Bahai Briefe/Heft 64/Text

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Bahá’í

BRIEFE


Zeitschrift
für Religion und Gesellschaft
Nr. 64 / Dezember 1993



Ästhetik und geistige Erziehung



Die Entwicklung eines Bahá’í-Wirtschaftssystems



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INHALT


Die Entwicklung eines Bahá’í-Wirtschaftssystems . . . . . . . . . . . 4

Gregory C. Dahl


Ästhetik und geistige Erziehung . . . . . . . . . . . 16

Glen A. Eyford
mit Fotos von Jörg Krombach


Klassenziel: Welteinheit Die Townshend International School . . . . . . . . . . . 29

Barbara Missaghian


Angepaßte Technologie in Swaziland . . . . . . . . . . . 34


Internationales Jahr der Familie:

Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde . . . . . . . . . . . 37


Aufruf zum Dialog . . . . . . . . . . . 39



Titelbild von Jörg Krombach


Bahá’í-Briefe

Heft 64
Dezember 1993
21. Jahrgang


Die Bahá’í-Briefe wollen eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten der Bahá’í-Religion fördern und auf der Grundlage zeitgemäßen Denkens zu einem Dialog mit allen beitragen, die sich um die Lösung der Weltprobleme mühen.


Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland e.V., Hofheim-Langenhain


Redaktion: Nassim Berdjis, Jörg Krombach, Bijan Sobhani, Uwe Still, Karl Türke jun.

Redaktionsanschrift: Bahá’í-Briefe, Redaktion, Eppsteiner Str. 89, D-65719 Hofheim


Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen nicht notwendig die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.


Die Bahá’í-Briefe erscheinen halbjährlich. Abonnementpreis für vier Ausgaben 30,- DM. Einzelpreis 8,50 DM.


Vertrieb und Bestellungen: Bahá’í-Verlag Eppsteiner Str. 89 D-65719 Hofheim

© Bahá’í-Verlag GmbH 1993 ISSN 0005-3945


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Bahá’í

BRIEFE


EDITORIAL


Welche Auswirkungen haben ästhetische Eindrücke auf die persönliche Entwicklung des einzelnen? Wie wirkt sich Kunst auf die Persönlichkeit aus? Welche Aufgaben fallen einem Pädagogen zu, der künstlerische Formen des individuellen Ausdrucks in der Erziehung einsetzt? Diese und verwandte Fragen beleuchtet der kanadische Wissenschaftler Glen A. Eyford in seiner Erörterung der vielschichtigen Thematik »Ästhetik und geistige Erziehung.«

Die Erziehung und Ausbildung von Schülern verschiedener Länder steht im Mittelpunkt des Berichts von Barbara Missaghian über die »Townshend International School« in Hluboká (Tschechische Republik), die im Herbst 1992 ihre Pforten öffnete. Im Europa der neunziger Jahre verspüren immer mehr Menschen das Bedürfnis nach Zusammenwachsen der hier lebenden Völker, aber vielen fehlt ein umfassendes Ideengerüst, das ein solches Zusammenleben ermöglicht. Letztendlich ließe sich der Schauplatz Europa als kontinentaler Mikrokosmos betrachten, in dem sich auf engem Raum und unter sich ständig verändernden Bedingungen weltweite Tendenzen und Entwicklungen abspielen, die über kurz oder lang den ganzen Planeten erfassen werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich dem Leser dieser Ausgabe der Bahá’í-Briefe vielleicht die Frage, wo die Entwicklung des Bildungswesens und die damit eng verknüpfte wirtschaftliche Entwicklung weltweit ansetzen könnte.

Gregory Dahl lenkt seine Sichtweise wirtschaftlicher Theorien auf die globale Entwicklung und diskutiert in seiner Darstellung die Verbindung von Aussagen über Wirtschaft in den Bahá’í-Schriften mit den heutigen Gegebenheiten und mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen. In einem weiteren Beitrag wird eine den ländlichen Gegebenheiten angepaßte Technologie, die in Swaziland Anwendung findet, vorgestellt.

Obwohl die weit gefaßten Themenbereiche der Erziehung und der Wirtschaft auf den ersten Blick nur wenig miteinander zu tun zu haben scheinen, so möge die Palette der hier angebotenen Artikel zu einem Verständnis der in vielerlei Weise verbundenen, materiellen und geistigen Bereiche menschlichen Lebens beitragen und zum Gedankenaustausch darüber anregen.


Die Redaktion


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Die Entwicklung eines Bahá’í-Wirtschaftssystems[Bearbeiten]

Gergory C. Dahl


»Die Entwicklung eines Bahá’í-Wirtschaftssystems« ist eine Übersetzung des Artikels »Evolving toward a Bahá’í Economic System« von Gergory C. Dahl aus The Journal of Bahá’í Studies, 4.3.1991, S. 1-15, mit Genehmigung der Association for Bahá’í Studies, Kanada.
Die Übersetzung besorgte Nassim Berdjis.


Zu Beginn ist es sinnvoll, Ziele zu definieren und die Konzepte zu beleuchten, mit denen ein Bahá’í Wirtschaftsthemen möglicherweise behandelt. Diese Aufgabe ist besonders schwierig, da der Begriff »Wirtschaft« im Zusammenhang mit den Bahá’í-Lehren nicht so einfach zu definieren ist. Dem allgemeinen Verständnis nach befaßt sich Wirtschaft mit der Produktion und Verteilung von Geld, Waren und Dienstleistungen und mit den Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die in der modernen Gesellschaft solche Aktivitäten regulieren. Für einen Bahá’í jedoch stehen die materielle und die geistige Welt in enger Beziehung zueinander, und die eine kann ohne die andere nicht verstanden werden. Die materielle Welt ist für den Bahá’í eine Metapher für geistige Wirklichkeiten.

Die Bahá’í versuchen, ihren materiellen Handlungen eine geistige Bedeutung zu verleihen. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler beschränken ihre Studien aber auf ein Verständnis der Wirtschaft als technische Wissenschaft, die von anderen menschlichen Bestrebungen getrennt ist, und sie behandeln lediglich periphere Veränderungen bei den existierenden Wirtschaftssystemen. Glücklicherweise ändert sich dieses Bild langsam, wie z.B. die rapide Entwicklung der Gesellschaft für Sozio-Ökonomie zeigt, deren Mitglieder den Menschen als soziales, in einer Gemeinschaft verwurzeltes Wesen und nicht nur als selbstsüchtige Maschine, die auf maximale Ausnutzung ausgelegt ist, betrachten. Bis vor kurzem wurden diejenigen, die sich ein anderes System vorstellten, als Radikale bezeichnet, und ihre Arbeit wurde stark politisiert und mit Konzepten des Klassenkampfes und des Konfliktes gefärbt. In Ländern, in denen radikale Ansätze verwirklicht wurden, zerbrach die Vision schnell an menschlichen Schwächen und der schwerfälligen Bürokratie. Der sensationelle Zusammenbruch der früheren kommunistischen Länder und ihre Bereitwilligkeit, marktorientierte Systeme zu übernehmen, vermittelte zumindest zeitweise den Eindruck, daß das westliche Wirtschaftssystem funktioniert und in gewissem Sinne moralisch richtig sei. Im Gegensatz dazu versichern die Bahá’í, daß kein Wirtschaftssystem Sinn macht, so lange es nicht eine umfassende Vorstellung von der geistigen Natur des Menschen und von der durch Moral und Religion verliehenen Motivation hat. Ein Großteil der modernen Wirtschaftstheorie ähnelt der Justierung eines Motors, dessen Fahrzeug noch kein Lenkrad hat. Die Wirtschaftswissenschaftler haben viele brauchbare Konzepte und statistische Methoden erarbeitet, und diese Instrumente können zweifelsohne für Wirtschaftsanalysen aus Bahá’í-Sicht benutzt werden. Daher besteht unsere erste Aufgabe darin, »Bahá’í-Ziele« zu definieren, wobei wir uns dessen bewußt sein müssen, daß sich diese Ziele wahrscheinlich von den ausgesprochenen und unausgesprochenen Zielen der Wirtschaftsberufe unterscheiden werden.

Die Bahá’í glauben, daß die Welt mit Ressourcen zum Wohle aller Menschen ausgestattet wurde und daß nationale Grenzen, Sprachen, Wirtschafts- und Rechtssysteme Menschenwerk und nicht gottgegeben sind. Demnach können und sollten sich diese Systeme den Bedürfnissen und Umständen entsprechend ändern. Während die meisten Menschen diese großen Gesellschaftssysteme als geradezu unveränderlich betrachten, müssen sich die Bahá’í bewußt darum bemühen, Ziele zu formulieren, die ihrer Vorstellung einer neuen Gesellschaft entsprechen, um dann die entsprechenden Institutionen, Gesetze und Systeme zur Verwirklichung dieser Ziele zu schaffen. Die Wirtschaft ist wie auch das Recht lediglich eine Angelegenheit gesellschaftlicher Übereinkunft. Geld hat nur den Wert, auf den sich die Mitglieder einer Gesellschaft geeinigt haben. Tatsächlich [Seite 5] existiert der Großteil des Geldes heute in Form magnetischer Flüsse in Computerspeichern und Tintenzeichen in den Ordnern der Buchhaltung. Wenn das vorhandene System unseren Zielen nicht dienlich ist, wenn es z.B. arbeitswilligen Menschen keine Arbeitsplätze gibt, dann muß dieses System verbessert werden.

Farzam Arbab wies darauf hin, daß der Kern der heutigen Bemühungen der Bahá’í-Gemeinden und -Wissenschaftler die Initiierung eines Entwicklungsprozesses sein muß, durch den sich ein Wirtschaftssystem entwickelt, das sich ständig verbessert, anstatt ein neues System zu entwerfen, das dann als Ganzes der Gesellschaft verordnet wird1). Die Bahá’í wissen noch nicht im Detail, wie ein »Bahá’í-System« möglicherweise aussehen wird, und die in den Bahá’í-Schriften vorhandenen Prinzipien sind so allgemein gefaßt, daß man sich sofort verschiedene Länder vorstellen kann, die recht unterschiedliche Systeme anwenden, die zu ihrer jeweiligen Kultur passen, wobei all diese Varianten innerhalb des Rahmens der Bahá’í-Prinzipien liegen. In der näheren Zukunft müssen sich die Bahá’í in einem kontinuierlichen Prozeß der Diskussion und Neudefinition von Zielen engagieren, um dadurch ihre Aktivitäten auf diese Ziele hin immer wieder neu abzustimmen und neu zu orientieren.

Diesen Ansatz kann man mit der Technologie zur Erforschung des Weltalls vergleichen. Ein auf den Mond ausgerichtetes Raumschiff würde den Mond nie erreichen, wenn es nur von der perfekten Ausrichtung auf sein Ziel von der Abschußrampe aus abhängen würde. Unsere Raumschiffe haben den Mond nie verfehlt, weil man Führungssysteme angewendet hat, die an die Bodenstation Daten zurückmelden, so daß man immer wieder die Flugbahn neu auswerten und den Flugweg durch das Zünden kleiner Antriebsraketen korrigieren konnte. Mit Hilfe dieses Systems hätte ein Raumgefährt in die falsche Richtung abgeschossen werden können und wäre trotzdem am Ziel angekommen. Das Ziel kann sich auch bewegen, und das Raumschiff wird es dennoch treffen.” Diese Methode müssen die Bahá’í anwenden. Die Bahá’í müssen eine klare, herrliche Zukunftsvision, die die meisten ihrer Berufskollegen nicht teilen, mit einem praktischen, wachstumsfähigen Ansatz in ihrer täglichen Arbeit verbinden.

Während die Bahá’í-Lehren machtvolle und weitreichende Prinzipien zur Errichtung eines neuen globalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems geben, ist es die Aufgabe der Wirtschafts- und Verwaltungsexperten, inspiriert durch diese Lehren praktische Anwendungen in funktionierenden Institutionen auszuarbeiten. Diesen Entwicklungsprozeß beschreibt Shoghi Effendi in einer Reihe von Briefen aus den Jahren 1933 bis 1936, die er an die amerikanische Bahá’í-Gemeinde richtete, als die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte und man nach Lösungen für Wirtschaftsprobleme suchte. Die folgenden Zitate sind Auszüge aus diesen Briefen:

»Was die Aktivitäten des Wirtschaftsausschusses des Nationalen Rats betrifft, so hat Shoghi Effendi volles Verständnis für den Wunsch einiger Mitglieder, daß der Ausschuß Wege und Mittel finden möge, um die wirtschaftlichen Lehren der Sache, wie man sie in manchen Schriften und Aussagen Bahá’u’lláhs und des Meisters [‘Abdu’l-Bahá] findet, zu verwirklichen. Aber er glaubt, daß die Zeit für solche Aktivitäten noch nicht reif ist. Zuerst müssen wir die Lehren zum Thema Wirtschaft im Lichte moderner Probleme gründlicher studieren, damit wir für das eintreten können, was die Begründer unseres Glaubens sagen, und nicht nur für das, was wir anhand der Schriften mutmaßen. Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Verkündigung eines großen allgemeinen Prinzips und dem Ermitteln seiner Anwendung auf die wirklich herrschenden Umstände.

Zweitens ist die Sache finanziell nicht in der Lage, derzeit solche Unternehmungen durchzuführen. Zur letztendlichen Ausarbeitung solcher Pläne braucht man [Seite 6] großen finanziellen Rückhalt. Shoghi Effendi hofft, daß alle diese Dinge zu gegebener Zeit passieren werden.«3)

»Im Zentrum unserer Überlegungen muß zuerst der Geist stehen, der unser Wirtschaftsleben durchdringen muß. Daraus werden sich allmählich definitive Institutionen und Prinzipien kristallisieren, die zur Schaffung der idealen Bedingung beitragen werden, die Bahá’u’lláh vorhergesagt hat.«4)

»Was Ihren Wunsch betrifft, Ihr Unternehmen nach Bahá’í-Richtlinien neu zu gestalten, so schätzt Shoghi Effendi den Geist sehr, der Sie zu einem solchen Vorschlag geführt hat. Nichtsdestotrotz denkt er, daß die Zeit noch für keinen der Gläubigen gekommen ist, um eine solch grundlegende Veränderung in der Wirtschaftsstruktur unserer Gesellschaft herbeizuführen, egal wie begrenzt das Ausmaß eines solchen Experimentes sein mag. Die Bahá’í-Lehren zur Wirtschaft sind zwar in ihren Grundzügen weithin bekannt, aber sie wurden bisher noch nicht ausreichend ausgearbeitet und systematisiert, um eine exakte und gründliche Anwendung, noch nicht einmal auf begrenzter Ebene, zu erlauben.«5)

»Es gibt in unserem Glauben praktisch keine konkreten Lehren zu Fragen der Wirtschaft wie z.B. zum Bankwesen, dem Preissystem und anderes. Die Sache ist kein Wirtschaftssystem, noch kann man ihre Stifter als Ökonomen im technischen Sinne begreifen. Der Beitrag des Glaubens zu diesem Thema ist im wesentlichen indirekt, da er in der Anwendung geistiger Prinzipien auf unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem besteht. Bahá’u’lláh hat uns einige grundlegende Prinzipien gegeben, die zukünftige Bahá’í-Ökonomen anleiten sollen in der Einrichtung von Institutionen, die die Wirtschaftsbeziehungen der Welt regeln werden.«6)

Die in diesen Zitaten ausgedrückte Vision entspricht einem evolutionären Prozeß, nicht nur was das Verständnis einer Bahá’í-Sichtweise wirtschaftlicher Probleme betrifft, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung einer Geisteshaltung in der Gesellschaft, die ein Bahá’í-Wirtschaftssystem im Zusammenhang einer breiteren gesellschaftlichen Entwicklung ermöglichen werden. In diesem Prozeß kommt den Bahá’í-Wirtschaftsexperten eine wichtige Rolle zu, da sie angemessene Systeme und Institutionen entwerfen müssen. Für die Bahá’í ist göttliche Offenbarung ein Beginn, kein Ende; sie inspiriert zu fortgesetzter Kreativität, die sich in einer »ständig fortschreitenden Kultur«7) ausdrückt und eine Blüte neuer Wissenschaften und Künste herbeiführt, während grundlegende geistige Prinzipien in steigendem Maße auf kleine und große menschliche Probleme angewandt werden. Das Fehlen technischer Lehren über Wirtschaft in den Bahá’í-Schriften bedeutet auch, daß kein einzelner Bahá’í den Anspruch erheben kann, eine Autorität auf diesem Gebiet zu sein — eine Tatsache, die Gedankenfreiheit und freie Meinungsäußerung sowie die Entwicklung einer reichen und vielfältigen Palette von Ansätzen für die Lösung einer komplizierten, facettenreichen Problematik fördert. Die Bahá’í können daher darauf hoffen, engstirnige Orthodoxie zu vermeiden, die in vielen akademischen Disziplinen einen erstickenden Einfluß ausgeübt hat.

Um diesen Überblick abzuschließen, sei mein Eindruck erwähnt, daß die Bahá’í-Gemeinde bisher eine wichtige Gelegenheit übersehen hat, denkende Menschen in aller Welt auf den Bahá’í-Glauben aufmerksam zu machen, denn die Bahá’í tendieren dazu, die Lehren ihres Glaubens zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit relativ ungenau zu kennen. Diese Fragen ziehen immer mehr die Aufmerksamkeit der dynamischeren Teile der Menschheit auf sich, und die Bahá’í-Lehren bieten eine einzigartige, herausfordernde und hochinteressante Sichtweise, die immer beachtliche Aufmerksamkeit erregt, wenn man sie vorstellt. Die Themen, die 'Abdu'l-Bahá während Seiner Reisen in den Westen im Jahr 1912 besonders betonte, waren herausfordernde Probleme der damaligen Zeit, wie [Seite 7] z.B. die Gleichwertigkeit der Geschlechter und der Rassen. Diese Prinzipien werden heute weitgehend akzeptiert, zumindest intellektuell.

Die aktuellen Themen der Debatte betreffen Fragen wie gerechte Verteilung der Wirtschaftskraft, Verhinderung von Krieg und Verbesserung des Justizsystems. Die Bahá’í müssen sich über die Bahá’í-Betrachtungsweise dieser Themen informieren und dann ihr Verständnis in der öffentlichen Darstellung des Glaubens verwenden.8) Heute, mehr als fünfzig Jahre, nachdem die oben angeführten Zitate verfaßt wurden, müssen die Bahá’í anfangen, mit Anwendungen dieser Lehren zu experimentieren und die intellektuelle Grundlage für solche Versuche zu legen. Der Rest dieses Artikels beschäftigt sich mit Vorschlägen zu einigen Teilbereichen, in denen weitere Forschung und Versuche dringend erforderlich sind.


▪ Werte und Entscheidungsfindung

Managementexperten haben in den letzten Jahren Instrumente der Entscheidungsfindung im Geschäfts- und Wirtschaftsbereich entwickelt, die auf Konzepten beruhen, bei denen Begriffe wie Rentabilität, Investitionsrückflüsse und Marktanteile eine bedeutende Rolle spielen. Außer Profit sind die Größe des Unternehmens und Wachstum Hauptziele, da Größe Macht bringt und Macht begehrt wird.

Die Instrumente öffentlicher Entscheidungsfindung ähneln dem zwar prinzipiell, aber sie versuchen oft, Wertelemente hinzuzufügen, die sich nicht in Marktpreisen oder in auf der Grundlage dieser Preise errechneten Profitanalysen niederschlagen. Bei der Kalkulation der Erträge bei staatlichen Projekten werden die tatsächlichen Preise oft den Marktverzerrungen entsprechend angepaßt, oder soziale Ziele wie Beschäftigung und Umweltschutz werden eingearbeitet. Leider sind soziale Zielsetzungen schwer quantifizierbar, und die Analysemethode ist daher zwangsläufig ungenau. Dennoch spiegeln diese Resultate allgemeine soziale Prioritäten besser wider als strikte Finanzkalkulationen. Im privaten Sektor werden solche umfassenderen Ziele selten einbezogen.

Die Bahá’í haben eine völlig andere Wertgrundlage für die Entscheidungsfindung. Das Kriterium des Profits, das im heutigen System eine praktische Notwendigkeit darstellt und als solches nicht völlig abzulehnen ist, stellt keineswegs das Hauptziel dar, und eine kleinere Unternehmensgröße wird einer größeren eher vorgezogen. Zu den Bahá’í-Zielen gehören Selbsterfüllung durch Dienst an der Menschheit, die Beibehaltung des rechten Maßes und des Gleichgewichts (z.B. zwischen materiellem und geistigem Gut im Leben), die Zufriedenheit, sein Bestes getan zu haben und möglichst qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten, und die Freude, einen positiven und dauernden Beitrag zum Guten der Gesellschaft geleistet zu haben. Unglücklicherweise reflektieren Entscheidungen, die auf der Basis der vorherrschenden Preise mit Hilfe analytischer Instrumente getroffen werden, eine ganz andere gesellschaftliche Wertestruktur, und die Kräfte der Wirtschaft üben großen Druck auf die Konformität der allgemein akzeptierten Werte aus. Z.B. kauft eine große Buchhändlerkette Bücher nach ihrem Titelbild, Titel und Inhalt — in dieser Reihenfolge. Oft wird dem Profitstreben zu Ungunsten höherer Werte gehuldigt. Um den Bahá’í bei der Arbeit gegen diesen Druck zu helfen, müssen Mittel und Wege gefunden werden, um fundierte Entscheidungen zu treffen, die auf die Ziele der Bahá’í zustreben.

