Bahai Briefe/Heft 38/Text

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BAHA'I-

BRIEFE


BLÄTTER FÜR

WELTRELIGION UND

WELTBEWUSSTSEIN



AUS DEM INHALT:


Die geistige Einheit der Nationen

Krise und Erfüllung

Der Markt und die Gerechtigkeit

Gandhi — Lehrer und Vorbild


HEFT 38 OKTOBER 1969


[Seite 1000] [Seite 1001]


Wisse,

daß die wahrhaft Weisen

die Welt mit dem menschlichen Tempel

vergleichen.

Wie der Körper des Menschen

eines Gewandes bedarf,

sich zu kleiden,

so muß der Menschheit Körper

mit dem Mantel

der Gerechtigkeit und Weisheit

geschmückt sein.

Ihr Prachtgewand

ist die Offenbarung,

die Gott ihr verliehen hat.

Baha’u’llah

(zitiert in Shoghi Effendi, „Die Entfaltung der neuen Weltkultur“, vgl. 19-Tage-Brief 14/114, S. 18)


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Das Zeitalter der Menschheit naht[Bearbeiten]

Das höchste Ziel: Die geistige Einheit der Nationen / von Shoghi Effendi


Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, deren höchstes Ziel es ist, die organische und geistige Einheit aller Nationen in ihrer Gesamtheit zu vollenden, muß, wenn wir ihren tieferen Sinn im Auge behalten, als Signal für das Kommen eines Zeitalters des gesamten Menschengeschlechts gesehen werden. Wir dürfen sie nicht nur als eine weitere geistige Erneuerung in den ewig wechselnden Geschicken der Menschheit betrachten, nicht nur als ein weiteres Glied in einer Kette fortschreitender Offenbarungen, noch selbst nur als den Gipfelpunkt in einer Stufenfolge wiederkehrender prophetischer Zyklen; vielmehr bezeichnet die Offenbarung Bahá’u’lláhs die letzte und höchste Stufe in der atemberaubenden Entwicklung des menschlichen Gesellschaftslebens auf diesem Planeten. Das Heranwachsen einer Weltgemeinschaft, das Bewußtsein des Weltbürgertums, die Begründung einer Weltzivilisation und Weltkultur — Strukturen, die allesamt mit den Anfangsstadien in der Entfaltung des Goldenen Zeitalters der Bahá’í-Ära zusammenfallen müssen — sollten ihrer wahren Natur nach, was dieses planetarische Leben anbelangt, als die äußersten Grenzen für die Organisation der menschlichen Gesellschaft angesehen werden, wenngleich der Mensch als Einzelwesen im Ergebnis dieser Vollendung unbegrenzt weiter fortschreiten und sich entwickeln wird und muß.

Die geheimnisvolle, allesdurchdringende und doch letztlich unbestimmbare Wandlung, die wir im Leben des Einzelwesens und in der Entwicklung der Frucht als Reifezustand bezeichnen, muß, wenn wir Bahá’u’lláhs Äußerungen richtig begreifen, in der organisatorischen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ihr Gegenstück haben. Früher oder später muß ein ähnlicher Reifezustand im Gemeinschaftsleben der Menschheit eintreten, ein noch eindrucksvolleres Erscheinungsbild in den weltweiten Verhältnissen hervorbringen und das Menschengeschlecht als Ganzes mit den Grundfähigkeiten eines geordneten Wohlergehens ausstatten, die während der nachfolgenden Zeitalter den für die letztliche Erfüllung ihrer hohen Bestimmung notwendigen Antrieb bilden. Ein solcher Reifezustand im Ablauf menschlicher Regierungsgeschäfte muß, wenn wir den herausfordernden Anspruch Bahá’u’lláhs richtig erkennen, für alle Zeiten mit der Offenbarung, deren Träger Er war, gleichgesetzt werden.

An einer besonders charakteristischen Stelle Seines Offenbarungswerkes bezeugt Er in unmißverständlicher Sprache die Wahrheit dieses hervorstechenden Grundzuges im Bahá’í-Glauben: „Es ist von uns verordnet worden, daß das Wort Gottes und alle seine Wirkkräfte in genauer Übereinstimmung mit solchen Verhältnissen geoffenbart werden sollen, wie sie von Ihm, dem Allwissenden, dem Allweisen, vorherbestimmt worden sind... Würde es zugelassen, daß das Wort plötzlich alle ihm innewohnenden [Seite 1003] Kräfte entfesselt, könnte kein Mensch die Wucht einer so mächtigen Offenbarung ertragen... Erwäge, was Muhammad, dem Gesandten Gottes, herabgesandt worden ist. Das Maß der Offenbarung, deren Träger Er war, ist zuvor von Ihm, dem Allmächtigen, dem Allmachtvollen, deutlich bestimmt worden. Jene, die Ihn hörten, konnten jedoch Seine Absicht nur bis zu dem Grade ihrer Stufe und geistigen Aufnahmefähigkeit begreifen. Ebenso entschleierte Er das Antlitz der Weisheit nach Maßgabe ihrer Fähigkeit, die Last Seiner Botschaft zu tragen. Kaum aber hatte die Menschheit die Stufe der Reife erreicht, da enthüllte das Wort vor den Augen der Menschen die verborgenen Kräfte, mit denen es ausgestattet ist — Kräfte, die sich in der Fülle ihrer Herrlichkeit offenbarten, als im Jahre sechzig (1844 n. Chr.) die Altehrwürdige Schönheit in der Person ‘Alí-Muhammads, des Báb, erschien.“

‘Abdu’l-Bahá erläutert diese Grundwahrheit und schreibt: „Alles Erschaffene hat seinen Grad oder seine Stufe der Reife. Der Reifezustand im Leben eines Baumes ist die Zeit, da er Früchte trägt... Das Tier erreicht eine Stufe vollen Wachstums und der Vollkommenheit, und im Menschenreich gelangt der Mensch zur Reife, wenn das Licht seines Verstandes die höchste Macht und Entwicklung erreicht... Ähnlich gibt es Abschnitte und Stufen im Gesellschaftsleben der Menschheit. Einmal durchwanderte sie ihre Kindheit, späterhin ihre Jugendzeit, aber jetzt ist sie in ihre lange verheißene Reifezeit eingetreten, deren Beweise überall offenkundig sind... Was den menschlichen Bedürfnissen in der Frühgeschichte unseres Geschlechts angemessen war, ist weder passend noch genügend für die Erfordernisse des heutigen Tages, dieser Zeit des Neuen und der Vollendung. Die Menschheit hat sich aus ihrem früheren Zustand der Begrenztheit und der Vorerziehung erhoben. Jetzt muß der Mensch mit neuen Tugenden und Kräften, mit neuen sittlichen Maßstäben, mit neuen Fähigkeiten erfüllt werden. Neue Wohltaten und vollkommene Gaben warten auf ihn und senken sich schon auf ihn herab. Die Gaben und Segnungen der Jugendzeit, wenngleich sie während des Heranwachsens der Menschheit paßten und genügten, sind nicht imstande, den Erfordernissen ihrer Reifezeit zu entsprechen.“

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Aus „Die Entfaltung der neuen Weltkultur“, Botschaft vom 11. 3. 1936, vgl. 19-Tage-Brief 13 und 14/114 (Nov. 1957).


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Dies ist der Tag, an dem Gottes erhabenste Segnungen den Menschen zugeströmt sind, an dem sich Seine größte Gnade über alles Erschaffene ergossen hat. Allen Völkern der Welt obliegt es, ihre Gegensätze auszugleichen und in vollkommener Einigkeit und in Frieden unter dem Schatten des Baumes Seiner Hut und Güte zu verweilen.
Bahá’u’lláh
aus „Ährenlese“ IV
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Krise und Erfüllung[Bearbeiten]

Brief eines jungen Bahá’í: an seine Freunde / von John Huddleston

Vor ein paar Monaten wurde ich Bahá’í. Ich nehme an, daß bei dieser Nachricht einige Augenbrauen in die Höhe gingen. Ob dem so ist oder nicht, ich meine, daß ich in irgendeiner Form eine Erklärung schuldig bin, besonders deshalb, weil früher alles in allem meine Ansichten denjenigen meiner Freunde ziemlich ähnlich waren. Den Wechsel werden sicherlich manche meiner Eheschließung mit einer Bahá’í zuschreiben. Sie hat natürlich einigen Einfluß auf mich gehabt; aber es war weit mehr als dies. Seit einigen Jahren habe ich mich Schritt für Schritt immer ernüchterter von den konventionellen Werten unserer Zeit abgewandt; ich bin sicher, daß ich früher oder später, unabhängig von meiner Ehe, zu diesem Entschluß gekommen wäre.

Meine früheren Gedanken über den Sinn des Lebens waren ihrer Natur nach eher eine Reaktion auf die christlichen Kirchen als etwas Positives. Von meinem fünfzehnten Lebensjahr an setzte ich organisierte Religion mit Aberglauben, Heuchelei und Parteigängertum gleich. In unterschiedlichem Ausmaß forderten die christlichen Kirchen den Glauben an Vorstellungen wie einen physischen Himmel und eine Hölle, Engel, Wunder, die wörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte, die Dreifaltigkeit, die Auferstehung, die leibliche Himmelfahrt der Jungfrau Maria und anderes. Es war mir einfach nicht möglich, solche Ideen mit meiner sonstigen Lebenserfahrung in Einklang zu bringen. Ich war unglücklich; später, als ich nach und nach begriff, wie groß der Unterschied zwischen den Lehren Christi und der Praxis seiner Kirchen ist, wuchs mein Unwille immer mehr. Christentum sollte mit Liebe zu tun haben, mit Sorge für die Armen, Demut, Loslösung von irdischem Reichtum. Diese Grundsätze schienen vieles in der Kirchengeschichte kaum beeinflußt zu haben: die Kreuzzüge, die Inquisition, Rom in der Renaissance, der Dreißigjährige Krieg, die Indifferenz gegenüber dem Elend in den Industriestädten, die Beruhigungstaktik in Sachen Sklaverei und Rassentrennung. Als ob dies noch nicht schlimm genug wäre, wurde es mir immer schwieriger, Achtung vor einer Religion zu bewahren, die in eine Vielzahl von Bekenntnissen gespalten war — Bekenntnisse, welche sich in allen möglichen Fragen, die meist kaum etwas mit den ursprünglichen Lehren Christi oder mit den Problemen der heutigen Gesellschaft zu tun haben, bekämpfen. Ich sah damals keine andere Wahl als die Ablehnung aller Kirchen. Dabei strich ich aus meinen Vorstellungen die Idee eines Gottes, die mir wie so vieles andere unter unannehmbaren Bedingungen vorgesetzt worden war. Hier muß ich gleichwohl anfügen, daß ich nie so arrogant war zu behaupten, es gäbe keinen Gott; vielmehr wollte ich ohne den Gedanken an derartige Ideen durchkommen. Wenn ich jemals über einen Sinn des Lebens nachdachte, kam ich zu einer allgemeinen Vorstellung vom Menschen, der eine immer höhere Stufe der Zivilisation und Kultur anstrebt, und dabei blieb es.

[Seite 1005] Bald war ich mir bewußt, daß etwas fehlte. Die Vision dessen, was über das materielle Leben hinausging und die größten Künstler, Denker und Wissenschaftler inspirierte, einen Rembrandt, Tolstoi oder Einstein — diese Vision konnte mit meiner begrenzten Philosophie nicht in Einklang gebracht werden.

„Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als
eure Schulweisheit sich träumen läßt.“

Wie andere hatte ich das fortgesetzte Streitgespräch zwischen den Kirchen und der Wissenschaft als die direkte Konfrontation zwischen religiösen und atheistischen Ansichten aufgefaßt. Nachdem jedoch mehr und mehr von der Ordnung und Logik des Weltalls entdeckt wurde, dämmerte mir, daß die Wissenschaft zwar einerseits Aberglauben zerstörte, andererseits aber in die Richtung umfassenderer Bedeutungen hinter der stofflichen Existenz wies. Ich verstand mit der Zeit die Konsequenzen der Philosophie, daß der Mensch Meister seines eigenen Schicksals sei und keinen Gott wünsche oder brauche. Fast täglich bekam ich in den Zeitungen die verheerenden Folgen solcher Arroganz vorgesetzt. Man sollte meinen, die Verrücktheit der letzten Jahrzehnte hätte uns ein wenig mehr Demut lehren sollen. Diese wachsende Erkenntnis verstärkte meine Zweifel an der hochnäsigen Art, in welcher der moderne Mensch mit der aufgespeicherten Weisheit der Vergangenheit gebrochen hat. Selbst zu Zeiten, in denen ich den Kirchen streitbar gegenüberstand, hatte ich Jesu für viel respektgebietender gehalten als jeden modernen Theoretiker.


Das Ethos des Gesellschaftlichen

Wie es auch um meine Zweifel an der Frage nach dem Sinn des Lebens im großen und ganzen stehen mochte, immer hatte ich ein feines Gespür für das Unrecht in der Gesellschaft, das ich nicht als unvermeidlich hinnehmen konnte. Da ich so stark gegen die Kirchen eingenommen war, kam ich nicht auf den Gedanken, sie könnten ein Werkzeug für die Herbeiführung gerechterer Zustände sein. Die Antwort schien vielmehr bei radikalen politischen Ideen zu liegen. Unter den Parteien waren mir die Sozialisten am sympathischsten; sie vertraten die Interessen der größten Gruppe von Unterprivilegierten in der Gesellschaft, der industriellen Arbeiterklasse, und im Gegensatz zu den Laissez-faire-Liberalen zogen sie es nicht vor, die Zufälle der Geschichte abzuwarten, sondern wollten vorausplanen, um eine gesellschaftliche Katastrophe zu verhindern. Wie andere junge Menschen wollte ich klare, gestochen scharfe Antworten und rasche Aktionen haben; folglich hatte der revolutionäre Sozialismus oder Kommunismus eine oberflächliche Anziehungskraft auf mich. Ich war mir jedoch über die Geschichte genügend im klaren, um skeptisch gegen die Dynamik der Revolution zu sein, die in der Vergangenheit die Ziele verdorben und tatsächlich oft schlimmeres Unrecht schuf, als sie beseitigte. Auch hatte ich keine Illusionen über die Auswirkungen der kommunistischen Theorie, daß der Zweck die Mittel heilige. Mir schienen deshalb die demokratischen Sozialisten (bei mir in England die Labour Party) diejenigen Parteien zu [Seite 1006] bilden, die sich am realistischsten und erfolgreichsten für soziale Gerechtigkeit einsetzten; folglich unterstützte ich sie mit unterschiedlicher Begeisterung von früher Jugend an. Trotz vieler Makel war die Geschichte der demokratischen Linken im Westen, glaube ich, im ganzen lobenswert; es ist deutlich, daß sie direkt oder indirekt das Los der Arbeiterklasse wesentlich verbessert hat, und dies war in den letzten hundert Jahren die wichtigste soziale Aufgabe des Westens.

Die Zeiten haben sich aber geändert und die heutige Welt hat viel größere Aufgaben. Nationalstaaten, Rassenfeindschaften und eine explodierende Weltbevölkerung sind die schlimmsten Hindernisse weiteren menschlichen Fortschritts geworden. In gewissem Sinn überschneiden und ergänzen sich die beiden ersten Probleme, und das dritte ist teilweise ihr Ergebnis. Jedes führt zu tragischem Unrecht und ist eine gefährliche Bedrohung für das Überleben der Kultur. Die meisten anderen Streitfragen, mit denen wir im Westen vertraut sind — strukturelle Armut, die Stadt als Lebensraum, Landschaftsschutz, Verkehr und Nachrichtenwesen — sind im Grunde Nebenprodukte jener drei anderen Probleme. In dem Maße, wie ich die Gesellschaft unter diesem Blickwinkel sah, kam ich zu der Feststellung, daß die alten politischen Institutionen einschließlich der demokratischen Linken nicht länger unseren Nöten genügen und daß wenig Aussicht besteht, daß sie es noch einmal tun könnten.

Nehmen wir das erste Problem, den souveränen Nationalstaat. Er ist im Zeitalter der Atomwaffen nicht nur eine tägliche Bedrohung unserer nackten Existenz, sondern wahrscheinlich die schlimmste Ursache für wirtschaftliche und soziale Unausgeglichenheiten auf der ganzen Welt. Wie die Dinge in der Politik heute liegen, sehe ich nicht die geringste Möglichkeit dafür, daß die Nationen diesen Zustand beheben, indem sie durch gegenseitige Übereinkunft ihre Souveränität auf eine einheitliche Weltgewalt übertragen. Dieses Vorgehen wäre in völligem Gegensatz zum Wesen althergebrachter Politik, das für jede Konzession einen unmittelbaren Vorteil verlangt. Selbst zu Zeiten der stärksten Auflehnung der Völker gegen die Machtpolitik, 1919 etwa oder 1945, war keine Nation willens, das Risiko des Handelns auf sich zu nehmen, allein aus Weitblick und im Interesse der Weltgemeinschaft als eines Ganzen. Eine Quelle ständiger Verwunderung für mich ist der Kontrast zwischen dem, was geschehen sollte, und den kleingeistigen, langatmigen Streitgesprächen, die unsere Politiker heutzutage darüber veranstalten. Der Fehler liegt nicht nur bei den traditionsgebundenen, vierschrötigen Patrioten der Rechten. Über all ihren Reden von weltweiter Brüderlichkeit haben die sozialistischen Parteien immer das Handeln vergessen, wenn es um größere Zusammenhänge als ihren eigenen Nationalstaat ging. Das kläglichste Beispiel waren die deutschen Sozialdemokraten im August 1914. In den letzten Jahren ist es bei manchen Sozialisten sogar Mode geworden, den Nationalstaat als Schutzwall gegen Einmischungen in die von ihnen durchgeführten Reformen zu sehen.

Zweifellos ist die internationale Zusammenarbeit im letzten halben Jahrhundert beträchtlich verstärkt und viel dadurch erreicht worden; aber es [Seite 1007] wäre unklug, diese Erfolge als mehr denn Grenzwerte zu betrachten. Der harte Kern des Problems ist nach wie vor die Machtlosigkeit der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, nicht nur auf den bekannten Kampfplätzen der Machtpolitik, sondern auch bei Aufgaben wie derjenigen, die reichen Länder dazu zu bringen, einen angemessenen Teil der Kosten für die Entwicklung der ärmeren Weltgegenden zu übernehmen. Wenn es darauf ankäme, ginge alles bisher Erreichte über Nacht in die Brüche. Die Atomsperrverträge sind so brüchig wie das Leben der Staatsmänner, die sie unterzeichnet haben. Die meisten von uns ziehen es zwar vor, über solche Tatsachen nicht nachzudenken; aber niemand kann so kurzsichtig sein, ihre Realität abzuleugnen.


