Bahai Briefe/Heft 51/Text

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BAHÁ'Í-BRIEFE



HEFT 51 15. JAHRGANG APRIL 1986


FOAD KAZEMZADEH

DIE NOTWENDIGKEIT EINER NEUEN GESELLSCHAFTSORDNUNG


KENT BEVERIDGE

PROFESSOR EDWARD GRANVILLE BROWNE


PETER KHAN

WIE EINST DIE VERFOLGUNG DER CHRISTEN


ZUR LAGE DER BAHÁ'Í IM IRAN


BESPRECHUNG


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Die Bahá’í-Briefe wollen eine intensive Auseinandersetzung mit den Lehren und der Geschichte der Bahá’í-Religion fördern und zu einem Dialog mit allen beitragen, die sich auf der Grundlage zeitgemäßen religiösen Denkens aufrichtig um die Lösung der Weltprobleme mühen.


BAHÁ'Í-BRIEFE

Heft 51, April 1986

15. Jahrgang


Inhalt


Foad Kazemzadeh
Die Notwendigkeit einer neuen Gesellschaftsordnung 162


Kent Beveridge
Professor Edward Granville Browne 169


Peter Khan
Wie einst die Verfolgung der Christen 183


Zur Lage der Bahá’í im Iran 190


Buchbesprechung 195





Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland e.V., Hofheim-Langenhain. Redaktion: Dr. Klaus Franken, Ulrich Gollmer, Hans Günther Randau, Christopher Sprung, Karl Türke jun. Redaktionsanschrift: Bahá’í-Briefe, Redaktion, Eppsteiner Straße 89, D-6238 Hofheim-6. Namentlich gezeichnete Beiträge stellen nicht notwendig die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar. Die Bahá’í-Briefe erscheinen halbjährlich. Abonnementpreis für vier Ausgaben 20,- DM. Einzelpreis 6,- DM. Vertrieb und Bestellungen: Bahá’í-Verlag, Eppsteiner Straße 89, D-6238 Hofheim-6.

© Bahá’í-Verlag GmbH. ISSN 0005-3945


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O ihr, die ihr Gott liebt! Seid freundlich zu allen Völkern, kümmert euch um jeden Menschen, tut, was ihr könnt, um die Herzen und Gemüter der Menschen zu läutern, und bemüht euch, jede Seele zu erfreuen. Seid für jede Au ein Regenschauer der Gnade, für jeden Baum das Wasser des Lebens, seid wie süßer Moschus für den Sinn der Menschen, und für die Kranken seid eine frische, belebende Brise. Seid klares Wasser für alle Dürstenden, ein behutsamer Führer für alle, die ihren Weg verloren haben; seid den Waisen Vater und Mutter, den Alten liebevolle Söhne und Töchter, ein reicher Schatz den Armen. Erachtet Liebe und Brüderlichkeit als die Wonnen des Himmels, Feindseligkeit und Haß als der Hölle Qual.

Verwöhnt euren Leib nicht mit Ruhe, sondern arbeitet mit ganzer Seele, und aus vollem Herzen ruft und bittet Gott, daß Er euch Seine Hilfe und Gnade gewähre. So verwandelt ihr diese Welt in das Paradies Abhá, diesen Erdball in den Paradeplatz für das Reich der Höhe. Wenn ihr nur die Mühe auf euch nehmt, wird diese Pracht sicherlich leuchten, diese Wolken der Barmherzigkeit werden ihren Regen verströmen, diese lebenspendenden Winde werden sich erheben und wehen, und dieser süßduftende Moschus wird sich allenthalben verbreiten.

‘Abdu’l-Bahá




Selections from the Writings of ‘Abdu’l-Bahá, Haifa 1978, 200:8-9. Deutsche Ausgabe »‘Abdu’l-Bahá, Briefe und Botschaften« in Vorbereitung.


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Foad Kazemzadeh

DIE NOTWENDIGKEIT EINER NEUEN GESELLSCHAFTSORDNUNG[Bearbeiten]

Vortrag, gehalten anläßlich der Konferenz »Aspekte zur Friedensordnung«, 30.8. — 1.9.1985 in Hofheim.


Friedenssehnsucht der Menschen und gleichzeitig Krieg — dieses Paradox durchzieht wie ein roter Faden die überlieferte Menschheitsgeschichte, und wenn man von den bestehenden Verhältnissen ausgeht, dann scheint sich daran auch in Zukunft nichts zu ändern. Die Fernsehbilder aus Beirut zeigen uns vor den Zerstörungen einer Autobombe verzweifelte Menschen, die in die Kameras hineinrufen, die zuschauende Welt möge doch helfen, damit endlich Frieden werde in diesem geplagten Land. Aber jeder weiß, daß auch dieser Ruf nach Frieden ungehört verhallen wird und daß die Explosion der nächsten Autobombe nicht lange auf sich warten läßt.

Wir finden Beirut nicht nur im Libanon, sondern an vielen anderen Orten der Welt. Und was die Menschheit plagt, ist nicht nur der Bürgerkrieg, sondern auch der Hungertod von Millionen, die Slums der Großstädte, die Aussichtslosigkeit armer Länder, jemals aus ihrer Verschuldung bei den reichen herauszukommen und vor allem: die unvorstellbare und doch realistische Drohung, daß die Menschheit insgesamt vernichtet werden könnte.

Warum dieser Widerspruch? Einerseits die seit Menschengedenken bestehende Friedenssehnsucht - denken wir nur an die 2500 Jahre alte Vision Jesaias, die auch von Shoghi Effendi zitiert wird: »... Denn kein Volk wird das Schwert gegen das andere erheben, und sie werden hinfort nicht mehr die Kriegskunst lernen ...« oder an Begriffe wie »das Goldene Zeitalter« oder das »Tausendjährige Reich«, die Ausdruck für die in die Zukunft projizierte Friedenssehnsucht sind. Und andererseits immer gewagtere Anstrengungen, die angesammelte Vernichtungskraft durch immer ausgeklügeltere Waffensysteme zu vergrößern.

Einer der bekannten Versuche, diesen Widerspruch zwischen Friedenssehnsucht und Krieg zu erklären, ist die Antwort Sigmund Freuds auf eine entsprechende Frage von Einstein.1) Er verweist auf, wie er meint, zwei von Natur aus im Menschen wirkende, einander entgegengesetzte Triebe, den Todes- oder Zerstörungstrieb und Eros, den Trieb der Liebe. Auf diese psychologische Problematik kann nicht weiter eingegangen werden, weil sie den Rahmen des Themas sprengen würde. Ich möchte nur bemerken, daß auch in der Bahá’í-Religion von einer ähnlichen Polarität, nämlich von der geistigen und der materiellen Natur des Menschen, gesprochen wird; allerdings mit dem Unterschied, daß hier das Geistige und das Materielle nicht als unveränderliche Größen gesehen werden. Ob das eine oder das andere überwiegt, ist vielmehr eine Frage der Erziehung und der persönlichen Anstrengung.2)

Unserem Thema näher kommt die Antwort der Kulturkritik und konservativer [Seite 163] Soziologie auf die Frage: Warum Krieg trotz Friedenssehnsucht? Da heißt es, die im einzelnen liegenden Ansätze zum Guten, seine Bereitschaft zum friedlichen Miteinander würden in der Gesellschaft, vor allem in der Masse, überlagert vom Zwang zur Konkurrenz und Aggression, seine Fähigkeit zum überlegten und vernünftigen Handeln zunichte gemacht durch den Druck zur Anpassung und Nachahmung. Diese Behauptung kann zweifellos durch unzählige Beobachtungen in den verschiedensten Situationen bestätigt werden. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß wir uns in Gruppen und Versammlungen unkontrollierter und unsicherer verhalten, ja aggressiver handeln, als es unserem Naturell, unserer Neigung entspricht — besonders dann, wenn die Situation für uns ungewohnt ist oder uns bedrohlich vorkommt. Es kommt hinzu, daß wir uns in sozialen Gruppen, Verbänden und Organisationen — sei es im Beruf oder in der Schule, in einer Partei oder Gewerkschaft, ja sogar in der Familie — jeweils spezifischen, mehr oder weniger unpersönlichen Regeln unterwerfen müssen. Und das Ziel dieser Regelungen ist nicht in erster Linie, bei den Menschen Eigenschaften der Friedfertigkeit und der gegenseitigen Zuneigung zu fördern, sondern der reibungslose Betriebsablauf. Da begegnen sich Menschen nicht als ganzheitliche Personen, die einander so wie sie sind akzeptieren, sondern verfremdet als Rollenträger, mehr oder weniger angestrengt, den auferlegten Part so gut wie möglich zu spielen, der Sachbearbeiter gegenüber dem Abteilungsleiter und umgekehrt, der Schüler vor dem Lehrer und vice versa. Hier tut sich also tatsächlich ein Gegensatz zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft auf, zwischen potentiell individueller Friedfertigkeit und gesellschaftlicher Aggression, der das Paradox »Friedenssehnsucht und gleichzeitig Krieg« wenigstens zum Teil erklärt.

Nur: welche Konsequenz ist aus dieser Feststellung zu ziehen? Soll man die Gesellschaft verdammen und die Einbindung des einzelnen in die Gesellschaft, seine Beziehung zu sozialen Gruppen auf ein absolut notwendiges Maß beschränken? Schon die Frage ist absurd. Denn der Mensch ist ein durch und durch, im Guten wie im Schlechten, soziales Wesen; er versteht sich überhaupt erst dann als Individuum, wenn er sich als Mitmensch, als Mitglied der Gruppe begreift. Es wäre also nur eine romantische Illusion, sich von der Gesellschaft abkehren zu wollen, die Gesellschaft sozusagen als hoffnungslosen Fall, als Quelle allen Übels aufgeben zu wollen. Wenn Frieden erreicht und dauerhaft eingerichtet werden soll, dann müssen auch die gesellschaftlichen Verhältnisse so beschaffen sein, daß sie den Frieden mittragen und ihm nicht entgegenwirken.

Auch das Anliegen der Religionen ist es stets gewesen, nicht nur das Seelenheil des einzelnen, sondern ebenso Frieden und Gerechtigkeit in der menschlichen Gesellschaft herbeizuführen. So lesen wir in Bahá’u’lláhs Schriften: »Wenn Gott Seine Propheten zu den Menschen sendet, ist Seine Absicht eine zweifache. Die erste ist, die Menschenkinder aus dem Dunkel der Unwissenheit zu befreien und sie zum Lichte wahren Verstehens zu führen, die zweite, den Frieden und die Ruhe der Menschheit zu sichern und alle Mittel bereitzustellen, durch die beides erreicht werden kann.«3)

Man könnte sagen, daß in diesen wenigen Worten bereits vor etwa hundert Jahren die Grundlage für den Weltfrieden gelegt worden ist. Und eines der wichtigsten Mittel, die bereitgestellt [Seite 164] wurden, den Frieden der Menschheit zu sichern, ist die von Bahá’u’lláh gestiftete Ordnung der Gemeinschaft derer, die sich auf Ihn berufen — das Modell für die Gesellschaftsordnung friedfertiger Menschen. Die Bahá’í sind sich allerdings darüber im klaren, daß es nicht eine Frage von wenigen Jahren ist, bis die Welt dieses Modell akzeptiert haben wird. Sie wissen auch, daß der Frieden, der zunächst darin besteht, daß keine Kriege mehr geführt werden, auf anderem Wege und recht bald erreicht werden muß. Wenn aber dieser Frieden mehr als nur ein kurzlebiger Waffenstillstand sein soll, dann erfordert er allerdings mehr als nur Verträge; er verlangt zumindest eine solche Gesellschaftsordnung, die die Möglichkeit eines Kriegsausbruchs ausschließt.

In einem Brief an die Zentralorganisation für einen dauerhaften Frieden im Haag hat ‘Abdu’l-Bahá im Jahre 1919 die Bemühungen dieser Organisation um die Sicherung des Friedens gewürdigt, zugleich aber betont, daß eine zu enge Konzentrierung der Anstrengungen auf eine Sache — z. B. die internationale Ächtung des Krieges allein — nicht ausreichen würde, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Er schrieb: »Heute ist der Weltfriede wichtig, aber die Einheit des Bewußtseins ist wesentlich, damit so die Grundlage dieser Angelegenheit fest, ihre Errichtung gesichert und ihr Gebäude stark sein möge.«4) »Einheit des Bewußtseins« — hat das überhaupt etwas mit der Gesellschaftsordnung zu tun, oder ist es etwas, das eher in den Bereich kontemplativer Beschaulichkeit und religiöser Mystik hineingehört? Wir haben es hier durchaus mit einer Kategorie zu tun, die von grundlegender Bedeutung für den Bestand und die Funktionsfähigkeit jeder Gesellschaftsordnung ist. Die Sozialwissenschaftler gebrauchen für denselben Sachverhalt den Ausdruck »gemeinsame Werte«. Und es sind in der Tat nicht individuelle und Gruppeninteressen, nicht materielle Anreize und auch nicht nur die Aussicht auf Belohnung bei erwünschtem und Bestrafung bei unerwünschtem Verhalten, die die Gesellschaft zusammenhalten, sondern soziale und kulturelle Werte — z. B. Gerechtigkeit, Freiheit, Familie, Freundschaft usw. —, Werte, die von den Gesellschaftsmitgliedern geteilt werden und somit, wie ‘Abdu’l-Bahá es ausdrückt, die Einheit des Bewußtseins begründen.

Wenn die Wirkung dieser Werte nachzulassen beginnt, wenn sich ihre Verbindlichkeit abschwächt und die Menschen ihr Verhalten immer weniger nach den grundlegenden Werten ausrichten, wenn also die Einheit des Bewußtseins schwindet, dann treten immer stärker die Regeln von Sachgeschehen in den Vordergrund. Die Menschen orientieren sich dann in ihren Beziehungen zueinander weniger an gemeinsam hochgehaltenen Werten und mehr an sogenannten Sachzwängen, die ihnen im Grunde fremd sind, zu denen sie keine innere Beziehung haben, z.B. an Konkurrenz, wie in den westlichen Gesellschaften. Konkurrenz ist aber ein Gesetz des Marktes, auf dem knappe Güter nach Angebot und Nachfrage bewertet und verteilt werden. Es regelt rein materielle Prozesse und ist völlig blind für geistig-soziale Belange. Je mehr aber die geistige Grundlage einer Gesellschaft ausgehöhlt und von materiellen Normen überlagert wird, um so labiler und gefährlicher wird der Zustand der Gesellschaft. Ausgangspunkt dieses Verfallsprozesses ist die Schwächung der religiösen Werte. Bahá’u’lláh sagt: »Die Religion ist das wichtigste Mittel zur Begründung von Ordnung in der [Seite 165] Welt und zur Befriedung aller, die darin wohnen. Die Schwächung der Pfeiler der Religion stärkt die Hände der Unwissenden und macht sie dreist und anmaßend. Wahrlich, Ich sage, was immer die erhabene Stellung der Religion erniedrigt, vermehrt die Widerspenstigkeit der Gottlosen, und das Ergebnis kann nur Gesetzlosigkeit sein.« »Die Religion ist ein strahlendes Licht und ein uneinnehmbares Bollwerk für den Schutz und die Wohlfahrt der Völker dieser Welt; denn die Gottesfurcht treibt den Menschen an, sich fest an das zu halten, was gut ist, und alles Böse zu meiden. Sollte die Lampe der Religion verdunkelt werden, so werden Chaos und Wirrnis die Folge sein, und die Lichter der Ehrlichkeit, der Gerechtigkeit, der Ruhe und des Friedens werden zu scheinen aufhören.«5)

Es liegt auf der Hand, daß auch Werte, die der geistige Unterbau, das Fundament von Gesellschaften sind, wie alles in der Menschenwelt, nicht unverändert ewige Gültigkeit besitzen. Sie müssen in Anpassung an die Gesamtentwicklung der Menschheit von Zeit zu Zeit verändert, ergänzt und mit neuem Inhalt versehen werden. Wenn wir also nach der Notwendigkeit einer neuen Gesellschaftsordnung fragen, dann gilt die Frage nicht in erster Linie dem Problem der zeitgemäßen Organisation gesellschaftlicher Institutionen, also z. B. dem Problem der Verteilung der in einer Gesellschaft produzierten Güter oder den Regeln, wie Herrschaft ausgeübt und gesellschaftliche Macht kontrolliert werden soll, sondern die Frage gilt zunächst und vor allem dem geistigen Prinzip, der sozialen Basis der neuen Gesellschaftsordnung.