Das Ausmaß des Problems läßt sich an einem Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung erläutern. Ich hatte mit einem kleinen Verlag zu tun, der hauptsächlich Bahá’í-Literatur produziert. Die üblichen [Seite 8] Kriterien für den Erfolg eines kleinen Unternehmens sind der Profit und die Wachstumsrate. Ein nicht-profitables Geschäft kann als erfolgreich betrachtet werden, wenn es schnell wächst, da dieses Wachstum zukünftigen Gewinn verspricht. Meines Erachtens nach könnte man das Unternehmen auch ohne Gewinn und Wachstum als erfolgreich bezeichnen, wenn es Literatur veröffentlicht, die die Menschen dazu inspiriert, zu einer neuen Weltkultur beizutragen, und wenn die Unternehmenstätigkeit sinnvolle und lohnenswerte Beschäftigung für mich und meine Angestellten bietet. In hundert Jahren wird sich niemand mehr darum kümmern, ob meine Firma hohe Gewinne eingefahren hat. Aber wenn sie Musik, Vorträge und Literatur herausgebracht hat, an die man sich erinnert, wird man sich an die Firma erinnern. Die Aussicht auf einen solchen Beitrag zum Guten der Gesellschaft war mir viel wichtiger als der Gewinn.9)

Wenn nun Entscheidungen getroffen werden müssen, fällt es schwer, diese vielfältigen Ziele in einem zusammenhängenden, praktikablen System zu vereinigen, und die Mittel für einen wissenschaftlichen Ansatz dazu fehlen. In Abwesenheit solcher Instrumente vergißt man leicht seine hohen Ziele oder rutscht in abgrundtiefe Managementtechniken, die zu Bankrott und Versagen führen. Vielleicht wollte Shoghi Effendi in seinen Briefen vor fünfzig Jahren gerade vor diesen Resultaten warnen.

Sowohl kleine als auch große Unternehmen mit ihren größeren Herausforderungen in Personalverwaltung und Organisationsstruktur brauchen umfassende Systeme zur Entscheidungsfindung. Auch für das einzelne Individuum müssen neue Ansätze gefunden werden, denn diesem fällt es oft schwer, echte persönliche Ziele zu formulieren, um dann — je nach Zeit- und Finanzrahmen — systematische Entscheidungen zur Erreichung dieser Ziele zu fällen.


▪ Die Beziehung zwischen Arbeiter und Management

Hinsichtlich dieser Beziehung vertreten die Bahá’í eine ungewöhnliche Ansicht bezüglich einer wünschenswerten Unternehmensstruktur. Für die Bahá’í liegt der Schlüssel darin, daß alle Parteien, gleichgültig ob Arbeitnehmer oder Management-Vertreter, ihr gemeinsames Interesse erkennen. Eine solche Sichtweise führt dazu, daß sich jeder dem Gemeinwohl widmet. In Seiner Ansprache vor einer Gruppe von Gewerkschaftsführern und Sozialisten in Montreal (Kanada) am 3. September 1912 wies 'Abdu'l-Bahá darauf hin: »... der Mensch kann nicht einsam und allein leben. Er braucht ständige Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe«10).

'Abdu'l-Bahá verglich die Gesellschaft mit einer Familie und führte die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in unserer Welt darauf zurück, daß »dieser Familie die notwendige Gegenseitigkeit und Ausgewogenheit fehlt«11). Ich finde diese Analogie faszinierend, wenn man ihre historische Entwicklung betrachtet, da die jahrzehntealten Probleme der Industrie jetzt auch die westliche Familie auseinanderreißen. Anstatt die allgemeinen Vorzüge der Zusammenarbeit und des persönlichen Opfers in den Mittelpunkt zu stellen, konzentriert man sich heute hauptsächlich auf den Kampf gegen die Ungerechtigkeit, auf das Einfordern dessen, was man als fairen Anteil am Wohlergehen betrachtet, und auf die Annahme kämpferischer Taktiken, um diese Ziele zu erreichen. Dieser im Grunde selbstische Ansatz, der zur Einnahme festgefahrener Positionen und zur Entwicklung von Entfremdung führt, ist keine Formel zum Erfolg in zwischenmenschlichen Beziehungen, weder in einer Familie, noch in einer Firma. Nur in einem System, das angemessen und gerecht erscheint, in dem Menschen einander gegenüber flexibel, verständnisvoll und großzügig sein können, können sich harmonische Beziehungen entwickeln.

[Seite 9] Es wird noch ein großes Maß an Arbeit erfordern, bis gesetzliche und finanzielle Unternehmensstrukturen entwickelt werden, die von den Teilnehmern als angemessen und gerecht betrachtet werden. Seit kurzem hat eine Entwicklung in westlichen Ländern an Schwungkraft gewonnen, mit der traditionelle Managementstrukturen dahingehend reformiert werden sollen, daß die Arbeiter mehr an der Verwaltung und sogar am Firmenkapital teilhaben können. An dieser Stelle können diese Entwicklungen nicht ausführlich diskutiert werden, aber es gibt Literatur beträchtlichen Umfangs, darunter auch ausgiebige Fallstudien, die fruchtbaren Boden für diejenigen Bahá’í bieten, die sich mit dieser Thematik näher befassen wollen.


▪ Arbeitsumgebung und Lebensstil

Ein weiteres Gebiet, in dem die Bahá’í sich engagieren sollten, ist die Erforschung der Arbeitsumgebung und des Lebensstils. Themen im Zusammenhang mit der Qualität des Arbeitslebens erhalten zunehmend Aufmerksamkeit, je mehr frustrierte und überlastete Menschen in den reichen Ländern größere Bedeutung und Erfüllung im Leben suchen. Aber im allgemeinen fehlt hierbei eine Perspektive und es werden nur geringfügige Verbesserungen erzielt. Hier gibt es also Möglichkeiten für innovative Forschung und Modellversuche.

Neue Trends zeigen sich deutlich darin, daß sich z.B. die hochentwickelte Technologie-Industrie an Orten wie New Hampshire und Boulder, Colorado, ansiedelt, um dem Bedürfnis der Angestellten nach einem nicht-großstädtischen Lebensstil entgegenzukommen. In beschränktem Maße experimentierte man auch mit flexiblen Arbeitszeiten, man schuf mehr Teilzeitbeschäftigung und weitete die Nutzung elektronischer Büros im eigenen Heim aus. Im großen und ganzen bleiben Arbeitsplatz und Heim aber völlig getrennt, was ganz im Einklang mit dem modernen Hang zur Aufteilung steht. Darunter hat das Heim gelitten.

Da in den Bahá’í-Lehren der »geistige Lohn« der Arbeit als Dienst am Nächsten und die Bedeutung der Familie betont werden, erscheint es durchaus möglich, daß wir ein neues Arbeitsumfeld und neue gesellschaftliche Strukturen schaffen können, die der individuellen Verantwortung mehr zugestehen und den einzelnen Arbeitnehmern mehr Flexibilität bei der örtlichen und zeitlichen Planung der Arbeit erlauben. Bei vielen heutigen Tätigkeiten ist es nicht mehr nötig, acht Stunden in einem Büro zu sitzen wie ein Kind in der Schule. Durch die Einführung von Rufmeldern, tragbaren Telefonen, Faxgeräten, Modems und Computersystemen, die komplizierte Planungsprobleme lösen können, können Arbeitnehmer immer erreichbar sein und trotzdem gleichzeitig ein nie dagewesenes Maß an Freiheit genießen. Unsere Institutionen haben sich aber noch nicht der technologischen Entwicklung angepaßt.

Außerdem erscheint es wahrscheinlich, daß die Größe der jetzt die Wirtschaft dominierenden Organisationen in den Industrienationen nicht das Produkt technischer Wirtschaftsfaktoren ist, sondern eher einem Gesetzessystem entsprungen ist, das die Reichen zur Förderung ihrer eigenen Interessen geschaffen haben. Die Patentgesetze sprechen dafür. Diese Gesetze waren die Grundlage, auf der viele der größten Wirtschaftsimperien entstanden. In einem Bahá’í-System könnten die Gesetze zugunsten kleinerer Betriebe umstrukturiert werden, da diese individuelle Initiativen stärker fördern und zu größerer Zufriedenheit im Beruf beitragen. Es ist ein gutes Zeichen, daß jüngere Bahá’í in vielen Ländern kleinere Betriebe gründen. Diese Unternehmen bieten ein fruchtbares Feld für Versuche mit neuen Unternehmensstrukturen.

Auf einer fundamentaleren Ebene sollte man die grundlegenden Vorstellungen vom modernen Arbeitsplatz überdenken. Innovationen auf diesem Gebiet könnten interessante Resultate zeitigen. Z.B. arbeitete ich in einem hochmodernen Umweltbüro in Washington D.C. und danach in Haiti, was man wohl als das Gegenteil einer modernen Umgebung bezeichnen könnte. Ironischerweise war ich bei meiner letzteren Arbeit viel glücklicher [Seite 10] und fand sie viel interessanter und lohnenswerter.

Da die Telefone in Haiti nicht gut funktionieren und vertrauliche Gespräche wegen der häufigen Leitungsüberschneidungen nicht gesichert werden können, werden wichtige Angelegenheiten immer unter vier Augen besprochen. Parallel dazu führt der Mangel an guten Sekretärinnen und an einem zuverlässigen Postdienst zu einer geringeren Abhängigkeit von Papier. Also verbringt man auch bei einer Büroanstellung den größten Teil seiner Arbeitszeit mit dem direkten Umgang mit Menschen in verschiedenen Gesprächen überall in der Stadt. Die täglichen Kämpfe mit Telefon, Elektrizität, mit der Suche nach bestimmten Produkten in Geschäften usw. sind auch eine Herausforderung, die die Zufriedenheit nach Erfüllung einer Aufgabe erhöht. In technologisch fortschrittlicheren Ländern sind die Erwartungen höher. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, werden die Menschen oft ärgerlich und regen sich auf, und oft geht dabei die Freude über ein erreichtes Ziel verloren. Port-au-Prince ist auch eine interessantere Stadt als Washington; da die Menschen sich keine Autos leisten können, sind sie alle auf der Straße und erfüllen die Stadt mit Leben, Farbe und geschäftigem Treiben.

Ich will hier nicht vorschlagen, daß die reichen Länder wieder »unterentwickelt«  werden sollen, aber ich glaube, daß wir auf dem Weg zu größerem Wohlstand genauso viel verloren wie gewonnen haben und daß wir nun Gefangene unserer Maschinen sind, wie Lewis Mumford vor Jahren warnend zum Ausdruck brachte12). Mit einer Vision für die Zukunft und mit Entschlossenheit sollten wir aber in der Lage sein, unser Leben, unser Gesellschaftssystem und unsere Maschinerie unter Kontrolle zu bekommen und so neu zu gestalten, daß unsere menschlichen und geistigen sowie unsere materiellen Bedürfnisse erfüllt werden.


▪ Das genossenschaftliche Dorfmodell

Ein ganz anderes Problem von lebenswichtiger Bedeutung für die Menschheit ist das Wohlergehen der Dorfbevölkerung. Eine große Anzahl von Menschen und die Mehrheit der Bahá’í leben in Dörfern.13) Obwohl dieses Thema vielen Lesern in den industrialisierten Ländern fremd erscheinen mag, hat es hohe Priorität angesichts der großen Anzahl von betroffenen Menschen.

Ein Großteil der Ansprache 'Abdu'l-Bahás in Montreal bezog sich auf ein Modell für Zusammenarbeit auf der Dorfebene, das sogenannte »Dorfmodell«. Der Vorschlag beinhaltet das, was man heute als »Selbsthilfe« bezeichnet. Es werden Beiträge zu einem gemeinsamen Fonds geleistet und Ausgaben und Verteilung den Bedürfnissen entsprechend vorgenommen. 'Abdu'l-Bahá sagt explizit, daß dieses System zur Würde des Menschen und zur Unabhängigkeit von Ausbeutung beitragen wird: ». . . jeder einzelne... [wird] in umfassendem Wohlstand und Behagen leben, ohne irgendeinem anderen verpflichtet zu sein.«14)

Im Gegensatz dazu basiert heutzutage in vielen Dörfern der Welt das System auf einem örtlichen Geldverleiher oder Landbesitzer, der einen großen Teil der Erträge des Dorfes zu seinem eigenen Nutzen abschöpft, wobei er Kunden oder Pächter in einem fortgesetzten Zustand der Abhängigkeit hält. Viele landwirtschaftliche Reformen, im Zuge derer das Land per Gesetz den Bauern übergeben wurde, haben versagt, weil die Bauern das Land an die vorherigen Besitzer zurückverkaufen. Diese örtlichen Machtverwalter haben finanzielle Quellen, mit denen sie die Risiken der Landwirtschaft auf sich nehmen können und auch oft das Marktsystem für Farmprodukte und den Vertrieb der notwendigen [Seite 11] Grundgüter (Saatgut etc.) kontrollieren. Ein kooperatives System mit einer Dorfinstitution unter Kontrolle der Bauern, die sich um ihr eigenes Wohl kümmern, könnte genug Mittel anhäufen, um die Kreditbedürfnisse seiner Mitglieder zu decken, um im Falle von Katastrophen Abhilfe zu schaffen, um beim Verkauf der Waren und bei der Anschaffung von Gütern zu helfen und um uralte Systeme der Ausbeutung auf der örtlichen Ebene zu durchbrechen. Ein solches System würde sich merklich auf die gesamte gesellschaftliche Entwicklung auswirken und Gewinne, die früher anderswo hinflossen, für Neuinvestitionen im Dorf bereitstellen. Die vorhandene Literatur zu dieser Thematik muß sorgfältig untersucht werden; man sollte über die Anwendung von Bahá’í-Prinzipien nachdenken und dann gut überlegte Versuche durchführen. Bei solchen Bemühungen haben die Bahá’í den Vorteil der Erfahrung von zehntausenden örtlichen Geistigen Räten und Gruppen in Dörfern in aller Welt, die sich bereits für Gemeindeentwicklung und den Aufbau von Institutionen einsetzen.


▪ Weltordnung

Nun kommen wir zu einem Thema, das sich rapide zum führenden Anliegen der Menschheit entwickelt, nämlich die Frage der Organisation von Gesetzen und Institutionen, die in der Welt globales Wohlergehen und Sicherheit vorantreiben. Auf diesem Gebiet gibt es in den Bahá’í-Schriften eine Vielfalt an Prinzipien, die tiefgründige und weitreichende Folgerungen beinhalten. Diese Folgerungen müssen herausgearbeitet und in konkrete Vorschläge für neue Institutionen und Strukturen zur Neuordnung der Angelegenheiten der Menschheit umgesetzt werden.

Ein Beispiel aus den Bahá’í-Schriften ist die Forderung, daß die Welt eine einzige Währung haben sollte, ein einheitliches System für Gewicht und andere Maßeinheiten, eine internationale Hilfssprache und Freiheit von Handelsschranken!”. Dem ließe sich die Nützlichkeit eines einheitlichen Handelskodexes hinzufügen, der für die globale Durchsetzung von Verträgen sorgen würde, sowie einheitliche Vorgaben für Maßregeln im Geschäftsverhalten. Diese Prinzipien implizieren die Existenz einer Weltzentralbank, ein hohes Maß an Koordination der nationalen Wirtschaftspolitik (verschiedener Länder) und in der Tat eine voll ausgearbeitete Weltregierung mit bestimmten Machtbefugnissen bei der Verteilung natürlicher Ressourcen, damit die wirtschaftlich Schwachen sich bis zur Konkurrenzfähigkeit entwickeln können.

Die Bahá’í müssen nicht nur über Organisation auf Weltebene nachdenken; sie müssen sich auch in zunehmendem Maße mit praktischen Problemen der Landesregierungen beschäftigen. In nicht allzu ferner Zeit werden sie nach ihrer Meinung zu all diesen Themen gefragt und müssen, wenn die Bahá’í in einem Land die Mehrheit darstellen, dafür auch Verantwortung übernehmen. Zu diesen praktischen Verwaltungsfragen (die man nicht mit der Parteipolitik verwechseln sollte, aus der sich die Bahá’í heraushalten) gehören Fragen wie der Umgang mit Armut, mit Waisen, mit Kranken, Schwachen und Alten, die Erziehung der Kinder, die Anwendung von Straf- und öffentlichem Recht, das angemessene Maß an Regierungsgewalt, und natürlich all die alltäglichen Wirtschaftsthemen wie Finanz- und Währungspolitik, Schaffung von Arbeitsplätzen und Prioritäten bei der Haushaltspolitik.

Wie 'Abdu'l-Bahá zu Anfang des Jahrhunderts vorhersagte, gewann die »Bewegung der Linken« große Bedeutung und eine gehörige Anhängerschaft, besonders in der Jugend der Welt. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus verfolgt der Großteil der Welt nun die materialistischen Ziele des westlichen Kapitalismus. Jedoch werden in kurzer Zeit zweifelsohne die in diesem System verankerten Nachteile auch offensichtlicher werden. Die Bahá’í-Lehren sind in vielerlei Hinsicht revolutionär, und sie bieten eine Alternative für den Kommunismus und den Kapitalismus. Die in den Bahá’í-Lehren verkündeten allgemeinen Prinzipien müssen ausgearbeitet und auf gegenwärtige Probleme angewendet werden. An diesem Entwicklungsprozeß muß die gesamte Bahá’í-Einstellung zum Leben, nicht nur die Lehren zum Thema Wirtschaft, ins Spiel kommen. Lassen [Seite 12] Sie uns nun fünf allgemeine Themenbereiche beispielhaft betrachten, die sich direkt auf die Debatte zwischen Kapitalisten und Sozialisten beziehen und die ein großes Maß an weiterer Forschung von seiten der Bahá’í - Wirtschaftswissenschaftler und -Denker erfordern.


▪ Die Verteilung des Reichtums

An erster Stelle steht das Problem der Verteilung des Reichtums und der Wirtschaftsmacht und ein Entwurf für Institutionen zur Kanalisierung des Wohlstands. Einer der wichtigsten und fundiertesten Kritikpunkte der Sozialisten am kapitalistischen System ist dessen Toleranz gegenüber ungebremster Anhäufung von Reichtum. Sogar in den westlichen Industrieländern, in deren Wirtschaft die Angleichung der Einkommen weit fortgeschritten ist und viele Aspekte des Sozialismus anerkannt werden, zeigen Statistiken über die Anhäufung von Reichtum, daß immer noch ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung das meiste Kapital besitzt. Der Reichtum bringt natürlich Wirtschaftsmacht mit sich. Wenn Howard Hughes die Dienstleistungen in einem Hotel nicht gefielen, so konnte er es einfach kaufen. Die Finanzmärkte und die riesigen Profite, die bei Spekulationen möglich sind, sorgen dafür, daß große Reichtümer weiterwachsen.

In einem Bahá’í-System sollen Extreme zwischen Arm und Reich beseitigt werden. Dieses Prinzip setzt eine Umstrukturierung der Reichtumsverteilung voraus, durch die die Wirtschaftsstnuktur sich auch stark verändern wird. Im Unterschied zum Kapitalismus, in dem sich der Reichtum in wenigen Händen konzentriert, und zum Sozialismus, in dem der Staat weitgehend den Besitz kontrolliert, wird in einem Bahá’í-System der Besitz im privaten Bereich breiter verteilt sein. Dieses System würde wahrscheinlich wiederum den Aufbau kleinerer Unternehmen fördern, da dann mehr Unternehmer Zugang zu Kapital hätten. Außerdem würde das in den Bahá’í-Schriften enthaltene Verbot von Glücksspiel zu verschiedenen Veränderungen der Steuer- und anderer Gesetzgebung führen, um Investitionen in rein spekulativen Gebieten abzublocken, in denen derzeit diejenigen, die reich genug sind, hohe Gewinne einfahren. Solche Regelungen würden nicht nur dem weniger Wohlhabenden eine gleichberechtigtere Chance in der Wirtschaft geben, sondern auch die Effektivität des Systems verbessern, indem der relative Wert von knappen Faktoren wie Land verringert und die relativen Gewinne produktiver Investitionen erhöht werden. An der Wurzel dieser Probleme liegt die soziale Gerechtigkeit, die in einem Bahá’í-System höchste Priorität hätte und die wiederum zu einem höheren Niveau wirtschaftlichen Wohlergehens führen sollte.


