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Bahá’í-Briefe
Heft 58 18. Jahrgang Oktober 1990
Bahá’í-Briefe Heft 58 Oktober 1990 18. Jahrgang
Die Bahá’í-Briefe wollen eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten der Bahá’í-Religion fördern und auf der Grundlage zeitgemäßen Denkens zu einem Dialog mit allen beitragen, die sich um die Lösung der Weltprobleme mühen.
- Inhalt
- Mut zum Frieden . . . . . . . 1
- Ingeborg Franken
- Ein bißchen Kooperation . . . . . . . 9
- Rufus
- Europa in der Schule des Islam . . . . . . . 11
- Bijan Sobhani
- Morgen sieht die Welt ganz anders aus . . . . . . . 15
- Lydia Zamenhof . . . . . . . 21
- Von der Unterdrückung zur Gleichberechtigung . . . . . . . 25
- Hoda Mahmoudi
- Der Buchtip . . . . . . . 36
Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland e.V., Hofheim-Langenhain. Redaktion: Dr. Klaus Franken, Farideh Motamed, Dr.Bijan Sobhani, Christian Spreter, Karl Türke jun. Redaktionsanschrift: Bahá’í-Briefe, Redaktion, Eppsteiner Straße 89, D-6238 Hofheim 6. Namentlich gezeichnete Beiträge stellen nicht notwendig die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar. Die Bahá’í-Briefe erscheinen halbjährlich. Abonnementpreis für vier Ausgaben 20, — DM. Einzelpreis 6, — DM. Vertrieb und Bestellungen: Bahá’í-Verlag, Eppsteiner Straße 89, D-6238 Hofheim 6.
Titelbild von Christian Spreter
© Bahá’í-Verlag GmbH 1990 ISSN 0005-3945
Mut zum Frieden[Bearbeiten]
Die Frau und ihr Einfluß bei der Gestaltung einer friedlichen Gesellschaft
- Ingeborg Franken
In den vergangenen Jahren ist die Forderung nach einer stärkeren Beteiligung
von Frauen bei bedeutsamen Entscheidungsprozessen in unserer
Gesellschaft immer deutlicher gestellt worden. Während noch vor ca. 20 Jahren
eine derartige Forderung hauptsächlich in feministischen Kreisen
diskutiert wurde, beschäftigt heute Männer wie Frauen breiter
Bevölkerungsschichten die Frage, ob durch mehr Beteiligung von Frauen in
politischen Entscheidungsgremien eine veränderte, vielleicht humanere Politik
gemacht werden könnte. Die in allen Parteien in irgendeiner Weise
geführte Diskussion um die Quotenregelung - d.h. z.B. um den prozentualen
Anteil von Frauen in Vorstandsgremien — beweist diese Entwicklung deutlich.
Daß in der Vergangenheit gerade den Frauen der Frieden ein besonderes Anliegen war,
wird daran deutlich, daß die Geschichte der Friedensbewegung in
Europa sehr eng mit der Geschichte der Frauenbewegung verbunden ist.
Daß - weltweit gesehen - das Echo und die Wirkung dieser Bewegungen
bisher recht schwach blieben, daß die Gleichberechtigung der Geschlechter
als Voraussetzung für den Frieden in der Welt bisher kaum als solche
erkannt wird, ist erklärlich, wenn man sich den historischen Hintergrund
vor Augen hält, vor dem sich eine solche Wandlung vollziehen muß. Ich
möchte versuchen, dies in einem kurzen historischen Abriß anzudeuten.
Mindestens während der vergangenen 3000 Jahre beruhten die abendländische Zivilisation und ihre Vorläufer - wie übrigens auch die meisten anderen Kulturen - auf den von Männern definierten philosophischen, sozialen und politischen Systemen.
Ob im wissenschaftlichen, künstlerischen, wirtschaftlichen oder politischen Bereich: stets ist die Geschichte der Menschheit im wesentlichen von Männern gestaltet worden. Von Männern wurde bestimmt, für welche Werte es sich zu leben lohnte und für welche zu kämpfen, also auch zu sterben.
Die Männer bestimmten, sei es durch Tradition und Sitte, durch Gesetz und Gewalt, durch Erziehung und durch Arbeitsteilung, welche Rolle die Frauen zu spielen hatten und welche sie nicht spielen durften.
Auch die Hochreligionen haben in der Vergangenheit die Beziehung der
Geschlechter, d.h. die Stellung der Frau und ihren Einfluß in der
Gesellschaft nicht entscheidend verändern können. Obwohl alle
Hochreligionen Lehren enthalten, in denen die Bedeutung der Frau betont
wird, und obwohl in den Anfängen einiger Hochreligionen Frauengestalten eine
besonders wesentliche Rolle spielten - wie z.B. Maria und Maria Magdalena im
Christentum, oder Fatimah, die Tochter Muhammads, im Islam —- so
wurde doch die weitere Entwicklung der religiösen Institution fast
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ausschließlich von Männern bestimmt.
Über Jahrhunderte hinweg hat sich in den Köpfen der Männer - und damit zwangsläufig auch der Frauen - die Vorstellung festgesetzt, daß die Frau zwar emotionale, dafür aber weniger intellektuelle Fähigkeiten besitze. Dieses Vorurteil begründete die Entmündigung der Frau in der Gesellschaft.
Es erhielt im 17. Jh. durch den frz. Philosophen Malebranche, der übrigens aufgrund seiner Arbeiten auch als erster Psychologe bezeichnet wird, eine pseudowissenschaftliche Rechtfertigung. Malebranche erklärte nämlich, daß die Frauen infolge ihrer Gehirnbeschaffenheit zwar feinere Empfindungen und Geschmack, aber von Natur aus nur kümmerliche Verstandesgaben besäßen. Die Überzeugung von der naturgegebenen geistigen Unterlegenheit der Frau wurde in ähnlicher Form über Jahrhunderte hinweg immer wiederholt. So wurde die Rechtmäßigkeit der damit verbundenen Bevormundung der Frau durch den Mann im Laufe der Geschichte bis in die Mitte des 19. Jh. nie öffentlich in Frage gestellt, sondern so universal akzeptiert, daß sie einem Naturgesetz gleichkam und gesellschaftlich verbindlich wurde.
Zu Beginn des 19. Jh. deutete sich schließlich eine Änderung an. So äußerte sich der frz. Sozialist Fourier (1772-1837) dahingehend, daß man den Kulturgrad einer Gesellschaft beurteilen könne nach der Stellung, welche die Frau in derselben einnimmt. Mitte des 19. Jh. entstanden, zunächst von einzelnen Frauen initiiert, die ersten Frauenbewegungen, die sich für die Rechte und die Aufwertung der Frau einsetzten und dafür demonstrierten.
Übrigens gab es solch bahnbrechend wirkende Frauengestalten nicht nur in unserer westlichen Welt. Die erste Frau, die für die Befreiung der Frau aus der Unterdrückung ihr Leben lassen mußte, war eine Orientalin, eine junge persische Dichterin, genannt Tahereh (1817-1852). Sie war auch die erste Orientalin, die den Schleier als Symbol der weiblichen Unterdrückung in einer Versammlung von Männern abwarf. Sie mußte ihren Einsatz, den sie mit Wort und Tat für die Freiheit des Menschen
- Die erste Frau, die für die Befreiung der Frau aus der Unterdrückung ihr Leben lassen mußte, war eine Orientalin.
gleich welchen Geschlechts — ausdrückte, mit dem Leben bezahlen.
Daß gerade in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. Frauen in der westlichen Welt begannen, ein Selbstverständnis zu entwickeln, das ihnen Aktionen außerhalb der häuslichen Abgeschlossenheit erlaubte, ist sicherlich nicht verwunderlich. Denn in dieser Zeit bereiteten sich in fast allen Bereichen der menschlichen Gesellschaft Änderungen vor: Es begann die dynamische Entwicklung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, damit verbunden bahnten sich auch entscheidende soziale Veränderungen an.
Auch die erste Gründung einer Friedensgesellschaft fand in dieser
Zeit statt: 1815 in New York. Es folgten Friedensgesellschaften in
London, Genf und Paris. In den sechziger Jahren des 19. Jh. breitete sich
die Friedensbewegung international
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immer weiter aus.
Nur in Deutschland blieb eine entsprechende Bewegung aus, dafür sorgte Reichskanzler Bismarck. »Die großen Fragen unserer Zeit werden nicht durch Majoritätsbeschlüsse gelöst, sondern durch Blut und Eisen« war einer seiner charakteristischen Sätze. Daß es in einem solch markigen »männlichen« Klima Frauen- und Friedensbewegung äußerst schwer hatten, brauche ich wohl nicht zu betonen.
Dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) war es eine Frau, die ein Signal setzte, das auf Änderung hoffen ließ: 1889 veröffentlichte Bertha von Suttner ihr Buch Die Waffen nieder!, einen Roman, der in seinen Schilderungen des Kriegselends und der Nichtigkeit der Kriegsursachen die Friedensidee populär machte. Es war vorauszusehen, daß B.v.Suttner und die Frauen und Männer, die ihre Ziele mitverfolgten, im militärbesessenen Wilhelminischen Reich erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten hätten. Dennoch gelang es ihr, im Jahre 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft zu gründen.
Die erste internationale Friedenskonferenz fand im Jahr 1899 in Den Haag statt. Auf ihr wurde die Errichtung des Internationalen Schiedsgerichtes beschlossen. Diese Konferenz ist auch deshalb von Bedeutung, weil sie zugleich Schauplatz der ersten internationalen Frauenkundgebung wurde. Auf Initiative von Margarethe Selenka fanden zwischen dem 13. und dem 16.März 1899 in 18 Ländern der Welt insgesamt 565 Versammlungen statt, in denen die Frauen ihren Willen und ihre Forderung nach Frieden ausdrückten. Eine Dokumentation dieser weltweiten Kundgebung von Frauen für den Frieden überbrachten Margarethe Selenka und Bertha von Suttner am 22.Mai dem Präsidenten der den Haager Friedenskonferenz. Dieses Ereignis war wohl die bis dahin beeindruckendste Dokumentation von Frauensolidarität für den Friedensgedanken.
Heute befindet sich die Menschheit in ihrem wohl kritischsten Zustand seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Sie ist an einem Punkt angekommen, in dem der Planet Erde in kürzester Zeit verwüstet, die Spezies Mensch vernichtet werden könnte.
Sicherlich kann die Menschheit die Gefahr der Selbstvernichtung nicht alleine durch politische Maßnahmen lösen. Verträge zur Abschaffung der Kernwaffen oder ein Verbot, chemische oder bakterielle Waffen einzusetzen, sind zwar außerordentlich wichtig, aber sie reichen nicht aus. Sie greifen nicht tief genug, um einen dauerhaften Einfluß ausüben zu können, selbst wenn man davon
- Die Vorstellung kollektiver Sicherheit bleibt utopisch, wenn sie allein auf politischen Abmachungen beruht.
ausginge, daß die Verträge auch in Krisenzeiten von allen
Unterzeichnern eingehalten würden.
Die Vorstellung kollektiver Sicherheit bleibt utopisch, wenn sie allein
auf politischen Abmachungen beruht. Vielmehr erwächst der Frieden
seinen Wesen nach aus einem inneren Zustand, er wird getragen
von einer geistigen, einer ethischen Einstellung des Menschen. Es bedarf
einer entscheidenden Änderung des
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menschlichen Bewußtseins, einer - wie Erich Fromm sie nannte - »geistigen
Wiedergeburt« des Menschen, für die die einzige Bedingung besteht,
»daß der Mensch wieder zu leben beginnt und seine Gesellschaft für das
Leben und nicht für den Tod organisiert«.1)
Es scheint, als ob wir Menschen an einer Wende stehen, an der Schwelle zu einer neuen Kultur, in der andere Wertmaßstäbe gelten müssen als diejenigen, die die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten geprägt haben. In einer Zeit, in der es möglich zu sein scheint, das Wohlergehen einer Person, einer Familie oder eines Landes am materiellen Wohlstand abzulesen, werden natürlich hauptsächlich Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Erfolgsdrang, Vorrang der Einzelinteressen, Streben nach Überlegenheit und Macht benötigt. Aber diese alten Wertvorstellungen können in unserer Zukunft keinen Vorrang mehr haben, wenn wir überhaupt noch eine Zukunft haben wollen!
Andere Eigenschaften müssen das menschliche Verhalten und Handeln in Zukunft entscheidend mitbestimmen: Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Intuition, stärkere Fähigkeit zu Lieben, Bereitschaft zu Dienen, Mut zur Emotion usw. Die Tatsache, daß gerade Frauen i.a. diese Eigenschaften und Fähigkeiten in besonderem Maße aufweisen, war jahrhundertelang ein Grund für die Unterdrückung der Frau. Die Überzeugung, Frauen seien seelisch, geistig und moralisch »anders« als Männer, dient seit Jahrhunderten dazu, das Handeln und Wirken der Frauen zu begrenzen, ihren Tätigkeits- und Wirkungsbereich einzuschränken.
Die Frage, ob dieses »Anderssein« auch auf Veranlagung oder ausschließlich auf kulturelle Sozialisation zurückzuführen sei, begleitet die Geschichte der Frauenbewegung von Beginn an und wird ebenso lange immer wieder kontrovers diskutiert.
Eine ebenso alte Tradition hat die Überzeugung, daß alle Menschen Anteile von Männlichkeit und von Weiblichkeit in sich tragen, diese Anteile jedoch individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Dabei wird häufig (gemäß einer vielzitierten Definition von Jacques Bakan) das bestimmende Prinzip der Weiblichkeit als »Teilhabe/Gemeinschaft« bezeichnet, das der Männlichkeit als »Handeln/Bewirken«.
Der sogenannten weiblichen Sicht (dem weiblichen Prinzip) entspringen Gefühle, Werte und Verhaltensweisen, die das gegenseitige Aufeinanderangewiesensein der Menschen berücksichtigen und im Konfliktfall Problemlösungen suchen, die für alle erträglich sind. Dagegen berücksichtigt die sogenannte männliche Sicht (das männliche Prinzip) vor allem die Erfordernisse und Ansprüche eines autonom handelnden Subjektes, das Vorhaben entwirft und, um sein Vorhaben zu verwirklichen, auch notfalls den Verzicht auf menschliche Bindungen und auf Sicherheit in Kauf nimmt.