Es ist die Überzeugung der Bahá’í, daß menschliches Forschen und Nachdenken allein nicht zur gültigen Antwort auf diese umfassende Frage führen kann, sondern nur göttliche Führung, die heute von Bahá’u’lláh kommt. Es sind auch kaum ernstzunehmende Anzeichen in den gesellschaftlichen Kräften wahrzunehmen, die darauf ausgerichtet wären, die Gesellschaftsordnung von einem geistigen Prinzip her zu rekonstruieren. Im Gegenteil: der einzigen großen sozialen Bewegung unserer Zeit, die die Erneuerung der Gesellschaft zum Ziel hat, dem Marxismus, geht es gerade darum, die Gesellschaftsordnung materialistisch zu begründen und alles Geistige als abgeleitete Größe, als »Überbau« zu begreifen.

Shoghi Effendi hat die Vorstellung, daß die Menschen aus eigener Kraft den Weg zu einer neuen, den Erfordernissen der Zeit angemessenen Gesellschaftsordnung finden würden, mit folgenden Worten als Illusion charakterisiert: »Ob wir die Menschheit im Lichte der persönlichen Lebensführung oder der Beziehungen zwischen den organisierten Gemeinschaften und Nationen betrachten, sie ist leider zu weit abgeirrt, hat einen zu tiefen Niedergang erlitten, als daß sie allein durch die unbeholfenen Anstrengungen selbst der besten unter ihren anerkannten Herrschern und Staatsmännern ... erlöst werden könnte. Kein Plan, den die Berechnungen höchster Staatskunst noch ersännen, kein Lehrgebäude, das die hervorragendsten Vertreter der Wirtschaftstheorie noch errichteten, kein Grundsatz, den der glühendste Moralist noch aufimpfen wollte, können letzten Endes ausreichende Grundlagen bieten, auf die die Zukunft einer verwirrten Welt gebaut werden kann ... Ja, ich wage zu behaupten, daß nicht einmal das Ersinnen eines Ordnungsgefüges, wie es für die politische und wirtschaftliche Vereinigung der Menschheit [Seite 166] erforderlich ist, ... aus sich selbst heraus das Heilmittel gegen das Gift bieten könnte, welches ständig die Kraftreserven der entwickelten Völker und Nationen auszehrt. Was sonst, so können wir getrost fragen, als die vorbehaltlose Annahme des göttlichen Programms, das Bahá’u’lláh ... mit solcher Macht und Schlichtheit verkündet hat, eines Programms, das in seinen Wesenszügen Gottes Plan für die Vereinigung der Menschheit in diesem Zeitalter zum Ausdruck bringt, kann ... schließlich den Kräften innerer Auflösung widerstehen, die sich, wenn ihnen kein Einhalt geboten wird, immer tiefer in das Mark einer verzweifelten Gesellschaft hineinfressen? Diesem Ziel — dem Ziel einer neuen Weltordnung, göttlich im Ursprung, allumfassend in der Reichweite, unparteiisch im Grundsatz, herausfordernd im Charakter — muß eine gequälte Menschheit zustreben.«6)

Das geistige Prinzip, das die Kraft haben soll, die Gesellschaftsordnung zu tragen und die Beziehung der Menschen und der Gruppen zueinander zu festigen, muß die Teilhabe aller ermöglichen und allen die Möglichkeit der Identifikation mit diesem fundamentalen Wert bieten. Es darf keine Gruppe ausschließen und keine auf Kosten anderer bevorzugen. Es muß ferner den Notwendigkeiten der Zeit entsprechen. Aus den soeben zitierten Worten Shoghi Effendis klang schon heraus, welches geistige Prinzip diese Bedingungen für unsere Zeit, für die neue Gesellschaftsordnung erfüllt. Es ist das Prinzip der Einheit. Die Kategorie der Einheit ist kein bloß erdachtes, sondern ein der Wirklichkeit des Daseins entlehntes höchstes geistiges Prinzip. Seine grundlegende Verankerung hat es in der Einheit Gottes; davon abgeleitet ist die Einheit der Schöpfung Gottes, einschließlich der Religion.

Bezogen auf die Geschichte der menschlichen Gesellschaft ist der Gehalt des Prinzips der Einheit historischem Wandel unterworfen. Die Geschichte der menschlichen Gesellschaften ist als eine Entwicklung zu immer umfassenderen Einheitsgebilden zu interpretieren. Einige Stadien dieser Entwicklung waren: die Einheit der Familie, die Stammeseinheit, die Einheit der Stadtstaaten und in jüngster Zeit der Nationen. Die nationale Einheit ist das geistige Prinzip, das zur Bildung der heute bestehenden Gesellschaften geführt hat und auch heute noch als Legitimationsbasis für die nationale Abgrenzung der Gesellschaften herangezogen wird. Besonderen Auftrieb erlangte die Idee der Nation als Leitmotiv der Befreiung der Völker und ihrer Eigenständigkeit nach den napoleonischen Kriegen. Nachdem sich diese Idee gegen die sie bekämpfenden Mächte — vor allem die Heilige Allianz — erfolgreich behauptet hatte, »wurde«, wie Shoghi Effendi es beschreibt, »die Möglichkeit einer Weltordnung, die in ihrer Reichweite die politischen Einrichtungen dieser Nationen überragt, ernsthaft erwogen«. Es ist bemerkenswert, daß, wie wiederum Shoghi Effendi dies darstellt, aus dem Nationalismus selbst die Tendenz zur Verwirklichung einer Weltordnung geboren wurde, und diese Tendenz erst nach dem ersten Weltkrieg einen Rückschlag erlitt.7) Zur Illustrierung dieses Hinweises von Shoghi Effendi, daß den Verfechtern des Nationalgedankens eine internationale Gesellschaftsordnung nicht fremd gewesen ist, sei auf den Führer und Theoretiker des italienischen Nationalismus, Giuseppe Mazzini, verwiesen. Mazzini hat in einer Reihe von Aufsätzen, die er zwischen 1844 und 1852 schrieb, die These vertreten, daß [Seite 167] Gottes Plan die Vereinigung der gesamten Menschheit sei und daß die Vollendung des Nationalismus der erste Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel wäre.8)

Die Idee der Nation hat sich durchgesetzt; die Nationenbildung ist weltweit abgeschlossen worden. Aber wie so vieles in der Geschichte der Menschheit ist die konsequente Weiterentwicklung dieser Idee durch die Unzulänglichkeiten der Menschen aufgehalten worden. Obwohl der wissenschaftlich-technische Fortschritt es seit langem ermöglicht und die weltweiten Verbindungen und Verknüpfungen es von Tag zu Tag dringlicher erfordern, ist die Einheit der gesamten Menschheit als Grundlage einer längst fälligen neuen Gesellschaftsordnung, wie sie von Bahá’u’lláh vor über 100 Jahren verkündet wurde, noch nicht anerkannt und akzeptiert worden. Ansätze, die zu diesem Ziel hätten führen können — der Völkerbund, die Vereinten Nationen, die zahlreichen überstaatlichen Zusammenschlüsse wie z.B. die EG —, wurden und werden von nationalstaatlichen Gegensätzen geschwächt bzw. zunichte gemacht. Obwohl inzwischen kaum noch jemand bestreitet, daß alle großen Probleme unserer Zeit — ob Umweltverschmutzung oder Hungersnot, ob wirtschaftliche Rückständigkeit oder Krieg und Kriegsgefahr — nur im weltweiten Maßstab und nicht in den Grenzen von Nationalstaaten zu lösen sind, verhindern uneingeschränkte Souveränitätsansprüche der Staaten eine effektive internationale Kooperation. Schlimmer noch: es sind die ängstlich gehüteten Machtansprüche der Nationalstaaten, die die immense Vergeudung der Mittel für Rüstung und damit die ständige Erhöhung der Kriegsgefahr bewirken. Vielleicht verstehen wir es erst heute so recht, was Shoghi Effendi gemeint hat, als er vor fünfzig Jahren sagte: »Die Anarchie, die der nationalstaatlichen Souveränität anhaftet, nähert sich heute einem Höhepunkt.«9)

»Die Wohlfahrt der Menschheit«, erklärt Bahá’u’lláh, »ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, wenn und bevor nicht ihre Einheit fest begründet ist.«10) Mit diesem Ruf hat Bahá’u’lláh keineswegs die Nivellierung der vielfältigen kulturellen Unterschiede eingeläutet. Sein Ruf ist allerdings, wie Shoghi Effendi schreibt, »... gegen jede Art von Provinzialismus, jede Engstirnigkeit, jedes Vorurteil gerichtet«. Er schreibt weiter: »Wenn lang gehegte Ideale, wenn altehrwürdige Institutionen, wenn gesellschaftliche Postulate und religiöse Glaubensbekenntnisse das Wohl der Gesamtheit aller Menschen nicht mehr fördern, wenn sie den Bedürfnissen einer sich ständig entwickelnden Menschheit nicht länger gerecht werden, dann fegt sie hinweg und verbannt sie in die Rumpelkammer veralteter und vergessener Doktrinen! Warum sollten sie in einer Welt, die dem unabänderlichen Gesetz des Wandels und des Verfalls unterliegt, von der Entartung verschont bleiben, die alle menschlichen Einrichtungen zwangsläufig ereilt? Rechtsnormen, politische und wirtschaftliche Theorien sind nur dazu da, die Interessen der Menschheit als Ganzes zu schützen; nicht aber ist die Menschheit dazu da, für die unversehrte Aufrechterhaltung eines bestimmten Gesetzes oder Lehrsatzes gekreuzigt zu werden.«11)

Und damit der uneingeschränkte Nationalstaatsgedanke nicht zu einem solchen Lehrsatz wird, um dessentwillen die Menschheit gekreuzigt wird, muß die Welt erkennen und danach [Seite 168] handeln, daß die Gesellschaftsordnung der Zukunft auf dem Grundsatz der Einheit der Menschheit beruht. Dieser Grundsatz verlangt nach den Worten Shoghi Effendis »...eine organische, strukturelle Veränderung der heutigen Gesellschaft, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat... Er fordert nichts Geringeres als den Wiederaufbau und die Entmilitarisierung der ganzen zivilisierten Welt, einer Welt, die in allen Grundfragen des Lebens, in ihrem politischen Mechanismus, ihren geistigen Bestrebungen, in Handel und Finanzwesen, Schrift und Sprache organisch zusammengewachsen und doch in den nationalen Eigentümlichkeiten ihrer verbündeten Staatenglieder von einer unendlichen Mannigfaltigkeit ist.«12)

Eine Gesellschaftsordnung auf der Basis der Einheit der Menschheit erfordert, daß alle historisch entstandenen, inzwischen unnatürlich gewordenen Grenzen auf der Welt, die die Menschen trennen und zwischen ihnen Barrieren errichten, durch politische Maßnahmen überwunden werden. Für den Bereich der Wirtschaft heißt dies z. B., daß der Zahlungsverkehr durch eine einheitliche Währung und der Warenverkehr durch den Freihandel erleichtert, vor allem aber, daß die extremen Gegensätze zwischen arm und reich beseitigt werden. Für den politischen Bereich bedeutet dies, daß wirklich und nicht nur scheinbar demokratisch gewählte Volksvertreter und Entscheidungsträger nach Beratungen, die diese Bezeichnung auch tatsächlich verdienen, Beschlüsse fassen und Entscheidungen durchführen. Dies hätte unweigerlich zur Folge, daß sich die Nationen zu einem Weltbundesstaat zusammenschließen, ihre Souveränität in bestimmten Angelegenheiten, vor allem in Fragen der Verteidigung und Rüstung, an die übergeordnete globale Bundesebene abtreten — wie z. B. die Länder der Bundesrepublik an die Bundesorgane — und auf diese Weise die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen bannen. Diese Forderung, die Bahá’u’lláh vor hundert Jahren ausgesprochen hat, wird heute zunehmend von Menschen, die sich mit der Frage der Friedenssicherung befassen, als die einzige Lösung betrachtet. So sieht z.B. C.F. von Weizsäcker den Weltfrieden nur dadurch gesichert, daß, wie er sich ausdrückt, die bisherige Außenpolitik von einer Weltinnenpolitik abgelöst wird und daß nur eine einzige Institution auf der Welt das Waffenmonopol besitzt.13)

Für den kulturellen Bereich schließlich muß die neue Gesellschaftsordnung zur Folge haben, daß die freie menschliche Kommunikation weltweit, vor allem durch eine Welthilfssprache, gefördert wird: daß alle gesellschaftlichen Institutionen, die Bildungs- und Erziehungsaufgaben wahrzunehmen haben, gestärkt werden und die bestmögliche intellektuelle und Persönlichkeitsbildung jedes einzelnen sichergestellt wird — vor allem mit dem Ziel, Vorurteile gegenüber gesellschaftlichen Gruppen abzubauen, die Empfindsamkeit der Menschen für Gerechtigkeit in gesellschaftlichem Handeln und für Liebe in persönlichen Beziehungen zu kultivieren und jeden Menschen in die Lage zu versetzen, sich und seine Mitmenschen als geistige und nur deshalb gesellschaftsfähige Wesen zu erkennen.


1) Vgl. Sigmund Freud, Warum Krieg?, u.a. in: Sigmund Freud, Das Unbewußte. Schriften zur Psychoanalyse, hrsg. von Alexander Mitscherlich, Frankfurt 1963, S. 417ff
2) Vgl. hierzu auch Badi Panahi, Vorurteile und Weltfriede, in: Bahá’í-Briefe, Heft 49, Mai 1985
3) Ährenlese, Hofheim-Langenhain 31980, 34:5
4) 'Abdu’l-Bahá, An die Zentralorganisation für einen dauerhaften Frieden im Haag, Frankfurt 1968, S. 4
5) Bahá’u’lláh, zitiert in: Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Hofheim-Langenhain 1977, S. 269f
6) Shoghi Effendi, Weltordnung, S. 56 f
7) Vgl. Weltordnung, S. 71 f
8) Nosratollah Rassekh, The Bahá’í Era: The First 138 Years, in: World Order. A Bahá’í Magazine, Summer 1982, S. 28
9) Weltordnung, S. 295
10) Bahá’u’lláh, zitiert in: Weltordnung, S. 296
11) Weltordnung, S. 69
12) Weltordnung, S. 70
13) Vgl. Bergedorfer Protokolle, Bd. 18, Ist der Weltfrieden unvermeidlich? Hamburg /Berlin 1967, S. 14, 16f


[Seite 169]



Kent D. Beveridge

PROFESSOR EDWARD GRANVILLE BROWNE[Bearbeiten]

»Nie kann ich das Antlitz dessen, den ich schaute, vergessen, und doch vermag ich nicht, es zu beschreiben! Seine durchdringenden Augen schienen einem in der Seele zu lesen; Macht und Autorität lagen auf Seiner hohen Stirne... Hier bedurfte es keiner Fragen mehr, vor wem ich stand, als ich mich vor einem Manne neigte, der Gegenstand einer Verehrung und Liebe ist, um die Ihn Könige beneiden könnten und nach der Kaiser sich vergeblich sehnen... .«1)

Diese Beschreibung von Bahá’u’lláh wird jedem, der sich näher mit der Bahá’í-Religion auseinandergesetzt hat, bekannt sein. Sie entstammt der Feder von Edward Granville Browne. Im Zuge seiner Nachforschungen über die Bábí-Religion — die Vorläuferin der Bahá’í-Religion — besuchte er im Jahre 1890 ‘Akká und kam als einziger westlicher Wissenschaftler in die Gegenwart von Bahá’u’lláh.

Obwohl vor Browne schon einzelne Orientalisten, wie beispielsweise Comte de Gobineau oder Mírzá Kazem Beg, über die Bábí-Religion geschrieben hatten, waren es seine Forschungen, die diese Religion in den gebildeten Kreisen Europas um die Jahrhundertwende bekanntmachten. Mehr als jedem anderen Wissenschaftler ist es ihm zu verdanken, daß die Geschichte der Geburt und des Aufstiegs dieser Religion erforscht, festgehalten und einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurde. Schon am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn erkannte er, daß diese Religion noch größere Bedeutung erlangen werde: »Meines Erachtens steht es außer Zweifel: die Zukunft (falls der Bábísmus, wovon ich fest überzeugt bin, eine Zukunft hat) gehört Bahá’u’lláh sowie Seinen Nachfolgern und Anhängern.«2)

Es ist umso merkwürdiger, daß außer einem schmalen Band von H.M. Balyuzi3) und einem Kapitel in Moojan Momens Analyse der zeitgenössischen Veröffentlichungen über den Glauben im Westen4) sehr wenig über die Verdienste E. G. Brownes um die Bábí- und Bahá’í-Religion erschienen ist.

