Bahai Briefe/Heft 45/Text

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[Seite 1291] BAHA'I-

BRIEFE


BLÄTTER FÜR

WELTRELIGION UND

WELTBEWUSSTSEIN



AUS DEM INHALT:


‘Abdu’l-Bahá — Ein Kind des Lichts

Die Bedeutung des Größten Namens

Nationaltagung der deutschen Bahá’í

Buchbesprechung


HEFT 45 JULI 1971


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Die Höhen, die der sterbliche Mensch durch Gottes gnädigste Gewogenheit an diesem Tag erreichen kann, sind bis heute seinem Blick noch nicht enthüllt. Die Welt des Seins hat die Aufnahmefähigkeit für eine solche Offenbarung niemals besessen und besitzt sie auch jetzt noch nicht. Der Tag ist jedoch nahe, an dem die Möglichkeiten einer so großen Gunst auf Seinen Befehl hin den Menschen kundgetan werden können. Wenn sich auch die Streitkräfte der Nationen gegen Ihn aufstellten und die Könige der Erde sich verbündeten, um Seine Sache zu untergraben, wird Seine Macht dennoch unerschüttert stehen. Er spricht die Wahrheit und ruft die ganze Menschheit auf den Weg zu sich, dem Unvergleichlichen, dem Allwissenden.

Alle Menschen wurden erschaffen, eine fortschreitende Kultur voranzuführen. Der Allmächtige bezeugt Mir: Wie die Tiere auf dem Felde sich zu verhalten, ist des Menschen unwürdig. Die Tugenden, die zu seiner Würde passen, sind Geduld, Erbarmen, Mitleid und Güte für alle Menschen und Geschlechter der Erde. Sprich: O Freunde! Trinkt in Fülle aus diesem kristallklaren Strom, der durch die himmlische Gnade Dessen, der der Herr der Namen ist, dahinflutet. Laßt andere in Meinem Namen an seinen Wassern teilhaben, damit die Führer der Menschen in jedem Lande die Absicht klar erkennen, in der die ewige Wahrheit geoffenbart wurde, und den Grund, aus dem sie selbst erschaffen sind.

Bahá’u’lláh


(Ährenlese CIX)


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Herolde des Allmächtigen[Bearbeiten]

Brief ‘Abdu’l-Bahás an einen Bahá’í-Lehrer


O du Phönix aus der unsterblichen Flamme, die im geheiligten Baume brennt!

Bahá’u’lláh — mögen mein Leben, meine Seele, mein Geist Opfer für Seine demütigen Diener sein — hat in Seinen letzten Tagen auf Erden eindrücklich verheißen, die Gnadenströme Gottes und die hilfreiche Unterstützung aus Seinem Reich in der Höhe werden dazu führen, daß sich Seelen erheben und heilige Wesen erscheinen, die sternengleich das Himmelszelt göttlicher Führung schmücken, den Tagesanbruch der Gnadengaben erleuchten, die Zeichen der Einheit Gottes offenbaren, Seelen, die mit dem Licht der Heiligkeit und Reinheit strahlen, ihr volles Maß göttlicher Eingebung empfangen, hoch die heilige Fackel des Glaubens recken, fest wie der Fels und unverrückbar wie der Berg bestehen und wachsen, um Leuchten in den Himmeln Seiner Offenbarung zu werden, breite Kanäle Seiner Gunst, Werkzeuge für die Segnungen von Gottes wohltätiger Fürsorge, Herolde, die den Namen des einen wahren Gottes ausrufen, und Bauleute an der Welt größtem Ordnungsgefüge.

Unablässig werden sie Tag und Nacht tätig sein, weder Prüfung noch Schmerz achten, keinen Aufschub in ihren Anstrengungen dulden, keine Ruhe suchen, Wohlstand und Behagen verschmähen und losgelöst und unbefleckt jeden flüchtigen Augenblick ihres Lebens der Verbreitung der Düfte Gottes, der Verherrlichung Seines heiligen Wortes weihen. Himmlische Freude wird ihr Angesicht ausstrahlen, und ihr Herz wird von Frohlocken erfüllt sein. Ihre Seelen werden erleuchtet sein, ihre Grundlagen fest verankert. In alle Welt hin werden sie sich zerstreuen, durch alle Regionen werden sie reisen. Ihre Stimme werden sie in jeder Versammlung erheben, jedes Zusammentreffen von Menschen werden sie schmücken und beleben. In jeder Sprache werden sie reden und alle verborgenen Bedeutungen erklären. Die Geheimnisse des Reiches Gottes werden sie offenbaren und jedem Menschen die Zeichen Gottes enthüllen. Wie helle Kerzen werden sie im Herzen jeder Versammlung brennen und wie Sterne von allen Horizonten strahlen. Die linden Lüfte aus den Gärten ihrer Herzen werden die Seelen der Menschen erwecken und durchduften, und die Enthüllungen ihres Geistes werden wie Regenschauer die Völker und Nationen der Welt neu beleben.

Ich warte, ich warte voll Ungeduld auf das Erscheinen dieser Heiligen. Wie lange werden sie noch säumen? Mein Gebet, meine flehende Bitte des Abends und des Morgens ist, diese strahlenden Sterne mögen bald ihren Glanz über die Welt ergießen, ihr gesegnetes Angesicht möge sterblichen Augen entschleiert werden und die Wogen der Gnade, die aus Gottes himmlischen Meeren steigen, mögen sich über die ganze Menschheit ergießen. Betet auch ihr und flehet zu Ihm, daß durch die helfende Gunst der Altehrwürdigen Schönheit diese Seelen den Augen der Welt enthüllt werden.


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aus „Tablets of ‘Abdu’l-Bahá“, p. 405; vgl. „Bahá’í World Faith“, Wilmette/Ill., USA, 1956, p. 354.


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Ein Kind des Lichts[Bearbeiten]

‘Abdu’l-Bahá — der Diener Bahás / von Allan L. Ward


Am 29. November 1921 wurde die sterbliche Hülle ‘Abdu’l-Bahás zur letzten Ruhe an den Hängen des Berges Karmel gelegt. Die Art, wie die Menschen auf Seine plötzliche körperliche Abwesenheit reagierten, brachte zum Ausdruck, was Seine Gegenwart ihnen bedeutet hatte.

Am Dienstag, morgens um neun Uhr, begann der Zug mit Seinem Sarg aus „glattem weißem Holz“, bedeckt mit einem „kostbaren persischen Schal“, hinauf zu den Hängen des Berges Karmel. Bahá’í, Christen, Moslem und Juden säumten den Weg. Sie waren außer sich vor Schmerz, vergossen Tränen auf den Sarg und bedeckten ihn mit ihren Küssen. Um 10.25 Uhr wurde der Sarg nahe dem Schrein des Báb aufgebahrt. Eine lange Reihe von Sprechern brachte zum Ausdruck, welchen Schmerz alle fühlten. Ein Moslem meinte: „Welche Seiner Taten kann ich erwähnen, wenn sie doch alle größer sind, als man ausdrücken kann, und deren mehr sind, als man zählen kann.“ Ein Christ schrieb: „Er hat die Seelen erzogen, belehrt, unterstützt, gerettet und auf den geraden Pfad geführt.“ Ein jüdischer Religionsführer meinte, daß viele Menschen in Europa, in Amerika und in der ganzen Welt nach Seinen weltumfassenden, zu wahrer Brüderlichkeit führenden Grundsätzen dürsten; auch sie trauern, weil sie ‘Abdu’l-Bahá entbehren 1).

*

‘Abdu’l-Bahás Leben durchströmte eine Folge von fast unglaublichen Ereignissen: Gegensätze, Rückschläge, Wandlungen. Dennoch bleibt Er der gute Freund, der das Göttliche in Menschlichkeit übersetzte, in einem mitreißenden, stetigen Strom pausenlosen Wirkens, mehr als drei Viertel eines Jahrhunderts lang. Sein Leben stand in Beziehung zur ganzen Welt. Es verlief nicht fernab vom Schmutz des Bauernhofes und dem Schweiß auf der Straße. Sein Leben war nicht das eines einsamen Mönches, der sich von dem täglichen Kampf ums Dasein löst; er führte ein Leben inmitten dieses Existenzkampfes. Die Welt der Geldgier, der Lüge, des Betrugs, der Heuchelei, des spöttelnden Reichtums und der himmelschreienden Armut, die glitzernden Ballsäle und die dumpfen Leichenhallen waren die Stätten Seines Wirkens. Er erwartete von keinem, daß er irgendwohin ginge, wo Er nicht selbst lebte, durchhielt und triumphierte. Nichts von dem Schmutz drang in den geistigen Kern Seines Wesens. Kein Schwert, kein Gewehr, weder Gut noch Geld verführten Ihn dazu, nur um Haaresbreite davon abzugehen, die Attribute der Liebe, der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Wahrhaftigkeit vollkommen zu wahren.

*

Als ‘Abdu’l-Bahá 1844 geboren wurde, gingen zwei historische Zyklen ineinander über. Während der ersten neun Jahre Seines Lebens entflammten die Lehren des Báb Persien. Scharen von Helden fanden den Tod. ‘Abdu’l-Bahás Schwester erinnert sich an die Tage ihrer Kindheit: „Täglich hörten wir den Mob schreien, wenn ein neues Opfer gepeinigt [Seite 1296] und hingerichtet wurde. Nie wußten wir, ob es nicht unser Vater Bahá’u’lláh ist. Lange Tage verbrachten wir in ständigem Schrecken ... Wir fürchteten uns, die Tür zu öffnen; es hätten Leute hereinstürzen und uns töten können.“

Sie erinnert sich auch an die Reise ins Exil über schneebedeckte Berge: „Es war bitter kalt; wir alle waren ungenügend gekleidet und litten sehr unter der Kälte. Vor allem mein Bruder hatte nur dünne Sachen an. Seine Füße, Knöchel, Hände und Arme waren der Kälte stark ausgesetzt; es war so schlimm, daß sie anschwollen und Er Frostbeulen bekam, die Ihm großen Schmerz bereiteten 2).

*

Die folgenden zehn Jahre, vom neunten bis zum neunzehnten Lebensjahr, verbrachte ‘Abdu’l-Bahá in Baghdad. Dort „wurde Er Seines Vaters (Bahá’u’lláhs) engster Gefährte“, und schon als Heranwachsender „übernahm Er die Aufgabe, mit den vielen Besuchern, die zu Seinem Vater kamen, Gespräche zu führen ... Er half Seinem Vater, Fragen zu beantworten und die Schwierigkeiten dieser Besucher zu lösen“ 3).

‘Abdu’l-Bahá war der vollkommene Schüler des vollkommenen Lehrers. Seine Schwester erinnert sich: „Während dieser Jahre pflegte Abbas Effendi (‘Abdu’l-Bahá) in den Moscheen ein- und auszugehen. Hier diskutierte Er mit den Doktoren und Gelehrten. Sie waren über Sein Wissen und Seinen Scharfsinn erstaunt, und Er wurde als der jugendliche Weise bekannt. Sie fragten Ihn öfters: ‚Wer ist Dein Lehrer, wo lernst Du das, was Du sagst?‘ Seine Antwort war, Sein Vater habe Ihn unterrichtet. Obwohl Er keinen Tag die Schule besuchte, war Er auf allen Wissensgebieten bewandert, wie sie gebildeten, jungen Leuten beigebracht wurden. Dies erregte viel Aufsehen unter Seinen Bekannten“ 2).

Mit neunzehn Jahren begleitete ‘Abdu’l-Bahá Seinen Vater Bahá’u’lláh auf die zweite Etappe Seiner Verbannung nach Konstantinopel, dann auf die dritte nach Adrianopel, wo Sie fünf Jahre lang blieben. Als Er vierundzwanzig Jahre alt war, kam die Familie in ‘Akká an. ‘Abdu’l-Bahá beschrieb die Verhältnisse: „Stellen Sie sich unsere Lebensbedingungen und unsere Umgebung vor ..., eingekerkert in der Kaserne von ‘Akká. Bahá’u’lláh bewohnte einen Raum. Seine und mehrere andere Familien waren in einem anderen zusammengedrängt. Abgesehen von den schweren Krankheiten, die bei Kindern und Erwachsenen um sich griffen und den Tod von vielen unter uns Gefangenen bedeuten, da sie der ungesunden Umgebung und dem Hunger zuzuschreiben waren, bemerkte Ich, daß Meine Anwesenheit zu weiteren Qualen für alle anderen führte. Dies war darin begründet, daß in Meiner Gegenwart sich Kinder und Erwachsene gehemmt fühlten, sich beherrschten und versuchten, still und freundlich zu sein. Um ihnen mehr Freiheit zu geben, zog Ich in die Leichenhalle der Kaserne, welche der einzig verfügbare Raum war. Hier wohnte Ich ungefähr zwei Jahre lang“ 4).