Grundsätze werden preisgegeben

Man mag einwenden, die gegenwärtige Ängstlichkeit der Staatsmänner könne überwunden werden, wenn eine politische Bewegung von wirklicher Weitsicht an Brennpunkten der Welt heranwüchse, indem sie einen Ausbruch weltumspannender Begeisterung einleite oder eine bedeutende politische Macht für sich gewinne. Ich stehe solchen Hoffnungen skeptisch gegenüber. Mindestens in der jüngeren Vergangenheit haben Reformparteien, in der Hauptsache die Sozialisten, die tatkräftige Unterstützung der größten einigermaßen gleichförmigen Gesellschaftsschicht, der Industriearbeiterklasse, gefunden, weil diese eine direkte Verbindung zwischen ihren eigenen Interessen und den verfochtenen Reformen feststellen konnte. Ich kann keine derart tragfähige Grundlage für eine Partei sehen, die sich der Errichtung einer Weltregierung verschreiben würde, nachdem dies für den Anfang praktisch nur Opfer, vor allem in den reichen Ländern, mit sich brächte. Die heutigen Armen, diejenigen Menschen in der Welt, welche am meisten durch Welteinheit gewännen, stehen im Unterschied zu der Arbeiterklasse von gestern völlig außerhalb des realpolitischen Systems, d.h. der Machtstrukturen in den reichen Ländern; sie haben wenig oder überhaupt keinen Einfluß auf Entscheidungen, die ihr Leben empfindlich beeinflussen. Der Reformer hat deshalb gleich zu Beginn mit einem großen Nachteil zu kämpfen. Er kann, wie der Reformer längst verflossener Zeiten, nur die Reichen zu überzeugen suchen, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen langfristig zu aller Vorteil gereichen.

In der Geschichte gab es viele große Ausbrüche der Begeisterung und des Gemeinschaftsgefühls, am deutlichsten in der Frühzeit einer neuen Religion oder dann, wenn eine Nation um ihr nacktes Leben zu kämpfen hatte. Die Erfahrung der letzten Jahre hat mich überzeugt, daß es nahezu undenkbar ist, von dem herrschenden politischen System zu erwarten, es könne solche Begeisterung genügend lange und auf genügend breiter Grundlage kanalisieren und aufrechterhalten, damit der souveräne Nationalstaat als bislang höchstes Ordnungsprinzip freiwillig aufgegeben wird. Vielleicht zu recht ist die heutige Gesellschaft zu zynisch, als daß so etwas geschehen könnte. Sie hat lernen müssen, daß die Politik selbst Leute mit den besten Motiven verdirbt und unlöslich in ihr Netzwerk verstrickt. Im wirren Kampf um die Macht glaubt man immer stärker an die eigene [Seite 1008] Unentbehrlichkeit, und diejenigen, die sich für eine gemeinsame Sache vereinigen sollten, bekämpfen sich untereinander. Grundsätze werden in Kompromissen mit anderen Machtgruppen preisgegeben, und keine dieser Gruppen repräsentiert die wahren Interessen der Gesellschaft. Ist die Macht schließlich erkämpft, treten die Fesseln des Amtes rasch zutage. Wie oft schon hat ein Kandidat die aufrichtigsten Wahlversprechen verraten, wenn er erst im Amt war. Realismus? Vielleicht. Wahrscheinlicher ist, daß man nicht aus Fesseln, die fast ein Eigenleben haben, ausbrechen Kann. Wie kann jemand ernsthaft behaupten, die großen Tagesfragen, etwa in Vietnam, Kuba, Nahost, Biafra, Berlin oder bei irgendeiner anderen Krise der letzten Jahre, hätten irgend etwas mit den wahren Interessen des kleinen Mannes zu tun? Und doch ist jedesmal sein Leben in die Waagschale geworfen worden. Sicherlich sind wir uns alle ähnlicher Widersprüche zwischen dem wahren Interesse der Gesellschaft und demjenigen der Regierungen auch in innenpolitischen Dingen bewußt.

Wie in der Frage der Staatsordnung, gilt dies vor allem auch in der Rassen- und Minderheitenpolitik. Das wichtigste in Rassenfragen ist eine tiefgreifende sittliche Erziehung für alle Glieder der Gesellschaft; gerade das ist es, was die politischen Parteien nicht bewerkstelligen können. Soweit sie den dringenden Bedürfnissen frustrierter und unterdrückter Bevölkerungsschichten gerecht zu werden suchen, aber auch wenn sie die Furcht der Herrschenden in Programme kleiden, neigen politische Parteien dazu, Ansichten zu polarisieren; dies zerstört nach und nach jede Möglichkeit eines vernünftigen Gesprächs oder der sittlichen Erziehung. Wenn eine Reformpartei an die Macht gelangt, wird sie den Konservativen wohl oder übel Gerechtigkeit — oder ihr Konzept von Gerechtigkeit — aufzwingen. Solange sie die Macht nicht erreicht, wird sie ihren Ärger in gehässigen Schmähschriften — man lese nur die einschlägige Wochenpresse — oder vielleicht in Gewalttätigkeiten auslassen. Tatsächlich haben solche Methoden manchmal zu oberflächlichen Erfolgen geführt. Es kann zum Beispiel keinen Zweifel geben, daß die Bürgerrechtsbewegung und Black Power die nordamerikanische Gesellschaft gezwungen haben, beachtliche Verbesserungen im täglichen Leben der Farbigen herbeizuführen. In einem umfassenden Sinn werden jedoch solche Tätigkeiten niemals zu wirklicher Gleichberechtigung führen. Sie läßt sich nur erreichen, wenn der Weiße seinen schwarzen Nachbarn als Bruder erkennt; keine Gewalt der Erde kann dies erzwingen, auch wenn es in gewissen Kreisen heute Mode ist, solche Behauptungen aufzustellen. So liegt auch eine der Fehlhaltungen des Sozialismus darin, daß er die Reichen gegen ihren Willen für Sozialreformen zahlen läßt und dadurch tiefgreifende Widerstände schafft, die den wahren Geist des Wohlfahrtsstaates untergraben. Wir alle wissen, wie reiche Bürger jedes Mittel für recht halten, um ihren Anteil am Steueraufkommen herunterzudrücken. In einer wirklich gerechten Gesellschaft wäre es für die Begüterten eine Ehre, ihren Anteil an den Bedürfnissen der Allgemeinheit aufzubringen.

Kurz gesagt, ich kam zu der Überzeugung, daß das gegenwärtige Gesellschaftssystem einem Haus gleicht, welches auf Sand gebaut ist. Wir rennen [Seite 1009] umher und stopfen hier und dort die Löcher zu; aber wir drücken uns um die eigentlichen Aufgaben. Vielleicht könnte man das Wort eines berühmten Staatsmannes abwandeln und sagen, daß das Regieren zu wichtig geworden ist, als daß man es den Politikern überlassen dürfte.


Das Elend des Humanismus

Nachdem ich mit organisierter Religion völlig gebrochen hatte, waren meine Bezugsgrößen für ein ethisches Verhaltensmuster des persönlichen Bereichs alles in allem humanistischer Art. In der persönlichen Lebensführung gibt man sich Mühe, aufrichtig zu sein, ehrlich, rücksichtsvoll und maßvoll in allen Dingen. Man steht dem Betragen anderer Leute tolerant gegenüber und gibt nur ungern ein Urteil ab außer in besonders gesellschaftswidrigen Fällen. Den Zusammenbruch der alten christlichen Ethik, sei es die puritanische Spielart wie in den Vereinigten Staaten oder im nördlichen Europa, sei es das katholische Brauchtum wie im übrigen Westen, begrüßte ich sehr und verfolgte interessiert, wie er sich in den letzten Jahren beschleunigte. Ich empfand es als richtig, daß die Heuchelei und Jammertalatmosphäre des Puritanismus und die strengen katholischen Ansichten über Frauen, Scheidung, Geburtenkontrolle, Gestaltungsfreiheit usw. in Frage gestellt wurden. Wieviel Elend hatte doch all dies in der Vergangenheit gebracht, besonders, wie üblich, für die unterprivilegierten Volksschichten; denn „die im Lichte“ fanden immer Mittel und Wege, mit moralischen Konventionen fertig zu werden. Und was war der Nutzen von all dem gewesen? Ich hoffte, ein neuer Luftzug würde das Leben im persönlichen Bereich ausgeglichener, toleranter, würdiger — und gerechter — gestalten.

Die Entwicklung ging aber andere Wege. Zum Teil ist das Ungenügen der neuen „humanistischen“ Ethik darauf zurückzuführen, daß sie verschwommen ist und keine zentrale Autorität hat, so daß die meisten sie nicht richtig verstehen und noch viel weniger Begeisterung für sie empfinden. Praktisch bedeutet die Aufgabe der alten Regeln ein immer tieferes Abgleiten in eine Haltung, der alles erlaubt erscheint. Alles ist möglich, was unmittelbare Lustbefriedigung verschafft und den Nächsten nicht unmittelbar belästigt oder verletzt, und diese Grenze wird sehr eng gezogen. Ohne jeden Sinn für Zielsetzungen, ohne jede andere Form von Rückgrat ist die gängige Verhaltensweise zu etwas Quallenförmigem geworden. Was einst gesundes kritisches Denken war, ist zu einem unterschiedslosen Mangel an Ehrfurcht vor der Autorität, vor anderen Menschen im allgemeinen und sogar vor dem eigenen Ich herabgesunken. Das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten ist etwas völlig Uninteressantes; Pflicht ist ein Begriff, über den altmodische Menschen zu reden pflegen. Das einzige Gesetz ist der Konsum. So etwas mag gut sein für die Statistik des Bruttosozialprodukts, aber sonst taugt es zu nichts. Seltsam, eine Gesellschaft zu beobachten, die in ihrer Gesamtheit, vor allem aber in den westlichen Industrienationen, so freizügig geworden und einem immer stärker beschleunigten Wachstum unterworfen ist, und der gerade in einem solchen Zustand das zu fehlen scheint, was sie am dringendsten braucht: ein starkes [Seite 1010] sittliches Leitprinzip. Das Ergebnis ist deutlich für alle, die es sehen wollen. Mein eigener Eindruck ist, daß die Menschen des Westens nach einem vorübergehenden Ausbruch des Optimismus angesichts ihrer neu erworbenen Freiheit ihren Orientierungssinn und ihren Seelenfrieden verloren haben. Ich spüre es in der Luft: die Indifferenz, den Mangel an selbstgestellten Aufgaben, den Zynismus, die Selbstsucht, das Seine-Ruhe-Haben-Wollen und immer mehr die nackte Brutalität. Unredlichkeit im öffentlichen Leben hat es zu allen Zeiten mehr oder weniger gegeben. Aber es ist lange her, glaube ich, seitdem die Menschen öffentlich, vom Staatsoberhaupt bis herunter zum Mann auf der Straße, die Wahrheit so sehr wie heute mißachtet haben, wenn es ihnen in den Kram paßte. Werden sie dabei ertappt, brauchen sie kaum noch allgemeines Aufsehen zu befürchten.

Die Wirkung dieses Zustandes auf die gesellschaftlichen Einrichtungen braucht nicht umständlich erörtert zu werden. Im geschäftlichen Alltag erwartet man fast ständig, betrogen zu werden, sei es durch Taschenspielertricks, sei es durch wertlose Waren oder Leistungen, und es reicht bei weitem nicht hin, dies alles dem Zeitalter der Massenproduktion anzulasten. So scharf einst der Trennungsstrich zwischen Verbrechen und normalem gesellschaftlichem Austausch war, desto verschwommener wird er von Tag zu Tag. Was für ein Licht wirft es doch auf eine Gesellschaft, wenn sie die Reife eines Kindes danach bemißt, bis zu welchem Grad es seine Unschuld abgelegt und einen „gesunden“ Verdacht gegen seine Mitmenschen erworben hat!

Auf einem anderen Gebiet zeigt sich die schwindende Achtung vor Werten jeder Art in der weitverbreiteten Hinnahme, um nicht zu sagen: Billigung sexueller Zwanglosigkeit. Der menschliche Körper wird zu einer Supermarktware, die Liebe zwischen Mann und Frau wird als romantischer Plunder verlacht. Die gängigen Erklärungen für solche Verhaltensweisen mögen für Cocktailparties ausreichen, aber sie erscheinen schal und seicht, wenn man an die Kosten in Form von Einsamkeit denkt — einer Einsamkeit, die nicht einmal der engsten menschlichen Beziehungen sicher sein kann — und an die unausweichliche weitere Untergrabung der Familie, die als Grundlage der Liebe und des Schutzes für das Kind noch keiner ersetzen konnte. Eltern mit lasziver Moral finden auch keine glaubwürdige Antwort auf die Frage ihrer Kinder: „Warum nicht Rauschgifte nehmen?“ Als Abschreckungsmittel bleibt ihnen nur das verzweifelte Suchen nach einem Beweis der Gefahr von Drogen. Dabei liegt auf der Hand, daß eine Ethik mit allgemeiner Sinngebung eine klare Antwort auf die Frage nach den Rauschgiften wüßte.

Viele, denen ich begegnet bin, stimmen alledem zu, was ich hier ausgeführt habe. Aber wie früher ich selbst, sehen sie keinen Ausweg; sie machen das Beste aus ihrem eigenen Leben und hoffen, daß alles gut gehen werde. Heute bin ich überzeugt, daß das nicht ausreicht. In Wirklichkeit ist diese Haltung egoistisch; man richtet sich selbst damit zugrunde.

[Seite 1011] Obwohl ich immer mehr an den überkommenen westlichen Werten auf religiöser, gesellschaftlicher oder persönlicher Ebene verzweifelte, konnte ich keine wirkliche Alternative finden. In den letzten Jahren milderte sich meine Feindschaft gegen die Kirchen, teils unter dem Eindruck von Papst Johannes XXIII. teils wegen der rühmlichen Rolle, die einige Geistliche bei den Menschenrechts- und Minderheitenproblemen in den Vereinigten Staaten spielten. Aber Toleranz, selbst wenn sie mit Sympathie durchwirkt ist, unterscheidet sich sehr wohl von einer Unterstützung oder Mitgliedschaft. Es gibt zu vieles in Vergangenheit und Gegenwart, was für alle Zeit ausschließt, daß diese Toleranz in etwas Positiveres auswächst. Was für die wichtigsten Institutionen galt, war auch, wenngleich aus anderen Gründen, auf Gruppen wie die Quäker oder die Unitarier anzuwenden, die ein besseres Bild als die meisten anderen boten. Gewiß, sie waren nicht mit veralteten Glaubensvorstellungen angefüllt und sie taten mehr oder weniger, was sie predigten; aber sie waren im Grunde durchgehend weißes Kleinbürgertum und lebten in geistiger Abgeschlossenheit. Auch hatten sie weder den Weitblick noch den Ehrgeiz, die Gesellschaft als Ganzes in bessere Bahnen zu lenken. Ähnliche Unvollständigkeit empfand ich bei anderen Bewegungen wie dem Zen-Buddhismus; auch hier gab es keine politischen Antworten. Ursprünglich sympathisierte ich sehr mit den neuen radikalen Bewegungen unter Studenten und Negern in den Vereinigten Staaten und anderswo; sie schienen geradlinig und aufrichtig in ihrem Idealismus zu sein. Die beiden letzten Jahre haben aber gezeigt, wie es mit solchem Idealismus bestellt ist, wenn es darauf ankommt. Die Methoden der Neuen Linken, ihre Ideale der Gesellschaft aufzuzwingen, hintergehen die Sache der Gerechtigkeit kaum weniger als die Methoden der Kommunisten vor fünfzig Jahren.


Das Licht des neuen Tages

Gerade als das Leben jeden Sinn für mich verloren zu haben schien, entdeckte ich eine Spur der Bahá’í-Lehren; das wirkte auf mich wie der Sonnenaufgang nach einer besonders trüben und kalten Nacht.

Die Bahá’í-Religion hat ihre Wurzeln in einer radikalen Reformbewegung, die 1844 in Persien begann und die Gesellschaft aus den Tiefen der Korruption und Verderbtheit, in die sie verfallen war, erwecken wollte. Diese Bewegung verbreitete sich wie ein Lauffeuer, wurde aber bald von den herrschenden Mächten hart verfolgt; ihr Oberhaupt, ‘Alí Muhammad, mit dem Beinamen der Báb oder das Tor (1819—1850), und viele Tausend seiner Anhänger wurden ermordet, eingekerkert oder aus dem Lande gejagt. Die Bewegung weitete sich unter der Führung ihrer zweiten und wichtigsten Hauptgestalt, Bahá’u’lláh (1817—1892), zu einer völlig unabhängigen und allumfassenden Offenbarungsreligion aus. Bahá’u’lláh, Sohn eines Ministers aus altem persischem Adel, wurde des Landes verwiesen und verbrachte die dreißig letzten Jahre Seines Lebens fast ganz als Gefangener des türkischen Reiches. Seine wichtigste Stütze in Seinen späteren Jahren war ‘Abdu’l-Bahá (1844—1921), Sein ältester Sohn. Er wurde von Bahá’u’lláh als Nachfolger und Oberhaupt der [Seite 1012] Bahá’í-Gemeinschaft eingesetzt; Er brachte den Glauben in den Westen und entwickelte seine ständige Verwaltungsordnung. Unter der Führung von Shoghi Effendi (1896—1957), der von 'Abdu'l-Bahá als „Hüter des Glaubens“ eingesetzt wurde, dehnte sich die Bewegung in alle Winkel der Erde aus und wurde eine wirkliche Weltreligion. Heute gibt es Bahá’í in mehr als 300 Staaten, Territorien und Inseln auf der ganzen Welt. Seit 1963 werden sie durch einen gewählten Rat von neun Mitgliedern, das Universale Haus der Gerechtigkeit, geführt.

Die Bahá’í glauben an den einen Gott, der jedoch infolge der Unreife und begrenzten Vorstellungskraft des Menschen nicht unmittelbar erkannt werden kann. Ohne Gott gibt es keine Zukunft, ohne Ihn versinkt die Gesellschaft immer tiefer in Teilnahmslosigkeit und sittlichem Verfall. In der Vergangenheit wurden menschliche Gesellschaften vor der Auflösung dadurch bewahrt, daß ihnen Männer von besonderer Gedankentiefe, die um die Bedeutung des Weltganzen wußten, aufs neue den Weg zu Gott zeigten. Bei jeder dieser Gelegenheiten tat die Menschheit einen großen Schritt vorwärts in ihrem Reifeprozeß. Dem Auftritt dieser Übermenschen folgt regelmäßig nach gewisser Zeit ein Niedergang, weil die göttlichen Lehren durch Auslegungen und Fehlleistungen von weniger bedeutenden Menschen verdorben werden. Der Geist der Gesellschaft welkt dahin, aber dann tritt ein neuer Prophet auf und ein neuer Zyklus kommt in Gang. Die großen Religionsstifter der Vergangenheit — Moses, Zarathustra, Krischna, Buddha, Christus und Muhammad — sind an ihren Früchten zu erkennen und unterscheiden sich deutlich von den vielen falschen Propheten, welche die ganze Weltgeschichte hindurch auftraten. Die Bahá’í haben sich davon überzeugt, daß der Prophet, die „Manifestation Gottes“, die heute die Gesellschaft zu neuem geistigem Leben erweckt, Bahá’u’lláh ist.