Bei den Forschungen für seine zahlreichen Schriften zum Thema unterliefen Browne jedoch auch einige gravierende Fehler. Sie wurden von anderen Orientalisten ungeprüft übernommen und begegnen uns noch heute in zahlreichen Artikeln und Werken über den Bahá’í-Glauben.

Da mir die Kenntnis über Verdienste und Irrtümer E.G. Brownes für eine Auseinandersetzung mit der Bahá’í-Religion wichtig erscheint, möchte ich im folgenden den Werdegang der Gedanken und der Forschungen von E.G. Browne untersuchen und erläutern, wie und in welcher Weise seine Ansichten über den Báb, die Bábís und über Bahá’u’lláh entstanden sind und sich im Laufe seiner Arbeit gewandelt haben.

Edward Granville Browne wurde am 7. September 1862 in Uley, Gloucestershire geboren. Sein Vater, Sir Benjamin Browne, war ein bekannter Ingenieur und Industrieller. Nichts in seinem [Seite 170] Familienhintergrund hätte Brownes hervorragende akademische Laufbahn oder die intensive Liebe zu Persien, die sein Leben kennzeichnen sollte, erahnen lassen.

Die Schule war keine glückliche Zeit für Browne, und seine schulischen Leistungen waren nicht besonders. In diesen Abschnitt fiel jedoch eines der bedeutendsten Ereignisse in Brownes Leben: »Es war der türkische Krieg mit Rußland in den Jahren 1877 — 78, welcher meine Aufmerksamkeit auf den Osten lenkte, auf ein Gebiet, von dem ich bis dahin nichts gewußt und mir noch weniger daraus gemacht hatte... Zuerst galt meine Zuneigung keinesfalls den Türken, aber der Verlierer hat immer einen Anspruch auf unsere Sympathie, besonders dann, wenn er weiterhin tapfer gegen die Niederlage ankämpft... Vor Kriegsende wäre ich gestorben, um die Türkei zu retten. Ich habe den Fall von Plevna betrauert, als sei er eine Niederlage gewesen, die meinem eigenen Land zugefügt wurde. Langsam wandelte sich mein Mitleid in Bewunderung, und Bewunderung wandelte sich in Begeisterung, bis die Türken zuletzt in meinen Augen wahrhafte Helden wurden. Der Wunsch, mich mit ihrer Sache zu identifizieren, mich unter ihnen niederzulassen und mich mit ihnen in der Verteidigung ihres Landes zu vereinen, nahm mein Herz und meine Seele in Besitz.«5)

So begann E.G. Brownes lebenslange Faszination für den Orient. Zu dieser Zeit sah er sein Lebensziel darin, Offizier im türkischen Heer zu werden. Um eine entsprechende Ausbildung zu erhalten, beabsichtigte er, in der britischen Armee den Rang eines Hauptmannes zu erreichen. Danach wollte er sein Offizierspatent zurückgeben und in den Dienst des Osmanischen Reiches treten. Da dieser Plan bis zu seiner Verwirklichung einige Zeit in Anspruch nehmen würde, beschloß er, mit dem zu beginnen, was sofort getan werden konnte: der Sechzehnjährige lernte zuerst allein und aus Büchern die türkische Sprache. Später traf er Leute, die ihm bei seinem Selbststudium behilflich waren. Als Browne nach der Matura zur Armee gehen wollte, erhob sein Vater Einspruch: der Sohn sollte dem Vater im Ingenieurberuf und in der Schiffsbaubranche folgen, doch konnte sich Browne für diesen Beruf nicht erwärmen. Er nahm daher den Alternativvorschlag seines Vaters, Arzt zu werden, an. 1879 begann Edward Granville Browne an der Universität Cambridge sein Medizinstudium. Trotz des schweren Studiums fand Browne Zeit, sich weiter den orientalischen Sprachen zu widmen. Da Türkisch zu jener Zeit im Vorlesungsplan Cambridges nicht angeboten wurde, fuhr Browne alle zwei Wochen nach London, um dort bei Angehörigen der türkischen Botschaft Sprachunterricht zu nehmen. Gleichzeitig fing er mit dem Studium der persischen und der arabischen Sprache auf der Universität Cambridge an. In seinem Vorwort zu »A Year Amongst the Persians«, schrieb er, daß er, obwohl er nur wenig Zeit dafür aufwenden konnte, in einem Semester mehr Arabisch gelernt habe, als Altgriechisch oder Latein in fünf Schuljahren.

Während dieser Studien machte Browne erstmals Bekanntschaft mit der Religion des Báb. Im Vorwort zu A Traveller's Narrative: schrieb er darüber: »Eines Tages vor etwa sieben Jahren suchte ich in den Büchern der Universitätsbibliothek zu Cambridge neue Unterlagen für einen Aufsatz über die Ṣúfi-Philosophie, als ich plötzlich das Buch vom Comte de Gobineau — »Religion et [Seite 171] Philosophies dans l’Asie Centrale« — sah. Ich nahm das Buch in die Hand und blätterte es durch, um zu prüfen, ob es irgendetwas über die Ṣúfi enthalte. Da diesem Thema ein kurzes Kapitel gewidmet war, nahm ich das Buch mit. Mein erster, oberflächlicher Blick zeigte mir auch, daß ein Großteil des Buches aus einer Abhandlung über den Bábismus bestand, eine Sekte, von der ich zu jener Zeit keine bestimmte Kenntnis besaß, außer daß sie äußerst schweren Verfolgungen unterworfen war.«6)

Das Kapitel über die Ṣúfi war für Browne enttäuschend. »Als ich mich von diesem traurigen Kapitel jenem Teil des Buches über die Bábí zuwandte, war die Sache ganz anders. Für jemand, der dieses Glanzstück geschichtlicher Komposition bereits gelesen hat, diese äußerst vollkommene Präsentation von sorgfältiger und kritischer Forschung in Form einer Erzählung, die die Spannung und das Interesse des Lesers ununterbrochen aufrecht hält, wie man dies in einem Drama oder Roman zu finden hofft, aber kaum von einem Geschichtsschreiber erwartet, für den ist es nicht notwendig zu beschreiben, welche Wirkung es auf mich ausübte... Ich hatte schon lange inbrünstig gewünscht, Persien, und vor allem Shíráz, zu besuchen. Jetzt wurde dieser Wunsch umso stärker. Während ich früher Shíráz sehen wollte, weil es die Heimat von Ḥáfiz und Sa’dí war, wollte ich es jetzt besuchen, weil es der Geburtsort von Mírzá ‘Alí-Muḥammad, dem Báb, war.«7)

Erst 1887, nach Abschluß seines Studiums, ergab sich die heiß ersehnte Möglichkeit zum Besuch Persiens. Browne hatte ohne Erfolg eine Arbeitsstelle im Nahen Osten gesucht, als er — für ihn völlig überraschend — zum »Fellow of Pembroke College« in Cambridge gewählt wurde, einer mit der Dozentur vergleichbaren Stellung.

Während seines Studiums hatte Browne nicht nur das Staatsexamen in Medizin, sondern auch die in den sogenannten »Indischen Sprachen« — Persisch, Arabisch und Hindustani — mit Auszeichnung bestanden. E. G. Browne konnte sein College dafür gewinnen, ihn zur Vorbereitung auf seinen neuen Posten als Dozent für Persisch für eine ausgedehnte Reise in Persien freizustellen und sogar finanziell dabei zu unterstützen.

Am 23. Oktober 1887 betrat Edward Granville Browne zum ersten Mal persischen Boden. Seine Eindrücke hielt er in einem Buch, »A Year Amongst the Persians«, fest, welches mit Recht zu den Klassikern unter den Reisebüchern zählt.

Seine Reise führte Browne über Tabríz, wo er die Hinrichtungsstätte des Báb besuchte, nach Ṭihrán und Iṣfáhán. Einer der Hauptzwecke seiner Reise war es, Kontakt mit den Anhängern des Báb aufzunehmen. Dieses Vorhaben schien jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da es im Persien jener Zeit lebensgefährlich war, auch nur als »Bábí« bezeichnet zu werden. Umso überraschter war Browne, als ihm plötzlich in Iṣfáhán ein »Dallál« — ein Straßenverkäufer — ins Ohr flüsterte, »Ich bin ein Bábí.«8) Durch den Dallál kam er mit denjenigen zusammen, die er Bábí nannte, die aber zu jener Zeit bereits Anhänger von Bahá’u’lláh — also Bahá’í — waren.

Einer der Bahá’í, die Browne in Iṣfáhán kennenlernte, war Ḥájí Mírzá Ḥaydar-‘Alí. Dieser gab Browne die Namen von weiteren Bahá’í in Shíráz und ’Abádih und kündigte dort dessen Kommen an. Die Gelegenheit zu eingehenden Diskussionen über Geschichte und Theologie der Bábí- und Bahá’í-Religion ergab sich erst in Shíráz. Hier [Seite 172] traf Browne ‘Alí-Muḥammad Khán, den späteren Vater von Hand der Sache Gottes Ḥasan Balyuzi, wieder. Browne hatte ihn schon früher während des gemeinsamen Dienstes im St. Bartholomew’s Hospital zu London kennengelernt, wußte aber nicht, daß er Bahá’í war. Durch ‘Alí-Muḥammad Khán, einen Afnán — d.h. ein Verwandter des Báb — wurde Browne mit weiteren Verwandten des Báb in Shíráz und Yazd bekannt.

Drei Wochen lang weilte Browne in Shíráz. Sein Aufenthalt mußte vor dem geplanten Besuch im Hause des Báb vorzeitig abgebrochen werden, da eine Europäerin auf der Durchreise in einer Karawanserei 200 km nördlich von Shíráz plötzlich schwer erkrankte und Browne zur Hilfe gerufen wurde. Es ist bezeichnend für die in Persien zu jener Zeit herrschenden Bedingungen, daß die Reise, obwohl in höchster Eile durchgeführt, fast drei Tage dauerte.

Nach Genesung seiner Patientin wollte Browne über Yazd und Kirmán nach Shíráz zurückkehren. In Yazd blieb er etwa drei Wochen, um seinen Forschungen, sowohl über die Religion der »Bábí« als auch über die der Zoroastrier, nachzugehen. Wie in Shíráz gab es auch hier längere Diskussionen mit den ortsansässigen Bahá’í. Von Yazd reiste Browne nach Kirmán, wo er nur kurze Zeit bleiben wollte. Hier bekam er jedoch eine schmerzhafte Augeninfektion, die er mit Opium behandelte. Die durch die Behandlungsmethode bedingte Trägheit hatte die Verlängerung seines Aufenthalts auf über drei Monate zur Folge. Bei seinen dennoch fortgesetzten Bemühungen, mit »Bábí« in Kontakt zu kommen, traf Browne hier Personen, die in ihren Ansichten seltsam und in ihrem Benehmen unberechenbar waren. In Kirmán lernte er zum ersten Mal Azalí — Anhänger von Mírzá Yaḥyá, auch Ṣubḥ-i-Azal genannt — kennen, was sich als Anfang einer verhängnisvollen Verbindung erweisen sollte. Darüber hinaus begegnete er Bábí, die sowohl Ṣubḥ-i-Azal als auch Bahá’u’lláh ablehnten, und Bahá’í, die den verschiedensten eigenartigen Fantasien nachhingen. Die Eindrücke, die Browne während dieses Aufenthaltes gewann, kehrten in seinen späteren Werken immer wieder.

Ein Telegramm aus Cambridge riß Browne schließlich aus der Lethargie, der er in Kirmán verfallen war: er solle zum Semesterbeginn im Oktober wieder in Cambridge sein. Dadurch war er gezwungen, seinen Plan, noch einmal nach Shíráz und anschließend nach 'Akká zu fahren, endgültig aufzugeben. Er reiste über Ṭihrán, das Kaspische Meer und Rußland wieder nach England, wo er — nach etwas mehr als einem Jahr — am 10. Oktober 1888 eintraf. Bei seinem zweiten Aufenthalt in Ṭihrán traf er Bahá’í, von denen er selbst bemerkte: »Sie luden mich zum Mittagessen ein... Ich war sehr durch ihr würdevolles Benehmen, so verschieden von der anarchischen Freiheit der Bábí in Kirmán, beeindruckt.«9)

Sofort nach seiner Rückkehr begann Browne, die Bábí- und Bahá’í-Manuskripte, die er in Persien erworben hatte — das »Kitáb-i-Íqán«, das »Kitáb-i-Aqdas«, die »Táríkh-i-Jadíd« und den ›Persischen Bayán< — sowie seine umfangreichen Notizen zu überarbeiten. Im Jahre 1889, kurz nach seiner Wahl in die Royal Asiatic Society, erschien Brownes erster Artikel über die »Bábí«-Religion: der erste Teil behandelte ihre Geschichte und seine »persönlichen Erfahrungen« in der Gemeinde in Persien; der zweite beschäftigte sich mit ihren Lehren und ihrem Schrifttum.10) An den Anfang des Artikels stellte Browne jene [Seite 173] Gründe, die ihn zu dessen Abfassung bewogen hatten: er wollte die Aufmerksamkeit auf eine religiöse Gemeinde lenken, die in seinen Worten »eines der bemerkenswertesten Phänomene dieses Jahrhunderts zu sein scheint«11). Browne drückte auch seine Überzeugung aus, daß es dem Bábísmus (wie er den Glauben nennt) vorherbestimmt zu sein scheine, ein dauerhaftes Zeichen in der Welt zu setzen.12)

In diesem Artikel gibt Browne eine Feststellung wieder, die er den Werken de Gobineaus entnommen hatte, und zwar, daß nach der Hinrichtung des Báb Ṣubḥ-i-Azal, der Halbbruder von Bahá’u’lláh, das Oberhaupt der Bábí-Gemeinde war. Demzufolge stellte Browne nun die These auf, daß Bahá’u’lláh während Seines Aufenthaltes in Baghdad die Geschicke der Babí-Gemeinde im Namen und auf Geheiß von Ṣubḥ-i-Azal gelenkt habe. Als Beweis für diese These führte Browne jene Stelle im »Kitáb-i-Íqán« an, wo Bahá’u’lláh in bezug auf Seinen Aufenthalt in Sulaymáníyyíh schrieb: »... bis zu der Stunde, da aus der mystischen Quelle der Ruf an Uns erging, der Uns die Rückkehr befahl, dorthin, woher Wir gekommen waren. Wir ergaben Unseren Willen dem Seinigen und unterwarfen Uns Seinem Geheiß.«13) Diese „mystische Quelle« war für Browne niemand anderer als Ṣubḥ-i-Azal.14)

Gleichzeitig erkannte er allerdings, daß zu jener Zeit in den Augen der Feinde der Bábí-Gemeinde Bahá’u’lláh »der Anführer der Sekte« war, und daß ihre Aktivitäten daher hauptsächlich gegen Ihn gerichtet waren.15) Für die Zeit nach der Erklärung Bahá’u’lláhs, der vom Báb verheißene Gottesoffenbarer zu sein, bestätigt Browne selbst, daß »fast alle Bábí Bahá’í sind«16), und daß die Azalí sehr gering an Zahl sind: »Unter den vielen Bábí, die ich in Persien kennenlernte, traf ich nur sechs Azalí.«17) In diesem Artikel brachte Browne weiters seine Ansicht zum Ausdruck, daß Bahá’u’lláh, sofern tatsächlich der vom Báb verheißene Man-Yuẓ-hiruhu’lláh — »Er, den Gott offenbaren wird« —, auch berechtigt sei, Ṣubḥ-i-Azal als Führer der Gemeinde abzulösen. In späteren Werken änderte Browne jedoch seine Einschätzung dieses Verhältnisses und verteidigte den Führungsanspruch Ṣubḥ-i-Azals.

