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Bahá’í
BRIEFE
- Zeitschrift
- für Religion und Gesellschaft
- Nr. 61 / August 1992
Heiliges Jahr:
Zitate Bahá’u’lláhs und Bilder aus dem Heiligen Land
Naturwissenschaft und Religion
Bolivien: Gewächshäuser auf dem Altiplano
INHALT
Bahá’u’lláh - die Herrlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . 4
- Texte und Fotos als Beitrag zum Heiligen Jahr
- Bilder von Gita Maher
Die Achse der Einheit . . . . . . . . . . . 5
- Der größere und der kleinere Bund Bahá’u’lláhs
- Hermine Mayer-Berdjis
Das neue Weltbild . . . . . . . . . . . 14
- Betrachtungen zu dem sich wandelnden Verhältnis
- zwischen Naturwissenschaft und Religion
- Ingo Hofmann
Gewächshäuser auf dem Altiplano . . . . . . . . . . . 25
- Ein bolivianisches Umweltforschungszentrum
- konzentriert sich auf die Probleme der Hochebene
Vom Umgang mit der Übergangsphase . . . . . . . . . . . 31
- Buchbesprechung: Die erste globale Revolution
- Ein Bericht vom Rat des Club of Rome
Gedenkveranstaltung in der Paulskirche . . . . . . . . . . . 34
- Auszüge aus Grußworten zu diesem Festakt
Berichtigung zu Ausgabe Nr. 60 der Bahá’í-Briefe:
Das Faksimile auf Seite 8 stellt einen Text aus den Schriften Bahá’u’lláhs dar, nicht wie irrtümlich angegeben des Báb. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.
Die Redaktion
Titelbild:
Eingangstor zu den Gartenanlagen in Bahjí, die den Schrein Bahá’u’lláhs umgeben
- Foto: Gita Maher
Bahá’í-Briefe
- Heft 61
- August 1992
- 20. Jahrgang
Die Bahá’í-Briefe wollen eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten der Bahá’í-Religion fördern und auf der Grundlage zeitgemäßen Denkens zu einem Dialog mit allen beitragen, die sich um die Lösung der Weltprobleme mühen.
Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland e.V., Hofheim-Langenhain
Redaktion:
Nassim Berdjis, Nawid Maher, Bijan Sobhani,
Uwe Still, Karl Türke jun.
Redaktionsanschrift: Bahá’í-Briefe, Redaktion, Eppsteiner Str. 89, D-6238 Hofheim 6.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge
stellen nicht notwendig die Meinung der Redaktion
oder des Herausgebers dar.
Die Bahá’í-Briefe erscheinen halbjährlich.
Abonnementpreis für vier Ausgaben 20,- DM.
Einzelpreis 6,- DM.
Vertrieb und Bestellungen:
Bahá’í-Verlag Eppsteiner Str. 89
D-6238 Hofheim 6
© Bahá’í-Verlag GmbH 1992 ISSN 0005-3945
- BAHA'Í
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- Beiträge
- zum Heiligen Jahr
EDITORIAL
Die Bahá’í-Weltgemeinde begeht vom 21. April 1992 bis zum 20. April 1993 ein Heiliges Jahr im Gedenken an den 100. Jahrestag des Hinscheidens Bahá’u’lláhs am 29. Mai 1892. Neben vielen lokalen und nationalen Veranstaltungen finden auf Weltebene zwei Konferenzen statt. Ende Mai haben sich über 3.000 Bahá’í aus allen in der Weltgemeinde vertretenen Ländern und ethnischen Gruppen der Erde gemeinsam an der Grabstätte Bahá’u’lláhs in einer feierlichen Andacht zum Gedenken an den 100. Jahrestag Seines Hinscheidens versammelt. Diese Konferenz hat gezeigt, daß der Glaube Bahá’u’lláhs bereits ein breites Spektrum der Menschheit zur Einheit in Seinem Bund geführt und die Herzen in Liebe und Zusammenarbeit verknüpft hat.
Als zweites wird im November in New York ein Weltkongreß abgehalten, bei dem der 100. Jahrestag der Einsetzung des Bündnisses Bahá’u’lláhs gefeiert wird. New York wurde 1912 von 'Abdu'l-Bahá zur Stadt des Bündnisses bestimmt, weil Er dort den tieferen Sinn Seiner Stufe als ernannter Mittelpunkt des Bundes Bahá’u’lláhs besonders erklärt hat. Eine Schrift über Bahá’u’lláh, herausgegeben vom Weltzentrum des Glaubens, ergänzt diese Ereignisse, indem sie für Menschen in aller Welt den Anspruch Bahá’u’lláhs kurz und präzise darstellt.
In Deutschland fand am 26. Mai 1992 in der Frankfurter Paulskirche eine feierliche Veranstaltung zum Hinscheiden Bahá’u’lláhs statt. Etwa 900 Teilnehmer, darunter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Bahá’í aus dem In- und Ausland, waren anwesend.
Die Redaktion der Bahá’í-Briefe wird keine Sonderausgabe der Bahá’í-Briefe zum Heiligen Jahr veröffentlichen, aber in diesem und den nächsten beiden Ausgaben sind verschiedene Artikel und Beiträge dem Heiligen Jahr gewidmet, sodaß uns das Thema über das ganze Jahr hinweg begleitet. Alle Artikel zu diesem Themenkomplex sind durch das auf dieser Seite vorgestellte Logo gekennzeichnet. In dieser Ausgabe beleuchtet der Artikel “Die Achse der Einheit” den Bund zwischen Gott und den Menschen als historisch allgegenwärtiges Phänomen und im besonderen die Rolle des Bündnisses in der Offenbarung Bahá’u’lláhs. Parallel dazu vermitteln unkommentierte Zitate aus den Schriften Bahá’u’lláhs den Geist Seiner Offenbarung, begleitet von Bildern der Heiligen Stätten der Bahá’í im Heiligen Land.
Zum Heiligen Jahr erscheinen die Bahá’í-Briefe in neuem Gewand, bleiben aber ihrem Namen treu und hoffen weiterhin auf die Unterstützung ihrer Leserschaft. Über Zuschriften, Anregungen und Ideen freuen wir uns sehr und wünschen allen Lesern ein gesegnetes Heiliges Jahr.
Die Redaktion
- BAHA'Í
Bahá’u’lláh - die Herrlichkeit Gottes[Bearbeiten]
Texte aus der Ährenlese von Bahá’u’lláh
Fotos von Gita Maher
Wahrlich, Ich sage, dies ist der Tag, an dem die Menschheit das Angesicht des Verheißenen schauen und Seine Stimme hören kann. Gottes Ruf ist erhoben, und das Licht Seines Antlitzes ist über den Menschen aufgegangen.
- (7:1)
Dies ist der Tag, da das Meer göttlicher Gnade den Menschen offenbart ist, der Tag, da die Sonne Seiner Güte ihren Strahlenglanz über sie ergießt, der Tag, da die Wolken Seiner reichen Gaben die ganze Menschheit überschatten.
- (5:1)
- Schrein des Báb am Berg Karmel in Haifa
- BAHA'Í
Hermine Mayer-Berdjis
Die Achse der Einheit[Bearbeiten]
Der größere und der kleinere Bund Bahá’u’lláhs
» O Sohn des Menschen! Verhüllt in Meinem unausdenkbaren
Wesen und in der Ewigkeit Meines Seins, erkannte ich Meine Liebe zu dir;
darum erschuf Ich dich, prägte dir Mein Ebenbild ein und offenbarte dir
Meine Schönheit.« 1)
Alle großen Religionen berichten von der unendlichen Liebe Gottes zu den Menschen:
»Darum, daß Gott einer ist, daß Er unser aller Vater ist, daß wir alle in das Meer Seines Erbarmens getaucht sind und durch Seine liebevolle Sorge beschützt und behütet werden...«2)
Ebenso wird die überragende Stellung des Menschen in der Schöpfung durch seine geistigen Fähigkeiten erneut bestätigt: »Die Sonne ist trotz ihrer Kraft und Herrlichkeit an die Naturgesetze gebunden und kann ihren Lauf nicht um Haaresbreite verändern. ... Nichts kann sich dem Gesetz der Natur widersetzen außer dem Menschen.«3)
Und daß Gott dem Menschen »Seine Schönheit« offenbart, beweisen die Religionen, die 'Abdu'l-Bahá so beschreibt:
»Überleget, ob es in der Schöpfung ein Prinzip gibt, das in irgend einer Hinsicht machtvoller ist als die Religion, ob eine Kraft gedacht werden kann, die durchdringender ist als die zahlreichen göttlichen Offenbarungen...«4)
▪ Der ewige Bund
Diese drei Faktoren — die Liebe Gottes zu den Menschen, die Stellung des Menschen in der Schöpfung und das Prinzip Religion — zeigen eine enge, dauernde Verbindung zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf, die durch den ewigen Bund, wie die Geschichte von Noah und dem Regenbogen lehrt, besiegelt wurde. Dieser Bund hat allerdings nicht den Charakter eines Vertrages unter gleichrangigen Partnern. Er gleicht eher dem Verhältnis von Schülern zu ihrer Schule oder von Kindern zu ihren Eltern. Letzteres Beispiel ist in vielerlei Hinsicht anwendbar, zeigt es doch sehr deutlich, wie vollendetere Wesen einem nicht einmal allein lebensfähigen, potentiell aber vielversprechenden Wesen zur Entfaltung verhelfen.
▪ Das Bindeglied
Da Gott in Seiner Größe für uns Menschen unvorstellbar ist, so wie der Säugling sich die Mutter nicht vorstellen kann, hat der Bund Gottes mit den Menschen die Religion als Bindeglied. Gott wählt, wie Bahá’u’lláh in Seinem Buch der Gewißheit5) ausführlich erläutert, bestimmte Menschen aus und verleiht ihnen die Stufe
- Da Gott in Seiner Größe für uns Menschen unvorstellbar ist, hat der Bund Gottes mit den Menschen die Religion als Bindeglied
- BAHA'Í
- Landhaus in Bahjí, Bahá’u’lláhs letzte Wohnstätte
O meine Diener!
Es geziemt euch, eure Seelen mit den huldvollen Gnadengaben, die in dieser göttlichen, dieser herzerquickenden Frühlingszeit auf euch herabströmen, zu erquicken und neu zu beleben. Die Sonne Seiner großen Herrlichkeit hat ihre Strahlen auf euch ergossen, die Wolken Seiner grenzenlosen Gnade haben euch überschattet. Wie groß ist der Lohn dessen, der sich nicht selbst einer so großen Gnade beraubt noch verfehlt, die Schönheit seines Meistgeliebten in diesem Seinem neuen Gewande zu erkennen.
- (85:1)
- BAHA'Í
eines Gottesboten, der wie ein reiner Spiegel das Wesen Gottes widerspiegelt und den
Menschen die Botschaft oder das Wort Gottes in für sie verständlicher Sprache mitteilt:
»... auf daß sie das Volk mit der göttlichen Absicht vertraut machen... und jedermann
bewußt werde, was in jedweder menschlichen Seele als Treugut Gottes verborgen
ist.«6)
Diese Gottesboten erneuern stets den Bund Gottes und bringen den Menschen die göttlichen Lehren als Richtschnur für ihr persönliches Leben sowie für das der Gesellschaft ihrer Zeit. Dafür wird von seiten der Menschen erwartet, daß sie diesen Bund akzeptieren, die göttliche Führung annehmen und ihr gehorchen, so wie z.B. ein Schüler die Lehrer und den Lehrplan seiner Schule annimmt, um damit ein bestimmtes Reifeziel zu erreichen. Die Menschen, die den Offenbarer anerkennen und durch ihn in ein Bündnis mit Gott eintreten, geben ihr Versprechen, daß sie sich bemühen wollen, die Lehren wirklich zu verstehen, die Gebote aus Liebe zu Gott zu halten und die sozialen Gesetze zum Wohle der Gemeinschaft umzusetzen.
▪ Der freie Wille
Da sich der Mensch durch seinen Geist, dessen wichtigste Eigenschaft der Verstand ist, von allen anderen Lebensformen unterscheidet, hat er auch einen Willen, mit dem er sich für oder gegen den Bund mit Gott entscheiden kann. Nach den Lehren der Religionen ist jedoch der Wille Gottes oder das Wort Gottes das Naturgesetz für unser geistiges und stoffliches Menschsein. Wir wurden von Gott erschaffen, das »Treugut Gottes in unserer Seele«7) zu finden, uns selbst und unsere geistigen Potentiale zu erkennen und unsere wahre Natur zu entwickeln, die uns von allem erlöst, was diesem Ziel des Bundes mit Gott zuwiderläuft.
▪ Das rechte Maß im »größeren« Bündnis
Die goldene Regel aller Religionen oder der Grundsatz des »rechten Maßes in allen Dingen«8), den uns die Manifestationen stets aufs Neue erklären, kann uns nur leiten, wenn wir die aus höherer Sicht in den göttlichen Lehren gesteckten Grenzen akzeptieren. Der Straßenverkehr einer Großstadt ist hierzu ein anschauliches Beispiel — ohne Regeln wird er zum Chaos. Bahá’u’lláh erklärt, daß alles, sei es Freiheit, Zivilisation oder dergleichen, einen verderblichen Einfluß auf den Menschen haben wird, wenn es die Grenzen des rechten Maßes überschreitet. Er sagt weiter: »Wahre Freiheit besteht in der Unterwerfung des Menschen unter Meine Gebote, so wenig ihr dies auch versteht.«9) Also ist wiederum der Bund mit Gott der Garant. Liebe und Vertrauen sind elementare Voraussetzungen und Kraftquellen für den Menschen, der diesen Bund eingehen und halten will. Unser freier Wille hat als komplementäre Bedingung die Eigenverantwortung, die durch keine Vernachlässigung entschuldbar ist. Die Existenz des Gottesbundes bietet also der Menschheit in fortschreitender Folge, d.h. über die Kette der Religionen, die nötige Perspektive für die geistige Entwicklung des einzelnen und die kulturelle Entfaltung der Gesellschaft. Das »rechte Maß« vermittelt uns die jeweils jüngste Offenbarung, das
- »Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich gemacht habe zwischen mir und euch and allen lebendigen Seelen bei euch hinfort ewiglich: Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; er soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.«
- 1. Moses 9, 12-13
- BAHA'Í
- Eingang zum Schrein Bahá’u’lláhs in Bahjí
- Das Wort Gottes ist eine Lampe, deren Licht der Satz ist: ihr seid die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges. Verkehrt miteinander in inniger Liebe und Eintracht, in Freundschaft und Verbundenheit. Er, die Sonne der Wahrheit, bezeugt Mir: So machtvoll ist das Licht der Einheit, daß es die ganze Erde erleuchten kann. Der eine, wahre Gott, der alle Dinge kennt, bezeugt die Wahrheit dieser Worte.