▪ Die Rolle der Regierungen

Ein anderes zentrales Problem ist die wünschenswerte Größe und Rolle von Regierungen in einem ansonsten marktorientierten System. Die Bahá’í werden dazu ermutigt, der Menschheit zu dienen. Diese Motivation des Dienens würde in einer Gesellschaft mit einer großen Anzahl von Bahá’í vermutlich zur Gründung vieler privater Einrichtungen führen, die sich der sozialen Arbeit widmen, für die derzeit hauptsächlich der Staat verantwortlich ist. So könnte man die Aufgaben der Regierungen stark verringern. Auch öffentliche Mittel zur nationalen Verteidigung und zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung könnten drastisch gesenkt werden, wenn sich der Bedarf solcher Ausgaben verringert. Es könnte gut sein, daß in einem Bahá’í-System die Regierung das Marktsystem in dem Maße reguliert, daß kleine [Seite 13] Produzenten ihre Rechte wahrnehmen können, während aber die lähmende Überregulierung vermieden wird, die heutzutage große Produzenten bevorzugt, die über genug Finanzkraft verfügen, um den Papierkrieg zu bewältigen. Z.B. könnte die Regierung dazu aufgefordert werden, Kreditanstalten Rückhalt zu gewähren, die kleine Unternehmen finanzieren und auch Expertenwissen an diese weitergeben. Eine Regierung könnte auch als riesiges Informationssystem dienen und gewisse einheitliche Maßstäbe der Werbung einsetzen, so daß kleine Produzenten eines guten Produkts auf dem Markt neben einem Großproduzenten mit einem riesigen Werbeetat eine Chance haben. Kurz gesagt, Regierungen sollten eher anregen als behindern; heute scheint aber gerade das Abschnüren von Möglichkeiten ein allgemeines Resultat des Wirtschaftssystems zu sein.


▪ Materielle Güter — Soziale Dienstleistungen

Drittens besteht ein ernstzunehmendes Ungleichgewicht im Weltwirtschaftssystem zugunsten der Produktion materieller Güter. Im vergangenen Jahrhundert haben wir dramatische technische Fortschritte bei der Verarbeitung von Materialien gemacht, was zu Revolutionen im Bereich der Produktionsmöglichkeiten und zur Entwicklung intelligenter, nützlicher Geräte und Mittel aller Art führte. Relative Preise haben sich so drastisch verändert, daß ein Durchschnittsmensch in einem fortschrittlichen Land heute den Luxus eines Autos und ähnlicher Transportmittel genießt, die sich ein König im letzten Jahrhundert kaum hätte erträumen können. Sogar Bauern in den ärmsten Ländern hören per Radio Musik. Im Gegensatz zu diesen revolutionären Veränderungen haben sich unsere gesellschaftlichen Einrichtungen wie das Rechtssystem, die Regierungen und das Bildungssystem kaum verändert.

Im Grunde genommen ist diese einseitige Entwicklung das Resultat eines Systems, das den technischen Innovator, da er seine Erfindungen patentieren lassen und verkaufen kann, belohnt. Im sozialen Bereich gibt es hingegen keinen allgemein anerkannten Maßstab für Fortschritt, keinen einfachen Weg, Anerkennung zu erlangen, und wenig Aussichten auf materiellen Gewinn. Das Preissystem hat in einem Bereich menschlichen Lebens erstaunlich gut funktioniert, während es auf einem anderen Gebiet völlig versagt hat.16) In einem Bahá’í-System müßte dieses Ungleichgewicht behoben werden. Wir brauchen Einrichtungen, die alle Arten kreativen Bemühens und sozialer Arbeit unterstützen und dazu ermutigen und dabei den besten Beiträgen Anerkennung und materielle Belohnung gewähren.

Während man den materiellen Bedürfnissen der Menschheit immer mehr nachkommt, müssen wir Wege finden, um im Wirtschaftssystem anderen sinnvollen Dienstleistungen einen Platz einzuräumen. Niemand sollte arbeitslos sein, da es immer sinnvolle Dinge zu tun geben wird. Die Frage besteht darin, die Bildung und Organisation bereitzustellen, in der jeder einzelne seinen produktiven Beitrag leisten kann. Ein solcher Umschwung zu den Dienstleistungen könnte über lange Zeit hinweg der Schlüssel zur Lösung der Umweltprobleme sein. Die Aufgabe ist schwierig, wie das Versagen des heutigen westlichen Systems zeigt, aber die Nöte und Bedürfnisse sind dringlich.


▪ Staatseinkommen

Das vierte Thema betrifft die Möglichkeiten und Mittel, das Staatseinkommen zu sichern, ohne dabei Produktionsanreize zu verzerren. Moderne Regierungen kontrollieren über Steuereinnahmen in der Regel 15 bis 40 Prozent aller finanziellen Ressourcen ihrer Länder. Die daraus folgende hohe Steuerbelastung untergräbt ernstlich den wirtschaftlichen Anreiz für den einzelnen.

Während die Abschaffung der Verteidigungsausgaben in einer besser organisierten Welt den staatlichen Bedarf an finanziellen Mitteln stark verringern wird [Seite 14] und während andere bedeutende Leistungen zweifellos auch durch staatliche Verwaltung erbracht werden könnten, braucht man geeignetere Methoden zur Schaffung von Staatseinkommen. Eine Möglichkeit ist die Konzentration von Steuern auf die Bereiche, in denen ein deutlicher gesellschaftlicher Grund für Besteuerung zusätzlich zu Einkommenserwägungen vorliegt, wie z.B. Steuern auf nichterneuerbare Ressourcen, um von ihrem übermäßigen Verbrauch abzuhalten, oder Steuern für Verschmutzungen, um damit Umweltschutzmaßnahmen zu erreichen. Wenn diese Staatseinnahmen nicht ausreichen, könnte der Staat sich besonders gewinnträchtige Wirtschaftsbereiche vorbehalten, besonders die Großindustrie, und die dadurch erwirtschafteten Gewinne könnten die öffentlichen Haushalte finanzieren. Um Effizienz zu fördern, könnten diese Industrien in Konkurrenz zu privaten Unternehmen geführt oder in Form von vertraglichen Abmachungen mit Managementgruppen aus der Privatwirtschaft geleitet werden. Im Idealfall könnte daraus ein Einkommenssystem entstehen, in dem es wenige verschiedene Steuern gibt, so daß die Verwaltung stark vereinfacht und ihre verzerrenden Auswirkungen auf das System reduziert würden.


▪ Wirtschaftliche Entwicklung

Schließlich muß das gesamte Gebiet der Wirtschaftsentwicklung aus der Bahá’í-Perspektive überdacht und neue Modelle für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung müssen entworfen werden. Derzeit werden die meisten armen Länder von einer Oberschicht beherrscht, die den Lebensstil der reicheren Länder anstrebt. Entwicklungsdenken konzentriert sich in reicheren und in ärmeren Ländern darauf, den Reichtum der reichen Länder mit den armen Ländern zu teilen.

Aufgrund meiner Erfahrungen im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre und in einem verarmten afrikanischen Land glaube ich, daß nun die Zeit gekommen ist, um zu erkennen, daß die reichen Länder viel von den ärmeren lernen können und daß der Austausch gegenseitig erfolgen muß. Der für die Zukunft wünschenswerte Lebensstil und die dazu gehörige Gesellschaftsstruktur kann keineswegs der heutigen Realität in den reichen Ländern entsprechen, und es könnten gut die derzeit ärmeren Länder sein, die schneller neue Ansätze entwickeln. In der weltweiten Bahá’í-Gemeinde beginnen wir bereits, die große Kraft gegenseitigen Respekts und einen offenen Geist des Austauschs zu entdecken. Dieser Geist muß sich immer mehr in innovativen Ansätzen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zeigen.

Die entscheidende Frage betrifft nicht materielle Ressourcen, sondern das Wissen um die Kultur und die Definition angemessener Ziele. Entschlössen sich morgen die Länder der Welt zu einem wirk-samen Pakt gegenseitiger Sicherheit, den Bahá’u’lláh vorschlug, stände sofort [Seite 15] eine »Friedensdividende« in Höhe Hunderter Milliarden Dollar zur Verfügung. Die Ressourcen würden notwendigerweise umdirigiert werden, um Arbeitsplätze zu erhalten, und eine logische Ersatzhandlung wäre die Bekämpfung von Armut und Ungerechtigkeit in der Welt. Aber wie würden wir Hunderte von Milliarden Dollar für diese Ziele ausgeben, anstelle der wenigen Millionen, die wir heute darauf verwenden? Würden hunderttausend Chinesen zum Studium an westlichen Universitäten eingeladen, wo sie wegen der Sprachbarriere nichts verstünden? Würden tausende Amerikaner mit ihren Hamburgern, Kinofilmen, Coca-Cola und anderen Bestandteilen ihres Lebensstils in alle Welt exportiert, um bei der »Entwicklung« armer Länder mitzuhelfen? Könnten hochentwickelte Flugzeuge, Autos, Fabriken und Kommunikationssysteme von freigebigen Stiftern sozusagen über armen Ländern »abgeworfen« werden? Es gibt in der Moderne bereits Fälle wie den Iran, in denen solche Entwicklungsversuche ausprobiert wurden und versagt haben. Also sehen wir, daß das grundlegende Problem kulturelle Unterschiede und ein Mangel an definierten Zielsetzungen ist.

Im Grunde genommen findet Entwicklung auf menschlicher, nicht auf materieller Ebene statt. Daher müssen wir uns für die Definition sofortiger Bedürfnisse und Nöte der Menschen in aller Welt einsetzen, für Reiche und Arme, um dann Entwicklungsbemühungen zu entwerfen, die diese Bedürfnisse erfüllen. Dieser Prozeß muß Institutionen einbinden sowie die Teilnahme einzelner auf lokaler Ebene beinhalten, und von der letzteren Ebene sollte die Initiative ausgehen. Es kann nicht einfach von oben nach unten verordnet werden, da dabei die Schenkenden unbewußt oder oft auch bewußt ihre Werte und Vorurteile den Empfängern aufdrängen. Die Bahá’í haben in diesem Bereich den großen Vorteil, daß in ihrem Glauben kultureller Austausch und gegenseitiges Verständnis sehr ermutigt werden und daß eine große Anzahl von »Pionieren« existieren — Bahá’í, die freiwillig von einem Land in ein anderes zur Förderung ihres Glaubens umgezogen sind — , die die Sprache und Kultur ihrer Wahlheimat erlernt haben. Die Bahá’í haben auch damit begonnen, Entwicklungsprojekte nach dem Prinzip der lokalen Initiative ins Leben zu rufen. So verfügen sie über ein großes menschliches Potential und über vielversprechende Ansätze, aber die großen Herausforderungen liegen noch vor uns.


▪ Schlußfolgerungen und Konsequenzen

In dieser Abhandlung konnten wir feststellen, daß die Bahá’í-Schriften eine Anzahl kühner und weitreichender Prinzipien beinhalten, auf deren Grundlage unser wirtschaftliches und unser geistiges Leben letztendlich revolutioniert werden wird, daß die praktische Anwendung dieser umfassenden Ideale jedoch im Laufe der Zeit von Wirtschaftsexperten und anderen durch die Lehren Bahá’u’lláhs inspirierten Denkern ausgearbeitet werden muß. Die dringende Notwendigkeit besteht nicht darin, ein neues Wirtschaftssystem mit all seinen Einzelheiten zu formulieren, sondern einen Prozeß des Experimentierens und der kontinuierlichen Neubewertung in Gang zu bringen, aus dem schrittweise ein neues Wirtschaftssystem entstehen wird.

In dem Bemühen, diesen Entwicklungsprozeß anzuregen und dazu zu ermutigen, wurden in diesem Artikel bestimmte Probleme und Themen, die uns heute beschäftigen, kurz behandelt und mit den Bahá’í-Lehren in Beziehung gesetzt. Eines der Hauptergebnisse dieses kurzen Überblicks ist, daß wir gerade am Anfang des Versuchs stehen, die Offenbarung Bahá’u’lláhs zu begreifen. Die andere Seite dieser Medaille ist aber die große Anzahl der hochinteressanten Möglichkeiten, die den Forschern und Gelehrten offenstehen, die sich für die Anwendung der Bahá’í-Ideen auf Wirtschaftsfragen interessieren. Tatsächlich können erste Beiträge auf diesem Gebiet zweifelsohne eine zentrale Rolle bei den größten Aufgaben spielen, denen sich die Menschheit heute stellen muß, nämlich der Errichtung einer neuen Weltkultur und einer globalen Zivilisation, die uns in ein goldenes Zeitalter des Friedens und Wohlergehens führen, in dem der menschliche Geist, befreit von den Beschränkungen durch die Hingabe an materielle Bedürfnisse, gedeihen und erblühen und damit ein neues Kapitel in der Fortentwicklung der Menschheit einleiten wird.


1) Development - A Challenge to Bahá’í Scholars, Bahá’í Studies Notebook 3.3/4 (1984), 1-18
2) Für diese Analogie ist der Autor Dr. Dwight Allen dankbar.
3) Brief im Auftrag Shoghi Effendis vom 11. Januar 1933, zitiert in Bahá’í News 73:7
4) Brief im Auftrag Shoghi Effendis vom 20. Dezember 1931, zitiert in Bahá’í News 90:2
5) Brief im Auftrag Shoghi Effendis vom 22. Mai 1935, zitiert in Bahá’í News 102:3
6) Brief im Auftrag Shoghi Effendis vom 25. Januar 1936, zitiert in Bahá’í News 103:2
7) s. Bahá’u’lláh, Ährenlese, Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 3. rev. Aufl. 1980, 109:2, S. 188
8) Generelle Abhandlungen über Bahá’í-Lehren zum Thema der Wirtschaft, s. John Huddleston, »Towards a World Economy«, The Journal of Bahá’í Studies 3.3 (991): 21-34 und »The Economy of a World Commonwealth«, World Order 9.4 (Sommer 1975): 37-43 und Gregory Dahl »Economics and the Bahá’í Teachings: An Overview«, World Order 10.1 (Herbst 1975): 19-40.
9) Eine unterhaltsame Betrachtung dieses Themas finden Sie in E. F. Schumacher, Good Work, New York: Harper and Row, 1979
10) ‘Abdu'l-Bahá, Foundations of World Unity, Wilmette, IL: Bahá’í Publishing Trust, 1979, S.38
11) a.a.O.
12) Siehe besonders Lewis Mumford, Technics and Civilization, New York: Harcourt, Brace and Co., 1934 und The Myth of the Machine, 2 Bände, New York: Harcourt Brace Jovanovich, 1967-70.
13) Siehe World Bank, World Development Report 1990, New York: Oxford University Press, 1990, S. 238-39. Tabelle 21 gibt die nichtstädtische Bevölkerung im Jahr 1988 mit 47,3 % der Weltbevölkerung an (im Unterschied zu 59 % im World Development Report 1983), »Nichtstädtisch« wird nicht klar definiert, da sich die globalen Daten aus nationalen Statistiken mit unterschiedlichen Definitionen zusammensetzen.
14) 'Abdu'l-Bahá, Foundations of World Unity, S.41, dt. in Bahá’í-Briefe Nr. 39, S. 1048f.
15) s. Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs
16) Der Autor ist Professor Richard R. Nelson von der Columbia University (New York) für viele Ideen in diesem Abschnitt zu Dank verpflichtet.


[Seite 16]



Glen A. Eyford

Ästhetik und geistige Erziehung[Bearbeiten]

Die Wertschätzung von Kunst bzw. die ästhetische Erfahrung besitzt Merkmale, die zu einem Vergleich mit der religiösen oder geistigen Erfahrung einladen. Der Vergleich kreist um die Charakteristiken, die Kunst und Religion gemeinsam sind. Beide sind Versuche, dem Leben Form und Sinn zu geben, Ordnung in das scheinbare Chaos zu bringen, Schönheit und Harmonie in der Welt zu enthüllen. Beide erforschen das Unbekannte und erzeugen dabei neue Einsichten und Beziehungen: die Kunst entdeckt die Formen und Muster der Welt der Sinne und verbindet bis dahin nicht miteinander verknüpfte Wahrnehmungen; Religion entfaltet schrittweise die Aspekte der geistigen Realität. Beide sind Versuche, das Unendliche in endliche Formen zu fassen; beide sind im wesentlichen metaphorischer Natur, sprechen durch Symbole und Mythen sowohl die affektive, intuitive, geistige Seite unserer Natur, als auch deren rationalen und intellektuellen Aspekte an. Beide besitzen die Fähigkeit, das menschliche Bewußtsein zu erweitern, die Sicht vom menschlichen Selbst und der Welt zu verändern und die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu wandeln. Kunst wurde als die konkrete und sinnlich wahrnehmbare Manifestation einer geistigen Realität beschrieben; gleichermaßen wurde Religion als das Gewand der Menschheit bezeichnet, als der äußere, greifbarere Ausdruck dieser gleichen geistigen Realität. Susanne Langer definiert Kunst als »eine Schöpfung wahrnehmbarer Formen, die menschliches Gefühl ausdrücken« 1); Religion, in der Person eines Propheten oder einer Manifestation Gottes, beweist die geistige Wirklichkeit des menschlichen Wesens. Kunst kann als Erzieher der menschlichen Fähigkeiten und Sinne gesehen werden, während Religion das Mittel zur geistigen Entwicklung ist.

In der gesamten Menschheitsgeschichte waren Kunst und Religion eng miteinander verbunden, beeinflußten sich gegenseitig in dem gemeinsamen Ziel der Aufklärung des Menschen. Die Kunstwerke großer Kulturen haben ihren jeweiligen Stil und Ausdruck den dominierenden religiösen Ideen ihrer Zeit entnommen. Toynbee hat gezeigt, daß die Kunst und Kultur von Ägypten, Rom, China und Indien durch die Vitalität ihres religiösen Glaubens genährt und gestaltet wurden. Die Künstler reagierten auf diese geistigen Einsichten und Ideale und gaben ihnen durch Architektur, Malerei, Bildhauerei, Literatur und Schauspiel konkrete Formen. Durch das Anregen von Gefühlen des Erstaunens und der Bewunderung erinnern Kunst und Religion, ob sie nun unabhängig voneinander oder [Seite 17] gemeinsam wirken, den Menschen an seine nichtmaterielle Natur und fordern ihn auf, neue Dimensionen des Seins zu erforschen und sein geistiges und ästhetisches Potential zu entwickeln. Religion stellt die grundlegenden Metaphern zur Verfügung, die umfassende Umorientierung, die größere Vision, in der die Kunst gedeiht, so daß sie ihre eigenen Symbole, Bilder und Einsichten schafft, mit der umfassende Wahrheiten hervorgehoben und interpretiert werden.

Die zwischen Kunst und Religion existierenden Ähnlichkeiten, ihre Verflechtung in der Menschheitsgeschichte und ihre grundlegend metaphorische Natur ließe den Schluß zu, daß jede Untersuchung der ästhetischen Erfahrung, besonders die durch letztere bewirkte Art des Lernens, zum Verständnis geistiger Erziehung beiträgt. Aus diesem Grunde möchte ich die folgenden Fragen aufwerfen: Welche Art des Lernens bewirkt eine ästhetische Erfahrung? Was wird vermittelt? An welchen Teil der menschlichen Natur richtet sich Kunst? Wie wirkt Kunst auf den Wahrnehmenden? Oder, allgemeiner gesagt, wie kann der Einfluß von Kunst auf die Gesellschaft und auf den einzelnen erklärt werden?

Eine Diskussion dieser Fragen führt zwangsläufig zu einer Betrachtung der gegenwärtigen Rolle der Kunst. Kunst und Religion nehmen in der gegenwärtigen Gesellschaft nur einen peripheren Stellenwert ein. Dies Könnte dem Auftrieb des Materialismus zugeschrieben werden, der in der Wissenschaft vorhandenen Überbetonung des in Zahlen Faßbaren, der Vernachlässigung der intuitiven, affektiven, geistigen Seite der menschlichen Natur im Westen. Was auch immer der Grund oder die Gründe sein mögen, jegliche Einschätzung des Einflusses von Kunst und Religion muß die Anerkennung ihrer historischen Bedeutung beinhalten und, im besonderen, eine neu gewonnene Wertschätzung der Art des Lernens, die der intuitiven, emotionalen und phantasiebegabten Seite der menschlichen Natur zu eigen ist. Wie sich herausstellen wird, haben Philosophen und Künstler beständig verkündet, daß die Beschäftigung mit den Künsten ein wesentlicher Bestandteil der ausgeglichenen Entwicklung der Gesellschaft und des einzelnen ist. In der Tat mag die Feststellung überraschen, daß die meisten Schriftsteller, Maler, Bildhauer und Komponisten ihre Arbeit als eine mächtige Kraft zur Entwicklung von Sensibilität, Veränderung der Wahrnehmung und Stimulierung des Bewußtseins sehen; mit anderen Worten, sie sehen sie als ein Mittel zur Erziehung.