Im ersten Teil des Artikels schrieb Browne, daß, seinen Informationen zufolge, Ṣubḥ-i-Azal bereits verstorben sei. Daraufhin erhielt er Leserzuschriften, daß dieser noch auf Zypern lebe. In seinem Drang, mehr vom Báb und Seinen Anhängern zu erfahren, schrieb Browne sofort an die englischen Konsuln auf Zypern, sie möchten versuchen, Kontakt mit Ṣubḥ-i-Azal aufzunehmen. In der Folge kam es durch deren Vermittlung tatsächlich zu einer Verbindung von E.G. Browne mit Ṣubḥ-i-Azal, die einen wesentlichen Einfluß auf das spätere Schaffen von Browne hatte. Unter anderem übersandte Ṣubḥ-i-Azal Browne eine Kopie jenes Dokumentes, von dem er behauptete, es enthalte seine Ernennung zum Nachfolger des Báb. Dieses Dokument druckte Browne, zusammen mit einer Übersetzung, als Anhang zum zweiten Teil seines Artikels im Journal of the Royal Asiatic Society ab.

Ein zweiter und vielleicht sogar noch wichtigerer Grund der Änderung in Brownes Ansichten über die Rechtmäßigkeit der einander widersprechenden Ansprüche von Bahá’u’lláh und Seinem Halbbruder war die Korrespondenz mit [Seite 174] Shaykh Aḥmad-i-Rúhi, die mit dessen unerwartetem Brief, datiert 7. Oktober 1890, begann. Allen Berichten zufolge war Shaykh Aḥmad-i-Rúhi ein äußerst intelligenter und gelehrter Mann. Beispielsweise war er der Übersetzer von Moriers ›The Adventures of Hajji Baba of Isphahan‹ ins Persische. Er war Schwiegersohn von Ṣubḥ-i-Azal und einer seiner führenden Anhänger. Als unverhohlener Gegner von Bahá’u’lláh ließ er gleichzeitig keine Gelegenheit ungenützt, dessen Namen zu beschmutzen.

In seinem ersten Brief schrieb Shaykh Aḥmad-i-Rúhi, daß er aus Persien und Zypern gehört habe, Browne interessiere sich für die Babí-Religion. Er schreibe ihm daher, um vor gewissen Heuchlern (gemeint sind die Bahá’í) zu warnen und um ihm das Manuskript einer Geschichte des Glaubens — ›Hasht Bihisht‹ — zum Kauf anzubieten. Obwohl angeblich von Ḥájí Javád-i-Karbilá'í, einem der ersten Anhänger des Báb verfaßt, wurde ›Hasht Bihisht‹ wahrscheinlich von Shaykh Aḥmad-i-Rúhi selbst geschrieben und stellt im wesentlichen eine Rechtfertigungs- und Verteidigungsschrift für Ṣubḥ-i-Azal.18)

Im Bestreben, mehr aus erster Hand über den Báb zu erfahren, führte Brownes nächste Reise in den Nahen Osten nach Zypern und nach ‘Akká, um Ṣubḥ-i-Azal und Bahá’u’lláh persönlich zu treffen.

Am 19. März 1890 landete Browne in Zypern. Zwei Wochen lang besuchte er täglich Ṣubḥ-i-Azal. Wie er selbst schrieb: »Heft und Bleistift in der Hand, saß ich Tag für Tag vor ihm; und jeden Abend kehrte ich mit einem reichen Schatz an neuen Daten wieder (in meine Unterkunft) zurück.«19) Wie er selbst in seiner Einleitung schrieb, verwendete Browne diese Daten dann dazu, das Manuskript von >A Traveller's Narrative‹ bei der Übersetzung zu kontrollieren bzw. zu ergänzen.20)

Am 5. April schiffte sich Browne zu seiner Weiterreise nach Beirut ein. Von Beirut aus reiste er über Land nach 'Akká, wo er fünf Tage als Gast im Landhaus zu Bahjí verbrachte. »Hier in Bahjí wurde ich als Gast einquartiert, mitten in alldem, was für den Bábismus als Edelstes und Heiligstes zählt. Hier habe ich fünf denkwürdige Tage verbracht, an denen ich mich der unvergleichlichen und nie erhofften Gelegenheit erfreute, Gemeinschaft zu pflegen mit denen, welche die Quellen für jenen mächtigen und wundersamen Geist sind, der unsichtbar, aber mehr und mehr an der Wandlung und Neubelebung eines in totenähnlichen Schlaf gesunkenen Volkes wirkt. Es war wirklich ein seltsames und ergreifendes Erlebnis, von dem ich jedoch nur einen ganz schwachen Eindruck wiederzugeben vermag. Ich könnte mich tatsächlich bemühen, die Formen und Gestalten, die mich umgaben, die feierlichen, melodiösen Lesungen der Heiligen Schriften, das allgemeine Gefühl der Harmonie und Zufriedenheit, das den Ort durchdrang, und die duftenden, schattigen Gärten, wohin wir uns manchmal am Nachmittag zurückzogen, genauer zu beschreiben. Aber dies wäre wie ein Nichts im Vergleich zu der geistigen Atmosphäre, von der ich umgeben war.«21)

In Bahjí lernte Browne auch ‘Abdu’l-Bahá, den ältesten Sohn Bahá’u’lláhs kennen: »Selten habe ich jemanden gesehen, dessen Erscheinung mich mehr beeindruckte. Ein großer, kräftig gebauter Mann, der sich pfeilgerade hält, mit weißem Turban und weißer Kleidung,



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THE PATH TO THE SHRINE

BAHJÍ


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langen schwarzen Locken, die fast bis auf die Schulter fallen, breiter, mächtiger Stirn, die von hoher Intelligenz verbunden mit einem standhaften Willen zeugt, Augen, scharf wie die Augen eines Adlers und strenggezeichneten aber angenehmen Gesichtszügen — so war mein erster Eindruck von Abbás Effendi, ›dem Meister‹ (Áqá), wie er von den Bábí treffend genannt wird ... Ich glaube kaum, daß irgendjemand, sogar unter der beredsamen, schlagfertigen und scharfsinnigen Rasse, der Er angehört, zu finden sein wird, der beredsamer im Vortrag, schlagfertiger im Argumentieren, geschickter im Erläutern, mehr vertraut mit den Heiligen Büchern der Juden, Christen und Mohammedaner ist als Er. Diese Eigenschaften, verbunden mit einer majestätischen und genialen Haltung, hatten zur Folge, daß ich nicht mehr über Einfluß und Achtung, die Er sogar weit über den Kreis der Anhänger Seines Vaters hinaus genießt, erstaunt war. Niemand, der Ihn gesehen hatte, konnte die Größe und Macht dieses Mannes bezweifeln.«22)

In Bahjí wurden Browne auch einige Manuskripte überreicht, darunter eine Kopie des ›Kitáb-i-Íqán< und eine von ›A Traveller's Narrative‹, beide in der Handschrift von Zaynu’l-Muqarrabín. Nachdem E.G. Browne am 1. Mai 1890 wieder nach Cambridge zurückgekehrt war, begann er sofort mit der Übersetzung von ›A Traveller's Narrative‹, ohne zu jener Zeit zu wissen, daß der Verfasser ‘Abdu’l-Bahá war.

›A Travellers Narrative Written to Illustrate the Episode of the Báb‹ ist eine Geschichte der Religionen des Báb und Bahá’u’lláhs aus der Sicht eines Anhängers von Bahá’u’lláh. Browne versah seine Übersetzung mit zahlreichen Fußnoten und Anhängen aus dem Material, das er während seiner Reise gesammelt hatte, und die über die Hälfte des Buchinhaltes ausmachen, sowie mit einer langen und sehr wichtigen Einleitung. Die vorhergehenden Zitate sowie die Beschreibung Bahá’u’lláhs am Anfang dieses Artikels stammen alle aus dieser Einleitung. Die Feststellung, daß die Zukunft der »Bábí«-Religion bei Bahá’u’lláh sowie Seinen Nachfolgern und Anhängern liegt, zeigt, welchen Eindruck Bahá’u’lláh auf Browne gemacht hatte.

Im angesehenen Oxford Magazine erschien am 25. Mai 1892 eine Rezension des kurz zuvor erschienenen ›A Traveller's Narrative‹, die das Buch, und vor allem die Einleitung von Browne, »einer persönlichen Einstellung, fast unvorstellbar für einen rationalen Europäer, und eines für einen Universitätsdozenten unverzeihlichen Stils«23) bezichtigt. Der schlecht informierte und überhebliche Kritiker, der Browne persönlich bekannt war, äußerte die Meinung, daß »die Geschichte einer jungen Sekte, die den Teil der moslemischen Welt, der am wenigsten Bedeutung hat, beeinflußte (und jenen Teil nicht sehr tief), und die auf einen persönlichen Anspruch, der der geringsten Untersuchung nicht standhält, gegründet ist, ... der Gelehrsamkeit und Arbeit, die der Autor angewandt hat, gänzlich unwürdig«24) sei. Die Übersetzung von ›A Traveller's Narrative‹ sei »eine Vergeudung der Kräfte und Möglichkeiten eines Wissenschaftlers der persischen Sprache«25). Diese scharfe und ungerechtfertigte Kritik traf Browne sehr tief. Nichtsdestotrotz erschienen im gleichen Jahr zwei weitere Aufsätze von Edward Granville Browne im Journal of the Royal Asiatic Society: ›Some Remarks on the Bábí Texts edited by Baron Victor Rosen in Vols. I and [Seite 177] VI of the Collections Scientifiques de l'Institut de Langues Orientales de Saint-Pétersbourg‹26) und ›Catalogue and Description of 27 Babí Manuscripts‹27), sowie der Artikel »Bábísmus« in ›Religious Systems of the World‹,28) welchen Moojan Momen als »vielleicht Brownes beste Zusammenfassung der Bábí- und Bahá’í-Religion« bezeichnet.29)

Während dieser Zeit führte Browne neben seiner Korrespondenz mit Ṣubḥ-i-Azal, Shaykh Aḥmad-i-Rúhi und anderen, die er während seines Persienaufenthaltes kennengelernt hatte, auch umfangreiche Korrespondenz mit anderen Orientalisten jener Zeit, wie beispielsweise mit V. Rosen und B. Dorn in Rußland, A.L.M. Nicolas und Cl. Huart in Frankreich, Th. Nöldeke, F. Andreas und Fr. Rosen in Deutschland und anderen mehr. Sie tauschten Manuskripte, Übersetzungen und Meinungen betreffend den Báb, Seine Lehren und Seine Anhänger und Nachfolger aus. Auch auf diese Weise trug Browne sehr maßgeblich zur positiven Meinungsbildung in den akademischen Kreisen Europas bei. Schon im darauffolgenden Jahr erschien das nächste Buch von E.G. Browne: das bereits erwähnte ›A Year Amongst the Persians: Impressions as to the Life, Character and Thought of the People of Persia‹. Neben seinen Qualitäten als Reisebuch vermittelt dieses Buch auch einen lebhaften Eindruck der Bahá’í-Gemeinde in Persien zu jener Zeit.

Im gleichen Jahr — 1893 — erschien ferner ›Tárikh-i-Jadíd or the New History of Mírzá ‘Alí-Muḥammad, The Báb‹, die Übersetzung einer Geschichte des Glaubens, die Browne in Shíráz geschenkt worden war. ›Tárikh-i-Jadíd‹ ist die Überarbeitung eines früheren, unvollendeten Geschichtswerks über die Bábí-Religion. Laut einer Aussage von Mírzá 'Abu'l-Faḍl, dem hervorragendsten Bahá’í-Gelehrten, wurde ›Tárikh-i-Jadíd‹ um 1880 von Mírzá Ḥusayn-i-Hamadání verfaßt. Faḍl stellte fest, daß das Werk schon zu Lebzeiten des Verfassers durch fehlerhafte Übertragung verfälscht wurde. Browne selbst schrieb, ihm sei bei der Übergabe des Manuskripts gesagt worden, daß diese Geschichte nicht sehr gut sei. Das Werk war seinerzeit nach ‘Akká gesandt worden. Da Bahá’u’lláh aber damit nicht zufrieden war, ordnete Er an, daß ein neues Werk geschrieben werden solle. Dieses Werk war dann ›A Traveller’s Narrative‹.30)

Wie bei seiner Übersetzung von ›A Traveller's Narrative‹ versah Browne auch ›Tárikh-i-Jadíd‹ mit zahlreichen Fußnoten und Anhängen sowie mit einer langen Einleitung. In dieser Einleitung kommen seine nun geänderten Ansichten klar zum Ausdruck. Beispielsweise verglich er ›A Traveller's Narrative‹  von ‘Abdu’l-Bahá mit dem Werk eines Hofgeschichtsschreibers und schrieb, daß jenes Buch den Zweck habe, »die sehr legitimen Ansprüche von Mírzá Yaḥyá herabzusetzen und (seinen) vollkommen makellosen Charakter.... in Verruf zu bringen«31). Einige Seiten später beschrieb er Ṣubḥ-i-Azal als »eine friedliebende, nachdenkliche, sanfte Seele, die gänzlich dem Gedenken des geliebten Meisters ergeben ist, die sich nichts aus Autorität macht und der Selbstbehauptung unfähig ist«32).

Während Seines Aufenthaltes in Adrianopel wandte sich Bahá’u’lláh im März 1866 in Seinem Sendschreiben [Seite 178] ›Súriy-i-Amr< an Ṣubḥ-i-Azal, als den vom Báb ernannten und bisher anerkannten Führer der Bábí-Gemeinde,33) und unterrichtete ihn formell von Seiner Offenbarung als der vom Báb verheißene Man-Yuẓhiruhu’lláh. In diesem Tablet brachte Bahá’u’lláh Seine Ansprüche und das Wesen Seiner Sendung klar zum Ausdruck. Die Antwort Ṣubḥ-i-Azals auf dieses Sendschreiben war eine Gegenerklärung, in der er nun seinerseits behauptete, Empfänger einer göttlichen Offenbarung zu sein, wonach alle Völker der Welt ihm zu folgen und seiner Person Respekt und Huldigung darzubringen hätten. Zu einer vereinbarten öffentlichen Begegnung mit Bahá’u’lláh, bei der sich die Wahrheit über die konkurrierenden Erklärungen erweisen sollte, erschien Ṣubḥ-i-Azal jedoch nicht. In der Folge erwies sich der offene und endgültige Bruch zwischen Bahá’u’lláh und Ṣubḥ-i-Azal sowie zwischen deren Anhängern als unausweichlich, wobei der überwältigende Anteil der Gemeinde die Rechtmäßigkeit der Offenbarung von Bahá’u’lláh anerkannte.

Über diese Episode schrieb Browne in der Einleitung zu ›Tárikh-i-Jadíd‹: »Zuerst hielten nicht wenige prominente Bábí, darunter sogar einige Buchstaben des Lebendigen (die ersten achtzehn Gläubigen des Báb) und persönliche Freunde des Báb, treu zu Ṣubḥ-i-Azal. Aber nach und nach verschwanden sie, die meisten, was, wie ich fürchte, nicht angezweifelt werden kann, durch Mord seitens übereifriger Bahá’í.«35) Browne hatte die Behauptungen und Verleumdungen der Azalí widerspruchslos übernommen.

Nach dem Erscheinen von ›Tárikh-i-Jadíd‹ galten die Interessen von Edward Granville Browne nicht mehr hauptsächlich der Bábí-Religion. Der Grund hierfür scheint das sogar bis zur Ablehnung reichende Unverständnis zu sein, auf das Brownes bisherige Arbeit unter seinen Freunden und Kollegen in den britischen Universitätskreisen gestoßen war und für das die Rezension im Oxford Magazine nur ein, wenn auch das schärfste, Beispiel ist.