- (132:3)
- BAHA'Í
»größere Bündnis«, das deren Stifter mit den Menschen schließt.
▪ Der kleinere Bund Bahá’u’lláhs
Neben diesem größeren Bündnis in allen Religionen, das die versprochene Führung und den Hinweis auf die Fortsetzung des ewigen Bundes in einer nächsten Offenbarung umfaßt, hat Bahá’u’lláh mit Seinen Anhängern einen zweiten Bund geschlossen. Die Geschichte früherer Religionen zeigt uns, daß im ehrlichen Bemühen, die göttlichen Lehren zu verstehen, die Meinungen der Gläubigen auseinandergingen und Spaltungen entstanden. Wenn man bedenkt, daß jede Offenbarung ein bestimmtes Prinzip in den Mittelpunkt stellt, sind diese früheren Spaltungen zwar tragisch, aber nicht verhängnisvoll. Z.B. war der zentrale Gedanke im Judentum die Rechtschaffenheit, im Christentum die Nächstenliebe, im Islam die Unterwerfung unter den Willen Gottes oder im Buddhismus die Gelassenheit. Keine Spaltung konnte den zentralen Zweck beeinträchtigen. Im Bahá’í-Glauben ist jedoch das zentrale Thema die Einheit. Bahá’u’lláh sagt deutlich:
»Mein Ziel ist kein anderes als die Besserung der Welt und die Ruhe der Völker. Die Wohlfahrt der Menschen, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, wenn und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist. Diese Einheit kann so lange nicht erreicht werden, als die Ratschläge, die die Feder des Höchsten offenbart hat, unbeachtet übergangen werden.«!10)
Spaltungen würden also im Bahá’í-Glauben den wahren Grund seiner Existenz, sein zentrales Anliegen zunichte machen.Deshalb hat Bahá’u’lláh einen zweiten, »kleineren« Bund mit seinen Anhängern geschlossen. Er setzte in Seinem Testament, dem »Buch des Bundes«11), Seinen ältesten Sohn, 'Abdu'l-Bahá, der seit Seiner Kindheit die Verbannung mit Ihm geteilt hatte, zum Mittelpunkt dieses »kleineren Bundes« ein. Bahá’u’lláh schrieb über ‘Abdu’l-Bahá: »Er ist der Ausleger Meines Buches, Er weiß über Meine Absicht Bescheid. Alle müssen sich Ihm zuwenden. . .«12) Diese 'Abdu'l-Bahá verliehene Autorität über die Auslegung des Wortes Gottes bedeutet nicht, daß die Gläubigen sich keine Gedanken mehr zu machen brauchen. Im Gegenteil: Eines der wichtigsten Prinzipien der Lehren Bahá’u’lláhs ist das selbständige Forschen nach der Wahrheit. Ohne dieses Prinzip wäre das Prinzip der Beratung, ein Grundelement der Weltordnung Bahá’u’lláhs, gar nicht möglich. Der kritische Punkt ist die Relativität menschlicher Erkenntnis. Daher dürfen solche Erkenntnisse nicht zum Lehrsatz aufsteigen und dem Buch Gottes hinzugefügt werden, denn so entstanden die meisten Glaubensspaltungen, von denen die Menschheitsgeschichte berichtet. Den »Judas« jedoch, der anders motiviert ist, treibt nach den Worten 'Abdu'l-Bahás sein Geltungsbedürfnis, sein enger und sein ewig dürstendes Selbstgefühl. 13)
▪ Das schützende Bollwerk
Bahá’u’lláh hat in Seinen Schriften das Grundkonzept einer neuen Weltordnung nach geistigen Prinzipien und mit praktischen Institutionen skizziert. Da Er aber vierzig Jahre lang gefangen und verbannt
- »In jeder Sendung war das Licht göttlicher Führung brennpunktartig auf ein zentrales Thema gerichtet... In dieser wundersamen Offenbarung, diesem herrlichen Jahrhundert, ist die Grundlage des Glaubens Gottes und das hervorstechende Merkmal Seines Gesetzes das Bewußtsein der Einheit der Menschheit.«
- 'Abdu'l-Bahá in: Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 60
- BAHA'Í
- Es ist Unser Wunsch und Verlangen, daß jeder von euch zu einem Quell alles Guten unter den Menschen und zu einem Beispiel der Aufrichtigkeit für die Menschheit werde. Hütet euch, daß ihr euch selbst nicht eurem Nächsten vorzieht. Richtet eueren Blick auf ihn, den Tempel Gottes unter den Menschen. Er hat in Wahrheit sein Leben als Lösegeld für die Erlösung der Welt dargebracht. Er ist wahrlich der Allgütige, der Gnädige, der Höchste
- (146:1)
- Internationales Bahá’í-Archiv am Berg Karmel in Haifa
- BAHA'Í
war, hatte Seine Lehre zu Seinen Lebzeiten in nur fünfzehn Ländern Fuß gefaßt. Zeit
war nötig, um die neuen Impulse in die richtigen Bahnen zu lenken und die Menschen
zu neuem Denken zu führen. Durch Seinen Bund, dessen zentrale Autorität 'Abdu'l-Bahá
war, hatte Er dafür gesorgt, daß Sein Wort vor falscher Deutung beschützt
blieb und unter der Anleitung 'Abdu'l-Bahás erklärt und verbreitet wurde.
'Abdu'l-Bahá reiste selbst vor dem Ersten Weltkrieg nach Europa und Nordamerika und
sprach bei zahllosen Anlässen über die Einheit der Menschheit und die Weltordnung
Bahá’u’lláhs, die den Weltfrieden und eine Weltkultur zum Ziele hat. Die Weisheit und
Autorität ‘Abdu’l-Bahás hat trotz einiger heftiger Angriffe die Einheit des
Bahá’í-Glaubens bewahrt. Der kleinere Bund erwies sich als schützendes Bollwerk. Als
'Abdu'l-Bahá 1921 diese Welt verließ, hatte Er kraft der Ihm von Bahá’u’lláh verliehenen
Autorität in Seinem Testament Shoghi Effendi, Seinen ältesten Enkel, als »Hüter
des Glaubens« und damit als nächste zentrale Autorität eingesetzt.14)
Unter seiner Führung wurden der Glaube weltweit verbreitet, Angriffe auf das Bündnis
und damit auf die Einheit der Glaubensgemeinschaft gemeistert, und zahlreiche der für
eine Weltordnung vorgesehenen Institutionen wurden modellhaft errichtet. Durch diese
Vorbereitung konnte bald nach dem Tode Shoghi Effendis (1957) das von Bahá’u’lláh
vorgesehene Weltgremium des Glaubens, das »Universale Haus der Gerechtigkeit«,
von delegierten Bahá’í aus aller Welt gewählt werden. Dieses 1963 gegründete
Gremium übernahm die von Bahá’u’lláh vorgesehene Aufgabe, die Einheit der
Weltgemeinde zu bewahren und die Institutionen der Weltordnung Bahá’u’lláhs
weiter auszubauen.15)
▪ Zwei autoritative Angelpunkte
Demnach gibt es im Bahá’í-Glauben zwei autoritative Angelpunkte: Der eine ist das »Buch« mit den Äußerungen Bahá’u’lláhs sowie den Auslegungen ‘Abdu’l-Bahás und den Erklärungen Shoghi Effendis. Der zweite ist das Universale Haus der Gerechtigkeit, das über alles entscheiden muß, was im Buch nicht ausdrücklich gesagt ist. Das bedeutet, daß am Wort Gottes nicht zu rütteln ist, daß aber die Entscheidungen, die dieses Weltgremium fällt, für alle Bahá’í als verbindlich gelten. Diese Entscheidungen können, da sie nicht Teil des Buches sind, von diesem Gremium selbst abgeändert werden, wenn die Umstände oder Entwicklungen es erfordern. Damit verbindet der Bund Bahá’u’lláhs Einheit und Flexibilität auf wunderbare Weise.
▪ Die erlösende Freiheit
»Es ist bemerkenswert«, schreibt das Universale Haus der Gerechtigkeit, »daß in der Ordnung Bahá’u’lláhs der einzelne, wenngleich sein Wille dem der Gesellschaft untergeordnet ist, sich nicht in der Masse verliert, sondern zum Brennpunkt elementarer Entwicklung wird, so daß der Strom des Fortschritts seinen eigenen Platz findet und die ganze Gesellschaft aus dem Reservoir der Talente und Fähigkeiten der sie konstituierenden einzelnen Nutzen ziehen kann. So findet der Mensch die Erfüllung des ihm eigenen Potentials16) nicht in der bloßen Befriedigung seiner Bedürfnisse, sondern in der Erfahrung seiner Ganzheit durch das Einssein mit der Menschheit und dem göttlich bestimmten Zweck der ganzen Schöpfung...
Führt dies nicht zu dem naheliegenden Schluß, daß ‘wahre Freiheit’ Bahá’u’lláhs
Liebesgabe an die Menschheit ist? Bedenken wir, was Er getan hat: Er offenbarte
Gesetze und Grundsätze, die Freien zu führen; Er errichtete eine Ordnung, die
Freien in ihrem Handeln zu leiten; er verkündete einen Bund, die Einheit der
Freien zu sichern. So gelangen wir zu der entscheidenden Einsicht: Bahá’u’lláh kam,
die Menschheit zu befreien. Seine Offenbarung ist in der Tat eine Einladung zur
Freiheit — Freiheit von Mangel, Freiheit von Krieg, Freiheit zur Einheit, Freiheit
zum Fortschritt, Freiheit in Frieden und
[Seite 12]
- BAHA'Í
- Sitz des Universalen Hauses der Gerechtigkeit am Berg Karmel in Haifa
Das Erhabenste Wesen spricht: O ihr Menschenkinder! Der Hauptzweck, der den Glauben Gottes und Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechts zu sichern, seine Einheit zu fördern und den Geist der Liebe und Verbundenheit unter den Menschen zu pflegen. Laßt sie nicht zur Quelle der Uneinigkeit und der Zwietracht, des Hasses und der Feindschaft werden. Dies ist der gerade Pfad, die feste, unverrückbare Grundlage. Was immer auf dieser Grundlage errichtet ist, dessen Stärke können Wandel und Wechsel der Welt nie beeinträchtigen, noch wird der Ablauf zahlloser Jahrhunderte seinen Bau untergraben.
- (110:1)
- BAHA'Í
Freude... und der Chance zum »rechten Maß, das den Genuß wahrer
Freiheit verbürgt.« 17)
▪ Die Vision der Propheten
»Das Bündnis Bahá’u’lláhs, das unaufhörlich für die Förderung menschlicher Einheit wirkt, hat seine Macht bewiesen... Und wie das Lebensganze dieser gottgegebenen Ordnung voranschreitet, so werden die wohltätigen Kräfte und Einflüsse, die nach dem Willen ihres Urhebers im Keim verwahrt sind, naturgemäß ihre schöpferische Rolle spielen, bis das Reifestadium erreicht und diese Welt zu dem lang verheißenen Königreich Gottes geworden ist, das die Vision der Propheten vergangener Zeiten und die Wirklichkeit der erhabenen Worte Bahá’u’lláhs in aller Schönheit offenbart.«18)
- 1) Bahá’u’lláh, Verborgene Worte, arab. Nr. 3, Bahá’í-Verlag 1982.
- 2) ‘Abdu’1-Bahä in: Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Bahá’í-Verlag 1977, S. 60.
- 3) ebenda, S. 93
- 4) 'Abdu'l-Bahá, Das Geheimnis göttlicher Kultur, Bahá’í-Verlag 1973, S. 77.
- 5) Bahá’u’lláh, Das Buch der Gewißheit, Bahá’í-Verlag 1969
- 6) Bahá’u’lláh, Botschaften aus ’Akká, Bahá’í-Verlag 1982, 11:2.
- 7) ebenda
- 8) Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 110 und 163:3.
- 9) ebenda 159:4.
- 10) ebenda 131:2.
- 11) Dokumente des Bündnisses, Bahá’í-Verlag 1989, S. 9ff.
- 12) Bahá’í-Briefe Nr. 46, S. 1328.
- 13) s. 'Abdu'l-Bahá in: H. Grossmann, Das Bündnis in den Offenbarungsreligionen, Bahá’í-Verlag 1981, S. 95-96.
- 14) s. Dokumente des Bündnisses.
- 15) s. David Hofman, 'Abdu'l-Bahás Wille und Testament, Bahá’í-Verlag 1985.
- 16) s. in 6): »das Treugut Gottes in der menschlichen Seele«
- 17) Freiheit und Ordnung, Bahá’í-Verlag 1989, S. 30-32.
- 18) David Hofman, ‘Abdu’l-Bahás Wille und Testament, S. 65.
- So sammle denn (Deine Diener) um dieses göttliche Gesetz, dessen Bündnis Du mit allen Deinen Propheten und Deinen Boten errichtet und dessen Gebote Du in Deinen Sendschreiben und Schriften aufgezeichnet hast, und erhebe sie zu jenen Höhen, die sie fähig machen, Deinen Ruf zu hören.