Die unterschiedlichen Rollen, die Mann und Frau in der Vergangenheit
zugeteilt wurden, schufen für die beiden Geschlechter unterschiedliche
soziale Bedingungen. Die Trennung
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der Zuständigkeitsbereiche der Geschlechter - die Frau für den privaten
Lebensbereich der Familie, der Mann für den öffentlichen Lebens- und
Arbeitsbereich - war dafür verantwortlich, daß beide Geschlechter
unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen mußten, um ihren
ungleichen Aufgaben gerecht werden zu können.
Vor allem gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jhs. entstanden im Zuge der Industrialisierung und der Verstädterung der Gesellschaft die Vorstellung von speziell weiblichen und männlichen Tätigkeitsbereichen und damit verbunden eine geschlechtsspezifische Aufsplitterung der Erfahrungs- und Verantwortungsbereiche. Durch die Philosophie der Aufklärung, in der die Rationalität als die bedeutendste, die wertvollste Fähigkeit angesehen wurde, die ein Mensch haben konnte ("Cogito ergo sum", Descartes), entstand damit allmählich eine Polarität der moralischen und sozialen Definition von Männlichkeit und Weiblichkeit.
Männer hatten z.B. in ihrem Arbeitsbereich rational und sachlich zu sein, dabei aber angriffslustig und abwehrfähig. Es wurde von ihnen erwartet, daß sie ihre Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit in formal-juristische, abstrakte Regelungen übersetzen können. Da die Verwirklichung von Zielen von der persönlichen Macht abhängt, wurde die Macht um ihrer selbst willen als Ziel angestrebt, und das Vermögen, sich gegen andere durchzusetzen, galt als erstrebenswerte Fähigkeit. Die Ordnungsstrukturen, die sich aus diesem Verhalten notwendigerweise ergeben mußten, sind hierarchischer Natur. Sie bilden auch heute noch die Umgangsform, die in der Arbeitswelt und in der Politik weitgehend als »normal« angesehen wird.
Andererseits bedeutete in der Vergangenheit die Zuständigkeit von Frauen für den privaten Bereich, daß sie nur ein enges, überschaubares Wirkungsfeld hatten und nur eingeschränkte Möglichkeiten der Einflußnahme. Allerdings lag die Verantwortung für alles, was mit ihrem Wirkungsbereich zu tun hatte, voll bei ihnen. Persönliche Beziehungen, emotionale Fähigkeiten waren für ihre Position entscheidend. Das Verhältnis der Frau zur Macht entwickelte sich anders, da sich die Frage nach Machtpositionen in der Familie nicht in der Weise stellt, wie dies im öffentlichen Leben der Fall ist.
Die meisten Fähigkeiten, welche die Frauen in ihrem Zuständigkeitsbereich aufweisen mußten, waren solche, die sich im wesentlichen aus ihren Funktionen als Mutter ergaben. Die Werte, für die die Frau in ihrem privaten, häuslichen Bereich eintrat, waren z.B. Hingabebereitschaft zum Wohle der Familie (häufig zu dem Preis der Selbstaufgabe), oder Verantwortlichkeit bei der Kindererziehung, Phantasie bei den Bemühungen, trotz unterschiedlicher Charaktere der Familienmitglieder den häuslichen Frieden zu erhalten.
Kommen wir nun auf die eingangs von mir erwähnte Forderung
zurück, daß den Frauen in der Politik oder in anderen öffentlichen
Entscheidungsgremien ein stärkerer Einfluß ermöglicht werden sollte.
Sicherlich wird diese Forderung nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen
erhoben. Natürlich ist es ungerecht, daß die Hälfte der Weltbevölkerung
von Entscheidungen ausgeschlossen ist,
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deren Folgen die gesamte Menschheit existenziell betreffen.
Aber über diesen Gerechtigkeitsgrund hinaus gibt es andere Gründe. Es ist zu erwarten, daß durch eine stärkere Beteiligung der Frauen auch inhaltlich andere Akzente gesetzt werden könnten, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
»Könnte es sein, daß Frauen in der Übergangszeit von einer Kultur, die nahezu ausschließlich von Männern bestimmt ist, zu einer gemeinsam bestimmten Kultur eigene Akzente für das Zusammenleben finden und Ziele freier von rigiden Vorurteilen und Prestigeverspannungen setzen, ...?«2)
So ist z.B. auffallend, daß bei Aktionen, die im Zusammenhang mit Friedensthemen stattfinden, durchschnittlich relativ mehr Frauen teilnehmen als Männer. Es scheint, daß Frauen in stärkerem Maße durch solche Themen angesprochen werden, die direkt mit dem Frieden zu tun haben, als es bei anderen politischen Themen der Fall ist (Vergleich Ostermärsche / Demonstrationen zum Thema Notstandsgesetze Ende der 60er Jahre).
Ähnliches ist zu beobachten, wenn es um Themen geht, die in direktem Zusammenhang mit der Gefährdung unserer Umwelt stehen. Ob nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, ob nach Chemieunfällen oder anderen unsere Umwelt schädigenden Vorfällen, stets gaben die Frauen ihrer Sorge um den Schutz unserer Lebensbedingungen in deutlich stärkerem Maße Ausdruck, als es bei Männern allgemein der Fall war. Immer wandten sich die Frauen vor allem gegen die Gewöhnung an den Schrecken und gegen die daraus folgende Resignation.
Stets dann, wenn es um unmittelbare Gefahren für das Leben dieser oder künftiger Generationen geht, scheinen die Frauen besonders betroffen zu sein. Es sieht so aus, als fühlten sich die Frauen für den Schutz des Lebens in besonderer Weise verantwortlich.
So sind es Frauen gewesen, die bei der Diskussion zum Thema Frieden und Abrüstung erstmalig Emotionalität
- Es sieht so aus, als fühlten sich die Frauen für den Schutz des Lebens in besonderer Weise verantwortlich.
ins Gespräch brachten. Sie haben als erste offen und deutlich auch in
öffentlichen Diskussionen von ihrer Angst gesprochen, Angst, die sie für
sich und ihre Kinder vor der Kriegsbedrohung, vor einer zerstörten Umwelt
haben. Sie schufen damit ein verändertes Klima für die Gespräche
über den Frieden.
So bin ich z.B. davon überzeugt, daß Frauen nicht so schnell bereit sind, die Bedrohung durch Nuklearunfälle als sog. »Restrisiko« zu akzeptieren, »als Preis, den wir für unseren materiellen Wohlstand nun einmal zahlen müssen.« (Zitat eines Verantwortlichen nach Bekanntwerden des Reaktorunfalls Biblis)
Lassen Sie mich anhand von zwei Beispielen deutlich machen, in welcher
Weise die weibliche Sicht zu einer Lösung der bedrohlichen Probleme und
zu der Gestaltung einer
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friedlichen Zukunft beitragen könnte.
So erfordert z.B. die Praxis als Mutter von der Frau eine spezifische Art des Handelns. Nichts, was die Mutter erreichen oder bewirken will, läßt sich durch unmittelbares Zugreifen erreichen. Man kann Kinder nicht in der Weise erziehen, wie man Gegenstände produziert. Erziehen heißt ja auch werden lassen, geduldig beobachten, sich entwickeln lassen, durch Ermutigen positive Entwicklungen verstärken. Man könnte diese Art des Handelns als »indirektes Handeln« bezeichnen. Es ist völlig entgegengesetzt zum »direkten Handeln«, bei dem einem Gestaltungswillen entsprechend agiert wird. In der Zukunft muß die Politik des Handelns von beiden Formen gemeinsam bestimmt werden: das direkte, zupackende Handeln muß begleitet sein von der geduldigen Aufmerksamkeit für das, was von allein wachsen muß (Abkehr vom Aktionismus hin zum besonnenen Handeln angesichts der Grenzen des Machbaren bzw. des Wünschenswerten).
Die in der Familie vorhandenen Beziehungen sind vor allem geprägt durch gegenseitige Anerkennung und gegenseitiges Geben und Nehmen. Je stärker die gegenseitige Unterstützung eines jeden Mitgliedes der Familie durch die anderen ist, umso mehr Möglichkeiten erwachsen für die ganze Gemeinschaft. In diesem Sinne sind in weiblicher Sicht menschliche Beziehungen wohl eher als Netzwerk strukturiert, bei denen der Zustand des einzelnen von dem der anderen abhängt. Die Stärkung der weiblichen Sicht in Denk- und Entscheidungsprozessen des öffentlichen Lebens würde also zu einer Aufwertung des Modells vom Netzwerk gegenüber dem Modell der hierarchischen Beziehungen, der linearen Denkstruktur führen.
In den letzten Jahren sind sich immer mehr Menschen dessen bewußt geworden, daß die einzige Chance für die Entwicklung der Menschheit gerade in der Verschiedenheit des männlichen und weiblichen Prinzips, der männlichen und weiblichen Sicht, liegt. Vorausgesetzt, daß Mann und Frau als Einheit verstanden werden und als solche zusammen wirken.
Dabei bedeutet Einheit natürlich nicht Einheitlichkeit. Was ich mit dem Begriff Einheit meine, ist die Ergänzung von verschiedenen Teilen zu einer Gesamtheit, wie z.B. der menschliche Organismus aus zahlreichen Organen besteht, die alle völlig unterschiedliche Aufgaben und Funktionen haben. Der Gesamtorganismus ist aber nur dann wirklich funktionsfähig, wenn alle seine Teile, alle Organe, ihre Aufgabe erfüllen.
In diesem Sinne kann auch die Menschheit sich nur dann weiterentwickeln, wenn ihre beiden Teile, männlicher und weiblicher Teil, ihren gleichwertigen Beitrag dazu liefern.
Erstmalig in der Geschichte der Religion wird in den Bahá’í-Schriften die Gleichwertigkeit der Geschlechter betont und die Bedeutung der Frau als gleichberechtigte, die gleiche Verantwortung tragende Partnerin des Mannes dargestellt.
Die Lehren Bahá’u’lláhs erklären die Gleichberechtigung von Mann
und Frau zum göttlichen Gesetz für unser Zeitalter. Sie bezeichnen dieses
Prinzip als unerläßlich für ein Verständnis der Einheit der Menschheit
und für die Errichtung des Weltfriedens. »Das Glück der Menschheit
wird Wirklichkeit, wenn Mann und
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Frau zusammenwirken und ebenbürtig voranschreiten, denn jeder ist Ergänzung
und Helfer des anderen.«3) schrieb ’Abdu'l-Bahá (1844-1921), der
Sohn Bahá’u’lláhs und eine der Zentralgestalten des Bahá’í-Glaubens.
In einem Vortrag von ’Abdu'l-Bahá 1913 in London vor der »Frauenliga für Frieden und Freiheit« verdeutlichte er mit einem Bild, in welchem Ausmaß die Entwicklung und die Zukunft der Menschheit davon abhängen, wie sich beide Geschlechter um ein gleichberechtigtes Verhältnis bemühen. Er verglich die Menschheit mit einem Vogel, dessen einer Flügel das männliche und dessen anderer das weibliche Geschlecht ist.
»Sofern nicht beide Flügel stark und durch gemeinsame Kraft bewegt werden, kann sich der Vogel nicht himmelwärts schwingen.«4)
Die volle Gleichberechtigung der Geschlechter wird daher von den Bahá’í weltweit als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Frieden und für die Einheit der Menschheit gesehen.
Die höchste administrative Körperschaft der Internationalen Bahá’í-Gemeinde formulierte zum Internationalen Jahr des Friedens eine Friedensbotschaft, die inzwischen an die Staatsoberhäupter beinahe aller Länder dieser Welt, an führende Politiker, Wissenschaftler, Künstler, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, an mehrere Millionen von interessierten Menschen in aller Welt gegeben wurde. In dieser Friedensbotschaft heißt es:
»Die Emanzipation der Frau, die volle Gleichberechtigung der Geschlechter, ist eine der wichtigsten,
- Die Verweigerung der Gleichberechtigung bedeutet ein Unrecht gegenüber der Hälfte der Weltbevölkerung
wenngleich kaum anerkannten Voraussetzungen des Friedens. Die
Verweigerung der Gleichberechtigung bedeutet ein Unrecht gegenüber der
Hälfte der Weltbevölkerung und leistet bei den Männern Vorschub für
schädliche Einstellungen und Gewohnheiten, die aus der Familie an
den Arbeitsplatz, ins politische Leben und letztlich in die internationalen
Beziehungen hineingetragen werden. Es gibt keine moralischen, praktischen
oder biologischen Gründe, die eine solche Verweigerung rechtfertigen.
Erst wenn die Frau in allen Bereichen menschlichen Strebens zu voller
Partnerschaft willkommengeheißen wird, entsteht das moralisch-psychologische
Klima, in dem sich der internationale Frieden entwickeln kann.«5)
- 1) Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Suhrkamp
- 2) Helga Einsele in Das Erbe des Sokrates, dtv-Sachbuch
- 3) 'Abdu'l-Bahá in Frauen, Bahá’í-Verlag
- 4) 'Abdu'l-Bahá in Frauen, Bahá’í-Verlag
- 5) Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens
... ein bißchen Kooperation[Bearbeiten]
- Zuerst erschienen in Herald of the South, Oktober 1987, unter dem Titel »A Bit of Cooperation«
»Ich verstehe nicht, wie Du es fertigbringst, so viele Zeitschriften zu
lesen«, sagte meine Frau, während sie geschäftig umherlief und die
verschiedenen Magazine und Zeitschriften zu Stapeln häufte, die in unserem
Haus wie Pilze aus dem Boden zu sprießen schienen. »Du müßtest dich
persönlich für den Tod einiger Bäume jedes Jahr verantwortlich fühlen.