In den Jahren 1902—1924 erschien Brownes ›A Literary History of Persia‹ in vier Bänden. Dieses Werk wird heute noch mit Recht als das Nachschlagewerk über persische Literatur betrachtet. Es wurde in jahrelanger, mühseliger Arbeit verfaßt. Im vierten Band befinden sich Übersetzungen einiger Verse von Qurratu’l-‘Ayn — die erste weibliche Anhängerin des Báb und eine der Buchstaben des Lebendigen —, sowie ein Gedicht von Na’ím.36)

In den nächsten Jahren erschienen nur vereinzelte Arbeiten von E.G. Browne über die Bábí-Religion: ›Personal Reminiscences of the Bábí Insurrection at Zanjan in 1850‹ im Journal of the Royal Asiatic Society, 1897,37) die Einleitung zu ›‘Abbas Effendi: His Life and Teachings‹ von M.H. Phelps, 1903;38) »Báb, Bábís,« in ›Hastings’ Encyclopædia of Religion and Ethics‹, 1909;39) und »Bábism,« in ›Encyclopædia Britannica‹, 1910.40)

1910 erschien Brownes nächste Übersetzung eines Bábí-Manuskriptes in Buchform: ›Kitáb-i-Nuqṭatu’l-Káf‹.41) Der Untertitel, mit dem Browne seine [Seite 179] Übersetzung versah, zeigt die Bedeutung, die er ihr beimaß, deutlich: »die früheste Geschichte der Bábí, verfaßt von Ḥájí Mírzá Jání von Káshán zwischen 1850 und 1852.« Ḥájí Mírzá Jání war jener Kaufmann, bei dem sich der Báb während Seiner Reise nach Máh-Kú drei Tage lang aufhielt. Nach diesem Besuch begann Mírzá Jání eine Geschichte der Bábí-Gemeinde zu schreiben, die wegen seines Märtyrertodes 1852 nie vollendet wurde. Während seines Aufenthaltes in Persien hatte de Gobineau ein Manuskript erworben, das angeblich diese unvollendete Geschichte war. Nach seinem Tode kam diese Handschrift zur Pariser Bibliotheque Nationale, wo Browne sie später entdeckte. Nach der Lektüre dieses Manuskriptes bezeichnete es Mírzá ‘Abu’l-Faḍl als Fälschung.42) Trotzdem hielt Browne dieses Werk für so wesentlich, weil es seiner Meinung nach unmittelbar zur Zeit der Anfänge der Bábí-Religion verfaßt wurde, wohingegen er glaubte, daß die später verfaßten ›A Travellers Narrative‹ und ›Tárikh-i-Jadíd‹ die Geschichte verfälschten, um Bahá’u’lláh und Seine Sache in möglichst gutem Lichte darzustellen. ›Nuqṭatu’l-Káf‹ hat zwei Einleitungen: eine in persischer und eine in englischer Sprache. Beide sollen von E.G. Browne stammen. Da aber die beiden Einleitungen nicht identisch sind — sie weisen sogar stellenweise Widersprüche auf —, kann angenommen werden, daß die persische Einleitung (und vielleicht auch die Überarbeitung des gesamten Buches) von einem anderen stammt.43) Der Inhalt der von Browne verfaßten englischen Einleitung stellt eine Steigerung der Vorwürfe aus der Einleitung von ›Tárikh-i-Jadíd‹ dar.

1906 hatte Muẓaffari’d-Dín Sháh aufgrund starken Druckes seitens weiter Teile der Bevölkerung eine Verfassung unterschrieben und ein Parlament ins Leben gerufen. E.G. Browne war sofort Feuer und Flamme für diese Sache und verbrachte von da an den Großteil seiner Zeit mit der aktiven Unterstützung der Verfassungspartei, welche die Erneuerung Persiens anstrebte. Nach der Gegenrevolution, die zum Sturz der Verfassungspartei, zur Wiedereinführung des Absolutismus und schließlich zur Aufteilung Persiens zwischen Rußland und Großbritannien führte, organisierte Browne das Persia Committee, um die Anliegen der Verfassungsanhänger zu fördern und zu verteidigen. In dieser Sache schrieb er fünf Bücher und zahlreiche Presseartikel, hielt unzählige Vorträge und ähnliches mehr. »Browne war der beste Freund und der mächtigste Bundesgenosse, den die Perser jemals gefunden haben. Er bewährte sich als Freund des ganzen Landes und als Freund jedes einzelnen. Jeder gebildete Perser kennt seinen Namen und zollt ihm Dank und Verehrung.«44)

[Seite 180] Trotzdem vergaß Browne die Bahá’í nicht ganz: in einem Anhang zu seinem Buch ›The Persian Revolution of 1905—1909‹45) behandelte er »die Einstellung der Bahá’í zur persischen Politik«46).

Das letzte Buch, welches Browne der Bábí- und Bahá’í-Religion widmete, heißt ›Materials for the Study of the Bábí-Religion‹,47) obwohl sich 90% des Inhaltes auf die Bahá’í-Religion bezieht. Zwei Aufsätze nehmen mehr als die Hälfte des Buchumfanges in Anspruch: ›Die Geschichte der Bábí und Bahá’í bis 1898 von Mírzá Muḥammad Javád-i-Qazvíní‹ — einer jener, die nach dem Hinscheiden Bahá’u’lláhs Sein Bündnis bezüglich Seines Nachfolgers ‘Abdu’l-Bahá gebrochen hatten, und ›Ibráhím George Khayru’lláh and the Bahá’í Propaganda in America«, in dem dessen Lehrmethoden in einer Art und Weise präsentiert wurden, die diese nur lächerlich erscheinen lassen konnten.

Obwohl Browne wußte, daß ‘Abdu’l-Bahá schriftlich zum Nachfolger Bahá’u’lláhs und zum Mittelpunkt Seines Bündnisses ernannt worden war, obwohl er jahrelang mit ‘Abdu’l-Bahá korrespondiert hatte und obwohl er bei zwei Gelegenheiten mehrere Male sich mit ‘Abdu’l-Bahá persönlich unterhalten hatte, zog er es vor, einen so großen Teil dieses letzten Buches den Widersachern von ‘Abdu’l-Bahá zu widmen. Dabei ließ er ‘Abdu’l-Bahás ausgedehnte Reisen in den Westen und die positiven Reaktionen, die diese Reisen hervorriefen, völlig unerwähnt.

Im selben Buch erschien übrigens auch die erste Wiederveröffentlichung des Briefes des österreichischen Hauptmannes Alfred de Gumoens, in dem er im Jahre 1852 die Verfolgung der Bábí in Ṭihrán so bildlich beschrieb. Von dieser Quelle übernahm Shoghi Effendi den Brief für »God Passes By«.48)

Ende 1924, kurz nach dem Erscheinen des letzten Bandes seiner »Literary History of Persia«, erlitt Edward Granville Browne einen Herzinfarkt. Acht Monate lang wurde er liebevoll von seiner Frau betreut, bis sie plötzlich im Juni 1925 verstarb. Browne erholte sich nicht mehr von diesem schweren Schlag und starb am 5. Januar 1926 in Cambridge. Balyuzi schreibt dazu: »So endet die Karriere jenes hervorragenden Orientalisten, der seinesgleichen in bezug auf seine Kenntnisse von Persien und der persischen Sprache sucht, ein Mann von großem Charme und großem Wissen, ein fähiger und begabter Schreiber, der sowohl ausgezeichnete Gedichte als auch ausgezeichnete Prosa hervorbrachte.«49)

Was aber hat zum Wandel von Brownes Ansichten über Bahá’u’lláh und Seine Anhänger von jenen positiven Äußerungen in der Einleitung zu ›A Traveller's Narrative‹ hin zu jenen zynischen, fast feindseligen Bemerkungen in ›Kitäb-i-Nugtatu’l-Käf‹ und ›Materials for the Study of the Bábí Religion‹ und zu seiner offenen Verfechtung der Ansprüche Mírzá Yaḥyás geführt?

Es war zuerst die Türkei, dann Persien und schließlich der Báb, welche das Objekt des jugendlichen Enthusiasmus — man könnte fast sagen der Schwärmerei — von Edward Granville Browne waren. In den Leiden des jungen Báb sah Browne eine Wiederholung der Passion Christi. Was für ein Schock mußte es für ihn gewesen sein, daß die überwältigende Mehrzahl der überlebenden »Bábí«, die er in Persien kennengelernt und von denen er erwartet hatte, daß sie [Seite 181] seine Gefühle teilten, an Bahá’u’lláh als den vom Báb Verheißenen, den Gott offenbaren wird, glaubte. Dadurch hatten sie seiner Meinung nach den Báb auf die Stufe eines reinen Vorläufers herabgesetzt, während die Azalí Seine ursprüngliche Bedeutung weiterhin hochhielten.

Zweitens wurde Browne in der Anglikanischen Kirche erzogen. Für ihn war daher Jesus Christus der größte aller Propheten, weil Er der Sohn Gottes war. Bahá’u’lláhs Lehre von der fortschreitenden Gottesoffenbarung, wonach alle Offenbarer einschließlich Christus auf derselben erhabenen Stufe stehen, hat Browne nicht verkraftet, wie die zahlreichen Diskussionen, die in »A Year Amongst the Persians« wiedergegeben worden sind, zeigen.

Ferner war es für Browne, der Persien so liebte, der innigste Wunsch, dessen Renaissance durch die Einführung demokratischer Reformen herbeigeführt zu sehen, und er meinte, daß jeder rechtdenkende Perser an dieser Sache mitarbeiten müßte. Das Bahá’í-Prinzip der Nicht-Einmischung in die Tagespolitik erregte daher seinen Unmut: »Bahá’ísmus ist meines Erachtens«, schrieb er in seiner Einleitung zum »Nuqṭatu’l-Káf«, »zu weltgerichtet in seinen Zielen, um große Dienste bei der Wiedererweckung des nationalen Geistes von Persien zu leisten. »Es rühme sich nicht der, welcher sein Vaterland liebt«, sagt Bahá’u’lláh, »sondern der, welcher die Welt liebt«. Dies ist eine feine Haltung, aber zur Zeit sind es Männer, die ihr Vaterland über alles lieben, die Persien braucht.«50)

Ein weiterer Grund, der wahrscheinlich mitwirkte, war die Tatsache, daß es sich — damals wie heute — nicht ziemte, wenn sich ein Forscher für sein Thema begeisterte. Man bewundert nicht, man berichtet. Dies war nicht nur der Hauptangriffspunkt des früher erwähnten Kritikers des Oxford Magazines gegen Browne, selbst seine Freunde, wie Dennison Ross, haben diesbezüglich auf ihn eingewirkt. Diese Aktionen hatten sicherlich ihre Wirkung, wie auch Atkins in seinem Artikel über Browne bemerkte: Browne »würde in Pembroke, außer im Kreis seiner engsten Freunde, nicht über Bábísmus reden.«51) Wahrscheinlich führte Browne deshalb die Kollokation und Annotation des persischen Bayán, von der er bereits 1892 im Journal of the Royal Asiatic Society berichtete, nie zu Ende.

Als weitere Ursachen für Brownes Meinungsänderung zugunsten der Azalí führt Momen in seinem Kapitel über dessen Werke folgendes an:

— die Tatsache, daß Brownes erster Kontakt mit der Bábí-Religion ›Religion et Philosophie dans l’Asie Centrale‹ war, in dem de Gobineau sehr lobend über Ṣubḥ-i-Azal schrieb. Umso größer war Brownes Überraschung, als er während seines Aufenthaltes in Persien feststellen mußte, daß eine Änderung in der »Bábí«-Gemeinde stattgefunden hatte und der Person von Ṣubḥ-i-Azal keine große Bedeutung mehr beigemessen wurde;

— die Tatsache, daß die Tendenz der Engländer, sich mit dem Verlierer, dem »underdog« zu identifizieren, sich in E.G. Browne par excellence manifestiert hatte. Dies zeigt auch das oben angeführte Zitat über den Türkisch-Russischen Krieg. Als die Bahá’í-Gemeinde sich weiterentwickelte, waren die Azalí sowohl zahlenmäßig als auch im Hinblick auf ihre Entwicklung und Verbreitung deutlich unterlegen;

— die Einstellungen und Handlungen einzelner Bahá’í selbst. Browne erwähnte immer wieder seine Erfahrungen mit [Seite 182] den eigenartigen, wein-trinkenden und opium-rauchenden Bahá’í von Kirmán.52)

Man muß die Fehler und die Mißverständnisse, die in Brownes umfangreichen Arbeiten über die Bábí- und Bahá’í-Religion vorkommen, kennen, um sie besser entkräften zu können, wenn sie, was allzuoft geschieht, von zeitgenössischen Autoren unkontrolliert übernommen werden. Trotzalledem können und sollen die Verdienste von Edward Granville Browne um die Bábí- und Bahá’í-Religion nicht geschmälert werden.

Kein westlicher Gelehrter hat sich so viel wie E.G. Browne um die Erforschung und Erhaltung der Geschichte dieser Religionen für kommende Generationen bemüht. Das klassische Werk von Comte de Gobineau war unbeachtet, als Browne mit Eifer und Bewunderung vom jungen »Bábí«-Glauben zu schreiben begann. Viele Menschen im englischen Sprachraum wurden erstmals durch die Schriften von E.G. Browne mit der spannenden Geschichte jenes Glaubens bekannt. Die Bahá’í sind Edward Granville Browne ohne Zweifel zu großem Dank verpflichtet. Er hinterließ der Nachwelt die einzige Beschreibung von Bahá’u’lláh, majestätisch und ehrfürchtig. Er schrieb einen gerechten und edlen Nachruf für ‘Abdu’l-Bahá im Journal of the Royal Asiatic Society.53) Trotz einiger irriger Ansichten ist sein Ruhm verdient und bleibend.

Die Wichtigkeit von Edward Granville Brownes Besuch in ‘Akká und der vier Audienzen, die Bahá’u’lláh ihm dabei gewährte, kann nicht genug betont werden. Seine Beschreibung Bahá’u’lláhs, die Balyuzi als »einzigartig in den Annalen der Menschheit« bezeichnete, stammt von diesem Besuch. ‘Abdu’l-Bahá schrieb in späteren Jahren an Browne: »... Gott hat diesem liebenswürdigen Freund großen Segen verliehen. Sie sollten würdigen, daß von allen Historikern Europas keiner außer Ihnen die Heilige Schwelle erlangt hat. Dieser Segen war allein für Sie bestimmt.«54)

Bezüglich dieser Audienzen schrieb Shoghi Effendi: »Diese Unterredungen wurden unsterblich durch die historische Erklärung des Verbannten, daß ›diese fruchtlosen Streitigkeiten, diese vernichtenden Kriege verschwinden und der »Größte Friede kommen wird.‹«55)

Auch diese Worte, die immer wieder zitiert werden, verdanken wir Edward Granville Browne.