In ‘Akká heiratete ‘Abdu’l-Bahá. Seine Frau erzählt: „... Ich war die Frau meines Geliebten. Wie wunderbar, wie edel war Er in Seiner Schönheit. Ich betete Ihn an. Ich erkannte Seine Größe und dankte Gott, daß Er mich zu Ihm geführt hatte. Das Glück, mit dem Meister zusammenzusein, [Seite 1297] ist unmöglich zu beschreiben. Es war mir, als ob ich in Seiner Gegenwart in einem herrlichen Reich heiligen Glücks sei ... In der Jugend Seiner Schönheit und männlichen Kraft, mit Seiner Güte, Seiner Fröhlichkeit, Seiner unfehlbaren Liebe, Seinem Sinn für Humor, Seiner geduldigen Rücksicht gegen jedermann, war Er wunderbar, ohne Seinesgleichen sicherlich auf der ganzen Welt! O mein geliebter Gatte und mein Herr! Wie soll ich von Ihm sprechen?“ 5).

‘Abdu’l-Bahá hatte neun Kinder, von denen jedoch fünf, darunter alle Seine Söhne, in der Gefangenschaft starben.

Der Dienst an Bahá’u’lláh und Seinen Anhängern war nicht die einzige Tätigkeit ‘Abdu’l-Bahás. Mit einunddreißig Jahren schrieb Er: „Preis und Dank seien der Vorsehung, daß sie aus allen Reichen der Schöpfung den Menschen in seiner Wesenheit auserwählt und ihn mit Verstand und Weisheit, den beiden strahlendsten Lichtquellen in dieser und der anderen Welt, ausgezeichnet hat.“ So beginnt Sein Buch „Das Geheimnis göttlicher Kultur“6). Und mit den Worten: „Betreffs des Einen, der als der Báb bekannt ist, laufen verschiedenartige Geschichten unter den Menschen um, und zahlreiche Berichte sind in den Blättern der persischen Geschichte und in den europäischen Chroniken enthalten,“ beginnt Sein Bericht über die frühe Geschichte des Bahá’í-Glaubens in „A Travellers Narrative“ 7).

Als ‘'Abdu’l-Bahá sechsundvierzig Jahre alt und zweiundzwanzig Jahre lang eingekerkert war, besuchte Ihn der englische Orientalist E. G. Browne. Er gab der Welt den einzigen unmittelbaren Eindruck von Bahá’u’lláh auf einen Europäer, und er war es, der ‘Abdu’l-Bahá wohl als erster Besucher aus dem Abendland beschrieb: „Selten sah ich jemanden, dessen Erscheinung mich mehr beeindruckte. Ein großer, kräftig gebauter Mann, der sich gerade wie ein Pfeil hielt, in weißer Kleidung, auf dem Kopf einen weißen Turban, lange schwarze Locken, die fast bis auf die Schultern wallten, eine breite, machtvolle Stirn, ... Augen, scharf wie die eines Falken, ausgeprägte, doch angenehme Züge, dies war mein erster Eindruck von Abbas Effendi. ... Die anschließende Unterhaltung vergrößerte den Respekt, den Seine Erscheinung mir von Anfang an eingeflößt hatte, nur noch mehr. Es dürfte schwer sein, denke ich, einen zweiten zu finden, der so beredt im Ausdruck, so geistesgegenwärtig in der Beweisführung, so eng vertraut mit den heiligen Büchern der Juden, Christen und Moslem ist. ... Diese Eigenschaften, verbunden mit einem hoheitsvollen, doch herzlichen Auftreten, beseitigten meine Verwunderung über Seinen Einfluß und die Achtung, die Ihm die Anhänger Seines Vaters zollten. An der Größe und Macht dieses Mannes kann keiner, der Ihn sah, einen Zweifel hegen.“

Im Jahr darauf, ‘Abdu’l-Bahá war siebenundvierzig, starb Bahá’u’lláh. Sein Wille bestimmte, daß sich alle dem Größten Zweig (‘Abdu’l-Bahá) zuwenden sollten.

Um diese Zeit gelangten die ersten Seitenwurzeln des Glaubens in den Westen. 1898 erreichten die ersten Pilger aus dem Westen das Heilige Land. Ein Mitglied dieser Gruppe, May Maxwell, beschreibt den Aufenthalt in ‘Akká: [Seite 1298] „Während der drei wundervollen Tage und Nächte, die wir an diesem geheiligten Platz verbrachten, hörten wir nichts als die Erwähnung Gottes. Sein heiliger Name war auf jeder Zunge, Seine Schönheit und Seine Güte waren das Thema jeder Unterhaltung, Sein wundervoller Glaube das Ziel jedes Lebens. So oft wir uns in einem Raum versammelten, hörten wir unablässig von der Gesegneten Vollkommenheit sprechen; man erzählte uns Begebenheiten aus dem Leben des Geliebten, führte Seine Worte an, berichtete von Seinen Taten und der leidenschaftlichen Liebe und Ergebenheit Seiner Anhänger, bis uns das Herz vor lauter Liebe und Sehnsucht weh tat“ 8).

Eine andere Pilgerin, Phoebe Hearst, schrieb: „Dies waren die denkwürdigsten drei Tage meines Lebens... mein größter Segen in dieser Welt ist, daß ich das Vorrecht gehabt habe, in Seiner (‘Abdu’l-Bahás) Gegenwart zu weilen und auf Sein geheiligtes Antlitz zu schauen. Ich muß sagen, Er ist das wundervollste Geschöpf, das ich je in dieser Welt getroffen habe oder jemals zu treffen erwarte. Unbeschreiblich ist Seine geistige Aura, die machtvoll auf alle Menschen Seiner Umgebung einwirkt ...9).

Weitere Pilger kamen ins heilige Land. Der erste amerikanische Bahá’í, Thornton Chase, der 1907 nach Israel pilgerte, beschreibt, wie ‘Abdu’l-Bahá „uns mit Küssen umarmte, wie ein Vater seinen Sohn, oder wie Brüder nach langer Trennung sich begrüßen.“ ‘Abdu’l-Bahá „zögert nicht, Seine Liebe zu zeigen, und Er liebt wahrhaftig die ganze Menschheit in jedem einzelnen. Er ist der große Menschenfreund, und jeder Freund ist für Ihn ein Vertreter der ganzen Menschheit.“ Er sagt, ‘Abdu’l-Bahá besitze „den Gang und die Freiheit eines Königs — oder eines Hirten. Er war stark, machtvoll, ohne jedes Rollendenken, frei und natürlich, wie ein Vater mit seiner Familie oder ein Junge mit seinen Spielkameraden. Dennoch brachte jede Seiner Bewegungen, Sein Gang, Seine Begrüßungen, Sein Platznehmen und Aufstehen Seine Macht, Seine Würde, Seine Freiheit und Seine Größe deutlich zum Ausdruck“ 10). Zwei andere Pilger sagten 1908, sie hätten, während Ihres Aufenthaltes in ‘Akká, „mit ‘Abdu’l-Bahá das Gefängnisleben geteilt, aber in der Heimatstatt Gottes gewohnt“ 11).

1910 verbrachte eine englische Journalistin einige Monate bei der heiligen Familie in Haifa. Sie lernte sie sehr gut kennen und schrieb dann einen umfassenden Bericht für die englische Zeitschrift „Fortnightly Review“, dem ein genauso ausführlicher im amerikanischen „Everybody’s“ folgte. Darin heißt es: „Dieser Diener Bahás ist ein Mann mit klugen, freundlichen, höflichen Augen; sie scheinen den Besucher zu durchdringen, aber er muß unwillkürlich diese Augen und alles, was dazugehört, gern haben ... Schaut Ihn genau an, meine Freunde, denn in Ihm seht ihr eine der bedeutendsten Gestalten der religiösen Welt von heute ... Er besitzt in wunderbarem Maße die Gabe, sich jeder Menschenseele zu widmen, die um Seine geistige oder praktische Hilfe bittet... Aber weit darüber hinaus besitzt Er die verfeinerte Eigenschaft der Geistigkeit, die man, wenn man mit Ihm in Berührung kommt, besser empfindet als versteht. Allezeit [Seite 1299] mild, herzlich und höflich, empfängt, belehrt, berät und stützt Er mit unfehlbarem Feingefühl und Verständnis die Pilgerflut, die stetig schwellend aus aller Welt gegen die kleine syrische Küstenstadt brandet.

„Die Fürsorglichkeit Abbas Effendis kennt keine rassischen oder religiösen Grenzen. Die ungefähr dreißig persischen Familien, die Bahá’u’lláh ins Exil gefolgt waren, hatten mehr als einmal Seinem Sohn ihre Kleidung und ihr täglich Brot zu verdanken. ‚Es vergeht kein Jahr‘, sagte eine Katholikin vor kurzem, ‚in dem Abbas Effendi uns nicht bei unserem Werk für die Armen hilft, und —‘ sie machte eine Pause, weil Seine Wohltätigkeit immer vertraulich ist — ‚wenn ich Ihnen nur über die Wohltaten erzählen dürfte, die Er insgeheim tut.‘ Fragen Sie nur, und die Imame der Moscheen von Haifa, der Pastor der Deutsch-Lutherischen Kirche, die ausländischen Konsulatsvertreter und der in Haifa wohnende Bezirksdirektor der Hedschasbahn werden Ihnen das gleiche sagen.

„Wenn Sie in Damaskus über die Hauptgeschäftsstraße gehen, können Sie mit einem Perser ins Geschäft kommen, der auf die Mitteilung hin, daß Sie nach Haifa weiterreisen, Ihnen ganz ehrfurchtsvoll begegnet und Sie bittet, dem Meister seine ergebenen Grüße und einen Brief zu bestellen. Als an einem Frühlingstag 1909 kurdischer Fanatismus die Stadt Adana mit einer blutigen Woge überschwemmte und 40000 Leichen zurückließ, sah er, wie sein Laden geplündert und angezündet, seine Familie hingeschlachtet wurde; er selbst fand sich halbtot unter einem Haufen Erschlagener wieder. Als Abbas Effendi von seinem traurigen Schicksal vernahm, sandte Er ihm Geld, half ihm geschäftlich auf die Beine und schrieb ihm freundliche Briefe, die ihm neuen Mut zum Leben gaben. ‘Abdu’l-Bahá nimmt an allen Persern in Haifa persönlichen Anteil, trägt zu ihrer Erziehung bei, wenn sie sich die Ausbildung nicht leisten können, schlichtet ihre Streitigkeiten, entscheidet Meinungsverschiedenheiten und berät sie in ihren praktischen wie in ihren geistigen Bedürfnissen...

„Der Meister selbst ... lebt ganz einfach. Sein Schlafzimmer wirkt fast spartanisch in seiner Schlichtheit. Eine Tasse Suppe und ein Teller Reis bilden normalerweise Seine kräftigste Mahlzeit...

„... Daß Seine Theorien sich unter Seinen Anhängern bewahrheiten, erweist sich durch das Dutzend Völkerschaften, das sich oft in schönster Harmonie an Seiner Tafel niederläßt, und das, man bedenke, in einem Land, wo Religion und Fanatismus fast bedeutungsgleich sind, wo sich ein wahrer Gläubiger kaum damit abfinden kann, einen Teller zu benutzen, den ein Ungläubiger aufgelegt hat, geschweige denn, neben ihm zu essen. Der Effendi ist ein eifriger und kluger Gesprächspartner, Seine Wortparade und Seine Ausfälle sind so schnell wie Degenstöße. Dies mußten zu ihrem Leidwesen auch Theologen aller Bekenntnisse erfahren, die nach Haifa gekommen waren, um Ihn mit ihren Argumenten zum Schweigen zu bringen. Selbst von den bigottesten Moslem wird Er so sehr bewundert, daß viele bekannte Religionsgelehrte ihre Reise zu den Heiligen Stätten unterbrochen haben, um Ihm in Haifa einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.

[Seite 1300] „Er beschränkt sich nicht auf Gespräche geistiger und theoretischer Art; Er zeigt lebhaftes Interesse an den politischen, sozialen und erzieherischen Bewegungen der westlichen Welt, die Er als beginnende Erfüllung der Offenbarung Bahá’u’lláhs ansieht...

„Neben Seiner geistigen Macht und Gewalt besitzt Er die unschätzbare Gabe des Humors, die Priester, Bauern und Prinzen auf die gemeinsame Grundlage des Verständnisses hinführt ... Er ist ein aufrichtiger, beherzter Mann, eine Gestalt, deren wachsender Einfluß bereits die Welt umspannt“ 12).