▪ Die Kunst und der Bahá’í-Glaube

Obwohl es noch verfrüht wäre, von Bahá’í-Kunst zu sprechen, so sollte man bereits über die Rolle der Kunst in einer Bahá’í-Gesellschaft nachdenken. Den Künsten ist in den Bahá’í-Schriften ein Ehrenplatz zugewiesen, und es gibt häufige Hinweise auf ihre Bedeutung. Zusammen mit den Wissenschaften, Philosophie, Industrie und Technologie werden die Künste als »Ausstrahlungen des menschlichen Verstandes«2) betrachtet. 'Abdu'l-Bahá beschreibt alle großen Werke der Kunst und Wissenschaft als Beweis für die Kraft des Heiligen Geistes und als ein Geschenk dieses Geistes. Er weist auf folgendes hin:

»... Bahá’u’lláh... hat in dieser herrlichen Zeit in heiligen Sendschreiben kundgetan, daß Gesang und Musik geistige Nahrung für Herz und Seele sind.«3)

Bahá’u’lláh bezeichnet die Künste als ein natürliches und zwangsläufiges Resultat der Ausgießung geistiger Energie durch eine Manifestation Gottes:

»Jedes Wort, das aus dem Munde Gottes hervorgeht, ist mit solcher Kraft versehen, daß es jeder menschlichen Gestalt neues Leben einflößen kann — gehörtet ihr doch zu denen, die diese Wahrheit begreifen! Alle wunderbaren Werke, die ihr in dieser Welt seht, sind durch das Wirken Seines höchsten, erhabensten Willens, Seines wunderbaren, unerschütterlichen Planes offenbart worden. Allein die Enthüllung des Wortes »Gestalter«, das von Seinen Lippen kommt und der Menschheit Seine Eigenschaft verkündet, hat eine Kraft entfesselt, die durch Zeitalter hindurch all die mannigfaltigen Künste hervorrufen kann, welche die Hand des Menschen auszuüben vermag. Dies ist wahrlich eine unumstößliche Wahrheit. Kaum war dieses strahlende Wort geäußert, da brachten seine belebenden, in allem Erschaffenen wirkenden Kräfte die Mittel und Werkzeuge hervor, durch die solche Künste entstehen und vervollkommnet werden können. Alle wunderbaren Errungenschaften, die ihr jetzt seht, sind die unmittelbaren Auswirkungen der Offenbarung dieses Namens.« 4)

Gott wird als der alles überragende Künstler dargestellt, als »Gestalter«, der nicht nur die Welt der Natur schuf, sondern durch Sein Wort oder Seine Offenbarung die Kraft und die Energie für alle Werke des Menschen bereitstellt. Das Wort ist Wahrheit oder Realität; und der Mensch gedeiht oder verdirbt mit all seinen Taten in dem Maße, wie er diese Wahrheit erfaßt.

Die Unendlichkeit und das Mysterium Gottes finden Ausdruck und greifbare Gestalt in Seinen Propheten und Boten, die alles offenbaren, [Seite 18] was der Mensch für seine Weiterentwicklung benötigt:

»Das Licht, das diese Seelen ausstrahlen, bewirkt den Fortschritt der Welt und den Aufstieg ihrer Völker. Sie sind wie der Sauerteig, der die Welt des Seins durchdringt, und bilden die Lebenskraft, welche die Künste und Wunder der Welt zustande bringt. Durch sie regnen die Wolken ihre Segensgaben auf die Menschen nieder, bringt die Erde ihre Früchte hervor. Alle Dinge haben zwangsläufig eine Ursache, eine treibende Kraft, einen belebenden Grund. Diese Seelen, Sinnbilder der Loslösung, haben der Welt des Daseins den höchsten belebenden Antrieb gegeben und werden ihn auch weiterhin geben.«5)

Wahre Zivilisation und die von ihr hervorgebrachte Kultur finden ihren Ursprung, ihre antreibende Kraft, ihr belebendes Prinzip im Wort Gottes für diesen Tag. Die Verirrungen und Perversionen der Kunst können nur korrigiert werden, wenn sich der Künstler der wahren Quelle der Inspiration und Führung zuwendet.


▪ Philosophie und Kunst


Der Einfluß der Künste auf Verstand, Seele und Herz des Menschen und auf die Gesellschaft im allgemeinen ist seit langem Gegenstand philosophischer Spekulation. Plato zum Beispiel ermutigt die Jugend, »schöne Formen zu untersuchen; zuerst sollten sie unter richtiger Anleitung eines Lehrers nur eine solche Form lieben und von dort ausgehend reine Gedanken entwickeln; und bald wird man von selbst feststellen, daß Schönheit in der einen Form mit der in einer anderen verwandt ist; und wenn dann die Suche der Schönheit der Form im allgemeinen gilt, wie töricht wäre es, nicht zu erkennen, daß Schönheit in jeder Form ein und dieselbe ist!« 6)

Nach Plato haben Künstler eine große Verantwortung, die Menschen zu edlen Gedanken und noblen Absichten zu führen:

»Wir würden nicht wollen, daß unsere Wächter mit Bildern der unmoralischen Häßlichkeit aufwachsen, als ob sie auf verdorbenen Weiden grasen und sich tagtäglich von vielen giftigen Pflanzen und Kräutern ernährten, sodaß sie nach und nach eine verfaulende Masse des Zerfalls in ihrer Seele anhäuften. Laßt unsere Künstler stattdessen mit der Gabe ausgestattet werden, die wahre Natur des Schönen und Anmutigen zu erkennen; dann wird unsere Jugend in einem gesunden Land leben, umgeben von angenehmen Erscheinungen und Klängen, und aus allem das Gute erhalten; und Schönheit, die Ausgießung gefälliger Werke, wird auf Auge und Ohr einströmen wie eine heilende Brise aus reineren Gefilden und die Seele unmerklich von frühestem Alter an hinleiten zu Verwandschaft und Sympathie mit der Schönheit der Vernunft.«7)

Mit besonderem Hinweis auf die Auswirkungen der Musik sagt Plato:

»Musikalische Erziehung ist ein mächtigeres Instrument als alle anderen, weil Rhythmus und Harmonie ihren Weg in das Innere der Seele finden, wo sie sich festsetzen, Grazie verleihen, und so der Seele des recht Erzogenen Anmut oder dem Ungebildeten Plumpheit geben ...« 8)

Platos Aussagen über die Auswirkungen der ästhetischen Erfahrung auf das Verhalten und den Charakter sind kaum übertroffen worden, und sie bleiben der zentrale Lehrsatz in den Schriften der zeitgenössischen Ästhetiker wie Sir Herbert Read, für den die ästhetische Erziehung die Hauptdisziplin in der Entwicklung des menschlichen Wesens ist. Plato glaubte, daß die Konfrontation mit Schönheit, Harmonie und Anmut im Wahrnehmenden nicht nur ähnliche Qualitäten nährt, sondern auch ein Verlangen nach solchen Qualitäten in allen Lebensbereichen weckt. Tatsächlich würde er nobel und gut, »ohne den Grund erkennen zu können«, so mächtig wäre der durchdringende Einfluß der ihn umgebenden Schönheit.

Aristoteles’ Ansichten über die Kunst können am besten als Ausführung und Erweiterung der Sätze seines Lehrmeisters über die gleichen Themengebiete verstanden werden. Wie Plato interessierte er sich speziell für die Auswirkungen der Kunst — besonders der Poesie, des Dramas und der Musik — auf den Wahrnehmenden; und, wie Plato, beschrieb er die Erscheinungsformen dieser Wirkungen: erstens die didaktische, unterweisende Art, die normalerweise auf ethische, religiöse oder moralische Ziele ausgerichtet ist, zweitens die ästhetische Art, bei welcher die Wichtigkeit oder die Wirkung durch die Struktur, Form oder den Grundcharakter des Werkes selbst hervorgerufen wird, und nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit einer außerhalb des Werkes angesiedelten Botschaft steht. Mit besonderem Hinweis auf die Musik sagt Aristoteles, sie sollte »mit Blick auf 1) Erziehung, 2) Läuterung, 3) intellektuellen Genuß, Entspannung und Erneuerung nach Verausgabung«9) studiert werden. Musik — und Kunst im allgemeinen — hatte für Plato praktischen Wert. Die besondere Überzeugungskraft der Künste entspringt ihrer Fähigkeit, die Natur nachzuahmen, allerdings nicht im Sinne reiner Duplikation, [Seite 19] sondern im Sinne der Imitation als Versuch, der menschlichen Auffassungsgabe entsprechend das eigentliche Wesen der Dinge und nicht nur ihre äußere Form widerzuspiegeln und neu zu schaffen. Mit anderen Worten kann Kunst die sichtbare Wirklichkeit verbessern, ihre Essenz zur besseren Wertschätzung durch den Betrachter in konkrete und sinnlich wahrnehmbare Form kristallisieren. Solch wahre Imitation verbindet den Menschen durch die Verwendung des natürlichen Strebens nach Harmonie, Einheit, Rhythmus und Schönheit mit der Ordnung des Universums. Wie Plato glaubte auch Aristoteles, daß der Mensch das Wahre, Gute und Schöne sucht und auch erkennt, jedoch nicht ohne kompetente Anleitung.

Plotinus, ein Anhänger Platos, hat eine erstaunlich moderne Auffassung der Selbstverbesserung durch die Künste:

»Ziehe Dich in Dich selbst zurück und siehe. Wenn Du Dich noch nicht schön findest, so verhalte Dich wie der Bildhauer einer schönen Statue: er schneidet hier ein wenig, glättet dort, macht diese Kontur sanfter, jene reiner, bis aus seiner Arbeit ein liebliches Gesicht geworden ist. So solltest Du auch vorgehen; entferne alles Überflüssige, begradige alles Ungerade, bringe Licht an alles Verborgene, arbeite daran, alles zu leuchtender Schönheit zu machen, und lasse nie ab, Deine Skulptur zu bearbeiten, bis aus Dir die gottgleiche Herrlichkeit der Tugend leuchtet, bis Du in dem makellosen Tempel die vollkommene Güte sehen wirst.

Wenn Du weißt, daß Du dieses vollkommene Werk geworden bist, wenn Du Dich in der Reinheit Deines Wesens sammelst, wenn nichts mehr bleibt, das die innere Einheit zerstören kann, nichts mehr von außen am wahren Menschen haftet, wenn Du Dich eins findest mit Deiner wahren Natur, eins mit diesem einzigen wahrhaftigen Licht, das nicht durch das Räumliche gemessen werden kann, das von keiner umschriebenen Form eingeengt wird und doch nicht formlos ist, sondern auf ewig jedes Maß und jede Eigenschaft übertrifft — wenn Du erkennst, daß Du dies erreicht hast, so bist Du dem Wunschbild gleich; dann fasse all Deinen Mut und tue noch einen Schritt — weiterer Führung bedarfst Du nicht mehr — eine Anstrengung noch, und siehe.« 10)

Der Mensch muß an sich arbeiten, als wäre er selbst ein Kunstwerk. Seine Werte und Kriterien werden eine Mischung aus Ästhetik und Moral, während er versucht, Schönheit, Reinheit, Tugend, Güte, Einheit, Glaubwürdigkeit und Wahrheit zu erreichen. Nach Croce gibt uns die Kunst das Wissen über dieses besondere Reich, das das Geistige, das Ästhetische, das Ideale genannt wird. Kunst ist keine Form der Geschichte, der Wissenschaft, der Philosophie oder der Mathematik, sondern wird am besten durch den Begriff »Intuition« charakterisiert. Kunst kann die Seele des Menschen beleben und ihm beim Nachsinnen über die Unendlichkeit, das Universelle und das absolute Ideal helfen; durch Kunst kann der Mensch die Grenzen des alltäglichen Lebens überschreiten und sich der elementaren geistigen Realität nähern. Croce versichert, daß Kunst »den Weg bereitet und den Geist zum Idealismus oder zu absoluter Geistigkeit führt«. Durch ihre eigene Einheit, Lebenskraft, Harmonie — in einem Wort, ihre Geistigkeit — führt Kunst den Menschen zur Wertschätzung der grundlegenden Einheit allen Lebens, einer einzigen Wirklichkeit, die andere Kräfte in Kategorien aufzubrechen versuchen, und einer Einheit, die andere Wissensgebiete notwendigerweise bruchstückhaft behandeln können. Die Kunst geht anders mit Leben um, so daß die letztendliche Wirkung einer ästhetischen Erfahrung eine Bereicherung und Erhöhung ist, die den Menschen dazu veranlaßt, ästhetische Elemente in allen Lebensbereichen zu suchen. Schließlich wird Kunst »das Leben stärker zu einer gesünderen und tieferen Moral hinleiten...«12) Wie Plotinus, Aristoteles und Plato sieht auch Croce die Kunst als einen Aspekt des Idealen und als ein Mittel zur moralischen Entwicklung.

Croce bietet ein Beispiel zur Veranschaulichung der Kraft der [Seite 20] Kunst in der Entwicklung der Gefühle. Man stelle sich eine Gruppe von Männern und Jugendlichen vor, die sich voller Mißtrauen und Vorurteilen gegenseitig anfeinden:

»Plötzlich öffnet jemand einen Gedichtband und beginnt vorzulesen: während die Musik dahinfließt, während Bilder vor den Augen auftauchen, bewegt sich etwas Geheimnisvolles in ihren Herzen, dem sich ihre Seelen zuneigen, ihr Vorstellungsvermögen erwacht. Sie folgen dem ausdrucksvollen Rhythmus im musikalischen Thema, in dessen Modulationen, in seiner letztendlichen Harmonie; und in diesen Modulationen, in dieser Harmonie, beginnen sie mit Verwunderung und Emotion sich an etwas in sich selbst zu erinnern, das eingeschlafen war, kalt oder begraben — ihre gemeinsame Menschlichkeit. Können sie sich nach dieser Entdeckung noch so betrachten wie zuvor? Können sie sich noch länger als völlig verschieden, als Todfeinde sehen, wenn ein Band zwischen ihnen geknüpft wurde, wenn alle diesen kurzen Einblick in die Welt der Schönheit erlebt und gelernt haben, daß sie in jener Welt Brüder sind?«13)

Dewey würde die ästhetische Erfahrung in den Mittelpunkt jedes Erziehungssystems stellen, das zum Ziel hat, die im Menschen angelegten Fähigkeiten zum Besten zu entwickeln. Er führt Beispiele älterer und primitiver Gesellschaften an, die durch gemeinschaftliche Kunst zusammengehalten wurden. Tanz, Musik, Erzählungen, Poesie und Malerei waren auf das engste mit dem täglichen Leben und den Erfahrungen einer primitiven Gesellschaft verknüpft.

Aufgrund der besonderen Fähigkeit der Kunst, zu kommunizieren und den Betrachter in einen Vorgang einzubeziehen, ist sie ein besonders effektiver Lehrer: »Die Zivilisation ist ungeschliffen, weil sie die Menschen in Sekten, Rassen, Nationen, Klassen und Gruppen unterteilt, die nicht miteinander kommunizieren.«14) Daher dient die Kunst einem höheren Zweck und sollte kein Selbstzweck sein.

Kunst spricht nicht von Engagement und Kommunikation, sondern erzeugt sie. Sie steht über unbedeutenden Gegensätzen und Vorurteilen und lädt zur Teilnahme »an der Kunst des Lebens« ein. Sie zivilisiert, weil sie den Menschen an seine höhere Natur erinnert, die der gesamten Menschheit zu eigen ist.

Wenn Dewey die besondere Natur der kommunikativen Funktion der Kunst diskutiert, identifiziert er diese Funktion mit einer besonderen Lehrmethode, die sich durchaus von dem üblichen Verständnis von Erziehung unterscheidet. Er beklagt die mangelnde Anerkennung des Lernens durch ästhetische Erfahrung und ist der Meinung, daß dieses Vorurteil an der Wurzel der landläufigen Fehleinschätzung der Natur des Lernens steht:

»Es ist die Kommunikation, durch die Kunst zu einer unvergleichlichen Lehrmethode wird, aber das Mittel ist so weit entfernt von dem, was normalerweise mit der Idee der Erziehung verbunden wird; es ist eine Methode, die Kunst weit über das erhebt, was wir sonst mit Unterricht assoziieren, so daß wir vor jedem Modell zurückschrecken, das Lehren und Lernen mit Kunst in Verbindung bringt. Aber unsere Auflehnung spiegelt die Tatsache wider, daß unsere Erziehung durch Methoden erfolgt, die so nüchtern sind, daß sie jede Phantasie ausschließen und die Wünsche und Gefühle der Menschen nicht berühren.«15)

Nach Dewey klammern zeitgenössische Ansätze der Erziehung die Vorstellungskraft und die Empfindungen des Menschen aus und vernachlässigen dadurch die Lebendigkeit einer grundlegenden menschlichen Fähigkeit. Vorstellungskraft sollte vielmehr als ein Instrument des moralisch Guten gesehen werden, der Mensch durch den Appell an seine Phantasie zu schönen, edlen, anerkennenswerten Taten inspiriert werden, anstatt ausschließlich seine Vernunft anzusprechen: [Seite 21] »Grenzen lösen sich auf, einschränkende Vorurteile schmelzen dahin, wenn wir in den Geist der Kunst der Schwarzen oder Polynesier eindringen. Dieses unmerkliche Schmelzen ist viel wirksamer als die Veränderung, die die Vernunft bewirkt, da es die Einstellung unmittelbar beeinflußt.«16) Diese spezielle Art von Wissen, diese universale Form der Sprache verbindet Menschen durch ästhetische anstatt durch intellektuelle Mittel.


▪ Künstler über Kunst

Auch Künstler haben sich zur Rolle der Kunst bei der Formung des Menschen und der Gesellschaft zu Wort gemeldet. Es scheint, als wären ihre Äußerungen im großen und ganzen von Erziehungswissenschaftlern und der Gesellschaft im allgemeinen ignoriert worden. Jedoch haben die Künstler — wie die Philosophen — über einen längeren Zeitraum in der abendländischen Geschichte durch die einzigartigen Eigenschaften der ästhetischen Erfahrung wiederholt unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen und an die Gesellschaft appelliert, solchen Erfahrungen eine zentralere Bedeutung in der Entwicklung der Menschen einzuräumen. Wie die Philosophen wiederum sind diese Künstler und ihre Äußerungen zu zahlreich, um sie hier aufzuzählen, aber einige sollen genügen, um den Geist und die Absicht ihrer Aussagen zu verdeutlichen.