1) ‘Abdu’l-Bahá, A Traveller’s Narrative Written to Illustrate the Episode of the Báb, übers. und annot. von E. G. Browne, Cambridge 1891, S. xxxixf. Deutsche Übersetzung in: Shoghi Effendi, Gott geht vorüber, Hofheim-Langenhain 21974, S. 220f
2) A Traveller’s Narrative, S. xviii
3) Edward Granville Browne and the Bahá’í Faith, London 1970
4) The Bábí and Bahá’í Religions, 1844-1944: Some Contemporary Western Accounts, Oxford 1981, S. 29-36
5) E.G. Browne, A Year Amongst the Persians: Impressions as to the Life, Character, and Thought of the People of Persia, London 1893, S. 8
6) A Traveller’s Narrative, S. ixf
7) A Traveller’s Narrative, S. xf
8) Year, S. 223
9) Year, S. 601
10) Journal of the Royal Asiatic Society (JRAS) 1889, Bd. 21, art. VI, S. 485-526, und art. XII, S. 881-1009
11) JRAS, Bd. 21, S. 485
12) JRAS, Bd. 21, S. 485
13) Bahá’u’lláh, Das Buch der Gewißheit, Frankfurt 1969, S. 165
14) JRAS, Bd. 21, S. 946. Siehe auch JRAS, Bd. 24, 1892, art. VII, S. 305
15) JRAS, Bd. 21, S. 943f
16) JRAS, Bd. 21, 5. 518
17) JRAS, Bd. 21, S. 518
18) JRAS, Bd. 24, art. XIII, S. 680 und Balyuzi, Browne, S. 33. Browne wußte selbst, daß diese Schrift von einem Azali verfaßt worden ist: A Traveller’s Narrative, S. 359 und JRAS, Bd. 24, art. VII, S. 283
19) A Traveller’s Narrative, S. xxv
20) A Traveller's Narrative, S. xxv
21) A Traveller's Narrative, $. xxxviiif
22) A Traveller’s Narrative, S. xxxvi
23) Oxford Magazine 1892, Bd. 10, Nr. 21, S. 394
24) Oxford Magazine, Bd. 10, S. 394
25) Oxford Magazine, Bd. 10, S. 394
26) JRAS 1892, Bd. 24, art. VII, S. 259—335
27) JRAS 1892, Bd. 24, art. IX, S.433—499 und art. XIII, S. 637—710
28) Religious Systems of the World, London 1893
29) Momen, Bábí and Bahá’í Religions, S. 31
30) Year, S. 344f
31) Tárikh-i-Jadíd or A New History of Mírzá ‘Alí-Muḥammad, The Báb, Cambridge 1893, S. xiv
32) Tárikh-i-Jadíd, S. xx
33) Gott geht vorüber, S. 185
34) Siehe Gott geht vorüber, S. 189-192, und Adib Taherzadeh, The Revelation of Bahá’u’lláh, Bd. 2, Oxford 1977, S. 161—170 und 291—298
35) Tárikh-i-Jadíd, S. xxiii
36) A Literary History of Persia, Bd. 4: Modern Times (1500—1924), Cambridge 1924, S. 194 — 220
37) JRAS 1897, Bd. 29, art. XXVI, S. 761-827
38) Myron H. Phelps, ‘Abbas Effendi: His Life and Teachings, New York 1903
39) James Hastings (Hrsg.), Encyclopædia of Religion and Ethics, Edinburgh 1909, S. 299—308
40) Encyclopædia Britannica, Cambridge 111910, Bd. 3, S. 94—95
41) Kitáb-i-Nuqṭatu’l-Káf, Bd. 15, E.J.W. Gibb Memorial Series, Leyden 1910
42) Balyuzi, Browne, S. 70. In seinem »A Revised Survey of the Sources for Early Bábí Doctrine and History« (unveröffentlichte Dissertation, King's College, Cambridge 1977) stellt Denis MacEoin die Hypothese auf, daß das Nuqṭatu’l-Káf ursprünglich etwa 1853-4 von zwei oder drei anderen Personen auf der Grundlage von Ḥájí Mírzá Jánís Notizen verfaßt, und daß zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite Geschichte der Bábí-Religion in ein Manuskript dieses Buches eingearbeitet wurde. Dieses aus zwei Arbeiten bestehende Werk wurde alsdann von Browne übersetzt und als Ḥájí Mírzá Jánís Geschichte veröffentlicht. Interessanterweise stellt MacEoin fest, daß Browne noch vor der Veröffentlichung dieses Werkes von der Existenz eines weiteren Manuskriptes des Nuqṭatu’l-Káf wußte, daß er es jedoch nicht erwähnte, weil dies die von ihm so herausgestrichene Einzigartigkeit des Pariser Manuskriptes beeinträchtigen würde (»Revised Survey«, S. 181 f).
43) Balyuzi, Browne, S. 73f
44) Fr. Rosen, »Erinnerungen an Edward G. Browne«, Orientalische Literaturzeitung 1926, Nr. 10, 5. 880
45) The Persian Revolution of 1905—1909, Cambridge 1910
46) Persian Revolution, S. 424—429
47) Materials for the Study of the Bábí Religion, Cambridge 1918
48) Shoghi Effendi, God Passes By, Wilmette 1970, S. 65f. In der deutschen Übersetzung, Gott geht vorüber, S. 71—73
49) Balyuzi, Browne, S. 121
50) Nuqṭatu’l-Káf, S. lii
51) E.G. Browne, A Persian Anthology, London 1927, S. 38
52) Momen, Bábí and Bahá’í Religions, S. 33—36
53) „Sir ‘Abdu’l-Bahá Abbás«, JRAS Juli 1922, S. 145—146
54) Aus einem Brief datiert 1. Februar 1901, zitiert in Balyuzi, Browne, S. 104
55) Gott geht vorüber, S. 220


[Seite 183]



Peter J. Khan

WIE EINST DIE VERFOLGUNG DER CHRISTEN...[Bearbeiten]

Dieser Beitrag, im Original »Historical Parallels in the Persecution of the Faith«, erschien erstmals in den Bahá’í News vom Juli 1985. Dr. Peter Khan ist Mitglied des Internationalen Lehrzentrums am Baha'i-Weltzentrum in Haifa/Israel. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Hans Günther Randau.


Die Lehren der Bahá’í-Religion lassen allgemeine Gesetzmäßigkeiten erkennen, die wirksam werden, wenn der Glaube Angriffen und Verfolgungen ausgesetzt ist. Diese Gesetzmäßigkeiten verdeutlichen, daß solche Widerstände letztlich zum Scheitern verurteilt sind. Das Wachstum der Religion vollzieht sich in ständigem Auf und Ab; unweigerlich folgt auf jede Krise ein neuer Sieg, unaufhaltsam geht Gottes Plan seiner Erfüllung entgegen.

In Zeiten der Verfolgung gibt es einen auffallenden Gegensatz zwischen dem leuchtenden und erhebenden Beispiel der Gläubigen und dem Haß und Fanatismus ihrer Peiniger. Dieser offenkundige Gegensatz gewinnt dem Glauben die Anhängerschaft derer, die ihm zuvor gleichgültig oder gar feindselig gegenüberstanden.

Derzeit ist der Bahá’í-Glaube in seinem Geburtsland schweren Verfolgungen ausgesetzt, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich sinnvoll, Art und Auswirkungen einer auffallend ähnlichen Verfolgung in einer früheren Epoche, als der Gottesglaube von Jesus Christus der Welt verkündet wurde, näher zu untersuchen.

In einer Analyse der Weltlage verweist Shoghi Effendi auf »die Anzeichen einer bevorstehenden, auffallend an den Verfall des Römischen Reiches im Abendland erinnernden Katastrophe, die das ganze Gefüge der heutigen Zivilisation hinwegzufegen droht«1) und bringt sie mit der Unruhe, die die Geburt der Bahá’í-Verwaltungsordnung in der Welt hervorgerufen hat, in Verbindung. So gesehen existieren Parallelen zwischen der heutigen Zeit und den turbulenten Ereignissen der Vergangenheit, als der noch junge christliche Glaube sich aus den Zwängen befreite, die ihm eine im Niedergang befindliche Gesellschaftsordnung auferlegte.

Es ist jedoch Vorsicht geboten, wenn man Lehren aus der Vergangenheit ziehen will. Als Folge der Offenbarung Bahá’u’lláhs — unvergleichlich in Kraft und Reichweite, ausgestattet mit einem einzigartigen Bündnis — entsprechen die heutigen Ereignisse nicht exakt denen der Vergangenheit. Die unfehlbare Führung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit, das sich zur Verteidigung der unterdrückten Bahá’í auf die weltweiten Mittel und das wachsende Ansehen der Bahá’í-Gemeinde stützen kann, wird letztendlich in einem triumphalen Sieg des Glaubens münden, dessen Größe ohne Beispiel in der Geschichte ist.


Das Christentum in der römischen Welt

Als sich das 3. Jahrhundert seinem Ende zuneigte, befand sich das römische Weltreich in einer heillosen Verfassung. Die Grenzen waren ständig von Einfällen unbarmherziger Horden bedroht, die das Reich zu zerstückeln suchten. Im Inneren [Seite 184] des Imperiums höhlten Anarchie, galoppierende Inflation, moralischer Verfall, Klassengegensätze, Münzverschlechterung, maßlose Besteuerung, Massenarbeitslosigkeit und eine ausufernde Bürokratie das soziale Gefüge immer mehr aus. Verängstigt und verunsichert nahm die Bevölkerung Zuflucht zu einer Wiederbelebung des Religiösen, das seinen Ausdruck fand in der Anbetung heidnischer römischer Gottheiten und in einer »großen Vielfalt von Volkskulten, von Mode- und Fluchtphilosophien, wie sie während der ersten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung blühten und die Staatsreligion des römischen Volkes aufzusaugen und zu verkehren suchten«2).

In diesem Umfeld hatte sich das Christentum mehrere Jahrzehnte hindurch entwickelt, war erblüht und hatte die Verfolgungen aus seiner frühesten Zeit vergessen lassen. Es hatte Besitztum erworben, prächtige Kirchen errichtet und vermögende und angesehene Leute unter seinem Dach versammelt. Die christlichen Bischöfe wurden mit Hochachtung behandelt, nicht nur von ihrer eigenen treuen Gemeinde, sondern auch seitens der Behörden. Wenn Kaiser Diokletian vertrauenswürdige und befähigte Persönlichkeiten in verantwortungsvolle und wichtige Positionen der Verwaltung des Imperiums berief, stellte er häufig fest, daß es sich bei den Ernannten um Christen handelte, obwohl »nur der zwanzigste Teil der Untertanen im Römischen Reich unter dem Banner Christi versammelt war«3). Einige Angehörige des kaiserlichen Hofes waren Christen und nutzten ihren großen Einfluß dazu, den von ihnen angenommenen Glauben zu schützen.

Angesteckt durch den sie umgebenden moralischen und ethischen Verfall, ließen die christlichen Gemeinden es zu, daß weltliche Begierden und das Streben nach materiellen Gütern ihre Makellosigkeit beeinträchtigten. Die christliche Kirche war zur reichsten religiösen Gemeinschaft im Kaiserreich geworden. Gibbon stellt fest, daß der »Wohlstand die festen Bande der Selbstzucht gesprengt hatte«4). Als Antwort auf diese offenkundige Weltlichkeit fühlte sich eine Minderheit von Christen vom Asketentum und Mönchsleben angezogen. Die Saat des Schismas, die im folgenden Jahrhundert ihre giftige Frucht hervorbringen sollte, gedieh prächtig auf dem Boden theologischer Streitigkeiten.


Der Ausbruch von Verfolgungen

Unter der Herrschaft Diokletians brach die letzte große Verfolgungswelle über die Christengemeinde herein, ehe diese über das römische Kaiserreich triumphieren sollte. Unwissenheit und Verunsicherung der Bevölkerung, die sich dadurch leicht von fanatischen heidnischen Priestern manipulieren ließ, schufen die äußeren Bedingungen dieser Verfolgung.

Das Unheil nahm seinen Anfang im Jahre 287, als Diokletian Änderungen verfügte, die das Imperium in eine heidnische Theokratie umwandelten. Diokletian wurde mit dem römischen Gott Jupiter, sein Mitherrscher Maximian mit dem Gott Herkules gleichgesetzt. Beide Herrscher hatten von da an als Auserwählte der Götter und als von göttlicher Natur zu gelten. Damit war die Grundlage für eine Anbetung des Kaisers geschaffen, was bald darauf als Waffe gegen die Christen benutzt werden sollte.

[Seite 185] Der Funke, der die Flamme der Unterdrückung entfachte, ging von Galerius aus, der als Stellvertreter Diokletians im Range eines Cäsaren stand und ein fanatischer Anhänger heidnischen Glaubensgutes war. Um den zunehmenden Einfluß des Christentums zu zerschlagen, initiierte er eine Versammlung maßgebender Persönlichkeiten. In ihrer Stellungnahme gegenüber Diokletian bezeichnete sie die christliche Gemeinde als eine gefährliche politische Bewegung: sie sei ein Staat im Staate mit eigenen Gesetzen, eigener Gerichtsbarkeit, eigenem Vermögen, einer eigenen Organisationsstruktur und zeichne sich durch Gehorsam gegenüber ihren Bischöfen aus. Galerius argumentierte eindringlich, daß die Einheit des Kaiserreiches nicht zu verwirklichen sei, solange man einer abtrünnigen Bewegung wie dem Christentum weiterhin zu existieren gestatte. Er drängte Diokletian, dieser gefährlichen politischen Organisation ein Ende zu bereiten, bevor sie, unter der Maske einer Religion, militärische Macht erlange. Als Ergebnis dieser Beeinflussung verfügte Diokletian in den Jahren 303 und 304 durch kaiserliche Edikte folgende Maßnahmen gegen die Christen:

— Alle christlichen Kirchen sollten bis auf die Grundmauern zerstört werden.

— Die Todesstrafe drohte allen, die sich insgeheim zum Zwecke religiöser Andacht versammelten.

— Alle heiligen Bücher sollten dem Magistrat zur öffentlichen Verbrennung überliefert werden.

— Das gesamte Kirchenvermögen sollte konfisziert und entweder versteigert oder der Regierung übereignet werden.

— Die kirchliche Verwaltungsordnung sollte aufgelöst werden.

Die Christen waren jetzt Mitglieder einer »ungesetzlichen Religion«, während Juden und die Anhänger anderer Religionen einer »genehmigten Religion« angehörten. Dies hatte zur Folge, daß die Christen nicht mehr unter dem Schutz des Gesetzes standen und dadurch noch verwundbarer waren.

Nach Veröffentlichung der Edikte überstürzten sich die Ereignisse. Die prachtvolle Kathedrale von Nicomedeia, der Residenz des (Ost-)Reiches, wurde zerstört, weitere Kirchen fielen der Zerstörung oder Schließung anheim. Besitztümer wurden enteignet und Bücher vernichtet. Die Christen verloren ihre Arbeitsplätze; sie waren die Sündenböcke für alle gesellschaftlichen Probleme und wurden für die zahllosen Aufstände verantwortlich gemacht, die das zugrundegehende Imperium erschütterten. Als der Kaiserpalast in Nicomedeia in Flammen aufging, wurden die Christen dafür zur Verantwortung gezogen.

Diokletian setzte die Verfolgung durch weitere Edikte fort:

— Alle Christen mit Amt und Würden in der Kirche kamen ins Gefängnis.

— Alle Christen wurden, notfalls durch Gewaltanwendung oder Folter, gezwungen, die römischen Götter anzubeten.

Schwere Strafen wurden gegen alle Nicht-Christen verhängt, die Christen vor der Anwendung dieser Edikte schützten.

Bald nach Verkündung dieser Edikte dankten Diokletian und Maximian im Jahre 305 ab. Ihre Nachfolger waren der skrupellose Galerius im Osten des Reiches und der gemäßigte Constantius, Vater des Konstantin, im Westen. Die Verfolgungen aber gingen weiter, insbesondere in den von Galerius beherrschten Gebieten.


Die Auswirkungen der Verfolgung auf die Christen

Im großen und ganzen ertrugen die Christen ihre Lage mit bewundernswertem [Seite 186] Heldenmut. Sie weigerten sich trotz Androhung von Kerkerhaft, Folter und Tod, die ihnen wertvollen Schriften herauszugeben oder heidnische Götter anzubeten. Etwa 1500 Gläubige nahmen den Märtyrertod auf sich, allen voran der afrikanische Bischof Felix, der enthauptet wurde, weil er sich weigerte, von den heiligen Schriften abzulassen.

In einem Dorf verbarrikadierten sich die Christen in ihrer Kirche und versuchten vergebens, dieses Gebäude zu schützen, das ihnen heilig und teuer geworden war; alle kamen um, als ihre Verfolger den Bau in Brand steckten. Christen schmachteten in den Gefängnissen und erlitten die Folter, aber sie ertrugen standhaft alle Grausamkeiten und übten ihre Religion weiterhin aus. Die Gefangenen, die zur Arbeit in den Bergwerken verurteilt worden waren, schufen sich unterirdische Kapellen, die der Anbetung ihres Herrn geweiht waren.

Zunächst schwächten diese Verfolgungen das Christentum, da seine Verwaltungsordnung zerschlagen, seine Besitztümer enteignet wurden und die im Glauben Schwachen abfielen, die in guten Zeiten die Religion angenommen hatten. Langfristig gesehen stärkten sie jedoch das Christentum in vielfältiger Weise. Die Zusammenstellung und Verbreitung eines Buches, der Acta Martyrum, das über einige der vielen Heldentaten jener Epoche berichtet, stärkte und festigte den christlichen Glauben. Die Notwendigkeit, angesichts materieller Entbehrungen Methoden der Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung zu entwickeln, ließ das Bewußtsein der Einheit in der christlichen Gemeinde wachsen. Diese Bande der Einheit wurden auch dadurch gestärkt, daß viele Christen, um der Verfolgung zu entgehen, in entlegene Gebiete zogen und mit den dortigen Gemeinden verschmolzen. Gibbon verweist auf die große Zahl von Christen aus der Mittelschicht, »die nicht an die Ketten des Wohlstands oder der Armut gefesselt waren«5) und auf der Suche nach Freiheit aus den von Galerius beherrschten Gebieten flohen.

Lose, aber wirksame Nachrichtenverbindungen unter den weit verstreuten christlichen Flüchtlingen trugen ebenfalls zur Weiterentwicklung des Bewußtseins einer Gemeinschaft bei, die die traditionellen kulturellen Schranken überwand.

Allerdings war die Reaktion der Christen auf die Verfolgungen nicht ohne Makel. Shoghi Effendi weist auf »das anstößige Verhalten jener Bischöfe«6) der afrikanischen Kirche hin, die die heiligen Schriften den Ungläubigen preisgaben oder ihren Glauben widerriefen; andere in geringerer Stellung folgten ihrem Beispiel. Später, als das Christentum gesiegt hatte, strebten diese Bischöfe danach, ihre kirchlichen Stellungen und Privilegien wiederzuerlangen, und veranlaßten dadurch eine Spaltung, die die Kirche Nordafrikas Jahrhunderte belastete, bis schließlich die afrikanischen Christen im sich ausbreitenden Islam aufgingen.

