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BAHÁ'I-
BRIEFE
BLÄTTER FÜR
WELTRELIGION UND
WELTBEWUSSTSEIN
AUS DEM INHALT:
Die Gesegnete Vollkommenheit
Aus der Bahá’í-Geschichte
Was sagt die Wissenschaft über die Bahá’í-Religion?
Bahá’í-Sommerschulen 1964
OKTOBER 1964 HEFT 18
D 20 155 F
- Da Mensch ist der höchste Talisman. Der Mangel an geeigneter Erziehung hat ihn jedoch dessen beraubt, was er von Natur aus besitzt. Durch ein Wort, das aus dem Munde Gottes hervorging, wurde er ins Dasein gerufen. Durch ein weiteres Wort ward er dazu geführt, den Urquell seiner Erziehung zu erkennen. Durch wieder ein anderes Wort wurden seine Stufe und seine Bestimmung sichergestellt... Würde ein Mensch dem nachsinnen, was die aus dem Himmel von Gottes heiligem Willen herabgesandten Schriften geoffenbart haben, so würde er sogleich erkennen, daß ihre Absicht ist, alle Menschen wie eine Seele zu betrachten, damit das die Worte tragende Siegel: „Gottes sei das Reich“ jedem Herzen aufgedrückt werde und das Licht göttlicher Güte, der Gnade und des Erbarmens die ganze Menschheit umhülle... Wenn die Gelehrten und Weltweisen dieses Zeitalters der Menschheit gestatteten, den Wohlgeruch der Kameradschaft und Liebe einzuatmen, so würde jedes verständige Herz die Bedeutung wahrer Freiheit begreifen und das Geheimnis ungetrübten Friedens und vollkommener Seelenruhe entdecken. Würde die Erde diese Stufen erreichen und von ihrem Licht erleuchtet werden, so könnte man wahrlich von ihr sagen: „Du wirst auf ihr weder Tiefen noch Höhen sehen.“
- Bahá’u’lláh
- Ährenlese, CXXII
'Abdu'l-Bahá:
Die Gesegnete Vollkommenheit[Bearbeiten]
Ansprache in New York am 18. April 1912
Heute abend möchte ich einiges über die Geschichte der Bahá’í-Offenbarung sagen.
Die Gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláh gehörte der kaiserlichen Familie Persiens an. Von frühester Kindheit an zeichnete Er Sich unter Seinen Verwandten und Freunden aus. Sie sagten: „Dieses Kind besitzt außergewöhnliche Macht.“ An Weisheit und Denkvermögen, als Quelle neuer Erkenntnisse war Er über Seine Altersgenossen hinausgewachsen und Seiner Umgebung überlegen. Alle, die Ihn kannten, staunten über Seine Frühreife. Sie pflegten zu sagen: „Solch ein Kind wird nicht am Leben bleiben“, denn man glaubt allgemein, daß frühreife Kinder nicht alt werden. Als Heranwachsender besuchte die Gesegnete Vollkommenheit keine Schule. Er mochte Sich nicht unterweisen lassen. Diese Tatsache ist unter den Persern von Tihrán wohlbekannt. Nichtsdestoweniger war Er imstande, allen, die zu Ihm kamen, ihre schwierigen Probleme zu lösen. In jedweder Versammlung, jeder wissenschaftlichen Beratung oder theologischen Diskussion war Er zugegen und wurde bald zu einer Autorität für die Erklärung von dunklen und verworrenen Fragen, die gestellt werden mochten.
Ungeachtet Seiner Verbindungen zur Regierung strebte Bahá’u’lláh, bis Sein Vater starb, nicht nach Amt und Würden. Das rief Überraschung und Kritik hervor. Man hörte oft sagen: „Wie kommt es, daß ein junger Mann von so durchdringender Intelligenz, von so scharfsinnigem Begriffsvermögen keine gewinnbringenden Staatsämter sucht? Tatsächlich steht ihm doch jede Stellung offen.“ Das ist eine belegte historische Aussage, die vom Volk Persiens voll und ganz bestätigt wird.
Er war überaus großmütig und gab den Armen reichlich. Niemand
wurde abgewiesen, wenn er zu Ihm kam. Die Tore Seines Hauses standen
allen offen. Ständig hatte Er viele Gäste. Diese grenzenlose Großzügigkeit
war Anlaß zu allgemeinem Erstaunen, umso mehr, als Er weder Rang
noch Namen suchte. Seine Freunde, die sich darüber unterhielten, pflegten
zu sagen, Er würde bald verarmen, denn Seine Ausgaben waren hoch und
Sein Vermögen wurde immer kleiner. „Warum denkt Er nicht an Seine
eigenen Angelegenheiten?“ fragten sie einander; aber einige unter ihnen,
die weise Menschen waren, erklärten: „Seine Person ist mit einer anderen
Welt verbunden; etwas Erhabenes ist in Ihm verborgen und noch nicht ans
Licht getreten; der Tag wird kommen, da es sich offenbaren wird.“ Die
Gesegnete Vollkommenheit war in Wahrheit eine Zufluchtsstätte für jeden
Schwachen, ein Bollwerk für jeden Furchtsamen, gültig zu jedem Armen.