So glaubte Shelley, daß wenn Kunst irgendeine Veränderung hervorrufen könnte oder irgendwelche neuen Einsichten oder Erkenntnisse brächte, dies indirekt geschehen müsse und nicht durch Behauptungen oder Aussagen, sondern durch die Schaffung von etwas, das des Menschen emotional-ästhetische Fähigkeiten oder seine Vorstellungskraft anspricht. Das bedeutet nicht, daß Kunst verspielt und von den Bedürfnissen des Menschen und der Gesellschaft losgelöst ist. Im Gegenteil: Es bedeutet, daß Kunst das Herz der menschlichen Empfindungen berührt und höheres moralisches Verhalten anregt. Lyrik wirkt — anders als Vernunft, die durch Analyse fortschreitet — durch »das Prinzip der Synthese und hat die Formen zum Ziel, die der universellen Natur und der Existenz selbst zu eigen sind.«17)

Shelleys leidenschaftliche Bemerkungen stellen eine Überzeugung dar, die charakteristisch für viele Künstler ist, seien sie Maler, Schriftsteller oder Komponisten. Lyrik appelliert an die geistige Natur des Menschen, spricht die eigentliche Wurzel seines Seins an und kann dadurch einen nachhaltigen Einfluß auf seine Wahrnehmung der Wirklichkeit ausüben. Sie bewirkt nicht weniger als die moralische Vervollkommnung der Menschheit:

»Das große Instrument des moralisch Guten ist die Vorstellungskraft; und die Lyrik erzielt ihre Wirkung durch das Hinwirken auf die Ursache. Dichtung erweitert den Horizont der Vorstellungskraft durch immer neue Gedanken sich erneuernder Freude, die die Kraft besitzen, alle anderen Gedanken an sich zu ziehen und sich ähnlich zu machen, und die neue Intervalle und Zwischenräume schaffen, deren Leere nach immer neuer Nahrung verlangt. Lyrik stärkt die Fähigkeit des Menschen, die das Organ der moralischen Natur des Menschen ist, auf die gleiche Weise, wie Sporttraining die Gliedmaßen stärkt.«18)

Des Dichters Verteidigung seiner Kunst führt ihn dazu, weitreichende Ansprüche für die Lyrik und ihre Rolle in der Gesellschaft geltend zu machen. Mögen seine Aussagen auch als extravagant angesehen werden, so gewinnen sie ihre Stärke sowohl aus seiner Analyse des Wesens der Kunst, als auch durch seinen eigenen Enthusiasmus. Der Dichter will die Menschheit dadurch in die Zukunft führen, daß er den Hoffnungen und Visionen Ausdruck gibt, die oftmals von den meisten Menschen [Seite 22] nur mangelhaft ausgedrückt und kaum verstanden werden. Poeten dienen als Ausleger und als Propheten, indem sie den Gefühlen und Gedanken, die von anderen nur vage wahrgenommen werden, eine definitive Form geben. Sie liefern die Bilder, mit denen der Mensch in die Zukunft schreitet:

»Dichter sind die Hohepriester einer unverstandenen Inspiration; die Spiegel der gigantischen Schatten, die die Zukunft auf die Gegenwart wirft; die Worte, die ausdrücken, was sie nicht verstehen; Posaunen, die von der Schlacht künden und nicht fühlen, zu was sie anstacheln; der Einfluß, der nicht bewegt wird, aber bewegt; Dichter sind die nicht anerkannten Gesetzgeber der Welt.«19)

Tolstoi erkannte, wie Plato, die Kraft der Künste als Einfluß auf Charakter und Verhalten; und, wie Plato, war er dem gegenwärtigen Zustand der Kunst gegenüber recht kritisch eingestellt, der, wie er argumentierte, die niederen Instinkte ansprach, die Sinnlichkeit verherrlichte, einen engstirnigen Patriotismus, Heldenverehrung und abergläubische Ängste unterstützte. Der Grund dafür war, daß Kunst selbstgenügsam war und für keine moralischen Ideale stand. Vergnügen war das Ziel sowohl der Kunst, als auch des zeitgenössischen Lebens. Nach Tolstoi sollte Kunst einem neuen religiösen Erwachen dienen, das damals nur schwach wahrgenommen wurde. Tolstoi glaubte, daß sich die Menschheit am besten und ehesten durch die Führung der Religion fortentwickelte und daß eine neue Religion, basierend auf der Sohnschaft des Menschen im Hinblick auf Gott und der Brüderschaft der Menschen, entstand. Die Rolle der Kunst war dann, diese Ideale in Gefühle und unmittelbare Erfahrung umzusetzen: »Die Aufgabe, die Kunst zu erfüllen hat, besteht darin, dieses Gefühl der Brüderschaft und Liebe zum Nächsten, das zur Zeit nur die besten Mitglieder der Gesellschaft erreichen, zu einem allgemeinen Gefühl und zum natürlichen Verlangen aller Menschen zu machen.«20) Kunst kann vage Gefühle und unvollkommenen Glauben in klare Wahrnehmung verwandeln. Aber Kunst muß einem hehren Ideal dienen; andernfalls versinkt sie in Effekthascherei, frönt nur noch modischen Launen und verstärkt den allzu offensichtlichen Hang zur Selbstgefälligkeit. Für Tolstoi »ist ein wahres Kunstwerk die Offenbarung (deren Gesetze jenseits unseres Fassungsvermögens sind) einer neuen Auffassung des Lebens, der Seele des Künstlers entsteigend, die, wenn sie Ausdruck findet, den Pfad erleuchtet, auf dem die Menschheit fortschreitet.«21)

Die Gedanken von Shelley und Tolstoi zur Rolle der Kunst werden von vielen anderen Literaten geteilt: Wordsworth, Coleridge, Browning, Carlyle, Pound, Joyce, Eliot. Künstler wie Delacroix, Whistler, Mondrian, Kandinsky, Klee und Picasso äußern dieselbe Anschauung über die Natur und die Wirkkraft der Kunst. Wenn die Aussagen von Künstlern mit den Gedanken der Philosophen über die gleichen Themen verknüpft werden, Kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß etwas von lebenswichtiger Bedeutung gesagt wird. Die Art, in der die Gesellschaft auf perverse Weise diese schlüssigen, ausdrucksstarken und leidenschaftlichen Aussagen über das Wesen der Kunst und ihrer Beziehung zur menschlichen Entwicklung ignoriert hat, ist erstaunlich. In der Tat, wenn Kunst die Hälfte dessen hält, was die Kunstschaffenden und -verfechter versprechen, dann verdient sie unsere ernsthafteste Aufmerksamkeit.

Die Ansicht, daß der Kunst eine Rolle im geistigen Erwachen der Menschheit zukommt, findet sich in Bemerkungen Shoghi Effendis anläßlich einer Theateraufführung, in der Aspekte des Bahá’í-Glaubens dargestellt wurden:

»Durch solche Darbietungen können wir das Interesse der größten Anzahl von Menschen am Geiste der Sache erwecken. Die Sache wird sich dann wie ein Lauffeuer verbreiten, wenn ihr Geist und ihre Lehren auf der Bühne oder in der Kunst und Literatur als Ganzes dargestellt werden. Kunst ist eher als kühles Rationalisieren dazu befähigt, solche edlen Empfindungen zu erwecken, besonders in der Masse der Menschheit.

Wir müssen nur ein paar Jahre warten um zu sehen, wie der von Bahá’u’lláh verbreitete Geist in den Werken von Künstlern Ausdruck finden wird. Was Sie und einige andere Bahá’í versuchen, sind nur schwache Lichtstrahlen, die das überfließende Licht eines herrlichen Morgens ankündigen. Wir können jetzt noch nicht die der Sache zugedachte Rolle im gesellschaftlichen Leben abschätzen. Wir müssen dieser Entwicklung Zeit lassen. Das vom Geist zu formende Material ist zu grob und zu unwürdig, aber es wird schließlich nachgeben, wenn sich die Sache Bahá’u’lláhs in ihrem vollen Glanz offenbaren wird.«22)

Shoghi Effendi hat die Kraft der Kunst zur Belebung der Menschenseelen aufgezeigt und ihr einen Platz bei der Darstellung des Geistes des Glaubens zugewiesen. Nach und nach wird dieser Geist über die ganze Welt verbreitet und wird die Menschen und die Gesellschaft zu den nobelsten Idealen, die im Einklang mit den von Bahá’u’lláh verkündeten Werten und Maßstäben stehen, leiten. 'Abdu'l-Bahá sprach ebenfalls von der Kunst als Mittel zur Anziehung hin zu den geistigen Wahrheiten des Glaubens, als äußerer Ausdruck einer inneren Wirklichkeit.”23)

[Seite 23] Die Aussagen von 'Abdu'l-Bahá und Shoghi Effendi und die zuvor zitierten Ausführungen von Philosophen und Künstlern betonen die Fähigkeit der Kunst, anzuziehen, zu beleben, anzuregen, zu verbinden, »Affinitäten« zu erzeugen — alles Umschreibungen, die die Form der ästhetischen Kommunikation von der »kalten Vernunft« unterscheiden. Es ist diese der Kunst eigentümliche Form der Kommunikation, um deren besseres Verständnis wir uns nun bemühen müssen.


▪ Mythos, Metapher und Symbol

Die Künste appellieren besonders an den Bereich unseres Seins, den man als ästhetisch, intuitiv, phantasiebegabt oder geistig bezeichnen kann. Obgleich sie nicht bar einer rationalen und intellektuellen Komponente sind, unterscheiden sie sich von Wissenschaft, Logik und Philosophie durch eine besondere Art der Kommunikation. Wenn es wahr ist, daß die Künste Reaktionen im Herzen, der Seele und im Geist des Menschen hervorrufen, so erscheint es wichtig herauszufinden, wie dies geschieht.

Daß Kunst ein effektives Kommunikationsmittel ist, Kann nicht dem besonderen Einfluß oder der Eigenart der in einem Kunstwerk verwendeten Konzepte zugeschrieben werden. Ein großartiges Gemälde, ein großartiges Gedicht und ein großartiger Roman erzeugen wenig Spannung, wenn sie auf ihren »Handlungsfaden« reduziert werden. Tatsächlich ist es zwecklos zu versuchen, ein großes Kunstwerk zu paraphrasieren. Statt dessen sollte man es unvoreingenommen auf sich wirken lassen und sich auf alle seine Bestandteile einlassen. Picassos Guernica mag ausdrücken, daß Krieg die Hölle ist; Brownings Der Ring und das Buch sagt uns vielleicht, daß Menschen verschieden sind und deshalb die Dinge anders sehen; T.S. Eliots Gedicht The Wasteland drückt vielleicht aus, daß geistige Verödung die heutige Gesellschaft charakterisiert. Wollte ein Künstler einfach nur eine Idee vermitteln, hätte er sich kaum mit seinem besonderen Medium abgegeben. Statt dessen hätte er »Klartext« geschrieben. Kunst muß die Aufmerksamkeit und die Vorstellungskraft des Betrachters wecken, damit er den durch den Künstler begonnenen Prozeß der Kommunikation fortführt und beendet. Seine Auseinandersetzung mit den Elementen eines Kunstwerks ist unerläßlich, wenn er dessen volle Bedeutung erfassen will. Die Art der Kommunikation ist genau so wichtig wie das, was vermittelt werden soll; in der Tat macht die völlige Integration einer Aussage mit der Form ihrer Darstellung die Größe eines Kunstwerks aus. Wir irren uns, wenn wir denken, daß Kunst in erster Linie mit dem Vermitteln von Ideen, Vorstellungen, Behauptungen oder einzelnen Wahrheiten befaßt ist. Die alte Diskussion über die relative Wichtigkeit von Form im Gegensatz zum Inhalt wurde mehr oder weniger durch die Erkenntnis gelöst, daß sie voneinander abhängen und nicht trennbar sind, daß das Auszudrückende ein pulsierendes und vitales Wesen ist, das hauptsächlich jenseits von Logik und Vernunft im Bereich der ästhetischen Empfindsamkeit wirkt.

Kunst gehört zu den eindrucksvollsten Beweisen für die metaphorische Natur der Wirklichkeit. Wie Wissenschaft, Philosophie und Mathematik benutzt Kunst ihre speziellen Mittel, um den Menschen, wie zart auch immer, mit dem Idealen, mit dem Absoluten zu verbinden. Kunst ist ein Versuch, das Unendliche in endliche Formen zu fassen, ein Versuch, der letzten Endes immer scheitern muß, der aber, so er inspiriert und geführt ist, diesem Ziel nahe kommen kann. Kunst wird aus der Erfahrung abstrahiert, und die Darbietungsform unterscheidet sich notwendigerweise von der Erfahrung, die dem Werk zugrunde liegt. Daher bemerkt Langer: »Alles, was über die Realität gesagt und vermittelt werden soll, muß aus der Realität abstrahiert werden. Der Versuch, schlicht und einfach die Realität zu vermitteln, ist sinnlos.«24) Dieser Prozeß der Abstrahierung von der Realität erfordert die Übersetzung von Erfahrung in Symbole, spezifische Metaphern und Mythen, die dem Betrachter konkrete Beispiele, Vorstellungen und »Bilder« zur Verfügung stellen, auf die er reagieren kann. Aufgrund ihrer Abhängigkeit von Mythen, Metaphern und Symbolen (oder, wie Langer sagen würde, vom »Nicht-Diskursiven«) transzendiert Kunst die Beschränkungen der Logik und Vernunft. Ein nicht-diskursives Symbol ist ein Symbol, das auf keine andere Weise dargestellt werden kann, das aber eine Fülle von Einsicht und Wirklichkeit beinhaltet. Kunst sucht nach Ganzheit und Einheit und ist kein Instrument zur Analyse und Zerteilung. Sie erreicht Veränderungen in unserer grundlegenden Orientierung gegenüber uns selbst und unserem Universum und verändert unsere Wahrnehmung anstelle unserer Ideen. Kunst wird als radikal betrachtet, da sie häufig traditionelle Sichtweisen und traditionelle Wahrheiten in Frage stellt. Sie befaßt sich mit verändertem Bewußtsein und erweiterter Erkenntnis, die es mit den Mitteln des Mythos, der Metapher und des Symbols bewirkt. Wie die Religion liefert die Kunst neue Bilder, neue Einsichten, neue Visionen, die, in dem Maße wie sie im eigenen, wahren geistigen Sein wurzeln, wirkungsvoll das eigene Bewußtsein und die eigene Erkenntnis verändern und Entwicklungsbereiche für den einzelnen und die Gesellschaft eröffnen.

Mythos, Metapher und Symbol haben die Tatsache gemeinsam, daß sie experimentell durch Einsatz und Teilnahme erfahren und [Seite 24] geschätzt werden. Sie erfordern und ermutigen zu aktivem Bemühen seitens des Betrachters, der allen Implikationen des Mythos, der Metapher oder des Symbols erlauben muß, auf sein Bewußtsein — und sein Unterbewußtsein — zu wirken. Sie sind »nicht-diskursiv«; sie können durch rationale und intellektuelle Prozesse nie völlig erfaßt werden, sondern müssen ästhetisch oder geistig verstanden werden. Diese »Mittel« der Kunst tragen durch ihre Fähigkeit, Aspekte der Wirklichkeit in harmonischen — und harmonisierenden — Formen darzubieten, dazu bei, den Menschen mit seinen Urquellen der Energie zu verbinden. Der Mensch empfand schon immer etwas, was man als »ontologischen Durst« bezeichnen könnte, so wie einen Drang nach Metaphern, was bedeutet, daß er instinktiv dieser Welt, seinen Gedanken und seinen Gefühlen Sinn geben möchte und den Wunsch hat, aus seinen Erfahrungen Bedeutung und Wert in der Form von Mythos, Metapher und Symbol abzuleiten. Die Metapher funktioniert, weil sie das grundlegende Bedürfnis des Menschen nach Identifikation mit der Welt anspricht: die Metapher schafft Verbindungen; sie macht mit dem Fremden vertraut und verfremdet das Gewohnte. Sie hilft dem Menschen in seiner Beziehung zu dem, was er um sich und in sich findet. Kunst bietet keine spezifischen Lösungen für soziale Probleme, sondern führt den Menschen zu einem Gefühl von Gleichgewicht und Perspektive zurück.

Mythos, Metapher und Symbol haben ebenfalls gemeinsam, daß sie zu einem neuen Weg zur Erkenntnis ermutigen. Abraham Maslow bezeichnet diese Form der Erkenntnis als »den primären Prozeß der Wahrnehmung«.25) Er weist darauf hin, daß der Mensch über Jahrhunderte die innere seelische und geistige Welt zugunsten der äußeren Welt des gesunden Menschenverstandes und der Sinneswahrnehmung geleugnet und sich deshalb von den tieferen Quellen der Lebenskraft abgeschnitten hat. In dieser inneren seelischen Welt findet dieser primäre Prozeß der Wahrnehmung statt; die Haltung des sogenannten gesunden Menschenverstandes, bei dem wir sinnliche Wahrnehmung, Logik und Denkprozesse benutzen, bezeichnet Maslow als »sekundäre Wahrnehmung«.26) Da der Mensch zögert, den geheimnisvollen Teil der menschlichen Natur zu betrachten, kann er sich ihn auch im täglichen Leben nicht zu Nutze machen; er tendiert dazu, ästhetische Sensibilität, Verspieltheit, poetisches Gefühl und Mystik unterzubewerten oder zu ignorieren. Er schließt daraus, daß der Mensch sich mehr mit den primären Prozessen der Wahrnehmung auseinandersetzen muß, damit sie mit den zwar notwendigen, aber überbewerteten sekundären Wahrnehmungsprozessen im Gleichgewicht sein können.

Carl Jung erläutert, daß Symbole, sei es in Träumen, in der Religion oder in der Kunst, deshalb funktionieren, weil sie das kollektive Unbewußte aktivieren, das eine Art Fundgrube nicht von speziellen Mythen oder Bildern, sondern von grundlegenden und ewigen menschlichen Hoffnungen, Erfahrungen, Ängsten und Sorgen ist. Jung nennt sie »archaische Reste«, »Archetypen« oder »Urbilder« und beschreibt sie als instinktive Trends oder Muster, die der ganzen Menschheit zu eigen sind. Symbole gewinnen zum Beispiel ihre Wirkkraft daraus, daß sie »Verwahrungsorte der angesammelten Erfahrung aus Jahrtausenden des Kampfes um Anpassung und Dasein sind.«27) Kunst taucht mit ihren verschiedenen Mythen, Metaphern, Symbolen und Bildern in diese verborgenen Quellen des menschlichen Bewußtseins ein und erweckt sie zu neuem Leben.

Vielleicht helfen diese Sichtweisen von Langer, Maslow und Jung dabei, die Aussage Bahá’u’lláhs im Kitáb-i-Iqán zu verstehen, wonach die Stifter aller großen Religionen »sinnbildliche Worte und verhaltene Andeutungen» benutzten, [Seite 25] damit »die Völker der Welt versucht und geprüft werden, so daß dadurch die Erde der reinen, erleuchteten Herzen geschieden werde von dem vergänglichen, unfruchtbaren Boden. Seit undenklichen Zeiten ist Gott in dieser Weise mit Seinen Geschöpfen verfahren, und dies bezeugen die Berichte der Heiligen Bücher.«28)

Große Teile des Kitáb-i-Iqán sind eine Neudefinition der symbolischen Begriffe des christlichen und islamischen Schrifttums: Sonne, Mond, Wolken, Leben, Wiederkunft, Auferstehung, Gericht. Wie der Dichter spricht auch der Prophet in Metaphern und Bildern, baut auf existierende Mythen auf oder schafft neue Mythen, um die Flamme des Glaubens in den Seelen derer, die empfänglich und zugänglich sind, zu entzünden. So wird die symbolische und metaphorische Sprache als Prüfstein benutzt, um die geistig Lebendigen von den geistig Toten zu unterscheiden. Nur die in Herz und Seele Reinen werden auf das Wort Gottes ansprechen. Die Seele ist das innere Zeichen Gottes, und wenn dieses innere Zeichen mit den Worten der Manifestation Gottes verbunden wird, verleiht es dem einzelnen neues Leben und neue Energie.

In einem Seiner Gebete sagt Bahá’u’lláh: »Er ruft durch Seine Zeichen die Menschen ins Leben und läßt sie sterben durch Seinen Zorn.«29) Das könnte so verstanden werden, daß dem Menschen durch das Wort Gottes Leben verliehen wird und dies speziell durch die Fähigkeit des Menschen, dieses Wort, sei es in klarer Sprache geäußert oder hinter dem Schleier des symbolischen Begriffs oder verhaltener Andeutungen verborgen, zu verstehen und darauf zu antworten. ‘Abdu’l-Bahá scheint diese Ansicht zu teilen, indem Er sagt: »Für jedes Ding hat Gott ein Zeichen und Sinnbild geschaffen, hat er Maßstäbe und Prüfsteine aufgestellt, nach denen es beurteilt werden kann.«30)

Das Geheimnis Gottes wird den Menschen im rechten Maße durch Seine Manifestationen und ihr Wort geoffenbart. Diese Worte, diese Zeichen und Symbole verbinden uns mit der Wirklichkeit des Universums und geben so unserem Leben Sinn und Ziel. Bahá’u’lláh beschreibt diesen belebenden Prozeß:

»Erst wenn die Lampe des Suchens, des ernsten Strebens, des sehnlichen Verlangens, der leidenschaftlichen Ergebung, der glühenden Liebe, der Begeisterung und Verzückung im Herzen des Suchers entzündet ist und der Hauch der Gnade Gottes über seine Seele weht, wird die Dunkelheit des Irrtums vertrieben, werden die Nebel des Zweifels und der Ängste zerstreut, und die Lichter der Erkenntnis und Gewißheit werden sein Wesen einhüllen. Zu dieser Stunde wird der mystische Herold mit der Freudenbotschaft des Geistes strahlend wie der Morgen aus der Stadt Gottes aufleuchten und mit dem Posaunenstoß der Erkenntnis Herz, Seele und Geist aus dem Schlummer der Achtlosigkeit erwecken. Dann werden die mannigfaltigen Gunstbeweise und die Gnadenströme des heiligen, ewigen Geistes dem Sucher solch neues Leben verleihen, daß er sich mit einem neuen Auge, einem neuen Ohr, einem neuen Herzen und einem neuen Gemüte beschenkt sieht. Er wird über die offenbaren Zeichen des Weltalls nachsinnen und die verborgenen Geheimnisse der Seele durchdringen. Er wird mit dem Auge Gottes schauen und in jedem Atom ein Tor erblicken, das ihn zu den Stufen völliger Gewißheit führt. In allen Dingen wird er die Geheimnisse göttlicher Offenbarung und die Beweise ewiger Verkündung entdecken.«31)

Hier vermittelt Bahá’u’lláh in überwiegend symbolischer Sprache die geheimnisvolle Dynamik geistigen Erwachens. Die Seele, die das Zeichen Gottes im Menschen ist, folgt dem Ruf des göttlichen Boten; und der Mensch, der mit der Stadt Gottes Verbindung aufnimmt, sieht sich selbst und die Welt um ihn herum in einem neuen Licht. Das Leben erhält einen neuen Sinn, und der Geist liefert beständige Nahrung für die Seele, den Verstand und den Körper des Menschen. Dieser Prozeß der Erleuchtung wird hauptsächlich durch die Symbole, Metaphern und Mythen erleichtert, die im lebenspendenden Wort Gottes verborgen liegen; Schleier der Unwissenheit werden zerrissen, und neue Wahrnehmungen strömen auf das Bewußtsein ein; die Erkenntnis kommt unvermittelt und verlangt die vollständige Aufmerksamkeit des einzelnen. Damit ähnelt das Begreifen religiöser Wahrheit der Wertschätzung der Kunst; mehr affektiv als intellektuell, vollständig und unvermittelt statt teilweise und stufenweise, durch Wahrnehmung statt durch Ideen bestimmt, anhand konkreter Erfahrung statt theoretisch und abstrakt.