- Bahá’u’lláh, Gebete und Meditationen, Nr. 65
Ingo Hofmann
Das neue Weltbild[Bearbeiten]
Betrachtungen zu dem sich wandelnden Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Religion
Vorbemerkung
I. Wandel im Weltbild
- Das Mechanistische Weltbild
- Das Jahrhundert des Umbruchs
II. Die Frage der Wahrheit
- Die Wahrheit der Wissenschaft
- Die Wahrheit der Religion
III. Gott und Seine Schöpfung
- Gottesbegriff und Gotteserkenntnis
- Die Offenbarung Gottes
- Evolution und Schöpfung
IV. Die integrale Kultur
- Aspekte des Zusammenwirkens
▪ Vorbemerkung
In unserem Jahrhundert hat die Wissenschaft durch eine ungeahnte Evolution des Wissens in fast allen Bereichen universale Bedeutung erlangt. Der Glaube an die Wissenschaft ist an die Stelle des religiösen Glaubens getreten. Während die Wissenschaft die Welt fortwährend »objektiv« verändert, haben die meisten Menschen in den technisch hochentwickelten Ländern von ihrer Religion nur »subjektive« Erwartungen. Das »Subjektive« liegt für sie in der Erfüllung privater Hoffnungen und der Erwartung einer Erlösung im Jenseits. Für die überwiegende Mehrzahl der Menschen in der christlichen Welt ist die Wissenschaft grundsätzlich glaubwürdig, die Religion hingegen äußerst fragwürdig. Diese Spaltung des Bewußtseins ist ein Grundproblem des modernen Menschen.
Die Bahá’í-Religion, deren Entstehung in das Zeitalter der Geburt der modernen Naturwissenschaft fällt, liefert eine zeitgemäße Antwort auf die Frage, wie die Kluft zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven, dem Nützlichen und dem Wahren, der Religion und der Wissenschaft überwunden werden kann. Wissenschaft ist das Mittel, um blinde Nachahmung und Vorurteile abzubauen und den Menschen zu einer höheren Sicht der Wahrheit zu führen:
»Religion und Wissenschaft sind die beiden Flügel, auf denen sich die menschliche Geisteskraft zur Höhe erheben und mit denen die menschliche Seele Fortschritte machen kann. Mit einem Flügel allein kann man unmöglich fliegen...«1)
Aber auch auf der Seite der Wissenschaft zeichnet sich mit dem Ende des 20. Jahrhunderts eine Wende ab. Bei den Naturwissenschaftlern, insbesondere den Physikern, hat ein Prozeß des Umdenkens begonnen. Die Haltung gegenüber Transzendenz ist einer neuen Offenheit gewichen. Die Suche nach einem Religionsverständnis, das auch naturwissenschaftliches Denken befriedigen kann, hat begonnen. Es gilt als anerkannt, daß die rationalwissenschaftliche Methode bei der Lösung vieler Probleme auf Grenzen stößt. Die Frage nach dem Sinn läßt sich wissenschaftlich nicht beantworten. Es gibt immer mehr Menschen, die eine Gesamtorientierung suchen, in der sich wissenschaftliches und religiöses Weltbild nicht widersprechen. So hat auch die Zerstörung der Natur durch Technik und Wirtschaft grundsätzliche Zweifel am wissenschaftlichen Fortschritt aufkommen lassen.
I. Wandel im Weltbild
Im Jahre 1515 schrieb Galilei noch folgendes: »Gott hat zwei Bücher geschrieben:
das Buch der Natur und das Heilige Buch. Der gleiche Gott hat beide Bücher
geschrieben.« Mit dieser Einsicht war endgültig die lange Epoche des Christentums
zu Ende gegangen, in der nur die Bibel, das »Buch der Religion«, anerkannt war. Die
Naturwissenschaft hatte als eigenständige Disziplin ihren Siegeszug begonnen.
Weder Galilei noch ein halbes Jahrhundert nach ihm Newton hatten allerdings die Absicht gehabt, Gott Seinen Platz als Schöpfer streitig zu machen. Newton war noch der festen Überzeugung, daß die neu entdeckte Lehre von der Bewegung der Himmelskörper gemäß physikalischer Gesetze Ausdruck des Wirkens einer göttlichen Ordnung im Universum sei. Gott stand für ihn einer rationalen Welterklärung nicht im Wege. Er gestand Gott sogar zu, gelegentlich in die Planetenbewegung korrigierend einzugreifen, um Störungen zu verhindern. Noch zu Lebzeiten Newtons wurde der Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion bei der Erklärung der Welt immer offensichtlicher. Der Erfolg der mathematisch begründeten Mechanik war nicht mehr aufzuhalten. Wozu einen Gott, wenn die Naturgesetze auf rationalem Wege alles erklären konnten? Im 19. Jahrhundert hatte diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht. Eine allgemeine Verherrlichung der Wissenschaft griff um sich: So riet der englische Physiker Lord Kelvin einem Studenten davon ab, Physik zu studieren, da sich kaum noch Neues finden ließe; der amerikanische Physiker Michelson sah den Fortschritt im wesentlichen nur noch in einer genaueren Messung der Naturkonstanten auf mehrere Stellen hinter dem Komma.
▪ Das mechanistische Weltbild
Der Erfolg der klassischen Mechanik war einer der Hauptfaktoren bei der Entstehung des materialistischen und atheistischen Weltbilds des 19. Jahrhunderts, dessen Auswirkungen bis in die heutige Zeit fortdauern. Auf den Bewegungsgesetzen Newtons aufbauend stellte man sich das Universum als gigantischen Mechanismus vor, der durch mathematische Gesetze vollendet beschrieben werden konnte. Alles sollte physikalisch erklärbar sein. Am weitesten ging der französische Physiker Laplace. Für ihn konnten alle Atome des Weltalls durch exakte Bewegungsgesetze beschrieben werden, die selbst das kleinste Detail festlegten. Ist der Zustand der Welt zu einem Zeitpunkt bekannt, dann ist die gesamte Zukunft des Kosmos durch die Newtonschen Bewegungsgesetze festgelegt, vom Prinzip her sogar berechenbar. Dieser Determinismus hat das wissenschaftliche Weltbild unserer Zeit nachhaltig beeinflußt. Wenn die Zukunft vollständig durch die Vergangenheit bestimmt ist und damit praktisch bereits in der Vergangenheit enthalten ist, hat die Zeit keinen echten Sinn mehr. Gott hat sich von Anfang an von der Welt verabschiedet und ist damit für alle weiteren Betrachtungen überflüssig. Das »Buch der Religion« wurde damit in der Rumpelkammer der Geschichte abgestellt und das »Buch der Wissenschaft« zum Bestseller erklärt.
Wenn die Welt nichts wirklich Neues hervorbringt, dann ist auch der Mensch letztlich überflüssig, »ein Zigeuner am Rande des Weltalls«, wie der französische Evolutionsforscher Monod noch vor wenigen Jahren schrieb.
▪ Das Jahrhundert des Umbruchs
Erst zwei bedeutende Entwicklungen der Physik des 20.Jahrhunderts haben das Bild der Welt als »Präzisionsuhrwerk« mit strenger Vorherbestimmung wieder umgeworfen: die Quantenmechanik und die Chaostheorie. Bereits vor der Jahrhundertwende erklärte ’Abdu’l-Bahá, daß Freiheit auf einer bestimmten Ebene existiert, aber auf einer höheren Ebene durch umfassendere Prinzipien wieder eingeschränkt wird:
»So ist dieser Zustand dem eines Schiffes zu vergleichen, das durch die Kraft des Windes oder Dampfes getrieben wird; hört diese Kraft auf, kann sich das Schiff
- “Gott hat zwei Bücher geschrieben: das Buch der Natur und das Heilige Buch. Der gleiche Gott hat beide Bücher geschrieben.”
- (Galilei)
- Gott hat sich als Schöpfer nach einem einmaligen Schöpfungsakt nicht von der Welt verabschiedet. Er ist vielmehr unaufhörlich Schöpfer.
überhaupt nicht bewegen. Trotzdem ist es das Steuer, das das Schiff in jede Richtung
lenkt, und die Kraft des Dampfes bewegt es nur in der gewünschten Richtung. Wird
es nach Osten gesteuert, fährt es nach Osten, wird es nach Westen gesteuert, fährt
es nach Westen. Die Bewegung aber geht nicht vom Schiff selbst aus, sondern vom
Wind oder Dampf.«2)
Die Quantenmechanik hat die Unbestimmtheit der Freiheit, besser gesagt die Freiheit der Unbestimmtheit im atomaren Bereich eingeführt, das heißt auf der Ebene des Kleinsten. Nach Heisenbergs »Unbestimmtheitsprinzip« ist der Zerfallszeitpunkt eines einzelnen radioaktiven Kerns grundsätzlich nicht festgelegt. Es gibt allerdings eine genau definierte Wahrscheinlichkeit für den Zerfall, die zur wohlbestimmten Halbwertszeit beim Zerfall eines radioaktiven Stoffes führt. Die Quantenmechanik führt demnach zwar am einzelnen Atom eine Unbestimmtheit ein; der Zerfall einer wägbaren Menge, das heißt das Verhalten im Großen, ist aber durch die streng definierte Wahrscheinlichkeit wieder deterministisch. In bestimmten Situationen kann allerdings die Unbestimmtheit der Quantenmechanik im atomaren Bereich direkte Auswirkungen auf das Verhalten im Großen haben. Ein Beispiel sind Mutationen an den Molekülen der Erbsubstanz, die die Zukunft des gesamten Lebewesens bestimmen können. Dies hat zur Folge, daß die biologische Zukunft des Menschen immer unbestimmt ist. Die Unvorhersagbarkeit ist grundsätzlicher Art und nicht nur Ausdruck mangelnder Kenntnis, weil die Unbestimmtheit der Quantenmechanik grundsätzlicher Natur ist.
Eine Trennung zwischen Indeterminismus im Kleinen und Determinismus im Großen ist aber auch durch die Chaostheorie aufgehoben worden. Ein gewöhnliches Pendel verhält sich nichtchaotisch in folgendem Sinne: eine kleine Störung der Anfangsauslenkung führt selbst nach langer Zeit nur zu einer relativ kleinen Änderung der Bewegung. Bei einem chaotischen System ist das grundsätzlich anders. Obwohl die Bewegung von einem exakten mathematischen Gesetz beschrieben wird (daher auch die Bezeichnung »deterministisches Chaos«), führt eine noch so kleine Anfangsstörung nach einer bestimmten Zeit zu einer unvorhersehbaren, gewaltigen Abweichung. In allen Bereichen der Physik, Chemie, Biologie, neuerdings auch den Sozialwissenschaften, wird der sogenannte »Schmetterlingseffekt« diskutiert: Es ist denkbar, ja mit Großcomputern sogar nachvollziehbar, daß das Flattern eines Schmetterlings am Amazonas einen Tornado in Florida auslöst. Die Chaostheorie stellt damit eine Brücke her zwischen den exakten Gesetzen der Physik und dem Gesetz des Zufalls.
Die grundsätzliche Nichtbestimmtheit der Zukunft durch die Vergangenheit bedeutet, daß das Universum zeitlich »offen« ist. Es braucht diese Offenheit, um hervorzubringen, was bisher nicht war, um schöpferisch evolutionär zu sein. Schöpferische Evolution ist die Entfaltung von Eigenschaften oder Fähigkeiten, die bisher nur als verborgene Möglichkeiten existierten. Der durch seine Untersuchungen über offene Systeme bekannt gewordene Chemiker und Nobelpreisträger Prigogine spricht in diesem Zusammenhang vom »Pfeil der Zeit«, der eindeutig in die Zukunft weist.3) Der Zukunft kommt eine neue Qualität gegenüber der Vergangenheit zu.
Diese Schlußfolgerungen führen über den Rahmen der Naturwissenschaft weit hinaus. In den Bahá’í-Schriften findet sich hierzu der Gedanke, daß Unwandelbares und Wandelbares zugleich zur Welt gehören:
»Was besteht, bestand zuvor, aber nicht in der Gestalt, in der du es heute wahrnimmst.«4)
Die Möglichkeit zu schöpferischer Evolution ist auch eine Voraussetzung für einen
weiteren Gedanken: Gott hat sich als Schöpfer nach einem einmaligen Schöpfungsakt
nicht von der Welt verabschiedet. Er ist vielmehr unaufhörlich Schöpfer und greift
damit in die schöpferische Gestaltung des Universums und damit auch der Welt
des Menschen ein. Durch fortschreitende Offenbarung Gottes in den Religionen,
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einem zentralen Prinzip der Lehren Bahá’u’lláhs, kann das schöpferische Wort
Gottes die Höherentwicklung der Menschenwelt bewirken.
Für den Menschen ergibt sich dabei die Frage einer Brücke von der Gegenwart in die Zukunft. Die Wissenschaft kann aus grundsätzlichen Erwägungen diese Brücke nicht schlagen. Da der Mensch aber ohne eine solche Brücke keinen letzten Sinn für sein Leben finden kann, gewinnt die Frage nach einer Erklärung der Welt durch die Religion und damit durch die fortschreitende Offenbarung Gottes wieder Berechtigung.
II. Die Frage der Wahrheit
▪ Die Wahrheit der Wissenschaft
»Die Wahrheit der Wissenschaft ergibt sich aus ihrer Nachprüfbarkeit, Religion hingegen ist nicht nachprüfbar.« Dieses verbreitete Mißverständnis hat sehr zur modernen Wissenschaftsgläubigkeit beigetragen. Worin liegt eigentlich die Wahrheit der Naturwissenschaft?
Zunächst über ihre Methode: Jede naturwissenschaftliche Theorie geht immer von Axiomen und Hypothesen aus, die auf mathematischanalytischem Wege zu Schlußfolgerungen führen. Die Theorie muß in sich widerspruchsfrei sein und ihre Vorhersagen müssen durch das Experiment bestätigt werden. Trifft das nicht zu, dann ist die Theorie »falsifiziert«, d.h. falsch. Wird die Theorie nicht falsifiziert, gilt sie damit als »verifiziert« oder richtig. Streng genommen ist also nur die Widerspruchsfreiheit einer Theorie beweisbar. Es gibt auch keinen Beweis dafür, daß eine wissenschaftliche Theorie oder ein Gesetz in der Zukunft richtig ist, weil sie in der Vergangenheit verifiziert war.
Die Naturwissenschaft kann also bei kritischer Betrachtung nicht beanspruchen, »wahre« oder »objektive« Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen. Das Ergebnis einer experimentellen Beobachtung ist in gewisser Weise durch die Meßapparatur bereits »vorgefärbt«. Wir müssen anerkennen, daß jede Beschreibung der Natur nur genäherten Charakter hat und auf einen von vornherein eingegrenzten Bereich beschränkt bleibt. Um ein Beispiel zu geben: Die Kausalität der Naturgeschehnisse ist überhaupt Voraussetzung für wissenschaftliche Beschreibung; daß es Kausalität in der Natur wirklich gibt, kann somit nicht durch die Wissenschaft bewiesen werden.
