapitel über die islamischen Sekten kurz als eine „Abspaltung vom orthodoxen Islam“ (S. 278) abgetan wird, nach einer ausführlichen Schilderung der Ahmadiyya-Bewegung und ihrer Lehre, daß Jesus nicht am Kreuz starb, sondern über Tibet nach Kaschmir wanderte und dort weiterlehrte. Die oberflächliche, verständnisarme und ungenaue Erwähnung der Bahá’í-Religion, die doch heute, im Jahr 1962, von den führenden Religionswissenschaftlern als eine unabhängige Offenbarungsreligion anerkannt wird, legt die Vermutung nahe, daß auch mit spezifisch islamischen Fragen und Fakten ähnlich unbekümmert umgegangen wurde. In den ausführlichen Literaturhinweisen sind keine Bahá’í-Bücher zu finden; offenbar hatte es der Verfasser nicht nötig gefunden, Originalschrifttum einzusehen. Nur am Rande sei erwähnt, daß einer der abgelehnten Entwürfe für das Haus der Andacht der Bahá’í in Langenhain im Taunus mit der Bildunterschrift wiedergegeben wird: „Die Frankfurter Islam-Mission hat für den Bau ihrer Moschee im Taunus einen Düsseldorfer Architekten gewonnen ...“ (S. 287).
Es bleibt zu hoffen, daß bald Bücher geschrieben werden, die die Offenbarung Muhammads und die Gedankenwelt des Islams den breiten Schichten unseres Volkes und vor allem unserer Schuljugend auf objektive Weise näherbringen, getragen vom Geist der Liebe zum Göttlichen in allen Religionen und vom Bewußtsein der geistigen Einheit der Menschheit.
- Peter Mühlschlegel
- Bei Gottes Gerechtigkeit! Dies sind die Tage, da Gott die Herzen der gesamten Schar Seiner Boten und Offenbarer und darüber hinaus diejenigen geprüft hat, die Sein geweihtes und unverletzliches Heiligtum bewachen, die das Himmelszelt bewohnen und die im Hort der Herrlichkeit verweilen. Wie streng muß darum die Prüfung sein, die unvermeidlich derer harrt, die Gott andere Götter beigesellen!
- Bahá’u’lláh
- (Ährenlese VIII)
‘Abdu’l-Bahá, „Beantwortete Fragen“, gesammelt von Laura Clifford Barney, Bahá’í-Verlag, Frankfurt/Main 1962, 306 Seiten, Leinen DM 13,20.
Der Segen, der darin liegt, daß Bahá’u’lláh Sein Sohn ‘Abdu’l-Bahá als „Mittelpunkt des Bündnisses“ und bevollmächtigter Ausleger der neuen Lehren nachfolgte, wodurch eine ununterbrochene Offenbarungszeit von mehr als 75 Jahren am Beginn des Bahá’í-Zeitalters stand, wird uns deutlich, wenn wir dieses einzigartige Lehr- und Studienbuch zur Hand nehmen. In Seiner liebevollen, schlichten, zurückhaltenden und doch bestimmten Art hat hier der Meister eine Fülle von Aspekten des neuen religiösen Bewußtseins aufgetan. Laura Clifford Barney, eine Engländerin, die in den Jahren 1904 bis 1906 bei Tischgesprächen und anderen Unterredungen immer wieder Gelegenheit hatte, ‘Abdul-Bahá Fragen zu unterbreiten, hat Seine Antworten in persischer und englischer Sprache festgehalten und zu diesem Buch zusammengestellt. In fünf Teilen und 84 Kapiteln werden so weitgespannte Themen wie der Einfluß der Gottesoffenbarer auf die Entwicklung der Menschheit, eine Fülle christlicher Fragen, das Wesen der Gottesoffenbarer und des suchenden Menschen sowie praktische Probleme von der Bedeutung der Religion für das gesellschaftliche Leben im allgemeinen bis zu Fragen des Strafvollzugs und des Streikrechts behandelt.
Die Leser und Benützer dieser repräsentativen Neuauflage werden vor allem den 14 Seiten umfassenden Index begrüßen, der zum erstenmal dem Buch angefügt wurde.
- P.M.
Religionswissenschaflliche Kurzinformationen (V)[Bearbeiten]
Laotse und Konfuzius
Über das Leben der beiden Erneuerer der chinesischen Religion wissen wir wenig Sicheres.