▪ Zwei Ansätze zu ästhetischem Lernen


I. Anwendung bestimmter ästhetischer Prinzipien.

In dem Maße wie geistiges Lernen und ästhetisches Lernen den gleichen Bereich der menschlichen Entwicklung betreffen, so benutzen sie auch ähnliche Prinzipien und Praktiken zum erfolgreichen ästhetischen, geistigen, intuitiven und imaginativen Wissenserwerbs im Gegensatz zu kognitivem, rationellem und intellektuellem Wissenserwerb. [Seite 26] Die Kunst spricht primär den affektiven und nicht den kognitiven Bereich an; den primären Prozeß der Wahrnehmung statt des sekundären Prozesses der Wahrnehmung; die Gefühle; die Intuition; die Sinne und nicht die Denkprozesse; die feminine und nicht die maskuline Seite der eigenen Natur; die rechte statt der linken Hirnhälfte. Würde man die Eigenheiten dieser besonderen Art des Lernens, dieser besonderen Erkenntnismethode besser verstehen, so könnte man sie vielleicht öfter herbeiführen; werden diese Charakteristika, Elemente, Prozesse und Bestandteile entdeckt, können sie unmittelbarer bei ähnlichen Lernerfahrungen angewendet werden. Die folgenden Elemente müssen vorliegen, damit ästhetisches Lernen auftreten kann, oder — anders ausgedrückt — damit eine Erfahrung als ästhetisch bezeichnet werden kann.

1. Soll ein Lerneffekt stattfinden, muß er für sich selbst beurteilt und geschätzt werden; er muß erfahren werden, während er Konflikte löst und Integration und Harmonie schafft.
2. Lernen muß umfassend, zusammenhängend und vollständig sein und ein Gefühl für Form, Einheit, Verbundenheit und Beziehung vermitteln. In einem guten Kunstwerk wird eine Gesamtaussage gemacht und nicht nur eine bestimmte Moral oder ein Lehrsatz ausgedrückt. Idealerweise sollte ein Kunstwerk als Offenbarung erfahren werden, als überwältigende Einsicht, als völlig wahr, ganz und korrekt für den Moment, als ein Stück der Ewigkeit.
3. Der Lernprozeß muß Mythos, Metapher und Symbol benutzen, damit geistig bedeutsame Kommunikation stattfinden kann.
4.Um ein Kunstwerk zu erfahren, muß der Lernende aktiv beteiligt sein, denn seine Teilnahme ist zur Vervollständigung des durch den Künstler-Lehrer begonnenen oder geplanten Prozesses unerläßlich. Weiterhin muß die Erfahrung Raum für einen Wachstumsprozeß und persönliche Entwicklung geben und darf nicht nur Informationen und Wissen zur Nachahmung oder Kopie vermitteln. Außerdem muß die Erfahrung dem Lernenden ermöglichen, sich kreativ auszudrücken, und ihn in einen Prozeß der Entdeckung statt der Unterweisung verwickeln.
5. Der Lernprozeß muß die Qualität der Lernerfahrung des Lernenden verbessern, sein Leben bereichern und einen Eindruck des über dem Rationalen Liegenden, des Geistigen, des Mysteriösen — mit einem Wort, des Heiligen — erzeugen. Lernen muß dann den Lernenden dazu inspirieren, die Erfahrung zu wiederholen, erneut das Geheimnis, die Freude, die Aufregung und die Ehrfurcht zu genießen. Lernen muß wie das Erleben eines Höhepunktes erlebt werden, den man nochmals zu erlangen strebt.
6. Die Lernerfahrung soll eher sinnliche Wahrnehmung als Ideen vermitteln und intuitive Bewußtheit stimulieren, anstatt logische Konstrukte zu entwickeln. Sie muß in erster Linie das Vorstellungsvermögen ansprechen, die Gefühle, die Intuition, den primären Prozeß der Wahrnehmung.
7. Lernen durch die Künste muß die Erzeugung von Energie und Vitalität zur Folge haben, nicht ihre Erschöpfung. Sie muß der Grund für die Ausrichtung der Energien sein, der Steigerung der Fähigkeiten, der Stärkung der Wahrnehmung und für ein allgemeines Gefühl des Wohlergehens.

Man kann an diesem Punkt anmerken, daß es andere Wege zur Erkenntnis gibt, nämlich rationale Wege, wie sie in der Mathematik oder in den Naturwissenschaften gegangen werden, und die nicht weniger wertvoll sind, jedoch andere Schritte durchlaufen und andere Methoden anwenden, um andere Ziele zu erreichen.


II. Anwendung des Monomythos.

Eine andere Sichtweise des ästhetischen Lernens bietet Joseph Campbell mit seinem »Monomythos«, welcher ein Ergebnis seiner Studien über Mythologien verschiedener Kulturen in aller Welt war. Er ging von der Annahme aus, daß jede dieser verschiedenen Mythologien auf ihre eigene Weise Wahrheiten einer bestimmten Kultur und Gesellschaft ausdrückt. Er entdeckte, daß der Mensch seine Mythen mit grundlegenden Ängsten, Hoffnungen, Sehnsüchten und Bestrebungen ausstattete, oft nicht dessen gewahr, warum ein Mythos eine bestimmte Form annahm.

Obschon Mythen im allgemeinen Sprachgebrauch mit etwas Unwahrem, Fiktivem gleichgesetzt werden, sollen sie hier in ihrer ursprünglichen Bedeutung des Wahren, dessen was geglaubt wird, verwendet werden. Es ist hilfreich sich daran zu erinnern, daß Mythos das Wort als Dekret oder letzte Verkündigung bedeutet und sich daher unterscheidet von logos, dem Wort, dessen Richtigkeit vorgeführt und bewiesen werden muß. Nach Toynbee »sind Mythen die Instrumente, durch die die weitesten Flüge des menschlichen Geistes vollbracht werden.«32) Und warum werden Mythen geschaffen? »Wenn das Universum ein Mysterium ist, und wenn der Schlüssel zu diesem Mysterium verborgen ist, sind dann Mythen nicht ein unverzichtbares Mittel dazu, so viel des Unbeschreiblichen auszudrücken als menschenmöglich?«33)

Der Mythos ist in Form und Funktion der Kunst und Religion eng verwandt. Alle sind im wesentlichen metaphorischen Charakters, bauen zur Erforschung des Mysteriösen auf [Seite 27] Symbole und Bilder, um Sinn zu geben und zu vermitteln. Alle speisen sich aus der Matrix oder dem Substrat, das als die universale Seele oder das kollektive Unbewußtsein bezeichnet werden kann, als ewige Wahrheiten oder als Fundgrube von Urbildern.

Mit den Mitteln der Kunst kann ein Mythos einige Funktionen der Religion ausüben. Er liefert eine Erklärung dafür, wie die Dinge sind oder wurden. Wie die Religion bietet der Mythos Modelle, Normen und Ideale, die, weil an sie geglaubt wird, das Verhalten rechtleiten können. Mythos, ob indisch, griechisch, ägyptisch oder nordisch, strebt danach, ein vollständiges System mit ausführlichen Erklärungen für den Menschen umgebende Geheimnisse zu sein: Geburt, Tod, Schöpfung, Jahreszeiten, Krieg, Erfolg, Niederlage, Gut, Böse. Religion wird jedoch üblicherweise als etwas verstanden, das anspruchsvoller als Mythen ist, weil sie trotz der Benutzung von Mythen diese nicht mit der Wahrheit gleichsetzt, sondern sie als Geschichten über die Wahrheit versteht. Religion kann am besten als die höchste Form von Mythos (oder Metapher) verstanden werden, weil sie ein umfassendes und ständig sich entwickelndes Modell der Wirklichkeit und ein Lebensmodell bietet.

Wie Campbell entdeckte, können die gemeinsamen Themen, gemeinsamen Abfolgen, gemeinsamen Ereignisse der verschiedenen Mythologien nicht durch gegenseitigen Einfluß erklärt werden, sondern nur durch die Anerkennung der Tatsache, daß der Mensch weltweit die gleichen Bedürfnisse und Sehnsüchte erlebt. Mythen werden als Antwort auf dieses Verlangen geschaffen. Basierend auf seiner Studie dieser Mythologien, hat Campbell einen einzigen Mythos konstruiert, der all diese Elemente und Ereignisse enthält, die in allen großen Mythologien der Welt vorliegen. Er legt nahe, daß der Monomythos als Maßstab dienen kann, an dem die menschlichen Entwicklungsprozesse in unserer Gesellschaft gemessen werden können. Demzufolge wird die Effektivität einer jeden Lehrmethode in dem Grade verbessert, in dem seine verschiedenen Teile und Abfolgen dem Modell des Monomythos folgen. Wenn also mit anderen Worten dieser Monomythos universelle Gültigkeit als Modell für die menschliche Entwicklung besitzt, dann sollten unsere Lehrmethoden und Bildungsstätten genügend Gelegenheit bieten, diese anscheinend essentiellen Abläufe und Ereignisse erfahrbar zu machen. Kann der Monomythos, zum Beispiel, dem einzelnen irgend etwas über seine Suche nach geistiger Wahrheit sagen? Kann er ihm dabei helfen, den Wert und die Bedeutung dessen, was er als »Kampf«, »Leiden«, »Opfer« und »Prüfungen« bezeichnet, einzuschätzen? Statt solche Erfahrungen als Fluch oder Heimsuchungen zu betrachten, sollten sie als Herausforderungen und Gelegenheiten gesehen werden, sich selbst zu beweisen, die eigenen Kräfte zu messen und wahre Identität zu finden. Ohne solche Erfahrungen bleibt der Mensch in einem Netz von Selbstgefälligkeit und Bequemlichkeit verhüllt, bis seine Kräfte schwinden und sein Geist verfällt. Die Elemente des Monomythos mahnen ihn, daß er in die Welt hinausgehen, agieren muß, wenn sein gesamtes menschliches Potential — geistig, mental und physisch — ausgeschöpft werden soll.

»Der mythologische Held, der sich aus seiner Hütte oder seinem Schloß auf den Weg macht, erreicht — von Verlockungen angezogen und hingerissen oder freiwillig — die Schwelle zum Abenteuer. Dort begegnet er einem Schattenwesen, das den Zugang versperrt. Der Held mag diese Macht besiegen oder beschwichtigen und das Reich der Dunkelheit (Bruderkrieg, Drachenkampf; Geschenke, Zauberei) betreten, oder er wird vom Gegner getötet und steigt hinab in den Tod (Zerstückelung, Kreuzigung). Jenseits dieser Schwelle reist der Held durch eine Welt voll unbekannter und doch merkwürdig vertrauter Kräfte, von denen ihn manche schwer bedrohen (Prüfungen) und andere ihm magischen Beistand leisten (Helfer). Erreicht er den Tiefpunkt des mythologischen Kreises, erduldet er die schwerste Heimsuchung und erhält seine Belohnung. Der Triumph kann durch die sexuelle Vereinigung mit der Mutter-Göttin der Welt (heilige Ehe), seine Anerkennung durch den Vater-Schöpfer (Vaterversöhnung), seine eigene Vergötterung (Apotheose), oder wiederum — wenn ihm die Mächte weiterhin feindlich gesinnt waren — durch seinen Diebstahl der Gabe, die er zu erhalten kam (Brautraub, Feuerraub), repräsentiert werden; eigentlich ist es eine Erweiterung des Bewußtseins und damit des Seins (Erleuchtung, Verklärung, Freiheit). Der letzte Schritt ist die Rückkehr. Haben die Mächte den Helden gesegnet, reist er nun unter ihrem Schutz (Bote); falls nicht, flüchtet er und wird verfolgt (Verwandlungsflucht, Hindernisflucht). [Seite 28] An der Schwelle der Rückkehr müssen die transzendenten Mächte zurückbleiben; der Held erhebt sich wieder aus dem Reich des Schreckens (Wiederkehr, Auferstehung). Die Gabe, die er mitbringt, erneuert die Welt (Elixir).«34)

Durch seine Teilnahme an Mythen in Kunst und Religion kultiviert der Mensch die geistige Seite seiner Natur. Durch den Mythos wird der Mensch seiner Ursprünge und seiner grundlegenden Menschlichkeit erinnert, und durch Mythen überwindet er das Gefängnis des Selbstes und kann in eine umfassendere Gemeinschaft eintreten, zu der er etwas beitragen und von der er empfangen kann.


▪ Schlußbetrachtung

In den vergangenen hundert Jahren ist der Mensch Zeuge einer radikalen Veränderung der Sichtweise seiner selbst und seiner Welt geworden. Durch die Entdeckungen der Wissenschaft, durch die Anerkennung der wissenschaftlichen Methode, durch technologische Neuerungen, durch verbesserte Kommunikation, durch rigoroses Infragestellen gesellschaftlicher und religiöser Überzeugungen hat sich der Mensch von früheren Tabus und überkommenen Traditionen befreit. Angetrieben einerseits von einer Ahnung seiner eigenen Kraft und beunruhigt von einer zunehmenden Ruhelosigkeit und Besorgnis andererseits, ist er tiefer in sein inneres Sein und das äußere Universum vorgedrungen im wagemutigen Versuch, bessere Antworten auf ewige Fragen zu finden. Wenn auch diese Periode intensiver, beispielloser, revolutionärer Aktivität bis heute mehr zerstört als geschaffen hat, so muß sie doch als ein notwendiger Schritt in der Neuordnung der Welt gesehen werden; und sie kann am besten als ein geistiges Phänomen verstanden werden und nicht als eine Reihe wachsender sozio-ökonomischer Anpassungen, politischer Reformen und wissenschaftlicher Erfindungen.

Der Prozeß qualvollen Wandels ist immer mit dem Kommen einer Manifestation oder eines Boten Gottes verbunden. Bahá’u’lláh erklärt: »Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten durch die Schwungkraft dieser größten, dieser neuen Weltordnung. Das geregelte Leben der Menschheit ist aufgewühlt durch das Wirken dieses einzigartigen, dieses wundersamen Systems ...«35) 'Abdu'l-Bahá schreibt: »Als der Ruf Gottes erhoben ward..., hauchte er dem Körper der Menschheit neues Leben ein und goß einen neuen Geist in die ganze Schöpfung. Aus diesem Grunde ist die Welt bis in ihre Tiefen bewegt, Herz und Gewissen der Menschen sind erfrischt. Binnen kurzem werden die Zeichen dieser Wiedergeburt offenbar, die tief Schlafenden werden erweckt.«36)

Wie Shoghi Effendi ausführt, bewirkt die Offenbarung Gottes »eine furchtbare Vergeltung, aber auch ein[en] Akt der heiligen und höchsten Züchtigung. Es [das Gericht Gottes] ist eine göttliche Heimsuchung und zugleich eine Läuterung für die ganze Menschheit. Seine Feuerbrände strafen die Verderbnis des Menschengeschlechts und schweißen dessen einzelne Teile zu einer organischen, unteilbaren, weltweiten Gemeinschaft zusammen.«37)

Ein zweifacher Prozeß kommt in Gang: Zerfall und Ungleichgewicht berühren viele traditionelle Gepflogenheiten und Denkweisen; Synthese und Integration verbinden neue Auffassungen und Ideen. Alte Schläuche können keinen neuen Wein fassen; abgenutzte und leere Institutionen und Ideologien können der Kraft des neuen Geistes nicht widerstehen.

Der Báb, der Vorläufer Bahá’u’lláhs, beschreibt deutlich diese notwendige Übergangsphase des Chaos und der Verwirrung: Er sagt, Gott hat alle Dinge voneinander befreit, damit Er allein sie erhalten kann. Das könnte bedeuten, daß in einer Zeit rascher Veränderungen, wie der unseren, in der der Zusammenbruch alter Werte zu Verwirrung, Streit und Unsicherheit führt, der Mensch dazu genötigt ist, sich und seine Welt zu überdenken. Alle Elemente und Aspekte unserer Welt werden aus ihrem gewohnten Zusammenhang genommen, um in einem neuen Licht betrachtet zu werden. Indem alle Dinge voneinander befreit wurden, hat Gott alles in der ewigen Gestalt erscheinen lassen, abhängig von Ihm allein und nicht von Konvention oder sozialer Zweckdienlichkeit. Dann erneuert die Manifestation Gottes, der größte Künstler, die Welt gemäß Seinem Göttlichen Plan und ruft die Menschheit auf, zu ihrer eigenen Erlösung an diesem kreativen Prozeß teilzunehmen, indem sie sich mit dem offenbarten und lebenspendenden Wort Gottes befaßt. Der Mensch muß sich der Herausforderung stellen, »Das Hervortreten einer Weltgemeinschaft, das Bewußtsein des Weltbürgertums, die Begründung einer Weltzivilisation und Weltkultur... .«38) Da der Mensch nach Gottes Ebenbild erschaffen wurde, strebt er ständig danach, Chaos in Ordnung zu verwandeln, Sinn und Ziel zu finden, Harmonie, Einheit und Schönheit zu entdecken. Dieses instinktive Streben wirkt sowohl in der Schaffung als auch in der Wertschätzung von Kunst und kann durch enges Zusammenwirken mit dem schöpferischen Wort Gottes kanalisiert werden, um zur Errichtung einer neuen Weltordnung beizutragen.


1) Susanne K. Langer, Philosophy in a New Key, New York: Penguin, 1948, S. 80
2) ‘Abdu’l-Bahá, Das Geheimnis Göttlicher Kultur, Oberkalbach: Bahá’í-Verlag, 1973, S. 14
3) 'Abdu'l-Bahá in: Musik. Eine Zusammenstellung aus den Schriften Baha’u’llahs, ‘Abdu’l-Bahás und Shoghi Effendis, Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 1984, S. 9
4) Bahá’u’lláh, Ährenlese, Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 3., rev. Aufl. 1980: 74, S. 126-27
5) Bahá’u’lláh, Ährenlese, 81, S. 139
6) Plato, Dialogues of Plato, trans. B. Jowett, New York: Random, 1937, Bd. I, S. 344, Sektion 219
7) ebenda, S. 665, Sektion 40
8) ebenda
9) Aristoteles, Aristotle’s Politics, trans. B. Jowett, Oxford: Clarendon P, 1936, S. 314
10) Plotinus, The Enneads, trans. S. MacKenna, London: Faber and Faber, 1962, S. 63
11) Benedetto Croce, »Aesthetics», Encyclopaedia Britannica, 14th ed., in: A. Hofstadder and R. Kuhns (Hrsg.), Philosophies of Art and Beauty, New York: The Modern Library, 1946, S. 562
12) Benedetto Croce, Guide to Aesthetics, trans. P. Romanell, New York: Bobbs-Merrill, 1965, S. 64
13) Benedetto Croce, The Defence of Poetry, trans. E.F. Carritt, Oxford: Clarendon Press, 1933, S. 30
14) John Dewey, Art as Experience, New York: Capricorn Books, 1934, S. 336
15) ebenda S. 347
16) ebenda S. 334
17) Percy Bysshe Shelley, »A Defence of Poetry« in: English Critical Essays: Nineteenth Century, ed. E. D. Jones, Oxford: Oxford University Press, 1916, S. 120
18) ebenda S. 132
19) ebenda S. 163
20) Leo Tolstoi, What Is Art?, New York: Oxford University Press, 1962, S. 236
21) ebenda S.61
22) Shoghi Effendi, zitiert in »In Its Full Splendor«, Bahá’í News, No. 73, May 1933, p.71
23) 'Abdu'l-Bahá, in Bahá’u’lláh and 'Abdu'l-Bahá, Bahá’í World Faith, p.377
24) Susanne K. Langer, Problems of Art, New York: Scribners, 1957, S. 93
25) A.H. Maslow, The Farther Reaches of Human Nature, New York: Viking, 1971, S. 86
26) ebenda
27) C.G. Jung, Psychological Reflections, ed. J. Jacobi, New York: Harper, 1961, S. 38
28) Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Iqán: Das Buch der Gewißheit, Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 3. Aufl. 1978, S. 41
29) Fußnotentext
30) 'Abdu'l-Bahá, Das Geheimnis Göttlicher Kultur, Oberkalbach: Bahá’í-Verlag, 1973, S.38
31) Bahá’u’lláh, Ährenlese 125:6, S. 233
32) Armold Toynbee, A Historian’s Approach to Religion, New York: Oxford University Press, S. 282
33) ebenda
34) Joseph Campbell, The Hero with a Thousand Faces, Princeton: Princeton University Press, 1949, S. 246
35) Ährenlese 70:1, S. 122
36) zitiert in: Shoghi Effendi, Die Weltordnung Baha’u’llahs, Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag, 1977, S. 243
37) Shoghi Effendi, Der Verheißene Tag ist gekommen, Frankfurt am Main: Bahá’í-Verlag, 1967, S. 23
38) Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 233


»Ästhetik und geistige Erziehung«  ist eine Übersetzung des Artikels »Aesthetics and Spiritual Education« von Glen A. Eyford aus World Order 14, No. 1 (Fall 1979), S. 32-49.
Copyright © 1979 by The National Spiritual Assembly of the Bahá’ís of the United States.
Die Übersetzung besorgte Michael Machado.
Fotos von Jörg Krombach.