Bahá’u’lláh weist nach, daß die Lehren aller großen Religionen aus zwei Teilen bestehen: einem geistigen und einem gesellschaftlichen Teil. Der geistige Teil befaßt sich mit den Allgemeinbegriffen und dem letztlichen Sinn des Lebens. In dieser Hinsicht bringen alle Religionsstifter dieselbe Botschaft; sie alle sprechen von der Einheit Gottes, den universalen Tugenden der Liebe, der Gerechtigkeit, des Glaubens und der Loslösung. Die gesellschaftlichen Lehren hingegen folgen zwar alle den gleichen Grundsätzen, unterscheiden sich jedoch in Zeit und Raum entsprechend den Verhältnissen und der Aufnahmefähigkeit derjenigen Menschen, für die sie ursprünglich bestimmt waren. Von dieser Grunderkenntnis her versöhnt Baha’u’llah die großen Religionen; Er überwindet die äußerlichen Schranken, die Menschen zwischen ihnen errichtet haben. Wahre Religion trennt nicht; sie ist im Gegenteil die stärkste Kraft, Menschen in brüderlichem Gehorsam unter dem einen Gott zu verbinden.

Das besondere Merkmal der gesellschaftlichen Lehren Bahá’u’lláhs ist das große Gewicht, das Er auf die Einheit der Menschheit legt. Die Gesellschaft hat den Punkt erreicht, an dem Nationen nicht länger ohne Rücksicht auf andere Nationen leben können. Darüber hinaus kann der Mensch auf seinem Weg zur Reife und zu geistiger Erfüllung nicht vorankommen, [Seite 1013] solange er nicht die großen gesellschaftlichen Widersprüche gelöst hat. Die moderne Technik, vor allem im Verkehrs- und Informationswesen, hat die Welteinheit verwaltungsmäßig möglich gemacht. Alles, was fehlt, ist die einheitliche Führungsstruktur und der gesellschaftliche Organismus — und das hat Bahá’u’lláh gebracht. Der Bahá’í-Glaube ist auf die Praxis ausgerichtet. Die Bahá’í verehren Gott nicht so sehr andächtig in einer Kirche, als vielmehr in der Arbeit für die Errichtung einer gerechten Weltgesellschaft. Es handelt sich um den Unterschied zwischen Religiosität und Geistigkeit.

Nach Auffassung der Bahá’í kann eine wahre Weltgesellschaft nicht mit den bisherigen Methoden errichtet werden. Wir müssen neu beginnen. Im Gegensatz zu manchen politischen Radikalen ziehen sich die Bahá’í jedoch nicht von der Gesellschaft zurück oder ergötzen sich am Anblick ihres vorausberechneten Elends. Sie unterstützen und ermutigen alle Bewegungen für den Fortschritt der sozialen Gerechtigkeit. Schließlich kann eine Bahá’í-Gesellschaft nicht über Nacht gebildet werden; die Menschen müssen in der Zwischenzeit leben. Was aus naheliegenden Gründen von den Bahá’í verlangt wird, ist, daß sie sich nicht an der Parteipolitik beteiligen. Praktisch bedeutet dies Gehorsam gegenüber den etablierten Regierungen außer in Fällen, in denen dieser Gehorsam den Bruch noch höherer Bahá’í-Prinzipien bedeuten würde. Die Bahá’í sind nicht daran interessiert, das gegenwärtige System der Dinge umzustürzen. Sie halten es für gründlich verdorben und erwarten, daß es mit der Zeit von selbst auseinanderfällt.


Praktische Leitlinien für religiöse Grundsätze

Inzwischen haben die Bahá’í damit begonnen, eine neue Gesellschaft zu bauen. Ihre Grundlage ist die sittliche Lauterkeit aller ihrer Glieder, die Schaffung einer neuen Menschenrasse. Als erstes wird den Bahá’í Selbstachtung auferlegt; ohne sie ist die Liebe und Achtung für andere bestenfalls etwas Unsicheres. Unterdrückte Rassen, zum Beispiel die Indianer, werden gelehrt, stolz auf ihre Kultur und Geschichte zu sein und sich nicht von der Macht des weißen Mannes einschüchtern zu lassen. Die Bedeutung der Familie als Quelle der Sicherheit und Liebe für Ehepartner und Kinder wird betont. Der Nachdruck, den die Bahá’í auf die Einheit in der Familie legen, wird an der Vorkehrung deutlich, daß sie nur heiraten dürfen, wenn sie die Zustimmung aller lebenden Elternteile haben. Scheidung ist statthaft, aber nur dann, wenn alle Versöhnungsversuche gescheitert sind und ein Jahr der Trennung die Lage nicht verbessert hat; unter diesen Voraussetzungen ist die Ehe — vorbehaltlich der gültigen Staatsgesetze — ohne Prozeßverfahren geschieden. Nächstenliebe ist die Grundforderung des Bahá’í-Glaubens, wie in anderen Hochreligionen auch, aber es ist eine Nächstenliebe, die einerseits von der Selbstverantwortung jedes Menschen, andererseits von umfassenden Ordnungsvorstellungen geprägt ist. Bahá’u’lláh gibt zahllose praktische Leitlinien für diese Grundsätze. Beispielsweise legt Er großes Gewicht auf die bewußte Beseitigung von Vorurteilen und das Verbot jeder üblen Nachrede, vor allem hinter dem Rücken des Betroffenen. Üble Nachrede könnte eine gefährliche [Seite 1014] Klippe für die grenzen- und klassenlose, umfassend informierte Gesellschaft der Zukunft werden. Ihr Schaden ist unermeßlich; nicht umsonst spricht man von Ruf-„Mord“. Aus allen diesen gesellschaftlichen Lehren ergibt sich, daß sich ein Bahá’í nicht nur um ein hohes Maß persönlicher Integrität zu bemühen hat, sondern gleichzeitig fortgesetzt ermutigt wird, sich für die Besserung der gesamten menschlichen Gesellschaft einzusetzen. Dies wird sich nicht nur auf die Tätigkeit auswirken, die er wählt, sondern auch auf den Geist, in dem er sie ausführt. Als Bahá’í erlebt man die Freude am Geben und am Empfangen gleichermaßen.

All dies darf nicht zu dem Eindruck führen, die Bahá’í seien puritanisch. Sie freuen sich an den guten Dingen des Lebens, aber in Mäßigung und Loslösung. Gewohnheiten, die dem Körper schaden oder den klaren Verstand untergraben, werden abgelehnt. Bahá’í nehmen keine Rauschgifte und trinken keinen Alkohol; das Rauchen wird mißbilligt. Am Anfang wird man es als Bahá’í schwer haben, alte Gewohnheiten abzulegen. Das ist eine Frage des persönlichen Bewußtseins; normalerweise vergehen solche Probleme von allein in dem Maße, wie man das Ineinandergreifen aller dieser Gebote und Grundsätze klar erlebt. In der Zwischenzeit werden sich die anderen Bahá’í keinerlei Urteil erlauben, solange schlechte Gewohnheiten nicht überhandnehmen oder der gemeinsamen Sache in der Öffentlichkeit Abbruch tun. Der springende Punkt der Bahá’í-Lehren ist, daß einer den anderen in seinem geistigen Wachstum unterstützt.

Es ist eine sehr schöne Sache, über hohe Grundsätze zu reden; aber was wirklich zählt ist, ob jemand danach lebt. Was mich betrifft, war das Zusammentreffen mit Bahá’í und der Verkehr mit ihren Gemeinden wohl das, was mir die Augen für den wahren Wert ihres Glaubens geöffnet hat. Der erste und stärkste Eindruck war vielleicht der völlige Wegfall aller jener Begrenzungen der Rasse, der Religion, der Klasse, des Alters oder kultureller Vorurteile, wie sie die übrige Gesellschaft quälen. Die Einigkeit der Bahá’í ist eine Einheit in der Mannigfaltigkeit. Meinungsverschiedenheiten sind keine Barrieren, sondern eine Bereicherung der Gesamterfahrung. Es ist eine Atmosphäre der Liebe, Heiterkeit, Kameradschaft, Offenheit, Reife, kurz: des sinnvollen Lebens.


Die sittliche Lauterkeit...

Die sittliche Lauterkeit ist das erste Element der neuen Gesellschaft. Das zweite ist eine neue, umfassende Ordnung, die mit der Zeit die ungerechten, vermodernden politischen Strukturen der Vergangenheit ersetzen muß. Die Bahá’í begegnen sich alle neunzehn Tage bei einem Fest, dessen Programm drei Teile hat: Im geistigen Teil werden heilige Texte gelesen, im administrativen Teil die Gemeindeangelegenheiten beraten, der gesellige Teil mit kleinem Imbiß dient dem gegenseitigen Kennenlernen. Auf dieser Grundlage wählt jede Bahá’í-Gemeinde einmal im Jahr einen örtlichen Geistigen Rat, der die Gemeindeangelegenheiten verwaltet und verantwortlich entscheidet. In Ländern, deren Gemeinden einen gewissen Umfang erreicht haben, wird gleichfalls jährlich eine Delegiertenversammlung [Seite 1015] einberufen, die ihrerseits einen Nationalen Geistigen Rat wählt. Alle fünf Jahre treffen sich die Mitglieder aller Nationalen Räte der Welt, um die höchste Körperschaft des Glaubens, das Universale Haus der Gerechtigkeit, zu wählen. Hier muß betont werden, daß die Bahá’í-Welt keine Kandidaturen oder Wahlkampagnen kennt. Die Gemeinde ist eng verflochten und aktiv; wer fähig ist und sich für das Wohl der Gesellschaft einsetzt, wird gerade dadurch bekannt, nicht durch leere Wahlreden, wie wir sie alle zum Überdruß kennen. Wenn ein Bahá’í in einen Rat gewählt ist, hat er nur innerhalb der Ratssitzung etwas zu sagen; dort bemühen sich die Ratsmitglieder, ihre Ansichten in völliger Loslösung vorzutragen, und oft geschieht es, daß die Redner ihre Meinung im Fortgang der Beratung ändern. Ist ein Beschluß, notfalls mehrheitlich, gefaßt, stehen alle Ratsmitglieder dazu; die übrige Welt geht es nichts an, wer in der Abstimmung dafür oder dagegen war. Im übergeordneten Interesse der Einheit haben alle Bahá’í die Pflicht, die Beschlüsse ihrer gewählten Räte anzunehmen, wie auch immer ihre persönliche Ansicht über den jeweiligen Gegenstand zuvor gewesen sein mochte. Vor ihren Entscheidungen holen die Räte gern die Meinung der übergeordneten Organe ein, wenn sie im Zweifel sind. Das Universale Haus der Gerechtigkeit steht unter der besonderen Führung der Hauptgestalten des Glaubens, die in ihren Schriften praktisch alle Lebensfragen, oft recht ausführlich, aber fast immer in zeitlos gültiger Weise, behandelt haben. Mit so umfangreichen heiligen Texten kann dieser Glaube den Zweifel und die Verderbnis umgehen, die in anderen Religionen durch den Verlaß auf zweitrangige Autoritäten entstanden sind und zu Tausenden von Sekten und Sonderbewegungen geführt haben. In deutlichem Gegensatz zu so gut wie allen gegenwärtigen Einrichtungen, die die Machtausübung auf die Nationalstaaten als Brennpunkte konzentrieren, liegt in der Bahá’í-Verwaltungsordnung die Autorität in erster Linie bei dem Propheten Gottes, in zweiter Linie beim Universalen Haus der Gerechtigkeit.


Der einzig praktikable Weg

Die Bahá’í haben begriffen, daß ein solcher Plan zwar einen langen Reifeprozeß erfordert, daß er aber der einzige praktikable Weg zur Welteinheit ist. Wenn die Grundstrukturen dieser Einheit errichtet sind, werden sie nach den Zielmodellen der Bahá’í durch eine Weltverkehrssprache, eine Weltwährung, den freien Austausch von Waren und Leistungen und die Überwindung extremen Reichtums gefestigt. (Völlige wirtschaftliche Gleichheit wird weder als möglich noch als wünschenswert betrachtet.) Das letztgenannte Ziel des Einkommens- und Vermögensausgleichs ist durch progressive Besteuerung, durch ein Erbschaftsgesetz mit Vorkehrungen gegen übermäßige Vermögensanhäufungen, durch die weitverbreitete Schaffung genossenschaftlicher Organisationen, durch umfassende Erziehungseinrichtungen und vor allem durch die Bewußtseinsbildung in neuen gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu erreichen. Wer die gesellschaftlichen Grundsätze dieses Glaubens als ein geschlossenes Ganzes betrachtet, dem wird klar, daß die sozialistischen Ideale in derselben Richtung liegen, [Seite 1016] aber auf einer viel engeren, oberflächlicheren Grundlage. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß der Bahá’í-Glaube die wahre Reformbewegung unseres Zeitalters ist.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß diese Religion von vielen Ebenen her gesehen und verstanden werden kann: als einfache, geradlinige Richtschnur für das Alltagsleben und die Grundvorstellungen jedes Menschen, aber auch als großartiger, praxisnaher Entwurf für den Aufbau einer neuen, ständig fortschreitenden Kultur. So ist es nicht verwunderlich, daß die Herausforderung dieses neuen Glaubens alle anspricht: Die primitivsten Urwaldbewohner und die gebildetsten Gelehrten an den bedeutendsten Universitäten werden wahre Brüder. Sie mögen fragen, warum dies der breiten Öffentlichkeit nicht mehr bekannt wird. Die Antwort liegt meines Erachtens zum Teil in den Methoden der Bahá’í. Laute Reklame wird vermieden, weil sie einen unwürdigen Eindruck vermitteln könnte, zu falschen Darstellungen und zu nutzlosen Streitereien führen würde. Freie Diskussion ist zwar ein wesentlicher Grundsatz des Glaubens, aber die Bahá’í sind nicht darauf aus, kostbare Zeit mit Leuten zu vergeuden, die nur Unruhe stiften wollen. Bahá’u’lláh sagte, eine Zeit, die sich anschicke, umfassende Schulbildung zu verwirklichen, könne auf Vermittler zwischen dem Wort der Propheten und dem Verständnis des Menschen, im Unterschied zu den Religionen der Vergangenheit, verzichten. Die Bahá’í-Religion kennt deshalb keinen Priesterstand. Vielleicht wäre sie für die Öffentlichkeit greifbarer, wenn sie Priester hätte; aber die Bahá’í wissen, daß es auf lange Sicht der wirksamste Weg für die Verbreitung ihrer Ideen ist, wenn sie ihren Glauben leben und nur mit denen darüber reden, die Interesse zeigen. Ein zweiter Grund dafür, warum man so wenig über die Bahá’í-Religion weiß, ist der, daß die Weltpresse sich bislang noch wenig um sie kümmert, weil sie in Glaubensdingen letztlich nur die gängigen, schmalspurigen Auffassungen wiedergibt. Wenn sich jetzt die Ereignisse überstürzen, mag die Presse sehr wohl plötzlich feststellen, daß sie das größte Ereignis des Jahrhunderts fast verschlafen hat.

Alle diese Ausführungen streifen kaum die Oberfläche dessen, was der Bahá’í-Glaube ist. Ich hoffe jedoch, wenigstens angedeutet zu haben, warum dieser Glaube mir die Antworten auf meine Zweifelsfragen gegeben hat. In seiner vollkommenen Ganzheit macht er es möglich, an Gott zu glauben, schafft ein praktisches Instrumentarium für die Errichtung gesellschaftlicher Gerechtigkeit im Weltmaßstab und zeigt sichere Leitlinien für einen sinnvollen, erfolgversprechenden Weg des persönlichen Wachstums und der Selbstverwirklichung. Was für ein Kontrast zu den leeren Konventionen der Gesellschaft, die uns umgibt! Als mir dies bewußt geworden war, fand ich es nicht mehr schwierig, die wahre Bedeutung Bahá’u’lláhs anzuerkennen. Dabei hätte ich es belassen können. Es gibt immer eine Menge von Zweitrangigem, über das man sich streiten kann; man kann sagen, diese Maßstäbe seien zu hoch für einen selbst, aber hervorragend für andere, wenn sie es versuchen möchten. Irgendwelche Gründe gegen ein Engagement, gegen ein Heraustreten aus der Masse der anderen, gibt es immer. Aber das ist noch nie meine Art gewesen. Es [Seite 1017] kostet einigen Zeitaufwand und ein gewisses Maß an intellektueller Demut, wenn man zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit hindurchfinden will. Hat man sie gefunden, sieht man sich einer überwältigenden Herausforderung, einer sittlichen Pflicht zum Engagement gegenüber. Vor einigen Monaten traf ich meine Entscheidung. Seither habe ich einen ersten Eindruck davon gewonnen, was es bedeutet, über sich selbst hinaus zu leben — für etwas da zu sein, was in eine unendlich viel reichere, eine gerechtere Welt für alle führt. Kurz, ich habe ein wenig miterlebt, was das Wort „Erfüllung“ bedeutet.


Der Verfasser, John Huddleston, studierte in England Wirtschaftswissenschaften und ist heute im Planungsstab des Internationalen Währungsfonds tätig.
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Der Markt und die Gerechtigkeit[Bearbeiten]

Über den Umgang mit dem Wohlstand / von Peter Mühlschlegel

Abgesehen von der Zeit, in der sie in „Stalinabad“ umbenannt war, heißt die Hauptstadt der Volksrepublik Tadschikistan seit Jahrhunderten Duschanbe. Das Wort ist persisch-tadschikisch und bedeutet „Montag“ („zwei“ nach Sabbat“). Montags kamen seit alters die Hirten von ihren Almen herab, um an einem Talbogen untereinander und mit weither zugereisten Kaufleuten Tauschhandel zu pflegen. Aus der Gewohnheit entwickelten sich feste Einrichtungen, Handwerker siedelten sich an; eine Stadt entstand, eine politische Gewalt baute sich auf, die den Markt ordnete und die gemeinsamen Interessen aller gegen die Willkür einzelner starker Persönlichkeiten durchsetzte. Als Zentrum der gesicherten wirtschaftlichen Tätigkeit, der Ordnung und der Macht wurde dieses Gemeinwesen schließlich die Hauptstadt eines zunächst noch „wilden“ Landes.