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Ob dieser Eigenschaften wurde Er weithin bekannt, bevor Seine Heiligkeit der Báb erschien. Dann erklärte Bahá’u’lláh, die Sendung des Báb sei die Wahrheit, und verbreitete Seine Lehren. Der Báb verkündete, eine größere Manifestation Gottes käme nach Ihm, Er nannte den Verheißenen „Den, Den Gott offenbaren wird“, und sagte, nach neun Jahren würde die Wirklichkeit Seiner eigenen Sendung deutlich werden. In Seinen Schriften brachte Er zum Ausdruck, daß im neunten Jahr dieser Verheißene bekannt würde, daß im neunten Jahr die Gläubigen zu aller Herrlichkeit und Glückseligkeit gelangten, daß sie im neunten Jahr rasche Fortschritte machten. Zwischen Bahá’u’lláh und dem Báb bestand insgeheim Verbindung. Der Báb schrieb einen Brief, der dreihundertsechzig Ableitungen des Wortstamms „Bahá“ enthielt. In Tabríz starb der Báb den Märtyrertod, und Bahá’u’lláh wurde 1852 in den ‘Iráq verbannt, wo Er Sich in Baghdád erklärte. Denn die persische Regierung war zu dem Schluß gekommen, solange Er in Persien bliebe, wäre das Land friedlos und beunruhigt; darum wurde Er verbannt in der Erwartung, dadurch werde sich Persien beruhigen. Aber Seine Verbannung bewirkte das Gegenteil. Neue Unruhe flammte auf, und die Kunde von Seinem Einfluß und Seiner Größe verbreitete sich durchs ganze Land. Die Erklärung Seiner Offenbarung und Seiner Sendung erfolgte in Baghdád. Er rief Seine Freunde zusammen und sprach zu ihnen über Gott. Daraufhin verließ Er die Stadt und ging allein in die Berge von Kurdistán, wo Er in Höhlen und Grotten hauste. Kurze Zeit lebte Er in der Stadt Sulaymáníyyih. Zwei Jahre vergingen, in denen Seine Freunde und Seine Familie nicht einmal wußten, wo Er war.
Obwohl Er ganz allein, abgeschlossen und unbekannt in Seiner Einsiedelei blieb, verbreitete sich die Nachricht durch ganz Kurdistán, daß dort eine höchst bedeutsame und gelehrte Persönlichkeit wäre, von der eine wundersame Anziehungskraft ausginge. Binnen kurzem wirkte Seine Liebe wie ein Magnet auf Kurdistán. Bahá’u’lláh lebte in dieser Zeit in Armut. Er trug die Kleidung der Armen und Bedürftigen. Er aß die Speise der Hungrigen und Verachteten. Aber eine Atmosphäre der Erhabenheit machte Ihn bekannt wie die Sonne am Mittag. Überall wurde Er verehrt und geliebt.
Nach zwei Jahren kehrte Er zurück nach Baghdád. Freunde aus Sulaymáníyyih kamen Ihn besuchen. Sie fanden Ihn in Seiner gewohnten Umgebung, in behaglichem Wohlstand, und waren erstaunt über die wahren Verhältnisse des Einsiedlers, Der so armselig in Kurdistán gelebt hatte.
Die persische Regierung hatte geglaubt, die Verbannung der Gesegneten
Vollkommenheit aus Persien würde das Erlöschen Seiner Sache im eigenen
Land bedeuten. Jetzt erkannte die herrschende Schicht, daß sich dieser
Glaube nur noch schneller verbreitete. Bahá’u’lláhs Ansehen wuchs, Seine
Lehren zogen immer weitere Kreise. Die Regenten Persiens machten
daraufhin von ihrem Einfluß Gebrauch, damit Bahá’u’lláh aus Baghdád
weiterverbannt würde. Er wurde von den türkischen Behörden nach
Konstantinopel vorgeladen. Dort setzte Er Sich über alle Einschränkungen
hinweg, insbesondere über die Feindseligkeit der Staatsminister und
Geistlichen. Wieder ließen die amtlichen Vertreter Persiens ihren
Einfluß auf die
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türkische Verwaltung spielen; sie erreichten, daß Bahá’u’lláh aus
Konstantinopel nach Adrianopel verbannt wurde, wobei sie im Auge hatten, Ihn
so weit wie möglich von Persien fortzuschaffen und Seine Verbindung zu
diesem Land zu erschweren. Nichtsdestoweniger verbreitete und festigte
sich Seine Sache noch mehr.
Schließlich berieten sie sich untereinander und sagten: „Wir haben Bahá’u’lláh von Ort zu Ort verbannt, aber jedesmal hat sich Seine Sache noch weiter ausgedehnt, die Verkündigung Seiner Lehren nimmt an Kraft zu, und Tag für Tag strahlt Sein Licht heller. Dies ist darauf zurückzuführen, daß wir Ihn in große Städte und volkreiche Mittelpunkte verbannt haben. Deshalb wollen wir Ihn als Gefangenen in eine Strafkolonie schicken; dann wissen alle, daß Er Sich in der Gesellschaft von Mördern, Räubern und Verbrechern befindet, und in kurzer Zeit wird Er samt Seinen Anhängern zugrunde gehen.“ Also verbannte Ihn der türkische Sultán in das Gefängnis von ‘Akká in Syrien.