Hoffentlich hast du etwas davon!«
Ihre Bedenken drückten sich eindeutig in ihrer Stimme aus. Ich räusperte mich mehrmals und tat mein Bestes, um klarzustellen, daß all das zu der »Informations-Explosion« gehöre, und daß ich, falls sie weiter von mir versorgt werden wollte, auf dem laufenden bleiben müßte. Ich bemerkte sofort den Abgrund, der sich vor mir aufgetan hatte, und fügte, bevor meine Frau die alte Diskussion über Unabhängigkeit und eigenes Einkommen aufnahm, geschwind hinzu: »In dieser Zeitschrift zum Beispiel lese ich gerade einen recht interessanten Artikel. Er handelt davon, daß das Geschäftsleben auf der Grundlage von Kooperation besser funktioniere als durch Konkurrenz und Wettbewerb.«
Der betreffende Artikel begann mit der Beschreibung eines großen australischen Unternehmens mit fünf Abteilungen, das von einem neuen Vorstandsvorsitzenden übernommen wurde. Seine erste Maßnahme bestand darin, in den Zielvorgaben für die fünf Abteilungen das Wort »konkurrieren« durch »kooperieren« zu ersetzen. Anstatt miteinander zu wetteifern, wurden die Abteilungen ermutigt, sich gegenseitig zu unterstützen, um die Unternehmensziele zu erreichen. Rivalität und Konflikt waren außer Mode. Und der neue Ansatz funktionierte und brachte Erfolge.
Auslöser für diese Veränderung war der wachsende Zweifel am Wert der Konkurrenz innerhalb eines Betriebes. Haben die Menschen wirklich mehr geleistet, wenn sie miteinander konkurrierend den Baum des Unternehmens bestiegen? Eine zunehmende Zahl psychologischer Untersuchungen zeigte, daß es nicht so sei, sondern daß höhere Leistung eher zu beobachten war, wenn Konkurrenz und Wettbewerb fehlten. Das alte Motto, nach dem man ein besserer Kämpfer sein mußte, um im Dschungel des Unternehmens Erfolg zu haben, wirkt mehr und mehr unglaubwürdig.
In dem Artikel wurden eine Anzahl von Autoren und Artikeln zitiert,
darunter eine Studie, die an der Universität von Minnesota, USA
durchgeführt wurde. Die Untersucher bearbeiteten alle verfügbaren
Studien aus Nordamerika, die sich mit Leistungserbringung in
konkurrierenden, kooperierenden und individualistischen Umfeldern
befaßten. Die Auswertung dieser Studien zeigte, daß 65 unter ihnen
bei Kooperation ein höheres Leistungsausmaß
[Seite 10]Bahá’í-Briefe
beobachten konnten als bei Konkurrenz; 8 erbrachten das gegenteilige
Ergebnis und 36 konnten keinen signifikanten Unterschied feststellen.
Von den Studien, die die kooperierende mit der individuellen
Arbeitsweise verglichen, zeigten 108 bessere Ergebnisse durch
kooperatives Vorgehen, 6 zeigten bessere Leistungen bei
individuell-unabhängiger Arbeit und 42 erbrachten keine
Unterschiede. Die Schlußfolgerung war, daß Konkurrenz das Ausmaß
der Leistungsfähigkeit behindere.
In dem Artikel hieß es, es sei nichts Ungewöhnliches, daß Menschen, die sich bisher am Wettbewerb erfreuten, ihre Einstellung änderten, nachdem sie selbst erlebt hatten, wie es war, in einer Umgebung zu arbeiten, wo man nicht gezwungen ist, Sieger oder Verlierer zu sein. Es stellte sich heraus, daß - auch wo der handfeste Einsatz, wie z.B. Geld, Rang und Stellung, nicht hoch war - wenn Menschen konkurrieren, der psychische Einsatz fast immer hoch ist. Die Möglichkeit zu verlieren erzeugt emotionellen Druck, der die Leistungsfähigkeit behindert. Kooperation nutzt die Fähigkeiten jedes einzelnen und schafft etwas, das die Summe der Teile übersteigt, wogegen Konkurrenz zu Argwohn und Feindseligkeit führen. Wettbewerb fördert nicht die Qualität der Leistung, denn die Bemühung, eine Arbeit gut zu verrichten, und das Bestreben, andere zu übertreffen, sind zwei verschiedene Dinge.
Unternehmen, die die kooperative Methode eingeführt hatten, berichteten über das Entstehen eines Gruppengeistes und das Aufkommen von Leistungswillen. Mitarbeiter des Unternehmens haben gelernt, einander zu trauen und Geduld zu üben. Da es nicht mehr nötig war, den anderen zum Verlierer zu machen, nahm der Respekt, den sie einander entgegenbrachten, zu.
»Also,« fuhr ich mit meiner Erklärung des Artikels fort, »man müßte nur noch das Prinzip der Kooperation auf die internationalen Verhältnisse anwenden, um dort die gleichen Ergebnisse zu erzielen. Da siehst Du nun, wofür all die Bäume fallen mußten.«
»Sehr schön, du weiser Mann«, sagte meine Frau, »doch wie wär's mit ein bißchen Kooperation. Hilf mir doch mal, das Durcheinander in Ordnung zu bringen, das du hier angerichtet hast!«
- Rufus
- Beratet miteinander in allen Angelegenheiten,
- denn Beratung ist die
- Lampe der Führung, welche den
- Weg weist und Einsicht schenkt.
- ’Abdu'l-Bahá
Europa in der Schule des Islam[Bearbeiten]
Kulturen begegnen sich
- Bijan Sobhani
Flink wie eine Gazelle sprang der junge Mann aus dem azurblauen Volkswagen-Scirocco, nahm seinen Koffer und betrat mit offenbar frisch polierten Lackschuhen die im vornehmen Barockstil eingerichtete Konditorei. Unter der spinatgrünen Kamelhaarjacke, die er zusammen mit seiner kastanienbraunen Mohair-Mütze neben sich auf die mit feinstem Musselin bezogene Matratze des Teakholzsofas legte, kam eine lilafarbene Bluse aus reinstem Satin zum Vorschein. Den Kragen umrahmte ein hochkarätiges, mit Smaragden und Saphiren besetztes Amulett, das dem jungen Mann wohl als Talisman dienen sollte. Seine gelockten Haare glänzten karminrot von Henna und dufteten verführerisch nach Sandelholzbalsam.
»Der Klabautermann persönlich«, flüsterte jemand. »Bunt wie ein Papagei, rief ein anderer leise; und »weshalb riecht es hier nur so stark nach Benzin?«, war aus einer anderen Ecke zu hören. Der junge Mann jedoch, ohne dem Geflüster der anwesenden Gäste, die mit langen Giraffenhälsen nach ihm starrten, die geringste Beachtung zu schenken, vertiefte sich in sein mitgebrachtes Modemagazin, dessen Seiten er von Zeit zu Zeit mit einer Hand in Gips umblätterte. Erst als die junge Frau im safrangelben Kittel neben ihm stand und fragte, was er wünsche, blickte er auf. »Bitte bringen Sie mir ein Stück Zwetschgenkuchen mit Zimtlasur und dazu eine Karaffe Orangenlimonade mit Soda.« »Tut mir leid«, erwiderte die Serviererin, » damit können wir leider nicht dienen. Wie wär's mit einer Tasse Kaffee von feinster Bohne und dazu ein Stück Marzipantorte mit Ingwersirup?« »Ach nein; was haben sie denn an kalten Getränken?« »Ja, da hätten wir z.B. Kümmelschnaps, Aprikosenlikör, Bananenwein ...« »Nein, nein ... bitte ohne Alkohol. Auch die leichteren Rauschdrogen, wie z.B. Alkohol und Haschisch, schaden der menschlichen Rasse!« »Da muß ich Sie leider enttäuschen!« »Na gut, dann nehme ich eine Tasse Mokka mit Kandis und dazu eine Portion Zuckerwatte, einen kandierten Apfel, eine Tüte Puffreis und Pfefferkuchen.« »Jetzt nehmen Sie sich aber mal an die Kandare! Vielleicht wollen Sie anschließend auch noch Karussell fahren, Sie ausgefallener Troubadour. Wir sind doch keine Jahrmarktsbude.« »Schon gut, regen Sie sich nicht auf. Ich nehme Kaffee und Marzipantorte. Aber vielleicht hätten Sie ein Schach- oder Damespiel zum Zeitvertreib?«
Beachten Sie bitte den verwirrenden Inhalt des obigen Textes nicht weiter,
sondern richten Sie ihre Aufmerksamkeit auf die fettgedruckten Wörter, deren
gemeinsames Merkmal ihre arabische Abstammung ist. Wer hätte damit
gerechnet? Aber nicht nur die vielen Wörter arabischen Ursprungs,
die wir im deutschen Wortschatz unvermutet antreffen und tagtäglich,
ohne uns über ihre Herkunft bewußt zu sein, verwenden, zeugen von dem
nachhaltigen Einfluß, den die islamische Kultur einst auf das christliche
Europa ausübte. Betrachtet man die Kulturgeschichte des Abendlandes
eingehender, so kommt man zu dem überraschenden Schluß, daß zahlreiche
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Grundlagen für die kulturelle Entwicklung Europas nicht, wie hierzulande
oft behauptet, von den alten Griechen, sondern von den Muslims
stammen. Verständlicherweise wird diese wenig bekannte Tatsache im
christlichen Kulturkreis, dem die Anerkennung der islamischen Religion
- Kalligrafie aus Ulu Cami in Bursa, Türkei
bislang äußerst schwerfällt, nur ungern zur Sprache gebracht.
»Im Mittelalter, als Europa auf der tiefsten Stufe der Barbarei stand, waren die arabischen Völker in den Geisteswissenschaften, in Mathematik, Kultur, politischer Ordnung und anderen Wissenschaften allen anderen Völkern überlegen.«1) So wurde der Islam ungewollt zum Lehrmeister des christlichen Abendlandes.
Wie gesagt, nicht nur arabische Wörter haben wir übernommen. Auch die Zahlenschrift der Araber und die Mathematik, die mit den in Europa verbreiteten »römischen« Ziffern überhaupt undenkbar war, eigneten wir uns an. Noch heute schreiben wir daher die »arabischen« Ziffern (von arab. sifr = Null) und lernen in der Schule Algebra (von arab. algabr walmugabalah = Titel einer Aufgabensammlung für das praktische Rechnen, die der große Gelehrte Al-Chwarismi verfaßt hat. Von seinem Namen wiederum leitet sich der mathematische Begriff »Algorithmus« ab). Daß wir die Zahl 85 als »fünfundachtzig« und nicht »achtzigundfünf«, wie es z.B. die Engländer tun (›eighty-five<), aussprechen, ist ebenfalls auf die Araber zurückzuführen, denn sie bauen ihre Zahlen wie auch ihre Schrift von rechts nach links auf.
Ist man im Besitz einer Schrift für Wort und Zahl, so will man sie gerne
auch benutzen. Doch worauf schreiben? Papyrus und Pergament waren
Mangelware und außerdem sehr teuer. Was man brauchte, aber noch nicht
kannte, war Papier. Ein Händler brachte ein Stück dieses neuartigen
Schreibmaterials aus dem islamischen Spanien mit nach Deutschland.
Jahrhunderte mußten vergehen, bis schließlich auch in Deutschland
mit der Papierherstellung nach arabischem
[Seite 13]
Beispiel begonnen wurde. So verdanken wir also auch den wichtigsten
Träger der Geisteskultur, das Papier, den Muslims.
Was aber nützen Buchstaben, Zahlen und Papier, wenn kaum jemand mit ihnen umzugehen weiß? Das christliche Mitteleuropa war zwischen dem 9. und 12.Jahrhundert zu 95 Prozent von Analphabeten bevölkert. Zur gleichen Zeit besuchten fleißige Muslimkinder in Cordoba eine der hundert öffentlichen Schulen, in denen sie nicht nur Lesen und Schreiben lernten, sondern auch in Fächern wie Mathematik, Logik, Philosophie, Literatur, Geschichte und Astronomie kostenlos unterrichtet wurden. In Bagdad zählte man im 10. Jahrhundert rund einhundert öffentliche Bibliotheken (manche verfügten über mehrere hunderttausend Bücher), während in den abendländischen Klöstern die wenigen dutzend Exemplare ihrer Seltenheit wegen an Ketten befestigt wurden. Noch im 13.Jahrhundert war Mönchen und Geistlichen die Beschäftigung mit »niederen Dingen« - und dazu zählten vor allem die naturwissenschaftlichen Schriften - ausdrücklich verboten. Die Muslime dagegen, die von Muhammad die Anweisung hatten, nach Wissen zu streben, schätzten die wissenschaftliche, religiöse und philosophische Literatur so hoch, daß sie zu leidenschaftlichen Sammlern von Büchern wurden. Systematisch begaben sie sich auf die Suche nach unübersetzten Handschriften anderer Völker, die, sobald sie gefunden waren, ins Arabische übersetzt wurden. Das Interesse an unbekannten Büchern war sogar so groß, daß sie von dem in einer kriegerischen Auseinandersetzung unterlegenen Gegner anstatt, wie allgemein üblich, Geld oder Waffen, die Auslieferung wertvoller Manuskripte forderten. Auf diese Weise wurde das schriftlich niedergelegte Wissen verschiedenster Völker in den großen islamischen Bibliotheken zusammengetragen, von ausgebildeten Übersetzern dem Volk zugänglich gemacht und von den Gelehrten eingehend studiert. Einige Werke aus dem antiken Griechenland sind der Nachwelt nur in arabischer Übersetzung erhalten geblieben. Ohne sie wäre so manche Schrift von Galen, Euklid, Ptolemäus und anderen auf alle Ewigkeit verloren.