Wir bräuchten nicht in die Ferne zu schweifen, um tausend weitere Beispiele für Märkte als Basen von Stadtgründungen zu finden. Die Namen zahlloser europäischer Mittel- und Kleinstädte sind ein beredtes Zeugnis. Aber es regt zu besonderem Nachdenken an, solche Modelle und Beispiele aus dem Herrschaftsbereich einer Ideologie zu beziehen, die die Bedeutung des Produktionsfaktors Arbeit überbetont und das Phänomen des Marktes, des gewaltlosen wirtschaftlichen Interessenausgleichs, noch nie richtig in den Griff bekommen hat.

Was können wir aus diesem und anderen wirtschaftsgeschichtlichen Beispielen, aus der kritischen Beobachtung gewachsener Strukturen, lernen? Wir wollen uns nicht damit abgeben, die derzeitigen, mangelhaft geordneten Verhältnisse zu beschreiben und zu kritisieren. Stattdessen gehen wir von gesicherten, allgemein annehmbaren Wertvorstellungen, von einer gemeinschaftsbezogenen Sinngebung für unser Leben aus, stellen einige Thesen auf und leiten sodann Grundsätze für die vernünftige Anwendung dieser Thesen ab.

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1. Ein Markt entsteht überall, wo zwei oder mehrere Menschen gewaltlos in wirtschaftliche Beziehungen zueinander treten.

Robinson, der isoliert wirtschaftende Mensch, deckte unmittelbar den Bedarf, den er selber hatte. Soweit ihm die Natur die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht bot, mußte er arbeiten, um sie sich zu beschaffen. Als der Indianer Freitag zu ihm stieß, mußten die beiden, wenn sie sich nicht sofort wieder trennen wollten, ein Netz von Beziehungen zueinander aufbauen, das entweder auf der Herrschaft des einen und der Unterwerfung des anderen beruhte oder aber auf dem marktmäßigen Ausgleich dessen, was sie beide sich als sinnvolle Grundlage des Zusammenlebens vorstellten. Dies geschah durch Beratung über die anstehenden Aufgaben, durch wechselseitige Vermittlung von Know-how, durch individuelle und gemeinschaftliche Arbeit, durch die Verteilung der Produkte oder die gemeinschaftliche Entscheidung über deren Verwendung. Für Notfälle, Krankheiten und dergleichen waren vernünftige Vorkehrungen zu treffen.

Mancher Ökonom wird sich weigern, hier bereits vor Phänomen des Marktes zu sprechen. In einer geschlossenen Zwei-Personen-Wirtschaft ist das Wesen des Marktes noch unausgeformt, von ganzheitlichen Interessen überlagert. Robinson würde Freitag auch ohne viel Gegenleistung bei sich aufnehmen und mitversorgen, um überhaupt ein menschliches Wesen um sich zu haben. Aber schon hier wird das Grundphänomen des Marktes — und der Wirtschaft schlechthin — deutlich: das allgemein-menschliche Bedürfnis nach wechselseitigem Geben und Nehmen, das ebenso „ursprünglich“ und „real“ ist wie das Bedürfnis nach umfassender subjektiver Nutzensmaximierung. Schon hier zeigt sich, wie grundverkehrt ein Wirtschaftsdenken ist, das ausschließlich oder vorwiegend von der kurzsichtigen, egoistischen Gewinnmaximierung als Antrieb für das Verhalten der Wirtschaftssubjekte ausgeht. Kein Künstler, kein Beamter, keine Hausfrau könnte auf solchen Denkgrundlagen produktive Leistungen aufbauen, und doch versucht man, ganze Systeme wissenschaftlicher Lehrmeinungen einseitig darauf einzustellen. Das ist geistige Monokultur, die ebenso sicher zu realpolitischer Verarmung, zu geistiger Erosion und zu intellektueller Verkarstung führen muß, wie der Raubbau an Wäldern oder eine einseitige landwirtschaftliche Nutzung ganze Kulturlandschaften verwüstet haben.

Halten wir fest, daß der Markt die umfassende Grundlage für die Gestaltung wirtschaftlicher Beziehungen zwischen freien, insbesondere nicht verwandtschaftlich aneinander gebundenen oder sich sonstwie außerökonomisch verpflichteten Subjekten ist. Alternativ kommen nur die Isolation oder die Gewaltanwendung in Frage. Beide Alternativen sind tendenziell kulturhemmend, soweit man von dem vorübergehenden „In-die-Wüste-Gehen“ bedeutender Persönlichkeiten und der geistig-gesellschaftlichen Gewaltanwendung durch gemeinsame Unterwerfung (arabisch „Islám“} unter eine über allen stehende geistige Macht absieht. Höhere, kulturell angereicherte zwischenmenschliche Beziehungen lassen sich nur auf der geistigen Grundlage der Freundschaft und Menschenliebe oder auf der ökonomischen Grundlage des Marktes vorstellen.

[Seite 1019]

2. Der Markt ist die optimale Konstellation für das Studium und die Einübung des eigentlich Menschlichen im Bereich der Wirtschaft.

Wenn wir von der Konsumption, dem ins Außerökonomische führenden privaten Verbrauch, absehen, besteht wirtschaftliche Tätigkeit in der Herstellung oder Bereitstellung (Produktion) und der Verteilung (Distribution) von Gütern und Dienstleistungen. Bei der Produktion ergeben sich gewisse Beziehungen von Mensch zu Mensch; sie können sehr wohl vertieft und verfeinert werden, sind jedoch ihrem Wesen nach immer sachlicher Natur, auf eine klar umrissene produktive Leistung ausgerichtet. Sie sind außerdem fast durchweg von langfristiger Dauer: Vertragsverhältnisse zwischen produktiven Faktoren, z.B. Arbeitsverträge, lassen sich in der Regel nicht von Fall zu Fall für jedes zu erstellende Werk einzeln abschließen.

Anders die Distribution: Sie vollzieht sich in der entwickelten Wirtschaft vorwiegend durch lockere Marktkontakte zwischen Produzenten, Händlern und Konsumenten; der Eigenverbrauch der Produzenten hat mit fortschreitender Arbeitsteilung immer geringere Bedeutung.

Auf einem Markt bietet der Produzent meist vorgefertigte Güter an. Die in der vorindustriellen Wirtschaft vorherrschende Produktion auf Bestellung geht im Bereich der Güterverteilung tendenziell zurück. Andererseits weitet sich der Bereich der Dienstleistungen immer mehr aus; die gesamte Wirtschaftsgeschichte kann als ein Fortschreiten von der Urproduktion über die Industrieproduktion zur Dienstleistungsproduktion verstanden werden.

Das Vorherrschen der Dienstleistungswirtschaft, das sich seit wenigen Jahren in den höchstentwickelten Volkswirtschaften anbahnt, bringt spezifische neue Strukturen und Gesetzmäßigkeiten mit sich. Der Faktor Dienstleistung greift immer weiter in den Produktionsbereich zurück: Je höher entwickelt die Gesamtwirtschaft und die einzelnen Industrieprodukte werden, desto wichtiger wird, ergänzend zur „Hardware“ der Ausrüstung, die Mitlieferung von „Software“, von Know-how um die Anwendung der Produkte, d.h. der Verkauf von Problemlösungen anstelle von Waren. Das bedingt umfassenden Service, Schulung, Ausbildung, Erziehung und damit neue menschliche Beziehungen. Vor allem setzt es eine neue, umfassende Art von Vertrauen in den Vertragspartner, seinen guten Willen, seine Aufrichtigkeit, Vertragstreue usw. voraus.

Die Dienstleistungswirtschaft der Zukunft wird sich ein eigenes, neues Verhältnis zum Phänomen des Marktes erarbeiten müssen. In dem Maße, wie in einzelnen Bereichen Groß- und Größtunternehmen rationell werden, wird für deren Beurteilung vor allem ihr Verhalten gegenüber den wenigen kleinen Außenseitern wesentlich sein. Ein Verdrängungswettbewerb, wie er in den zwanziger Jahren an der Tagesordnung war oder wie er 1968/69 noch in Mitteleuropa bei Betonstahl passieren konnte, wird zunehmend unmöglich werden, weil der Prestigeverlust immer schwerer ins Gewicht fällt und durch Machtgewinne nicht mehr aufgezogen wird. Gewiß [Seite 1020] werden auch in der näheren Zukunft Rückfälle in barbarische Machtkämpfe nicht ausbleiben; aber große Unternehmen werden es sich nicht leisten können, ihren Ruf als Interessenwahrer des Wirtschaftsganzen durch marktwidriges Verhalten aufs Spiel zu setzen.

Das eigentlich Menschliche im Bereich der Wirtschaft bekommen wir am besten dadurch in den Griff, daß wir das Wort „Dienstleistung“ in seine Teile zerlegen. Beide Faktoren, der „Dienst“ und die „Leistung“, sind Ausdrücke für menschliches Streben nach schöpferischer Vollendung, wobei der Anspruch auf Gegenleistung, in Währungseinheiten ausgedrückt, zunächst vornehm im Hintergrund gehalten wird. Das gesamte System tendiert zu den Formen des Qualitätswettbewerbs, die in Spitzenbereichen der Dienstleistungswirtschaft, etwa bei Ärzten, Anwälten oder Beratern der vielfältigsten Art, schon heute üblich sind. Gerade die in diesen Bereichen vorhandenen Ungleichgewichte — ein latenter Mangel an wirklich fähigen Anbietern, ungenügende Markttransparenz, überhöhte Preise — werden sich auf die Dauer nicht anders als durch die umfassende, allgemein-menschliche, waren- und leistungskundliche Erziehung der Marktteilnehmer zu freien, selbständigen Wesen überwinden lassen.


3. Der Markt ist der idealtypische Ort des gerechten Preises.

Damit, daß Karl Marx objektive Werte von Wirtschaftsgütern aus der Menge der für ihre Produktion aufgewandten Arbeit, der „durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit“, definieren wollte, hat er einen der verhängnisvollsten Irrtümer der Wirtschaftsgeschichte eingeleitet. Möglich war dieser Irrtum für einen Philosophen, der sich im Grunde nie mit praktischen Problemen der Unternehmensführung auseinandersetzen mußte, in einer Zeit, in der das Angebot an Industrieprodukten und Dienstleistungen noch recht spärlich war. Man braucht nicht in das andere Extrem der ironischen Beweisführung von C. N. Parkinson zu verfallen, um festzustellen, daß Arbeit als Leistung pro Zeiteinheit ein äußerst dehnbarer, qualitativ weit differierender Begriff ist. Natürlich ist die je Produkteinheit aufgewendete Arbeit ein wesentlicher Faktor in der Kalkulation eines Anbieters; der Nachfrager wird solche Kalkulationen aber allenfalls wohlwollend zur Kenntnis nehmen, wenn das Angebot breit genug ist und er selbst die Freiheit der Wahl besitzt,

Wo diese freie Wahl des Nachfragers bedroht ist, besteht die öffentliche Aufgabe nicht primär darin, auch die Angebotsseite durch Enteignung oder Reglementierung in ihrer Entscheidungsfreiheit zu beschränken, sondern darin, den Markt so zu ordnen, daß eine optimale Versorgung zu vernünftigen Preisen erreicht und gesichert wird.

Wenn ein Markt leidlich geordnet erscheint, führt er deshalb die „gerechtesten“ Preise herbei, weil er Daten setzt, denen sich jeder gutwillige Interessent unterwerfen muß. Politische Preise können — wie jede politische Entscheidung — kritisiert, mit guten oder schlechten Argumenten [Seite 1021] abgelehnt, umgangen werden, Marktpreise dagegen nicht. Wer als Marktteilnehmer von einem Vertragspartner Leistungen erwartet, die nicht marktkonform sind, stellt sich selbst ein schlechtes Zeugnis aus, weil er sich auf das Niveau des Bittstellers, des vielversprechenden Angebers oder des hart an der Grenze des Erlaubten und Üblichen operierenden Schlitzohrs begibt.


4. Der Markt ist ein kulturelles, kein natürliches Phänomen. In dem Maße, wie Individuen oder Gruppen auf wichtigen Märkten Macht gewinnen können, ist es notwendig, diese Märkte hoheitlich zu öffnen und zu ordnen.

Märkte für etwas Naturgegebenes zu halten, war der Grundirrtum des frühen Liberalismus. Ein Markt muß veranstaltet werden: Die grundlegende Entscheidung, sich weder voneinander abzusondern noch sich zu bekriegen, sondern friedlich zu koexistieren und in wirtschaftlichen Austausch miteinander einzutreten — diese Grundentscheidung geht jedem Markt voraus und bringt zwangsläufig gewisse ordnungspolitische Vorstellungen, insbesondere ein Mindestmaß an Gerechtigkeitssinn mit sich. Tiere haben keine Wertvorstellungen und kennen keine Märkte; Märkte sind früheste, grundlegende Äußerungen menschlicher Kultur, wie denn alles den Begriff der „Natur“ übersteigt, was der Mensch über seine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinaus veranstaltet.

Jede Kulturleistung ist ihrem Wesen nach öffentlich, soweit sie produktiv ist, und produktiv, soweit sie öffentlich ist. Eremitische Geistesgröße mit religiöser Motivation und exklusiver Kulturkonsum privilegierter Kasten gehören heute gleichermaßen zu den Dekadenzerscheinungen untergehender Gesellschaftssysteme. Märkte müssen mindestens insoweit offen, das heißt für jedermann als Teilnehmer zugänglich sein, als ein allgemeines Interesse an den auf ihnen gehandelten Produkten herrscht und keine schwerwiegenden fachlichen oder organisatorischen Hemmnisse, denen alle gleichermaßen unterworfen sind, entgegenstehen.

Wie jede andere menschliche Struktur rechtfertigt sich Marktmacht ausschließlich durch besondere Leistung. Soweit diese behauptet und bewiesen wird, hat es ein mächtiger Marktteilnehmer nicht nötig, Wettbewerber mit anderen als marktkonformen Mitteln, durch Qualitäts- und Preiswettbewerb, zu verdrängen. Selbst Angebotsmonopole sind unbedenklich, wenn der Markt tendenziell offen ist, d.h. wenn die höhere Leistung des Monopolisten jederzeit beweisbar bleibt und die Konkurrenz von Außenseitern nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird. Ein Wettbewerbsrecht, das Machtstrukturen in den Märkten zu zerschlagen sucht, anstatt alle Marktteilnehmer, insbesondere die am leichtesten kontrollierbaren mächtigen Anbieter, auf bestimmte marktkonforme Normen des Wohlverhaltens festzulegen, gleicht einem Strafrecht, das Verbrecher, also Menschen, anstelle von Verbrechen, also Formen des Fehlverhaltens, bekämpft. Unser gesamtes gesellschaftliches Bewußtsein muß vom sozialpathologischen zum sozialhygienischen Denken hin weiterentwickelt werden.

[Seite 1022] Die meisten Wettbewerbsprobleme entfallen von selbst, wenn genügend große Märkte geschaffen werden, wie denn viele Machtballungen nur durch Wettbewerbsbeschränkungen aufgrund von nationalistischem Fehlverhalten, vor allem durch Zölle und Einfuhrkontingente, entstanden sind. Für die Beurteilung von Marktmächten ist es wichtig, jederzeit kritisch zu prüfen, wie und mit welchen Argumenten sie sich derartigen Wettbewerbsbeschränkungen gegenüber einstellen.


5. Gesellschafts- und staatspolitische Vernunft offenbart sich in dem Stile, in dem die organischen Strukturen des Marktes gefördert, gekräftigt und entwickelt werden.

Es gab Zeiten, in denen der Staat nur als Wächter über das Wirtschaftsleben zu fungieren brauchte. Bevor nicht die grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüche auf weltweiter Ebene, im Gesamtrahmen der Menschheit, erkannt und überwunden sind, werden solche Zeiten mit Sicherheit nicht wiederkehren.

Im Grunde ist alle Politik eine Frage der Rangordnung für allgemein anzustrebende Ziele und der Mittel, die für die Verwirklichung dieser Ziele als möglich und angemessen erachtet werden. Interessenkonflikte, Streit, Kampf und Krieg werden so lange fortbestehen, bis die Zielsetzungen hinreichend harmonisiert sind und über die Mittel und deren Anwendung genügend Klarheit und Einigkeit herrschen. Fest steht, daß in der persönlichen wie der gesellschaftlichen Entwicklung zuallererst der Widerspruch zwischen der unaufhörlichen Legitimation überzüchteter Eigen- und Gruppeninteressen und der lautstarken Verkündigung übergreifender ethischer Normen überwunden, mindestens aber auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden muß, ehe sich gangbare Lösungen politischer Probleme anbahnen lassen. Mit unserem „Sozialökonomischen Imperativ“ („BAHA’IBRIEFE“ 33, S. 839 ff.) haben wir versucht, einen von mehreren denkbaren Ansätzen hierfür aufzuzeigen. Ohne eine Art Mutationssprung in den grundlegenden Bewußtseinsstrukturen werden wir kein geordnetes Verhältnis zum Wirtschaftsleben finden.

Wenn erst einmal die schlimmsten egoistischen Verkrampfungen beseitigt sind, werden die mit staatlicher Macht Betrauten eine unendliche Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten in den Märkten und um die Märkte herum entdecken. Von dieser Fülle der Möglichkeiten können wir uns heute so wenig eine Vorstellung machen, wie sich ein Jungverheirateter die Fülle der Beziehungen ausdenken kann, die er im Laufe eines langen Ehelebens zu seiner Partnerin entwickeln wird — sofern sie sich beide Mühe geben. Die Möglichkeiten schöpferischer Marktgestaltung reichen von der Monopolisierung bis zum völligen Laissez-faire: Denken wir nur daran, wie unrationell im Grunde der geldgeschäftliche Gegenzug zu jedem Kaufvertrag ist, der darin besteht, daß eine Zahlung entgegengenommen, quittiert und verbucht, Wechselgeld herausgegeben, Kasse geführt und abgerechnet werden muß. Heute diskutiert man bereits über sogenannte [Seite 1023] Nulltarife bei öffentlichen Nahverkehrsmitteln; früher oder später wird man wohl die alte fabianische Idee aufgreifen, Grundnahrungsmittel und andere Konsumgüter und Dienstleistungen in haushaltsüblichen Mengen ebenso zum unentgeltlichen Bezug freizugeben und die Erzeuger aus Staatsmitteln zu bezahlen, wie es heute etwa bei den Erziehungseinrichtungen üblich ist — nicht zuletzt deshalb, weil die Verteilung auf diese Weise rationeller und gerechter vor sich geht.