Als die Grausamkeiten gegen die Christen an Härte zunahmen, wandelte sich die öffentliche Meinung von einer antagonistischen Haltung zu Sympathie und Bewunderung für die bedrängte christliche Gemeinschaft, denn das heidnische Volk wurde voll Staunen Zeuge von Standhaftigkeit und Heldentum der Christen. Viele Ungläubige riskierten die Todesstrafe und gewährten den verfolgten Opfern Schutz und Obdach. So fühlten sich schließlich immer mehr einsichtige und aufrichtig [Seite 187] denkende Menschen von der christlichen Gemeinschaft angezogen.


Die Folgen

Als sichtbar wurde, daß die strengen Verfolgungen das Licht des Christentums nicht auslöschen konnten, sondern seinen Glanz eher verstärkten, daß sie zudem die öffentliche Meinung in Sympathie und Unterstützung für die Christen umschlagen ließen, befiel die Machthaber Unruhe und Verzweiflung.

Im Jahre 310 erkrankte Galerius an einem quälenden Leiden, das ihn allmählich immer mehr behinderte und schließlich im Jahre 311 zu seinem Tod führte. Auf dem Sterbebett erkannte er das Scheitern seiner Bemühungen und versuchte, mit dem unbesiegten Christengott Frieden zu schließen, indem er ein Toleranzedikt erließ, das den »Christen das Recht einräumte, wieder zu existieren und ihre Andachtsstätten zu errichten, vorausgesetzt, sie verstoßen nicht gegen die öffentliche Ordnung«:7) .

Daraus ergaben sich rasch einschneidende Änderungen für die Christengemeinde. Viele Christen wurden aus den Gefängnissen und Bergwerken entlassen; Flüchtlinge kehrten in ihre Heimat zurück; wer seinem Glauben abgeschworen hatte, trachtete danach, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.

Der neue Kaiser schrieb in Verkennung der geistigen Kraft des christlichen Glaubens dessen Triumph der Disziplin seiner Anhänger und der Stärke seiner Institutionen zu. Er versuchte, den heidnischen Götterglauben zu beleben, indem er ihn nach Grundsätzen ähnlich denen der Christen, jedoch mit weniger strengen Vorschriften, ausrichtete und herrliche Andachtsstätten bauen ließ. Die unmittelbare Folge war eine Ermutigung der heidnischen Priester, die Christenverfolgung wieder aufzunehmen. Diese flackerte auch für ein paar Monate erneut auf, wurde aber dann durch Bürgerkrieg beendet. Auf lange Sicht war diese Politik ein völliger Fehlschlag; die dem Christentum innewohnende geistige Kraft ließ sich nicht künstlich nachahmen — weit mehr noch: die Ungläubigen wurden darauf vorbereitet, christliche Verhaltensweisen anzunehmen und die einzigartigen Wesensmerkmale der christlichen Religion traten ins Rampenlicht.

Aus einer Zeit der Wirren ging im Jahre 313 Kaiser Konstantin als Herrscher hervor. Inmitten von Zwietracht und Chaos fühlte er sich unwiderstehlich von der Ordnung und Moral im christlichen Verhalten angezogen, vom Gehorsam, den die Christen ihrer Geistlichkeit zollten, von der Überwindung des Klassenkampfes durch den Einfluß des Christentums und der Stärkung der Institutionen von Ehe und Familie. Infolgedessen benutzte er seine Amtsgewalt, die christliche Gemeinde zu schützen, die nach der Verfolgung nun wieder neu entstand.

Im selben Jahr erließ Konstantin ein Edikt, das Religionsfreiheit gewährte, und befahl, allen christlichen Besitz ohne Gegenleistung an die früheren Eigentümer zurückzugeben. Den jetzigen Besitzern wurde erlaubt, beim Staat einen Ausgleich für den durch die Rückgabe entstandenen Verlust geltend zu machen.

Im weiteren Verlauf seiner Regentschaft begünstigte Konstantin das Christentum immer offener; er verzichtete nach und nach bei staatlichen Feierlichkeiten auf heidnische Rituale, gab der Kirche einen gesetzlichen Status, gewährte ihr Steuerfreiheit und stellte aus [Seite 188] dem Staatshaushalt Mittel für den Bau christlicher Andachtsstätten zur Verfügung. Der Höhepunkt dieser Entwicklung kam im Jahre 324, als Konstantin sich öffentlich zum Christentum bekannte und seine Untertanen einlud, die neue Religion zu prüfen und anzunehmen. Innerhalb weniger Jahre war so das Christentum im Imperium von den Gefängnissen zum Palast des Herrschers emporgestiegen.

‘Abdu’l-Bahá preist Konstantin als den ersten, »der im ganzen Römischen Reich öffentliche Krankenhäuser für die ärztliche Pflege der Armen, Verwundeten und der Hilfsbedürftigen einrichtete... Dieser große König war der erste römische Herrscher, der für die Sache Christi eintrat. Er scheute keine Mühe und weihte sein Leben der Verbreitung der Grundlehren des Evangeliums. Das römische Staatswesen, das in Wirklichkeit nur ein System uneingeschränkter Unterdrückung war, gründete er auf Mäßigung und Gerechtigkeit. Sein gesegneter Name erstrahlt aus dem Dunkel der Geschichte wie der Morgenstern, und sein Ruhm, seine Stufe als eine der edelsten und kultiviertesten Persönlichkeiten des Weltgeschehens ist heute noch im Munde der Christen aller Bekenntnisse.«8)

Der Historiker Will Durant kommentiert: »Es gibt kein großartigeres Schauspiel in der Geschichte der Menschheit, als die Geschichte der wenigen Christen, die — immer wieder von den Herrschern verachtet und unterdrückt — alle Prüfungen zäh und hartnäckig erduldeten, in aller Stille immer zahlreicher wurden und ihre Ordnung errichteten, währenddessen ihre Feinde das Chaos heraufbeschworen; die dem Schwert das Wort entgegensetzten, der Grausamkeit die Hoffnung, und schließlich das mächtigste Staatswesen niederrangen, das die Geschichte kennt. Caesar und Christus waren sich in der Arena begegnet, und Christus hatte gesiegt.«9)


Schlußfolgerungen

Wer hätte, als die Christenverfolgung auf ihrem Höhepunkt war, wohl gedacht, wie schnell und dramatisch sich die Lage ändern würde? Hätte sich ein Christ jener Tage, der voll Entsetzen Zeuge der Zerstörung seiner heiligen Stätten, der Herabsetzung und Vernichtung seiner heiligen Schriften, der Zerschlagung seiner religiösen Gemeinschaft, der Verhaftung seiner führenden Persönlichkeiten und des Märtyrertums so vieler getreuer Gläubiger wurde, vorstellen können, daß nach relativ kurzer Zeit ein christlicher Kaiser regieren und eine Bevölkerung, die dem Christentum so unversöhnlich gegenüberstand, ihre Einstellung zu Anteilnahme und Glauben wandeln würde? Hatte er nicht vielmehr Stunden der Verzweiflung zu durchleben, da er sich fragte, wann wohl — wenn überhaupt — die düsteren Wolken der Unterdrückung, die sein Land verdunkelten, hinweggeweht würden? Mit Sicherheit waren sein Staunen und seine Dankbarkeit ohne Grenzen, als auf scheinbar wundersame Weise seine Religion geläutert und gestärkt aus der Feuerprobe der Verfolgung hervorging, ihre Besitztümer wiedererlangte, als ihre heiligen Stätten neu erstanden, ihr Ansehen gewachsen, ihre Macht und ihr Einfluß gewaltig gestiegen waren. Vor allem führt dies zu einer klaren Erkenntnis: die Macht Gottes ist unüberwindlich, Seine Gegner sind ohnmächtig. Dieselbe Macht, welche die [Seite 189] scheinbar schutzlose Christengemeinde vor ihren unnachgiebigen Widersachern bewahrt hat, schützt heute die bedrängte iranische Bahá’í-Gemeinde vor ihren unerbittlichen Feinden; sie wird diese tapferen Gläubigen zu einem Sieg führen, der den strahlenden Sieg der Christen jener Zeit bei weitem übertreffen kann.

Die Worte Bahá’u’lláhs gelten gleichermaßen für den Aufstieg des christlichen Glaubens in der seiner Sendung bestimmten Zeit, wie für das Wachsen des Bahá’í-Glaubens in unseren Tagen: »Sieh, wie in dieser Sendung die Unwürdigen und Toren sich in ihrer Narrheit eingebildet haben, sie könnten durch Mittel wie Massenmord, Plünderung und Verbannung die Lampe löschen, die die Hand göttlicher Macht entzündet hat, oder die Sonne ewiger Herrlichkeit verdunkeln. Die Wahrheit, daß solche Trübsal das Öl ist, das die Flamme dieser Lampe nährt, scheinen sie nicht zu kennen. Dies ist Gottes umgestaltende Kraft. Er wandelt, was Er will. Wahrlich, Er hat Macht über alle Dinge.«10)


1) Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Hofheim-Langenhain 1977, S. 225
2) a.a.O., S. 266
3) a.a.O., S. 90
4) Edward Gibbon, The Decline and Fall of the Roman Empire (Niedergang und Fall des Römischen Reichs), Kapitel 16
5) a.a.O.
6) Weltordnung, S. 89
7) Bettenson, Documents of the Christian Church, S. 21
8) Das Geheimnis göttlicher Kultur, Oberkalbach 1973, S. 78f
9) Caesar and Christ, S. 652
10) Ährenlese, Hofheim-Langenhain 31980, 29:5



O Gott!
Belohne jene,
die in Deinen Tagen geduldig ausharren,
und stärke ihre Herzen,
daß sie unbeirrt
auf dem Pfade der Wahrheit wandeln.
Gewähre ihnen, o Herr,
solche guten Gaben,
die ihnen den Eintritt
in Dein seliges Paradies erlauben.


Der Báb


[Seite 190]



Zur Lage der Bahá’í im Iran

HEARING DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTES IN BRÜSSEL[Bearbeiten]

Der Politische Ausschuß des Europäischen Parlaments führte am 28. November 1985 in Brüssel ein Hearing zur Menschenrechtssituation im Iran durch. Neben Sachverständigengutachten zu den Themen Folter, Situation der Frau und Einsatz von Kindern an der Kriegsfront widmete sich ein Tagesordnungspunkt der Lage der Bahá’í-Religion im Iran. Die »Bahá’í International Community« war hierzu offiziell eingeladen, einen Sprecher sowie zwei Augenzeugen der Ereignisse zu entsenden. Nach einem einleitenden Gutachten von Prof. Peter Avery, dem Direktor der Nahost-Abteilung des Kings-College in Cambridge, hielt Christopher Sprung, geschäftsführender Sekretär des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland, ein Grundsatzreferat über die derzeitige Diskriminierung und Verfolgung, die die Bahá’í im Iran erdulden müssen. Diese Stellungnahme veröffentlichen wir nachfolgend in vollem Wortlaut.


Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,

ich heiße Christopher Sprung und bin geschäftsführender Sekretär des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland. Im Namen von 640 Bahá’í-Gemeinden in 20 europäischen Ländern möchte ich Ihnen unsere hohe Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Ich danke dem Europäischen Parlament — das seit 1980 in vier Resolutionen die Verfolgungen der Bahá’í im Iran verurteilt hat — für seine bisherigen Bemühungen zur Linderung des Schicksals der Bahá’í. Für uns ist es ein Zeichen großer Hoffnung, daß Sie heute dieses Hearing durchführen und dabei der Situation der Bahá’í-Gemeinde im Iran besondere Aufmerksamkeit widmen. Den Bahá’í im Iran, deren Glauben ich teile, wird der heutige Tag ein deutliches Signal der Solidarität, des Trostes und der Aussicht auf eine freiere, unbedrängte Zukunft vermitteln.

Auch sieben Jahre nach Beginn der Revolution gibt es keine objektiven Anzeichen dafür, daß Politiker und Geistliche des Iran ihre Haltung gegenüber der — wie sie es nennen — »irregeleiteten Sekte« — ändern würden. Die von uns schon 1980 veröffentlichte Befürchtung, daß es starke Kräfte im Iran gibt, die langfristig auf die Eliminierung des Bahá’í-Glaubens hinarbeiten, hat sich inzwischen auf grausame Weise bestätigt. Auch wenn in den wenigen offiziellen Stellungnahmen von iranischer Seite immer wieder betont und daran festgehalten wird, daß im Iran niemand aufgrund seiner bloßen Glaubenszugehörigkeit verfolgt und hingerichtet wird, auch wenn immer wieder behauptet wird, die Hinrichtungen und Inhaftierungen der Bahá’í seien die Sanktionen einer strafbaren Handlung (Spionage, Zionismus, Drogenhandel, Prostitution), so können wir heute vor diesem europäischen Forum Beweise dafür vorlegen, daß die Bahá’í-Religion und ihre Anhänger im Iran als solche verfolgt werden, und zwar allein in ihrer Eigenschaft als Bahá’í, als »Andersgläubige« und als »Abtrünnige«.

Dabei stellen wir weder subjektive Behauptungen auf, noch liefern wir lediglich Interpretationen von bestimmten [Seite 191] Ereignissen. Es sind vielmehr die Ereignisse und Dokumente selbst, die keinen Zweifel am religiösen Charakter der Verfolgungen aufkommen lassen.

Seit den Anfängen des Bahá’í-Glaubens und auch zu Zeiten des Schah wurden die Bahá’í diskriminiert und verfolgt. Nie war der Bahá’í-Glaube im Iran als Religion anerkannt. Auch heute erwähnt Art. 13 der neuen iranischen Landesverfassung lediglich Juden, Christen und Zoroastrier als »offizielle religiöse Minderheiten«. Die ausdrückliche Auslassung der Bahá’í-Religion hat in einem Land, in dem der schiitische Islam Staatsreligion ist, schwerwiegende Konsequenzen. Nur die in Art. 13 aufgeführten Religionen genießen den Status der »schutzwürdigen Minderheit«. Sie haben Bekenntnisfreiheit, sie sind die Schutzbefohlenen des Islam, die »dhimmi«.

Bahá’u’lláh, der Stifter des Bahá’í-Glaubens, weist den Endgültigkeitsanspruch, den der orthodoxe Islam erhebt, zurück. Das, worauf die Muslime noch warten, ist für die Bahá’í bereits eingetreten. Dies erscheint der islamischen Geistlichkeit als Häresie, und der Übertritt vom Islam zur Bahá’í-Religion als Apostasie, auf die nach dem Recht der Scharia die Todesstrafe steht.

Dabei können die iranischen Bahá’í jedoch niemals unter dieses Gesetz fallen, denn sie glauben an den einzigen Gott und auch an Muḥammad. Außerdem gehört die große Masse der Bahá’í-Gläubigen bereits seit Generationen dem Bahá’í-Glauben an. Auch nach schiitischem Glaubensverständnis kann daher die überwiegende Mehrheit der Bahá’í nicht vom Islam abgefallen sein. Dies gilt um so mehr für Zehntausende von Bahá’í-Familien, die aus jüdischem, christlichem und parsischem Glauben stammen.

Dennoch dient die Zugehörigkeit zur Bahá’í-Religion versteckt oder offen den Verantwortlichen als Begründung für ihre Verfolgungsmaßnahmen. Ich gehe dabei davon aus, daß Ihnen inzwischen die groben Umrisse der Bahá’í-Verfolgung im Iran bekannt sind: Zerstörung und Beschlagnahme aller Besitztümer und Bahá’í-Einrichtungen; Diskriminierung im Alltag; Entlassungen aus Arbeit und Ausbildung; Verweigerung der eigenständigen Regelung von Personenstandsangelegenheiten; willkürliche Verhaftungen; Folterungen und Hinrichtungen.

Den grausamsten Beweis für den ausschließlich religiösen Charakter der Verfolgungen finden wir in den Folterungen und Hinrichtungen. Bis heute haben wir definitive Kenntnis von 176 Fällen, in denen als Grund für die Hinrichtungen entweder offen die Zugehörigkeit zur Bahá’í-Gemeinde, wie im Fall des Azizu’llah Gulshani, oder vorgeschobene Argumente, wie etwa Spionage für Israel, Unterstützung des Zionismus usw., von den Verantwortlichen angegeben worden sind.