In den Bahá’í-Schriften wird die Wissenschaft definiert als die »notwendigen Beziehungen, die aus der Wirklichkeit der Dinge hervorgehen.«5) ’Abdu’l-Bahá bestätigt damit die Wirklichkeitsnähe der Wissenschaft, Er gesteht aber auch zu, daß sich die Wirklichkeit in gewisser Weise gegenüber der erkennenden Vernunft verhüllt. Danach ist die Vernunft als Maßstab berechtigt und sogar notwendig, sie ist aber nicht der einzige Maßstab:
Gott hat Religion und Wissenschaft gewissermaßen zum Maßstab unseres Verstehens gemacht.6)
Das gibt Anlaß zu einer demütigen Haltung des Wissenschaftlers gegenüber seiner Erkenntnis. Diese Demut hat übrigens in unserem Jahrhundert durch eine bedeutsame Entdeckung des Mathematikers Gödel einen unerwarteten Fürsprecher gefunden. Danach führt jedes logische System zu mindestens einer Aussage, die weder als »wahr« noch als »falsch« bewiesen werden kann.7) In seinen Konsequenzen für die Naturerkenntnis besagt dieser Satz, daß wissenschaftliche Erkenntnisse grundsätzlich
- Gott hat Religion und Wissenschaft gewissermaßen zum Maßstab unseres Verstehens gemacht.
- Danach ist blindes Vertrauen in Religion ebenso gefährlich wie blindes Vertrauen in Wissenschaft.
immer irgendwann zu paradoxen Aussagen führen müssen.
Trotz dieser grundsätzlichen Einwände erfährt die Naturwissenschaft ihre gewaltigste Bestätigung dadurch, daß sie an jedem Ort der Erde und zu jeder Zeit zu gleichen Ergebnissen geführt hat. Der »Erfolg« der Naturwissenschaft rechtfertigt gewissermaßen ihre »Richtigkeit«.
▪ Die Wahrheit der Religion
Was für die Naturwissenschaft als selbstverständlich gilt, wird für die Religionen heute von den meisten Menschen stark bezweifelt. Die »Mißerfolge« der Religionen lassen erhebliche Zweifel an ihrer Wahrheit aufkommen. Obwohl alle Religionen die Tugenden der Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Friedfertigkeit predigen, sind im Laufe der Geschichte im Namen der Religion wohl mehr Menschen unterdrückt und ausgerottet worden, als von irgendeiner anderen Institution der menschlichen Gesellschaft.
Es scheint, daß Anspruch und Wirklichkeit bei den Religionen sehr weit auseinanderklaffen. Während in naturwissenschaftlichen Fragen weltweite Übereinstimmung herrscht, kann bei der Religion davon keine Rede sein. »Glaube macht blind« sagen die Skeptiker; »Der Wert des Glaubens liegt darin, erst recht zu akzeptieren, was die Vernunft ablehnt«, wird dem oft von gläubigen Menschen entgegengehalten. Demgegenüber besteht in der zeitgenössischen Theologie ein starker Trend zur Verwissenschaftlichung der christlichen Religion. Traditionell umstrittene Themen werden so uminterpretiert, daß sie jenseits wissenschaftlicher Anfechtbarkeit liegen: Der »Schöpfergott« wird zum »Gott als Prinzip Nächstenliebe« umgewandelt.
Nach den Lehren der Bahá’í-Religion muß sowohl der eigenständige Anspruch der Religion als auch der der Wissenschaft anerkannt werden. Dabei geht es aber nicht nur um eine Art gegenseitiger »Bestätigung«, sondern um eine höhere Form der Wahrheit, als sie durch Beschäftigung mit Religion allein oder mit Wissenschaft allein gefunden werden kann. Das Ziel dieses Bemühens ist eine geistige Erneuerung der Menschheit. Der Weg ist nach einem der Grundsätze der Bahá’í-Religion selbständiges Suchen nach Wahrheit und Loslösung von starrer religiöser Überlieferung:
»Kein Mensch vermag die Küsten des Ozeans wahren Erkennens zu erreichen, ehe er nicht frei geworden ist von allem im Himmel und auf Erden.«8)
Danach ist blindes Vertrauen in Religion ebenso gefährlich wie blindes Vertrauen in Wissenschaft. Der Glaube benötigt die Erhellung durch die Vernunft. Wissenschaftliche Erkenntnisse dienen dem Schutz des Glaubens vor Aberglauben. Sie sind eine Bereicherung des religiösen Glaubens und keine Bedrohung.
Interessanterweise fordert 'Abdu'l-Bahá für die Religion eine ähnliche Definition wie für die Wissenschaft: die notwendigen Beziehungen, hervorgegangen aus der Wirklichkeit der Dinge. Während die Wissenschaft Nachprüfbarkeit durch grundsätzliche Wiederholbarkeit fordert, gehören zur Religion Fragen, die die Einzigartigkeit des Daseins betreffen, wie der Ursprung des Universums und der Sinn des Lebens. Das Universum in seiner Ganzheit ist kein wiederholbares Experiment. Das Wort
»Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert.«9)
weist auf die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit eines jeden Menschen hin. Damit ist die Wahrheit der Religion in ihrer letzten Konsequenz im Geheimnis der Einzigartigkeit der ganzen Schöpfung und eines jeden Menschen verborgen. In dieser mystischen Dimension entzieht sie sich dem Zugriff der Vernunft.
III. Gott und Seine Schöpfung
▪ Gottesbegriff, Gotteserkenntnis
Eine verbreitete Ansicht ist: »Gott ist eine unbeweisbare Hypothese, daher bauen die Religionen letztlich auf Sand.« Die moderne Welt hat mit ihrer technisch-wissenschaftlichen Kultur ebenfalls eine Ersatzreligion geschaffen, die vom Anspruch her umfassend ist und in praktisch alle Lebensbereiche hineinragt. Diese Kultur hat deshalb bereits pseudoreligiöse Züge angenommen. Ein Gott, der nicht wissenschaftlich beweisbar ist, hat für viele Menschen in dieser »Kultur« keinen Platz.
Philosophisch gesehen hat die Unterscheidung Kants zwischen der Welt der Phänomene und der Welt der Noumena allen Versuchen, Gott wissenschaftlich zu beweisen, die Berechtigung genommen. Die Wissenschaft befaßt sich mit der Welt der Phänomene, die auf Sinneserfahrung aufbaut. Gott hingegen gehört nach Kant in das davon unabhängige Reich der Noumena. Selbst wenn es Ihn gibt, erscheint Er nicht in der wissenschaftlich beschreibbaren Welt der Phänomene. In den Bahá’í-Schriften heißt es hierzu, daß Gott in Seinem unausdenkbaren Wesen verborgen ist:
»Seit undenklicher Zeit ist Er in der unaussprechlichen Heiligkeit Seines erhabenen Selbstes verborgen gewesen und wird ewig in das undurchdringliche Geheimnis Seines unbekannten Wesens gehüllt bleiben.«10)
Wir gehen einen Schritt weiter: Die Forderung einer wissenschaftlichen Beweisbarkeit Gottes würde nach Whitehead, einem der bedeutendsten Philosophen und Metaphysiker dieses Jahrhunderts, der Religion die Eigenständigkeit entziehen und sie zu einer von der Wissenschaft gänzlich abhängigen Disziplin machen. Gerade das aber kann nicht der Sinn von Religion sein, die davon ausgehen muß, daß es neben der mit den Sinnen erfahrbaren und wissenschaftlich verifizierbaren Wirklichkeit noch eine andere gibt. Nach Bahá’u’lláh stehen diese beiden Wirklichkeiten nicht unabhängig nebeneinander; sie sind vielmehr letztlich Widerspiegelungen einer umfassenderen Wirklichkeit. 'Abdu'l-Bahá hat in Seinem »Brief an Forel«11) darauf hingewiesen, daß die Welt letztlich weder zufällig noch zwangsläufig, sondern bedingt ist. Daraus ergibt sich, daß jede »Erklärung« der Welt grundsätzlich offen sein muß gegenüber einer außerhalb von ihr liegenden (transzendenten) Ursache, durch die sie bedingt ist. Der Gottesbegriff der Bahá’í-Religion lautet demnach: Gott ist die unabhängige, unbedingte, d.h. durch nichts weiteres bedingte Ursache des Seins.
Damit treffen wir keine wissenschaftliche Aussage, da in der Wissenschaft nur von bedingtem Sein die Rede sein kann. Wir berühren aber, um mit Einstein zu sprechen, die »religiöse Grundlage der Wissenschaft«. In seiner berühmten Schrift »Über den gegenwärtigen Stand der Feld-Theorie« schrieb er, daß das letzte Ziel sei, nicht nur zu verstehen, wie die Natur ist und wie sie verläuft, sondern warum sie so ist und nicht anders. Es ging Einstein also auch um die innere Begründung der Naturgesetze. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn wissenschaftliche und religiöse Betrachtung Hand in Hand gehen und einander befruchten.
▪ Die Offenbarung Gottes
Der Mensch kann für sich die Gewißheit erlangen, daß Gott existiert, er kann aber nicht das Wesen Gottes begreifen. Das ist die zentrale These der Bahá’í-Religion zum Wesen religiösen Suchens. Hierzu schreibt ’Abdu’l-Bahá:
- Nach Bahá’u’lláh stehen diese beiden Wirklichkeiten nicht unabhängig nebeneinander; sie sind vielmehr Widerspiegelungen einer umfassenderen Wirklichkeit.
- Damit ist gemeint, daß die Welt als Widerspiegelung der Eigenschaften Gottes zu verstehen ist.
»Es ist klar, daß das menschliche Verständnis eine Eigenschaft des menschlichen Daseins ist und daß der Mensch ein Zeichen Gottes ist; wie könnte die Eigenschaft des Zeichens den Schöpfer des Zeichens umfassen? Das will sagen, wie könnte das Verständnis, das eine Eigenschaft des menschlichen Seins ist, Gott begreifen? Daher ist die Wirklichkeit Gottes vor aller Fassungskraft verborgen und vor dem Verstehen der ganzen Menschheit verhüllt.«12)
Während der Mensch blind für das Wesen Gottes ist, ist er sehend für die Zeichen Gottes. Welt, Natur und Mensch mit ihren Geheimnissen sind die Verkörperung der Zeichen Gottes.
»Auf die innerste Wirklichkeit jedes erschaffenen Dings hat Er das Licht eines Seiner Namen gegossen; jedes hat Er zum Empfänger der Herrlichkeit einer Seiner Eigenschaften gemacht. Die Wirklichkeit des Menschen aber hat Er zum Brennpunkt für das Strahlen aller Seiner Namen und Eigenschaften und zum Spiegel Seines eigenen Selbstes erkoren.«13)
Damit ist gemeint, daß die Welt als Widerspiegelung der Eigenschaften Gottes zu verstehen ist, auch als »Wort Gottes« oder »Offenbarung Gottes«. Die Bezeichnung »Wort« meint, daß sich die von Gott erschaffene Welt zu ihrem Schöpfer so verhält, wie das Wort eines Redners zum Redner. Das Wort hat Wirkung, dennoch bleibt der Redner unverändert, seine Substanz geht nicht in das Wort über: Das Wesen Gottes geht nicht in die Schöpfung ein.
Wissen, Macht, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Liebe sind Eigenschaften oder Namen Gottes. Während in der erschaffenen Welt alle diese Eigenschaften nur unvollkommen existieren, sind sie bei Gott vollkommen. Bei Gott kann keine Unvollkommenheit bestehen, da Sein Wesen nicht bedingt ist. Wenn von vollkommenen Eigenschaften die Rede ist, dann bedeutet das aber nicht, daß Gott hierdurch beschrieben werden kann:
»Wir bejahen diese Namen und Eigenschaften, nicht um die Vollkommenheiten Gottes zu beweisen, sondern um zu verneinen, daß Er Unvollkommenheiten haben könnte.«14)
Die Trennung in Wesen und Eigenschaften ist bei Gott also nicht möglich:
»Die wesenhaften Namen und Eigenschaften Gottes sind identisch mit Seinem innersten Wesen, und dieses ist erhaben über alle Fassungskraft.«15)
Der zentrale theologische Gedanke der Bahá’í-Religion ist, daß sich Gott in größeren Zeitabschnitten den Menschen durch die Religionsstifter direkt offenbart. Das geschieht immer dann, wenn die Menschheit an einer Krise ihrer geistigen und gesellschaftlichen Entwicklung angelangt ist. Die dadurch freigesetzten geistigen Impulse sind die unsichtbare Ursache für den Fortschritt der Welt, eine Art Katalysator des kulturellen Fortschritts. Dies gilt insbesondere auch für den Fortschritt der Wissenschaft. Wir werden an den Vergleich mit der Natur erinnert. Eine Pflanze kann nicht von ihrer Umgebung isoliert werden, sondern bedarf ständig der äußeren Energieeinströmung durch die Sonne. Ohne sie würde sich die innere Ordnung, die das Leben der Pflanze ausmacht, auflösen. In einem physikalischen System, das von seiner Umgebung vollständig isoliert ist, kann die Entropie, die als Maß für »Unordnung« gilt, nur zunehmen. Dieser Gedanke hat im 19. Jahrhundert zu der Vorstellung des langsamen »Wärmetods« (d.h. des Verschwindens jeglicher Ordnung) des Universums geführt. Der Gedanke war irrig, da das Universum eben kein abgeschlossenes System ist. Die wissenschaftliche Erforschung »offener Systeme« hat in den letzten Jahren immer mehr Beispiele dafür geliefert, wie in nichtabgeschlossenen Systemen mit Energieeinströmung Ordnung entstehen bzw. aufrechterhalten werden kann.
Die Offenbarer Gottes werden in den Bahá’í-Schriften metaphorisch als
»Sonne der Wahrheit« bezeichnet, ohne deren geistige Einströmung die
Ordnung der
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Welt des Menschen verlorenginge. Sie sind eine Brücke zwischen dem verborgenen
Sein Gottes und der Welt des Menschen. Die gleiche Sonne geht immer wieder neu
auf, ob in einem Buddha, Zarathustra, Moses, Christus, Muhammad oder Bahá’u’lláh.