Ungeahnte Möglichkeiten ergeben sich vor allem aus der erzieherischen, warenkundlichen Einflußnahme im Sinne einer öffentlich geförderten, immer umfassenderen Transparenz der Märkte. Die Werbung wird, wenn sie erst einmal den Hang zum unterschwelligen Tiefschlag auf das Triebleben überwunden hat, zunehmend Anregungen zu immer neuen, schöpferischen Anwendungen vermitteln, kann man doch durch Informationsmedia die Menschen ebenso gut empor- wie heruntermanipulieren, wenn man sich dabei auch ein bißchen mehr einfallen lassen muß. Ein erstes Beispiel ist für aufmerksame Beobachter die gegenwärtige Welle von Anzeigen mit entwicklungspolitischen Motiven, die die Großindustrie lanciert.

Ein wichtiger öffentlicher Tätigkeitsbereich muß die „Globalsteuerung“, die allgemeine Wirtschafts- und Währungspolitik über die Märkte, werden. Sie setzt allerdings mehr als bei herkömmlichen Denkmodellen voraus, daß die Treuhänder des allgemeinen Wohls frei von Interessenstandpunkten denken und Respekt vor den Strukturen der Märkte entwickeln. Eine weitere Voraussetzung ist die weltweite Koordination der Zielsetzungen und Maßnahmen und die loyale Einhaltung gemeinsam getroffener Entscheidungen. Ziel solcher Wirtschaftspolitik muß die allgemeine Wohlstandsförderung ohne Rücksicht auf Landesgrenzen, die Hebung und Sicherung der Einkommen vor allem der ärmeren Schichten in den Entwicklungsländern, die Stabilisierung wichtiger Grundstoffpreise und die Sicherung des Geldwertes sein. Bisherige unvollkommene Mittel dafür waren unter anderem internationale Rohstoffabkommen, nationale Vorratslager, die Offen-Markt-Politik, nach der Notenbanken gewisse festverzinsliche Wertpapiere an- und verkauften, um die Geldmenge zu beeinflussen, und die Wechselkurspolitik, die die Notenbanken verpflichtete, ursprünglich Gold, später auch andere Währungen — mindestens den US-Dollar als Leitwährung — zu bestimmten Höchst- und Mindestkursen abzugeben oder aus dem Markt zu nehmen. Es wäre eine Krönung marktwirtschaftlichen Denkens, wenn man zu einem weltweiten Verbund von Maßnahmen käme, in deren Rahmen der Internationale Währungsfonds oder die wichtigsten Notenbanken börsengängige, nicht leicht verderbliche, wirtschaftlich wichtige Rohstoffe oder Lagerscheine darüber unter genau festzulegenden Bedingungen zu bestimmten Preisen an- und verkaufen müßten. Die Interventionspreise müßten relativ weit auseinanderliegen und den Marktgegebenheiten entsprechend um einen gewissen Prozentsatz pro Jahr verändert werden können. Heute klingen solche Vorstellungen utopisch; sie ergeben sich aber mit zwingender Folgerichtigkeit aus der Zielsetzung einer möglichst ökonomischen und gerechten Ordnung für die möglichst freie schöpferische Entfaltung aller Menschen.

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6. Der gerechte Ausgleich zwischen starken und schwachen Marktteilnehmern vollzieht s!ch außerhalb des Marktes, vorzugsweise durch solidarische und erzieherische Übertragung produktiver Faktoren, nur in unterentwickelten Gesellschaften oder in Notfällen durch die Übertragung konsumfertiger Güter und Leistungen. Solche Übertragungen sind die einzigen zulässigen Ausnahmen vom allgemeingültigen Grundsatz marktkonformen Verhaltens; auch sie müssen so marktkonform wie möglich gestaltet sein, damit entwicklungshemmende Wirkungen ausgeschlossen werden.

Die primitivste Form des Transfers, der Übertragung wirtschaftlicher Werte ohne Gegenleistung, vollzieht sich in der Weise, daß ein Bettler die Hand aufhält und ein Spender etwas hineinlegt. Das Almosengeben als Grundform der Solidarität ist in allen alten Religionen und Gesellschaftsphilosophien institutionell verankert und religiös aufgeladen worden; Bahá’u’lláh hat das Betteln als erster Religionsstifter verboten, weil es den sozialen Gegebenheiten einer weltweiten Wohlstandsgesellschaft und dem modernen Verständnis der Menschenwürde zuwiderläuft. Tatsächlich können wir in der Weltpolitik immer wieder feststellen, wie institutionalisierte Wohltätigkeitsveranstaltungen ohne ausreichende ordnungspolitische Konzeption ein Faß ohne Boden zu füllen suchen und dazu führen, daß die Übeltäter in der Welt nur noch frecher werden, weil ja immer barmherzige Seelen da sind, die die schlimmsten Folgen reparieren.

Auch den Ausgleich zwischen Arm und Reich müssen wir weltweit und gesamthistorisch sehen. Es gab und gibt Gesellschaften, in denen die Wohlstandsverteilung von der Verfügungsmacht über Produktionsmittel bestimmt war und ist: Die Armen haben dort nichts als ihre ungeschulte Arbeitskraft anzubieten, und Almosen sind ein unumgänglicher Ausgleich. In dynamischen Gesellschaften und Zeiten verlagert sich der Schwerpunkt produktiver Leistung — und damit des Einkommens — von den Faktoren (Grund und Boden, Staatsmacht, Kapital, in geringerem Maße „Arbeit“) hinweg zu demjenigen, der Innovationen, immer neue optimale Kombinationen dieser produktiven Faktoren, herstellt: dem Unternehmer. Daß unternehmerische Persönlichkeiten besonders hoch bezahlt werden, ist zu einem gewissen Grad durch die Unvollkommenheit der bisherigen Herrschaftssysteme, vor allem durch ihre mangelnde Transparenz, bestimmt; in erster Linie aber beruht es ganz einfach und marktkonform darauf, daß es so wenige Unternehmer gibt. Kapital, Arbeitskräfte und Rohstoffe sind fast überall auf der Welt in ausreichendem Maße vorhanden; das Dilemma der Entwicklungspolitik liegt in den unzureichenden oder schadhaften Ordnungsstrukturen auf nationalstaatlicher und weltweiter Ebene, vor allem aber im Mangel an unternehmerischem Denken. Schlimm ist, daß das eine das andere mitverursacht — ein Teufelskreis von umfassender Tragik.

Unter einem anderen Gesichtspunkt stellen wir fest, daß es viele stille — und laute — Wohltäter mit unzureichendem unternehmerischem Blick für produktive Kombinationen gibt, aber kaum irgendwelche Unternehmer, die nicht nur bereit sind, gelegentlich von ihrer grundlegend [Seite 1025] egoistischen Einstellung abzurücken und in mehr oder weniger verschämter Wohltätigkeit einen Teil ihres Einkommens für gute Zwecke einzusetzen, sondern die sich auch selbst die Zeit und die Kraft nehmen, hinauszugehen und den Menschen in denjenigen Gebieten, die es am nötigsten haben, das Allernötigste zu vermitteln: technische Kenntnisse und unternehmerisches Engagement. Ein abendländischer Durchschnittsmanager, der sich einen Swimmingpool, einen Bauernhof, einen Reitstall, eine Jagd- oder Skihütte, eine Jacht und/oder einen Bungalow an südlichen Küsten leisten können zu müssen glaubt, sollte eigentlich inzwischen so weit gekommen sein, daß er sich auch ein kleines eigenes Entwicklungsprojekt zulegt — zu keinem anderen Zweck als dem seiner persönlichen schöpferischen Selbstverwirklichung. Und wenn er es richtig macht, wird er feststellen, daß er selbst dabei am meisten profitiert.

Wesentlich ist, daß man der Not der Welt unternehmerisch entgegentreten muß und daß jeder dies tun muß, wie denn überhaupt die unternehmerische Lebensgestaltung, die optimale Kombination der rationell erreichbaren produktiven Faktoren, die Lösung aller Existenzprobleme mit sich bringt. Es lohnt sich, den wichtigsten — und durchaus durchschaubaren — Markt, den Weltmarkt der Ideologien, daraufhin zu prüfen, welche Denksysteme die stärkste Dynamik für diese unternehmerische Lebensgestaltung vermitteln.


7. Wer die Unmöglichkeit von Gewaltlösungen erkannt hat, kann nicht umhin, in Marktkategorien zu denken. Der Markt ist ein optimaler Übungsplatz für die produktive Selbstverwirklichung frei sich entwickelnder Menschen. Das Wesen des Marktes liegt im flexiblen, jederzeit auswechselbaren Zusammenwirken selbständiger produktiver Faktoren zu optimalen Kombinationen. Der vernünftig geordnete Markt ist deshalb eine hohe Ausdrucksform der göttlichen Weltordnung.

Wir haben versucht, organische, gesund gewachsene Strukturen des Wirtschaftslebens zu umreißen und Zielvorstellungen darauf aufzubauen — ein Verfahren, das von den modernen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sträflich vernachlässigt wird, weil diese trotz aller Psychologisierungstendenzen immer noch im Banne mathematisch-mechanistischer Betrachtungsweisen und primitiver materieller Zielsetzungen stehen. Nun kommt es darauf an, diese Strukturen subjektivistisch zu vertiefen und mit Motivationen aufzuladen, die zu einem praktischen, produktiven, persönlichen Engagement führen.

Der Mensch ist seiner Natur nach übernatürlich. Er ist ein kulturschaffendes Wesen. Wir finden keinen Geschmack daran, uns durch das Kauen von Samen wildgewachsener Gräser zu ernähren; vielmehr kultivieren wir diese Gräser zu Getreide, bauen es rationell an, dreschen das Korn aus, mahlen es zu Mehl, backen damit Brot, schneiden es auf und genießen es in Kombination mit anderen, anders hergestellten Kunstprodukten wie Butter, Marmelade, Wurst oder Käse. Wir tun dies zunächst aus dem unreflektierten Grund, „weil es uns so besser schmeckt“. In dem Maße, wie [Seite 1026] wir dieser primitiven Begründung überdrüssig werden und uns ähnliche Begründungen für andere, ähnliche Bedürfnisbefriedigungen nicht mehr als Sinn unserer Existenz genügen, werden wir zwangsläufig dazu hingeführt, uns tiefer mit dem Wesen unserer Bewußtseinsstrukturen, unserer Verhaltensweisen und mit dem Wesen der Kultur zu befassen. Je mehr es uns dabei gelingt, ganzheitliche Vorstellungen zu entwickeln, desto klarer werden wir erkennen, wie sehr die Begriffe „Leben“, „Entwicklung“, „Fortschritt“ und „Kultur“ identisch sind und zu einer umfassenden Harmonisierung aller Existenz im Sinne eines dynamischen, produktiven Gleichgewichts drängen.

Vom Subjekt her betrachtet, ist Kultur die Herstellung und Vertiefung schöpferischer Beziehungen zu den in ihrem Wesenskern immer unbekannten Möglichkeiten der Dinge, Lebewesen und Strukturen um uns her. Wir bedienen uns dazu aller Werkzeuge des Erkennens und des Handelns, mit denen wir ausgestattet sind oder uns selbst ausrüsten können, nach Maßgabe unserer unternehmerischen Vernunft und unseres persönlichen Engagements.

Das Wesen der Dinge, Lebewesen und Strukturen ist von unserer subjektiven Befindlichkeit unabhängig; es ist objektiv gegeben, insoweit es vom menschlichen Geist fortschreitend in faßbarer Form objektiviert und dargestellt werden kann. Das Wesentliche an und für sich wird von Zeitalter zu Zeitalter von überragenden prophetischen Persönlichkeiten umfassend in solcher Weise geoffenbart, daß die Geheimnisse des Alls und deren Konsequenzen für alle Bereiche der menschlichen Existenz enthüllt werden und jeder Mensch, der Intelligenteste wie der Einfachste, Anregungen zu einer übergreifenden Sinngebung und schöpferischen Lebensgestaltung beziehen kann.

Unser Verhältnis zu den so gegebenen objektiven Sachverhalten wird von unserem subjektiven Bewußtsein bestimmt, für das es im großen und ganzen vier Ebenen gibt:

Auf der Stufe des Zwangs, der Indifferenz und der Fremdbestimmtheit werden Gesetzmäßigkeiten nur insoweit beachtet, als sie in positivem Recht ausgeprägt und durch physische Gewalten (Natur, Erziehungsberechtigte, Polizei, Militär) durchgesetzt werden. Auf Märkten wird es noch lange Zeit Menschen und Gruppen geben, die hart am Rande oder jenseits des Gesetzmäßigen und Verkehrssittlichen operieren und sich darin durch „den Konkurrenzkampf“ oder „die Verhältnisse“ bestätigt fühlen, weil sie sich keine Vorstellungen über höhere Wettbewerbsformen und umfassender strukturierte Verhältnisse machen können oder machen wollen. Solcher Typen wird man alles in allem nur dann Herr werden können, wenn man ihnen höhere Möglichkeiten des Erfolgs fortgesetzt und geduldig vorführt, im übrigen aber ein Minimum an Ordnung unnachgiebig durchsetzt.

Auf der Stufe des Opfers wird der äußere Zwang durch einen inneren Zwang ersetzt. Die Gesetze — z.B. des Marktes oder des wirtschaftlichen Lebens im allgemeinen — werden als schlecht und unangenehm, [Seite 1027] aber als notwendige Übel empfunden. Man ist bereit, sie auch ohne tieferes Verständnis einzuhalten, obwohl sich daraus mitunter Nachteile ergeben. Dieser Zustand wird als unbefriedigend empfunden; man sucht nach neuen, übergreifenden Bewußtseinsinhalten.

Auf der Stufe der Begeisterung sind gewisse eigene Fähigkeiten, mitmenschliche Beziehungen oder objektive Strukturen zum Erlebnis geworden; sie enthüllen Möglichkeiten schöpferischer Entfaltung, die zunächst unbegrenzt scheinen und immer neue Wogen psychischer Energie kumultativ zum Durchbruch führen. Am sinnvollsten wird die Begeisterungsenergie verwandt, wenn sie zur umfassenden Anpassung an eine produktive Gesamtkonstellation, d.h. zur Läuterung von allem Unwesentlichen, dient.

Auf der Stufe der Sicherheit ist der Anpassungsprozeß in genügend starkem Maße vollzogen. Der schöpferische Umgang mit den sachlichen und persönlichen Gegebenheiten ist zur täglichen Routine und zum Element des Lebensinhalts geworden.


Das Ziel: produktive Leistungen

Schwierig ist die Entwicklung, wenn neue exogene Faktoren auftreten, wenn die Anpassung an die Verhältnisse auf einem zu niedrigen Niveau vollzogen wurde oder wenn die endogene schöpferische Energie verbraucht ist. Soweit keine neuen geistigen Impulse hinzukommen, werden dann dieselben Strukturen, die zuvor Anlaß zu schöpferischer Entfaltung waren, im Zuge eines Rückfalls als äußerer Zwang oder als Arena des subjektiven Opfers empfunden.

Insgesamt wird ein nach Selbstverwirklichung strebender Mensch zwangsläufig dazu kommen, zu den Mitmenschen, Dingen und Strukturen um ihn her und zu dem Unbekannten in der Welt als Ganzem schöpferische Beziehungen aufzubauen. Der Markt der Waren und Dienstleistungen ist nur eine von vielen, wenngleich eine der wesentlichsten Ebenen für solche Beziehungen. Die Bereiche der Politik als der praktischen Ausprägung des Gesamtwillens, des Familienlebens, der Freizeitgestaltung, des Sports und der Hobbies, der vorkommerziellen Kunst und Kultur, der religiösen Gemeinschaften sind weitere wichtige derartige Ebenen. Jeder muß in diesen Bereichen die ihm gemäße Konstellation herausfinden und verwirklichen. Dabei gilt es vor allem, sich in fortgesetzter Fehlerkorrektur bewußt zu werden, daß letztlich nur produktive Leistungen, die zu möglichst objektivierbarem Nutzen für die Befriedigung möglichst allgemein-menschlicher Bedürfnisse führen, auf die Dauer Genüge schenken.

Wie bereits angedeutet, sind auch die Ideologien, die dem menschlichen Bewußtsein möglichen Weltdeutungen und Sinngebungen, durch die lawinenartige Entwicklung der Informationsmedia zu einem großen, transparenten, weltweiten Markt geworden. Sie werden sich in ihrem Konkurrenzkampf zunehmend eines gewaltlosen, marktkonformen Verhaltens befleißigen müssen, weil sie anders in den Augen einer immer wohlhabenderen, [Seite 1028] immer umfassender informierten und vor allem immer zweckorientierter, kritischer denkenden Weltöffentlichkeit an Kurswert verlieren. Wie prestigeschädigend sich Gewaltlösungen auswirken, zeigten die großen politischen Ereignisse der letzten Jahre mit aller Deutlichkeit. Sicherlich fehlt es den Volksmassen noch an dem nötigen kritischen Bewußtsein, vor allem aber an den klaren, eindeutigen Wertmaßstäben, die ja gerade aus einer brauchbaren Weltanschauung abzuleiten wären. Aber ohne billigen Optimismus verbreiten zu wollen, können wir uns anhand der vorliegenden soziologischen Daten errechnen, daß dieses kritische Denken mit Sicherheit heranwachsen wird: sei es durch Krisen und Katastrophen, d.h. durch stürmische Entladungen der der Weltgesellschaft immanenten Spannungen und Ungleichgewichte, oder aber — was wir eher hoffen wollen — durch das natürlichste, was bei einer saturierten Lebensführung passieren kann: durch Langeweile.

Die Industrieländer sind dabei, sich zu Überflußgesellschaften zu entfalten. Sie werden in wachsendem Maße Überdrußgesellschaften werden, wenn es nicht gelingt, den Umgang mit dem Wohlstand zu neuen, produktiven Bewußtseinsinhalten zu verarbeiten.

So rollt mit Vehemenz eine Nachfragewelle auf den noch immer von halbvermoderten Tabus umzäunten Weltmarkt der Ideologien zu. Alle, die sich für Meinungsführer halten, tun gut daran, sich umfassend vorzubereiten. Dabei wäre es Selbstbetrug, ein System von Denkmodellen, Zielvorstellungen und gesellschaftlichen Institutionen außer Acht zu lassen, von dem Sachkenner guten Gewissens behaupten können, daß es jedes konkurrierende System in den Schatten stellt: die Offenbarungslehren Bahá’u’lláhs und die Bahá’í-Gemeinschaft als ihr weltweites Übungsfeld.