Als Bahá’u’lláh in ‘Akká ankam, konnte Er durch die Macht Gottes Sein Banner aufrichten. Sein Licht war zuerst ein Stern gewesen; jetzt wurde es eine mächtige Sonne, und der Glanz Seiner Sache dehnte sich vom Osten auf den Westen aus. Innerhalb der Kerkermauern offenbarte Er Sendschreiben an alle Könige und Herrscher der Nationen; Er rief sie auf zu Schiedsgerichtsbarkeit und weltumspannendem Frieden. Manche unter den Königen nahmen Seine Worte mit Geringschätzung und Verachtung auf. Einer davon war der Sultán des Ottomanischen Reiches. Napoleon III. gab keine Antwort. Ihm ging ein zweites Sendschreiben zu. „Ich habe dir schon einmal ein Sendschreiben zugeleitet“, stand darin, „und dich zur Sache Gottes gerufen, aber du gehörst zu den Achtlosen. Du hast verkündet, du seiest der Verteidiger der Unterdrückten; aber jetzt ist es offenbar geworden, daß du es nicht bist. Auch bist du keineswegs großmütig gegen dein eigenes leidendes und unterdrücktes Volk. Deine Taten stehen im Widerspruch zu deinem eigenen Vorteil, und dein königlicher Stolz muß fallen. Wegen deines Hochmuts wird Gott binnen kurzem deine Herrschaft zerstören. Frankreich wird dir entgleiten, und du wirst in einem großen Feldzug überwunden werden. Jammern und Wehklagen werden herrschen; die Frauen werden den Verlust ihrer Söhne beweinen.“ Diese Beschuldigungen Napoleons III. wurden veröffentlicht und verbreitet.
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- Hütet euch, o ihr, die ihr an die Einheit Gottes glaubt, daß ihr nicht versucht werdet, einen Unterschied zwischen irgendeiner Manifestation Seiner Sache oder eines der Zeichen, die Ihre Offenbarung begleitet und verkündet haben, zu machen, Dies ist in der Tat die wahre Bedeutung göttlicher Einheit, so ihr zu denen gehört, die diese Wahrheit begreifen und an sie glauben!
- Bahá’u’lláh
- Ährenlese XXIV
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Leset dieses Sendschreiben und überleget euch: Ein Gefangener, einsam und verlassen, ohne Hilfe und Verteidigung, ein Ausländer und Fremder, der in der Festung ‘Akká eingekerkert ist, schreibt solche Briefe an den Kaiser von Frankreich und den Sultán der Türkei. Denket darüber nach, wie Bahá’u’lláh das Banner Seiner Sache im Gefängnis aufgerichtet hat. Schauet in die Geschichte. Es ist ohne Beispiel. Niemals hat sich so etwas früher oder später ereignet: Ein Gefangener und Verbannter führt Seine Sache voran und verkündet Seine Lehren weit und breit, bis Er schließlich machtvoll genug wird, um sogar den König zu überwinden, der Ihn verbannt hat.
Seine Sache verbreitete sich immer mehr. Die Gesegnete Vollkommenheit war fünfundzwanzig Jahre lang ein Gefangener. In dieser ganzen Zeit war Er jedem Schimpf und jeder Schande des Volkes ausgesetzt. Er wurde verfolgt, verhöhnt und in Ketten gelegt. In Persien wurden Seine Besitzungen geplündert und Sein Vermögen eingezogen. Zuerst wurde Er aus Persien nach Baghdád verbannt, dann nach Konstantinopel, nach Adrianopel und schließlich von Rumelien in die Gefängnisfestung ‘Akká.
Sein ganzes Leben lang war Er in emsiger Tätigkeit. Seine Arbeitskraft war grenzenlos. Kaum eine Nacht verbrachte Er in erholsamem Schlaf. Er trug diese Heimsuchungen, erduldete diese Trübsale und Schwierigkeiten, auf daß eine Manifestation der Selbstlosigkeit und des Dienens offenbar werde in der Menschenwelt, damit der „Größte Friede“ Wirklichkeit werde, damit Menschenseelen wie die Engel des Himmels werden, damit himmlische Wunder unter den Menschen gewirkt werden, damit menschlicher Glaube gestärkt und vervollkommnet werde, damit die unschätzbar köstliche Gabe Gottes, der menschliche Geist, im Tempel des Körpers zur höchsten Leistungsfähigkeit entfaltet werde und der Mensch die Widerspiegelung, das Ebenbild Gottes werde, wie es schon in der Bibel geoffenbart wurde: „Wir werden Menschen machen nach Unserem Bilde“.
Kurz, die Gesegnete Vollkommenheit trug alle diese Nöte und Leiden, auf daß unsere Herzen entzündet werden und strahlen, daß unser Geist erhellt, unsere Fehler zu Tugenden, unsere Unwissenheit in Erkenntnis verwandelt werden, auf daß wir zu den wirklichen Früchten des Menschseins gelangen und himmlische Gnade erfahren, auf daß wir den Pfad des himmlischen Königreichs wandeln, obwohl wir nur Erdenpilger sind, und die Schätze des ewigen Lebens erlangen, auch wenn wir arm und dürftig sind. Dafür hat Er diese Schwierigkeiten und Leiden auf Sich genommen.
Vertrauet alle auf Gott! Das Licht Gottes strahlt in voller Pracht. Die gesegneten Sendschreiben werden verbreitet. Überall in Ost und West werden die gesegneten Lehren verkündet. Bald werdet ihr sehen, wie das himmlische Wort die Einheit der Menschenwelt fest begründet. Das Banner des „Größten Friedens“ ist entfaltet und die „große Gemeinde“ steigt hernieder.