Es ist nur der geschichtliche und geographische Horizont, der jeweils erneuert wird.
Während die Welt die Eigenschaften Gottes nur unvollkommen widerspiegelt, werden
die Offenbarer in der Bahá’í-Religion mit reinen Spiegeln verglichen, die diese
Eigenschaften ungetrübt widerspiegeln. Erkenntnis Gottes ist hiernach also
gleichbedeutend mit Erkenntnis und Anerkennung der Offenbarer Gottes.
▪ Evolution und Schöpfung
»Keine moderne Lehre hat den Glauben an die Religion mehr erschüttert, als die Darwinsche Abstammungslehre.« Hinter dieser verbreiteten Ansicht steht die Meinung, daß der biblische Schöpfungsbericht durch die Evolutionslehre widerlegt sei. Tatsache ist, daß während fast zweier Jahrtausende Christentum geglaubt wurde, Gott habe zuerst die Tiere, dann die Pflanzen und schließlich den Menschen von Anfang an in ihrer endgültigen Erscheinung und inmitten einer paradiesischen Welt erschaffen. Darwins Entdeckung, wonach die Entstehung der Arten auf Evolution zurückgeführt wird, setzte diesem Glauben ein abruptes Ende. Darwin selbst war auf seinen ersten Entdeckungsreisen noch ein streng bibelgläubiger Mensch. Er wandte sich dann aber Schritt für Schritt vom Glauben an die Bibel und Religion überhaupt ab. So schrieb er:
»Ich kam immer mehr zu der Ansicht ..., daß dem Alten Testament durch seine offenkundig falsche Entstehungsgeschichte der Welt ... und dadurch, daß es Gott die Gefühle eines rachsüchtigen Tyrannen zuschrieb, in keiner Weise mehr zu trauen war als den heiligen Büchern der Hindus oder dem Glauben irgendwelcher Barbaren«.16)
Die Auseinandersetzung über die Frage, ob Gott die Natur von Anfang an vollkommen erschaffen hat, oder ob sich eine Evolution vollzog, findet in verschiedenen religiösen Gemeinschaften auch heute noch statt. Nach der Bahá’í-Religion ist die Vorstellung einer Evolution durchaus zutreffend. Zur Frage, ob der Mensch sich dabei aus anderen Arten entwickelt hat, besagt sie jedoch, daß die Spezies Mensch von Anfang an die Fähigkeit besaß, geistige Vollkommenheiten zu erwerben. Diese Fähigkeit bestand zunächst nur im Verborgenen, als Möglichkeit. Erst im Verlaufe d er Evolution wurde sie freigelegt.
»Ihr seid Meine Schatzkammern, denn in euch legte Ich die Perlen Meiner Geheimnisse und die Edelsteine Meines Wissens.«17)
Da Gott immer bestanden hat, muß auch Seine Schöpfung immer bestanden haben. Gottes Sein ist jenseits von Raum und Zeit, daher ist auch Seine Absicht, die Welt zu schaffen, jenseits von Zeit. Die Zeit ist gewissermaßen eine Eigenheit der Schöpfung. Dies ist so zu verstehen, daß der Sinn der Schöpfung von Anfang an in der Liebe Gottes zu dieser Schöpfung lag:
»Verhüllt in Meinem unausdenkbaren Wesen und in der Ewigkeit Meines Seins, erkannte Ich Meine Liebe zu dir; darum erschuf Ich dich, prägte dir Mein Ebenbild ein und offenbarte dir Meine Schönheit.«18)
Gott erkannte und liebte die Schöpfung und wünschte, daß die Schöpfung Ihn erkenne und liebe. Es muß also immer Wesen gegeben haben, die Gott erkennen und lieben konnten. Der ewige Schöpfer ist undenkbar ohne Seine Schöpfung. Der Sinn dieser Schöpfung muß von Anbeginn an in ihr verwirklicht gewesen sein. Es ist unvorstellbar, daß er erst im Verlaufe der Zeit, gewissermaßen als Ergebnis zufälliger Mutationen, auftrat.
Ist die Auffassung der Ewigkeit der Schöpfung vereinbar mit der kosmologischen Theorie vom Urknall? Es wird heute von fast allen Kosmologen anerkannt, daß
- Ist die Auffassung der Ewigkeit der Schöpfung vereinbar mit der kosmologischen Theorie vom Urknall?
- Die Menschheit steht am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts vor der großen Herausforderung, mit den Folgen einer einseitig hochgezüchteten materiellen Entwicklung fertig zu werden.
vor etwa 15 Milliarden Jahren eine gewaltige Explosion stattgefunden hat, bei der die Materie auf kleinstem Raum mit ungeheuerlicher Dichte komprimiert war. Alle derzeitigen physikalischen Theorien gelten nur einige Sekundenbruchteile danach. Das Problem liegt in der sogenannten »Singularität« an dem gedachten Anfangszeitpunkt, die beispielsweise zu einer unendlich großen Dichte der Materie führt. Da dies für jede physikalische Theorie unzulässig ist, bleiben die »Anfangsbedingungen« der Urknalltheorie ein ungelöstes Problem, das möglicherweise über die Physik hinausgeht. Eine Lösung wird allerdings von der »Blasentheorie« vorgeschlagen, die beispielsweise von dem russischen Kosmologen Andrej Linde19) vertreten wird: danach befinden wir uns nur in einer Art Miniuniversum, das vor 15 Milliarden Jahren damit begann, blasenartig zu expandieren. Das wirkliche Universum geht weit über das von uns beobachtbare hinaus. Es besteht aus einer beliebig großen Anzahl solcher »Blasen«, die jede zu ihrer Zeit entsteht und vergeht: das unendliche, immer bestehende Weltall ohne Grenzen in Raum und Zeit.
IV. Integrale Kultur und Weltordnung
Der Erfolg der modernen Wissenschaft hatte auch tiefgreifende kulturelle Folgen. Die Vertiefung des Wissens in einzelnen Bereichen brachte mit dem Ende des 19. Jahrhunderts gleichzeitig eine rapide zunehmende Fragmentierung der Kultur auf allen Gebieten mit sich. Dennoch hatte es bereits damals nicht an Versuchen einer Zusammenführung des Wissens über Gott, Natur und Mensch gefehlt, die aber zum Scheitern verurteilt waren. Der britische Staatsmann William Gladstone sprach angesichts dieser Versuche aus, was nach ihm das Denken des ganzen folgenden Jahrhunderts beherrschte:
»Laßt die Wissenschaftler bei ihrer Wissenschaft bleiben und überlaßt die Philosophie und Religion den Dichtern, Philosophen und Theologen.«20)
Die Menschheit steht am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts vor der großen Herausforderung, mit den Folgen einer einseitig hochgezüchteten materiellen Entwicklung fertig zu werden. Die Bahá’í-Religion sieht die Chance in einer universalen Menschheitskultur, in der die Kräfte der Wissenschaft und der Religion als Ganzheit zusammenwirken.
Es mag hier eingewandt werden, daß Fragmentierung ein besonderes Phänomen der europäischwestlichen Kultur sei, während beispielsweise in den fernöstlichen oder indianischen Kulturen ein Weltbild vorherrschte, bei dem Gott und die Welt als ein Ganzes zusammengehörten. Dieses Denken ist von der »New Age«-Bewegung aufgegriffen worden, die sich stark auf die moderne Physik stützt. Als einer der Vertreter dieser Bewegung hat Capra unter Berufung auf die Quantentheorie die Vernetzung von allem mit allem zum universalen Prinzip gemacht”21)
Aus der Sicht der Bahá’í-Religion hat das Ganzheitsprinzip Berechtigung: als Prinzip der Einheit der Menschheit, die als ein einziger Organismus zu sehen ist, dessen Kräfte harmonisch zusammenwirken müssen. Im Gegensatz zur New Age-Bewegung gibt es aber auch ein Grenze hierfür: Gott und die Welt sind nicht Teil eines Ganzen. Gott ist und bleibt immer transzendent; gegenüber Gott ist die Welt ein Nichts. Das Wesen der Religion ergibt sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen der vergänglichen Welt und Gott, der der wahre Grund allen Seins ist. Das Ziel aller Entwicklung liegt dann schließlich darin, das Göttliche in der vergänglichen Welt zunehmend sichtbar werden zu lassen und damit den Gegensatz zwischen Schöpfer und Schöpfung zu überwinden.
▪ Aspekte des Zusammenwirkens
Die hiermit ausgesprochene Fortschrittserwartung hat ein Zusammenwirken
von Religion und von Wissenschaft im Sinne einer Ganzheit zur Voraussetzung.
Im folgenden seien einige Elemente dieser »integralen Kultur« beschrieben:
Die Einheit bewahren:
Die vorrangige Aufgabe von Religion und Wissenschaft muß in der Förderung von Einheit gesehen werden. Nach den Bahá’í-Lehren ist Uneinigkeit der größte Feind aller Angelegenheiten des Menschen. Anziehung, Einigkeit und Einheit sind in allen Bereichen der Schöpfung die Kräfte, die Zusammenhalt bewirken.
»Das Gesetz der Anziehung hat gewisse Urstoffe in der Form dieser schönen Blume zusammengebracht; wird aber jene Anziehung aus diesem Mittelpunkt zurückgezogen, so wird die Blume zerfallen und ihr Bestand als Blume enden. So ist es auch mit dem großen Körper der Menschheit. Das wunderbare Gesetz der Anziehung, des Einklangs und der Einheit hält diese wunderbare Schöpfung zusammen.«22)
Die Aufgabe der Wissenschaft ist hierbei, durch kritische Anwendung der Vernunft und anerkannte Fakten die Religion vor vernunftwidrigen Dogmen und Fanatismus zu bewahren, die zu Glaubensaufspaltung, Uneinigkeit und Streit führen. Umgekehrt muß es die Aufgabe der Religion sein, auf allen Ebenen der menschlichen Gesellschaft Einigkeit zu bewahren sowohl in der Familie, als auch auf der höchsten Ebene der Weltgesellschaft.
Vernunft und Glauben:
Wir kehren zu dem eingangs erwähnten Bild ’Abdu’l-Bahás zurück:
»Religion und Wissenschaft sind die beiden Flügel, auf denen sich die menschliche Geisteskraft zur Höhe erheben und mit denen die menschliche Seele Fortschritte machen kann. Mit einem Flügel allein kann man unmöglich fliegen: Wenn jemand versuchen wollte, nur mit dem Flügel der Religion zu fliegen, so würde er rasch in den Sumpf des Aberglaubens stürzen, während er andererseits nur mit dem Flügel der Wissenschaft auch keinen Fortschritt machen, sondern in den hoffnungslosen Morast des Materialismus fallen würde.«23)
Die Vernunft ist nach der Vorstellung der Bahá’í nicht auf die Wissenschaft begrenzt. Umgekehrt spielt Glauben als Kraft der Intuition oder Vision auch in der Wissenschaft eine Rolle. Am Anfang vieler großer Entdeckungen steht eine oft vage intuitive Voraussicht, die durch den »Glauben an Erfolg« zu wissenschaftlicher Einsicht geführt wird. Die christlicheuropäische Tradition, wonach Vernunft und Glauben einander entgegengerichtet sind, wird durch das Bild der einander ergänzenden Kräfte abgelöst.
Erkennen und Lieben:
Die Absicht Gottes mit Seiner gesamten Schöpfung war es, Wesen hervorzubringen, die Ihn erkennen und lieben. Der Vogel Menschheit darf nicht nur mit dem Flügel der Erkenntnis allein fliegen, er bedarf auch des Flügels der Liebe. Erkenntnis ist das Merkmal der Wissenschaft, Liebe das Merkmal der Religion. Durch die Liebe zu Seiner Schöpfung hat Gott die »Einsamkeit« Seines transzendentalen Seins aufgehoben. Daher ist auch für den Menschen die Liebe eine Überwindung von Einsamkeit, deren höchste Form die Liebe zur ganzen Menschheit ist.
Es kann gefährlich sein, wenn Wissenschaft ausschließlich um der Erkenntnis wegen betrieben wird. Die Gefahr liegt in der gesellschaftlichen Isolation oder »Vereinsamung« der Wissenschaft. Diese Gefahr ist groß, wenn wie heute üblich ein nur verschwindend kleiner Aufwand betrieben wird, um die Folgen von Wissenschaft und Technik für Mensch und Natur vorauszusehen. Die Bewahrung der Natur und der Ordnung der Menschenwelt setzen die Liebe
- Die vorrangige Aufgabe von Religion und Wissenschaft muß in der Förderung von Einheit gesehen werden.
- Die Natur ist ein Pfand Gottes, das wir im Blick auf zukünftige Generationen nur treuhänderisch verwalten, aber nicht besitzen.
zur Menschheit und die Bereitschaft zum Dienst an der ganzen Menschheit voraus. Es sollte möglich sein, daß ein Forscher aus Liebe zur Menschheit von einem bestimmten Forschungsobjekt mit hohem Gefährdungspotential abläßt.
Mann und Frau:
In allen Bereichen der Wissenschaft müssen Frauen gleichberechtigt vertreten sein. Nach 'Abdu'l-Bahá kann bei der Verwirklichung eines dauerhaften Weltfriedens auf die besonderen Fähigkeiten der Frauen und ihre gleichberechtigte Teilnahme an allen Berufen nicht verzichtet werden. In einzelnen Bereichen der Wissenschaft können Frauen durch ihre besonderen Fähigkeiten neue Qualitäten einbringen. Wir gehen hier von dem Gedanken aus, daß jede Wissenschaft sowohl in ihren Aussagen, als auch in der Frage der gesellschaftlichen Umsetzung von dem jeweils herrschenden kulturellen Umfeld geprägt wird.