[Seite 29]



Klassenziel: Welteinheit[Bearbeiten]


Townshend International School - ein internationales Schulprojekt in Europa


Barbara Missaghian
Fotos von Ellen Henseler


»Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, daß es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.«

(Bahá’u’lláh, Ährenlese, Kap. 122)


Mit diesem Zitat als Leitsatz wurde ein Diamant als Symbol für eine Schule ausgewählt, die u.a. das Ziel verfolgt, gemäß den Bahá’í-Schriften junge Menschen als Edelsteine zu betrachten und sie mit sehr viel Geduld, Hingabe, Liebe, etwas Härte, Fachwissen und Geschick zu schleifen und zu veredeln, damit man sich ein Leben lang daran erfreuen und auf ihren Besitz stolz sein kann.

Vor einigen Jahren — während der aufwühlenden Zeiten des politischen Umbruchs im europäischen Osten — siedelten einige Bahá’í, von Pioniergeist erfaßt, in die damalige Tschechoslowakei über und ergriffen die Chance, eine internationale Schule zu gründen, die Bahá’í-Prinzipien in Aufbau und Leitung verwirklicht. Diese Schule sollte für internationale und tschechische Schüler offenstehen und zugleich als soziales Projekt in einem Land dienen, das in Bildung und Kultur neuer Impulse bedarf.

Die Schule entstand also aus einer privaten Initiative einzelner engagierter Bahá’í, die mit diesem in Europa bisher einmaligen Projekt für Bahá’í und gleichgesinnte Menschen eine Schule schaffen wollen, die viele Menschen anspricht. Diese Schule fördert globales Denken und die vorurteilsfreie Begegnung verschiedenartigster Menschen und Kulturen, so daß die Kinder weltoffen erzogen werden und zu freien Individuen heranwachsen. Nur so können sie den Aufgaben und Herausforderungen einer sich ständig ändernden Welt gewachsen sein.

Die Schule konnte durch die Gründungsmitglieder Reza und Ramona Reyhani aus Österreich und Shane Etzenhouser aus den USA aufgrund ihrer persönlichen Kontakte und der beratenden Unterstützung durch die Maxwell International Bahá’í School in Kanada (in Bahá’í-Briefe Nr. 58 wurde über diese Schule berichtet) bereits nach neun Monaten intensiven Planens und Vorbereitens im Jahre 1992 eröffnet werden.

Nach reiflicher Überlegung entschloß man sich für den Namen Townshend International School (T.I.S.). Die Schule wurde benannt nach dem irischen Geistlichen George Townshend, der in hohem Alter den Bahá’í-Glauben annahm und sich als bedeutender Bahá’í-Gelehrter erwies. Die Townshend International School wird nun als englischsprachige Internatsschule in Hluboká in Südböhmen, Tschechische Republik betrieben. Hluboká liegt nahe der Grenzen zu Österreich und Deutschland inmitten einer herrlichen Landschaft.

[Seite 30] Im Frühjahr des Jahres 1992 verschickten die Gründer die ersten Informationshefte über die T.I.S. an viele Bahá’í überwiegend in Europa. Außerdem informierten sie in Deutschland und Österreich mit Dia-Vorträgen in einigen Bahá’í-Gemeinden über dieses Projekt. Im Rahmen dieser Bemühungen wurde auch die Mona-Bahá’í-Schule (eine überregionale Schule für Kinder und Erwachsene, die sich mit Themen des Bahá’í-Glaubens befaßt) der Dormagener Bahá’í-Gemeinde besucht.

Dieser Besuch brachte eine große Veränderung in unserer Familie mit sich: unser Sohn Ramin, damals 15 Jahre alt, entschloß sich spontan, nach den Sommerferien des Jahres 1992 auf diese neue Schule zu gehen. Beeindruckend war für ihn vieles; so hatte er z.B. in seiner bisherigen Schule 28 Klassenkameraden, während bei der T.I.S. die Klassenstärke zunächst bei 8 - 10 Schülern je Eingangsklasse lag. Außerdem waren seine dortigen Lehrer Bahá’í, und sowohl der Unterricht als auch das Schulleben ist geprägt von Bahá’í-Gedanken und -Prinzipien. Damit eröffneten sich hoffnungsvolle Perspektiven, nachdem Gewalt, Rassismus und Drogengefährdung ganz besonders an deutschen Schulen z.Z. zu eskalieren drohen und Schule und Elternhaus häufig ratlos dieser Entwicklung gegenüberstehen.

Zu den Prinzipien, die die T.I.S. anzuwenden versucht, gehören

□ die Hingebung an den Schöpfer und Respekt vor allen Menschen, unabhängig von Rasse, Klasse, Religion oder Nationalität,

□ die Gleichwertigkeit von Mann und Frau bei der Schaffung einer fortschreitenden Kultur,

□ Vertrauenswürdigkeit, Freundlichkeit, Liebe und Dienst an der Menschheit sowie das Gefühl für persönliche Verantwortung.

Angesichts dieser Vorgaben und des Wunsches, an dieser Entwicklung teilzuhaben, sprach nach anfänglichen Überlegungen nichts mehr gegen eine Anmeldung zu diesem mutigen Projekt, zumal uns in dieser Anfangsphase schnell klar wurde, daß diesem unserer Meinung nach für Europa einmaligen und wichtigen Angebot jegliche Unterstützung zukommen sollte. Und so begann nicht nur für Ramin, sondern für unsere ganze Familie ein neuer, interessanter und aufregender Zeitabschnitt.

Am 9. September 1992 war es dann soweit und die Townshend International School öffnete ihre Pforten: 24 Kinder (Bahá’í und Nicht-Bahá’í) aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Griechenland, Spanien, den USA und der Tschechischen Republik waren die ersten Schüler der Eingangsklassen 7, 8 und 9. Sie wurden betreut von zehn Lehrern, den Internatseltern und einigen Jugendlichen, die ein freiwilliges Jahr dort ableisteten.

Während die zehn tschechischen Kinder diese Schule als Tagesschüler besuchen, leben die internationalen Schüler in einem Internatsgebäude, wo sie betreut und verpflegt werden und von wo aus sie täglich zur Schule gehen.

Als dann am 3. Oktober 1992 in der Galerie des Schlosses zu Hluboká die offizielle Eröffnung in Anwesenheit von Herrn Aziz Yazdi und Fürstin Theresa von Schwarzenberg unter großer und positiver Anteilnahme der Öffentlichkeit gefeiert wurde, war es überwältigend zu spüren und zu sehen, wie die Kinder — tschechische und internationale Schüler — bereits nach so relativ kurzer Zeit zu einer Einheit zusammengewachsen waren. Während des beeindruckenden Programms, bestehend aus Vorträgen und künstlerischen Beiträgen von Bahá’í und Nicht-Bahá’í, von Jugendlichen und Erwachsenen, wurde immer wieder die große Bedeutung der T.I.S. für Europa heute und in der Zukunft hervorgehoben. Zu dieser Festveranstaltung waren ca. 300 Teilnehmer (Eltern, Schüler und Interessierte) aus ganz Europa erschienen, und es wurde mit viel Musik und kulinarischen Köstlichkeiten gefeiert. Ein jeder spürte, daß er an einem sicherlich für die Bahá’í-Geschichte in Europa wegweisenden und bedeutenden Ereignis teilgenommen hatte.

Schnell kehrte im ersten Schuljahr der Alltag ein, und wie bei jedem neuen Unternehmen — auch im herkömmlichen Sinne — kündigten sich Probleme an, die es zu bewältigen galt. Z.B. wechselten zu Beginn einige Mitarbeiter und es stand einige Zeit kein Schuldirektor zur Verfügung. [Seite 31]













Klasse 7 der Townshend International School


Aber durch den enormen Einsatz der Erwachsenen und die Stärke, Willenskraft und Standhaftigkeit der Kinder konnte diese schwierige Zeit der ersten Monate erfolgreich gemeistert werden. Schon zu Beginn des zweiten Halbjahres stabilisierte sich die weitere Entwicklung der Schule.

Zu den im ersten Jahr des Bestehens der Schule existierenden Eingangsklassen 7, 8 und 9 wird in jedem Schuljahr eine weitere Jahrgangsstufe hinzukommen. Schließlich wird das Ablegen der Abiturprüfung möglich sein, und derzeit wird das endgültige Examensverfahren noch festgelegt.

Der Unterricht findet z.Z. noch in angemieteten Klassenräumen einer großen öffentlichen teschechischen Schule in Hluboká statt. Unterrichtet werden alle Fächer, die entsprechend der Lehrplanvorschriften zur Erlangung eines Abiturs, das zu einem Universitätsstudium berechtigt, vorgeschrieben sind.

Die internationalen Schüler leben in einem angemieteten umfunktionierten Hotel, dem sogenannten Dorm, in dem auch zugleich ihre Internatseltern sowie Jugendliche wohnen, die ein freiwilliges Jahr bei diesem Projekt ableisten (waren dies im Vorjahr hauptsächlich Absolventen der Maxwell International Bahá’í School, so sind jetzt auch Jugendliche aus Deutschland dabei). Internatseltern und Jugendliche gehen mit einer bewundernswerten Liebe und Bereitschaft an diese aufopferungsvolle und wichtige Aufgabe heran. So ist auch zu erklären, daß inzwischen für die Schüler nach dem anstrengenden Ganztags-Schultag (durchschnittlich 8.00 - 15.30 Uhr) eine angenehme Atmosphäre in ihrem neuen Zuhause geschaffen werden konnte.

Vom Wohnheim gehen auch die Freizeitaktivitäten aus, die in der verbleibenden Zeit nach dem täglichen Schulunterricht und an den Wochenenden angeboten und größtenteils gemeinsam durchgeführt werden. So kann z.B. auf nahegelegenen Seen im Sommer gerudert oder geangelt werden, während im Winter auf den zugefrorenen kleinen Seen ideale Möglichkeiten zum Eishockey und Schlittschuhlaufen gegeben sind, und diese Angebote nehmen die Kinder auch voll Begeisterung in Anspruch. Weitere Wochenendaktivitäten wie Picknicks, gemeinsame Unternehmungen mit den tschechischen Mitschülern und deren Eltern sowie die jährliche Klassenfahrt zum Skifahren in den Süden der Tschechischen Republik mit Lehrern und Schülern aller Jahrgangsstufen stehen auf dem Programm.

An dieser Stelle muß auch das große Engagement der tschechischen Eltern erwähnt werden, die immer wieder mit ihren Aktivitäten ihre Dankbarkeit dafür ausdrücken möchten, daß ihre Kinder Schüler dieser Schule sein können.

Die Schüler nehmen auch an Konferenzen und Bahá’í-Tagungen teil und leisten Beiträge zu solchen Programmen. Z.B. besuchten Anfang Oktober 1993 15 Mitglieder des T.I.S.-Drama-Workshops mit [Seite 32] drei Betreuern eine gerontologische Konferenz in Graz, Österreich zu dem Thema: »Alte Grenzen fallen — neue Barrieren werden errichtet. Die Situation der alten Menschen im neuen Europa«. Die T.I.S.-Schüler konnten — auf die Problematik der alten Menschen bezogen — einen bemerkenswerten kulturellen Beitrag leisten: im Rahmen eines Theaterstücks wurde anhand eines Roboters, mit dessen Hilfe ein junger Mensch die Zeiten und Generationen durchschreiten konnte, die Unsinnigkeit von Vorurteilen vor Augen geführt. Wie ein Mitbegründer der T.I.S. in einem Referat während dieser europäischen Konferenz erklärte, ergeben sich in der ganzheitlichen Erziehung eine Reihe von Gemeinsamkeiten, welche die Generationen verbinden. Daher gehört zu den Zukunftsvisionen der Gründer von T.I.S. das Errichten eines Altersruhesitzes auf dem Schulcampus, damit die Brücken zwischen Alt und Jung für beide Seiten viele Früchte tragen können.













Schüler, Eltern, Mitarbeiter und Förderer der T.I.S. pflanzen in Anwesenheit von Vertretern der Stadt Hluboká den ersten Baum auf dem zukünftigen Schulgelände.


Ältere Menschen können als Teilzeitkräfte zur Betreuung der Schüler eingesetzt werden, wodurch ihrem Leben mehr Sinn gegeben wird. Bei der Begegnung von Jung und Alt entsteht eine Symbiose, ein kreativer Austausch an Zeit, Liebe, Leben, Erfahrung, Fürsorge, Wissen und Weisheit, Geduld und Rücksichtnahme, Lebensmut, das Gefühl, gebraucht zu werden und nützlich zu sein, die Zuversicht auf Einheit und Ganzheit.

Schon kurz nach der Eröffnung der Schule wurde der nächste Schritt in der Weiterentwicklung des Projektes eingeleitet. Man suchte ein geeignetes Grundstück, auf dem eigene Schul- und Internatsgebäude errichtet werden können. Nach vielen Gesprächen und Besichtigungen wurde auf einer Anhöhe mit direktem Blick auf das Schloß Hluboká und einer traumhaften Aussicht auf die malerische Wald-, Wiesen- und Seenlandschaft im Herzen Südböhmens ein Grundstück von ca. 40.000 qm gefunden und durch einen Mitbegründer der Schule im Frühjahr 1993 erworben. Die T.I.S. wird auf diesem Grundstück mit Hanglage ihren endgültigen Standort finden. Finanziert wird dieses Bauvorhaben durch Investoren, die als Bahá’í dieses Projekt unterstützen und fördern möchten, damit sich die Schule finanziell etablieren und stabilisieren kann.

Die Unterstützung der Stadtverwaltung, des Bürgermeisters und der breiten Öffentlichkeit in Hluboká ermöglichte den Erwerb des Grundstücks, da sich die Stadt diesem Schulprojekt sehr verbunden fühlt. Obwohl es sich bei der Townshend International School um eine internationale Schule auf privater Basis handelt und nicht um eine Bahá’í-Schule unter Leitung einer Bahá’í-Institution, wird diese Schule bereits jetzt in der breiten Öffentlichkeit als die Bahá’í-Schule angesehen.

[Seite 33] Dieser positiven Entwicklung zufolge konnte zum Ende des ersten Schuljahres am 19. Juni 1993 als Höhepunkt der Abschlußfeier in Anwesenheit von Schülern, Eltern, Mitarbeitern, Förderern der Schule und Vertretern der Stadt Hluboká auf dem eigenen Grundstück symbolisch eine Linde als Heimatbaum der Tschechischen Republik gepflanzt werden. Am Standort dieser Linde ist in den Plänen der Architekten ein kleiner Park vorgesehen, in dem Bäume aus allen Herkunftsländern der Schüler der T.I.S. wachsen sollen.

Mit den Bauarbeiten wird in diesem Winter begonnen. Ein gut durchdachter Bauplan sieht die sukzessive Entwicklung des Schulgeländes vor, so daß im Laufe der kommenden Jahre das Schulgebäude nach Bedarf erweitert und die Anzahl der Wohngebäude erhöht werden kann.

Inzwischen hat das zweite Schuljahr seit Bestehen der T.I.S. begonnen, und es war ein beeindruckender und hoffnungsvoller Start in die nächste Runde. Nach langem Suchen konnte auch eine qualifizierte Direktorin, Frau Jan McCrea, verpflichtet werden, die durch eine organisatorische und strukturelle Neuordnung der Schule und intensives Lehrertraining eine geeignete Grundlage für das Erreichen der gesetzten Ziele geschaffen hat und die ihr Augenmerk nicht zuletzt auf die Anwendung und Umsetzung der Bahá’í-Prinzipien im Umgang miteinander und auf die Erziehung und schulische Ausbildung der Kinder richten wird.

In einem vor kurzem mit ihr geführten Gespräch hob sie hervor, daß alle — ob Schüler, Lehrer, Mitarbeiter, Familien, Gründer und Förderer der Schule — Pioniere sind, da sie Neuland betreten, um positive Veränderungen zu erreichen. Sie alle wollen eine Schule schaffen, die die Lehren Bahá’u’lláhs in die Tat umsetzt. Alle Beteiligten sind bereit, ihr Bestes zu geben — einander, der Schule und der Gastgemeinde —, und die Direktorin ist zuversichtlich, was die Aufrechterhaltung dieser Motivation betrifft.

Inzwischen stehen ihr engagierte Lehrer und tatkräftige Internatseltern zur Seite, die voller Zuneigung für die Kinder ihre verantwortungsvolle Tätigkeit im Wohnheim aufgenommen haben. Die Schüler der ersten Stunde haben ihren neuen Mitschülern einen schnellen und angenehmen Einstieg ermöglicht.

Unser Sohn ist jetzt im zweiten Jahr Schüler der T.I.S. Er ist immer noch sehr froh über seine damalige Entscheidung und fühlt sich sehr wohl. Wenn wir ihn in den Ferien bei uns haben, können wir immer wieder feststellen, was für eine positive Entwicklung er gemacht hat.

Zu Beginn des Eröffnungsjahres besuchten 30 Schüler die T.I.S., aber im zweiten Schuljahr sind es bereits 50 (20 tschechische und 30 internationale) Schüler. Die Prognosen der Gründer, in den kommenden Jahren bis zu 200 Schüler (wenn nicht sogar 300) an dieser Schule unterrichten zu können, scheinen durchaus realistisch.

Die Schule wurde von den Gründern als ein nicht-profitorientiertes Projekt konzipiert. Unter Berücksichtigung des sehr günstigen Standortes der Tschechischen Republik ist das jährliche Schulgeld — verglichen mit anderen europäischen Ländern — relativ niedrig gehalten. Im Verhältnis zu dem Schulgeld, das die internationalen Schüler jährlich zahlen, leisten die tschechischen Schüler nur einen geringen Unkostenbeitrag. Darin liegt der soziale Aspekt für die tschechische Bevölkerung, wie zu Anfang erwähnt, da Einheimischen finanziell ermöglicht wird, ihre Kinder auf eine internationale Schule zu schicken.

Der äußere Rahmen für dieses Pilotprojekt in Europa hat sich inzwischen herauskristallisieren und auch stabilisieren können, bedarf aber immer noch des besonderen Verständnisses und der Unterstützung aller Beteiligten. Ich bin zuversichtlich, daß sich dieses Projekt zu einem zukunftsweisenden Schritt in der Anwendung von Bahá’í-Prinzipien in der Kindererziehung und Bildung entwickeln wird. Trotz aller Schwierigkeiten, die es bei derartigen Projekten sicherlich immer wieder geben wird und die durch gegenseitiges Verständnis gelöst werden müssen, kann sich diese Schule bewähren und in der Zukunft eine interessante Alternative für die Schulausbildung unserer Kinder sein. Eltern und Bahá’í-Lehrer sind aufgefordert, gemeinsam mit ihren Kindern dieses Projekt zu unterstützen.


[Seite 34]













Die New Dawn Maschine für Stacheldraht bedient sich der Pedalkraft zum Zusammendrehen zweier Drahtstränge. Mit einem zweiten Betreiber, der den Draht auf das Rad auf der linken Seite rollt, kann man mit diesem Gerät bis zu 150 m Stacheldraht innerhalb einer Stunde herstellen. Herr Pemberton-Pigott sagt, daß die Maschine nur etwa ein Prozent des Preises einer elektrisch betriebenen Maschine kostet, aber fast 11 % der Leistung erbringt. An der Maschine sitzt hier Makario Kamenyu Manuel, ein Maschinist von New Dawn.


Angepaßte Technologie in Swaziland[Bearbeiten]


New Dawn Engineering produziert Arbeitsgeräte für Kleinstbetriebe



MANZINI, Swaziland — Wie ein typischer Erfinder trägt Crispin Pemberton-Pigott einen elektronischen Taschenrechner bei sich, während er Gäste durch seine Fabrik in diesem kleinen Land im Süden Afrikas führt.

Obwohl er den Taschenrechner fachkundig zur Berechnung der Stärke eines Stahlträgers oder der maximalen Belastungsfähigkeit eines Tonziegels einsetzt, kann Herr Pemberton-Pigott genauso professionell die potentiellen Einkünfte durch die kleinindustriellen Produktionsmaschinen einschätzen, die New Dawn Engineering produziert.

Er zeigt auf eine Ölpresse, die New Dawn herstellt. Die Maschine, die ähnlich einer riesigen Knoblauchpresse funktioniert, ermöglicht einem einzelnen Menschen, ein qualitativ hochwertiges Pflanzenöl aus billigen Sonnenblumenkernen oder anderen Samen herzustellen.