Es ist uns bekannt, daß den Hinrichtungen Folterungen vorausgehen, um die Bahá’í zum Abschwören ihres Glaubens zu zwingen. Die Opfer werden vor die Wahl gestellt, dem Bahá’í-Glauben abzuschwören und zum Islam überzutreten oder hingerichtet zu werden. Der Fall des Ehepaares Baqa ist hier besonders erschütternd: während die Frau standhaft blieb und schließlich hingerichtet wurde, konnte ihr Ehemann die Qualen nicht aushalten, schwor dem Bahá’í-Glauben ab und befindet sich heute auf freiem Fuß.

In einigen Gebieten Irans wurden brutale Methoden angewandt, um den Glauben der Bahá’í zu brechen. In einem Dorf bei Kashan wurden die Bahá’í in einen Stall getrieben, in den Rauch geleitet wurde, um sie dann, dem Tode nahe, zur nahegelegenen Moschee zu schaffen, wo sie gezwungen wurden, dem Glauben abzuschwören.

[Seite 192] In vielen Anordnungen von Ministerien und Behörden wird zur Entlassung von Bahá’í-Angestellten und -Arbeitern aufgerufen, sofern die Bahá’í nicht zum Islam übertreten. So heißt es in einer Anweisung des islamischen Revolutionsgerichtes von Kirmanshah an eine Firma wörtlich: »Hinsichtlich der Bahá’í-Angestellten Ihrer Gesellschaft wird hierdurch mitgeteilt: Wenn die Bahá’í-Arbeiter und -Angestellten bereuen und in ihre Personalakten hineinschreiben, daß sie dem islamischen Ithna-Ashari-Glauben (der Zwölfer-Schia des Islam) angehören, und wenn sie diese Erklärung samt ihren Fotografien in Zeitungen mit weiter Verbreitung veröffentlichen, können sie ihre Arbeit für Ihre Firma fortsetzen; andernfalls sind sie zu entlassen. Die Frist dafür ist das Ende des Shahrivar 1360«.

Bei der Wahl zum Parlament im Jahre 1980 warb ein Kandidat für die Majlis, ein gewisser Rafii, damit, daß er im Jahre 1949 einen Mordanschlag auf einen Bahá’í-Arzt in Kashan begangen hat.

In einem Rundschreiben des Erziehungsministers, Muhammad Ali Raja'i, wird die Entlassung aller Bahá’í-Lehrer angeordnet, da diese »die Gedanken unschuldiger Schüler verseuchen«.

Die Tageszeitung »Djomhouri-Islami« veröffentlichte eine Erklärung von drei führenden Ayatollahs, wonach es nach der Scharia verboten sei, Pensionen an Bahá’í-Angehörige auszubezahlen.

Das Erziehungsministerium teilte ein Formblatt für alle Bahá’í-Kinder aus, mit dem die Kinder aufgefordert wurden, ihre Religionszugehörigkeit und die ihrer Familien anzugeben; das Formblatt stellt den Bahá’í-Kindern als letzte Frage: »Seid ihr nun bereit, eurem Glauben abzuschwören?«

Auch Bahá’í-Schüler und -Studenten werden aus ihren Schulen und Universitäten entlassen, weil sie Bahá’í sind. Die Zeitung »Keyhan« berichtete von der Entlassung von 43 Studenten aus der Universität Schiras aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der »irregeführten Bahá’í-Gruppe«.

Die Zeitung »Khabar-i-Junub« veröffentlichte ein aufschlußreiches Interview mit dem Vorsitzenden des islamischen Gerichtshofs von Schiraz, Hujjatul-Islam-Qazai, kurz nachdem dieser Todesurteile über 22 Bahá’í gefällt hatte. Der Hujjatul-Islam rechtfertigt diese Todesurteile mit folgenden, erschütternden Worten: »Die iranische Nation hat sich in Übereinstimmung mit den Lehren des Koran erhoben und sich aufgemacht, die Herrschaft Gottes auf Erden zu errichten. Daher kann sie nicht die irregeleiteten Bahá’í akzeptieren, die die Werkzeuge Satans und die Anhänger des Teufels sind... Es ist absolut sicher, daß es in der Islamischen Republik Iran keinerlei Platz für die Bahá’í und den Bahá’ismus gibt... Bevor es zu spät ist, sollten die Bahá’í dem Bahá’ismus abschwören, der von Verstand und Logik verdammt ist. Andernfalls wird bald der Tag kommen, da die islamische Nation mit den Bahá’í so verfahren wird, wie es ihren religiösen Verpflichtungen entspricht... .«

Als jüngstes Beispiel lege ich ein Dokument vom 22. Juni 1985 vor. Mit diesem Datum hat das Gericht von Teheran folgenden Fall entschieden: Während eines Verkehrsunfalls mit einem Moslem war ein Bahá’í zu Tode gekommen. Der Moslem wurde daraufhin des Totschlags angeklagt. Das Urteil in diesem Strafverfahren lautete auf Freispruch in bezug auf den Totschlag, da das Opfer »ein Mitglied der irregeleiteten und irreführenden Bahá’í-Gemeinde war und als ungeschützter Ungläubiger betrachtet wird«; eine Entschädigung gegenüber den Hinterbliebenen des ums Leben gekommenen Bahá’í wurde ebenfalls abgelehnt, »da es [Seite 193] im islamischen Recht keine ausdrückliche Vorschriften über Schadensersatz gegenüber ungeschützten Ungläubigen gibt«. Der Moslem wurde lediglich zu 3 Monaten Disziplinarstrafe verurteilt wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsvorschriften. Dieses Urteil ist das jüngste und gleichzeitig erschütterndste Beispiel für die Konsequenzen, die die Nicht-Erwähnung der Bahá’í-Religion als schutzwürdige Minderheit in Artikel 13 der iranischen Landesverfassung nach sich zieht.

Nach all diesen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren müssen wir heute unsere Befürchtung erneuern und bekräftigen, daß die Verfolgung der Bahá’í im Iran weder das Ergebnis von zufälligen, unkontrollierbaren Ausschreitungen einzelner Bevölkerungsteile, noch die nicht zu vermeidenden Begleiterscheinungen in den Anfängen einer Revolution ist. Die Verfolgung der Bahá’í ist vielmehr systematisch von den Verantwortlichen im Iran betrieben, und in ihren jeweiligen Ausprägungen Teil eines Drei-Stufen-Planes zur letztlich vollständigen Vernichtung der Glaubensform der Bahá’í auf iranischem Boden.

1. Systematische Beschlagnahme und Zerstörung sämtlicher Bahá’í-Besitztümer und -Vermögen;
2. Systematische Hinrichtung oder Inhaftierung der führenden Bahá’í;
3. Systematische Einschüchterung und wirtschaftliche Erdrosselung einzelner Bahá’í, um sie schließlich zum Aufgeben oder Abschwören ihres Glaubens zu zwingen.

Sämtliche dieser drei Stufen sind von 1979 bis 1985 systematisch von den Verantwortlichen im Iran durchschritten worden.

60% der seit 1979 hingerichteten oder unbekannt verschleppten Bahá’í (bis heute 195) sind Mitglieder der Bahá’í-Geistigen Räte, der örtlichen oder nationalen Führungsgremien der Bahá’í-Gemeinde, die bekanntlich keinen Klerus kennt, sondern nach innen und außen durch gewählte Gremien, die Geistigen Räte, repräsentiert wird. Im September 1983 wurde in der Zeitung »Keyhan« das offizielle Verbot sämtlicher Bahá’í-Gremien im Iran durch Generalstaatsanwalt Siyyid Hossein Moussavi-Tabrizi bekanntgegeben. Getreu dem Prinzip des Gehorsams gegenüber jeder Regierung, beschloß der damalige Nationale Geistige Rat seine eigene sowie die Auflösung aller ca. 450 örtlichen Geistigen Räte im Iran.

Bis heute sind jedoch immer noch 767 Bahá’í, darunter Frauen und Kinder, teilweise seit Jahren ohne Anklage in Haft, und wir haben allen Grund zu der Gewißheit, daß auch diese Bahá’í gefoltert werden, um auf diese Weise ein öffentlich verwertbares »Zeugnis des Abschwörens« zu erhalten. Es sollte an dieser Stelle daran erinnert werden, daß gleich zu Beginn der islamischen Revolution im Iran die damaligen Mitglieder des Nationalen Geistigen Rates, die inzwischen verschleppt oder hingerichtet sind, mehrere Versuche unternahmen, um mit der Regierung und den Verantwortlichen in Verhandlungen zur Lösung der drängenden Fragen zu kommen. Erst als diese Versuche scheiterten, hat die internationale Bahá’í-Gemeinde andere Wege suchen müssen, um ihr Anliegen — die Freiheit der Religionsausübung — vorzubringen und weltweit deutlich zu machen. Es ist ein grundlegendes Prinzip der Bahá’í-Religion, sich nicht in aktuelle Tagespolitik einzumischen und loyal und gehorsam zur jeweiligen Regierung zu stehen, soweit nicht Grundlagen des Glaubens erschüttert werden. Vergessen ist heute, daß die iranische Bahá’í-Gemeinde im Jahre 1975 als einzige Gruppierung im Iran es öffentlich ablehnte, zur damaligen Einheitspartei des Schah (Rastakhiz) überzutreten. Vergessen ist, [Seite 194] daß die Bahá’í trotz all der Härten, die sie seit 1979 im Iran erdulden, zu keinem Zeitpunkt mit Gegengewalt geantwortet haben. Die Politiker und Geistlichen Irans wissen nur zu gut, daß derartiges von der Bahá’í-Gemeinde niemals zu erwarten sein wird. Die Bahá’í möchten nur eins: in Frieden und Freiheit ihre Religion ausüben, eine Religion, die sie dazu anhält, ihr Heimatland zu lieben, für den Aufbau und die Ordnung des Staates einzustehen und in Erziehung, Ausbildung und Beruf Hervorragendes zu leisten. Die Bahá’í in Europa können nicht verstehen, aus welchem Grunde außer religiösem Fanatismus eine Gruppierung wie die der Bahá’í im Iran sowohl zu Zeiten des Schah wie auch nun, leider in noch schlimmerer Form, in der Islamischen Republik Iran nicht geduldet, diskriminiert und als vogelfrei erklärt wird.


Anschließend schilderten zwei Zeugen ihre persönlichen Erlebnisse in iranischen Gefängnissen und im iranischen Alltag — diskriminiert, inhaftiert und gefoltert, weil sie ihrem Glauben nicht abschworen.





Verkehret mit allen Religionen
in herzlicher Verbundenheit
und Eintracht,
auf daß sie Gottes süße Düfte
von euch einatmen.
Hütet euch,
daß euch im Umgang mit den Menschen
nicht die Flamme törichter Unwissenheit überwältige.
Alles kommt von Gott
und alles kehrt zu Ihm zurück.
Er ist aller Dinge Ursprung
und in Ihm haben alle Dinge
ihr Ende.


Bahá’u’lláh



Kitáb-i-Aqdas


[Seite 195]



BESPRECHUNG[Bearbeiten]

Ein Dokument religiöser Verfolgung

Die Bahá’í im Iran. Dokumentation der Verfolgung einer religiösen Minderheit, 4. überarbeitete und ergänzte Auflage, Bahá’í-Verlag, November 1985.


Die Bahá’í-Gemeinde ist mit rund 300.000 Mitgliedern die größte religiöse Minderheit im Iran. Seit Beginn der Islamischen Revolution im Jahre 1978 sind die Bahá’í dort erneut schwersten Verfolgungen ausgesetzt. Diese dauern nun schon über sieben Jahre, und ein Ende ist nicht in Sicht. Um die Leiden und Opfer, aber auch die Standhaftigkeit und Seelenstärke dieser Menschen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland Ende letzten Jahres eine überarbeitete und ergänzte Neuauflage der Dokumentation über diese Verfolgungen herausgebracht. Diese 164 Seiten umfassende Dokumentation kann für sich in Anspruch nehmen, im deutschsprachigen Raum die seither umfassendste und ausführlichste ihrer Art zu sein. Man war bemüht, das Thema der Bahá’í-Verfolgungen mit all seinen Aspekten systematisch und sachlich darzustellen — ein Versuch, den man sicherlich als gelungen betrachten kann.

Zunächst werden die Hintergründe der Verfolgungen beleuchtet: Das exklusive, jede weitere Offenbarung nach Muḥammad ausschließende Verständnis des Qur'án; jeder Offenbarungsanspruch nach ihm ist Häresie. Der Bahá’í-Glaube wird folglich nicht als Religion anerkannt sondern als Gotteslästerung verfolgt.

Darauf aufbauend wird die systematische Vorgehensweise der iranischen Machthaber geschildert. Die Maßnahmen lassen sich nach drei Schwerpunkten gliedern, wobei die beiden ersten darauf abzielen, die Gemeinde zu schwächen und den einzelnen Bahá’í den Rückhalt in der Gemeinschaft zu nehmen: 1. Ein gezieltes Vorgehen gegen die führenden Mitglieder der Gemeinde durch Verhaftung, Hinrichtung und Mord. 2. Enteignung und Zerstörung von Gemeindebesitz, Verbot aller Verwaltungskörperschaften, sozialen Einrichtungen und religiösen Zusammenkünfte. 3. Extremer wirtschaftlicher Druck und tagtäglicher Terror, von bürokratischen Schikanen bis zu Folter und Tod, gegen die Masse der Gläubigen, um sie zur Aufgabe ihres Glaubens zu zwingen.

Ausführliches Bildmaterial und die Schilderung einiger Einzelschicksale führen dem Leser die Opfer dieser Verbrechen vor Augen und belegen die Zerstörungen.

Ein Beitrag über die Verfassung der Islamischen Republik Iran erhellt das Bemühen der Machthaber, die Verfolgungen zu legitimieren. Die Anschuldigungen gegen die Bahá’í werden dargestellt und es wird dazu Stellung genommen.

In einem weiteren Kapitel wird die Geschichte der Verfolgungen der Bahá’í-Religion vom Jahre 1844 bis zum Beginn der Islamischen Revolution dargestellt. Dabei wird deutlich, daß die Bahá’í-Gemeinde schon immer der Willkür und dem politischen Kalkül der religiösen und weltlichen Machthaber Irans ausgesetzt war. Die heutige Verfolgung, deren Augenzeugen wir sind, stellt nur eine Fortsetzung dieser wechselvollen Leidensgeschichte dar. Es gibt jedoch einen entscheidenden und in sich hoffnungsvollen neuen Aspekt: Durch die weltweite Ausbreitung der Bahá’í-Gemeinden in den letzten Jahrzehnten in 207 Ländern und abhängigen Gebieten dieses Erdballs sind die Bahá’í außerhalb Irans zahlreicher und [Seite 196] bekannter geworden. Sie haben überall an das Gewissen der Weltöffentlichkeit, an die Menschenrechtsorganisationen und die Staatsmänner appelliert und dadurch die Aufmerksamkeit auf ihre verfolgten Glaubensbrüder und -schwestern lenken können. Dies hat zu einem Druck auf die Machthaber im Iran geführt, der bis jetzt noch Schlimmeres verhindern half. Es ist nicht mehr möglich, ungesehen und unbeachtet eine unliebsame religiöse Minderheit zu beseitigen, wie es die Machthaber im Iran sich vorgestellt hatten. Diese internationalen Proteste, Resolutionen und Appelle werden in einem weiteren Kapitel dargestellt und im Anhang ausführlich dokumentiert. Presseberichte aus deutschen Zeitungen und Zeitschriften bezeugen die Aufmerksamkeit, die den Verfolgungen in der Öffentlichkeit bereits entgegengebracht wurde. Auch werden Dokumente iranischer Behörden, die den




Zerstörter Bahá’í-Friedhof in Schiras




Nationales Bahá’í-Zentrum, Teheran, nach der Beschlagnahme durch Revolutionsgardisten.


religiösen Charakter der Verfolgungen belegen, in Faksimile und Übersetzung abgedruckt.

Eine kurze Darstellung über Lehren, Ziele und Entwicklung der Bahá’í-Religion, eine chronologische Übersicht der Daten und Fakten der Verfolgungen (über dreizehn Seiten!) und eine Liste der seit 1978 im Iran ermordeten Bahá’í runden die Dokumentation ab.

Es handelt sich hierbei gewiß um einen gelungenen Beitrag, um sowohl den interessierten Zeitgenossen als auch den engagierten Menschenrechtler und Politiker mit Hintergrundinformationen über das Geschehen im Iran zu versehen, die ihn gegebenenfalls in die Lage versetzen, gezielter für die Rechte dieser verfolgten religiösen Minderheit einzutreten.

Karl Türke jun.