So vergingen vier Jahrzehnte, von 1870 bis 1910, bis ‘Abdu’l-Bahá das erste Mal wieder ‘Akká verließ. Er war in Seinen zwanziger Jahren in das Gefängnis gekommen, hatte dort Seinen Bruder und fünf Seiner eigenen Kinder sterben sehen, wurde in Seines Vaters Testament zum Mittelpunkt des Bündnisses bestimmt, überlebte die ständigen Verfolgungen und Belästigungen durch die Beamtenschaft, erlebte den Sturz der Dynastie, die Ihn eingekerkert hatte, sah, wie die Wissenschaft während Seiner Verbannung das Telephon, das elektrische Licht, den Phonographen, das Radio, das Automobil, das Flugzeug schuf, und verließ mit 66 Jahren für längere Zeit Sein Gefängnis, um dreimal nach Afrika, zweimal nach Europa und einmal nach Amerika zu reisen. Dort schrieb ein bekannter Journalist im Jahre 1912, „Er scheint direkt aus dem College zu kommen, frisch, unberührt von der Welt der Arbeit und der Sorge“. Er schließt mit den Worten: „Unter denkenden Menschen kann kein Zweifel bestehen, daß dieser Mann in großem Maße den wachsenden, sich entwickelnden Geist unseres Zeitalters vertritt“ 13).

*

Auf Seinem Weg quer durch Amerika und Europa hielten Reporter und Leute auf der Straße inne, schauten hin, kehrten sich um, einen zweiten Blick auf Ihn zu werfen, und fanden Ihn in vielerlei Hinsicht unfaßlich. Seine „Gewandtheit“, Seine „Fähigkeit zu denken und einprägsame Theorien über jedes Thema zu entwickeln“, schrieb eine Reporterin, „erstaunen um so mehr, wenn man bedenkt, daß Abbas Effendi ... vierzig Jahre ein sorgfältig bewachter Gefangener ... gänzlich von der Umwelt abgeschnitten, kein einziges Jahr Schulbildung genossen hat“ 14).

Als Er, Hand in Hand mit dem Archidiakonus von Westminster zur Kirche St. John schritt und die erste öffentliche Ansprache Seines Lebens hielt, äußerte sich der „Fortnightly Review“, daß „sicherlich der Morgen eines neuen Tages verkündet wurde“, und der „American Review of Reviews“ stimmte diesem Urteil zu: „Wenn man die Würde und den Konservatismus der Staatskirche Englands betrachtet und die Tatsache, daß dieser relativ unbekannte persische Prophet in die westliche Welt gekommen ist, um den Beginn des tausendjährigen Reiches anzusagen und zu verkünden, der von allen Nationen erwartete Messias habe während des vergangenen Jahrhunderts wirklich auf dieser Erde gelebt und gelehrt, ferner, um das zu predigen, was Er und Seine Anhänger als die neue Weltreligion betrachten, die alle anderen Religionen umfassen und verdrängen, alle Nationen unter dem Banner eines gemeinsamen Glaubens vereinigen soll, so wirkt dies kaum aus der Luft gegriffen.“

[Seite 1301] Als Ihn Lady Blomfield in Paris über einen Brief aus zuverlässiger Quelle unterrichtete, in dem stand, daß es „gefährlich für Ihn sein könnte, ein gewisses Land zu besuchen“, antwortete Er, „meine Tochter, hast Du noch nicht bemerkt, daß ich noch keinen Tag meines Lebens außer Gefahr war?“ Er versicherte ihr, daß „diese Feinde keine Macht über Mein Leben haben, außer derjenigen, die von Gott gegeben ist“ 15). Die amerikanischen Bahá’í zeichneten 18000 Dollar für Seine Reise nach den Vereinigten Staaten, doch ‘Abdu’l-Bahá gab das Geld für milde Zwecke zurück 16).

Francis Henry Skrine schrieb zu dieser Zeit ein neues Buch über den Bahá’í-Glauben und sagte, daß er „plötzlich über die große Republik kommen könnte, mit einer Sturmwoge, der nichts wiederstehen kann“ 17). Und Elibert Hubbard schrieb: ‘Abdu’l-Bahá ist eine höchst bemerkenswerte Persönlichkeit, Er besitzt magnetische Anziehungskraft und einiges dazu. Sein Eifer, Sein Enthusiasmus, Seine Lebendigkeit, Seine Hoffnung und Sein Glauben strömen über und überschwemmen alles. Keiner kann mit Ihm streiten. Keiner kann mit Ihm disputieren. Jeder muß Ihm zustimmen — und jeder tut es. Er ist das, was Er ist. Er wurde in diese Tätigkeit hineingeboren, Er ist für sie geschaffen, und betrachtet sich selbst als göttlich ernannt“ 18).

Tag für Tag unter einem Programm, das Seine körperliche Belastbarkeit bis zum letzten ausschöpfte, fuhr Er im Auto zu nahegelegenen Städten und reiste längere Strecken sitzend im Zug, anstatt sich die Bequemlichkeit eines Schlafwagens zu gönnen. So fuhr Er von New York über Washington nach Chikago, zurück über Cleveland, Pittsburgh nach Washington, dann wieder nach New York, wobei Er Montclair, Lake Mohonk, Jersey City, Boston, Worcester, Cambridge, Brookline, Fanwood, Philadelphia, Newark, Morristown und Englewood besuchte. Dann reiste Er über Boston nach Dublin, New Hampshire, Eliot in Maine, zurück über Malden, Boston und Cambridge, dann nördlich nach Montreal, und weiter nach Buffalo, zurück nach Chikago und Kenosha, westwärts nach Minneapolis, St. Paul, Omaha, Lincoln, Salt Lake City, Denver, Glenwood Springs, San Franzisko und Oakland. In Kalifornien besuchte Er außerdem Palo Alto und Los Angeles, kehrte nach San Franzisko zurück, fuhr daraufhin nach Sacramento, zurück nach Denver und Chikago, weiter nach Cincinnati, Washington, Baltimore und dann nach New York zurück. Er sagte den Bahá’í am 239. Tage Seiner Lehrtätigkeit in Wort und Vorbild: „Sie können vor Gott keine Entschuldigung vorbringen, wenn Sie es versäumen, nach Seinem Befehl zu leben — denn Sie sind jetzt über alles informiert, was Gott wohlgefällig ist“ 18).

Während dieser 239 Tage sprach Er in Kirchen, Synagogen, verschiedenen Klubs und Organisationen. Wenn Er eine bestimmte Zeit irgendwo blieb, mietete Er sich ein Haus, bereitete Mahlzeiten zu und bediente Seine Gäste. Er wurde von Alexander Graham Bell, Admiral Peary, dem US-Finanzminister Lee McClung und dem ehemaligen Präsidenten Theodore Roosevelt empfangen, besuchte in New York ein Schauspiel, wurde für die Wochenschau gefilmt, nahm ein Dampfbad in einer heißen Höhlenquelle in Colorado, lehrte den Glauben in den Eisenbahnwagen, wo sich [Seite 1302] Reisende um Ihn scharten, scherzte mit den Richtern am Bundesgerichtshof, brachte Schwarz und Weiß zusammen, indem Er ihnen darlegte, daß die Welteinheit von ihrer Einheit abhänge, machte Schlagzeilen mit Seiner ausdrücklichen Bejahung der Mischehe und führte selbst eine derartige Heirat herbei, Er benutzte häufig Straßenbahnen statt Taxis, um Geld zu sparen, versammelte die Dienerschaft des Hearst-Landsitzes um sich und gab ihr fürstliche Trinkgelder, legte den Grundstein für das Haus der Andacht in Wilmette, vertiefte unaufhörlich das Verständnis der Freunde, indem Er ihnen aus dem Leben Bahá’u’lláhs und der Märtyrer erzählte und jeden der Stufe Seiner Fähigkeit nach auf dem Pfade geistiger Entwicklung förderte, Er machte ein Nickerchen auf dem Rasen eines New Yorker Parks, verteilte Äpfel an Kinder, antwortete auf die Bemerkung des Sekretärs der Friedensgesellschaft, der gesagt hatte, daß Religion leider nicht in das Programm der Organisation aufgenommen werden könne, weil die verschiedenen Sekten sich in die Haare kommen könnten: „Man kann Ihre Mitglieder mit Masseln von verschiedenen Metallen vergleichen. Sie versuchen, diese Metallstücke zu vereinigen, wie Sie versuchen, diese Finger mit einer Schnur zusammenzuziehen. Wie sehr Sie auch ziehen, die Finger bleiben immer getrennt. Wenn Sie aber die Metalle legieren wollen, müssen Sie sie in einen Tiegel legen und kräftig einheizen, damit sie alle schmelzen. Wir benutzen zum Einschmelzen das Feuer der Liebe Gottes“ 19).

‘Abdu’l-Bahá reiste wieder nach Europa und besuchte London, Paris, Stuttgart, Budapest und Wien. Er kehrte nach Haifa zurück, wo Er wieder eingekerkert und mit der Kreuzigung bedroht wurde. Unterdessen war Er damit beschäftigt, einen umfassenden Plan für die weltweite Verkündigung von Seines Vaters Offenbarung auszuarbeiten. Als General Allenby, frisch von seinen Heldentaten mit Lawrence von Arabien zurückgekehrt, Haifa einnahm, kabelte er nach London: „Teilen Sie der Welt mit, daß ‘Abdu’l-Bahá in Sicherheit ist“.

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Den Menschen eines Zeitalters, in dem Stofflichkeit und Geistigkeit oft durcheinandergebracht und mißverstanden werden, führte ‘Abdu’l-Bahás Lebensstil vor Augen, welche Werte Er verkörperte. Im Halbdunkel einer


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Der Suchende muß zu allen Seiten sein Vertrauen in Gott setzen, muß dem Erdenvolk entsagen, muß sich von der Welt des Staubes lösen und sich an Ihn, den Herrn der Herrn, halten. Er darf niemals versuchen, sich über irgend jemanden zu erheben. Er muß jede Spur von Stolz und Hochmut von der Tafel seines Herzens hinwegwaschen, muß Geduld und Entsagung üben, Schweigen beachten und sich eitler Rede enthalten. Denn die Zunge ist ein schwelendes Feuer, und Übermaß der Sprache ist ein tödliches Gift.
Bahá’u’lláh
Ährenlese CXXV

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[Seite 1303] Welt der Unsicherheit und des Kompromisses finden diejenigen, die Ihn persönlich kannten, und alle, die sich tiefer in Sein Leben hineinlesen, ein Vorbild der kompromißlosen Geschmeidigkeit, der Güte ohne Schlaffheit, Gerechtigkeit ohne Härte, der Liebe ohne Besitzanspruch und eine Heerschar weiterer Tugenden in hochentwickeltem Maße. Er stellte diese Tugenden nicht in philosophischen Abhandlungen, sondern in Seinen täglichen Entscheidungen dar. Sein Leben zu studieren, heißt das „Licht“ dieser Eigenschaften in ihrer täglichen Wirksamkeit zu untersuchen. Er nahm abstrakte Tugenden und übertrug sie in die Verhaltensweisen des Essens, Schlafens, Sprechens, Arbeitens, Lehrens, Liebens, Teilens, Betens und Lachens.

Jeder Mensch besitzt die Anlage für das Verständnis dieser Tugenden und für deren Ausdruck in täglichen Verrichtungen. ‘Abdu’l-Bahá zeigte uns, daß eine durch das Licht entwickelter geistiger Eigenschaften erleuchtete Seele einen Körper jedweder Größe, jeder Farbe, jeden Alters tragen kann, wie dieser Körper in das Gewand jedes Berufes, jedes Himmelstrichs oder jeder Kultur gekleidet sein kann. Es ist die Seele mit ihren Eigenschaften, die darüber bestimmt, wie Körper und Gewänder gebraucht werden. Ohne diese innere Entwicklung bringt die äußere Mannigfaltigkeit Reibungen zwischen Bevölkerungsgruppen, Generationsprobleme, zerstörerischen Kleingeist mit sich; mit der Einheit seelischer Eigenschaften wird die äußere Mannigfaltigkeit als Schönheit wahrgenommen.

Wenn wir heute, da der Planet zu einer großen Nachbarschaft geworden ist, einen „universellen Menschen“ suchen, der in diesen neuen Verhältnissen lebt, können wir damit beginnen, ‘Abdu’l-Bahá zu studieren, können bei den Lehren verweilen, die Seinem Leben Inhalt gaben, können die Universalität entdecken, die Er jeder Verhaltensweise einflößte, und zu verstehen suchen, was Seine Lebensform für uns selbst bedeutet.