Laotse (sprich Lauze) soll um 604 vor Christus in dem südchinesischen Fürstentum Tschou geboren sein. Neben seinem Geschlechtsnamen Li trug er die Namen Li Erh und Poh-jang. Später wurde er „der alte“ (lao) „Meister“ (tse) genannt. Im Jahre 518 vor Christus soll er mit Konfuzius zusammengetroffen sein.
Laotse soll im Alter die Heimat aufgegeben haben und nach Westen gezogen sein. Ehe er China verließ, habe er für den Kommandanten des Kanku-Passes ein schmales Büchlein mit 81 Sprüchen niedergeschrieben, das Dau-de-ging (alte Schreibung: tao-te-king), das „Buch von der Kraft des Dau“. Über den Abschied Laotses von China hat Bertold Brecht ein schönes Gedicht verfaßt.
Die ersten 37 Sprüche des Dau-de-ging handeln vom Dau, dem Schlüsselwort
der chinesischen Weltanschauung, das man je nach Zusammenhang mit „Weg“,
„Weltordnung“ oder „Lebenszweck“ übersetzt; in der chinesischen Bibel
gibt es den Begriff des „Wortes“ im Johannes-Evangelium wieder.
[Seite 241]
Die Sprache des Dau-de-ging ist dunkel und mehrdeutig und zeugt von der Schwierigkeit, letztlich Unaussprechliches zu benennen. Doch treten die Grundgedanken klar hervor: Für das Gesellschaftsleben ist die Einfügung in die Ordnung des Dau wichtiger als das Einhalten von Verpflichtungen und Gesetzen; im Staatsleben sollen Milde und Gelassenheit gelten: „Herrscht ein ganz Großer, so weiß das Volk kaum, daß er da ist.“ Der Gedanke umfassender Menschenliebe verbietet Kriege: „Die schönsten Waffen sind Unglückswerkzeuge, alle Wesen verabscheuen sie.“
Von den Nachfolgern Laotses sind Lietse und Tschuangtse die bedeutendsten. Mit Tschuangtse, der in der letzten Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts lebte, erreichte die dauistische Literatur ihren Höhepunkt. In späteren Jahrhunderten belud sich der Dauismus mit einem Wust von Magie und Geisterglauben und befindet sich heute im vollen Verfall.
Konfuzius, auf chinesisch Kungfutse, „der Meister Kung“, lebte von 551 bis 479 vor Christus und soll von Huang Ti, dem sagenhaften Gelben Kaiser des dritten Jahrtausends, abstammen. Er lebte in der Verfallzeit des Lehenswesens und damit in einer Zeit politischer Wirren. An der Schwelle des Alters mußte er seinen Heimatstaat Lu im südwestlichen Schantung verlassen und konnte erst nach dreizehnjähriger Verbannung zurückkehren. Konfuzius bemühte sich, durch das Sammeln der ältesten Überlieferungen seines Volkes die Grundlage für eine Reform zu schaffen. So ist er der große Lehrmeister Chinas geworden, indem er ein Bannerträger der Überlieferung sein wollte.
Die Bücher des Konfuzius sind nicht in ununterbrochener Überlieferungskette auf uns gekommen; denn 250 Jahre nach Konfuzius beseitigte Schih Huangti, der „Erste Kaiser“, das Lehenswesen und schuf einen Einheitsstaat mit unumschränkter kaiserlicher Gewalt. Um mit der Vergangenheit unwiderruflich zu brechen, ordnete er 213 vor Christus die Große Bücherverbrennung an, bei der alle Schriften des Konfuzius zu vernichten waren.
Unter dem folgenden Kaiserhaus der Han wurden die Bücher des Konfuzius neu gesammelt und verbreitet und zur allgemeinen Richtschnur chinesischen Lebens erhoben. Nach dem Geiste des Konfuzius richtete sich der aufkommende Begriff des Klassischen. Die Lehren des Konfuzius wurden zum Staatsdogma erhoben, und die Kenntnis der konfuzianischen Bücher bildete fortan den Gegenstand der berühmten chinesischen Beamtenprüfungen.