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Wer sich an die Gerechtigkeit hält, kann nie die Grenzen der Mäßigung überschreiten. Er erkennt durch die Führung des Allsehenden die Wahrheit in allen Dingen. Diese Zivilisation, die so oft von den gelehrten Vertretern der Kunst und Wissenschaft gepriesen wurde, wird, wenn ihr gestattet wird, die Grenzen der Mäßigung zu überschreiten, großes Unglück über die Menschheit bringen. So warnt euch der Allwissende. Wenn sie sich in das Extrem steigert, wird sich die Zivilisation als ein so großes Quell des Übels erweisen, wie sie sich zuvor, in den Grenzen der Mäßigung gehalten, als ein solcher des Guten erwies.
Bahá’u’lláh
„Ährenlese“ CLXIII
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[Seite 1029]



Gandhi als Lehrer und Vorbild[Bearbeiten]

von Shri Morarji Desai, ehem. stellv. Ministerpräsident und Finanzminister der Republik Indien *)

Es ist mir eine besondere Ehre, die Einladung zu einer Ansprache anläßlich der Gandhi-Jahrhundertfeier in der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen. Ich möchte dem Komitee der Gandhi-Jahrhundertfeier für diese Ehre herzlich danken. Ich möchte zugleich der Regierung der Bundesrepublik und dem deutschen Volk für die herzliche Aufnahme, die sie mir zuteil werden ließen, aufrichtig danken.

Wie Sie wissen, wird das hundertjährige Gandhi-Jubiläum in der ganzen Welt gefeiert. Während die Welt heute dieses großen Staatsmannes und Mannes Gottes gedenkt, können alle Inder, wo sie auch sind, nicht umhin, einen gewissen Stolz darin zu empfinden, daß es gerade Indien gegönnt wurde, der Welt diesen Mann zu schenken. Ich sage „der Welt“, denn Gandhiji gehörte der ganzen Welt und nicht Indien allein. Seine Dienste und die Botschaft und Bedeutung seines Lebens übersteigen alle geographischen und geschichtlichen Grenzen. Ihr Wert und ihre Geltung sind für alle Regionen und alle Zeiten gleich. Man wird seiner Botschaft Gehör schenken — überall und wann immer an Menschen der Aufruf ergeht, für die Freiheit und menschliche Würde zu kämpfen, Unterdrückung und Haß zu überwinden und nach Frieden und Glück zu trachten. Sollten einmal auch die militärischen und politischen Führer dieser Generation samt den Interessen, die sie verpflichteten und die ihre Worte und Taten bestimmten, in die graue Vergangenheit der Geschichte entschwunden sein, dürfen wir hoffen, daß der Name Gandhijis noch leuchten und seine Botschaft noch die Herzen der Menschen bewegen wird.

Gandhiji hat aus der Vergangenheit eine Weisheit wiedergeholt, die zu vergessen die Menschheit sich nicht mehr leisten kann. Seine Botschaft ist lediglich eine Wiederbelebung und eine neue, wenn auch flüchtige Erfüllung des uralten und allgemeinen Glaubens an menschliches Heldentum und an die göttliche Bestimmung des Menschen, des Glaubens an die Überwindung des Bösen durch das Gute, der Finsternis durch das Licht, des Konflikts durch den Frieden, des Glaubens, daß letztlich der Geist über die Vernunft und die Materie siegen wird. Sicherlich sind diese Gedanken zu Gemeinplätzen geworden, wohl bekannte Phrasen in unnützer Wiederholung. Doch werden sie von niemandem bestritten, und sogar die Kriegstreiber behaupten, sie führten Krieg für den Frieden. Gandhiji wird dadurch hervorgehoben, daß er diese Empfindungen durch sein Leben zum Ausdruck brachte und sie in seinen Taten realisierte. Er lebte im Einklang mit ihnen, und als es soweit war, war er bereit, für sie zu sterben.

[Seite 1030] Es wäre sehr unbescheiden, wenn ich über den Einfluß Gandhis auf mein eigenes Leben spräche, obwohl dieser Einfluß durchdringend und maßgebend gewesen ist, wie bei so vielen anderen Zeitgenossen. Ich sah Gandhiji zum ersten Male als Student 1915 bei einer Tagung des Indischen National-Kongresses in Bombay. Damals arbeitete ich als Freiwilliger. Gandhiji war gerade aus Südafrika zurückgekehrt. Seine Berühmtheit war ihm vorausgeeilt, und er wurde bereits als ein großer Mann geehrt, obwohl er noch nicht als der Mahatma bekannt geworden war. Schon als Bediensteter der britischen Regierung, bevor ich meinen Posten niederlegte und seiner Bewegung in den dreißiger Jahren beitrat, begann ich meine eigene Suche, und ich versuchte, einen Lebenswandel nach seinen Grundsätzen zu führen. Seine Philosophie und Lebensart verhalfen mir dazu, meine eigene zu konkretisieren. Diese Erfahrung wurde von Hunderten anderen gemacht, die den Vorteil hatten, in seiner Umgebung zu leben.

Was man für einen Status auch hatte, was man für Ideen und Empfindungen auch hegte, schon die Begegnung mit dieser einzigartigen Persönlichkeit vermittelte jedem einen unwiderstehlichen Drang zu ihm hin. Seine Worte trafen in die Seele. Sein Ruf war subtil und teilweise unergründlich. Revolutionäre, der Gewalt verschrieben und gerade aus der Haft entlassen, die aber trotzdem nach einer Bekehrung Gandhijis trachteten, wurden nach fünf Minuten in seiner Gegenwart ganz zahm. Was mich am meisten beeindruckt hat, war nicht so sehr sein Idealismus oder die religiöse Gesinnung, die er ausstrahlte, sondern vielmehr seine pragmatische Stellungnahme zu Problemen. Herr Dr. Kiesinger hebt in seiner Würdigung Gandhijis lobend sein Vertrauen in Tatsachen hervor, und unterstreicht den Satz: „Tatsachen sind Wahrheit, und wenn wir an der Wahrheit festhalten, kommt das Recht uns von selbst zu Hilfe.“ Nicht nur das Recht, sondern alle Kräfte der Geschichte kommen uns dann zu Hilfe.


Die Vision des Menschen

Es ist unmöglich, das Phänomen Gandhijis in einer kurzen Abhandlung zu erfassen — alles, was er sagte, all sein Tun, seine Schriften und Lehren, was er versuchte und erreichte, alles, was er seinem Heimatland bedeutet und zugleich der ganzen Welt. Die Perspektiven schwanken und Umstände verändern sich. Ein Licht aber leuchtet unentwegt; es ist allen sichtbar, aus allen Blickwinkeln und Entfernungen. Es ist Gandhijis Vision des Menschen als eines sich entwickelnden Wesens.

Die hundert Jahre seit der Geburt Gandhijis sind äußerst entscheidend für die Weltgeschichte gewesen. Während der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte sich die britische Herrschaft in Indien nach Überwindung der unorganisierten Opposition von verschiedenen Seiten fest etabliert. Die East India Company und die holländischen Gesellschaften hatten mit ihrem Opiumhandel in China die chinesischen Massen unterjocht. Auf dem afrikanischen Kontinent hatten die europäischen Mächte nach langwierigen Streitigkeiten untereinander Kolonien errichtet. Das resultierende Weltbild zeigte eine handvoll, meist europäische Mächte auf der einen [Seite 1031] Seite, Mächte, die sich im Zuge der industriellen Revolution bereichert hatten und dann zu großen Weltreichen ausgeweitet waren. Auf der anderen Seite befanden sich ganze Kontinente mit ihren wimmelnden Menschenmassen, die alle um ihr nationales Überleben kämpften. Die Imperialisten betrachteten ihre neugeschaffenen Kolonien natürlich einfach als Quellen für Rohstoffe und billige Arbeitskräfte sowie als Märkte für ihre Erzeugnisse. Diese Entwicklung führte zur Verarmung und Auszehrung von Millionen von Menschen, wobei die Kluft zwischen arm und reich immer größer wurde. Politische Demokratie war auf einige wenige Länder Europas beschränkt, auf Länder also, die industriell entwickelt waren.

Was Gandhi um sich sah, sowohl in Südafrika als auch in Indien, waren nackte Leiber, hungrige Münder, schreckliche Armut und Krankheit, das Elend ertragsloser Plackerei und die hoffnungslose Verzweiflung riesiger Völker, die allein durch Geburt zu unwiderruflicher Minderwertigkeit verurteilt waren. Er sah aber auch die Gewalt, die die Beziehungen zwischen Mensch und Mensch, zwischen Sozialgruppe und Sozialgruppe, Land und Land, zwischen Regierenden und Regierten verteufelte. Das Böse war sozialer, politischer und wirtschaftlicher Natur. Es war tief in der Vergangenheit verwurzelt, und seine Stärke war umwerfend. Gandhiji aber ließ sich nicht umwerfen. Er bewunderte kulturelle Errungenschaften mehr als die materielle Fortschrittlichkeit des Westens. Als Hindu hatte er ein tiefgründiges Bewußtsein der Einheit allen Lebens und der Identität aller Wesen. Er fand die gemeinsame Quelle aller Übel in moralischer Gleichgültigkeit und in geistiger Blindheit. Dann zog er aus, diesen Übeln mit dem Licht der Wahrheit und mit der Macht der Gewaltlosigkeit zu begegnen und sie zu überwinden, wobei er stets den Unterdrücker und den Unterdrückten an ihre wesentliche Menschlichkeit und ihre gemeinsame Zukunft erinnerte.

Die entscheidendste Aufgabe, die vor Gandhi lag, war die Befreiung Indiens von fremder Herrschaft; denn er glaubte, daß der Mensch in der Versklavung sich nicht entfalten kann. Ein Sklave hat keine Tugenden. Um zur Freiheit zu gelangen, mußte Gandhi um das nationale Überleben und um nationale Erneuerung kämpfen. Und er widmete sich seiner Aufgabe mit tiefem Ernst und arbeitete daran in allen Lagen. Er wollte die Armut und Unwissenheit aus den Dörfern Indiens vertreiben, jedem Hungrigen zu essen geben, die Tränen in jedem Auge wegwischen. Dies versuchte er in einem halben Jahrhundert unermüdlichen Wirkens. Er war ständig unterwegs, besuchte abertausend Dörfer und brachte ihnen die Botschaft der Hoffnung und des Mutes. Diese seine Botschaft und der Geist, den er den schlummernden Massen Indiens einhauchte, trugen schließlich Früchte. Ganz Indien geriet in Bewegung; unternehmerisches Denken löste die Lethargie ab und Mutlosigkeit machte der Erwartung Platz. Aus dem Staube hat er uns zu Menschen gemacht, und wir in unserer Dankbarkeit nannten ihn dafür den Vater der Nation.

Doch galt seine Botschaft nicht für Indien allein. Fast alle anderen Länder und Völker, die von der kolonialen Unterdrückung geplagt waren, hörten Gandhijis Botschaft und schöpften daraus Kraft für ihren [Seite 1032] Freiheitskampf. Wenn heute die Völker Asiens und Afrikas freie Nationen geworden sind, so ist dies zu einem gewissen Grad der Inspiration und dem Vorbild Gandhis zu verdanken.

Die Tatsache, daß Gandhi sich in seiner Arbeit Indien widmete, war natürlich und bedeutete eine praktische Folgerung. Er wußte, daß er bei der Lösung der unmittelbaren Probleme Erfolge haben müßte. Auf alle Einladungen nach anderen Ländern hat er deswegen geantwortet, daß er zuallererst in der Heimat erfolgreich werden müßte, damit sein Erfolg in Indien dann seine Botschaft viel wirksamer verbreiten würde. Er wollte Weltbürger werden, indem er vor allem ein guter Bürger des Landes seiner Geburt wurde. Heute können wir erkennen, daß er Recht hatte, denn heute sind es alle Länder der Welt, die seiner gedenken und die sein hundertjähriges Jubiläum spontan und voller Achtung feiern.


Der Kraftquell des Glaubens

Die Quelle für Gandhijis Kraft war — und dies muß man stets wiederholen — sein religiöser Glaube. Dieser Glaube war die persönliche Begegnung mit dem Göttlichen, die wiederum nichts Transzendentales, keine metaphysische Abstraktion war, sondern lebendige Gegenwart, innerlich und im Äußerlichen, unmittelbar und ganz individuell. Religion, die so konzipiert, erfahren und praktiziert wurde, lieferte die Richtlinien seines Lebens. Sreyas und Tapas, Tugend und Disziplin, die bewußt gewählt und unentwegt gehalten wurden, haben seine Natur umgeformt und ihn zu dem gemacht, was er war. Diese moralische Integrität war es, die es ihm ermöglichte, alle inneren und äußerlichen Konflikte zu überwinden. Er hatte sozusagen eine wirksame Kameradschaft geschaffen zwischen Geist und Leib, zwischen Neigung und Gewissen, zwischen dem Selbst und den Mitmenschen, zwischen Erziehung und Natur. Das Fasten, das Gebet, die Mäßigung, die Widmung an Gott und der Dienst am Nächsten, die Pfade also, die der Hinduismus für den ernsthaft Suchenden vorgezeichnet hat, wurden zum Lebensweg Gandhis. Nur so konnte das Ego gebändigt werden, konnten die Empfindungen des Ichs und des Mein abgeschüttelt werden; nur so konnten wir den inneren und äußeren Frieden — shanti, shanti, shanti — finden, der ja das immerwährende Ziel des Hinduismus ist. Ihm jedoch war der Hinduismus lediglich ein Weg, nicht der einzige Weg, zum Ziel. Seine eigene Religion mit ihrem Bann auf die Massen, ihrer Vision des Selbstes und ihrer großherzigen Caritas war ihm sehr nah und teuer. Aber sie hat ihn auch gelehrt, daß er tiefe Achtung vor allen anderen Religionen haben mußte. Daher sagte er:

„Religionen sind verschiedene Wege, die sich am gleichen Punkt treffen. Was macht es, wenn wir verschiedene Wege gehen, wenn sie nur alle zum gleichen Ziel führen. Eigentlich gibt es genau so viele Religionen, wie es Menschen gibt.“

Daher rührt auch seine Bereitschaft, jedes Wertelement, das er in anderen Religionen entdeckte, zu akzeptieren. So schrieb er zum Beispiel an Rabindranath Tagore:

[Seite 1033] „Ich will nicht, daß mein Haus von allen Seiten eingemauert wird und meine Fenster alle verschlossen bleiben. Ich will, daß alle Kulturen der Welt durch mein Haus ungehindert wehen, doch lasse ich mich nicht von ihnen umwerfen. Meine Religion ist nicht die des Gefängnisses. Sie hat Platz für die niedrigsten Kreaturen Gottes. Sie ist jedoch der Beweis gegen den unverschämten Stolz von Rasse, Religion und Kultur.“

Gandhijis öffentliches Wirken war lediglich eine Erweiterung seines religiösen Lebens. Er sagte selbst: „Das Endziel des Menschen ist das Schauen Gottes. Daher sollen alle Aktivitäten, seien sie nun politisch, sozial oder religiös, nach diesem Endziel der Vision Gottes orientiert werden. Der unmittelbare Dienst an allen Menschen wird zu einem notwendigen Teil dieses Trachtens, einfach weil der einzige Weg, Gott zu finden, darin besteht, ihn in seiner Schöpfung zu sehen, und sich mit ihr zu vereinigen. Dies erreicht man nur durch den Dienst an allen.“

Wahrheit und Gewaltlosigkeit, die ja der Kern der Gandhischen Botschaft bilden, sind keine neuen Erkenntnisse. Auch er hat behauptet und anerkannt, daß sie so alt wie die Erde sind, und sie bildeten schon seit unbekannten Zeiten den Grundzug hinduistischen Denkens. Der Buddhismus wie der Jainismus, die an sich Ableger des gleichen großen Stroms sind, gaben ihnen einen stärkeren Auftrieb und den Status von Doktrinen. Der Jainismus, der in Gujerat eine große Anzahl Gläubige hat, und dessen Lehre das Primat der Gewaltlosigkeit sowie den Pluralismus und die Relativität der Glaubensbekenntnisse beinhaltet, hatte einen starken Einfluß auf den jugendlichen Gandhi gehabt.

Was ist denn Wahrheit? In der Logik ist sie der Wert, den einer Behauptung zugeschrieben wird und ist der Gegensatz von Falschheit. Im Gedankengut des Hinduismus heißt der betreffende Begriff „Satya“, der noch präziser und strenger ist, indem er bedeutet „eigentlich“, „in der Erfahrung erfaßt“, „wahr und gültig im Moment“. Das Wort „Satya“ stammt aus dem Begriff „Sat“, der Wesen bedeutet im Gegensatz zu „Asat“ oder „Nichtwesen“. Das was ist, ist „Sat“ und ist gut. Gott ist Wahrheit im Wesen, während „Satya“, oder die Wahrheit, von uns erfaßt, Gott ist, wie er uns bekannt ist. Um nun die ganze Identität von Gott und Wahrheit zu bewahren, und weiter um deretwillen, die nicht an Gott glauben konnten, sagte Gandhiji „Wahrheit ist Gott.“ Denn, so erklärte er, man kann sagen, daß man nicht an Gott glaubt, aber man kann nicht behaupten, man glaube nicht an Wahrheit. Einige von Ihnen werden sich nun an Hegels Verteidigung seiner Theorie erinnern, wobei er zuerst feststellt, nur das, was rational ist, sei real. Dann kehrte er die Folge der Begriffe um und sagte, nur das, was real ist, sei rational. Hegel war aber nun ein großer Metaphysiker, was Gandhiji nicht war. Während Hegel seinen Verstand benutzte, benutzte Gandhiji seine Intuition. Hegels „real“ war eine Folgerung, eine Schlußfolgerung, während Gandhis Wahrheit eine unmittelbare Erfahrung, eine direkt empfundene Gegenwart war. Ich zitiere Gandhiji:

„Ich erkenne ganz undeutlich, daß, während sich alles um mich stets wandelt, alles stirbt, es eine allem Wandel zugrunde liegende lebende Kraft gibt, die unwandelbar ist, die alles zusammenhält, die erschafft, [Seite 1034] auflöst und neuerschafft. Jene informierende Kraft, jener Geist ist Gott. Und, da nichts anderes, das ich durch meine Sinne wahrnehme, überdauern kann oder wird, ist er allein. Ich kann erkennen, daß inmitten des Todes das Leben überdauert, daß inmitten der Unwahrheit die Wahrheit weiterbesteht, daß inmitten der Finsternis das Licht besteht. Daher folgere ich, daß Gott Leben, Wahrheit, Licht ist.“


Wahrhaftiges Verhalten

In seinem Alltag drückte sich Wahrheit für Gandhiji in wahrhaftigem Verhalten aus. Leider gibt es in unserem persönlichen wie auch öffentlichen Leben mehr Falschheit, als uns gut tut. Sogar die besten Menschen neigen dazu, ihre Absichten und Taten für etwas anderes auszugeben, als sie tatsächlich sind. Wir benutzen kluge rhetorische Mittel, um Tatsachen zu verbergen, sie zu verzerren, sie unter einer Flut von Worten zu vergraben, deren einziger Zweck es ist, unsere Mitmenschen zu verführen. Folglich wurden gesellschaftliche Beziehungen allmählich von Heuchelei durchdrungen, wodurch Kommunikation blockiert und gegenseitiges Mißtrauen verursacht worden ist.