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Ansprache 'Abdu’l-Bahás in der Wohnung von Herrn und Frau Marshall L. Emery, 273 West 90th Street, New York, am 18. April 1912, nach Aufzeichnungen von Fräulein Dixon. Aus „Promulgation of Universal Peace“ I, Chicago 1922/1943, S. 22 ff.
Aus der Bahá’í-Geschichte[Bearbeiten]
Vahíd
Rasch verbreitete sich der Ruhm des Báb über den Kreis Seiner ersten Schüler hinaus; die Behörden beunruhigte die Begeisterung, mit der die Menschen in ganz Persien die neue Botschaft annahmen. Eine Chronik stellt fest, die Anhänger des Báb wären „von glühendem Eifer und Mut, hingerissen, zu allem fähig ... Jeder von ihnen hielt sich selbst für unwichtig und war entflammt von dem Verlangen, sein Lebensblut und seine Habe für die Sache der Wahrheit hinzugeben.“ 1) Den staatlichen Stellen wurde klar, daß dies nicht länger eine Angelegenheit von örtlicher Bedeutung war.
Eine Flut von Verfolgungen, wie sie einst über Jesus gekommen war, stürzte nun auch über den Báb herein. Der vereinte Widerstand von Kirche und Staat setzte frei, was Historiker die entsetzlichste Woge des Hasses, die man sich vorstellen kann, genannt haben. Binnen kurzem waren die Sandsteppen Persiens von einem roten Strom menschlichen Märtyrertums gefärbt.
Die Beamten setzten große öffentliche Streitgespräche in Shíraz an und luden den Gouverneur, die Geistlichkeit, die Standortkommandeure und alles Volk ein, daran teilzunehmen. Auf diese Weise hoffte man, den jugendlichen Propheten in Mißkredit zu bringen. Aber der Báb äußerte bei diesen Gelegenheiten so tiefgreifende Wahrheiten, daß die Schar Seiner Anhänger Tag für Tag wuchs. Die Reinheit Seiner Lebensführung beeindruckte die Menschen, die Ihm begegneten, besonders zu einer Zeit, in der die Leidenschaften hochschlugen. Er besaß außerordentliche Beredsamkeit und Kühnheit. Graf Gobineau berichtet, der Báb sei „von äußerster Einfachheit des Betragens, von bezaubernder Sanftmut; diese Gaben wurden noch überhöht von seiner Jugendlichkeit und seinem wundersamen Scharm. Er scharte eine Anzahl Menschen um sich, die zutiefst erbaut und gelehrt waren ... Nie öffnete er die Lippen — so versichern uns die, die ihn kannten — ohne die Herzen bis in ihre Tiefen aufzuwühlen.“ 2)
Solche Eindrücke gewannen nicht nur die Anhänger des Báb und die, welche ihm wohlgesinnt waren. Graf Gobineau zeichnet auf, daß „sogar die orthodoxen Muhammedaner, die (an jenen Versammlungen, in denen der Báb sprach) teilnahmen, eine unauslöschliche Erinnerung daraus mitnahmen und nie ohne eine gewisse Art von Schrecken daran zurückdachten. Sie waren einhellig der Auffassung, daß (Seine) Beredsamkeit ... unvergleichlich war, dergestalt, daß man sich keine Vorstellung machen könnte, wenn man nicht Augenzeuge gewesen wäre.“ 3)
In ganz Persien waren bald Geschichten über den Báb im Umlauf. Das
Volk dürstete nach weiteren Neuigkeiten. Eine Welle der Begeisterung
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flutete über das Land. Führende Persönlichkeiten von Staat und Kirche
wohnten entweder jenen Versammlungen persönlich bei oder sandten
Vertreter, um die Wahrheit der Sache zu erforschen. Das „Journal Asiatique“
vermerkt, der Glaube des Báb hätte viele Anhänger „in allen Klassen der
Gesellschaft gehabt, und viele davon waren Persönlichkeiten von besonderem
Ansehen; hohe Fürsten, Mitglieder der Geistlichkeit, Offiziere und
Kaufherren hatten alle diese Lehre angenommen.“ 4)
Die Verantwortlichen begannen, eingehend Fragen zu stellen. Schließlich interessierte sich auch der Hof. Muhammad Sháh, der König, entschloß sich zu direkten Ermittlungen. Er hatte das Gefühl, er müsse selbst dahinterkommen, ob die Berichte über diesen bemerkenswerten jungen Mann zuträfen. So ließ er seinen Ministerpräsidenten kommen. „Wen könnte man beauftragen, diese Ermittlungen anzustellen?“ fragte er. Nach langer Beratung fiel die Wahl des Königs und seines Premiers auf jemanden, in den sie beide das größte Vertrauen hatten. Er trug den Beinamen Vahid.5)
Die drei Unterredungen
Vahíd war bekannt als der gebildetste, redegewandteste und einflußreichste Gelehrte unter den Leuten des Königs. Wenn jemand den Báb zum Schweigen bringen könnte, dann war er es. Alle führenden Persönlichkeiten Persiens bezeugten sein Wissen und seine Weisheit. Sein Vater war einer der gefeiertsten Religionsgelehrten jener Zeit, und nun war ihm Vahíd in seinen Fußstapfen gefolgt und hatte ihn noch übertroffen. Im ganzen Land war er bekannt und beliebt. Wo immer er an einer Versammlung teilnahm, war er der wichtigste Redner, und wegen seiner Weisheit wurde er von der Regierung, vor allem in unruhigen Zeiten, häufig zu Rate gezogen.6)
Der König war höchst beunruhigt. „Geh sofort nach Shíraz,“ sagte er zu Vahíd. „Sprich mit dem Báb. Finde heraus, ob diese Wundergeschichten, die Uns zu Ohren kommen, wahr sind. Dann berichte Uns persönlich und in allen Einzelheiten, was du erfahren hast.“ Und der Premierminister stand nicht an, Vahíds Ehrgeiz anzusprechen: „Wenn du ihn widerlegen und entlarven kannst, wird das in großem Maße zu deinem eigenen Ansehen beitragen.“
Vahíd bestieg das Pferd, das ihm der König gegeben hatte, und reiste unverzüglich nach Shíráz ab. Unterwegs legte er sich die Fragen zurecht, die er an den Báb richten wollte, Fragen, von denen er sicher war, daß sie das Wissen des Báb aufs genaueste durchleuchteten. Nach den Antworten sollte sich entscheiden, ob der Anspruch des Báb, ein Gesandter Gottes zu sein, wahr oder falsch wäre.