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aus „World Order, a Bahá’í Magazine“, Summer 1970. Allen L. Ward, Ph. D., ist Direktor für Forschung und Personalschulung an einem Institut für Blindenfürorge in Arkansas.
1) „The Memorial Services of ‘Abdu’l-Bahá on Mount Carmel, Palestine“, compiled and translated by Zia Bagdadi, Chicago 1921, S. 2-7
2) zitiert bei Myron H. Phelps, „Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren“, Stuttgart 1922, S. 38 und 40
3) J. E. Esslemont, „Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter“, 4. Kap.
4) zitiert by Zia Bagdadi, „Star of the West“ XIX, S. 140/141
5) zitiert bei Lady Blomfield, „The Chosen Highway, Wilmette/Ill. 1941, S. 89 f.
6) vgl. „BAHA’I-BRIEFE“, Heft 4-7
7) „A Traveller’s Narrative“, trans. Edward G. Browne, New York 1930, S. 1
8) May Maxwell, „An Early Pilgrimage“, Oxford 1953, S. 19
9) zitiert bei Shoghi Effendi, „Gott geht vorüber“, Kap. XVI.
10) Thornton Chase, „In Galilee“, Chicago 1921, S. 29
11) Helen S. Goodall und Ella Goodall Cooper, „Daily Lessons Received at Acca“, Chicago 1908, S. 5
12) E, S. Stevens, „Light in the Lantern“, Everybody’s XXV, Dez. 1911, S. 775 ff.
13) Elbert Hubbard, „A Modern Prophet“, Hearst's Magazine XXI, Juli 1912, S. 50
14) Stevens, wie 12), S. 782
15) Blomfield, wie 5), S. 184 f.
16) ‘Abdu’l-Bahá, „Promulgation of Universal Peace“, Vol. I., Chicago 1922, S. 11.
17) zitiert in „The Universal Gospel that Abdul Baha Brings Us“, Current Literature, LII, Juni 1912, S. 678
18) „Promulgation“, S. 466
19) zitiert bei Bagdadi, S. 182


[Seite 1304]


„Seit aller Ewigkeit warst Du
der Fassungskraft und dem
Begriffsvermögen Deiner Die-
ner weit überlegen und über
das Streben Deiner Knechte,
Dein Geheimnis auszudrücken,
unendlich erhaben.“
Bahá’u’lláh



Das Sinnbild des Größten Namens[Bearbeiten]

Eine Einführung von Abdu’l-Qásim Faizi


Wie auch die anderen mannigfachen, grundlegenden Wahrheiten des Neuen Zeitalters sollte die Bedeutung des Größten Namens, eines Mysteriums, das seit undenklichen Zeiten „hinter dem mystischen Schleier“ in der Schatzkammer göttlichen Wissens verborgen war, zur festgesetzten Zeit in Einklang mit dem göttlichen Plan vor den Augen der Menschen geoffenbart und dargelegt werden. Frühere Gottesboten, unter deren Einfluß der Mensch geistige Fortschritte machte und gradweise ein klareres Verständnis für seine verborgene Bedeutung erlangte, haben schon Andeutungen gemacht. Wie eine strahlende, aber von Wolken umhüllte Sonne blieb der Größte Name verborgen und unerkannt. Jene, die es danach verlangte, einen Schimmer seines Glanzes zu erhaschen, kamen ihm zwar näher, aber sie erfreuten sich nur eines matten Widerscheins. In Einklang mit der unerforschlichen Weisheit in Gottes fortschreitender Offenbarung der Wahrheit verblieben die Schleier während der vergangenen Jahrhunderte, bis sie stufenweise einer nach dem andern von diesem kostbaren, allumfassenden Namen Gottes gehoben wurden.


Die Erwartung früherer Religionen

Die eifrigen Anhänger der früheren Religionen fanden in ihrem innigen Wunsch, einen Lichtfunken jenes majestätischen Tagesanbruches zu erleben, daß der neue Name des All-Erhabenen, der erscheinen sollte, „Licht“, „Glanz“ und „Herrlichkeit“ bedeute. Die Anhänger Krischnas z.B. erwarteten Seine Wiederkunft unter dem Namen „Vishnu Yasha“, was in Sanskrit „Herrlichkeit Gottes“ bedeutet. Das letzte Kapitel des Shrimad Bhagwad der heiligen Hindu-Schrift stellt fest: „Vishnu Yasha wird von großer Kraft, Klugheit und Tapferkeit sein ... Er wird in dieser Welt Ordnung und Frieden wiederherstellen ... Der Mensch wird allgemein anfangen, die Wahrheit zu ehren und in die Tat umzusetzen.“ 1)

Ein Bahá’í-Gelehrter im Mittleren Osten, dessen Vater früher einem buddhistischen Tempel vorstand und der sich in den Schriften jenes Glaubens gut auskannte, erzählte mir, daß er viele Male das gesamte Evangelium Buddhas in Sanskrit gelesen habe. Er verstand davon jedes Wort mit Ausnahme eines Wortes, das aus „B“, „H“ und „A“ bestand und das [Seite 1305] gelegentlich in der buddhistischen heiligen Schrift vorkam. Als er den Bahá’í-Glauben kennenlernte, war das Geheimnis gelüftet. Zusammengefügt ergaben diese Buchstaben den Namen „Bahá“.

Die Hinweise sind bei Buddha außergewöhnlich klar. Ananda, einer Seiner Jünger, fragte Ihn: „Wer wird uns lehren, wenn Du von uns gegangen bist?“ Buddha antwortete mit diesen klaren Worten: „Ich bin nicht der erste Buddha, der auf die Erde kam, noch werde ich der letzte sein. Zur rechten Zeit wird ein anderer Buddha in der Welt erscheinen ... Er wird euch die selben ewigen Wahrheiten offenbaren, die Ich euch gelehrt habe. Er wird euch Seine Religion predigen, herrlich in ihrem Ursprung, herrlich auf ihrem Gipfel, herrlich im Ziel, im Geist und im Wort.“ 2)

Es ist höchst interessant festzustellen, daß in den buddhistischen Schriften, besonders im Amitayus Sutra, klar auf „AMITABHA“ als das „unendliche Licht der Offenbarung“, das „unbegrenzte Licht“ und den „Quell der Weisheit, Tugend und Buddhahaftigkeit“ hingewiesen wird. Bei der Schilderung der Eigenschaften des wahren Schülers erklärte Buddha, jener sei ein „wahrer Nachfolger“, der „von Herzen auf Amitabha, das grenzenlose Licht der Wahrheit, vertraue.“ 3)

Die jüdischen Mystiker kannten die Bedeutung der beiden Buchstaben „B“ und „H“ und maßen ihnen große Wichtigkeit bei. Ihre geistigen Führer und Philosophen schrieben Kommentare darüber und lenkten die Aufmerksamkeit suchender Seelen auf diese Buchstaben. Unter den Juden gibt es eine Legende über Salomons Siegel, das angeblich den Größten Namen getragen haben soll und dem es, wie man sagt, die Macht über alles Erschaffene, selbst die Tierwelt, verdankte.

Bei Jesaja lesen wir: „... Beschämt steht Libanon da und verdorrt. Der Steppe gleich ist Scharon; Basan und Karmel werfen das Laub ab.“ 4) Außerdem sagte Jesaja: „... denn die Herrlichkeit des Libanon soll ihr gegeben werden, die Pracht des Karmel und der Ebene Saron. Sie werden die Herrlichkeit des Herrn und die Pracht unseres Gottes sehen.“ *) Es ist interessant, diesen letzten Vers mit der arabischen Version zu vergleichen, die wörtlich übersetzt lautet: „Gott wird dem Libanon seine Herrlichkeit gewähren; das Bahá des Karmel und Sharon wird offenbar werden und sie werden die Herrlichkeit Gottes, das Bahá unseres Herrn, schauen.“ 6) Als Jesus zu den Juden sprach, denen diese Begriffe geläufig waren, sagte Er deshalb, daß Er „in der Herrlichkeit des Vaters“ wiederkommen werde.

Da der islamische Glaube dem Neuen Tag unmittelbar voranging, fanden die Anhänger des Islam, daß die Schleier, die diesen verborgenen Schatz verhüllten, durchsichtiger geworden sind, die himmlischen Lichtstrahlen stärker durchdringen ließen und die Wirklichkeit dieses Mysteriums deutlicher preisgaben. Es waren klare Hinweise auf den Größten Namen gegeben, und weil die Sucher deutliche Angaben zu diesen Anspielungen fanden, wurden sie ermutigt, in ihrer Suche standhaft fortzufahren.

Die Worte der Imame und Gelehrten des Islam halfen, die suchenden Seelen zur Quelle wahren Wissens zu leiten. Es gibt ein sehr machtvolles Gebet, das die Schiiten während des Fastenmonats bei Tagesanbruch singen. Die treuen Gläubigen erwachen in der Morgendämmerung und nehmen die Melodie seiner Weise in sich auf, wenn es von den Minaretten [Seite 1306] der Moscheen gesungen oder heutzutage vom Rundfunk übertragen wird. Als Imám Rida dieses Gebet einführte, sagte er: „Ich schwöre bei Gott, daß der Größte Name in diesem Gebet gefunden wird. Hättet ihr das gewußt, dann hättet ihr mit Schwertern gefochten, um dieses Gebet zu besitzen.“ 7) Die einleitenden Worte des Gebets lauten: „O Gott, mein Gott! Ich bitte Dich flehentlich bei Deinem Bahá, Deinem Bahá in seiner Ganzheit, Ich flehe Dich an bei all Deinem Bahá ...“ Das Gebet nennt im weiteren Verlauf andere Namen Gottes, so auch „Schönheit“, „Glanz“ und alle die Namen, die im Bahá’í-Kalender vorkommen.


Von Dichtern gepriesen

Dichter und Philosophen fanden dieses wunderbare Geheimnis und besangen es offen. In der Regierungszeit von Sháh ‘Abbás, der ein Zeitgenosse der Königin Elizabeth I. war, kam der größte Gelehrte jenes Jahrhunderts vom Libanon nach Persien und ließ sich in Isfáhan, der damaligen Residenz- und Hauptstadt, nieder. Dieser Mann besaß ein umfassendes Wissen und schrieb hervorragende Bücher über Künste, Wissenschaften, Literatur und Philosophie seines Zeitalters. Es gibt viele Geschichten über ihn, seine Gelehrsamkeit und Genialität. Es wird sogar berichtet, er hätte eine Maschine erfunden, die Stimmen aus entfernten Gegenden wiedergab. Eine seiner Entdeckungen war der Größte Name, und deshalb nannte er sich „Bahá’í“. Shaykh Bahá’í ist fraglos der berühmteste aller persischen Gelehrten. In einem seiner Werke sagt er: „Der Größte Name ist dem Menschen unbekannt, aber in der Liste aller Namen Gottes steht er an erster Stelle.“ Zweifellos meinte er damit das oben erwähnte Gebet zur Morgendämmerung, das mit dem Namen Bahá beginnt.

Die Gedichte Mawlavis (Jalál-i-Dín Rúmi), des größten mystischen Dichters des Ostens, sind für ihre Schilderung der geistigen Reise des Menschen und deren Endziel in den Welten Gottes berühmt. Mawlavi erklärte: „Wir haben Bahá gefunden und wir eilen, ihm unser Leben als Opfer darzubringen. Er ist unsere Erlösung.“ 8)

Háfiz, der berühmteste Lyriker des Ostens, wandte sich an Persien und sprach: „Möge dieses Land ewig blühen! Bei jedem Atemzug entströmen seiner heiligen Erde die Düfte des Barmherzigen. Frohe Botschaften seien den glorreichen Königen Persiens! Frohe Botschaften für ein seliges Ende! Die Macht des Größten Namens hat das Übel von diesem Lande abgehalten.“

Als ich in Arabien war, studierte ich das Manuskript eines dortigen Gelehrten über mystische Philosophie. In einem Kapitel spricht der Autor von den Bedingungen, die der Sucher auf dem Pfad zu Gott beachten muß, und sagte: „Jene, die den Pfad betreten und an das Tor des erleuchteten Wissens klopfen, sind aufrichtig und geduldig. Sie stehen den Engeln, die sie willkommen heißen, reinigen und läutern, von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Man reicht ihnen Wasser aus der Quelle Bahás. Wenn sie ihre Augen öffnen, sehen sie, wie mit großer Majestät Gott vorübergeht; Sein Name leuchtet über dem Horizont des Reiches ... Obwohl sie auf Erden wandeln, sind jene Menschen dem Herzen nach mit dem Erhabensten Ort und den Bewohnern des Großen Tabernakels verbunden.“ 9)

[Seite 1307]

Den Babí kundgetan

Mit dem Anbruch des Neuen Zeitalters und dem Erscheinen seines Herolds, des Báb, wurden die verbliebenen Schleier durch die Bewegung Seiner erhabenen Feder zerrissen. Die Menschen verstanden, mehr und mehr, daß ohne den leisesten Zweifel „Bahá“ der so wohl verwahrte Name war, der in aller Herrlichkeit und Majestät offenbar zu werden bestimmt wurde. Die Deutlichkeit, mit der der Báb auf Bahá’u’lláh hin wies und die glühenden Worte, mit denen er Ihn pries, machten „Bahá“ zum Brennpunkt der Verehrung.