Einzigartig und unerreicht blieb für viele Jahrhunderte die islamische
Heilkunst. Während sich in Mitteleuropa die Behandlung von Krankheiten
gemäß der christlichen Auffassung in damaliger Zeit, daß körperliches Leid
ausschließlich als Strafe Gottes für ein sündiges Leben anzusehen sei, auf
Gebet, Teufelsaustreibung und Handauflegen beschränkte, praktizierten an
den öffentlichen Krankenhäusern in Bagdad und Cordoba studierte Ärzte, die
ihre Patienten auf verschiedenen Fachabteilungen nach
medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit unterschiedlichsten
Mitteln und vor allem mit Erfolg behandelten. Eigentlich läßt
sich ein Vergleich zwischen Morgenland und Abendland, was Medizin,
Pharmazie und Gesundheitswesen betrifft, nicht anstellen: im christlichen
Europa des Mittelalters existierte nichts derartiges. Kein Wunder also,
daß einige, von islamischen Gelehrten zwischen dem 9. und 12.Jahrhundert
verfaßte medizinische Werke noch bis ins 18. und 19.Jahrhundert
neu aufgelegt und als Grundlage für den Unterricht an deutschen
[Seite 14]
Universitäten verwendet wurden.
Ob Handels-, Staats- oder Verwaltungswesen, ob Chemie, Physik oder Astronomie, ob Architektur, Dichtkunst oder Musik (man denke an Instrumente wie Gitarre, Laute, Mandoline und Tamborin), in nahezu allen Bereichen individuellen und gesellschaftlichen Lebens wurde die kulturelle Entwicklung der christlich-europäischen Zivilisation, wie anhand einzelner Beispiele dargestellt, durch islamische Einflüsse entscheidend geprägt. Eine angemessene Würdigung dieser Tatsache steht bis heute noch aus.
- 1) ’Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen S.37
Weiterführende Literatur:
- Sigrid Hunke,
- Allahs Sonne über dem Abendland
- Sigrid Hunke,
- Kamele auf dem Kaisermantel
- Durant,
- Kulturgeschichte der Menschheit Bd.5
- Fischer Weltgeschichte, Der Islam
Morgen sieht die Welt ganz anders aus[Bearbeiten]
Die Maxwell Bahá’í-Schule
- Erstmals erschienen in Bahá’í News, November 1988. Die Übersetzung besorgte Petra Weidemann.
Nach mehr als einem Jahr mühsamer Arbeit und sorgfältiger Vorbereitung
war am 19. September 1988 der große Augenblick gekommen: Die Maxwell
Bahá’í-Schule am Shawnigam Lake in British Columbia - die erste höhere
Bahá’í-Schule in Nordamerika - öffnete ihre Pforten. Der Unterricht für
die 7. bis 9. Klasse konnte beginnen. Der folgende Bericht gibt uns Einblick
in die Geschichte und Entwicklung dieser Schule sowie ihre zukünftigen
Pläne.
Maxwell —- so nennen sie Eingeweihte und Freunde in Kurzform - repräsentiert in der ersten Schülergeneration eine Vielzahl von Nationen und kulturellen Gruppen. Vertreten sind Japan, Samoa, Papua-Neuguinea, Tansania, Südafrika, Neuseeland, Kanada, die Vereinigten Staaten, Indianer, Perser und farbige Amerikaner. Diese Vielfalt bringt eine der kühnsten Hoffnungen für die Gründer von Maxwell zum Ausdruck.
Werfen wir einen Blick in die Mensa, wo Schüler und Personal bei ihren ersten Mahlzeiten zusammensitzen. »Maxwell school family«, »wie eine Familie« fällt dem Betrachter hier ein. Erinnern wir uns der Worte ’Abdu’l-Bahás über die »Blumen eine Gartens«. »Obgleich sie von unterschiedlicher Art, Farbe, Form und Erscheinung sind, werden sie dennoch durch die Strahlen einer Sonne belebt; diese Mannigfaltigkeit verstärkt ihren Reiz und läßt ihre Schönheit deutlicher hervortreten«.
Dr. Ray Johnson, der Rektor, rief örtliche und nationale Bahá’í-Gemeinden dazu auf, an einen Fonds für Stipendienprogramme zu denken, um einer zunehmenden Zahl von Schülern verschiedenartiger Herkunft den Besuch der Maxwell-Schule zu ermöglichen. »Wir erinnern uns an die Worte des Meisters«, sagt Dr. Johnson, »daß es eine Aufgabe von Bildung und Erziehung ist, >jene, die ausgeschlossen sind, in den Kreis vertrauter Freunde zu bringen, - und wir hoffen zutiefst, daß Maxwell solch ein Ort sein wird«.
□ Vorbereitungen
Die Geschichte der internationalen Maxwell-Schule führt weit zurück - lange
bevor der Nationale Geistige Rat von Kanada den Besitz im Frühjahr 1987
erwarb. Das Gelände wurde erst um die Jahrhundertwende erschlossen;
als Touristenherberge war es unter dem Namen Strathcona-Haus
bekannt. Später, Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde aus dem Haus
ein Mädcheninternat, die Strathcona Lodge School. Die Schule bestand bis
zum Ende der Siebziger Jahre, bis finanzielle Schwierigkeiten zur
Schließung zwangen. Einige Jahre vor der Schließung zerstörte ein größeres
Feuer einige Hauptgebäude, was den
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- Die Maxwell Bahá’í-Schule
Wiederaufbau sowie die Erweiterung und Modernisierung des Campus
erforderlich machte. In dieser wieder aufgebauten und erweiterten Form
gelangte nun der Strathcona-Schulbesitz in die Hände der Bahá’í. Da die
Anlage mehr als ein Jahrzehnt nicht benutzt worden war, mußten vor
Aufnahme der Schüler wesentliche Arbeiten an der Einrichtung
durchgeführt werden.
Die Bemühungen der Belegschaft und vieler engagierter Helfer beim Renovieren der lange ungenutzten Gebäude trugen dazu bei, daß die Besucher nun von der Pracht des Schulgeländes, den frisch gestrichenen Gebäuden, den hübschen Gärten und der bewaldeten Lage am See sehr angetan sind. Die Maxwell-Schule entwickelte sich wirklich zu einem Juwel am Shawnigam-See.
Die Lehrer der Maxwell-Schule wurden gebeten, schon fünf Wochen vor Ankunft der Schüler einzutreffen. Sie sollten in diesem Zeitraum eine tragfähige Basis für die Einheit untereinander entwickeln, die die Grundlage für das Erziehungsideal der Schule, den Lehrplan und die Unterrichtsmethoden darstellt. Sinn und Zweck dieser Orientierungsphase war es, zunächst die Vision der Schule zu verinnerlichen, sich auf die geistige Bedeutung von Bildung zu besinnen und eine pädagogische Haltung auf Grundlage der Bahá’í-Prinzipien einzunehmen. Die intensive Gruppenberatung konzentrierte sich auf die Bahá’í-Schriften, da sie die Wirklichkeit des Menschen, bestehend aus Körper, Verstand, Seele und Geist, umfassend behandeln und so als Orientierungshilfe dienen. Weiterhin dachte man über Bildung allgemein, über die Rolle des Lehrers und über Vorschläge für die Lehrpläne und Unterrichtsmethoden nach. In dieser Vorbereitungsphase wurden auch Ansichten der heutigen pädagogischen Theorien und Praktiken miteinbezogen, die sich teilweise überschneiden und Verbindungen schaffen. Das Ziel bestand letztlich darin, eine pädagogische Haltung zu entwickeln, welche am besten die Offenbarungs- und die Schöpfungsgeschichte, die Bahá’í-Prinzipien sowie die wichtigsten Ergebnisse zeitgenössischer Forschung und allgemeinen Gedankenguts auf dynamische Weise verbindet und zum Ausdruck bringt.
[Seite 17]
Die Lehrer der Maxwell Schule verfügen über einen reichhaltigen
Schatz an Unterrichtserfahrung und beruflicher Qualifikation. Alle
Lehrkräfte unterrichten die Klassen in jeweils ein bis zwei Hauptgebieten,
so zum Beispiel bildende Kunst, Englisch, Naturwissenschaften,
Gemeinschaftskunde, Französisch, Musik, Sport, Mathematik und
Computertechnik. Es wird jedoch versucht, diese Gebiete bewußt
mit einer fächerübergreifenden Sichtweise zu erarbeiten, wodurch
eine fruchtbare Durchmischung von Ideen, Vorgehensweisen und Konzepten
möglich ist. Die meisten Lehrer hatten schon zuvor mit transkultureller
Arbeit zu tun und teilweise im Ausland unterrichtet, so unter anderem
bei den Ureinwohnern des nördlichen Polarkreises, in europäischen
Großstädten oder auch in afrikanischen Dörfern. Dieser Reichtum an
persönlicher Erfahrung und verschiedensten Wissensgebieten konnte
nun zusammengetragen werden und eine intensive Auseinandersetzung
mit dem Sinn und Stellenwert von Bildung und Erziehung anfachen. Hier
offenbarte sich auf großartige Weise das Bildungsideal und brachte
die Früchte eines beispielhaften Beratungsvorgangs zutage.
□ Grundlagen
Die Internationale Maxwell Bahá’í-Schule sieht Lernen als einen Prozeß an, in dem alle Wissensgebiete und menschlichen Belange, alle geistigen Werte und persönlichen Bestrebungen konvergieren. So ist der Lehrplan der Maxwell-Schule letztlich Ausdruck eines ganzheitlichen Interesses an der geistigen, intellektuellen, sozialen und körperlichen Entwicklung des Menschen. Im Sinne einer lernenden Gemeinschaft orientiert sich die Schule an neun Hauptprinzipien als Leitlinien für das gesamte Programm:
»Vision«: Die geistige Vision wie auch die lebenspraktische Weisheit der Bahá’í-Prinzipien werden als Grundlage in das Maxwell-Programm eingebracht.
»Achtung«: Gemeint ist eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber allen Menschen sowie die Förderung der Ehrfurcht gegenüber Gott, dem eigenen Ich, den Mitmenschen und der Natur. Ermutigt wird das Bewußtsein für die Beziehung zwischen dem eigenen Ich und allem Lebendigen.
»Gleichgewichte«: Es bedeutet das Erkennen der wechelseitigen Beziehung von geistigem, psychischem, emotionalem und körperlichem Wohlergehen und dessen Förderung durch ein ausgewogenes Angebot an Aktivitäten.
»Integration«: Praktisch jedes Wissensgebiet stellt gleichsam einen Zugang zu einer rasch sich entwickelnden Weltzivilisation dar und ist von großem Wert. Es gilt, die gegenseitigen Beziehungen aller Wissensgebiete zu erforschen und Theorie und Praxis miteinander zu durchleuchten.
»Hervorragendes Niveau«: Anhand klar definierter Kriterien können Schüler und Lehrer gemeinsam beurteilen, was erarbeitet wird, und auch den Lernerfolg gemeinsam feiern. Jedem wird geholfen, ein Verständnis für die »Exzellenz« in allen Bereichen zu gewinnen und sie wert zu schätzen.
»Relevanz«: Es wird erforscht, welcher Stellenwert dem Lernen an sich
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in der Entwicklung und Lebensgestaltung zukommt. Jeder wird in seinem
Entfaltungsprozeß unterstützt, wozu auch gehört, den eigenen Wert
in Beziehung zu den real existierenden Anforderungen des Lebens zu
begreifen.
»Persönliche Entfaltung«: Eigenverantwortliches Aneignen von Wissen und die Fähigkeit der selbständigen Wahrheitssuche werden gefördert. Sämtliche Unterrichtsaktivitäten sollen bei der Entfaltung kreativen und kritischen Denkens helfen.
»Gemeinschaft«: Hier ist die Rede von der gesamten »Maxwell-Familie«, zu der die Schüler, das Personal und die Familienangehörigen zählen. Sie verbindet das Interesse aneinander als Lehr- und Lerngemeinschaft. Jeder einzelne soll die Gelegenheit erhalten, die Fülle des Potentials dieser Gemeinschaft zu erkennen. Sogenannte weibliche wie auch männliche Eigenschaften verdienen das gleiche Maß an Achtung und werden als wertvoll für ein gesundes Klima in der Gemeinschaft betrachtet.
»Weltbürgertum«: »Die Erde ist eine Heimat« - so lautet die Vision, der im Studium entgegengearbeitet wird. Durch Erforschen der Wesensmerkmale verschiedener Kulturen kann das transkulturelle Verständnis gefördert werden. Alle Kulturen, Völker und Religionen leisten ihren Beitrag zum menschlichen Fortschritt und sind wert, daß man sich mit ihnen befaßt. Allen muß begreiflich gemacht werden, daß der Weltfriede in unserer Zeit eine Notwendigkeit darstellt. Jeder einzelne kann mit seiner Geisteshaltung wie seinen individuellen Fähigkeiten entscheidend an der Errichtung des Friedens beteiligt sein.
Auf der Grundlage dieser Prinzipien wählte das Lehrerkollegium fünf Themen aus, die in diesem Schuljahr den Schwerpunkt bilden: »Offenbarungs- und Schöpfungsgeschichte«, »Die Einheit der Religionen«, »Die Einheit der Menschheit«, »Die Verborgenen Worte« und »Planetarischer Friede«.
Während drei bis fünf Wochen im laufenden Schuljahr werden diese Themen behandelt und stehen so im Mittelpunkt für Fragen und Studium. Zum Abschluß eines jeden Themenkreises findet ein Fest statt, mit dem der Lernerfolg in der ganzen Gemeinschaft gewürdigt und gefeiert wird. Dieses Fest bietet die Möglichkeit, besondere Projekte vorzustellen, durch gegenseitige Information voneinander zu lernen und auch besondere Kunst- und Musikprogramme miteinzubeziehen.
Die Maxwell-Schule will anhand der zuvor erwähnten Prinzipien eine
Bildung und Erziehung von hervorragendem Niveau vermitteln. Was
den inhaltlichen Rahmen des Programms betrifft, handelt es sich um
den offiziellen Lehrplan der Landesregierung von British Columbia. Er
entspricht dem nordamerikanischen Standard mit einer breit gefächerten
Auswahl an zentralen Fachgebieten wie Mathematik, Englisch, anderen
modernen Sprachen, Kunst, Gemeinschaftskunde sowie Naturwissenschaften.