»In der Vergangenheit wurde die Welt durch Gewalt regiert, der Mann herrschte aufgrund seiner stärkeren und mehr zum Angriff neigenden körperlichen und verstandesmäßigen Eigenschaften über die Frau. Aber schon neigt sich die Waage, Gewalt verliert ihr Gewicht, und geistige Regsamkeit, Intuition und die geistigen Eigenschaften der Liebe und des Dienens, in denen die Frau stark ist, gewinnen an Einfluß. Folglich wird das neue Zeitalter weniger männlich und mehr von den weiblichen Leitbildern durchdrungen sein, oder genauer gesagt, es wird ein Zeitalter sein, in dem die männlichen und weiblichen Elemente der Kultur besser ausgeglichen sein werden.«24) So wird beispielsweise von einem bekannten Biologen die Vermutung ausgesprochen, daß erst neuerdings in der Evolutionstheorie das »männliche« Prinzip des »Überlebens des Stärkeren« durch das ebenso bedeutsame »weibliche« Prinzip des »Schutzes« ergänzt worden ist. Jede Art hat ihre eigene ökologische Nische, in der sie Schutz und eine gewisse Isolation findet, ohne die sie gegenüber dem Daseinskampf nicht weiterbestehen könnte. Die Vielfalt der heute vorhandenen Arten ist ohne dieses Prinzip des Schutzes durch Isolation undenkbar.
Bewahrung der Schöpfung:
Eine vorrangige Aufgabe der Wissenschaft muß in der Zukunft im Schutz und in der Bewahrung der Vielfalt der Natur gesehen werden. Im 20. Jahrhundert stand als Folge von Wissenschaft und Technik die weltweite wirtschaftliche Expansion im Vordergrund. Um eine globale ökologische Katastrophe zu verhindern, muß im 21. Jahrhundert die Ökologie in den Mittelpunkt rücken. Auch hier muß ein Wandel von männlichen zu weiblichen Qualitäten vollzogen werden: vom Prinzip der Ausbeutung zu dem des Schutzes; vom reinen Erfolgsdenken zum Vorsorgedenken; von der Herrschaft über die Natur zu ihrer Treuhandschaft. Die Natur ist ein Pfand Gottes, das wir im Blick auf zukünftige Generationen nur treuhänderisch verwalten, aber nicht besitzen.
Die Einheit der Menschheit hat damit nicht nur eine weltumspannende, sondern auch eine zeitliche, in die Zukunft gerichtete Dimension. Der Erfolg dieses Konzeptes wird für zukünftige Generationen ein Gradmesser für einen erfolgreichen Dialog zwischen wahrer Religion und Wissenschaft sein.
»Wenn die Religion, befreit von Aberglauben, Überlieferungen und unverständigen Dogmen, ihre Übereinstimmung mit der Wissenschaft dartut, so wird eine große einigende, reinigende Kraft in der Welt sein, die alle Kriege, Uneinigkeiten, Mißklänge und Streitigkeiten vor sich herkehrt, und dann wird die Menschheit in der Macht der Gottesliebe vereinigt werden.«26)
- 1) 'Abdu'l-Bahá, Ansprachen in Paris, Bahá’í-Verlag 1973, 6. Aufl., Kap. 44, S. 113
- 2) 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, Bahá’í-Verlag 1962, Kap.70, S.242
- 3) I. Prigogine, Vom Sein zum Werden, Piper Verlag, München
- 4) Bahá’u’lláh, Botschaften aus 'Akká, Bahá’í-Verlag 1982, Kap.9:9, S.164
- 5) Beantwortete Fragen, Kap.40, S.158
- 6) Ansprachen in Paris, Kap.44, S.115f
- 7) D.R. Hofstadter, Gödel, Escher, Bach, KlettCottaVerlag, Stuttgart 1985
- 8) Bahá’u’lláh, Das Buch der Gewißheit, Bahá’í-Verlag 1978, 3.Aufl., S.13
- 9) Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 3. rev. Aufl., Kap.122
- 10) Ährenlese, Kap.26
- 11) 'Abdu'l-Bahá, Brief an Forel, Bahá’í-Verlag 1975
- 12) Beantwortete Fragen, Kap.37, S.146f
- 13) Ährenlese, Kap.27
- 14) Beantwortete Fragen, Kap.37, S.148
- 15) Beantwortete Fragen, Kap.37, S.148
- 16) N. Barlow (Hrsg.), The Autobiography of Charles Darwin, Collins, London&Glasgow, 1958
- 17) Bahá’u’lláh, Verborgene Worte, Bahá’í-Verlag 1978, arab., Nr.69
- 18) Verborgene Worte, arab., Nr.3
- 19) Particle Physics and Inflationary Cosmology, Physics Today 40(9), 1987, S.61
- 20) R.M. Young, Nature’s Place in Victorian Culture, Cambridge University Press, 1985
- 21) F.Capra, Wendezeit, Scherz-Verlag, Bern, 1984
- 22) Ansprachen in Paris, Kap. 42, S.110
- 23) Ansprachen in Paris, Kap. 44, S.113
- 24) ’Abdu’l-Bahá, in J.E. Esslemont, Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, Bahá’í-Verlag 1986, 8.Aufl., S.173
- 25) C.und E.U. v.Weizsäcker, in »Universitas«, Jahrg.41 (1986), S.791
- 26) Ansprachen in Paris, Kap. 44, S. 116
Gewächshäuser auf dem Altiplano[Bearbeiten]
Ein bolivianisches Umweltforschungszentrum konzentriert sich auf die Probleme der Hochebene
Cochabamba, Bolivien
Dr. William Baker betrachtet die kahlen Hügel und den ausgedorrten Talboden in der Umgebung des Instituts für Umweltforschung, das er auf einem Osthang der Anden gegründet hat, und erklärt, daß diese Landschaft eines Tages wieder fruchtbar und grün sein wird.
»Jetzt ist es eine öde Landschaft,« sagt der sechsundsechzigjährige ehemalige Biochemiker. »Aber die Überlieferung sagt, daß es hier früher von September bis April regnete. Mit ein bißchen Planung kann man das wieder erreichen, glaube ich. Es mag zwei oder drei Generationen dauern, aber eine Wüste kann wiederbelebt werden.«
Während er entlang der Schlucht weitergeht, die hinter seiner kleinen Forschungsstation verläuft, zeigt Dr. Baker auf eine Reihe kleiner Dämme, die Schlamm und Gestein zurückhalten.
»Die kosten wirklich nichts — nur einen Tag Arbeit zum Aufbauen,« sagt er. »Aber wenn man genügend davon baut, kann man bei Regen das Abfließen des Wassers verlangsamen und es so in den Erdboden leiten. Mit der Zeit könnte man, glaube ich, den Grundwasserspiegel heben und die Wälder zurückholen, die einst hier standen. Erreicht man dies in einem ausreichenden
- Angemessene Technologie und Ausbildung der einheimischen Bauern führen zu Veränderungen für die an Ressourcen armen Gemeinden in Bergregionen
- »In unseren Kursen bitten wir die Menschen, die Wahrheit selbst zu erforschen und sie dann selbst einzusetzen... So entwickelt sich der einzelne, und wenn sich die einzelnen in einer Gemeinschaft entwickeln, kann die Gemeinschaft ihren eigenen Entwicklungsweg festlegen.«
Teil Boliviens, kann man buchstäblich das Klima verändern.«
Dr. Baker rechnet sicherlich nicht damit, daß eine derart umfassende Veränderung noch während seines Lebens eintritt. Aber diese Art der Langzeitvorstellung gehört zur Philosophie und Grundeinstellung des Dorothy-Baker-Zentrums für Umweltstudien, dessen Gründer und Direktor Dr. Baker ist.
Das Umweltzentrum widmet sich der Erforschung der Anwendungsmöglichkeiten angemessener Technologie und Bildung zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Eingeborenenvölker der Aymara und Quechua, die sich auf der rauhen bolivianischen Hochebene mühsam ihren Lebensunterhalt erarbeiten.
Zur Zeit hat das Umweltzentrum zum Beispiel das Modell eines solarbetriebenen Treibhauses zum kostengünstigen Anbau von Gemüse und Früchten der Höhenlage angepaßt. Ungefähr 30 Gemeinden benutzen dieses Modell, und es wurden mehr als 120 Treibhäuser gebaut.
Andere Bemühungen des Zentrums konzentrieren sich auf die Entwicklung, das Vorantreiben von Aufforstung und von Techniken zur Bodenerhaltung, die für die Hochebene geeignet sind, und auf die Entwicklung eines Biogasgenerators, der trotz der extremen Temperaturen in dieser Region funktionieren soll.
Das Umweltzentrum ist aber mehr als eine einfache Forschungsstation. Durch ein Programm der praktischen Anwendung und Ausbildung bringt das Zentrum diese Technologien den Menschen nahe, denen es dienen möchte. Zum Beispiel fördert das Zentrum Umweltunterricht für Erwachsene und Vorschulunterricht für Kinder. Dieser Unterricht hilft den Menschen dabei, sich neue Technologien anzueignen.
»In unseren Kursen bitten wir die Menschen, die Wahrheit selbst zu erforschen und sie dann selbst einzusetzen,« fügt Dr. Baker hinzu. »Wir vertreten nicht die Ansicht, daß wir ihnen die Wahrheit aufdrängen sollten. So entwickelt sich der einzelne, und wenn sich die einzelnen in einer Gemeinschaft entwickeln, kann die Gemeinschaft ihren eigenen Entwicklungsweg festlegen.«
▪ Herausforderungen der Hochebene
Das Klima und die Bedingungen, die in der Hochebene herrschen, stellen eine besondere Herausforderung dar. Bolivien ist das ärmste südamerikanische Land, teilweise wegen seiner Geographie und seines Klimas. Die Höhe der Andenhochebene reicht von 3000 bis 4000 Meter. In der Region gibt es wenig Regen, und sie ist extremen Temperaturunterschieden ausgesetzt. Nachts fällt die Temperatur fast auf den Gefrierpunkt, steigt aber tagsüber auf 20°C. Die Hochebene ist tatsächlich eine Wüste in den Bergen.
Dennoch lebt die Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung auf dieser trockenen, hoch gelegenen Ebene, und viele ernähren sich hauptsächlich von Kartoffeln und einheimischen Getreidesorten wie Cañavi und Quinoa (Reismelde). Schafe und Lamas gehören zu den wenigen Tieren, die von den kargen Gräsern, die auf der Hochebene wachsen, leben können, und sie sorgen für etwas Fleisch, Wolle und Milch.
Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind Eingeborene, besonders von den Völkern der Aymara und Quechua. Obwohl etwa 75 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben können, sind dennoch viele Menschen praktisch Analphabeten — sie können zwar oft spanische Wörter lesen, verstehen sie aber nicht.
Diese Umstände will das Umweltzentrum angehen. Die mit Sonnenenergie betriebenen Treibhäuser wurden entworfen, um die Ernährung der Menschen zu verbessern, die in entlegenen Gemeinden auf der Hochebene leben, sagt Dr. Baker.
»Es ist geradezu unmöglich, im Freien auf der Hochebene Gemüse und Früchte anzubauen,« sagt er, »daher beinhaltet die Ernährung dort natürlich wenig Vitamine, Mineralien und Fette, die Gemüse und Früchte liefern können«.
▪ Das Treibhausmodell ist einfach
Das Umweltzentrum hat ein kostengünstiges Modell entwickelt, das von einer einzigen Familie, der gesellschaftlichen Grundeinheit auf der Hochebene, einfach gebaut und gewartet werden kann. Auf einem Fundament aus luftgetrockneten Lehmziegeln wird mit einfachen Plastikrohren ein Netzwerk aufgebaut, über das durchsichtige Polyethylenfolie gespannt wird.
In diesen Treibhäusern wird es so heiß und feucht, daß es zum Anbau einer breiten Palette von Gemüsen wie Tomaten, Kürbisse, Zwiebeln, Rettiche und Salat ausreicht.
Das Umweltzentrum bietet Kurse über den Aufbau der Treibhäuser an und stellt das Material zur Verfügung. Die einzelnen Familien werden gebeten, 75% der Kosten für Plastikrohre und Folie selbst zu tragen.
»Das durchschnittliche Jahreseinkommen einer Familie in dieser Gegend beträgt ungefähr US $ 150,« sagt Dr. Baker. »Wir schätzen den Wert der jährlichen Treibhausernte auf ca. US $ 125, obwohl nur ein kleiner Teil der Ernte verkauft wird, da die Familien das meiste selbst verzehren. Die eigentlichen Materialkosten betragen aber nur ca. US $ 25. Daher kann der wirtschaftliche Gewinn für eine Familie sehr bedeutend sein.«
Daneben erforscht das Umweltzentrum Aufforstungs- und Bewässerungsmethoden sowie eine Biogasanwendung, die in der Hochebene angebracht sind. Junge Bäume leiden besonders unter den Bodenbedingungen und dem Klima. Kürzlich mißlang der von einer anderen Organisation unternommene Versuch, 7000 Eukalyptus- und Queshuarabäume zu pflanzen: Nur zehn Bäume überlebten das erste Jahr, da die Erde nichtrichtig vorbereitet worden war.
Dr. Baker glaubt, daß die Überlebensrate der Bäume sehr viel höher sein könnte. Derzeit arbeitet das Umweltzentrum mit zwölf Gemeinden zusammen, um in kleinem Rahmen Aufforstungsprojekte zu beginnen und fortzusetzen. In der Gemeinde von Cori Pata wurden beispielsweise während der vergangenen zwei Jahre 3000 Queshuarabäume gepflanzt. Queshuarabäume, die gut als Windschutz und als Brennholz geeignet sind, wachsen sehr gut in einer solchen Höhe.
- Aymara-Indianer in dem sonnenbeheizten Treibhaus, das sie selbst gebaut haben.
▪ Ein regionales Ausbildungszentrum
Auf den ersten Blick scheint die Hauptforschungsstation des Umweltzentrums nichts besonderes zu sein. Auf einem etwa einen drittel Hektar großen Grundstück außerhalb der Stadt Cochabamba, besteht sie aus mehreren grob verputzten Gebäuden aus Lehmziegeln mit galvanisierten Eisendächern, einem Fischteich, einer Zisterne und einigen kleinen Parzellen für Versuchs- und Demonstrationszwecke.
Aber das Grundstück und seine Infrastruktur sind genau dafür geeignet, die
Arten passender Technologien auszuprobieren,
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- »In einigen Treibhäusern des Baker-Zentrums gibt es eine unglaubliche Entwicklung an Kreativität, was die Vielfalt der angebauten Produkte betrifft.«
die das Umweltzentrum entwickeln und verbreiten möchte.