Der Báb hob den Größten Namen in den Manuskripten Seiner unvergleichlichen Schriften deutlich heraus. Vor Jahren hatte ich die Ehre, drei Bände Seiner Schriften zu lesen, ehe sie dem geliebten Hüter überbracht wurden. Die Bücher waren von Mullá ‘Alí Akbar Ardistani!10) im ersten Jahr der Sendung des Báb niedergeschrieben worden — mit schwarzer Tinte, aber wann immer einer der zahlreichen Hinweise auf das Wort „Bahá“ vorkam, erschien dieses Wort in rot. Im allerersten Jahr Seines Wirkens hatte der Báb Seine Sekretäre zu dieser Schreibweise angehalten, um jenen, die keine Zeit oder Geduld hatten, Seine Schriften ganz zu lesen, zu helfen, diesen Namen zu sehen.

In den Schriften des Báb gibt es unzählige Hinweise auf „Bahá“. Sie alle anzuführen ginge weit über den Rahmen dieses Aufsatzes hinaus. Es genügt festzustellen, daß Er gesagt hat: „Wohl dem, der seinen Blick auf die Ordnung Bahá’u’lláhs richtet und seinem Herrn dankt.“ 11)

Als die Anhänger des Báb sich unter besonderen Umständen in Badasht versammelten, erhielt dort jeder einen neuen Namen. Sie erkannten dabei, daß dieses strahlende Diadem der Macht und Majestät seine ewige Offenbarung gefunden hatte — nicht auf dem Haupte eines Gelehrten im Talar, sondern auf dem eines Jünglings, dessen Erscheinung majestätisch, dessen Haltung und Sitten herrlich und der in jedem Atom seines Wesens göttlich war. In den Augen der Menschen war er so erhaben, so hoch geachtet und verehrt, daß sie aus reiner Verehrung und Liebe nicht wagten, Seinen Namen auszusprechen. Statt dessen wurde Er mit „Ishan“ angeredet.12)

Die Buchstaben des Lebendigen und die ersten Gläubigen kannten nunmehr den Träger dieses Namens und nahmen in Ihm solche himmlischen Eigenschaften wahr, daß sie, obgleich sie bereits von dem neu gefundenen Lebensstrom getrunken hatten, sehnsüchtig um den noch herrlicheren Tag Gottes beteten — den Tag, an dem sie in den mächtigen, himmlischen Ozean der Verkündigung dieses Größten Wesens tauchen konnten.

Táhirih schreibt in einem ihrer Briefe: „O mein Gott! O mein Gott! Der Schleier vor dem Antlitz dieser Spur göttlicher Gegenwart muß fallen! O mein Gott! Beschütze Husayn, das Geheimnis Muhammads, und führe den Tag der Vereinigung mit Ihm schnell herbei... O mein Gott! Laß den Punkt von Bahá kreisen ... O mein Gott! Beschütze alle, die die Zwillingspunkte umwandeln und mache sie standhaft in Deiner größten Sache, so daß sie den Punkt erblicken mögen, der Licht auf sie ergießt.“

Kein Wunder also, daß Hunderte von Gelehrten und hervorragenden Geistlichen auf dem Pfad der Verkündigung des Größten Namens ihr Leben in Ergebenheit und Glauben opferten. Sie warteten auf Sein [Seite 1308] Kommen, auf den Augenblick des Aufleuchtens Seines Glanzes. Sobald sie fühlten, wie Er zu Seinem Aufgangsort emporstieg, entflammten sie in Seinem Licht, erhoben sich wie entzündete Leuchten und wurden die „Dawn Breakers“, die die Nacht vertreiben.

Es gibt zahlreiche prophetische Hinweise auf den Namen, den Geburtsort, den Zeitpunkt der Erklärung, die Verbannungsorte, die Gefangenschaft und das ganze Schicksal der Zentralgestalt unseres Glaubens. Im Rahmen dieses Aufsatzes genügt es, folgende wichtige, authentische islamische Überlieferung zu kennen: „Alle Anhänger des verheißenen Qá’im werden getötet außer dem Einen, dessen Antlitz mit der Schönheit Abhá in der Ebene von ‘Akká leuchten wird.“

Aus dieser Einführung fassen wir zusammen, daß der Größte Name „Bahá“ ist. Dies sollte klar verstanden und stets gegenwärtig sein, wenn wir nun fortfahren, mit unseren begrenzten Mitteln dieses große göttliche Geheimnis zu ergründen. Wir müssen langsam und geduldig, Schritt für Schritt, vorgehen, um jede Phase dieses wichtigen Themas zu untersuchen, bis wir einen genauen Begriff von allen Fragen bekommen, die diesen Gegenstand betreffen.

Der Báb verehrte den Namen „Bahá“ und gebrauchte ihn häufig in Seinen Schriften. Er machte sogar viele Ableitungen von diesem einen Wort und schrieb sie in einem Tablet nieder, das die Gestalt eines fünfzackigen Sternes hat. Das Pentagramm versinnbildlicht den menschlichen Tempel (Körper).

Wir werden nun lediglich einige Punkte hervorheben, um den Weg zum klaren Verständnis des Symbols des Größten Namens zu bahnen, ohne dabei zu versuchen, diesen Gegenstand erschöpfend zu behandeln.


Das Symbol des Größten Namens

Unsere Erklärung des Symbols des Größten Namens beruht vorwiegend auf einem von ‘Abdu’l-Bahá geoffenbarten Tablet.

Wer entwarf das Sinnbild?

Einer der Gläubigen, die die Gnade und das Vorrecht hatten, in der Gegenwart des geliebten Meisters zu weilen, berichtete eine mündliche Darlegung des Meisters, wonach Er selbst dieses Sinnbild geschaffen habe. Kein Geringerer als 'Abdu’l-Bahá konnte dieses Sinnbild entworfen haben, denn wer sonst hätte so viele göttliche Geheimnisse auf so kleinem Raum und in so wenigen Buchstaben zusammenfassen können! Einige Mystiker unter den Israeliten lenkten die Aufmerksamkeit ihrer Anhänger nachdrücklich auf die beiden Buchstaben „b“ und „h“ und deuteten an, daß sie etwas mit dem Größten Namen zu tun hätten. Man sagt, daß der Größte Name der vorherrschende Schmuck des Tempels war. Den Moslem war er noch vertrauter, aber nicht in dieser Form und Vollendung. In den islamischen Gesetzen über Gebet und Verehrung heißt es, wer je einen Ring mit dem Symbol des Größten Namens besäße, solle ihn an der rechten Hand tragen.

Bahá’u’lláh verpflichtet die Freunde nicht, einen Ring mit diesem Sinnbild zu tragen, zumal da es diesbezüglich kein besonderes Gesetz von [Seite 1309] Bahá’u’lláh im Aqdas oder in Seinen Tablets gibt. Der geliebte Meister sagte den Freunden im Westen, daß man den Ring an der rechten Hand tragen solle, was eine Verewigung des obigen islamischen Gesetzes bedeutet.

Einige Ableitungen vom Namen Bahá

Bahá = Licht oder Herrlichkeit

Abhá = am herrlichsten

Al Abhá = der Allherrliche, der Herrlichste

Bahíyyih = Name des Größten Heiligen Blattes, „voll Herrlichkeit“

Alláh’u’Abhá = „Gott, der Allerherrlichste“, ein Bahá’í-Gruß, der in den Tagen von Adrianopel aufkam und seither gebraucht wird.13) Ihn täglich fünfundneunzigmal zu sprechen, ist gemäß einem Hinweis im Auftrag des Hüters „nicht absolut bindend“. „Alláh’u’Abhá“ muß im langen täglichen Gebet an den Stellen wiederholt werden, wo die Anleitung zum Sprechen des Größten Namens auffordert.

Yá Bahá’u’l-Abhá = eine Anrufung; sie bedeutet „O Herrlichkeit des Allerherrlichsten“. In diesem Zusammenhang erinnern wir an die aufrüttelnde Botschaft des Hüters zu den Interkontinentalen Konferenzen 1953, wo er auf „Yá Bahá’u’l-Abhá“ und „Yá ‘Alíyyu’l-A’lá“ („O Erhabenheit des Erhabensten“) als „Anfeuerungsrufe" der Pioniere und Lehrer an den vielen Stätten des weltumfassenden Kreuzzuges hinweist. Nirgends in den Schriften wird verlangt, daß wir solche Anrufungen so und so viele Male am Tage wiederholen sollen. Wie dem auch sei, welch packendes Erlebnis ist es für uns, wenn wir in Zeiten bitterer Not Gottes Führung, Hilfe und Kraft suchen, indem wir uns Bahá’u’lláh und dem Báb mit diesen schönen Anrufungen direkt zuwenden! Yá Bahá’u’l-Abhá wird so dargestellt:









Die Symbolik des Größten Namens

Beginnen wir mit den Grundzügen des Bildes und vervollständigen wir es schrittweise:








Dieser Teil des Symbols besteht aus drei Ebenen, wobei jede Ebene eine Zahl bedeutet. Zusammen stellen sie den grundlegenden Glauben dar, der die Basis aller Religionen Gottes bildet. Sie bedeuten:

[Seite 1310]

(1) Die Welt Gottes — der Schöpfer

(2) Die Welt der Propheten oder Manifestationen — die Sache, der Befehl Gottes

(3) Die Welt des Menschen — Schöpfung

Die Anhänger aller Religionen glauben, daß der Mensch, sich selbst überlassen, Gott niemals erkennen oder in Seine Gegenwart gelangen könne, noch imstande sei, das Geheimnis und den Sinn seiner eigenen Erschaffung zu ergründen. Gott hat und wird weiterhin in Seiner grenzenlosen Gnade Seine Erwählten ausersehen, die Er zu verschiedenen Zeiten in die Welt des Menschen sendet, um ihm umfassende Einsicht zu vermitteln und ihm einen Schimmer der nie verblassenden Herrlichkeiten der zahllosen jenseitigen Welten zu zeigen.

Die Propheten willigen ein, von ihrem Reich der Höhe herabzusteigen, und sie erdulden die Erniedrigung, in einem menschlichen Tempel (Körper) zu leben, unter Menschen zu wandeln und ihre Sprachen zu sprechen. Seit eh und je wurden die Manifestationen verleugnet, verlacht, gedemütigt und sogar getötet. Ohne Ihren geistigen Impuls und Ihre Führung hätte der Mensch weiterhin wie ein wildes Tier gelebt, zu ewiger Armut und Ehrlosigkeit verdammt.

Diese Funktionen der Propheten sind im Zeichen des Größten Namens klar dargelegt, indem die Ebene der Propheten, als horizontale Linie aufgeführt, vertikal wiederholt wird. Diese Linie verbindet so die Welt des Schöpfers mit der Seiner Schöpfung.








Im Gegensatz hierzu glauben die Mystiker nur an zwei Welten, die Welt Gottes und die Welt des Menschen. Sie verkünden, losgelöst von allen weltlichen Wünschen und irdischen Verhaftungen werde der Mensch fähig, in die Gegenwart des Herrn, des Schöpfers, zu gelangen. Die Mystiker behaupten, man brauche kein Verbindungsglied zwischen Gott und seiner Schöpfung. Deshalb glauben sie an Askese und leben danach, indem sie sich teilweise an abgelegene Orte der Welt in die Berge oder Wälder zurückziehen. Ein solches Eremitenleben hat die mächtige Feder Bahá’u’lláhs ausdrücklich verboten, weil Er jeden Menschen als ein fruchttragendes Glied der Gesellschaft zu sehen wünscht.

[Seite 1311] Die Baha’i glauben, daß der Mensch, zu welchen Gipfeln geistigen, wissenschaftlichen und materiellen Erfolges er auch aufsteige, die göttliche Führung durch die Propheten nötig hat und immer nötig haben wird. Nur durch Sie kann der Mensch die Geheimnisse wahrer Zivilisation begreifen und den Willen, die Absicht seines Schöpfers erkennen. Die Bahá’í glauben außerdem, daß durch das umfassende Verständnis für die prophetische Religion und durch die rückhaltlose Einführung ihres Wertsystems, ihrer lebenswichtigen Vorkehrungen und Lehren der Mensch den höchsten Zustand der Glückseligkeit erreichen und sich der Gegenwart seines Herrn erfreuen kann.