Die fünf Bücher, die Konfuzius zusammengestellt haben soll, sind:
- 1. Schu-ging, das „Urkundenbuch“, eine Sammlung uralter Erlasse, die zurückführt bis zu den sagenhaften Kaisern Jau und Schun des 24. und 23. Jahrhunderts. Berichte über Kriege der Vorzeit sind planmäßig unterdrückt zugunsten der Schilderungen sinnvoller Verordnungen weiser Herrscher.
- 2. Schi-ging, das „Liederbuch“, hat uns die älteste Dichtung Chinas überliefert.
- 3. Li-Ki, die „Sittenregeln“, dürfte vielleicht nicht von Konfuzius selbst verfaßt sein. Es regelt die Durchführung der religösen und weltlichen Bräuche, besonders der Ahnenverehrung.
- 4. I-ging, das „Wandlungsbuch‘“, eine Sammlung uralter Orakel, gibt Anweisungen für menschliches Verhalten unter den verschiedensten Umständen. Der Grundtext besteht aus 64 Zeichenverbindungen, die jeweils aus sechs ganzen oder geteilten Linien bestehen. Die ganzen Linien stellen das helle, männliche Prinzip Jang dar, die gebrochenen das dunkle, weibliche Jin. Man bezeichnet die Weltanschauung des I-ging als Dualismus; doch denkt man hier nicht an den Gegensatz zweier unversöhnlicher Prinzipien, sondern an das Zusammenwirken zweier Teilkräfte, das alle Dinge entstehen läßt.
- 5. Tschun-tschiu, „Frühling und Herbst“, gibt Einblicke in die Geschichte des Staates Lu in den Jahren 722 bis 481 vor Christus. Konfuzius hat den bündigen Stil hier in einer Weise geprägt, daß sich sein Urteil über die Geschichte und eine Richtschnur politischer Moral kundtun.
Im Streben nach Klarheit des Denkens und Knappheit des Ausdrucks
beschränkte Konfuzius seine Lehre auf die Gestaltung des irdischen
Lebens und die Besserung der diesseitigen Verhältnisse. Das Göttliche ist
für ihn nicht eine Person, die sich den Menschen offenbart, sondern ein
die Natur durchwaltendes Sittengesetz. Gegenüber dem tiefgründigen, um
den Ausdruck ringenden Laotse ist Konfuzius diesseitig und lebensfroh.
Obwohl seine Hochziele nicht nur für China, sondern die Menschheit
schlechthin gelten, hat Konfuzius außerhalb des chinesischen Kulturkreises
bisher nur Bewunderer, aber keine Anhänger gefunden. Als einzige der
Weltreligionen betreibt der Konfuzianismus keine Mission.
- Dr. Johann Karl Teufel
- —————
QUELLEN:
zu Laotse: Victor von Strauß: „Lao-tse's Tao Te King", mit Bearbeitung und Einleitung von W. Y. Tonn, Zürich 1950.
Julius Grill: „Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut (Tao-te-king)“, Tübingen 1910.
Richard Wilhelm: „Laose, Tao Te King. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben“. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläuert. Jena 1941.
Erwin Rouselle: „Lau-Dse, Führung und Kraft aus der Ewigkeit (Dau-Dö-Ging)“, aus dem chinesischen Urtext übertragen, Wiesbaden 1946.
zu Konfuzius:
Richard Wilhelm: „K’ungtse und der Konfuzianismus‘“, Sammlung Göschen Nr. 979, Berlin und Leipzig 1928.
Rudolf von Delius: „Kungfutse‘. Reclam Nr, 7065, Leipzig 1930.
Victor von Strauß: „Schi-king, das kanonische Liederbuch der Chinesen“. Heidelberg 1880,
Richard Wilhelm: „I Ging, das Buch der Wandlungen", Jena 1924.
Richard Wilhelm: „Wandlung und Dauer, Die Weißheit des I Ging", Düsseldorf 1956
R. Dvorák: „Konfuzius und seine Lehre“. Münster i. W. 1895.
Georg von der Gabelentz: „Konfuzius und seine Lehr“, Leipzig 1888,
Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration[Bearbeiten]
von Bertolt Brecht
- 1.
- Als er siebzig war und war gebrechlich,
- drängte es den Lehrer doch nach Ruh.
- Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich,
- und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
- Und er gürtete den Schuh.
- 2.