Die Maxwell-Schule wird den Anforderungen der Regierung
gerecht und geht sogar darüber hinaus. Sie wird zukünftig zusätzlich
Kurse anbieten über Weltreligionen, Bahá’í-Lehren, bildende Künste,
Musik, Wassersportarten und Computertechnik, welche nicht im
Regierungslehrplan vorgesehen sind. Aspekte zum Thema Frieden werden
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quer durch alle Gebiete des Lehrplans berührt. Alle Schüler nehmen an
jeweils wöchentlichen Arbeitsprojekten teil. Zum Thema Umwelt werden
zwar keine zusätzlichen Kurse geboten, jedoch werden Umwelterziehung
und der Unterricht im Freien eine große Rolle spielen. Dies bietet
sich an, da die Schule in den waldreichen Bergen von British Columbia
liegt und die Lehrer sich der drängenden ökologischen Probleme bewußt
sind.
Zur Zeit werden erste Schritte unternommen, an der Maxwell-Schule das internationale Abitur anzubieten, das als Voraussetzung für das Studium an Hochschulen und Universitäten weltweit anerkannt wird.
□ Lernen und Alltag
Wer an dem Unterricht der Maxwell-Schule teilnimmt, erkennt eine charakteristische Einstellung zum Lernen. Sie ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet:
1. Es wird darauf geachtet, daß nicht nur Mindestanforderungen eingehalten werden sondern ein Standard hoher Qualifikation.
2. Verschiedene Lernmethoden werden kombiniert, um den bestmöglichen Zugang zu jedem einzelnen Schüler zu finden.
3. Man geht über das Klassenzimmer und weiter über das Schulgelände hinaus, um die Menschen, Museen, Bibliotheken, Kunstveranstaltungen und anderes mehr aus der kulturell reichen Umgebung Vancouvers in den Lernprozeß miteinzubeziehen.
4. Die Beachtung transkultureller und weltumfassender Aspekte hilft den Schülern dabei, aus der Vielfalt zu lernen, aber auch Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Völker zu erkennen und ein Verständnis für umfassende Probleme zu gewinnen.
5. Es wird von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, von allen großen Weltreligionen zu lernen - und das in einer Haltung voll Respekt und Toleranz.
6. Es besteht ein Gleichgewicht zwischen Aktivitäten, die Konkurrenz im positiven Sinne wie auch die Zusammenarbeit beinhalten. Die Betonung liegt auf der Achtung der gemeinschaftlichen Ziele und den ihnen innewohnenden Werten.
7. Es werden Übungen angeboten, die kreative Konfliktlösungen aufzeigen.
8. Gruppenberatung wird angewandt, um Fragen der Wertsysteme zu erörtern und eine Haltung zu fördern, in der Probleme einfühlsam und wohlüberlegt angegangen werden.
9. Die Schüler finden vor Publikum bei entsprechenden Veranstaltungen Gelegenheit, sprechen zu lernen.
10. Kunst und Musik sind durchgehend im Lehrplan integriert.
11. Es findet eine regelmäßige Beurteilung des Lernerfolgs und des allgemeinen Fortschritts der Schüler statt; eine Vielzahl qualitativer und quantitativer Maßstäbe bildet hierfür die Basis.
Die Maxwell-Schüler sind in sogenannte »Familiengruppen« untergliedert,
die die Klassenstufen und andere Interessengruppen ergänzen. Eine
Familiengruppe besteht aus sieben Schülern verschiedenen Alters und
einem Lehrer. Es sind gleichviele männliche wie weibliche Mitglieder
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dabei. Die Familiengruppe ißt gemeinsam zu Mittag und trifft sich
auch sonst häufig zu gemeinsamen Gesprächen und Aktivitäten. Durch
die Familiengruppen entsteht eine vertraute und angenehme Atmosphäre.
In diesem Klima können sich alle Aspekte des Beratungsprinzips
entwickeln und alle Beteiligten können die Fähigkeit zur kreativen
Problemlösung ausbilden.
Die meisten Schüler befinden sich während des Aufenthalts in der Maxwell-Schule weit entfernt von ihren Familien. Viele sind zum ersten Mal von zu Hause weg. Die Familiengruppen sorgen auch in dieser Hinsicht für einen Rahmen der Freundschaft und familiärer Vertrautheit. Jede Familiengruppe ist im Wechsel für die Planung und Durchführung des täglichen fünfzehnminütigen Versammlungsprogramms der Schule verantwortlich. Es besteht normalerweise aus Gebeten, gemeinsamem Singen und einigen Worten zum Tag.
Durch das »Jahr des Dienstes« (Hilfsdienstprogramm für Bahá’í-Jugendliche) kamen acht junge freiwillige Helfer für einen zehnmonatigen Aufenthalt an die Maxwell-Schule. Auf die Jugendlichen warteten Gartenarbeiten, Bürotätigkeiten, Unterricht, Küchendienst, Instandhaltungsarbeiten, aber auch die Mithilfe in der Aufsicht von Schüleraktivitäten (Unterhaltung, Sport, Theater- und Dienst-Projekte), Haushaltsführung, Leitung von Vertiefungsklassen sowie Leitung der Wohnungen.
Während des ersten Schuljahres kamen nur wenige Schüler aus der unmittelbaren Umgebung, so daß die Mehrzahl in den Wohneinheiten auf dem Schulgelände lebt. Die Tagesschüler wohnen zu Hause und pendeln täglich zwischen Elternhaus und Schule. Ihr Anteil soll jährlich vergrößert werden. In jedem Wohnblock wohnen neben den Schülern eine Aufsichtsperson des Lehrerkollegiums sowie einige jugendliche Helfer. Zum Tagesablauf jeder Wohngruppe gehört die gemeinsame Andacht am Morgen und Abend.
□ Hoffnung und Ausblick
Das erste Schuljahr der Internationalen Maxwell Bahá’í-Schule schreitet voran, und alle Beteiligten schauen optimistisch und erwartungsvoll der zukünftigen Entwicklung mit allen Herausforderungen entgegen. Oft hört man den Direktor Dr.Johnson und seine Frau über dieses Gefühl erwartungsvoller Spannung sprechen: »Wir hoffen darauf, Schüler auszubilden, die sich im positiven Sinne hervortun. Wir hoffen darauf, Wege im Bildungsbereich zu entwickeln, die interessanten und fruchtbaren Methoden zum Durchbruch verhelfen werden, so daß allmählich jede Bahá’í-Gemeinde davon durchdrungen und bereichert wird. Weiter hoffen wir darauf, auf der ganzen Welt durch einen Stil bekannt zu werden, der durch den Geist des Dienens als beispielhaft und führend gilt. Dies soll unser Beitrag für die ganze Menschheit sein. Wir wünschen uns eine enge Zusammenarbeit mit der weltumspannenden Bahá’í-Gemeinde, um den Prüfungen standzuhalten, die sicherlich auftreten werden. Wofür leben wir, wenn wir nicht große Dinge erwarten und nicht jedes Fünkchen unseres Glaubens und unserer Arbeit geben, um noch Größeres zu erreichen?«
Lydia Zamenhof[Bearbeiten]
- Der Artikel über das Leben von Lydia Zamenhof ist ein Auszug aus The Bahá’í World, Vol. X (1944-46). Die Übersetzung besorgte Ulrike Orth.
Als jüngste von drei Kindern wurde Lydia Zamenhof am 29.Januar 1904 in
Warschau, Polen geboren. Ihre Eltern waren liberal eingestellte Juden, die
dem Sohn und den Töchtern eine gute Bildung ermöglichten. Adam wurde
ein hervorragender Augenspezialist dieser Stadt, Sofie war Ärztin, und
Lydia erreichte den Magistergrad für Jura an der Warschauer Universität.
Es war unvermeidlich, daß Lydia Zamenhof eine Idealistin werden würde. Ihr Vater, Dr.L.Zamenhof, war der berühmte Erfinder der Sprache Esperanto; und ihre Mutter, Klara Zilbernik, war eine zurückhaltende, jedoch auch hingebungsvolle und ermutigende Helferin.
Liebe für die gesamte Menschheit durchzog die Atmosphäre ihres Heimes, und zusammen zogen die Eltern ihre Kinder im Geist von Welteinheit und Brüderlichkeit auf. Daraus erklärt sich Lydias Entschluß, als sie 1925 ihren Magistergrad für Jura erreichte, Jura nicht zu praktizieren, sondern ihre Zeit der Verbreitung und Lehre von Esperanto zu widmen. Als autorisierte Lehrerin des »International Cseh-Institute of Esperanto« in Den Haag reiste und lehrte sie in vielen Ländern Europas. Sie wurde die beliebteste Lehrerin des Instituts, neben Andrew Cseh, dem Begründer.
1913, als sie 9 Jahre alt war, besuchte Lydia ihren ersten Esperanto-Weltkongreß in Bern. Im Christian Commonwealth vom 3. September 1913 veröffentlichte J.M.Warden ein Interview mit Dr.Zamenhof, in dem dieser sagte: »Ich interessiere mich sehr für die Bahá’í-Bewegung, da sie eine der großen Weltbewegungen ist, die, wie unsere eigene, auf der Brüderlichkeit der Menschheit beruht und die Menschen aufruft, einander zu verstehen und einander lieben zu lernen.« Bei einer anderen Gelegenheit sagte er: »Die Persönlichkeit von 'Abdu'l-Bahá und seine Arbeit schätze ich außerordentlich hoch. Ich sehe in ihm einen der größten Wohltäter der menschlichen Rasse.« Das war wahrscheinlich der erste Kontakt, den Dr.Zamenhof mit dem Bahá’í-Glauben hatte.
Durch Martha Root fand Lydia Zamenhof zum Glauben Bahá’u’lláhs. Im April 1926 war Martha Root die offizielle Vertreterin der Bahá’í bei der Enthüllung eines Monuments auf dem Grab Dr.Zamenhofs in Warschau. Dort sagte Lydia zu ihr: »Es scheint mir, daß Esperanto nur eine Schule ist, in der sich zukünftig Bahá’í selbst unterrichten. Die Bahá’í-Bewegung ist ein Schritt nach vorn, der umfassender ist.«
Einige Monate später fand der 18. Esperanto-Weltkongreß in Edinburg,
Schottland, statt. Am 2.August wurde eine Bahá’í-Esperanto-Tagung als
Teil dieses Kongresses veranstaltet. Martha Root, wieder als offizielle
Vertreterin des Bahá’í-Glaubens, sprach über »Die positive Kraft der
Universalreligion«. Lydia Zamenhof
[Seite 22]
- Lydia Zamenhof 1904-1942
[Seite 23]
war im Publikum. In der Stadt Edinburg, wo 'Abdu'l-Bahá im denkwürdigen
Jahr 1913 seine klassische Ansprache vor den Esperantisten hielt,
besuchte Lydia Zamenhof ihr erstes Bahá’í-Treffen als Gläubige. Von der
Botschaft entzündet, machte sie es sich zur schwierigen Aufgabe, die
englische Sprache zu lernen, um in vollem Maße an den vom geliebten
Hüter übersetzten heiligen Schriften teilzuhaben. Von der Zeit an war ihr
Leben einer doppelten Absicht gewidmet - die Bahá’í-Botschaft zu
verbreiten und Esperanto zu lehren.
Mit der Annahme des Bahá’í-Glaubens begannen für Lydia die Schwierigkeiten. Von einigen ihrer Verwandten als Verräterin der jüdischen Religion gebrandmarkt, wurde sie für ihren Glauben an die »Einheit Gottes« und die »Brüderlichkeit der Menschheit« geschmäht und verfolgt. Ihre Liebe zu Gott war dennoch so tief verwurzelt, daß sie gegen jede Opposition standhaft und entschlossen blieb, und ihre Leidenschaft und Begeisterung für den Weg von Bahá’u’lláh stieg im Laufe der Zeit.
Gott hatte Lydia großzügig mit vielen Talenten beschenkt. Ihr unwiderstehlicher Charme war unübertroffen. Sie war eine geborene Lehrerin und Rednerin, und ihre Fähigkeiten als Übersetzerin und Schriftstellerin waren ausgezeichnet. Früh in ihrer Karriere schrieb sie das berühmte Werk von Sienkewicz Quo Vadis?, Iridiono des klassischen polnischen Autors Krasinski und einige Romane von B.Prus in Esperanto um. Als sie Bahá’u’lláhs Religion annahm, widmete sie ihre Talente ganz der Bahá’í-Sache. Viele ihrer inspirierenden Artikel wurden in englischen Esperanto-Zeitschriften weltweit veröffentlicht und zahlreiche Bahá’í-Schriften übersetzte sie in Esperanto und ins Polnische.
Auf Wunsch von Shoghi Effendi wurde Lydia Zamenhof 1937 von dem Nationalen Geistigen Rat der Vereinigten Staaten und Kanada zu einem Besuch nach Nordamerika eingeladen. Sie kam am 29.September an, und am 2.Oktober übernahm sie die erste Eperanto-Klasse in Amerika. In Zusammenarbeit mit dem Esperanto-Verband von Nordamerika leitete sie Cseh-Kurse in New York City, Philadelphia, Detroit, Cleveland und Lima, Ohio und an der Green Acre Bahá’í-Schule in Eliot, Maine.
Sie sprach auch über Radio, vor Versammlungen in Instituten, Kirchen und vor anderen kulturellen und sozialen Gruppen. Insgesamt kam sie während ihres kurzen Aufenthaltes in den USA mit 1.500 Menschen in persönlichen Kontakt und viele hörten auf diese Weise vom Bahá’í-Glauben.
Ständig in der Öffentlichkeit zu leben, war ein Opfer für Lydia Zamenhof,
da sie zurückhaltender Natur und gern allein war. Ihr Gesicht in Ruhe
zeigte den Eindruck von Traurigkeit, was ein Merkmal des jüdischen
Gesichtsausdrucks während der Jahrhunderte der Verfolgung geworden ist.