»Viele andere Organisationen werben für Solartreibhäuser, die effektiver und produktiver sind, aber sie kosten in der Regel sehr viel mehr (ca. US $ 3000 bis US $ 4000) und sie erfordern die Arbeitskraft einer ganzen Gemeinde,« sagt Dr. Baker. »Leider haben die Familien hier nur 50 oder 60 US-Dollar, die sie in ein solches Projekt investieren könnten. Also versuchen wir, Modelle und Technologien zu entwickeln, die ungefähr diesem Betrag entsprechen.«
Die amerikanische Organisation »Food Industry Crusade Against Hunger« (FICAH; Kreuzzug der Lebensmittelindustrie gegen Hunger) hat in den letzten drei Jahren das Baker-Zentrum jährlich mit US $ 25.000 unterstützt. Der FICAH-Präsident George Scharffenberger nennt die Bereitschaft des Umweltzentrums, die Gemeinden experimentieren zu lassen und selbst Verantwortung zu übernehmen, einmalig.
»Andere Organisationen bauen Treibhäuser, die etwas robuster und produktiver sind,« sagt Scharffenberger, der im vergangenen Jahr das Baker-Zentrum und vier ähnliche Organisationen in Bolivien und Peru besuchte. »Aber ich glaube, daß die Gemeinden dabei nicht dasselbe Gefühl persönlichen Eigentums haben. In einigen Treibhäusern des Baker-Zentrums gibt es eine unglaubliche Entwicklung an Kreativität, was die Vielfalt der angebauten Produkte betrifft.«
»In einem Treibhaus wuchsen Bananen, während es draußen schneite. Ich schätze, daß sie deshalb weniger produzierten, aber es war ganz offensichtlich das Treibhaus dieser bestimmten Familie. Von der grundlegenden Gemeindeentwicklung war ich sehr beeindruckt.«
Dr. Baker glaubt, daß die Einbeziehung der Gemeinden der Schlüssel zu erfolgreicher Einführung neuer Ideen auf dem Hochplateau ist. Genauso wichtig sei es, sagt er, potentielle Erfolge aufzuzeigen.
Auf dem Gelände in Cochabamba zeigen einige kleine Parzellen den Vorteil der Verwendung von Kompost und Laubdecken (zum Bedecken von Pflanzenwurzeln) in der Landwirtschaft. Außerdem wurde ein Fischteich gebaut, um zu zeigen, wie man in einem geschlossenen System, das Dung als Nährsubstanz nutzt, Karpfen züchten kann.
Eines der Solartreibhäuser wurde als Teil an ein traditionelles, zwei Zimmer umfassendes Lehmhaus angeschlossen. Mit diesem Modell, sagt Dr. Baker, möchte er zeigen, wie solche Treibhäuser nicht nur für Gemüse sorgen, sondern auch durch Sonnenenergie die Wohnräume einer Familie in bescheidenem Ausmaß mitheizen können.
Wie bereits erwähnt, setzt sich hinter dem Forschungsgelände ein Wasser- und Erosionskontrollsystem einer Schlucht entlang fort. Dieses System leitet Wasser in den Fischteich und in eine Zisterne und zeigt dadurch, wie in einer regenarmen Region der dürftige Niederschlag einfach aufgefangen und genutzt werden kann.
»Das sind ziemlich einleuchtende Ideen zur Erosionskontrolle,« sagt Dr. Baker über das System der Dämme. »Aber die Menschen auf der Hochebene wollen in nichts Zeit investieren, solange sie sich nicht einigermaßen klar vorstellen können, daß es funktionieren wird. Und das kann ich verstehen. Hier oben erarbeiten sie sich sozusagen aus nichts einen Lebensunterhalt. Um viel Zeit in etwas zu stecken, müssen sie das Ergebnis im voraus gesehen haben.«
Dr. Baker glaubt, daß die Veränderungen in Bolivien möglich sind, wenn die Gemeinden auf der Hochebene sowohl die technologischen als auch die organisatorischen Mittel erhalten, mit denen sie ihre eigene Entwicklung in die Hand nehmen können.
Das Umweltzentrum arbeitet mit FUNDESIB, der »Foundation for the Integral Development of Bolivia« (Stiftung für integrierte Entwicklung in Bolivien) zusammen. Wie FUNDESIB beruft sich das Umwelt-Zentrum auf die Prinzipien des Bahá’í-Glaubens. Dr. Baker selbst ist auch Bahá’í, und er benannte das Umweltzentrum nach seiner Mutter Dorothy Baker, die in den vierziger und fünfziger Jahren eine wichtige Rolle im Bahá’í-Glauben spielte.
Seiner grundsätzlichen Haltung zufolge bemüht sich das Baker-Umweltzentrum um ein Gleichgewicht von Entwicklungsbedürfnissen und verantwortungsvollem Umgang mit der Umwelt auf eine Art und Weise, die eine geistige Auffassung der Beziehung zwischen Mensch und Natur beinhaltet.
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»Wir wurden von Gott erschaffen,« sagt Dr. Baker. »Und das trifft auch auf die
Umwelt zu. In diesem Sinne sind wir Teil der Schöpfung, und wir müssen uns als
einen grundlegenden Teil der Umwelt in das Ganze einbeziehen.«
Gleichzeitig, sagt Dr. Baker, glaubt er, daß Gott dem Menschen die einzigartige Fähigkeit verliehen hat, zu rationalisieren und zu denken — eine Eigenschaft, die die Natur nicht besitzt.
»Menschen sind die ausschlaggebende Kraft im Gleichgewicht zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Natur,« sagt Dr. Baker. Wir können entweder lernen, wie wir unsere Umwelt verbessern, oder wir können sie zerstören. Also müssen wir nur lernen, wie man die Umwelt besser macht."
- ONE COUNTRY,
- Januar-März1991
- Konstruktion für ein Solar-Treibhaus
- Steine und Lehm
- Stroh
- Backsteine
- Überbau
- aus Steinen
- Befestigung
- aus Steinen
- Hoch oben in den Anden bewirken Treibhäuser und Vorschulen wichtige Veränderungen
▪ Laku Lakuni, Bolivien.
Das Leben ist schwer in dieser kleinen Gemeinschaft von Aymara auf der bolivianischen Hochebene, wo das Klima nur die nicht frostempfindlichen Getreidearten erhält und wo der Boden so karg ist, daß man über zwölf Jahre hinweg die Felder brach liegen lassen muß, damit sie sich wieder erholen.
»Mein Leben stimmt mich traurig, denn wir bauen Jahr für Jahr ein bißchen weiter oben auf dem Berg etwas an,« sagt Primo Pasci, ein 34-jähriger Bauer. »Wir pflanzen immer weiter oben an, und es wird immer kälter. Und nur zwei Dinge wachsen: Kartoffeln und Cañawi.« Cañawi ist eine einheimische Getreidesorte.
Herr Pasci sagt, daß er keine Hoffnung mehr für die Zukunft hatte, besonders nicht für seine Kinder.
Mit Hilfe des Dorothy-Baker-Zentrums für Umweltstudien hat er ein mit Sonnenenergie beheiztes Treibhaus in der Nähe seines Hauses, das aus Lehmziegeln gebaut wurde und zwei Zimmer umfaßt, gebaut. Herr Pasci hat auch eine Lehrerausbildung im Baker-Zentrum gemacht und hält nun täglich Vorschulunterricht für die Kinder hier ab.
Diese beiden Entwicklungen haben seiner Familie und der Gemeinde Veränderungen gebracht. Ungefähr 20 Familien haben Treibhäuser gebaut.
»Uns gefallen die Treibhäuser wirklich,« sagt Herr Pasci. »Ohne sie hätten wir kein Gemüse, denn wir haben kein Geld, um welches zu kaufen. Aber mit Hilfe der Treibhäuser haben wir Gemüse. Nun können wir Omelettes mit Tomaten und Zwiebeln zubereiten.«
»Mein kleiner Sohn wußte noch nicht einmal, daß es Gemüse gibt,« fügt Herr Pasci hinzu. »Nun pflückt er die Tomaten von der Pflanze ab und ißt sie direkt im Treibhaus. Jetzt weiß er, daß man Samen säen und sie nähren muß und daß dann Früchte wachsen, die wir mögen.«
Das Vorschulprogramm bietet eine andere Form der Unterstützung. Herr Pasci unterrichtet nun seit drei Jahren, und ungefähr zwanzig Kinder nehmen regelmäßig teil.
▪ Kinder lernen schneller
»Es besteht ein Unterschied zwischen Schülern, die in der Vorschule waren, und denen, die direkt mit der staatlichen Grundschule beginnen,« sagt Herr Pasci. »Diejenigen, die zur Vorschule gegangen sind, können den Lehrer sofort verstehen. Der Lehrer stellte fest, daß diese Kinder anfangs sehr viel schneller lernen.«
»Am Anfang hatten die Kinder Angst,« sagt er. »Sie wollten nicht in einer Gruppe zusammensein. Aber jetzt lieben sie es, zusammenzukommen und zusammen zu singen.«
Herr Pasci schreibt diese Veränderungen teilweise dem Bahá’í-Glauben zu. Von den 500 Menschen in Laku Lakuni sind etwa zehn Bahá’í, darunter er selbst. In den letzten Jahrzehnten ist der Bahá’í-Glauben in Bolivien schnell gewachsen. Derzeit gibt es etwa 100.000 bolivianische Bahá’í; die meisten leben auf der Hochebene.
»Der Bahá’í-Glauben lehrt, daß wir unsere Kinder erziehen und daß wir zusammenarbeiten müssen,« sagt Herr Pasci.
»Ich möchte nicht, daß meinen Kindern dasselbe passiert wie mir,« fügt er hinzu. »Ich glaube, daß sie ein fruchtbareres Leben führen können, wenn sie mehr Ausbildung erhalten als ich. Sie werden mehr erreichen, werden es bequemer haben und auch mehr wissen. Sie werden aufmerksamer und wacher sein.«
- ONE COUNTRY, Januar-März 1991
Vom Umgang mit der Übergangsphase[Bearbeiten]
'Die erste globale Revolution: Ein Bericht vom Rat des Club of Rome'
von Alexander King und Bertrand Schneider
(englisches Original: New York: Pantheon Books, 1991; deutsche Übersetzung: Horizonte Verlag 1992)
Der dramatische Titel Die erste globale Revolution deutet bereits die Bandbreite und Zielsetzung
des Buches an. Das als Fortsetzung des ersten Buches des Club of Rome, Grenzen des Wachstums,
vorgestellte Buch der Club-Mitglieder Alexander King und Bertrand Schneider versucht nichts
Geringeres, als die vielfältigen und unterschiedlichen, die Menschheit heute betreffenden Krisen
zu analysieren und Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen.
Wie der Titel des Buches zeigt, glauben die Autoren, daß sich die Welt an der Schwelle einer weitreichenden Veränderung befindet — der ersten wirklich globalen Revolution.
»Das Thema der letzten Versammlungen des Club of Rome war ‘Die große Übergangsphase’,« schreiben Alexander King und Bertrand Schneider in ihrer Einleitung. »Wir sind davon überzeugt, daß wir uns in den Anfängen der Bildung einer Weltgesellschaft befinden, die sich so sehr von der heutigen Gesellschaft unterscheidet, wie die zur Zeit der industriellen Revolution von der ihr über lange Zeit vorhergegangenen, von der Landwirtschaft geprägten Gesellschaft.«
Der Club of Rome, der 1968 zur Beschäftigung mit Weltproblemen gegründet wurde, ist eine Vereinigung von hundert führenden Persönlichkeiten, ehemaligen Staatsoberhäuptern, Wissenschaftlern, Wirtschaftsexperten und Denkern. Für Grenzen des Wachstums, das der Club 1972 veröffentlichte, wurde ein Computer zur Feststellung allgemeiner Trends der Bevölkerungsentwicklung, der industriellen Expansion und der Entwicklung benutzt. Die daraus gezogenen Schlußfolgerungen lösten eine weltweite Diskussion über das Fassungsvermögen des Planeten für ständig anwachsende Aktivitäten des Menschen aus — und begründeten damit den Ruf des Clubs.
Anders als Grenzen des Wachstums, das seine Thesen mit Statistiken untermauerte, ist Die erste globale Revolution im Grunde genommen eine umfangreiche Erörterung globaler Themen, die die Meinung des Club of Rome widerspiegelt, wie der Untertitel zeigt (»Ein Bericht vom Rat des Club of Rome«). Das zwei Teile beinhaltende Buch behandelt zuerst die Bandbreite der die Menschheit betreffenden Probleme — von den Autoren als problematique bezeichnet. Der zweite Teil beinhaltet die vom Club angebotenen Problemlösungen — die resolutique.
Der Versuch ist intelligent, gebildet und voller Einsichten. Die Darstellung der zeitgenössischen globalen Themen deckt in einem angenehm lesbaren und einleuchtenden Stil geradezu jedes große Problem der heutigen Menschheit ab. Bereiche akuter Sorge wie die Erwärmung der Erde, die Energiekrise, ungenügende Nahrungsmittelversorgung, Unterentwicklung und sogar die Überschüttung mit Informationen werden identifiziert und herausgehoben. Die Schuldenkrise, der Zerfall des sozialistischen Wirtschaftssystems und die möglichen Gefahren des ungezügelten Kapitalismus werden auch behandelt.
Die Integration dieser Inhalte ist ein übergreifendes Thema. »Unser Wunsch war einfach — wenn auch nur oberflächlich und unvollständig — die Elemente, die schon vorhanden sind, darzustellen, um ihre Zusammenhänge zu zeigen,« schreiben Alexander King und Bertrand Schneider.
Der Erfolg des Clubs in diesem Punkt ist vielleicht das wichtigste Merkmal dieses Buches. Nachdem sie die Probleme der Menschheit aufgelistet haben, beleuchten die Autoren das, was immer mehr als zentrale Krise unserer Zeit erkannt wird: eine weltweite moralische und geistige Zerrüttung. Darauf hin müssen die Wurzeln der problematique zurückgeführt werden.
»Die Ordnung einer Gesellschaft hängt vom Zusammenhalt ihrer Mitglieder ab,« schreiben die Autoren.