Denken wir weiter über dieses Zeichen nach und betrachten wir mit eigenen Augen die vollkommene Erfüllung des christlichen Vaterunsers. Die Lichter des Reiches der Höhe werden von den Manifestationen Gottes auf die Ebene der Schöpfung gespiegelt; so erfüllt sich die Verheißung, daß das Reich Gottes „wie im Himmel also auch auf Erden“ kommen werde.


Die Buchstaben des Größten Namens

Studieren wir nun die Buchstaben, die in das Symbol gelegt sind, um ihre Bedeutung zu entdecken. In der Schrift des Orients werden die Buchstaben „B" und „H" ب bzw. ھ geschrieben. „B“ steht für den Namen „Bahá“ und „h“ steht für den Namen „Báb“.

Um die Bedeutung und die ganze Tragweite der schönen und kunstvollen Verbindung dieser beiden Schriftzeichen im Größten Namen zu erfassen, müssen wir uns daran erinnern, daß von den Völkern des Nahen Ostens als erste die Phoenizier mit ihren Schiffen zu fernen Ländern fuhren. Wohin sie auch reisten, errichteten sie Handelsplätze, und als Händler sahen sie sich gezwungen, praktische Methoden zur Aufzeichnung ihrer Geschäfte zu entwickeln. Die Zeichen, die sie sich zulegten, wurden ihr Alphabet. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich dieses Alphabet zum Grundmuster für die Alphabete, die heute in Ost und West benützt werden. Gibbon sagt: „Phönizien und Palästina werden ewig im Gedächtnis der Menschheit leben, denn Amerika wie Europa bekamen vom einen die Buchstaben und vom andern die Religion.“


Das Vermächtnis der alten Kulturen

„Der Gebrauch von Buchstaben wurde bei den Wilden Europas etwa 1500 Jahre vor Christus eingeführt; und die Europäer brachten sie etwa 15 Jahrhunderte nach dem Beginn der christlichen Zeitrechnung nach Amerika. Aber im Verlauf dieser 3000 Jahre wurde das phönizische Alphabet unter dem Einfluß der Griechen und Römer beträchtlich verändert.“ 14)

Will Durant nennt in seiner großartigen „Geschichte der Zivilisation“ diesen Beitrag das kostbarste Vermächtnis der alten Kulturen.


[Seite 1312]

Die alten Alphabete

Die Phoenizier benützten ihr Alphabet als Buchstaben und als Zahlen.

Deshalb hatte jeder Buchstabe einen Zahlenwert. Ihr Alphabet beginnt so 15):

Buchstabe Zahlenwert Buchstabe Zahlenwert

A 1 H 8
B 2 T 9
J (dsch) 3 I 10
D 4 K 20
H 5 L 30
W 6 M 40
Z 7 N 50
Buchstabe Zahlenwert Buchstabe Zahlenwert
A 1 H 8
B 2 T 9
J (dsch) 3 I 10
D 4 K 20
H 5 L 30
W 6 M 40
Z 7 N 50


Wenn die Phoenizier „ein Haus, zwei Jahre oder neun Briefe“ sagen wollten, schrieben sie „A Haus, B Jahre, T Briefe“, Es gibt in den heutigen westlichen Sprachen einige recht interessante Überbleibsel jenes Einflusses, den dieses alte Volk des Nahen Ostens ausübte. Die vier Buchstaben K, L, M und N stehen im lateinischen und griechischen Alphabet in genau derselben Reihenfolge wie im phoenizischen.

Die nächste Etappe im Umgang mit Zahlen war das Einführen von Ziffern durch die Moslems, die diese von den Indern übernahmen. Die Moslems fügten den 9 Ziffern der Inder die Null bei und vervollständigten damit die Wissenschaft von den Zahlen. Die Welt ist den Indern für diesen sehr wertvollen, grundlegenden Beitrag zu Dank verpflichtet. Denn ohne diese Ziffern hätten die mathematischen Wissenschaften stagniert. Ohne Mathematik hätte der Mensch in der Technik keinen Fortschritt gemacht, und er hätte auch nicht die Werkzeuge bauen können, mit denen er heutzutage das Aussehen der Erde verändert.

Die Menschen des Ostens gaben den Buchstaben ihres Alphabets weiterhin Zahlenwerte, obwohl sie die indischen Ziffern hatten. Es ist auch heute noch üblich, daß Dichter, Theologen und Schriftsteller. ihren Gedanken durch die Symbolik der Zahlenwerte von Buchstaben Ausdruck verleihen.

Der Báb wandte diese Methode sehr häufig an. Er gab oft Personen und Orten Beinamen, die den gleichen Zahlenwert wie die ursprünglichen Namen hatten. Zum Beispiel nannte er Mah-kú „Basit“ (offen). Mah-kú und Basit haben beide den Zahlenwert 72. Er nannte Chihríq „Shadid“ (kummervoll). Diese beiden Wörter haben den Zahlenwert 318. Der große Verfasser der „Dawn Breakers“ hieß Muhammad, sein Beiname aber war Nabíl. Der Zahlenwert beider Namen ist 92. Dieselbe Methode wurde bei den Symbolzeichen des Größten Namens angewandt.


Bahá’u’lláh und der Báb

Der Zahlenwert für Báb ist: B = 23, A = 1, B = 2; zusammen = 5.

Der Name „Bahá“ (Bháa) ist wie folgt: B = 2, H = 5, A = 1, A = 1; zusammen = 9.


[Seite 1313] Die Neun ist die vollkommene Zahl an der Spitze der Leiter des progressiven Zahlenaufbaus. Sie ist sehr geheimnisvoll und in ihr liegen mehr besondere Eigenschaften und Möglichkeiten als in jeder anderen Zahl. Die Zahlenreihe endet mit der Neun. Was immer wir nach der Neun in Zahlen schreiben, ist eine Wiederholung derselben Ziffern. Die Menschheit wird im Laufe der Zeiten schrittweise die Geheimnisse dieser besonderen Zahl, die den numerischen Ausdruck des Größten Namens „Bahá“ (Bháa) darstellt, ergründen.

Die Zahl Neun enthält alle Zahlen von eins bis neun. Zusammengezählt ergeben sie eine Summe von 45 (1+2+3 usw.). Nun führen wir unsere Berechnung auf diese Weise weiter und sagen, daß die Zahl 5, die den Báb darstellt (B = 2, A = 1) alle Zahlen von 1 bis 5 enthält, die zusammengezählt eine Summe von 15 ergeben. Der Name von Eva besteht im Arabischen, Persischen und anderen orientalischen Sprachen aus den drei Buchstaben: H = 8, W = 6, A = 1. Ihre Summe ist 15. Ebenso besteht der Name von Adam in den orientalischen Sprachen aus drei Buchstaben: A = 1, D = 4, M = 40. Ihre Summe ist 45.

So entdecken wir, daß zwei traditionsreiche Namen wie Adam und Eva, die ersten beiden geistigen Geschöpfe Gottes, von denen die alten Heiligen Schriften berichten und die durch Jahrhunderte von den Menschen verehrt wurden, mit den beiden Manifestationen verbunden sind, auf die alle Bücher Gottes hinweisen und deren Erscheinen sie für den letzten Tag verheißen. Adam und Eva stehen in diesem großartigen Sinnbild mit dem Báb und Bahá’u’lláh in Beziehung, womit dieses Sinnbild zum Zeichen der Einheit zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird.


Das Wesen des Opfers und der Dienstbarkeit








Die beiden fünfzackigen Sterne an beiden Seiten des Zeichens stellen den menschlichen Körper dar: einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine.


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Gehe stets gerade voran und beharre in Seinem Dienst. Sprich: O Menschen! Der Tag, der euch in allen Schriften verheißen wurde, ist jetzt gekommen. Fürchtet Gott und vorenthaltet euch nicht selbst die Erkenntnis des Einen, der das Ziel eurer Erschaffung ist. Eilt zu Ihm. Das ist besser für euch als die Welt und alles, was in ihr ist. Könntet ihr es doch erkennen.
Bahá’u’lláh
Ährenlese CXLIV
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[Seite 1314] Die beiden Sterne bedeuten die beiden Offenbarer Gottes an diesem Tage. Ihr Kommen ist die Erfüllung aller Bücher der Gottesboten vergangener Zeiten, die der Menschheit nachdrücklich und immer wieder in einer Sprache, klarer als das Licht der Sonne, das unzweifelhafte Kommen dieser Zwillingsleuchten bestätigten, die die Welt von den Fesseln des Vorurteils und von der Zwangsherrschaft des Selbstes befreien würden.


Das echte Beispiel der Lehren

Zum Schluß erlaube ich mir, noch eine andere Bedeutung der beiden Sterne anzuregen. Dies ist eine rein persönliche, nicht autorisierte Ansicht. Man könnte sich Gott als in seiner strahlendsten Herrlichkeit in der majestätischen Gestalt Bahá’u’lláhs erschienen vorstellen; Ihm stehen zwei überragende Persönlichkeiten von unübertrefflicher Schönheit zur Seite: der Báb, der Herold, die Verkörperung von Opfer und Selbstverleugnung, der höchste Ausdruck wahrer Liebe, die jemals in diesem begrenzten Leben möglich ist, und ‘Abdu’l-Bahá, der Mittelpunkt des Bündnisses, das echte Beispiel der Lehren, die höchste Verkörperung der Dienstbarkeit. Sie beide geben ein Beispiel für die Geheimnisse von Opfer und Dienst; Sie rufen alle Menschen auf, sich eilig aufzumachen und ihre Fähigkeiten als bescheidene Gaben für die Errichtung der erlösenden Ordnung Gottes, der Wiederspiegelung Seines Reiches auf Erden, darzubringen.


——————————
Aus „Bahá’í News“ (USA), Oktober 1968, Nr. 451
1) Prof. Printam Singh, „The Second Coming of Shri Krishna“, p. 10
2) Predigt vom Großen Dahinschwinden
3) Shirin Khanum, „Lord Buddha and Amitabha“, pp. 13, 17-19
4) Jesaja, Kap. 33, Vers 9
5) Jesaja, Kap. 35, Vers 2
6) Bibel, arabische Übersetzung, 1881, 3. Aufl. ebenso: Ishraq Khavari, Rahiq-i-Makhtum. (Der Versiegelte Wein) pp. 218-219.
7) Mafatihu’l Janan, Schlüssel zum Paradies. Zusammenstellung moslemischer Gebete.
8) Nabils Erzählungen, p. 72 „Wer immer Mich sucht, wird Mich finden“ (eine Überlieferung)
9) Magqam A’ala ist der Name, den ‘Abdu’l-Bahá dem Schrein des Báb gab. Er bedeutet „Der Erhabene Ort“
10) Nabils Erzählungen, p. 146, Fußnote Nr. 3
11) Shoghi Effendi, Gott geht vorüber, Seite 28
12) Höflichkeitsform des persischen Fürworts für die 3. Person Einzahl.
13) Shoghi Effendi, Gott geht vorüber, Seite 200
14) Gibbon, „The Decline and Fall of the Roman Empire“, Kap. l, p. 32
15) Das hebräische Alphabet, das die Israelis heute verwenden, ist genau das gleiche.


[Seite 1315]












Lehrarbeit im Mittelpunkt
Bei der 41. Nationaltagung der deutschen Bahá’í in Frankfurt Ende April standen im Mittelpunkt — außer der Wahl des neuen nationalen Rats — die Diskussionen über die Lehrarbeit. Es wurde mitgeteilt, daß sechs neue Geistige Räte gebildet werden konnten; ferner soll die Jugendarbeit aktiviert werden.










[Seite 1316]



William Sears in der Bundesrepublik[Bearbeiten]

Als Vertreter des Bahá’í-Weltzentrums in Haifa hat William Sears im Frühjahr die Bundesrepublik bereist. Sears ist Autor mehrerer Bücher, Fernseh- und Theaterstücke. In Deutschland ist er nicht zuletzt durch sein Buch „Dieb in der Nacht“ bekannt geworden, in dem er das Wiederkunftsgeschehen in der Mitte des 19. Jahrhunderts anhand zahlreicher Bibelstellen und ähnlich lautender Hinweise aus dem Koran in der Form eines spannenden „Kriminalromans“ schildert. Der 60 Jahre alte ehemalige US-Sportreporter ist im Jahr 1957 von Shoghi Effendi, dem „Hüter“ der Bahá’í-Religion, zur „Hand der Sache Gottes“ berufen worden. Seither hat Sears eine große Zahl von Weltreisen unternommen, die stets ausgesprochene Lehrreisen waren und ihm die Gelegenheit boten, Tausende von Menschen mit der Bahá’í-Religion bekannt zu machen. Durch seine lebendige und humorvolle Art gelingt es ihm stets, seine Zuhörer zu fesseln. Unter anderem nahm er Ende April auch an der 41. Nationaltagung der deutschen Bahá’í in Frankfurt/Main teil. Sears überbrachte dabei die Grüße des Universalen Hauses der Gerechtigkeit und berichtete über die vor allem in den USA erfolgreiche Bahá’í-Lehrtätigkeit.