- Und er packte ein, was er so brauchte:
- Wenig. Doch es wurde dies und das.
- So die Pfeife, die er immer abends rauchte,
- und das Büchlein, das er immer las.
- Weißbrot nach dem Augenmaß.
- 3.
- Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es,
- als er ins Gebirg den Weg einschlug.
- Und sein Ochse freute sich des frischen Grases,
- kauend, während er den Alten trug.
- Denn dem ging es schnell genug.
- 4.
- Doch am vierten Tag im Felsgesteine
- hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:
- „Kostbarkeiten zu verzollen?“ — „Keine.“
- Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“
- Und so war auch das erklärt.
- 3.
- Doch der Mann in einer heitren Regung
- fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“
- Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung
- mit der Zeit den mächt’gen Stein besiegt.
- Du verstehst, das Harte unterliegt.“
- 6.
- Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre,
- trieb der Knabe nun den Ochsen an.
- Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre,
- da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann,
- und er schrie: „He, du! Halt an!
- 7.
- „Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“
- Hielt der Alte: „Interessiert es dich?“
- Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter,
- doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich.
- Wenn du’s weißt, dann sprich!
- 8.
- Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde!
- Sowas nimmt man doch nicht mit sich fort.
- Da gibt’s doch Papier bei uns und Tinte.
- Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
- Nun, ist das ein Wort?“
- 9.
- Über seine Schulter sah der Alte
- auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
- Und die Stirne eine einz’ge Falte.
- Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
- Und er murmelte: „Auch du?“
- 10.
- Eine höfliche Bitte abzuschlagen,
- war der Alte, wie es schien, zu alt.
- Denn er sagte laut: „Die etwas fragen,
- die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“
- „Gut, ein kleiner Aufenthalt.“
- 11.
- Und von seinem Ochsen stieg der Weise.
- Sieben Tage schrieben sie zu zweit.
- Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise
- mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).
- Und dann war’s soweit.
- 12.
- Und dem Zöllner händigte der Knabe
- eines Morgens einundachtzig Sprüche ein.
- Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
- bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
- Sagt jetzt: Kann man höflicher sein?
- 13.
- Aber rühmen wir nicht nur den Weisen,
- dessen Name auf dem Buche prangt!
- Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
- Darum sei der Zöllner auch bedankt:
- Er hat sie ihm abverlangt.
Die Erfüllung der Mormonen-Prophezeiungen[Bearbeiten]
Dies ist die Geschichte, wie sich die anerkannten Prophezeiungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erfüllten, ohne daß sich die Mehrzahl ihrer Anhänger dessen bewußt ist. Diese Lehren und Prophezeiungen sind in den Büchern zu finden, die ihre Kirche veröffentlichte und zu ihrer bestbekannten Literatur gehören. Sie befassen sich mit dem Kern ihres Glaubens: mit der Mission von Joseph Smith und mit der Gründung seiner Kirche und deren Stellung im göttlichen Plan. Wir werden an ein anderes „auserwähltes Volk“ erinnert, dessen Prophezeiungen vor beinahe 2000 Jahren ebenfalls erfüllt wurden, ohne daß dies mehr als eine Handvoll erkannte.
Nach Joseph Smiths eigener Geschichte1) hatte er seine erste Vision im Jahre 1820, als er sich in die Wälder zurückzog, um Gott zu fragen, welche von allen christlichen Sekten die wahre sei. Es wurde ihm geoffenbart, daß alle falsch seien und er keiner folgen solle. Im Jahre 1823 erschien ihm der Engel Moroni und verkündete ihm, daß Gott für ihn eine Arbeit habe. Er wurde von einem Satz goldener Tafeln unterrichtet, die über die früheren Einwohner Amerikas berichteten und die Fülle des ewigen Evangeliums enthalten, wie es der Heiland selber diesen Ureinwohnern verkündet hätte. Mit diesen Platten seien auch zwei Steine, Urim und Thummim, verwahrt, die an einem Brustschild befestigt wären und durch die es ihm ermöglicht sein würde, die Platten zu entziffern.
Später übersetzte Joseph Smith diese Tafeln, „das Buch Mormon“. Auf weitere Anordnungen hin, die ihm von göttlichen Boten überbracht wurden, gründete er dann die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“. Nach einem kurzen aber bewegten Lebenslauf, der durch fast ununterbrochene Verfolgung ausgezeichnet ist, starb er am 27. Juni 1844 in Carthago, Illinois, USA.