Aber wenn der Name von Bahá’u’lláh erwähnt wurde, oder
wenn man von der Erfindung ihres Vaters sprach, änderte sich ihre
gesamte Persönlichkeit wie durch ein Wunder. Aus der winzigen Mücke
wurde ein gewaltiger Falke, und sie vergaß ihr eigenes Ich, wenn sie sich
mit leuchtenden Augen und sonorer Stimme in die Diskussion stürzte
oder von ihren Erfahrungen in ihrem Aufgabenfeld erzählte. Ihr Gesicht
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leuchtete vor allem dann, wenn sie von ihrer Pilgerfahrt zum Heiligen
Land, ihren kostbaren Momenten mit dem Größten Heiligen Blatt, ihren
Gesprächen mit dem geliebten Hüter und ihrer Zwiesprache mit Gott in
den heiligen Schreinen sprach.
Am 28.November 1938 kehrte Lydia Zamenhof in ihr Heimatland zurück. Der Ausbruch des Krieges stand bevor, und ihr liebendes Herz sehnte sich danach, in der Zeit der Not bei ihrem Bruder und ihrer Schwester zu sein. Bei der Rückkehr nach Warschau beendete sie die polnische Übersetzung von Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter. In einem ihrer ersten Briefe, die sie nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat geschrieben hatte, beschrieb sie, wie ihr Bruder, Dr. Adam Zamenhof, es zuließ, daß sie seine Schreibmaschine »konfiszierte«, so daß sie ihr Manuskript fertigstellen konnte, denn ihre eigene Maschine war nicht polnischen Typs. Solch sorgfältiger Arbeit widmete sie ihr ganzes Sein.
In ihrem letzten Brief nach Amerika vom 18.August 1939 schrieb Lydia: »Nun sind fünf Bahá’í in Polen, mich eingeschlossen. Hinsichtlich der kleinen Anzahl ist jede neue Seele um so wichtiger, und sie wird mit großer Freude aufgenommen.« Sie fuhr fort, von ihren Plänen zu erzählen, Anfang September den Nationalen Esperanto-Kongreß in Lwow zu besuchen und dann für einige Wochen in die Niederlande zu gehen.
Weder der Kongreß noch die Reisen fanden jemals statt, da Polen zwei Tage, nachdem der Brief angekommen war, besetzt wurde. Zuerst wurden Lydia und ihre Familie, zusammen mit all den anderen Juden in Warschau, in ein Ghetto getrieben. 1942 wurde die Familie Zamenhof in ein Konzentrationslager gebracht. Zuvor wurden alle Juden in gehobenen Berufen erschossen. Unter ihnen war ihr Bruder, Dr. Adam Zamenhof. Im August 1944 wurde Dr.Sofia Zamenhof erschossen.
Ein paar Tage später, genau 18 Jahre nachdem sie ihr erstes Bahá’í-Treffen besucht hatte, wurde Lydia Zamenhof, zusammen mit vielen anderen Juden, in dem jüdischen Todeslager in Treblinka, nahe Warschau, eingeäschert.
Noch ganz am Ende ihres Lebens blieb Lydia Zamenhof eine Heldin, immer in Gedanken über das Wohl und die Sicherheit anderer. Als es offensichtlich war, daß die Bewohner des Ghettos verurteilt wurden, näherten sich ihr die nichtjüdischen Esperantisten in Warschau mit Angeboten, sie vor den Eindringlingen zu verstecken. Sie lehnte ab, da sie bei ihrer Familie bleiben wollte. Außerdem, so sagte sie, sei gewaltsamer Tod die Bestrafung für diejenigen, die beim Verstecken von Juden erwischt würden, und sie denke nicht daran, das Leben ihrer geliebten Esperantisten zu gefährden. So kam sie zu Tode.
Von der Unterdrückung zur Gleichberechtigung[Bearbeiten]
Die feministische Perspektive auf dem Vormarsch
Hoda Mahmoudi
- Zuerst veröffentlicht in The Journal of Bahá’í Studies 1:3, 1989 unter dem Titel »From Oppression to Equality«. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Farideh Motamed.
Dieser Artikel analysiert das Bahá’í-Prinzip der Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Er vermittelt einen geschichtlichen Überblick über die Hemmnisse, Vorurteile und Verhaltensweisen, wie sie von religiösen Institutionen, führenden Philosophen, intellektuellen und patriarchalischen Gesellschaftssystemen Frauen gegenüber vertreten wurden. Die Gründe für die gegenwärtig angespannte Lage und das Defizit an Verständigung zwischen Frauen und Männern werden dargelegt und diskutiert. Die Berührungspunkte zwischen der Bahá’í-Vorstellung von Gleichwertigkeit und der gegenwärtigen feministischen Anschauungsweise werden herausgearbeitet. Unter Berücksichtigung der Bahá’í-Schriften und gängiger feministischer Ideen und Theorien wird der Frage nachgegangen, was es bedeutet, im Hinblick auf Moral, Vernunft und Wissenschaft eine emanzipierte Frau zu sein. Die Argumentation führt dahin, daß sowohl das feministische Modell wie auch die Bahá’í-Leitlinien zur Gleichberechtigung gleichermaßen unabdingbar sind beim Erschaffen einer ausgewogenen und gerechten Weltordnung. Der Artikel schließt mit einer Diskussion über die notwendigen Schritte zur Erreichung jener Art sozialen Wandels, der die volle Gleichberechtigung unter den Geschlechtern möglich macht.
Für das Ziel einer geeinten Menschheit ist die volle Gleichwertigkeit von
Frauen und Männern im Bahá’í-Glauben von fundamentaler Bedeutung.
In folgender Aussage von ’Abdu'l-Bahá wird die Bedeutung dieses Prinzips
erklärt: »Bevor Mann und Frau nicht die Gleichberechtigung anerkennen und
verwirklichen, ist gesellschaftlicher und politischer Fortschritt nirgendwo
möglich.« (Frauen, S.60 Nr.78)
Die Bahá’í-Auffassung von Gleichwertigkeit bestätigt, daß Frauen und Männer nach Gottes Ebenbild erschaffen wurden und sich geistig in keiner Weise unterscheiden. ’Abdu'l-Bahá sagt: »Die Frauen sind mit den Männern auf Erden gleichberechtigt. Für die Religion und die Gemeinschaft stellen sie einen sehr wichtigen Bestandteil dar. Solange den Frauen die höchsten Möglichkeiten verschlossen bleiben, werden die Männer außerstande sein, die Größe zu erlangen, zu der sie fähig wären.« (Frauen, S.22 Nr.20)
Nach den Bahá’í-Schriften beruht die Ungleichwertigkeit der Geschlechter
in erster Linie auf dem Mangel an entsprechenden Voraussetzungen und
Bildung, die den Frauen über Jahrhunderte verwehrt wurden.
Bemerkenswerterweise ist die Bahá’í-Religion die erste der großen
Weltreligionen, die das Prinzip der
[Seite 26]
absoluten Gleichwertigkeit von Mann und Frau hervorbrachte. In der Tat
ist die Frauenbewegung die einzige andere gesellschaftliche Gruppierung,
die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt. Beide
Bewegungen nahmen ihren Anfang etwa um die gleiche Zeit (frühes 18. Jh.).
Sie hatten die Neustrukturierung der menschlichen Gesellschaft zum
Ziel, in der Frauen voll und ganz die Gelegenheit erhalten sollten,
an allen Bereichen, sei es Politik, Industrie, Wirtschaft, Verwaltung
oder Wissenschaft teilzuhaben.
Eine Untersuchung der gegenwärtigen Gesellschaftssysteme läßt vergeblich nach einem einzigen Beispiel suchen, wo die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verwirklicht wurde. Im Gegenteil - die Menschheitsgeschichte ist voller Beispiele von Unterdrückung und Unterwerfung der Frau. Die Wurzel dieser Unterdrückung ist in zahlreichen Ideologien und gesellschaftlichen Ansichten, religiösen Doktrinen und kulturellen Normen zu finden, die systematisch das Potential und die Stellung der Frauen verzerrten und verschleierten.
Um das komplexe System der Gleichberechtigung von Frau und Mann wirklich zu erfassen, befaßt sich dieser Artikel mit drei Aspekten. Erstens wird ein Rückblick auf die Hindernisse, Vorurteile und Verhaltensmuster gegeben, die aus geschichtlicher Sicht die Frau daran hinderten, die volle Gleichberechtigung zu erlangen. Zweitens behandelt der Artikel die möglichen Berührungspunkte zwischen der Bahá’í-Auffassung von der Gleichwertigkeit und der feministischen Sichtweise, die ein tieferes Verständnis des weiblichen Wesens vermittelt. Zuletzt wird herausgearbeitet, wie die notwendige gesellschaftliche Veränderung aussehen soll, um die volle Gleichberechtigung unter den Geschlechtern zu verwirklichen.
□ Hindernisse auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter
Die Unterjochung der Frau in der Geschichte der Menschheit kam in verschiedenster Weise zum Ausdruck. In den Schriften führender Philosophen und Intellektueller in Ost und West ist ein ausgeprägtes Vorurteil gegenüber der Stellung und den Fähigkeiten der Frau zu finden. Zum Beispiel schrieb der griechische Philosoph Aristoteles: »Wir dürfen somit daraus schließen, daß es allgemeines Gesetz ist, daß naturgegeben herrschende und beherrschte Elemente existieren, ...so ist die Herrschaft des Freien (freeman) über den Sklaven eine Form der Herrschaft, ... jene des Mannes über die Frau eine andere.« (zitiert bei Deckard)
Charles Darwin, der Naturforscher, sagte folgendes zum Auffassungsvermögen des weiblichen Verstandes: »Der Führungsinstinkt in den intellektuellen Fähigkeiten der beiden Geschlechter zeigt sich beim Mann in höherem Maße als bei der Frau, was immer er auch tut - sei es Nachdenken, Vernunft, Vorstellungskraft oder lediglich der Gebrauch von Sinnen und Händen.« (zitiert bei Deckard)
Der Intellektuelle Otto Wininger schrieb 1906 in einem Buch
»Geschlecht und Charakter«: »Frauen besitzen weder Existenz noch Geist; sie
[Seite 27]
sind nichts. Die Menschheit erscheint als Mann oder Frau, als Etwas oder
Nichts...Sie ist weder moralisch noch unmoralisch; mathematisch formuliert,
besitzt sie kein Zeichen; sie ist ohne Absicht, weder gut noch
schlecht. Doch alles Existierende ist moralisch und logisch.« (zitiert bei
Roszak)
Der spanische politische Philosoph Juan Donoso Cortes bemerkt folgendes zum weiblichen Aspekt der Gesellschaft: »Äußert eine Nation zivilisiertes Grauen über den Krieg, so erhält sie die unmittelbare Strafe für ihren Fehler. Gott wechselt ihr Geschlecht, beraubt sie ihrer üblichen männlichen Merkmale, verwandelt sie in eine weibliche Nation und entsendet Eroberer, um sie zu entehren.«
In den Schriften der großen Weltreligionen wird die Stellung der Frau stets als dem Mann unterlegen dargestellt. Konfuzius sagte: »Die fünf schlimmsten Gebrechen, die die Frauen ereilen, sind die Ungelehrigkeit, Unzufriedenheit, Verleumdung, Eifersucht und Dummheit... Dergestalt ist die Einfalt des weiblichen Charakters, daß es ihr obliegt, ... sich selbst zu mißtrauen und ihrem Gatten zu gehorchen.« (zitiert bei Deckard)
Das hinduistische Gesetz von Manu (einem legendären Hindu-Gesetzgeber) besagt: »In der Kindheit sei die Frau ihrem Vater untertan, in der Jugend ihrem Ehegatten, ist dieser tot, ihren Söhnen. Eine Frau darf niemals frei von Unterwerfung sein.«
In der orthodoxen jüdischen Schrift ist geschrieben: »Gesegnet seiest Du, o Herr unser Gott, König des Universums, daß ich nicht als Frau geboren wurde.« (zitiert bei Deckard)
In den Schriften von Paulus heißt es: »Laßt die Frauen in aller Stille mit Ergebenheit lernen. Bewahre, daß eine Frau lehren möge, noch dem Manne befehle. Sie möge schweigen.« (zitiert bei Deckard)
Aus dem Qur’án: »Männer sind den Frauen überlegen dank der Eigenschaften, durch die Gott ihnen Vorrang gab.« (zitiert bei Deckard)
Es sind diese Beispiele religiöser Schriften und intellektueller Denker, die zur heutigen patriarchalischen, autoritären und männlich dominierten Gesellschaft beigetragen haben. Die Gelehrte Riane Eisler verweist auf diese Gesellschaftsordnung als ein Herrscher-Modell gesellschaftlicher Organisation: ein Sozialsystem, in dem »männliche Vorherrschaft, männliche Gewalt und eine allgemein hierarchische und autoritäre Sozialstruktur die Norm sind.«
Einige Materialien über Gewalttaten an Frauen zeugen von brutalen
Praktiken wie Kindermord an Mädchen, die Verstümmelung und Folter
von Millionen kleiner Mädchen und Frauen durch »weibliche Beschneidung«
und die Mitgift-Morde in Indien, wo die Braut mit Benzin überschüttet
und verbrannt wird, falls sie ihrem Bräutigam nicht die gewünschte
zusätzliche Mitgift nach der Heirat geben konnte. Angesichts dieser
Gewalttaten an Frauen fanden die Anthropologen, Divale und Harris, eine
unmittelbare Beziehung zwischen Kriegsgewalt und Kindesmord an
Mädchen heraus. Sie kamen zu dem Schluß, daß beide die extremsten
Ausformungen geschlechtlicher Ungleichwertigkeit darstellen. Riane
Eisler äußert in ihrem Artikel Menschenrechte: Der unbeendete Kampf:
»... in gesellschaftlichen Lebensformen oder Systemen gibt es eine
Korrelation zwischen geschlechtlicher
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Ungleichwertigkeit, einer allgemein hierarchischen und autoritären
Sozialstruktur und einem hohen Ausmaß von Gewalt.«
Andere Beispiele, die dieses Ergebnis bestätigen, beinhalten die vorsichtigen Schätzungen der Vereinigten Staaten, die besagen, daß mehr als 82.000 Frauen jährlich vergewaltigt und 4 von 10 Arbeiterinnen sexuell belästigt werden. Die Mißhandlung von Ehefrauen, wenn auch nur schwierig zuverlässig zu schätzen, soll in den USA alle 18 Sekunden vorkommen und darüberhinaus weltweit verbreitet sein (s.Shapiro, Violence). Das National Institute of Mental Health fand heraus, daß ein Viertel aller mißhandelten Frauen zu dieser Zeit schwanger war (s. Steif, Battered Wives). Unglücklicherweise wird Gewalt gegenüber Frauen allgemein als legitime Verhaltensweise angesehen, ungeachtet der legalen oder sonstigen Bemühungen, dies zu verhindern. Auch was die Erziehung und Entwicklung der Frauen in aller Welt betrifft, weisen die Trends und Statistiken grobe Unterschiede in ihren Ergebnissen auf. In einem Bericht der Vereinten Nationen mit dem Titel Der Status der Frauen in der Welt im Jahr 1985 wird betont, daß Frauen verantwortlich sind für fast die gesamten Hausarbeiten,... kaum Land besitzen,... Schwierigkeiten beim Gewähren von Darlehen haben und von landwirtschaftlichen Planern und Projekten übergangen werden,... sie bestreiten 1/3 der weltweiten Arbeitskraft, besetzen zumeist die am schlechtesten bezahlten Stellen und sind eher als Männer Opfer der Arbeitslosigkeit.