Bei seinen Vorträgen in der Bundesrepublik wies Sears immer wieder auf die durch die drei Zentralgestalten des Bahá’í-Glaubens der Menschheit zuteil gewordene Fülle göttlicher Offenbarung und Anleitung hin. Allein Bahá’u’lláh habe mit eigener Feder über 100 Bände geschrieben — ein Phänomen, das in der bisherigen Religionsgeschichte ohne Parallelen sei. Die Auswirkungen würden durch die kommenden Jahrhunderte spürbar sein und Generationen ungeahnte Impulse verleihen.


[Seite 1317]



Kommunikation als Lehrtechnik[Bearbeiten]

Vier Aktionsrichtungen / von Chellie J. Sundram


Unmittelbar vor der Ozeanischen Bahá’í-Konferenz in Singapur, 1.-3. Januar 1971, fand ein Proklamationsseminar statt, in dem Dr. Chellie J. Sundram, Mitglied des Berateramts für Südostasien, über „Die Bahá’í-Ausstellungen als Werkzeug der Kommunikation“ referierte. Die nachfolgenden einleitenden Ausführungen entnehmen wir den „Malaysian Bahá’í News“, Vol. 6, No. 4, Dec. 1970/Jan. 1971, S. 29.
D. Red.


Der Bahá’í-Glaube ist ein auf das Verhalten ausgerichteter Erziehungsprozeß, weil er Muster für ein Leben in weltweiter Einheit und Einmütigkeit bietet. Bei allen Fragen der Kommunikation müssen zunächst Arbeitsprogramme aufgestellt werden. Erst wenn ein solches Programm vorhanden ist, können wir uns in die programmierte Richtung bewegen. In der Bahá’í-Lehrarbeit müssen wir uns von Kommunikationsprozessen losmachen, die nur auf der Verabreichung von Information beruhen. Wie machen wir das? Wir wollen hier ein auf das gesamte Verhalten ausgerichtetes Arbeitsprogramm mit vier Aktionsrichtungen bieten:

1. Interesse wecken
2. Über Tatsachen informieren
Auf das Verhalten konzentriertes
Kommunikationsprogramm

4. Bei den Menschen ankommen

3. Zur Geistigkeit motivieren


Jeder Kommunikationsprozeß, ob er nun auf einen einzelnen Menschen, eine Gemeinde oder eine Nation abzielt, braucht ein Arbeitsprogramm, das in einem auf das Verhalten konzentrierten Rahmen geprüft sein muß. Lassen Sie uns die vier Aktionsrichtungen kurz untersuchen:

l. Interesse wecken: Wir müssen den einzelnen Menschen, die Ortsgemeinde, die Nation dazu hinführen, daß sie sich ihrer geistigen Bedürfnisse bewußt werden.
2. Information: Wir müssen die Öffentlichkeit über die Botschaft Bahá’u’lláhs und das von Ihm geschaffene Instrumentarium für den Aufbau von weltweiter Einmütigkeit und Einheit durch die eigenständigen Bemühungen des Volkes um klares Denken und positives Handeln informieren.
3. Motivation: Wir müssen die Menschen dazu ermutigen, selbständig die göttlichen Vorkehrungen für das Bahá’í-Leben im unmittelbaren Zusammenhang mit den Tagesproblemen des einzelnen Menschen und der ganzen Welt zu untersuchen.
4. Ankommmen: Wir müssen durch die verschiedensten Kommunikationsmedien bei den Menschen anzukommen suchen. Es besteht ein dringendes Bedürfnis für die Kommunikation der göttlichen Botschaft

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Bahá’u’lláhs an die heutige Menschheit und für die Errichtung der Grundlagen, auf denen die Empfänger dieser Botschaft zur Tat schreiten können. Hierzu gehört auch die Beseitigung von Furcht und Vorurteil gegenüber der Religion im allgemeinen und dem Bahá’í-Glauben im besonderen. Die Bahá’í-Schriften machen es allen Gläubigen nachdrücklich zur Pflicht, durch gutes Beispiel und durch Taten zu lehren.

Keine der vier Aktionsrichtungen hat Vorrang vor den anderen. Alle vier Ecken unseres Arbeitsprogramms müssen zur gleichen Zeit oder abwechselnd behandelt werden. Wichtig ist, daß dieses Vier-Richtungs-Programm auf das Verhalten und nicht auf die Information konzentriert ist. Information an sich hat nur flüchtigen Wert und ist unproduktiv, wenn es um die Veränderung des Herzens und des Bewußtseins geht. Das hat die Verhaltensforschung klar bewiesen.

Zusammenfassend können wir festhalten:

1. Wir müssen das Interesse am Glauben wecken.

2. Wir müssen die am Glauben Interessierten informieren, wir müssen klar darstellen, was es bedeutet, Bahá’í zu sein.

3. Wir müssen den einzelnen und die Gesellschaft zum Denken und Handeln motivieren.

4. Wir müssen im Herzen und im Bewußtsein aller Empfänger dieser Botschaft „ankommen“. So wird unser Arbeitsprogramm ein Meßinstrument für die Bewertung aller Kommunikationsprozesse, die wir einsetzen.



In Memoriam[Bearbeiten]

Lina Benke

Am 17. Mai starb im Alter von 97 Jahren Frau Lina Benke. Sie zählte in jeder Beziehung zu den „alten“ deutschen Bahá’í; bereits im Jahr 1920 hatte sie — in Leipzig — den Bahá’í-Glauben angenommen. Während ihres langen, gesegneten Lebens war sie viel in der Welt herumgekommen; in Rußland heiratete sie Adam Benke. Später war sie unter anderem in Sofia als Bahá’í-Lehrerin tätig. Je älter „Tante Linchen“ wurde, desto bekannter und beliebter wurde sie bei den deutschen Bahá’í. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in einem Altersheim.


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Neu auf unserem Büchertisch[Bearbeiten]

„BEANTWORTETE FRAGEN“ von ‘Abdu’l-Bahá, gesammelt von Laura Clifford Barney. Bahá’í-Verlag, Frankfurt/Main 1962, 306 Seiten, Leinen DM 16.—.

Die „Beantworteten Fragen“ stehen in der gesamten religiösen Literatur einzigartig da. Das Buch enthält die authentischen und beglaubigten Antworten auf Fragen, die eine westliche Pilgerin dem Sohn einer Manifestation Gottes stellte. Hier erklärt ‘Abdu’l-Bahá, der älteste Sohn Bahá’u’lláhs, des prophetischen Gründers der Bahá’í-Religion, zahlreiche Themen, welche die Menschen im Jahr 1908 beunruhigten und nach Ansicht der Zeitgenossen ungelöst geblieben waren. ‘Abdu’l-Bahá spricht aus Autorität — einer geistigen Eigenschaft, die von der Gesellschaft gemieden und zugleich gesucht wird.

Eine Vielzahl Fragen findet Antwort. Verwirrende Bibeltexte werden erklärt. Um einige Beispiele zu nennen: Was ist der Mensch? Gibt es einen Gott? Wie können wir den Schöpfer erkennen? Kann Gott mit Menschen sprechen? Was versteht man unter Dreieinigkeit? Wie kann man die Wiederkunft, die durch die Propheten verheißen worden ist, verstehen? Was ist gemeint mit: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“? Was ist Unsterblichkeit, freier Wille, Heilung, Reinkarnation? Warum der Autorität des Wortes Gottes, das durch einen Göttlichen Sprecher übermittelt wurde, folgen?


Des Meisters „Augenblicke der Erschöpfung“

Die Kapitel bestehen aus Tischgesprächen zwischen ‘Abdu’l-Bahá und Laura Clifford Barney. Wie ‘Abdu’l-Bahá bemerkte, fielen diese Tischgespräche in Seine „Augenblicke der Erschöpfung“, in die Pausen zwischen angestrengter Arbeit. Als formlose Diskussionen fanden sie statt während der schwierigen Jahre 1904 bis 1906, in denen Seine Bewegungsfreiheit durch die türkische Regierung auf die Stadt ‘Akká beschränkt worden war und Ihm nur wenige Besucher zu empfangen erlaubt wurde. Zu dieser Zeit stand Er unter der ständigen Drohung, Er werde fortgeschafft und fern in der Wüste eingekerkert. Dennoch wurden Laura Barney mehrere Besuche erlaubt; dank ihren erstaunlichen Bemühungen haben wir alle den Nutzen davon.

Laura Barney war begierig darauf, diese kostbaren Sitzungen genau aufgezeichnet zu bekommen. Einer von ‘Abdu’l-Bahás Schwiegersöhnen oder ein Mitglied Seines Sekretariats wurde immer gebeten, anwesend zu sein. Später las ‘Abdu’l-Bahá die Abschriften; „manchmal änderte Er ein Wort oder eine Zeile mit Seiner Rohrfeder, dann unterschrieb und stempelte Er jede einzelne Seite mit Seinem Siegel“. Fräulein Barney übersetzte die Gespräche vom Persischen ins Englische. Nachdem sie die Antworten als außerordentlich wertvoll erkannt hatte, fühlte sie sich bewogen, die Erlaubnis zur Veröffentlichung zu erbitten, damit andere an ihrem geistigen Schatz teilhaben könnten. 1908 erschien das Buch gleichzeitig in Französisch, Englisch und Persisch. Der Meister selbst muß über dieses Ergebnis erfreut gewesen sein, denn es ist bekannt, daß Er andere Pilger auf das Buch verwiesen hat (vergleiche George Latimer, Das Licht der Welt, 1920). [Seite 1320] Auszüge wurden später in Form kleiner Broschüren veröffentlicht: „Einige Christliche Themen“ (London 1946) und „Die Verheißungen Christi sind erfüllt“ (Wilmette, USA, 1954) mit einer Einführung von George Townshend, damaligem Domherr der St. Patricks-Kathedrale in Dublin.

Obwohl seit der ersten Veröffentlichung über sechzig Jahre verstrichen sind, erweist sich dieser Bahá’í-Klassiker immer aufs neue als eine erfreuliche Entdeckung für die vielen neuen Bahá’í und für alle Religionsgelehrten. Was Wunder, daß das Buch bereits in seiner achten englischen Auflage erscheint. Die zweite deutsche Ausgabe von 1962 enthält die Einführung von Fräulein Barney aus dem Jahre 1907. Der Leser findet ein ausgezeichnetes Inhaltsverzeichnis vor; zu seiner Bequemlichkeit sind die Gespräche in methodischer Form zusammengestellt, und das Wichtigste von allem: ein hervorragendes Sachwörterverzeichnis. All dies ist eine Einladung dazu, die Weisheit jenes Meisters zu suchen, der „im Hause des Finanzministers der Vereinigten Staaten von Nordamerika frühstückte“, der auf Einladung von Alexander Graham Bell (1847 bis 1922) zu einer wissenschaftlichen Organisation sprach und von dem der Präsident der Stanford Universität sagte, daß „Er den mystischen Weg mit praktischen Füßen ging“.


Der Interpret des Gottesworts

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis enthüllt einen Bruchteil des gewaltigen geistigen Gesichtskreises der Lehren Bahá’u’lláhs für eine neue Weltordnung. Diese Lehren hatte der Meister Seinen Zeitgenossen auszulegen, ohne die alten religiösen Wahrheiten, welche für das Wohlergehen des Menschen wesentlich waren, zu entkräften. Zu fünf Teilen zusammengefaßt, beginnen die Kapitel oft mit einer Frage. Einige Glanzpunkte seien angeführt:

Der I. Teil befaßt sich, logischerweise, mit dem „Einfluß der Gottesoffenbarer auf die Entwicklung der Menschheit“. Falls dies den Leser überrascht, sollte er sich mit Arnold Toynbees „Gang der Weltgeschichte“ oder mit seiner Rezension zu Ninian Smarts „Die religiöse Erfahrung der Menschheit“ (New York Times Book Review, 9. Februar 1969) beschäftigen. Toynbee schreibt: „Es ist eine Geschichte der Menschheit, die sich auf die Religion konzentriert, nicht auf Krieg und Politik oder Wirtschaftsleben“. Er fährt fort: „Vor nicht allzulanger Zeit, sagen wir vor sechzig Jahren, wäre es unmöglich gewesen, dieses Buch zu schreiben“, wegen der vorherrschenden Unkenntnis, des Vorurteils und der Feindseligkeit. Aber ‘Abdu’l-Bahá war kein gewöhnlicher Sterblicher; Er wußte bereits vor mehr als sechzig Jahren um den Impuls der Religion auf die Geschichte.