Als der Engel Moroni Joseph Smith im Jahre 1823 erschien, begann er mit den Prophezeiungen des Alten Testamentes. Zunächst zitierte er einen Teil des 3. Kapitels von Maleachi, sodann das 4. und letzte Kapitel dieses Propheten, nur mit gewissen Änderungen. Außerdem erwähnte er das 11. Kapitel von Jesaja, von dem er sagte, daß es unmittelbar vor der Erfüllung stehe. Er zitierte auch das 2. Kapitel von Joel, vom 28. bis zum letzten Vers2); von diesem sagte er, daß es noch nicht erfüllt sei, jedoch bald erfüllt werden würde. Überdies gab er bekannt, daß „die Fülle der Heiden“ bald eintreten werde.
Diese Prophezeiungen beziehen sich alle auf „die Endzeit“, das heißt die
Zeit, da der Herr der Heerscharen erscheinen wird, um Gerechtigkeit und
Frieden auf Erden zu errichten. Unter diesen Umständen sollte man
meinen, die Mission von Joseph Smith sei, das Evangelium in seiner
Reinheit wiederherzustellen und die Menschen zu ihm zurückzuführen bis zur
Wiederkunft des Herrn mit Seiner neuen Sendung. Sogar der Name der
von Smith gegründeten Kirche weist auf diese Schlußfolgerung: Sie ist die
Kirche der Letzten Heiligen, das heißt der Heiligen der Letzten Tage der
christlichen Sendung.
[Seite 246]
Wir wollen nun, mit dieser Vorgeschichte vor Augen, einige der sehr bemerkenswerten Voraussagen und Feststellungen betrachten, die angeblich Joseph Smith während seiner Amtszeit geoffenbart wurden und in den „Lehren und Bündnissen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ niedergelegt sind.
- „Denn die Stunde ist nahe, und was von meinen Aposteln gesprochen wurde, muß erfüllt werden, denn so wie sie sagten, also soll es geschehen. Denn vom Himmel her werde Ich Mich mit Macht und Herrlichkeit und mit all den himmlischen Heerscharen offenbaren, und Ich werde bei den Menschen auf Erden tausend Jahre lang mit Gerechtigkeit weilen, und die Bösen werden untergehen.“
- „Horchet auf, denn siehe, der Große Tag des Herrn ist nahe. Denn der Tag kommet, an dem der Herr Seine Stimme vom Himmel her erschallen läßt, und die Himmel werden beben, und die Erde wird erzittern, und die Posaune des Herrn wird laut und kraftvoll ertönen und den schlafenden Völkern zurufen: Erhebet euch und lebet, ihr Heiligen! Und Ihr Sünder: Bleibet und schlafet, bis Ich wieder rufen werde.“
- ».. und in jenen Tagen wird man von Krieg und Kriegsgerüchten hören, und die ganze Erde wird in Aufruhr sein, und die Herzen der Menschen werden für sie bürgen, und sie werden sagen, daß Christus sein Kommen verschoben habe bis ans Ende der Welt. Und die Liebe der Menschen wird kalt werden, und Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, und wenn die Zeit der Heiden herangekommen ist, wird ein Licht hervorbrechen und zu denen dringen, die im Finstern wandeln. Es wird die Fülle Meines Evangeliums sein, aber sie werden es nicht empfangen. Denn sie erkennen nicht das Licht, und wenden sich ab von Mir wegen der Lehren der Menschen. Und in jener Generation wird die Zeit der Heiden erfüllt werden.“
- „Und wiederum sage ich: Horchet auf Meine Stimme, auf daß euch der Tod nicht überrasche. Zu einer Stunde, die ihr nicht erwartet, wird der Sommer vergangen und die Ernte beendet sein, und eure Seelen werden nicht gerettet sein.“
- „Und an jenem Tage, an dem Ich in Meiner Herrlichkeit wiederkommen werde, wird das Gleichnis von den zehn Jungfrauen erfüllt sein.“