Als Vahíd in Shíráz ankam, ging er zu seinem vertrauten Freund 'Azim: „Du bist dem Báb begegnet. Was hältst du von ihm? Ist er ein Scharlatan?“
„Sieh ihn selbst!“ antwortete ‘Azim. „Triff selbst die Entscheidung! Aber
als dein Freund möchte ich dir raten, vorsichtig zu sein. Du wirst jede
Unhöflichkeit bereuen, die du ihm entgegenbringst.“
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Vahíd vereinbarte einen Besuch beim Báb, Der ihn voll Zuneigung empfing. Fast zwei Stunden lang stellte Vahíd Frage um Frage. Der Báb hörte Sich die gelehrten Ausführungen Vahíds geduldig an; schweigend nahm Er seine Fragen zur Kenntnis. Plötzlich überkam Vahíd ein Gefühl der Scham über diese aufwendige Schaustellung seiner eigenen Gelehrsamkeit. Später berichtete er:
„Ruhig begann der Báb zu sprechen. Er gab kurze, aber überzeugende Antworten auf alle meine Fragen. Die Bündigkeit und Klarheit Seiner Erklärungen erregten Bewunderung und Erstaunen in mir. Mein Gefühl persönlicher Überlegenheit verschwand. Ich war verlegen ob meiner stolzen Vermessenheit und fühlte mich so gedemütigt, daß ich überstürzt bat, gehen zu dürfen. Ich sagte Ihm: „So Gott will, werde ich bei der nächsten Unterredung meine restlichen Fragen stellen und meine Untersuchung abschließen.“
Vahíd zog sich zurück und eilte zu seinem Freund ‘Azim, dem er berichtete, was bei dieser ersten Unterredung vorgefallen war und wie er sich blamiert hatte. Er war sicher, daß er seine Untersuchungen über den Glauben des Báb mit dem zweiten Interview abschließen könne. Klar hatte er seine Fragen im Kopf; sie waren diesmal ganz direkt und sollten zum Kern der Sache vorstoßen. Er wollte höflich sein, wie es ihm ‘Azim vorgeschlagen hatte, aber mit aller Festigkeit.
Als er jedoch dem Báb wieder unter die Augen trat und mit Ihm zu sprechen begann, stellte Vahíd fest, daß er selbst über Dinge redete, die überhaupt nichts mit seiner Untersuchung zu tun hatten. Alle Fragen, die er dem Báb hatte unterbreiten wollen, waren aus seinem Gedächtnis verschwunden. Später jedoch fand er zu seiner noch größeren Überraschung, daß der Báb diese vergessenen Fragen beantwortete. Er sprach mit derselben Kürze und Deutlichkeit, die schon das erstemal Vahíds Bewunderung erregt hatte,
„Ich kam mir während des ersten Teils dieser Unterredung wie betäubt vor“, berichtete er hernach. „Dann, als mir bewußt wurde, was der Báb sagte, daß Er meine ungestellten Fragen beantwortete, schreckte ich hoch. Ich war erschüttert. Aber trotzdem es mich wie mit Zauberkraft zu Ihm zog, flüsterte noch immer eine Stimme in mir: ‚Könnte das alles nicht reiner Zufall sein?‘ Ich wurde so erregt, daß ich meine Gedanken nicht mehr beisammen halten konnte. Ich konnte nicht länger bleiben. Das zweitemal bat ich Ihn, mich zurückziehen zu dürfen.“
Wieder kehrte Vahíd zu ‘Azim zurück und berichtete, was vorgefallen war. ‘Azim nahm vor dem gebildetsten seiner Landsleute kein Blatt vor den Mund:
„O wären doch alle unsere Schulen bis auf den Grund zerstört, hätte doch keiner von uns je eine besucht, wenn uns jetzt, weil wir engstirnig und eingebildet sind, unser angehäuftes Wissen von der erlösenden Gnade Gottes abhält und Ihm, dem Träger Seiner Botschaft, Schmerz verursacht.“
Vahíd gab zu, daß ihn der Stolz auf sein eigenes Wissen wie ein Vorhang
vom Báb getrennt habe. ‘Azim beschwor ihn: „Das nächste Mal gehst du in
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Demut zu Ihm, losgelöst von allem, was du in der Vergangenheit gelernt
hast. Vielleicht wird Er dich dann von deinen Zweifeln und deiner
Verwirrung befreien.“
Die dritte und letzte Unterredung hat Vahíd in aller Ausführlichkeit aufgezeichnet, nicht nur für den König und den Ministerpräsidenten, sondern auch für die Nachwelt. Er schreibt:
„Ich entschloß mich, bei meinem dritten Gespräch nicht laut nach einem Beweis Seiner Sendung zu fragen. Stattdessen wollte ich den Báb in meinem innersten Herzen bitten, einen Kommentar über ein bestimmtes Kapitel der Heiligen Schrift zu schreiben, das mich schon immer gefesselt hatte. ‚Wenn Er dies tut‘, sagte ich mir, ‚und wenn die Erklärung dem Stil und dem Wahrheitsgehalt nach über das Maß hinausgeht, was unter den Menschen üblich ist, dann würde ich Seine Wahrheit anerkennen. Ich würde sogar Seiner Sache beitreten. Wenn Er jedoch versagte, würde ich öffentlich gegen Ihn auftreten.‘
„Sobald ich aber in die Gegenwart des Báb kam, packte mich ein Gefühl der Furcht, das ich mir nicht erklären konnte. Meine Glieder zitterten, als ich Ihm ins Antlitz blickte. Ich war oft in der Gegenwart des Königs gewesen, ohne im mindesten befangen zu sein, aber jetzt war ich so verschüchtert und ergriffen, daß ich mich nicht auf den Beinen halten konnte.
„Der Báb erkannte meine Lage. Er erhob Sich von Seinem Sitz und kam auf mich zu, nahm mich bei der Hand und setzte mich an Seine Seite.
„‚Frage Mich, was immer dein Herz begehrt,‘ sagte Er, ‚Ich werde es dir gern offenbaren.‘
„Ich war hilflos. Ich hatte nicht die Kraft zu sprechen. Er sah mich an, lächelte und sprach: ‚Wenn Ich dir den Kommentar zur Súrih vom Kawthar offenbare, wirst du dann anerkennen, daß Meine Worte aus dem Geiste Gottes geboren sind? Würdest du dann erkennen, daß Meine Äußerungen nichts mit Zauberei oder Magie zu tun haben?‘
„Tränen kamen mir in die Augen, als ich Ihn diese Worte sprechen hörte. Ich konnte nur noch sagen: ‚O unser Herr, wir sind ungerecht gewesen gegen uns selbst: Wenn Du uns nicht vergibst und kein Erbarmen mit uns hast, gehören wir sicherlich zu denen, die zugrundegehen.‘“
Der Báb ließ sodann Schreibzeug und Papier kommen. Er begann, den Kommentar zu offenbaren, den Vahíd tief in seinem Herzen erfleht hatte. Nicht weniger als zweitausend Verse schrieb Er bei dieser Gelegenheit nieder. Die verblüffende Schnelligkeit, mit der sie aufgezeichnet wurden, war nicht einmal so bemerkenswert wie ihre beispiellose Schönheit und tiefe Bedeutung. Und noch überraschender für Vahíd war die Tatsache, daß die Darlegung des Báb genau das war, was er selbst nach langer Einkehr entdeckt zu haben glaubte. Er hielt sich für den einzigen, der diese verborgene Bedeutung erkannt hatte, und nie hatte er sich zu irgendwem darüber geäußert.
Vahíds Bericht über diese Unterredung gibt den Hauch des Wunderbaren
wider, den er empfand: „Wie könnte ich diese Szene unbeschreiblicher
Erhabenheit verdeutlichen? Verse strömten aus Seiner. Feder mit
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einer Geschwindigkeit, die wahrhaft verblüffend war. Die unglaubliche
Schnelligkeit Seiner Handschrift, das sanfte Murmeln Seiner Stimme, die
erstaunliche Ausdruckskraft Seines Stils — dies alles überraschte und
verwirrte mich. Auf diese Weise fuhr Er fort, bis die Abenddämmerung
hereinbrach, ohne einzuhalten, ehe der ganze Kommentar vollendet war. Dann
legte Er die Feder nieder und bat, daß Tee gebracht würde. Kurz darauf
begann Er, in meiner Gegenwart laut vorzulesen. Mein Herz schlug hoch,
als ich Ihn in unaussprechlich lieblichem Tonfall die Schätze ausbreiten
hörte, die in jener heiligen Súrih verborgen lagen.
„Ich war so berückt von ihrer Schönheit, daß ich dreimal beinahe in Ohnmacht fiel. Der Báb belebte meine schwindenden Lebensgeister, indem Er mir Rosenwasser ins Gesicht spritzte. Als Er mit Seiner Lesung zu Ende war, erhob Er Sich, um hinwegzugehen.“
Mit ‘Abdu’l-Karim verbrachte Vahíd drei Tage und drei Nächte damit, den neuoffenbarten Kommentar abzuschreiben. Sie prüften alle Prophezeiungen und Überlieferungen, die in dem Text erwähnt waren, und fanden, daß sie völlig exakt waren.