Er wollte, daß der Mensch wächst, sich findet und entwickelt, nicht nur materiell, sondern auch moralisch und im Geist. Was er suchte und versuchte, war nichts Geringeres als eine geistige Umwandlung der gesamten menschlichen Gemeinschaft. Die lobenswerte Formel des 19. Jahrhunderts vom „größten Glück der größten Zahl“ genügte ihm nicht. Er wollte nicht, daß die wenigen dann ausgelassen werden. Er begehrte das größtmögliche Wohl für alle, daß das geistig Gute der Habenden mit dem materiellen Wohl der Habenichtse gekoppelt wird. Sein Ideal findet man in dem Bibelwort, das von Ruskin bemüht wurde: „dem Geringsten“, und hierfür fand er den indischen Begriff des „Sarvodaya“ oder „Aufstieg aller“.

Viele zeitgenössische Bewunderer wie auch Gegner Gandhis bezeichneten ihn als Kreuzritter. Ja, das war er auch, ein Kreuzritter der Wahrheit, der Gewaltlosigkeit, des Friedens und der Gerechtigkeit. Er war nie bereit, diese Grundwerte zugunsten irgendwelcher vorübergehender Vorteile zu kompromittieren. Obwohl er ein großer Staatsmann war, hat er nie einen Grundsatz der Zweckmäßigkeit geopfert. Auf diese Weise wurde er zu einem „öffentlichen Heiligen im 20. Jahrhundert, der noch zu Lebzeiten im grellen Glanz der Blitzlichter und unter dem schonungslosen Anblick der Photoapparate heiliggesprochen wurde“. Die fremdartige Verbindung zwischen Außerweltlichkeit und Sorge für diese Welt, die Gandhiji bezeugte, haben Einstein sicher beeindruckt, als er bemerkte: „Die kommenden Generationen werden möglicherweise kaum glauben, daß ein solcher Mensch je in Fleisch und Blut auf der Erde wandelte.“

Wir stehen heute vor der Tür zu einem neuen Zeitalter. Eine Phase der Geschichte der Menschheit ist zu Ende gegangen und eine neue Phase beginnt. Der wachsende Fortschritt der Wissenschaft und Technik haben dem Menschen eine immense physische Macht beschert, die bei guter Anwendung die Menschheit neu zu erschaffen, bei schlechter Anwendung aber [Seite 1035] sie völlig zu vernichten vermag. Die Pfade des Wissens öffnen sich nach allen Seiten. Doch sind wir immer noch nicht von der Angst vor dem Morgen befreit; wir sind der Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder noch gar nicht sicher. Mutet dies nicht paradox an? Konflikt ist jedoch kein Gesetz der Geschichte, und es ist gar nichts so sehr Unerbittliches daran. Mit etwas Mühe können wir sicherlich dieser Strömung zur Selbstvernichtung Einhalt gebieten. Toynbee sagt: „Es ist heute ein Gebot, daß die Menschen ein Verzicht auf die Gewaltanwendung erklären, und dies gilt nicht nur für die bestimmte institutionalisierte Form des Krieges, sondern für jede Beziehung zwischen Mensch und Mensch.“ Hier und heute, da die Menschheit am Scheideweg des Schicksals steht, ertönt die Botschaft Gandhijis in aller Dringlichkeit.

In seinen umfangreichen Worten und Schriften, die in der Geschichte beispiellos sind und etwa 60 Bände umfassen, hat Gandhiji Tausende von Themen behandelt: Religion, Ethik, Politik, Wirtschaft, Sozialreform, Gesundheit, Sex, Benehmen, Kunst. Sollte man also Gandhiji lediglich als einen Führer der Nation betrachten, der Indien zur Unabhängigkeit führte, würde man ihm keineswegs gerecht werden. Sicherlich war Gandhiji unser unangefochtener Führer bei vielen Aktionen gegen die Fremdherrschaft. Politik war jedoch keineswegs seine einzige oder gar vornehmliche Beschäftigung. Für jede politische Aktion, die er startete, gibt es ein Dutzend Reformen, die überhaupt nichts mit Politik gemein haben, denen er aber größte Bedeutung beimaß, ob sie nun sanitäre Anlagen, die Förderung einer unterdrückten Gesellschaftsgruppe oder aber eine integrierte, handwerklich ausgerichtete Bildung betrafen. Für jeden Brief, den er an eine politische Behörde schrieb, gab es hundert, und sogar ziemlich lange Briefe an ganz bescheidene Menschen über ihre persönlichen Probleme, an Männer und Frauen über ihre alltäglichen Sorgen, an emsige Forscher, die mit Rohkost experimentierten, an Kinder über die Notwendigkeit einer besseren Handschrift, an Suchende nach Wahrheit.

Selten findet man Lehrer der Menschheit, Philosophen also, die in ihrem eigenen Leben das praktizieren, was sie in Empfehlungen predigen. Gandhiji aber, der so vielen Leuten so viel über so viele Themen gesagt hat, wahrte eine äußerste Konsequenz zwischen Vorsatz und Praxis. Er verlangte nichts von anderen, was er selbst noch nicht getan hatte. Seine Philosophie formte sich aus Experimenten. Dieser Einklang im Glauben und Verhalten verlieh ihm sein Charisma. Das Geheimnis der heiligen Macht der Wahrheit wurde 1942 von Heinrich Zimmer in einem Vortrag ganz deutlich erklärt. Darin heißt es: „Weisheit kann dann Macht sein, wenn sie die Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit durchdringt, umformt, dirigiert und formt. Ein Weiser soll nicht eine wandelnde Bibliothek sein, ein Lexikon mit menschlicher Stimme. Das Denken muß selbst bei ihm ins Leben umgesetzt werden, d.h. in Fleisch, in Wesen und in eine Geschicklichkeit der Tat. Dann ist die Verwirklichung umso höher, umso größer wird dann seine Macht sein. Der Zauber des Mahatma Gandhi muß ... so verstanden werden. Der Ursprung seiner beispielhaften Gegenwärtigkeit bei den Hindu-Massen liegt in der Tatsache, daß in ihm die Wirklichkeit der asketischen Weisheit zum Ausdruck kam.“

[Seite 1036] Gandhiji fragte nicht nach den wirksamsten und wirtschaftlichsten Mitteln, sondern nach den Mitteln, die am reinsten waren, die die Ursachen des Konfliktes und der gegenseitigen Böswilligkeit und Feinseligkeit beseitigten, Eintracht und Harmonie förderten, und alle Beteiligten auf ein höheres, menschlicheres Niveau heben würden. Die Auseinandersetzung muß auf der Ebene der Vernunft und der Seelenstärke geschehen. Man soll eine anscheinend ungerechte Situation ablehnen, jedoch ohne daß man dabei Groll gegenüber denjenigen empfindet, die diese Situation verursacht oder unterstützt haben. Man muß zwischen dem Unrecht und dem Täter des Unrechts unterscheiden. Während man also das Unrecht bekämpft, muß man den Täter durch Liebe, Demut und Aufopferung gewinnen. Dies war das Geheimnis der gewaltlosen Aktion Gandhijis, daß er für die anderen optimale Vorteile sicherte, dabei für sich selbst aber die größtmöglichen Nachteile einhandelte.

Die wesentliche Bedeutung Gandhijjis für die Zukunft liegt darin, daß zum ersten Mal in der Geschichte er es vermochte, die Wirksamkeit persönlicher Güte, der Tugenden der Liebe und der Nächstenliebe vorzuleben, indem er durch Dialog und gegenseitige Verständigung die sozialen und politischen Probleme löste, Probleme also, die die Interessengegensätze der Klassen, Gesellschaftsgruppen und Länder beinhalten. Bei früheren Konflikten wurde nach einem Mindestmaß an Mühe und Zeit gefragt, um zu einem bestimmten Ziel zu gelangen. Gewalt oder Gewaltandrohung, Lügen und Erpressung waren die üblichen, natürlichen Waffen, mit denen gegensätzliche Gruppeninteressen ausgefochten wurden. Die Folge war, daß Macht allein über Recht und Unrecht richtete, daß daraus Haß entstand. Im gesellschaftlichen Leben waren Zusammenstöße und Vorbereitungen zum Streit gang und gäbe.

Das deutsche Volk, das innerhalb von 30 Jahren zwei furchtbare Kriege erlebt hat und das eine tiefe Tradition des philosophischen Idealismus hegt, kann vielleicht die Botschaft Gandhijis besser als andere verstehen. In Südafrika hatte Gandhiji Max Müllers Werk „Indien — was es uns lehren kann“ eifrig gelesen und es für seine gute Sache benutzt. Später, als er im Gefängnis in Yeravda schmachtete, las er zum zweiten Mal Goethes Faust. Er hatte auch Böhmes „Übersinnliches Leben“ gelesen und sich daraus Notizen gemacht. Wenige Jahre danach wies er auf die Feststellung C. F. Andrews hin, „daß Indien und Deutschland sich wahrscheinlich auf der Ebene des reinen Idealismus näher kommen würden als irgendwelche andere Nationen der Welt.“ Dazu sagte Gandhiji: „Die Deutschen sind ein großes und tapferes Volk. Ihr Fleiß, ihre Wissenschaft und Tapferkeit fordern die Bewunderung der Welt. Man hofft darauf, daß sie die Friedensbewegung führen werden. Sie wurden im letzten Krieg geschlagen, aber nicht besiegt. Ihre sagenhafte Energie muß lediglich in Bahnen gelenkt werden, damit sie den Fortschritt der Welt als Gesamtheit fördert.“ Die Hoffnung Gandhijis, die vor über 40 Jahren ausgesprochen wurde, wird sicherlich einmal wahr; dann wird Deutschland bei der Förderung des Friedens und des Fortschrittes der gesamten Welt seine Rolle spielen.


*) Ansprache zur feierlichen Eröffnung des Gandhi-Jahrhundert-Seminars der Deutsch-Indischen Gesellschaft e. V. aus Anlaß des 100. Geburtstags Mahatma Gandhis (2. 10. 1869 — 30. 1. 1948), gehalten am 8. Juli 1969 im Bürgerschaftssaal des Rathauses zu Frankfurt am Main.


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Hermann Grossmann (1899 - 1968)[Bearbeiten]

Ein Leben im Dienst der neuen Offenbarung

„Es ist klar, daß die erhabensten Wohnstätten im Reiche der Unsterblichkeit denen zum Wohnsitz bestimmt sind, die aufrichtig an Gott und Seine Zeichen geglaubt haben. Niemals kann der Tod zu dieser heiligen Stätte gelangen.“
Bahá’u’lláh


Aus unendlicher Ferne her kommt unsere keimhafte Seele in den irdischen Körper, lebt mit ihm ein kurzes Stück ihrer leuchtenden Bahn zusammen, und verschwindet wieder in die unsichtbaren Regionen. Und doch sind diese Tage unserer kurzen Lebenszeit auf Erden, die „weniger sind als ein flüchtiger Augenblick“, so entscheidend für der Seele unendliche Zukunft. Wir messen sie mit unseren menschlichen Augen. Doch lieben und verehren wir auch das Göttliche, das hindurchschimmert durch die irdische Hülle und diesem Leben Bedeutung und eigenen Sinn verleiht, einem jeden Menschen nach seiner Weise der Selbstverwirklichung.

Es liegt ein tiefer Sinn darin verborgen, daß Hermann Grossmann, geboren am 16. Februar 1899 in Rosario in Argentinien von deutschen Eltern, in dem Schoß einer Familie heranwuchs, in der Liebe und Weitblick strahlten, in einer Stadt und Umgebung, wo mehrere Rassen und Religionen miteinander in weitherziger Freiheit zusammenlebten, und daß er so als Junge zu einem weltgeschichtlichen Zeitpunkt zum Nachdenken und Forschen heranreifen durfte, an dem die alte Welt und ihre Ordnungen zusammenzubrechen begannen und die Sonne einer neuen Menschheitsepoche heraufstieg — eines Weltzeitalters der Einheit der Menschheit auf diesem durch die Fortschritte der Technik immer kleiner empfundenen Planeten.

Als Hermann zehn Jahre alt war, kehrte die Familie nach Deutschland zurück. Der Junge schaute auf das Land seiner Vorfahren mit anderen Augen als seine Mitschüler, und wo die anderen blindlings den Vorurteilen ihrer Erziehung folgten, stiegen in ihm Zweifel auf und trieben ihn zum Suchen nach Wahrheit. Den ersten Weltkrieg hatte er dem Ende zu noch im deutschen Heer in Frankreich mitzumachen.

Müde und traurig kam er nachhause. Konnten all der Jammer, der Haß, die Zerstörungen der Sinn der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sein? Wie lange noch sollte das so weitergehen? Wenn ein weiser Schöpfer doch aus Liebe den Menschen erschaffen hatte, wenn er doch immer wieder ganz Große, Leuchtende zur Erde gesandt hatte, um diese seine Geschöpfe weiterzuentwickeln, mußte da nicht wieder einmal die Not der Zeit, die sich immer deutlicher zeigende Wandlung der Weit einen neuen [Seite 1038] Gottesoffenbarer gebracht haben, der vielleicht noch lebt oder schon gelebt hat? Denn wer sonst könnte den anhebenden Umbruch in allen Ländern und Verzweigungen des menschlichen Lebens meistern und zu einer neuen Ordnung fügen? Das und manche andere Rätsel bewegten den Studenten der Staatswissenschaften und der Künste, manches davon hielt seine Feder in Gedichten und Aufsätzen fest, und in manchen Bildern, die er malte, war diese Sehnsucht zu erahnen. 1924 promovierte er als Doktor der Staatswissenschaften in Hamburg.

Nach Hegel geht im Denken der Fortschritt durch These, Antithese und Synthese vor sich. Im Leben des Menschen, mit seinen unendlich vielen Verflechtungen von Glück, Schicksal, Leid, Sehnsucht, Liebe, Gebet und Arbeit, die weit über das Denken hinaus sein ganzes Wesen durchdringen, umfaßt der „Dreischritt“ Leid, Hinwendung zu Gott, Lösung des Leides.

In jener Zeit, im Sommer 1920, war es seinem gereiften Suchen bestimmt, daß er der Botschaft und Sendung Bahá’u’lláhs zugeführt wurde durch ein Bahá’í-Ehepaar aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Grace und Harlan Ober. Die Obers waren auf der Rückreise von einem Besuch bei ‘Abdu’l-Bahá in Haifa und waren auf Seine Weisung nach Leipzig gekommen, wo sie im Kreis der Theosophischen Gesellschaft über die Bahá’í-Religion sprachen. Oft hat Hermann Grossmann von dieser schicksalhaften Begegnung gesprochen: Wie er verspätet in einen nur mäßig erleuchteten Saal trat, in dem eine lichte Frauengestalt am Rednerpult stand und davon sprach, daß alle Menschen „die Blätter eines Baumes und die Blüten eines Gartens“ seien. Sofort war er von der Wahrheit ihrer Botschaft überzeugt. Als sie später auf ihn zutrat und meinte: „Ich glaube, ich habe für Sie gesprochen“, antwortete er: „Ja, sicherlich, aber sagen Sie mir, was es ist.“ Es ist vielleicht interessant zu wissen, daß am gleichen Abend Frau Lina Benke ebenso spontan die Bahá’í-Religion annahm und kurze Zeit danach ihr Mann, der dann in Bulgarien für den Glauben arbeitete und starb und von Shoghi Effendi als der erste Märtyrer Europas bezeichnet wurde. Bald gingen die drei täglich zu Alma Knobloch, die sich damals in Leipzig aufhielt, um sich intensiv über die Bahá’í-Religion zu informieren.

Auf seinen dankbar begeisterten Brief nach Haifa an ‘Abdu’l-Bahá erhielt er folgendes bedeutungsvolle Tablet (in persischer Sprache zusammen mit einer Übersetzung ins Englische durch den damaligen Sekretär):

„Er ist Gott.

O Du, der Du vom Lichte der Führung geleitet wurdest!

Dein Brief ist angekommen. Er bezeugt, daß Du Dich dem Abha-Königreich zugewandt hast. Danke Gott, daß Du, nachdem Du die Schleier zerrissen und die Schönheit der Sonne der Wirklichkeit geschaut hast, jetzt auf dem Pfade des Königreichs wandelst. Du solltest ewig den Seelen verpflichtet und dankbar sein, die zur Ursache der Führung für Dich wurden, denn sie schenkten Dir himmlisches Leben und leiteten Dich zum Reiche des Lichts.

9. Dezember 1920 Auf Dir sei die Herrlichkeit Abhas!

(gez.) ‘Abdu’l-Bahá Abbas.“


[Seite 1039] Nach Hamburg zurückgekehrt, war ihm bald die große Freude beschert, seine Mutter und seine Schwester Elsa-Maria für seinen geliebten neuen Glauben gewinnen zu können. Damals fand er seine Lebensgefährtin, die wie er zu den gleichen Idealen hinfühlte, dachte, suchte und strebte. Wenn zwei Seelen sich zusammenfinden in Liebe, erwächst daraus ein tiefes Sichverstehen und aus diesem heraus verklärt sich das Zusammenklingen zu einer Einheit, die Tod und Zeitenläufe glückselig überdauert.