- „Sehet, die Zeit ist vollendet, von der Maleachi sagte, daß Elias gesandt werden würde vor dem Kommen des erhabenen und furchtbaren Tages des Herrn. Die Schlüssel dieser Sendung sind deinen Händen anvertraut, um die Herzen der Väter ihren Kindern wieder zuzuwenden und die Kinder zu ihren Vätern, auf daß nicht die ganze Welt von einem Fluche heimgesucht werde. Hierdurch möget ihr erkennen, wie nahe die erhabene und furchtbare Stunde des Herrn sei. Siehe, sie lauert bereits vor der Tür.“
- „Und wiederum: Wahrlich, ich sage euch, die Wiederkunft des Herrn rückt heran, und überraschet die Welt wie ein Dieb in der Nacht. Deshalb gürtet eure Lenden, auf daß ihr Kinder des Lichtes werdet und jener Tag euch nicht überrasche wie ein Dieb.“
- „Gürtet eure Lenden und seid achtsam und nüchtern in der Erwartung der Ankunft des Menschensohnes, denn er kommt zu einer Stunde, die ihr nicht erwartet.“
Was ist das Zentralthema aller dieser Aussprüche? Ist es nicht, daß Gott
einmal wieder im Begriff ist, Sein Licht und Seine Führung zu offenbaren,
das heißt wieder einmal zu sprechen, daß die vorherige Sendung sich
ihrem Ende nähert und daß der Herr in unmittelbarer Zukunft erscheinen,
Christus wiederkehren wird? Und ferner: Sind nicht diese Aussagen
erfüllt mit Mahnungen für die, an die sie sich richten, nämlich „nicht zu
schlafen bis ich nochmals rufe, auf daß euch der Tod nicht überfalle und
in einer Stunde, die ihr nicht erwartet, der Sommer vergangen sein wird
und die Ernte beendet und eure Seelen nicht erlöst sein werden“, und auf
daß nicht „ihr menschliches Herz versage und sie erklären, daß Christus
sein Wiederkommen verzögert habe bis zum Ende der Welt“, „und jener
Tag euch nicht überfalle wie ein Dieb in der Nacht“?
Und schließlich erzählt Joseph Smith, wie ihm ausdrücklich verkündet wurde, daß seine eigene Mission nur bis zum „Kommen des Herrn“ andauern werde. Die „Lehren und Bündnisse“ erklären: „Und Ich habe meinem Diener Joseph diese Macht für die Letzten Tage übertragen, und es ist auf Erden nie mehr als einer zu derselben Zeit, dem diese Macht und die Schlüssel der Priesterschaft übergeben sind.“ Und weiterhin heißt es: „Überhebet euch nicht, und spottet nicht über meinen Diener Joseph, denn wahrlich, Ich sage euch, Ich bin mit ihm, und meine Hand wird über ihm sein, sowie die Schlüssel, die Ich ihm gegeben habe.“
Nun, wenn dieses alles wahr sein soll, wo bleibt die Erfüllung? Zweifelsohne hat es „Kriege und Kriegsgeschrei“ gegeben, und „der Menschen Liebe ist kälter geworden“, das „Böse hat überhand genommen“, und überall sagt man, daß „Christus sein Wiederkommen verlegt habe bis zum Ende der Welt“. Und wenn dies alles in Erfüllung ging, sollte das nicht bedeuten, daß die Zeit der Heiden erfüllt und der Tag des Herrn bereits gekommen und Christus erschienen ist?
Am 23. Mai 1844 erhob sich in Persien ein strahlender Jüngling und verkündete, daß Er der göttliche Herold sei, der gekommen wäre um die Morgendämmerung eines neuen Gottestages anzukünden und daß Er der Báb, das Tor, sei, durch das der Verheißene erscheinen würde. Durch diese Erklärung wurde die neue Sendung eingeleitet, und jegliche speziell übertragene Autorität während der christlichen Sendung, also auch die angebliche Mission von Joseph Smith, war beendet. Bemerkenswert ist, daß kaum einen Monat nach dieser Erklärung Joseph Smith ermordet wurde. Man erinnere sich an seine Aussage, daß auf Erden „nie mehr als einer zu gleicher Zeit diese Macht und die Schlüssel der Priesterschaft besitzen“ dürfe.