Vahíd entledigte sich der Aufgabe, die ihm der König übertragen hatte, indem er einen ausführlichen Bericht über seine Untersuchungen schrieb. Er selbst kehrte nicht in die Hauptstadt zurück, sondern begann, überall das Volk aufzurufen, den neuen Gesandten Gottes anzuerkennen.
Verfolgungen in Yazd
In der ersten Zeit der Belagerung von Tabarsí (12. Oktober 1848 bis 9. Mai 1849) eilte Vahíd nach Tihrán, wo er Vorkehrungen treffen wollte, um zu Mullá Husayn, Quddús und den anderen Belagerten zu stoßen. Er war dabei, Tihrán zu verlassen, als er hörte, es sei schon zu spät; seine Freunde seien schon gefangen oder erschlagen. So reiste er nach Qum, Káshán, Isfáhán, Ardistán und Ardikán. In jeder dieser Städte traf er seine Glaubensbrüder, deren Begeisterung er steigerte und deren Bemühungen er unterstützte. Und überall setzte er den Menschen mit Eifer und Furchtlosigkeit die wichtigsten Lehren des Báb auseinander. Es gelang ihm, eine Anzahl der fähigsten und achtbarsten Bürger für die Sache des Báb zu gewinnen. So wurde Vahíd ein Hauptziel für die Angriffe des Ministerpräsidenten und aller anderen Feinde des Báb. Dem Volk war inzwischen die Geschichte bekannt geworden, wie Vahíd im Auftrag des verstorbenen Königs und seines Ministerpräsidenten den Báb geprüft hatte, auch daß sich die beiden an das Ergebnis der Untersuchungen Vahíds hatten halten wollen, dann aber ihrem Wort untreu wurden, als sie hörten, daß Vahíd ein Anhänger des Báb geworden war.
Vahíd war ein Mann von großem Einfluß, reich und berühmt. Außer einem herrlichen Haus in Yazd, wo seine Frau und seine vier Söhne wohnten, hatte er Villen in Dáráb und Nayríz. Auch diese waren für ihre Eleganz und geschmackvolle Einrichtung weithin bekannt.
In Yazd war Vahíd am Neujahrsfest, das in diesem Jahr mit dem Tag
der Erklärung des Báb zusammenfiel7). Die Notablen von Yazd und
die wichtigsten Religionsführer kamen ihn besuchen, auch der
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Navváb-i-Raduví, Vahíds grimmigster Feind. Mißbilligend sah er die Pracht, die
Vahíd bei seinem Neujahrsempfang entfaltete, und bemerkte hämisch,
sicher sei es nicht das Neue Jahr, was er da feiere. „Die Bankette des
Königs“, sagte er, „lassen sich schwerlich mit diesem köstlichen Mahl
vergleichen. Ich habe den Verdacht, daß du außer dem Nationalfest, das
wir heute begehen, noch eines anderen Festtags gedenkst.“
Vahíds kühne, sarkastische Entgegnung rief das Gelächter der Anwesenden hervor. Sie applaudierten Vahíds kränkendem Verweis, weil sie den Geiz und die Bosheit des Navváb kannten.
Vahíd ergriff die Gelegenheit, um vorbehaltslos die Grundsätze des Bábi-Glaubens zu verkünden. Einige fühlten sich unwiderstehlich angezogen, andere aber lehnten sich innerlich dagegen auf, zumal sie außerstande waren, gegen die Verteidigung, die Vahíd seinem neuen Glauben angedeihen ließ, anzukommen. Insgeheim taten sie sich mit dem Navváb zusammen und schmiedeten Pläne, wie sie Vahíd unverzüglich vernichten wollten.
In seiner Chronik jener Tage schreibt Nicolas: „‚Lieben und sein Geheimnis verbergen, das ist unmöglich‘, sagt der Dichter ... So begann er, offen zu predigen, in den Moscheen, auf den Straßen, in den Bazaren, auf den öffentlichen Plätzen — mit einem Wort: wo immer er Zuhörer fand. Seine Begeisterung trug Früchte, die Bekehrungen waren zahlreich und aufrichtig. Die Mullá (Geistlichen) waren höchst beunruhigt und beklagten sich beim Gouverneur der Stadt heftig über diese ‚Gotteslästerung‘.“ 8)
Die Geistlichen waren sich einig darin, daß Vahíd umgebracht werden müsse. Sie verbreiteten die Geschichte von jenem Gastmahl am Neujahrstag und sagten: „Obwohl die erlauchtesten Rechtsgelehrten von Yazd unter seinen Zuhörern saßen, protestierte doch keiner auch nur mit einem Wort gegen seine Verkündigung des Bábi-Glaubens. Ihr Schweigen ist schuld an der Woge der Begeisterung, die über die ganze Stadt hinweggegangen ist. Schon liegt ihm die halbe Stadt zu Füßen, und der Rest ist nahe daran, von ihm angezogen zu werden.“
Wie ein Grasfeuer ging dieser Bericht durch die umliegenden Bezirke. Der Haß schlug hoch, aber gleichzeitig strömten Scharen interessierter Menschen aus entfernten Städten und Dörfern herbei. Sie belagerten Vahíds Haus, um die Botschaft vom Báb zu hören, und viele wurden Gläubige. „Was sollen wir als nächstes tun?“ fragten sie Vahíd. „Wie können wir die Tiefe und Aufrichtigkeit unseres Glaubens beweisen?“ Jeden Tag vom frühen Morgen bis in die späte Nacht verbrachte Vahíd damit, sie zu lehren, ihre Fragen zu beantworten und sie zu ermuntern, heimzukehren, um in ihren eigenen Dörfern zu lehren.