»Bis zur Mitte unseres Jahrhunderts wurde dieser Zusammenhalt durch natürlichen Patriotismus und Zusammengehörigkeitsgefühl gesichert und verstärkt durch moralische Disziplin von seiten der Religion
und durch Respekt vor dem Staat und vor seinen führenden
[Seite 32]
Perönlichkeiten, egal wie weit sie von den Menschen entfernt zu sein schienen.«
»Inzwischen ist in vielen Ländern der allgemeine religiöse Glaube verflogen; der Respekt vor der Politik ist verblaßt, was teilweise an den Medien und an der Unzulänglichkeit der politischen Parteien bei der Bewältigung von Problemen liegt, wodurch Gleichgültigkeit oder sogar Feindseligkeit entstehen. Die Minderheiten sind immer weniger dazu bereit, die Interessen der Mehrheit zu respektieren. Dadurch ist ein Vakuum entstanden, in dem sowohl die Ordnung, als auch die Ziele der Gesellschaft zerstört werden.«
- Club of Rome
- DIE ERSTE GLOBALE REVOLUTION
- Bericht zur Lage der Welt
- Zwanzig Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“
- Alexander King und Bertrand Schneider
- Vorwort von Richard von Weizsäcker
Die üble Lage der Menschheit, sagen sie, verschlimmert sich, weil die Führungspersönlichkeiten
darin versagt haben, diesem die Gesellschaft aushöhlende Vakuum zu begegnen, und sich
stattdessen nur auf die Behandlung seiner Symptome beschränkt haben.
»Unsere Suche nach Weisheit ist erfolglos,« fügen die Autoren hinzu. »Die Gegensätze zwischen den beiden Ideologien, die unser Jahrhundert beherrschten, sind zusammengebrochen und haben ein weiteres Vakuum und krassen Materialismus zurückgelassen. Kein Element im Regierungssystem und seiner Entscheidungsfindung scheint dazu in der Lage zu sein, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken oder die Trends zu beeinflussen, die Fragen über unsere gemeinsame Zukunft und über das Überleben der Menschheit stellen.«
Obwohl die Autoren auf sehr einleuchtende Weise Materialismus und Zwietracht als Schlüsselfaktoren der problematique herauskristallisiert haben, versagen sie schließlich darin, ein Mittel zum Füllen des Vakuums und zur Aufrüttelung der Menschheit aus ihrem Zustand der Krankheit und des Zerfalls anzubieten. Nicht daß die Autoren es nicht versucht hätten. In der Tat skizzieren Alexander King und Bertrand Schneider einen vernünftigen, glaubhaften und auf vielerlei Art und Weise brillianten Plan zur Lösung der Probleme, die sie festgestellt haben.
Das entscheidende Bedürfnis, postulieren sie, bestehe darin, irgendwie die Demokratie und damit das allgemeine Regierungssystem in aller Welt neu zu beleben, um »ihm eine so umfassende Perspektive zu verleihen, daß es die sich entwickelnde Weltsituation bewältigen kann«.
Um das zu erreichen, verlangen sie die Schaffung neuer Institutionen, die auf Zusammenarbeit, Koordination und gemeinsamem Handeln beruhen, einen allgemeinen Angriff auf die Politik und Gesellschaft durchdringende Korruption, eine weit verbreitete Akzeptanz von »Führungspersönlichkeiten mit einem neuen Profil«, zu deren Eigenschaften die Begabung für Innovationen, eine globale Sichtweise, eine ethische Einstellung und Lernfähigkeit gehören, und wachsendes Vertrauen in und die Einbeziehung von Gruppen und Organisationen auf der individuellen Ebene der Gesellschaft.
Tatsächlich gehört zu den aufschlußreichsten Themen des Buches die Feststellung, daß Regierungen in der
Form, wie wir sie kennen, einfach nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft die Welt wieder aufzubauen. Stattdessen, so wird argumentiert, muß sich die Menschheit notwendigerweise auch Institutionen außerhalb
der Regierungen zuwenden, wie z. B. politischen Parteien, Gewerkschaften, Firmen und nichtstaatlichen
Organisationen. »Das Regieren ist nicht mehr ein Monopol von Regierungen und internationalen staatlichen
Organisationen, und die Wirksamkeit des Regierens wird von den Fähigkeiten der führenden Persönlichkeiten
[Seite 33]
abhängen, die in ihre Entscheidungsfindung neue Personen einbeziehen, die ohnehin schon mitregieren.
Die Autoren stellen drei Bereiche für umgehenden Handlungsbedarf von seiten der Regierungen und anderer heraus: 1) die »Zurückverwandlung« der weltweiten militärischen Wirtschaft in eine zivile Wirtschaft; 2) der Beginn einer weltweiten Kampagne zur Energieeinsparung und zum Stopp der Erderwärmung; und 3) die Schaffung einer neuen Priorität, nämlich Entwicklungsbemühungen in kleinem Rahmen im ländlichen Bereich.
Um ihre resolutique in die Tat umzusetzen, schlagen die Autoren vor, daß die Menschheit den Ausweg aus der heutigen Reihe von Problemen »lernen« soll. Sie skizzieren eine Art neuen Welt-Lehrplan, der die folgenden Ziele beinhalten soll: den einzelnen zu zeigen, wie man etwas erlernt; sie zu lehren, wie man »nicht wünschenswerte Impulse« und zerstörerisches Verhalten überwindet; die Kreativität der Menschen zu wecken; und sie zu befähigen, sich eine globale Weltsicht anzueignen.
Das vorletzte Kapitel versucht schließlich, die den Problemen der Menschen zugrunde liegende »Krankheit« anzusprechen. Darin bieten die Autoren der Menschheit eine »neue ethische Sichtweise« an. Ihrer Meinung nach beinhaltet diese Weltsicht eine ethische Einstellung zu Natur und Umwelt, zum Leben (und im besonderen zur Genmanipulation), zur Entwicklung (um den unerträglichen Graben zwischen reich und arm endlich zu überbrücken), außerdem eine ethische Haltung gegenüber Geld, eine Ethik der Bilder (die das Fernsehen kontrollieren soll) und eine Ethik der Solidarität (da die Menschen zusammenarbeiten müssen, um zu überleben).
»Die globale Gesellschaft, auf die wir zusteuern, kann nicht entstehen, wenn sie nicht aus der Quelle moralischer und geistiger Prinzipien trinkt, die die Grenzen ihrer Dynamik abstecken,« schreiben die Autoren. »Unabhängig von Kultur, Religion und Philosophie dürsten alle Menschen nach Freiheit, streben nach der Überwindung von Eingrenzungen, suchen nach einem oft nicht greifbaren und namenlosen Etwas jenseits vieler Einschränkungen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß weder Diktatur noch Gewalt oder einengende Gesetze dieses oft leidenschaftliche Verlangen aus den Herzen der Menschen auslöschen konnten, ein Verlangen, das aus dem von Carl Jung analysierten Unbewußten entspringt«.
So inspirierend dieses Zitat (wie das gesamte Buch) auch sein mag, so ignoriert oder verkennt es die geschichtliche Quelle moralischer und geistiger Werte: Religion. Zwar wird Religion erwähnt, aber sie wird — wie im obigen Absatz — dargestellt, als sei sie lediglich eine unter vielen Quellen geistiger Erneuerung und nicht die Urquelle geistiger Inspiration. Leider vertritt das Buch nur eine neue, weltweit ausgerichtete Form des Humanismus, einen Nachfolger des alten Humanismus, der in vielerlei Hinsicht für den Zustand verantwortlich ist, den die Autoren so stichhaltig darstellen.
Religion hat, welche Unzulänglichkeiten sich auch immer in ihrer Ausübung ergaben, traditionell menschliche Einstellungen, Ziele und Beziehungen definiert. Die Gesetze und Lehren der großen religiösen Propheten der Welt waren immer die grundlegende Kraft in der Erziehung des Menschen. Sie war das Hauptmittel zu gesellschaftlicher Entwicklung und zum Zusammenhalt. Die menschliche Natur ist vom Wesen her eine geistige, geben die Autoren zu. Die wirkliche Herausforderung besteht also in der Anerkennung der Tatsache, daß die Menschheit durch die Geschichte hindurch sich auf eine Macht verlassen hat, die weit größer ist als sie selbst: Gott.
Vor mehr als hundert Jahren warnte Bahá’u’lláh, der Stifter des Bahá’í-Glaubens, vor einer Reihe von Krisen zunehmender Härte, die die Menschheit durchstehen muß, bis sie ihre eigene grundlegende Einheit und die Einheit Gottes anerkennt. Bahá’u’lláh betonte erneut die Rolle der Religion bei der Erreichung von Einheit, indem Er sagte, daß alle großen Weltreligionen aus derselben Quelle stammen und aufeinander folgende Phasen eines einzigen, ewigen Glaubens darstellen.
»Die Propheten Gottes sollten als Ärzte angesehen werden, deren Aufgabe es ist, das Wohlergehen der Welt und ihrer Völker zu fördern, damit sie durch den Geist der Einheit das Siechtum einer entzweiten Menschheit zu heilen vermögen,« schreibt Bahá’u’lláh. »Auf das innerste Wesen dieser Propheten muß daher das Auge jedes Urteilsfähigen gerichtet sein, weil ihre eine und einzige Aufgabe immer war, die Irrenden zu führen und den Leidenden Frieden zu bringen.« (Bahá’u’lláh, Ährenlese 34:6)
Der Club of Rome hat in Die erste globale Revolution den Kernpunkt der problematique der Welt festgestellt: Zwietracht, die aus dem geistigen Niedergang der Welt resultiert. Obwohl die angebotene resolutique viele Erkenntnisse beinhaltet, verfehlt sie aber bei weitem ein überzeugendes Heilmittel zur Befriedigung des Hauptbedürfnisses der Menschheit: des Füllens des geistigen Vakuums. Wenn dieser Kreis von hundert mächtigen und einflußreichen Personen wirklich kühn gewesen wäre, wäre er der Logik seiner anfänglichen Folgerungen gefolgt — ein Schritt, der ihn bestimmt über den aufgewärmten Humanismus hinausgetragen hätte, der als resolutigue unterbreitet wird.
- ONE COUNTRY, Oktober-Dezember 1991
Gedenkveranstaltung in der Paulskirche[Bearbeiten]
Wie bereits im Editorial erwähnt, fand am 26. Mai 1992 eine Versammlung anläßlich des 100. Jahrestages des Hinscheidens Bahá’u’lláhs in der Frankfurter Paulskirche statt, an der über 900 Personen aus dem In- und Ausland teilnahmen. Zu diesem Festakt trafen diverse Grußworte ein, aus denen Anerkennung für den Glauben Bahá’u’lláhs und Wertschätzung für die von Ihm verkündeten Lehren spricht. Das Universale Haus der Gerechtigkeit geht in seiner Botschaft auf die Geschichte Europas ein und betont den aktuellen Bezug der Botschaft Bahá’u’lláhs.
Nebenstehend sind Auszüge aus den Grußworten abgedruckt.
»...Eine moderne, pluralistische Gesellschaft mit menschlichem Gesicht lebt entscheidend auch aus dem Gedanken der religiösen Toleranz. Das Fest, das Sie begehen, soll den untrennbaren Zusammenhang zwischen Treue zum eigenen Glauben und der Toleranz gegenüber den Menschen anderer Glaubensüberzeugung deutlich machen. Wir in Deutschland, die wir in der Freiheit der Religionsausübung leben dürfen, wissen um die Verfolgung, die Menschen wegen ihres Glaubens in vielen Ländern der Welt erleiden müssen. Die Bundesregierung wird ihren Einsatz für die weltweite Garantie der Religionsfreiheit auch künftig entschlossen fortführen.
Die Bahá’í in Deutschland haben seit jeher im Dialog mit anderen Religionen eine wichtige Aufgabe gesehen. Gerade in der heutigen Zeit kommt der Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Religion eine besondere Bedeutung zu. Gewiß wird auch das diesjährige Jubiläum der Bahá’í dem interreligiösen Dialog neue, wertvolle Impulse geben.
Ich wünsche allen Bahá’í in Deutschland und in der Welt, daß sie ihren Glauben in Freiheit und im friedlichen Miteinander mit anderen Religionen leben können.«
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
»Allen Teilnehmern am Festakt in der Paulskirche möchte ich meine Grüße und besten Wünsche übermitteln. In dieser schwierigen Umbruchphase mit vielerlei Unsicherheiten ist geistige Orientierung von unschätzbarem Wert. Indem wir die berechtigten Sorgen hierzulande und aus anderen Teilen Europas und der Welt ernst nehmen und ernsthafte Anstrengungen unternehmen, daß sich ungute Trends möglichst nicht verselbständigen und verewigen, tragen wir mit dazu bei, um dieser, unserer Einen Welt voranzuhelfen.«
Willy Brandt
»Darf ich mit der Anrede beginnen: Liebe Freunde. Zwar gehöre ich Ihrer Religionsgemeinschaft nicht an. Ich hatte einige Jahre lang einen aus dem Iran stammenden physikalischen Mitarbeiter, der Bahá’í war und der mir Ihre Gemeinschaft nahegebracht hat. Ich habe große Bewunderung für Bahá’u’lláh, dessen 100. Todestag Sie soeben feiern. Ich glaube, daß das, was er als den Auftrag an die Religionen ausgedrückt hat, genau der Wahrheit entspricht. So kann ich Ihnen nur wünschen, daß Sie einen guten Verlauf Ihrer Tagung haben und daß man allgemein in der Welt auf das hören wird, was Sie zu sagen haben.«
Professor Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker
»...In den hundert Jahren seit jenem schicksalsschweren Tag hat sich Europas Antlitz verändert; es ist gezeichnet von Ereignissen, die eine ‘beklagenswert mangelhafte’ politische Ordnung heraufbeschworen hat. Heute steht dieser Erdteil an der Schwelle zu machtvollen, konstruktiven Entwicklungen. Viele Probleme müssen noch gemeistert werden; der Weg in die Zukunft ist steinig, aber letzten Endes ist diese Zukunft unaussprechlich ruhmreich.
Bahá’u’lláhs Botschaft ist ein strahlendes Licht, das den vor der Menschheit liegenden Weg erhellt, eine Schatzkammer voller wegweisender Grundsätze, mit denen die Probleme unserer Zeit zu lösen sind. Daß die Stadt Frankfurt diese Versammlung in einem so geschichtsträchtigen Bau mitten im Herzen des erwachenden Europa willkommen heißt, ist von tiefer Bedeutung und ermutigt zu großen Hoffnungen für die ganze Welt.«
Das Universale Haus der Gerechtigkeit