»Das ist eine grundlegend veränderte Bielenberg Ölpresse«, sagt er und schaltet seinen Taschenrechner ein. »Wir verkaufen sie für ca. 2.000 Dollar, und sie ist ziemlich wirtschaftlich für diesen Preis.«

[Seite 35] Dann drückt er einige Tasten auf seinem kleinen Gerät. »Nehmen wir an, Sie beschließen Sonnenblumenkerne zu verwenden«, sagt der 42-jährige Kanadier. »Sie kosten pro Tonne im Anbau 200 südafrikanische Rand. Aus jeder Tonnen Kerne kann ich mit dieser Maschine ungefähr 420 Flaschen Öl gewinnen.«

»Nun«, fährt er fort, während er weitere Zahlen eingibt und anmerkt, daß ungefähr drei Rand einem Dollar entsprechen, »die 420 Flaschen sind jeweils ca. 2,75 Rand wert. Zusätzlich erhält man Hühnerfutter im Wert von 280 bis 600 Rand — das ist der Wert der ausgepreßten Kernreste, die am Ende übrig bleiben.«

»Also haben wir mindesten 280 plus 420 multipliziert mit 2,75«, sagt er und rechnet das Endergebnis aus. »Das ergibt ein Mindesteinkommen von 1435 Rand in zehn Tagen. Das ist also eine gute Investition. So hat man die Kosten der Maschinen innerhalb ungefähr eines Monats erwirtschaftet.«

Wirtschaftliche Berechnungen dieser Art sind die Grundlage des Erfolgs von New Dawn Engineering, einer Firma, die in der Region immer bekannter wird für ihre innovative, angemessene und der Umwelt gegenüber gut vertretbare Einstellung zur Technologie. Die Firma stellt ca. ein Dutzend relativ preisgünstiger, arbeitsintensiver Produktionsmaschinen her, die in kleinen Betrieben zur Produktion von Pflanzenöl, Drahtzäunen und Tonziegeln benutzt werden können.

Die Firma gehörte in diesem Jahr zu den vier in der Endrunde vertretenen Firmen, in der es um die Verleihung des Green Trust Environment Awards (ein Umweltpreis) im Süden Afrikas ging.

»Sicherlich zeigte im Vergleich zu den anderen Kandidaten, die wir kritisch beleuchteten, ihre Einstellung eine sehr innovative, feinfühlige und angemessene Form der Technologie, die potentiell für viele Bereiche der Kleinindustrie im Familien- und Kleinbetrieb anwendbar wäre«, sagt Prof. Brian Huntley, der Exekutivdirektor des Nationalen Botanik-Instituts in Südafrika, der zu den Juroren im Green Trust-Wettbewerb zählte. »Die Firma stellt Maschinen her, die die Menschen ohne große Investitionen erwerben können, und genau das brauchen wir in diesem Teil der Welt.«

Für Herrn Pemberton-Pigott, der mit seiner Frau Margaret New Dawn leitet, ist das genau das Ziel, nämlich qualitativ hochwertige Maschinen herzustellen, die die größte Ressource Afrikas — Arbeitskräfte — in Anspruch nehmen und dabei der Umwelt so wenig Schaden wie möglich zufügen.

»Meiner Ansicht nach macht sich angemessene Technologie die in einer Region vorhandenen Ressourcen zunutze und maximiert die Förderung von Wohlstand«, sagt Herr Pemberton-Pigott. »Wir leben in einem Land, in dem ein Überschuß an Arbeitskräften besteht. Wenn man also diese Arbeitskraft nicht extensiv einsetzt, dann verschwendet man seine Ressourcen.«












Detaildarstellung des Kompressionsraums einer der New Dawn Ölpressen, die pro Tonne Sonnenblumenkerne ca. 300 Liter Öl produzieren und nur von Hand betrieben werden. Wenn der mittlere Kolben durch einen langen, handbetriebenen Hebel nach unten gedrückt wird, dringt Öl aus den Schlitzen in der Kammer, während das zusammengepreßte Fruchtfleisch der Kerne aus einem Loch im Boden der Presse herausgequetscht wird.


»Es gibt fürchterliche Fälle von Leuten, die technische Ausrüstungen zu extrem hohen Preisen importieren«, fährt Herr Pemberton-Pigott fort. »Dann stehen die Geräte hier herum und machen die Menschen arbeitslos. Wir können Ihnen aus wirtschaftlicher Sicht zeigen, daß es billiger ist, die Produktion auf menschliche Arbeitskraft zu gründen. Dazu muß man weniger Kapital investieren und kann höhere Gewinne erzielen.«

Die Pemberton-Pigotts gründeten New Dawn im Jahr 1984, als sie in der Transkei lebten. 1985 zogen sie nach Swaziland. In den siebziger Jahren hatte das Ehepaar zwei Jahre in Swaziland gewohnt, wobei sie an der Einrichtung eines Bewässerungssystems für die Dorfbevölkerung mitarbeiteten.

Bis zum Juli 1993 hat die Firma bereits mehr als 1.500 Maschinen verkauft. Das populärste Gerät ist die Zaunmaschine, die ungefähr 75 % der Verkäufe ausmacht. New Dawn produziert Geräte zur handbetriebenen Produktion von verschiedenen Drahtgitterzäunen. Sie haben auch mehrere hundert Ziegelmaschinen und ungefähr 100 Ölpressen verkauft.

Die Kunden berichten, daß sie mit den Geräten sehr zufrieden sind.










Crispin Pemberton-Pigott, der Direktor von New Dawn Engineering in Swaziland, steht neben einer Reihe gerade produzierter Zaunmaschinen. New Dawn ist spezialisiert auf die Entwicklung und Produktion von handbetriebenen Geräten für Kleinunternehmer in Afrika.


»Wir bauen derzeit einen Hühnerstall mit sehr geringen Mitteln, indem wir eine von Crispins Ziegelmaschinen benutzen«, sagt Arne Utermark, der Direktor der christlichen Blindenmission, die das Ekululameni Erwachsenenrehabilitationswerk in Mzimpofu, Swaziland, betreibt. »Es funktioniert wunderbar. Man braucht lediglich einfache Erde und etwas Zement, und das verringert die Kosten erheblich.«

Herr Utermark stellt fest, daß seine Blindenmission, die sich hauptsächlich um die Ausbildung blinder Erwachsener bemüht, damit sich diese selbst versorgen können, auch die Zaunmaschinen von New Dawn in großem Maße einsetzt, die nicht viel mehr als ein Montagegestell sind, um das herum man Draht biegen kann, um daraus sehr nützliche Zäune herzustellen.

»Unsere blinden Auszubildenden können diese Geräte ganz einfach bedienen und verdienen so selbständig Geld«, sagt Herr Utermark. Er erklärt, daß das Zentrum zwei solche Maschinen zu Ausbildungszwecken besitzt. Dann wird den Blinden dabei geholfen, sich selbst solche Geräte anzuschaffen und ihr Unternehmen zu eröffnen. »Ich schätze, daß bereits 10 bis 15 Leute ihre eigenen Unternehmen gegründet haben.«

»Je ländlicher die Gegend, desto nützlicher sind diese Geräte«, sagt Herr Utermark. »Denn sie benötigen keinerlei fremde Energiequellen. Sie werden alle von Hand bedient. Vom Blickwinkel der Umwelt betrachtet, würde ich das als sehr wichtig bezeichnen. Und die Menschen haben dadurch Arbeit.«

Jeunesse Searll, die Exekutivdirektorin des in Johannesburg ansässigen »Trees for Africa-Projekts« sagt, daß ihre Organisation sehr erfreut ist über die bei New Dawn erworbenen Maschinen.

»Wir haben für eines unserer Projekte in einem Homeland eine der Zaunmaschinen gekauft und bilden damit vier Menschen aus«, sagt Frau Searll: »Zwei weitere wurden von diesen vier Personen bereits ausgebildet. Also hat das einen Multiplikatoreffekt.«

»Die Maschine ist sehr nützlich, denn das Projekt befindet sich in einer stark verschmutzten Umwelt und öden Umgebung, und man braucht Zäune, um das Vieh von den neu angepflanzten Bäumen fernzuhalten«, führt Frau Searll aus. »Aber darüberhinaus ist die Maschine ein bemerkenswertes Gerät, da sie auf einfache Art und Weise einer Gruppe von Menschen in einer von Armut geplagten Region die Möglichkeit gegeben hat, sich durch etwas Nützliches und Praktisches den Lebensunterhalt zu verdienen.«

Herr und Frau Pemberton-Pigott sind beide Bahá’í und sagen, daß ihr Glaube die hinter New Dawn verborgene Philosophie stark beeinflußt hat.

»Es gibt eine Stelle in den Bahá’í-Schriften, in der es — in meinen eigenen Worten zusammengfaßt — heißt, daß es keine größere Unternehmung geben kann, als sich für Projekte und Aktivitäten zu engagieren, die vielen Menschen dabei helfen, wirtschaftlich selbständig zu werden«, sagt Herr Pemberton-Pigott. »Und das ist die Philosophie, die wir in unserer täglichen Arbeit anzuwenden versuchen.«


ONE COUNTRY, Juli-September 1993


[Seite 37]



Die Familie in der Weltgemeinschaft[Bearbeiten]


Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde zum Internationalen Jahr der Familie der Vereinten Nationen 1994



Die Familie befindet sich heute, wie die gesamte Welt, in einer Übergangsphase. In allen Kulturkreisen zerfallen oder zerbrechen Familien unter dem Druck von wirtschaftlichem und politischem Umbruch. Sie werden angesichts der sittlichen und religiösen Verwirrung immer schwächer.

»Die Bedingungen, unter denen die Familie lebt, gelten auch für die Nationen — was in der Familie geschieht, spielt sich auch in der Nation ab.« (Foundation of World Unity, p. 100)

Die Bahá’í halten diese Unordnung für ein Zeichen, daß die Menschheit sich bei ihrer kollektiven Entwicklung auf ein neues Zeitalter zubewegt, das Zeitalter der Reife. Da die Familie die Kerneinheit der Gesellschaft bildet, muß sie bei diesem Prozeß ebenfalls umgeformt und neu belebt werden und zwar nach denselben Prinzipien, die die gesamte Zivilisation neu gestalten.

Das Schlüsselprinzip für dieses neue Zeitalter ist die Einheit der Menschheit. »Das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit,«  versicherte Bahá’u’lláh, der Stifter des Bahá’í-Glaubens, schon vor mehr als einem Jahrhundert, »sind unerreichbar, wenn und bevor nicht ihre Einheit fest begründet ist.« (Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S.296) Das Anerkennen der gegenseitigen Verflechtung und Abhängigkeit aller Völker bedeutet, daß auf diesem Planeten jeder Teil der Gesellschaft einschließlich der Familie neu gestaltet werden muß.


▪ Einheit in der Familie

»Wenn in einer Familie Liebe und Einklang herrschen, wird diese Familie vorankommen und geistig erleuchtet werden.«(Einheit der Familie, S.22)

Die Bahá’í-Einstellung gegenüber der Einheit der Familie verbindet Elemente traditioneller Weisheit mit fortschrittlichen Grundsätzen und praktischen Mitteln. Wenn wir uns fest an diese Lehren halten, bilden sie ein Bollwerk gegen die Kräfte des Zerfalls und Rahmenbedingungen für die Gründung starker, gesunder, einiger Familien.

Grundlage und Voraussetzung für eine Bahá’í-Familie ist die liebevolle Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Ehe ist als göttliche Einrichtung dazu bestimmt, ein Paar »körperlich und geistig« so zu verbinden, »...daß sie einander ständig in ihrem geistigen Leben vervollkommnen«. (Einheit der Familie, S.12)

Ein Mann und eine Frau, die sich aus freien Stücken füreinander entschieden und die Zustimmung ihrer Eltern zur Heirat bekommen haben, heiraten dem Bahá’í-Gesetz entsprechend in Anwesenheit von Zeugen, die das gewählte Verwaltungsgremium der Gemeinde, der örtliche Geistige Rat, benannt hat. Braut und Bräutigam sprechen: »Wahrlich, wir wollen alle an Gottes Willen festhalten« (Liebe und Ehe, S.37), und mit diesen Worten verpflichten sich beide Gott gegenüber und dadurch einander.

Ein Zweck der Ehe ist, eine neue Generation ins Leben zu rufen, die Gott liebt und der Menschheit dient. Daher hat die Familie zur Aufgabe, eine liebevolle, von Achtung geprägte und harmonische Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu schaffen.

Harmonie und Zusammenarbeit werden in der Familie wie in der Welt durch ein ausgewogenes Maß an Rechten und Pflichten bewahrt. Alle Familienmitglieder »haben gegeneinander und gegenüber der Familie als Ganzes Pflichten und Verantwortlichkeiten,« die »wegen der natürlichen Beziehungen der Familienangehörigen zueinander« verschieden sind (Einheit der Familie, S.48).

Kinder haben z.B. die Pflicht, ihren Eltern zu gehorchen. Sie haben aber dementsprechend auch ein Anrecht auf Fürsorge, Erziehung und Schutz. Die Mütter, die sie zur Welt bringen und als erste erziehen, sind in erster Linie, aber nicht ausschließlich, für ihre geistige Erziehung und ein liebevoll umhegendes Heim verantwortlich. Die Väter tragen hauptsächlich, aber wiederum nicht ausschließlich, die Verantwortung für das materielle Wohl der Familie und die Schulbildung der Kinder.

Die in den Bahá’í-Lehren befürworteten sittlichen Maßstäbe für den einzelnen verurteilen viele jener Faktoren, die zum Zerbrechen von Familien beitragen. Alkohol ist als Droge, die das Bewußtsein verändert, für die Bahá’í verboten. Keine Art der Gewalt oder des Mißbrauchs wird in der Familie jemals geduldet. So steht in den Heiligen Schriften der Bahá’í zu lesen:

[Seite 38] »Die Unversehrtheit der Familienbande muß beständig beachtet werden, und die Rechte der einzelnen Mitglieder dürfen nicht verletzt werden.«  (Liebe und Ehe, S.44)

Obwohl Bahá’u’lláh die Scheidung nachdrücklich mißbilligt, wird sie auf Grund von unüberwindbarer Abneigung zwischen den Ehepartnern erlaubt. Sie kann aber erst nach Ablauf eines Wartejahres, in dem das Paar getrennt leben und sich intensiv bemühen muß, seine Schwierigkeiten beizulegen, bewilligt werden. Auf diese Weise wird es vor übereilten Entscheidungen und unbesonnenen Emotionen beschützt. Dadurch gelingt vielen Paaren, ihre Ehe im Laufe dieses Jahres des Nachdenkens wieder in Ordnung zu bringen. Sollte sich dennoch zeigen, daß eine Aussöhnung unmöglich ist, kann das Paar sich scheiden lassen.


▪ Gleichwertigkeit der Geschlechter

Der Grundsatz der Gleichwertigkeit verändert in der Bahá’í-Ehe die Beziehung zwischen Mann und Frau. Da ihr gleichlautendes Ehegelöbnis ihren Status als gleichberechtigte Partner beinhaltet, sollte weder der Mann, noch die Frau dominieren. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden.

Stets sollte in der Familie wie in der gesamten Gesellschaft »...nicht despotische Machtausübung, sondern der Geist freier, liebevoller Beratung« (Einheit der Familie, S.47) die Atmosphäre bestimmen.

Die Prinzipien der Bahá’í-Beratung helfen uns, jedes in der Familie vorkommende Problem offen, ehrlich und taktvoll zu besprechen. Dabei soll ermöglicht werden, daß »die Wahrheit offenbar wird« (Beratung, S.11) und zwar in einer Weise, daß das Problem zum Wohle aller gelöst wird. Wenn ein Ehepaar oder eine Familie die Beratung richtig handhabt, ist sie ein wirksamer Weg zum Bewahren der Einheit.

Ein Ehepaar, das die Gleichwertigkeit akzeptiert und von der Beratung Gebrauch macht, wird eine Flexibilität erlangen, die ihm ermöglicht, die Anforderungen einer sich rasch verändernden Welt zu bewältigen. Obwohl Mann und Frau in bestimmten Bereichen sich gegenseitig ergänzende Fähigkeiten und Aufgaben haben, sind die Rollen nicht starr definiert, sondern können, wenn nötig, angepaßt werden, so daß den Bedürfnissen jedes Familienmitglieds wie auch der ganzen Familie entsprochen werden kann. Obwohl die Frauen ermutigt werden, ihre berufliche Laufbahn zu verfolgen, sollte dies in einer Weise geschehen, die mit ihrer Mutterrolle nicht in Konflikt gerät. Gleichzeitig werden die Väter von Pflichten im Haushalt und dem Großziehen der Kinder nicht freigestellt.

Wenn die Beziehungen innerhalb der Familie von der ihnen gebührenden Gerechtigkeit bestimmt sind, wird dies die Errichtung des Friedens in der Welt entscheidend fördern. Solange den Frauen die Gleichberechtigung und die Achtung in der Familie verweigert wird, entwickeln Männer und Söhne schädliche Einstellungen und Gewohnheiten, die sie an den Arbeitsplatz, in die Politik und schließlich in die internationalen Beziehungen hineintragen. Sobald immer mehr Kinder in Familien aufwachsen, in denen die Rechte aller Mitglieder respektiert und Probleme mit Hilfe von Beratung gelöst werden, steigt die Aussicht auf Frieden in der Welt erheblich.


▪ Erziehung und Familie

Das Kind erhält seine Bildung zwar in der Schule, aber sein Charakter und seine sittliche und geistige Einstellung wachsen zuhause heran und werden hier geformt. Deshalb muß die Familie in allen Tugenden geschult werden. Geduld, Treue, Vertrauenswürdigkeit, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und ähnliche Tugenden sind die Bausteine des Charakters. Die Tugenden, die in jedem heiligen Glauben als allgemein gültige Elemente der Geistigkeit bezeichnet werden, sind die Widerspiegelung des Göttlichen in jedem Menschen.

Bei jedem Familienmitglied sollen also die edelsten Eigenschaften und Werte gehegt und gepflegt werden. Die Eltern müssen aber auch für die ineinander greifende Entwicklung aller in ihren Kindern schlummernden Fähigkeiten im geistigen, sittlichen, intellektuellen, gefühlsbedingten und körperlichen Bereich sorgen. Mädchen und Jungen sollten also eine Schulbildung auf der Basis eines in den Grundzügen identischen Lehrplans erhalten. Sollten begrenzte finanzielle Mittel eine Entscheidung erfordern, so ist den Mädchen als den künftigen Erzieherinnen der nächsten Generation vor den Jungen ein Vorrecht einzuräumen.


▪ Die Familie und die Gemeinde

Im Bahá’í-Glauben arbeiten über 17.000 Ortsgemeinden in über 200 unabhängigen Ländern und Territorien. In gewissem Sinne funktionieren diese Gemeinden wie erweiterte Familien.

Bahá’í gibt es in allen Nationen, ethnischen Gruppen, Kulturen, Berufen und Gesellschaftsschichten. Obwohl die Art und Weise, wie Bahá’í-Hochzeiten gefeiert werden, in den einzelnen Kulturkreisen recht unterschiedlich ist, sind die Gesetze und die Trauformel weltweit gleich und gelten, ob die Partner Bahá’í sind oder nicht. Die Bahá’í haben überall auf der Welt die Erfahrung gemacht, daß die Bahá’í-Prinzipien und -Gesetze, die das Bahá’í-Familienleben kennzeichnen, Liebe und Einheit fördern.


▪ Fazit

Während die hier genannten Grundsätze in der ganzen Welt schrittweise in die Praxis umgesetzt werden, entstehen Familien, die imstande sind, beim Aufbau einer einigen Weltgesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen, denn letztendlich muß zwischen Familie, Nation und Weltkultur unweigerlich eine Verknüpfung geschaffen werden:

»Vergleiche die Nationen der Welt mit den Mitgliedern einer Familie. Eine Familie ist eine Nation im Kleinen. Erweitere einfach den Kreis des Haushalts, und du erhältst die Nation. Vergrößere den Kreis der Nationen, und du hast die gesamte Menschheit.« (Foundations of World Unity, p.100)


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1994

International Year of the Family
Année internationale de la famille
Afio Internacional de la Familia


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Die BAHÁ’Í-BRIEFE wollen "eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten der Bahá’í-Religion fördern” und "zu einem Dialog mit allen beitragen, die sich um die Lösung der Weltprobleme mühen."

Das Jahr 1994 wurde von der Vollversammlung der Vereinten Nationen zum INTERNATIONALEN JAHR DER FAMILIE proklamiert. Die Internationale Bahá’í-Gemeinde hat dazu eine Erklärung herausgegeben, die auf den vorhergehenden Seiten wiedergegeben ist; alle Bahá’í-Gemeinden sind dazu aufgerufen, dieses UN-Jahr zu unterstützen. Das Bahá’í-Weltzentrum wies darauf hin, daß "die (Familie) ein Bereich ist, zu dem die Bahá’í-Lehren viel zu sagen haben, das für die menschliche Gesellschaft von großem Wert sein kann."

Eine gute Gelegenheit für "Auseinandersetzung" und "Dialog" auch in dieser Zeitschrift, meint die Redaktion der BAHÁ’Í-BRIEFE.

Machen Sie mit! Schreiben Sie uns Ihre Meinung und Ihre Anregungen zu Fragen von Familie und Erziehung. Wir freuen uns auf einen regen Dialog. Das Ergebnis finden Sie in den nächsten BAHÁ’Í-BRIEFEN.


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