Im Jahr 1850 starb der Báb den Märtyrertod, und 1863 erklärte Mírzá
Husayn ‘Alí, ein persischer Edelmann und Anhänger des Báb, vor einer
kleinen Schar Männer und Frauen, daß Er der vom Báb Verheißene sei,
„Den Gott offenbaren würde, der Herr der Heerscharen, der wiedergekehrte
[Seite 248]
Christus, der von allen Religionen Vorausgesagte, Bahá’u’lláh, die
Herrlichkeit Gottes“.
Unter den Prophezeiungen Bahá’u’lláhs ist eine, die für die Anhänger von Joseph Smith von besonderem Interesse sein dürfte: Er erklärt, daß die nächste Manifestation Gottes nicht vor Ablauf von 1000 Jahren erscheinen werde. Smith hatte prophezeit: „Wenn Er kommt, so wird Er eintausend Jahre lang mit Gerechtigkeit unter den Menschen auf Erden weilen“. Bahá’u’lláh wurde von Teheran nach Baghdad verbannt, von Baghdad nach Konstantinopel, Adrianopel und schließlich nach dem „Größten Gefängnis“ ‘Akká am Fuße des Berges Karmel und des Libanon im Heiligen Land. Und hier, im Herzen Zions, richtete Er, wie es in den Heiligen Schriften aller Religionen verkündet ward, Sein Reich auf bis zu Seinem Hinscheiden im Jahre 1892.
Eine Prophezeiung ist vielleicht die vielsagendste von allen; sie ist auch den „Lehren und Bündnissen“ entnommen: Als Joseph Smith betete, die Zeit zu erfahren, an der der Menschensohn wiederkehren würde, wurde ihm verkündet: „Joseph, mein Sohn, solltest du leben, bis du 85 Jahre alt bist, so wirst du das Antlitz des Menschensohnes sehen“. Joseph Smith wurde 1805 geboren. Also hätte er 1890 das Alter von 85 Jahren erreicht. Wer außer Bahá’u’lláh war zwischen 1843, dem Datum seiner Botschaft, und 1890 auf Erden, der diese bemerkenswerte Prophezeiung hätte erfüllen können? Wie können die Heiligen der Letzten Tage diese einzigartige Verkündigung ihres Propheten anders deuten? Ist es nicht so, daß die ihnen gemachten Verheißungen genauso eingehalten wurden wie diejenigen, die vor 2000 Jahren jenem anderen „auserwählten Volke“ gemacht wurden, und daß Der, Den sie erwarten, bereits erschienen ist?
Bahá’u’lláh spricht:
- „Erhebe dich, o Volk, und erwarte die Tage der göttlichen Gerechtigkeit, denn die verheißene Stunde ist nun gekommen. Hüte dich, daß du nicht versäumst, ihre Bedeutung zu erkennen, und du nicht zu den Irrenden gezählt wirst!“ (Ährenlese XII).
- „Wahrlich, Er ist gekommen mit Seinem Königreich, und alle Atome rufen aus: Sehet, der Herr ist gekommen mit großer Majestät! Er, der Vater, ist gekommen, und der Sohn, im Heiligen Tale, ruft aus: Hier bin Ich, o Herr, Mein Gott.“
- Artemus Lamb
Deutsch von Etty Graeffe
- —————
- 1) „Die wunderbare Geschichte eines Propheten — Josef Smith erzählt seine Erlebnisse“, hgg. von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Westdeutsche Mission, Frankfurt/Main, Bettinastraße 55, S. 3 ff.
- 2) In der Luther-Bibel: Joel 3: 1-5.
Die „BAHA’I-BRIEFE“ werden vierteljährlich herausgegeben vom Nationalen Geistigen
Rat der Bahá’í in Deutschland e. V., 6 Frankfurt, Westendstraße 24. Alle
namentlich gezeichneten Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers
oder der Redaktion dar.
Redaktion: Dipl.-Volksw. Peter A. Mühlschlegel, 7022 Leinfelden, Jahnstraße 8, Telefon (07 11) 79 16 74, und Dieter Schubert, 7022 Leinfelden, Fliederweg 3, Telefon (07 11) 79 35 35.
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Preis: DM —,80 je Heft, einschließlich Versandkosten, im Abonnement DM 3,20 jährlich. Zahlungen erbeten an den Nationalen Geistigen Rat der Baha’i in Deutschland e. V., Bahá’í-Verlag, 6 Frankfurt, Postscheckkonto Stuttgart 35 768, mit dem Vermerk „BAHA’I-BRIEFE“.