Der Bericht sagt weiter: »Zum ersten Mal in der Geschichte richten sich die Blicke der Welt auf diese Hälfte der Bevölkerung, die zufällig dank ihrer Geburt 2/3 der weltweiten Arbeit ausführen, 1/10 des weltweiten Einkommens erhalten und weniger als 1/100 des weltweiten Besitzes ihr eigen nennen.«
Aufgrund der ihnen zugeschriebenen Stellung fehlt den Frauen weltweit der gleichberechtigte Zugang zu Bildung, Wirtschaft und Politik. Darüberhinaus erfahren sie keinen gleichberechtigten gesetzlichen Schutz und werden in den meisten Gesellschaften als Objekte behandelt, deren leben von Gewalt und Unterjochung beherrscht wird.
□ Das Bahá’í-Konzept der Gleichwertigkeit und die gegenwärtige feministische Sichtweise
Der wenig erstrebenswerte Status der Frau macht deutlich, was zur Entstehung der Kommunikationslücke sowie zu störenden Spannungen zwischen Frauen und Männern führte. Deborah Tannen, eine Sprachwissenschaftlerin, schreibt: »Männlich-weibliche Verständigung bedeutet gleichermaßen transkulturelle Kommunikation... Vom Beginn der Geburt an werden sie unterschiedlich behandelt, unterschiedlich angesprochen und drücken sich sprachlich letztendlich unterschiedlich aus... Diese kulturellen Unterschiede schließen verschiedenartige Erwartungen an die Bedeutung und Funktion der Sprache in menschlichen Beziehungen mit ein.«
Ergebnisse von Frauen-Studien in westlichen Gesellschaftssystemen
und einigen Entwicklungsländern
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wiesen darauf hin, daß Frauen, und darunter eine beträchtliche Anzahl,
zwar fähig zu Karriere sind, jedoch bestreiten sie nach wie vor die Rolle
der Haupterziehenden ihrer Kinder und sind verantwortlich für den
Löwenanteil an Hausarbeiten. Das Jonglieren mit diesen verschiedenen
Rollen führte unter den verheirateten Frauen wiederum zur Unzufriedenheit
mit der Institution Ehe, erhielten sie dort doch nur wenig Hilfe und
Unterstützung von ihren Ehepartnern.
Dies führt dazu, daß ein großer Teil unverheirateter Frauen Zweifel an der Ehe äußert. Sie sehen kaum oder überhaupt keine Vorteile in einer ehelichen Beziehung, die zu Unterordnung führt und die ersehnte emotionale und praktische Hilfe vermissen läßt. Diese Trends vergrößerten die Kluft zwischen den Geschlechtern und verminderten die wichtige Rolle der Institution Ehe.
Wie auch immer muß der größer werdende Graben zwischen Frauen und Männern überwunden werden, strebt man das Wohl der Gesellschaft an. In dieser Hinsicht ist das grundsätzliche Bedürfnis der Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau von entscheidender Bedeutung. Die Bahá’í-Schriften erklären, daß die Menschheit durch die Erlangung ebenbürtiger Rechte für die Frau zu Vollkommenheit und Ausgewogenheit gelangt. Das Ergebnis der Gleichstellung der Geschlechter soll jedoch nicht der lediglichen Angleichung an männliche Maßstäbe entsprechen. Vielmehr bedeutet gleichrangige Beteiligung für Frauen, endlich die Lücke zu füllen, die die gegenwärtige Gesellschaft erlebt und auf deren Schließung sie wartet.
In den Bahá’í-Schriften heißt es: »Erst wenn die Frauenwelt der Männerwelt beim Erwerb von Tugenden und Vollkommenheiten gleichberechtigt ist, kann Erfolg und Gedeihen so erreicht werden, wie es sein soll.« (’Abdu’l-Bahá, Frauen S.17 Nr.13)
Das männliche Element ist wohlbekannt und entwickelt. Das weibliche Gegenstück oder die »Frauenwelt« jedoch ist im Hintertreffen und noch verborgen. Daß das weibliche Element in der Gesellschaft noch nicht dem männlichen ebenbürtig ist, bedeutet, daß die Menschheit in ihrem jetzigen Bestehen unvollkommen und unfähig ist, ihr wahres Potential zu begreifen.
»Wie körperliche Leistung zwei Hände braucht, müssen auch beide Hälften des Gesellschaftskörpers, Mann und Frau, vollkommen sein. Es entspricht nicht der Natur, daß eine Hälfte unentwickelt bleibt. Erst wenn beide vervollkommnet sind, kann die Menschheit Glück finden.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.20 Nr.16)
Gleichwertigkeit der Geschlechter bedeutet somit im Bahá’í-Kontext,
daß Frauen nicht nur gleiche Bildungschancen wie Männer erhalten.
Vielmehr treiben sie ihre Entwicklung ihrem eigenen Stil und ihrer
Perspektive entsprechend voran und beschränken sich nicht auf die
vorherrschende Sichtweise des bestehenden patriarchalischen Systems.
Der Erfolgsschlüssel zur Entfaltung der Frauen und ihrer unverwechselbaren
Sichtweise hängt davon ab, bis zu welchem Grad die Männer fähig und
willens sind, beiseite zu treten und es der anderen Hälfte der Menschheit
zu erlauben, ihre Entwicklungsmöglichkeit und ihren Beitrag ans Licht zu
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bringen. In den Bahá’í-Schriften heißt es: »Man war der Meinung, daß die
Frau erschaffen wurde, um Kinder zu erziehen und den Haushaltspflichten
nachzukommen. Wenn sie eine Ausbildung anstrebte, so galt das als unkeusch;
auf diese Weise wurden die Frauen zu Gefangenen des Haushalts
gemacht... Bahá’u’lláh machte diese Vorstellung zunichte und verkündete
die Ebenbürtigkeit von Mann und Frau. Er verhalf der Frau zu Ansehen
durch das Gebot, daß alle Frauen Bildung erhalten sollen, daß es dabei
keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern geben darf und Mann
und Frau die gleichen Rechte zukommen.« (’Abdu’l-Bahá, Frauen S.21 Nr.17)
Gleiche Möglichkeiten, Bildung, Rechte und Vorrechte bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, daß Frauen sich gleichsam wie Männer verhalten sollen. »In mancher Beziehung«, besagen die Bahá’í-Schriften, »ist die Frau dem Manne überlegen. sie ist weichherziger, empfänglicher und mit stärkerer Intuition begabt.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.23 Nr.21)
In einem anderen Auszug aus den Schriften heißt es: »Daher bemüht euch, der Menschenwelt zu zeigen, daß Frauen äußerst fähig und tüchtig sind, ihre Herzen zärtlicher und empfänglicher als Männerherzen, daß sie menschenfreundlicher sind und den Armen und Notleidenden mehr Verständnis entgegenbringen, unnachgiebig den Krieg ablehnen und den Frieden lieben.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.64 Nr.84)
Was bedeutet jedoch die »weibliche Welt«, und in welcher Hinsicht gleicht oder unterscheidet sie sich von dem gegenwärtigen patriarchalischen, männlich orientierten Gesellschaftssystem? In anderen Worten: was wissen wir über das weibliche Gegenstück? Was sind die möglichen weiblichen Wesensmerkmale, die in die heutige Gesellschaftsordnung integriert werden müssen, um die Gleichwertigkeit der Geschlechter zu verwirklichen? Als Antwort auf solche Fragen wird im folgenden ein Rückblick auf einige gängige theoretische Modelle und Forschungsergebnisse zur Entstehung der feministischen Sichtweise gegeben.
Während der vergangenen 20 Jahre befaßten sich feministische Theorien und die Frauenbewegung der amerikanischen Gesellschaft mit der Neudefinition des Frau-Seins. Drei spezielle Bereiche, die die feministische Ansicht über Moral, Vernunft und Wissenschaft betreffen, werden im folgenden behandelt.
Die Soziologin Sondra Farganis befaßt sich in ihrem Buch Die gesellschaftliche Rekonstruktion des Weiblichen mit er Kritik an Moral, Vernunft und Wissenschaft. Sie betont die Beiträge von Carol Gilligan, Nancy Hartsock, Carol McMillan, Kathy Ferguson, Sara Ruddick, Dorothy Smith und Evelyn Fox Keller. Farganis schreibt: »Ihre Argumente sprechen für eine feministische Argumentationsweise - eine Moral, einen Standpunkt und eine Epistemologie - die einer männlichen Moral, Vernunft oder Wissenschaft entgegensteht, sie ergänzt oder sich von ihr unterscheidet.«
Moral
Was die Frage der Moral und feministische Sichtweise betrifft, so
vermittelt das Werk der Entwicklungspsychologin Carol Gilligan wertvolle
Einsichten. Sie kommt zu dem
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Schluß, daß Männer und Frauen verschiedene Denkweisen aufzeigen.
Ihre Forschungsergebnisse über moralische Entwicklung weisen darauf hin,
daß Frauen und Männer moralische Probleme unterschiedlich betrachten
und lösen. Nach Gilligan etikettieren Theorien über moralische Entwicklung
die Erfahrungen von Frauen als minderwertig oder falsch, einfach weil sie
von jenen Entwicklungsmodellen abweichen, die auf Forschungsergebnissen
von Männern basieren. Übrigens betrifft dies auch Studien, die Daten
über Frauen aussparten, weil sie die Analysen »kompliziert« hätten und
als eine Form der Abweichung von der männlichen Norm angesehen wurden.
Gilligan betont, daß es gesellschaftliche Gründe dafür gibt, weshalb Mädchen Autonomie nicht als wertvolles Ziel betrachten, und weshalb sie bei ihrer Suche nach Bindung und Beziehungen eine andere gefühlsmäßige Einstellung zu Ehrgeiz und Ambitionen haben als Jungen. Jungen entwickeln ein »Ich, das durch Unterscheidung definiert wird« sowie ein »Ich, das an einem abstrakten Vollkommenheitsideal gemessen wird«. Demgegenüber ist bei Mädchen das »Ich durch Verbundenheit gekennzeichnet, ... ein Ich, das durch fürsorgliche Aktivitäten bestimmt wird.« (zitiert bei Farganis) Somit zieht Gilligan den Schluß, daß es ein Zusammenspiel von biologischen und Umweltfaktoren gibt, wodurch Frauen dazu neigen, in einer Weise empfindsamer gegenüber den Gefühlen anderer zu sein (Verbundenheit), wie es bei Männern nicht der Fall ist (Unterscheidung). Für Männer beruht Moral auf Objektivität, individuellen Rechten und durch Regeln geleitete Gerechtigkeit. Für Frauen beruht Moral auf der Sorge um das Wohl des Anderen.
Gilligan stellt fest: »Während wir über die Jahrhunderte auf die Stimmen der Männer und Entwicklungstheorien aufgrund männlicher Erfahrungen hörten, nehmen wir neuerdings nicht nur das Schweigen der Frauen wahr, sondern auch die Schwierigkeit, dem zuzuhören, was sie uns sagen, wenn sie das Wort ergreifen. Doch gerade hierin liegt die Wahrheit einer Ethik, wo es um die Sorge für den anderen geht.« Nach Gilligan geht die männliche Ethik der Gerechtigkeit »von der Prämisse der Gleichwertigkeit aus - daß jedermann auf gleiche Weise behandelt werden sollte.« Die weibliche Ethik der Sorge um den anderen beruht dagegen »auf der Prämisse der Gewaltlosigkeit - daß niemand verletzt werden sollte.« Aus diesem Grund vermittelt »die Zusammenführung der männlichen und weiblichen Perspektive in der Frage moralischer Entwicklung« nicht nur ein besseres Verständnis der Beziehungen zwischen den Geschlechtern, sondern bewirkt eine umfassende Sicht der Erwachsenenarbeit und familiärer Beziehungen.
Vernunft
In der feministischen Literatur gibt es einige Arbeiten, die sich mit dem
Wesen der Vernunft oder des Rationalen befassen und das Thema der
unterschiedlichen Argumentationsweise von Männern und Frauen bearbeiten
(s.McMillan; Hartsock; Ferguson; Case). Zur Frage der Rationalität und
der Vernunft ist zu bemerken, daß Frauen in der Geschichte aufgrund
ihrer Unterdrückung und Minderwertigkeit vom Rest der Gesellschaft
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isoliert wurden. Deshalb konnten sie nicht wie Männer in den Domänen
der öffentlichen Politik, Bürokratie und Verwaltung mitwirken. In diesen
Bereichen waren sie nicht gefordert, bzw. sie erhielten keine Gelegenheit
zur Teilnahme. Somit war das weibliche Gegenstück in diesen
gesellschaftlichen Bereichen nicht nur unbekannt, sondern oftmals inakzeptabel.