Sofort begann Hermann Grossmann, sich systematisch und überlegt in den Dienst dieser neuen Offenbarung göttlichen Willens zu stellen, zuerst in Hamburg, dann in Weinheim, schließlich in Neckargemünd. Dort wurde sein Haus, das er erbaute, immer mehr zu einem der Brennpunkte des Bahá’í-Glaubens. Groß und klein, hoch und nieder gingen aus und ein. In diesem gastlichen Heim, wo seine Liebsten, seine Frau, seine Eltern, seine Schwester und seine Kinder an seiner Seite lebten, ahnte und spürte man früher und deutlicher als sonst irgendwo die warme, umfassende Totalität, durch die sich der Bahá’í-Glaube vor allen anderen geistigen Impulsen, Ideologien oder Organisationen religiöser oder sozialer Art, alten oder neuen Ursprungs, in der ganzen Welt auszeichnet: Gott — der Gottesoffenbarer — die geoffenbarte Lehre — die gottgeführte Wandlung des Menschen — die gottgegebene Ordnung. In jenen Jahren zwischen den beiden Weltkriegen kristallisierte sich manches aus, was heute vielen Bahá’í fast selbstverständlich erscheint: ein klares, historisch und religionswissenschaftlich begründetes Verstehen des Bündnisses Bahá’u’lláhs mit der Menschheit. Durch viele Neuerscheinungen und Übersetzungen verbreitete sich nunmehr über die ganze Welt ein Ausmaß von kanonischen Texten, Worten des Báb, Bahá’u’lláhs, ‘Abdu’l-Bahás und Shoghi Effendis, das schließlich das Mehrfache an Lehrtexten der heiligen Schriften aller Hochreligionen aus der Vergangenheit zusammen darstellte. Die Themen, die aus der Fülle unserer Lehren Hermann Grossmann am meisten bewegten, waren die Forderungen Bahá’u’lláhs nach der Einheit von Religion und Wissenschaft und nach der Einheit in der Mannigfaltigkeit, und diese beiden waren ihm auch beim Lehren der jungen Generation richtungweisend. Er hat durch Jahrzehnte mit unendlichem Fleiß Sammlungen zusammengetragen im Hinblick auf eine künftige Bahá’í-Universität bzw. das von Shoghi Effendi im Fünfjahresplan gebilligte „Institut für Religion und Wissenschaft“, und diese Zusammenstellungen konsequent als Grundlage seiner Veröffentlichungen benützt. Es kam erst in jenen Jahren allmählich den Bahá’í zum Bewußtsein, daß das Testament ‘Abdu’l-Bahás, der 1921 diese sichtbare Welt verlassen hatte, die Urkunde einer umfassenden Ordnung für die Bahá’í-Weltgemeinschaft ist, dann allmählich auch, daß diese Ordnung etwas Neuartiges ist, eine Synthese von Monarchie, Theokratie, Aristokratie und Demokratie, wie der Hüter sie uns lehrte, und schließlich, daß sie Beginn und Embryo und Modell einer ganz neuen, künftigen Weltordnung darstellt, deren die chaotische Menschheit eben so dringend bedarf wie einstens die Flüchtlinge aus Ägypten ihrer vielen neuen, gottgegebenen Gesetze, um ein „auserwähltes“ Volk werden zu können.

In jenen zwanziger Jahren hatte sich auch eine hoffnungsvolle, weltweite Zusammenarbeit der Bahá’í und Esperantisten angebahnt. [Seite 1040] Hervorragende Bahá’í-Lehrer, wie früher Dr. Esslemont und später Martha Root, waren Esperantisten geworden; die jüngste Tochter des Esperantoschöpfers, Lidja Zamenhof, trat dem Bahá’í-Glauben bei und übersetzte viele Bahá’í-Bücher in diese neue Sprache. Hermann Grossmann griff diese Welle auf und veröffentlichte unter großen Opfern noch in den zwanziger Jahren eine Zeitlang eine Bahá’í-Esperanto-Monatsschrift „La Nova Tago“ (Der Neue Tag), die über die ganze Welt hin verbreitet wurde.

1928 wurde dem Ehepaar Grossmann eine Tochter, Susanne Bahiyyih, 1933 ein Sohn, Hartmut Harlan, geschenkt.

In den dreißiger Jahren verbreitete sich von den Vereinigten Staaten aus die ansprechende und segenbringende Einrichtung der Bahá’í-Sommerschulen. Etwa eine Woche lang, manchmal auch länger oder kürzer, versammelten sich ein paar Dutzend Bahá’í zu einem Programm von Vorträgen, Aussprachen, abendlichen Feiern in der beschwingten Stimmung von Ferien, Suchen nach Wahrheit und herzlicher Freundschaft. Das kleine „Häusle“ oberhalb Eßlingens war damals ein Ort, der für solche Treffen weithin bekannt und beliebt war. Hermann Grossmann hat dort oft gelehrt. 1932 schrieb er das Buch „Am Morgen einer neuen Zeit“.

Ein besonderer Höhepunkt seines Lebens war im März/April 1937 seine Pilgerfahrt zusammen mit Frau und Schwester nach Haifa, dem








In Brasilien: Dr. Grossmann mit Crao-Indianern.


[Seite 1041] Weltzentrum des Bahá’í-Glaubens. Hier verweilte er in Gesprächen mit Shoghi Effendi, dem Hüter des Bahá’í-Glaubens, neun Tage lang. Diese Gespräche bezogen sich vornehmlich auf die Bahá’í-Administration als Keim und Muster der Weltordnung und entwickelten diese Seite der Bahá’í-Religion, die damals in Europa in ihren Details noch nicht sehr ins Bewußtsein der Freunde eingedrungen war. Damals brachte er das Originaltablet, das er von ‘Abdu’l-Bahá erhalten hatte, Shoghi Effendi als Geschenk mit. Der Hüter nahm es mit sich, brachte es aber am nächsten Tag noch einmal zurück und fragte Hermann Grossmann, ob er wisse, daß es ein bedeutsames Tablet sei. Nach kurzem Zögern meinte Hermann Grossmann, für ihn sei immer der Passus von großer Bedeutung gewesen, der lautet: „Du solltest ewig den Seelen verpflichtet und dankbar sein, die zur Ursache der Führung für Dich wurden ...“, aber Shoghi Effendi verneinte und sagte, er messe ‘Abdu’l-Bahás Worten, daß der Angeredete „auf dem Pfad des Königreichs wandelt“ und „die Schleier zerrissen“ hat, größte Bedeutung bei.

Des Hüters klare, überlegene Weisheit, seine Antworten auf so manche Fragen, seine Ermunterungen und Anregungen klärten, festigten und erweiterten die künftigen Tätigkeiten der begeisterten Pilger für alle kommenden Jahre im Dienste dieser großen Offenbarung.

Als sie Haifa verließen, hatte die tiefe Verehrung und Wertschätzung, die sie schon immer Shoghi Effendi gegenüber gefühlt hatten, noch tiefere Wurzeln geschlagen. Für Hermann Grossmann wurde Shoghi Effendi als Oberhaupt der Bahá’í-Religion Mittelpunkt seines Seins. Shoghi Effendis unerwartet frühes Hinscheiden im Jahr 1957 wurde darum für ihn zum schmerzlichsten Verlust seines Lebens.

Aber zunächst wurden die Wege zur weiteren Verbreitung des Glaubens versperrt. Im Juni 1937 hatte Hitler den Bahá’í-Glauben in Deutschland verboten; die Bücherbestände wurden konfisziert und vernichtet, Haussuchungen vorgenommen. Die inneren und äußeren politischen Verhältnisse spitzten sich zu, es kam zum vernichtenden Krieg. Hermann Grossmann hatte viel zu leiden unter seinen nazistischen Mitarbeitern im Betrieb und unter so manchen versteckten Anfeindungen und offenen Brüskierungen.

In langen Verhandlungen mit der Gestapo gelang es ihm, die Freilassung seiner inhaftierten Schwester zu erreichen; im Prozeß vor dem nationalsozialistischen Sondergericht gegen neun Gläubige sagte er als Zeuge für sie aus, bis er selbst im September 1944 angeklagt und bestraft wurde. Der größte Teil der alten Sammlungen von Texten ging durch die Gestapo verloren. Damals sagte er: „Wenn ich nicht dächte, daß es ein Opfer für Bahá’u’lláh ist, könnte ich den Verlust nicht ertragen.“ Aber er machte sich sofort wieder daran, aus den ihm gebliebenen Resten weitere Sammlungen aufzustellen, die Grundlagen eines Archivs.

[Seite 1042]

Unter den ersten zwölf...

Das gesegnete Haus in Neckargemünd blieb unversehrt von Haß und Zerstörung, und so mancher fand dort Wärme, Licht und Trost. 1945 erhob sich aus den Trümmern des Landes aufs neue die durch Prüfungen gefestigte deutsche Bahá’í-Gemeinde. Viele andere, die durch die Katastrophen erschüttert waren, fanden den Weg zu ihr. Später freilich überwog im Lande bald wieder das materialistische Denken, welches das „Wirtschaftswunder“ hergebracht hatte. In jener ersten Zeit nach dem Zusammenbruch waren die deutschen Bahá’í ohne ihre Literatur, doch mit Herzen voller Begeisterung. Die Gestapo hatte ja alles vernichtet. Hermann Grossmann fertigte sofort aus den von ihm noch geretteten Büchern kurze Zusammenstellungen und kleine „Lehr- und Studienhilfen“, die vervielfältigt und gebunden wurden. So wurde der dringendste Mangel gelindert. Aus seiner Feder flossen in den folgenden Jahren verschiedene kleine, aber notwendige Bücher, wie 1947 „Umbruch zur Einheit“ und, neugedruckt, das schon in der Vorkriegszeit veröffentlichte „Am Morgen einer neuen Zeit“. Ein lebhafter Briefwechsel mit dem Hüter des Glaubens in Haifa erleuchtete manche Probleme der Zeit des Krieges, des Chaos‘ und des Wiederaufbaues.

1951 begann der Hüter Shoghi Effendi damit, aus den Bahá’í der ganzen Welt „Hände der Sache Gottes“ zu ernennen. Hermann Grossmann war unter den ersten zwölf, die zu diesem Rang erhoben wurden. Im Laufe der folgenden Jahre wurde diese Zahl auf siebenundzwanzig erhöht. Auf ihnen ruhte eine besondere Verantwortung hinsichtlich der Verbreitung der Lehre, der Reinerhaltung und des Schutzes des neuen Bündnisses Gottes mit der Menschheit durch Bahá’u’lláh. In dieser Zeit beschäftigte sich Hermann Grossmann vor allem mit dem Wesen des Bündnisses in der Religionsgeschichte und prüfte für seine Lehrtätigkeit die „Meinungen“ so vieler, allzuvieler aus der turbulenten Außenwelt mit dem Maßstab des „Wortes Gottes“, der heiligen Schriften. Sein kleines, aber grundsätzlich bedeutsames Buch „Das Bündnis Gottes in der Offenbarungsreligion“ ist der Niederschlag dieser geschichtsphilosophischen Arbeiten (erschienen im Bahá’í-Verlag 1956).

Als im Sommer 1955 unerwartet heftige Verfolgungen der Bahá’í in Iran ausbrachen, wurde Hermann Grossmann als ein Mitglied des Appellationskomitees vom Hüter nach Genf berufen, wo sich dieser Ausschuß bei den Vereinten Nationen schriftlich und in Vorsprachen bei einzelnen Delegationen um Gerechtigkeit und Schutz für die bedrohten Gläubigen in Iran bemühte.

Im Frühjahr 1957 waren Hermann und Anna Grossmann auf einer zweiten Pilgerfahrt in Haifa. Der Hüter gab ihnen aus dem Schatz seiner Weisheit viele Lichtblicke auf die allmähliche Entfaltung der Weltordnung Bahá’u’lláhs; im besonderen wurden die von ihnen im Auftrag des Nationalen Geistigen Rates von Deutschland mitgebrachten Pläne für das Haus der Andacht im Taunus mit dem Hüter besprochen.

[Seite 1043] Im Herbst 1957 traf die Bahá’í-Weltgemeinde ein schwerer Schicksalsschlag. Der Hüter Shoghi Effendi erlag in London einem Herzschlag. Viele Bahá’í aus aller Welt geleiteten ihn dort zu seiner Ruhestätte, die bald darauf ein lichtes, erhabenes Mahnmal verschönte. Die Bahá’í-Welt sah sich über Nacht harten Tatsachen gegenüber. Als fast alle siebenundzwanzig „Hände“ sich sofort in Haifa versammelt hatten, mußten sie dort feststellen, daß der Hüter keinen Nachfolger hatte ernennen können. Sie konnten aber den Zugriff der Feinde auf die Eigentümer des Glaubens verhindern und hatten, als oberste Institution in der verwaisten Bahá’í-Weltgemeinde, den vom Hüter 1953 ins Leben gerufenen Zehn-Jahres-Plan in den folgenden Jahren seiner Erfüllung zuzuleiten. So hielten sie in dieser Zeit, bis 1963, noch mehrmals ihre Beratungen in Haifa ab. Hermann Grossmann erlebte diese Begegnungen mit der ganzen Inbrunst seines Wesens. Sein weiter Horizont war dabei ein hochgeachteter Faktor im Ausgleich zwischen orientalischem und westlichem Denken.

Bei der Pilgerfahrt der Familie Grossmann im März/April 1937 hatte Shoshi Effendi plötzlich einmal die Frage an Hermann Grossmann gestellt: „Würden Sie gerne wieder nach Südamerika gehen?“ Die Antwort: „Shoghi Effendi, ich habe mich schwer in Deutschland eingelebt, doch jetzt bin ich gerne da.“ Shoghi Effendi darauf mit einem seltsamen Lächeln: „Vielleicht werden Sie eines Tages gerne wieder nach Südamerika gehen.“ An diese Worte hat sich Hermann Grossmann später oft erinnert, nachdem die „Hände der Sache“ ihn 1959 gebeten hatten, den südamerikanischen Freunden bei der Verwirklichung des Zehnjahresplanes zu helfen. Damals gab es auf dem ganzen Kontinent Südamerika nur zwei Nationale Geistige Räte, die je fünf Länder des riesigen Erdteils betreuten; zehn Nationale Geistige Räte waren im Zehnjahresplan bis 1963 zu errichten. 1959 machte er sich auf seine erste Reise, die ihn rund um den ganzen Erdteil und in die Länder des Innern führte. Durch einen Typhus-Anfall und die Höhe des Altiplano ernsthaft in seiner Gesundheit geschädigt, mußte er die Reise nach viereinhalb Monaten abbrechen. Aber er kam begeistert und als Optimist zurück. Daraufhin beschlossen die „Hände“, die Bildung der zehn Nationalen Geistigen Räte auf Ridván 1961 festzulegen. Das Jahr 1960 sah ihn schon Ende Januar wieder in Südamerika, diesmal zusammen mit seiner Frau, und zwar zu seiner längsten, siebeneinhalb Monate währenden Reise. Unermüdlich durch den ganzen Erdteil reisend, half er den Freunden, die Voraussetzungen zur Wahl der Nationalen Geistigen Räte zu schaffen, zu deren Gründung er dann wieder, zum drittenmal, Südamerika durchreiste. Nun sah er seine Aufgabe darin, diesen jungen Institutionen beizustehen, während sie ihre Tätigkeit aufnahmen, und sie vor Machenschaften der Gegner des Glaubens erfolgreich zu behüten. Immer wieder rief er Freunde dazu auf, zu den Eingeborenen, den Indios, zu gehen, sei es im Norden, wo am Orinoko und in der Guajira die Arbeit bereits begonnen hatte, oder im Mittelpunkt des Kontinents, auf den Hochebenen Boliviens, wo Schulen gegründet und Kongresse abgehalten wurden, oder im Süden, in Chile, wo ebenfalls erste Schritte unternommen wurden. Das Zusammensein mit den Indio-Freunden und der Besuch der südlichsten Bahá’í-Gemeinde der Welt, Punta Arenas an der Magellanstraße, [Seite 1044] von der er wußte, daß Shoghi Effendi sie besonders geliebt hatte, machten ihn über alles glücklich. 1962 startete er zu seiner letzten Reise, auf der schon deutliche Zeichen großer Abspannung zu sehen waren. Doch noch einmal trug ihn seine Begeisterung von Ort zu Ort und ließ ihn, wie er es selbst nannte, eine seiner schwersten Aufgaben in einem der Länder Südamerikas zu einem guten Ende führen. Viele Saaten waren damals gestreut worden für das Aufblühen des Bahá’í-Glaubens in Südamerika in den darauffolgenden Jahren. Die südamerikanischen Eindrücke, die innige Verbundenheit mit den Freunden, die Fortschritte dort waren ihm bis in seine letzten Tage eine Quelle des Glücks. Doch nicht weniger liebte er Europa und darin das Land, dessen Sprache er noch mehr liebte als Spanisch, in dem er den Glauben Bahá’u’lláhs gefunden und ihm am längsten gedient hatte. Diese Zuneigungen lagen eingebettet in seine Menschheits- und Menschenliebe, die jeder empfand, der ihm näherkam, und die ihm letztlich jedes Land der Erde zu einem Heimatland machte.

Die Gesundheit dieses mutigen Dieners des Höchsten hatte gelitten unter den Strapazen, Entbehrungen und Höhenunterschieden in Südamerika. Das Jahr 1963 brachte ein historisches Ereignis in der Geschichte des Bahá’í-Glaubens: die Wahl des „Universalen Hauses der Gerechtigkeit“, die Krönung des nunmehr erfüllten Zehnjahresplanes. Hermann Grossmann erlebte diese Feierlichkeiten in Haifa und London, wo sich über 6000 Bahá’í in der Albert Hall versammelten. Dann aber wurden seine Reisepläne kleiner und seltener. Er zog sich immer mehr in sein Heim, in sein Arbeitszimmer zurück. Er schrieb 1965 „Was ist die Bahá’í-Religion?“ und 1966 „Der Bahá’í-Gläubige und die Bahá’í-Gemeinschaft“. Die Loslösung von der vergänglichen Welt war harmonisch, wenn auch nicht ohne Schmerzen des Körpers. Der Friede seiner dem Welttreiben entrückten Seele verklärte den Abschied von der sichtbaren Welt am 7. Juli 1968.

„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ So durchwandert der Mensch das sichtbare Dasein, das nach Bahá’u’lláh „kürzer ist als ein Atemzug“. Es ist ein tiefes Atemholen vor dem unendlichen Leben drüben. Der Atem ist das Sinnbild des Lebens, die Mitte unseres irdischen Körperdaseins, des Beschenktwerdens und Schenkens.

Reich war dieses Leben an Erfüllung, an Beschenktwerden und Weiterschenken.

Reich sind wir alle beschenkt, die wir in dieser Zeit leben dürfen, nach der sich die Großen der Vergangenheit gesehnt haben. Alle wollen wir würdig werden im Weiterreichen, im Weiterschenken!


[Seite 1045]


Was wissen Sie


von Báhá’ulláh?


Er schrieb:

„Das Wesen des Reichtums ist die Liebe zu Mir. Wer Mich liebt, besitzt alle Dinge, und wer Mich nicht liebt, gehört fürwahr zu den Armen und Bedürftigen.“
(Worte der Weisheit)


Drei Millionen Bahá’í in aller Welt erkennen in Bahá’u’lláh den Gesetzgeber einer neuen Weltordnung für die ganze Menschheit. Jeder muß sich mit Seinem Anspruch auseinandersetzen; denn Er hat allen Menschen zur Pflicht gemacht, selbständig nach der Wahrheit zu suchen.


Fordern Sie bitte ein unentgeltliches Literaturverzeichnis an!


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