Das Licht der Vernunft

Im I. Teil werden die grundlegenden Vorstellungen im Lichte der Vernunft betrachtet. Die „Beantworteten Fragen“ beginnen mit einem Essay über das allumfassende Gesetz, unter dem die Natur steht, und leiten über zu den Beweisen für das Dasein Gottes. Der Leser wird dann auf die Notwendigkeit eines göttlichen Erziehers hingewiesen. Einige dieser Gesellschaftslehrer, beginnend mit Abraham, werden im Lichte ihrer Errungenschaften besprochen. Nur von solchen Gestalten erlangen die [Seite 1321] Menschen wahren Wohlstand. Um aber zu ihnen zu finden, muß der Sucher bestimmte Eigenschaften aufweisen. So seltsam es scheinen mag, muß er sowohl von der Liebe als auch vom Haß gegenüber menschlichen Wesen frei sein; Liebe und Haß können die Erkenntnis der Wahrheit verhindern.


Christliche Fragen

Da eine westliche Pilgerin ‘Abdu’l-Bahá befragte, ist verständlich, daß ihr Zugang jüdisch-christlich war. Der II. Teil befaßt sich daher mit christlichen Themen, die heute einer Klärung bedürfen. In der modernen Christenheit verfängt sich der vernünftige Geist in Stolperdrähten. Eine Anzahl davon überwindet ‘Abdu’l-Bahá: Religiöser Symbolismus, die Vorstellung vom Heiligen Geist, die Taufe, die Dreifaltigkeit, und die „Wiederkunft“ oder das zweite Kommen Christi. ‘Abdu’l-Bahá singt das Hohelied Christi, der „niemandem Schaden zufügte“. In unserer Zeit, mit einer in Hunderte von Sekten geteilten Christenheit, mit der sich ausbreitenden ökumenischen Bewegung und der in Frage gestellten päpstlichen Autorität, erinnert uns der Meister, daß „... die Lehren Christi eine Sache für sich sind und die Methoden der päpstlichen Regierung eine ganz andere: Sie stimmen nicht überein“ (Seite 137).


Die Offenbarung Gottes

Im III. Teil werden wir vernünftigen Erklärungen für jenes kaum verstandene Wesen, den Propheten oder die Manifestation Gottes auf Erden, näher gebracht. Das Kapitel „Gott kann nur durch die göttlichen Offenbarer erkannt werden“ wird überzeugend dargeboten. „Das Umfassende ist fürwahr größer als das Umfaßte, und das Umfaßte kann nicht das Umfassende ermessen noch seine Wirklichkeit begreifen“. „Der Verstand ist unfähig, Gott zu begreifen ...“ Die Manifestationen, diese „... göttlichen Wesen ... sind die wahren Spiegel des geheiligten Seins Gottes“ (Seite 146 f). Er anerkennt natürlich sowohl die menschliche als auch die geistige Seinsweise der Göttlichen Manifestationen. Ferner spricht Er von zwei Arten von Propheten: Die unabhängigen Gesetzgeber wie zum Beispiel Moses, Jesus oder Bahá’u’lláh, dem weitere Offenbarer folgen werden, und die abhängigen Propheten wie Isaiah oder Jeremiah, welche Gefolgsleute sind.


Die Stufe des Menschen

Der IV. Teil behandelt demgegenüber Gesichtspunkte des normalen menschlichen Wesens, das gleichfalls noch kaum verstanden wird. Hier ist reiche Gelegenheit zu entdecken, wer der Mensch ist und wohin er geht. Wenn von der Veränderung der Arten gesprochen wird, erfahren wir, daß „... der Mensch ... allmählich wuchs und sich entwickelte, von einer Form zur anderen schritt, bis er in höchster Schönheit und Vollendung erschien“ (Seite 182). Beim Lesen des folgenden werden einige unwillig erstaunen: „Aber von allem Anfang an ist der Mensch eine besondere Art.“ Ungeachtet der Theorie Darwins aus dem aufgeklärten neunzehnten Jahrhundert legt ‘Abdu’l-Bahá unzweideutig dar, daß „der Mensch immer eine besondere Art war, kein Tier, sondern ein Mensch“.

[Seite 1322] Was den Menschen und seinen Gott anbetrifft, handelt der Meister beredt über die Unfähigkeit des Menschen, die Wesenheit seines Schöpfers zu begreifen. „Gott erkennen bedeutet das Verstehen und die Kenntnis Seiner Eigenschaften, aber nicht Seiner Wirklichkeit“ (Seite 216). Wie wichtig es ist, die Offenbarungen anzuerkennen, wird vollauf deutlich gemacht: „... Wenn der Mensch zur Erkenntnis der Offenbarer Gottes gelangt, so wird er auch die Erkenntnis Gottes gewinnen; und wenn er die Erkenntnis der heiligen Offenbarer außer acht läßt, wird er der Erkenntnis Gottes beraubt.“ Dem Menschen ist, während er auf Erden lebt, ein gewisses Maß freien Willens verliehen worden, selbst wenn er in der mächtigen Hand Gottes ein Gefangener ist.

Der Stoff des letzten Buchabschnitts enthält ein anregendes Gemisch von Fragen, die die große Vielseitigkeit der Herausgeberin widerspiegeln. Ob es sich um praktische Probleme wie Arbeiterstreiks handelt oder um die Theorie des Pantheismus, die Antworten ‘Abdu’l-Bahás sind überzeugend. Irgendwie empfindet man, daß Gott den Menschen — unentschlossen und widerwillig wie er auch sein mag — mit einem Heilmittel versorgt, und zwar tut Gott dies lange bevor der Mensch überhaupt gewahr wird, daß er ein ernsthaftes Problem zu bewältigen hat. Heute haben wir eine zunehmende Verbrechensquote. Wir hören lautes Rufen nach Gesetz und Ordnung. Vor langer Zeit hat uns bereits der Meister aufgefordert, die „Volksmassen zu erziehen ...“ und Gerechtigkeit walten zu lassen. Er sagte: „... die Gemeinschaft sollte viel mehr daran denken, die Verbrechen zu verhüten, als sie streng zu bestrafen“ (Seite 264).

In unserer Zeit, in der Menschenfreundlichkeit und Menschlichkeit besser verstanden werden als Göttlichkeit, fordert es unser Denken heraus. wenn wir lesen: „... wenn sich zur Erkenntnis Gottes die Liebe Gottes gesellt, sowie Anziehung, Begeisterung und guter Wille, dann ist eine rechtschaffene Tat vollkommen und vollständig. Sonst aber ist eine gute Tat, so anerkennenswert sie auch sein mag, doch unvollkommen, wenn sie nicht von der Erkenntnis Gottes, der Liebe Gottes und einer lauteren Absicht unterstützt wird“ (Seite 289). Könnte hier nicht der Schlüssel zu einem sicheren Menschen und zu einer stabilen Gesellschaft liegen? Innere Welten breiten sich aus und warten nur darauf, erobert zu werden — wie ‘Abdu’l-Bahá feststellt: „Der Mensch steht auf der höchsten Stufe der Materie und am Anfang der Geistigkeit....“ (Seite 228).


Der vollkommene Lehrer

Während der ganzen Lektüre dieses ungewöhnlichen Buches wird der Leser vom Wissen und vom Charakter des Meisters beeindruckt. Mit einer Weisheit, die Er bei Seinem Vater gesammelt hatte, erfuhr ‘Abdu’l-Bahá keine Schulbildung im üblichen Sinn. Er war gleichzeitig praktisch und geistig ausgerichtet. Er sprach von dem, was machbar ist. Gütig bei jeder Gelegenheit, des vollkommenen Weges sicher, konnte Er dennoch sagen: „Wir widersetzen uns nicht den Meinungen anderer, auch billigen wir den Kritizismus nicht.“ In diesem Buch lehrte Er einfach, ohne Dichtung oder Rhetorik, geduldig und gewissenhaft eine eifrige Sucherin, und durch dieses Buch erreicht Er heute Tausende und morgen Millionen rund um [Seite 1323] den Erdball. Er erzieht den ganzen Menschen und sagt: „Wir brauchen einen Erzieher, der zugleich körperlicher, menschlicher und geistiger Erzieher ist...“ (Seite 22). Beim Studium dieses Buches stellen wir fest, daß Er selbst als Interpret für das Wort Bahá’u’lláhs ein solcher Erzieher gewesen ist.

Die „Beantworteten Fragen“ sind für Sucher mit offenem Geist bestimmt. Die Antworten sind unorthodox. Das Buch appelliert eher an die Vernunft als an das Gefühl des Menschen. Während es den Denker mit religiösem Hintergrund erleuchtet, regt es den Agnostiker und den Atheisten an. Seine Kapitel betonen eher die persönlichen Glaubensvorstellungen des Menschen als sein gesellschaftliches Verhalten.

Das Buch verlangt Besinnung; dann wird es lebendiges Wasser für die dürstende Seele. ‘Abdu’l-Bahá erklärt: „Glücklich sind jene, die ihre Tage damit verbringen, daß sie Wissen erwerben, die Geheimnisse der Natur ergründen und die reine Wahrheit in ihren Feinheiten durchdringen! Wehe denen, ... die ihre Leben ungenützt verschwenden!“ Und an anderer Stelle: „Selig sind die Nachdenklichen!“

Als Herausgeberin der „Beantworteten Fragen“ wird Laura Barney von Shoghi Effendi, dem Hüter des Bahá’í-Glaubens, in „Gott geht vorüber“ geehrt; denn sie erwarb sich in der Tat „unvergängliche Verdienste“, indem sie die „unschätzbar wertvollen Erklärungen“, die sie vom Meister selbst erhielt, sammelte und der Nachwelt übermittelte (Seite 295).

Annemarie Honnold


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aus „Bahá’í News (USA), Dezember 1969, Nr. 465



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Wisse, daß sich Wesen und Ursprung der Gerechtigkeit in den Gesetzen verkörpern, die von Ihm verordnet wurden, der die Offenbarung des Wesens Gottes unter den Menschen ist — möchtet ihr doch diese Wahrheit erkennen! Er verkörpert für die ganze Schöpfung das höchste, unfehlbare Richtmaß der Gerechtigkeit... Würden die Menschen die treibende Absicht in der Offenbarung Gottes entdecken, so würden sie sicherlich ihre Furcht ablegen und dankbaren Herzens in jubelnder Freude überströmen.
Bahá’u’lláh

Ährenlese LXXXVIII

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Schriften aus dem Bahá’í-Verlag[Bearbeiten]

WAS IST DIE BAHA’I-RELIGION...

In vier großen Themenkreisen werden Anspruch und Lehren der Bahá’í-Religion behandelt: Grundzüge der Bahá’í-Religion — Menschen nach Gottes Bild — Erkenntnis — Geist der Gemeinschaft.

68 Seiten, kartoniert DM 1,50; sFr. 1,60


Bahá’u’lláh:
WORTE DER WEISHEIT —
VERBORGENE WORTE

In kurzen Sinnsprüchen werden grundlegende Wahrheiten über das Wesen des Menschen und sein Verhältnis zu Gott und zu seinem Nächsten in poetischer Sprache aufgezeigt.

90 Seiten, Ganzleinen DM 4,50; sFr. 4,90


'Abdu'l-Bahá:
ANSPRACHEN IN PARIS

'Abdu'l-Bahá, der Sohn Bahá’u’lláhs, gibt in klarer und dem abendländischen Denken angepaßter Form eine Erläuterung des Wesens und der wichtigsten Lehren der Bahá’í-Religion.

140 Seiten, Ganzleinen DM 6,40; sFr. 6,90 kartoniert DM 4,30; sFr. 4,60


Georg Townshend:
CHRISTUS UND BAHA’U’LLAH

Ein hervorragender Theologe und Wissenschaftler überprüft hier die Aussagen der Bibel über die „Wiederkunft” Christi im Lichte der göttlichen Offenbarung.

128 Seiten, Ganzleinen DM 6,70; sFr. 7,20


William Sears:
DIEB IN DER NACHT

Eine Vielzahl von Verheißungen aus der Heiligen Schrift wird hier verglichen und geprüft. Wie ein spannender Roman liest sich die Suche des Verfassers nach dem wiedergekommenen Christus.

312 Seiten, kartoniert DM 5,20; sFr. 5,60


Dr. J. E. Esslemont:
BAHA’U’LLAH UND DAS NEUE
ZEITALTER

Eine grundlegende Einführung in die Geschichte und die Lehren des Bahá’í-Glaubens. Das umfassende Handbuch und Nachschlagewerk.

324 Seiten, Ganzleinen DM 16,80; sFr. 18,10

kartoniert DM 13,90; sFr. 15,—


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