Hier geht es um die eigentliche Bedeutung der Fähigkeit vernünftigen
Denkens. Farganis weist darauf hin, daß »Frauen gerade deshalb dazu
privilegiert sind, das Irrationale eines verwalteten und in die Logik
nuklearer Vernichtung eingebundenen Staates zu sehen, weil sie
ausgeschlossen waren von den Positionen öffentlicher Machtausübung.«
Ferguson behauptet, daß die Erfahrungen der Frauen mit ihren auf gegenseitige Bezogenheit orientierten Handlungsweisen im Gegensatz stehen zum gegenwärtigen Beziehungssystem, das in hohem Maße bürokratisch und rationalistisch ist. Dies bedeutet, daß das zwischenmenschliche Handeln innerhalb des jetzigen ausgesprochen bürokratischen Systems entmenschlicht, hierarchisch und von der Auslöschung bedroht ist. Ferguson schreibt: »Während mehr und mehr Schauplätze unseres Lebens bürokratisch werden, nimmt der Vorgang der Entmenschlichung und Entfremdung entsprechend zu.« Die Autorin führt weiter aus, inwieweit die Erziehung, Sexualität und Familie bürokratisiert wurden und folglich ernste Probleme und Belastungen erfahren. Zuletzt stellt Farganis fest: »Sowohl im Hinblick auf Theorie und auch Praxis ist der Feminismus im Begriff, zur Erscheinungsform wieder errichteter Bürokratie zu werden. Er ist Bestandteil einer neuen Literatur, die kritisch zu bürokratischen Strukturen und der Art, wie diese gekennzeichnet sind, steht. Durch das Begreifen von Macht im Sinne von Zwangsherrschaft und Vorherrschaft, besteht nach Ferguson eine Spannung zwischen weiblicher und männlicher Haltung. Bei dieser Feststellung ist Ferguson darauf bedacht, den Begriff des Geschlechtsspezifischen über den biologischen Begriff hinaus auf die soziale Komponente zu erweitern.«
Wissenschaft
Die feministische Einstellung zur Wissenschaft steht im Gegensatz zur Forderung, daß Wissenschaft reingehalten werden und nicht »im Dienste der Politik stehen sollte« (Farganis). Feministinnen weisen daraufhin, daß die Wissenschaft nützlich und zweckmäßig ist, solange sie der Menschheit dient, indem sie einen »Rahmen für Kritik gegenüber dem Leben, Lebenszielen, Menschen und ihren Werten schafft« (Farganis). Im Allgemeinen betrachten Feministinnen die Wissenschaft in ihrer gegenwärtigen Form als männliche Konstruktion von Wissen und Erkenntnis.
Farganis betont, daß in den Werken von Susan Griffith und Carolyn
Merchant die Bedeutung und Wichtigkeit der feministischen Sichtweise
auf dem Gebiet der Wissenschaft herausgearbeitet wird. Sie schreibt:
»Wissenschaft, wie sie praktiziert wurde, führt zu Entfremdung und
trägt zur Unterwerfung der Natur bei; benötigt wird eine »verweiblichte«
Wissenschaft, die weniger entfremdet ist durch die Empfänglichkeit
gegenüber menschlichen Nöten, die ökologischer ist, und sich mehr
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darum bemüht, mit den Kräften der Natur statt gegen sie zu arbeiten.
Elizabeth Fee kämpft für eine Epistemologie, die nicht männer-zentriert ist. Sie betont, daß die Wissenschaft geläutert werden muß, so daß die Frage nach der Anwendung der Wissenschaft gemeinsam mit der Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit der Wissenschaftler gestellt wird. Fee bemerkt weiterhin, daß das rationale Denken nicht höher eingeschätzt werden sollte als Betroffenheit, Sorge und Hingabe in der Sache. Schließlich sollte die Kluft zwischen Beobachter und den Beobachteten verschwinden. In ihrer Betrachtung über die feministische Sichtweise der Wissenschaft zieht Farganis folgenden Schluß: »In einer Phase, wo Menschen leidenschaftlich ihr Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft bekunden, ist die feministische Kritik an der Wissenschaft als wertvoll zu erachten. Es ist eine Kritik, die genährt wurde durch Hiroshima, chemische und biologische Waffen, Umweltverschmutzung und genetische Manipulation. Dies ist der Kontext, in dem die feministische Kritik an der Wissenschaft ihren Platz hat.« (zitiert bei Farangis)
Somit spricht die auf dem Vormarsch befindliche feministische Sichtweise - seien es Moral, Vernunft oder Wissenschaft - für die Komplementarität (im Gegensatz zur Unterlegenheit) des Weiblichen. Angesichts des gegenwärtig gefährlichen und chaotischen Zustands der globalen Gesellschaftsordnung erscheint der feministische Ansatz als ein unumgängliches Modell für ein gesundes Gleichgewicht. Diese Auffassung scheint mit der Bahá’í-Idee der Gleichwertigkeit von Mann und Frau übereinzustimmen.
□ Hindernisse für sozialen Wandel
Die gegenwärtige autoritäre patriarchalische Gesellschaft stellt als Hindernis eine Herausforderung dar und muß auf dem Weg zur Weiterentwicklung der feministischen Perspektive überwunden werden. Wie die meisten Gesellschaftssysteme leistet dieses System jeglicher Veränderung Widerstand. In diesem Fall ist es unbeweglich und unduldsam gegenüber den andersartigen Standpunkten, die die Frauen in zahlreichen gesellschaftlichen Institutionen vertreten (vielleicht stellt die Rolle der Mutter und Hausfrau hier die einzige Ausnahme dar). Generell heißt das: Sind Frauen dazu fähig, sich als Abkömmlinge (clone) der Gesellschaftsordnung zu verstehen, so werden sie noch eher vom System akzeptiert.
Betty Reardon sagt jedoch: »Feministinnen... bestehen darauf, daß Frauen weder männliche Werte noch Verhaltensweisen aufgreifen müssen, um Gleichwertigkeit zu erlangen; noch haben sie es nötig, weibliche Charakteristika, Werte und Fähigkeiten abzuwerten... Sie streben danach, weibliche Werte in jene gesellschaftlichen und politischen Bereiche einzubringen, von denen sie bislang ausgeschlossen waren.«
Wie auch immer, die gegenwärtige Gesellschaftsstruktur verharrt in
ihrer Unnachgiebigkeit und ihrem Widerstand gegenüber der Entwicklung
und Einbeziehung einer neuen weiblichen Sichtweise. Folglich kommt es
nicht zu einer Synthese von weiblichen Fähigkeiten und Beiträgen
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mit dem männlich dominierenden System. Die Bahá’í-Schriften sind
klar und bestimmt, wenn es um die Rolle der Männer geht, Verantwortung
für die Garantie voller Gleichberechtigung für Frauen zu übernehmen.
'Abdu'l-Bahá stellt auf einfühlsame Weise fest: »Erkennen die Menschen
erst einmal die Gleichberechtigung der Frau an, so werden die Frauen
nicht mehr für ihre Rechte zu kämpfen brauchen.« (Frauen S.83 Nr.108)
Der Bahá’í-Standpunkt fördert kurz und bündig die Entwicklung der weiblichen Fähigkeiten noch vor den männlichen, während festgestellt wird, daß derzeit ein gefährliches Ungleichgewicht zwischen beiden existiert. Die Bahá’í-Schriften besagen: »In der Vergangenheit wurde die Welt durch Gewalt regiert, und der Mann herrschte aufgrund seiner stärkeren und mehr zum Angriff neigenden körperlichen und verstandesmäßigen Eigenschaften über die Frau. Aber schon neigt sich die Waage, Gewalt verliert ihr Gewicht und geistige Regsamkeit, Intuition und die geistigen Eigenschaften der Liebe und des Dienens, in welchen die Frau stark ist, gewinnen an Einfluß. Folglich wird das neue Zeitalter weniger männlich und mehr von den weiblichen Leitbildern durchdrungen sein, oder genauer gesagt, es wird ein Zeitalter sein, in dem die männlichen und weiblichen Elemente der Kultur besser ausgeglichen sein werden.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.27 Nr.25)
Auch im Hinblick auf die Dringlichkeit der Weiterentwicklung bis hin zum Weltfrieden ist die Unfähigkeit der Gesellschaft, die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, beunruhigend. Aus der Bahá’í-Perspektive wird die Gleichberechtigung der Geschlechter als grundsätzliche Vorraussetzung für die Verwirklichung des Friedens angesehen. »Sobald die Frauen umfassend und gleichberechtigt die Verhältnisse der Welt mitgestalten, sobald sie zuversichtlich und fähig die weite Arena des Rechts und der Politik betreten, wird der Krieg aufhören.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.68 Nr.91)
Es ist erwähnenswert, daß der Soziologe Theodore Roszak nach seiner Beobachtung des geschichtlichen Auflebens des Militarismus und Faschismus im frühen 20.Jh. zum Schluß kam, daß beide Richtungen in direkter Beziehung zu jenem Umstand zu sehen sind, daß es dem Feminismus des 19.Jh. nicht gelungen war, seine Ziele zu verwirklichen. In den Bahá’í-Schriften heißt es: »Der Krieg und seine Verheerungen haben die Welt verwüstet. Die Erziehung der Frau wird ein gewaltiger Schritt zur endgültigen Abschaffung des Krieges sein, denn die Frau wird ihren ganzen Einfluß gegen den Krieg geltend machen... Sie wird wirklich von größtem Einfluß bei der Errichtung des Weltfriedens und einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sein. Sicherlich wird die Frau den Krieg unter den Menschen abschaffen.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.61 Nr.79)
Zusammenfassend ist also offensichtlich, daß die ebenbürtige Beteiligung
der Frauen an allen Belangen der heutigen Weltgesellschaft eine
der größten Herausforderungen der Menschheit darstellt. Ebenso ist es
Tatsache, daß die volle Gleichberechtigung der Frau gemäß den von
Bahá’u’lláh hervorgebrachten geistigen
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Gesetzen und Leitlinien unabdingbar ist, für die Verwirklichung weltweiter
Einheit und des Friedens. In den Bahá’í-Schriften ist zu lesen:
»... die Geschichte beweist, daß dort, wo die Frau keinen Anteil an den
menschlichen Belangen hatte, die Ergebnisse nie zur Vollendung und Reife
gediehen. Andererseits gewann jede einflußreiche menschliche Tat, an der die
Frau mitwirkte, Bedeutung. Das ist historisch belegt und wird auch von
der Religion bestätigt. ... Die bedeutendste Frage heute ist der Weltfrieden
und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Weltfrieden ist unmöglich
ohne allgemeines Wahlrecht.« (’Abdu'l-Bahá, Frauen S.61 Nr.80)
Somit bleibt die einzig offene Frage, die alle Frauen und Männer sowie das Überleben des gesamten Planeten betrifft: Wie bald wird es die gegenwärtig veraltete, im Sterben begriffene Gesellschaftsordnung der Welt zulassen, daß die weiblichen Eigenschaften, spezifischen Fähigkeiten und Betrachtungsweisen zum Tragen kommen? Denn - das Überleben der Menschheit hängt davon ab, daß die Frauen in der Gesellschaft als Gleichberechtigte die Chance erhalten, sich zu artikulieren und ihren Beitrag zu leisten.
□ Quellennachweis
Deckard, Barbara Sinclair. The Women’s Movement: Political, Socioeconomic and Psychological Issues, 1979
Eisler, Riane. »Human Rights: The Unfinished Struggle«, International Journal of Women’s Studies 6.4(1983):326-27
Farangis, Sondra. Social Reconstruction of the Feminin Character, 1986
Ferguson, Kathy E. Self, Society and Womankind: The Dialectic of Liberation, 1980
Ferguson, Kathy E. Self, Feminist Case against Bureaucracy, 1984
Frauen, Eine Zusammenstellung aus den Bahá’í-Schriften, 1986
Giligan, Carol. In a Different Voice: Psychological Theory and Woman’s Development, 1982
Reardon, Betty A. Sexism and the War System, 1985
Roszak, T. »The Hard and the Soft: The Force of Feminism in Modern Times«, Masculine/Feminine, 1969
Shapiro, Laura. »Violence: The Most Obscene Fantasy«, Mother Jones 2 December 1977
Tannen, Deborah. That's Not What I Meant: How Conversational Style Makes or Breaks Relationships, 1986
State ofthe World’s Women 1985, United Nations Compilation, 1985
Der Buchtip[Bearbeiten]
Liebhaber des Friedens
Herausgeber: Hans Jürgen Schultz, DTV München 1989
Wer kennt sie nicht, die brillianten Redner, die während ihres Vortrags spazierengehen im Garten der Allgemeinbildung, hier und da ein Zitat pflücken, als sei es ihnen gerade so unter die Augen gekommen, und den Zuhörer zuletzt mit einem Gebinde wohlsortierter Weisheit nach Hause gehen lassen. »Mensch, der weiß Bescheid«, denke ich, zwischen Bewunderung und Minderwertigkeitsgefühlen schwankend.
Nun hat nicht jeder Zeit noch Lust, sich auf allen Gebieten geschriebener und sonstiger Kultur umfassend zu bilden. Da sind dann Zusammenstellungen zu speziellen Themenkreisen eine willkommene Sache. So auch die Neuveröffentlichung Liebhaber des Friedens. In nur etwa 200 Seiten durchstreifen wir die Geschichte pazifistischen Engagements, gelebt von Persönlichkeiten wie Dag Hammarskjöld, Albert Schweitzer, Bertha von Suttner, Oscar Arnulfo Romero und vielen anderen. Die 16 Kurzportraits entstanden anläßlich einer Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks. Verfaßt wurden sie wiederum von Menschen, die sich in der Friedensarbeit einen Namen gemacht haben.
Wen interessiert, wie persönliche Lebensgeschichte und der oft dramatische Einsatz für die Sache des Friedens ineinander verwoben sind, dem sei dieses Buch empfohlen. Nicht zuletzt denjenigen, die selbst zum Thema Frieden bei Seminaren oder Gesprächskreisen mitwirken und eine Horizonterweiterung über unsere Zeit und unser Land hinaus zu schätzen wissen.
- Farideh Motamed