Vierzig Tage lang dauerte diese fieberhafte Lehrtätigkeit. Schließlich überzeugte der Navváb den Gouverneur von Yazd, daß sich die Stadt, wenn Vahíd nicht Einhalt geboten würde, in Bälde gegen die Regierung des Königs erhöbe, und daß dann ihm, dem Gouverneur, die Schuld daran zufalle. Der Gouverneur war frisch im Amt, jung und unerfahren. Tag für
- (Fortsetzung Seite 442)
Sommerschulen in ganz Europa[Bearbeiten]
Aus nah und fern kamen die Bahá’í wieder zusammen
Hunderte von Bahá’í aus nah und fern erlebten in diesem Jahr wieder lehrreiche und zugleich erholsame Tage in den europäischen Sommerschulen. In fast allen Ländern des Kontinents sowie in Skandinavien und Großbritannien vereinten sich Bahá’í in den letzten Wochen und Monaten, um gemeinsam den Glauben zu studieren und frohe Stunden in geselliger Verbundenheit zu verbringen. In Österreich kamen die Freunde schon Ende Juni wieder in dem hübsch gelegenen Alpbach in Tirol zusammen. Höhepunkt und Abschluß der Woche war für viele der Teilnehmer die Fahrt nach Frankfurt zur Einweihung des ersten europäischen Hauses der Andacht. In der Bundesrepublik fanden heuer drei Sommerschulen statt; zwei in Hustedt in der Lüneburger Heide und eine in Gauting, nicht allzu weit entfernt von München. In Hustedt lautete das Leitthema: „Der Mensch in der Entscheidung“, in Gauting saßen die Freunde unter dem Gesamtthema: „Gegenwart und Religion“ zusammen.
- *
Von der Sommerschule in Hustedt erreichte uns noch dieser Bericht:
Entsprechend dem Leitthema waren die einzelnen Themen der Bestimmung und Aufgabe des heutigen Menschen in einer veränderten Welt im Lichte der Bahá’í-Religion gewidmet. Neben geschichtlichen Darstellungen aus der Bahá’í-Religion, auch im Blick auf Verheißungen der vorausgegangenen Religionen, wurde eine Reihe von grundlegenden Lebensfragen angesprochen. So waren die Themen u.a. dem Denken und Glauben als Einheitsprinzip, dem Verhältnis von Psychologie und Religion, der Wandlung des Menschen heute und morgen, der Willensfreiheit des Menschen, dem Fragenkreis um Gotteserkenntnis, dem Selbstverständnis und der ewigen Bestimmung des Menschen gewidmet. Eine Themenfolge befaßte sich mit der Sendung des Stifters der Bahá’í-Religion, Bahá’u’lláh, Seinem Bündnis und der von Ihm geoffenbarten Weltordnung zur Einigung und Befriedung der Menschheit. Ergänzend vermittelte ein Referat die Grundlagen und Einrichtungen der schon über die ganze Erde sich entfaltenden Bahá’í-Weltgemeinde mit ihrem Weltzentrum in Haifa/Israel.
Die praktisch orientierten Themen begegneten, vor allem in einer lebhaften Aussprache, besonderem Interesse. So ging es um Kindererziehung und Eltern, religiöse Gebote und medizinische Heilmethode sowie um den Fragenkreis Gebet-Meditation-Suggestion-Hypnose.
Um auch die Bevölkerung im Raum Hustedt mit der Bahá’í-Weltreligion
bekannt zu machen, wurde ein öffentlicher Vortrag im Saal „Zum alten
Dorfkrug“ in Hustedt veranstaltet. Das Thema lautete: „Der Mensch in
der Entscheidung“. Der Redner führte überzeugend aus, daß der bedrohte
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- In Gauting war wieder das Unesco-Heim der äußere Rahmen schöner Tage.
Weltfriede nur dann auf einer unerschütterlichen Grundlage errichtet
werden kann, wenn der Mensch durch Wandlung im Sinn eines
Verantwortungsbewußtseins für das Wohl der Menschheit als Ganzes, getragen
von einer umfassenden Liebe und Dienstbereitschaft, dem Ruf Gottes
durch Bahá’u’lláh sein Herz öffnet. Der Vortrag löste unter den Zuhörern
in anschließenden Gesprächsgruppen lebhafte Erörterungen aus. Unter
den Teilnehmern war auch eine Anzahl Männer aus der Forstwirtschaft,
die an einem berufspolitischen Kurs in der Heimvolkshochschule Hustedt
teilgenommen hatte.
- Dr. Eugen Schmidt
- Die Luxemburg-Sommerschule fand in diesem Jahr in Larochette statt.
(Fortsetzung: Vahíd )
Tag drang der Navváb auf ihn ein, er solle einen Trupp Bewaffneter entsenden, die das Haus Vahíds umstellten und seinem Lehren ein Ende setzten. Letzten Endes hat doch der Ministerpräsident selbst jeden ermutigt, mit den härtesten Maßnahmen gegen die Anhänger des Báb vorzugehen, sagte der Navváb dem Gouverneur. Dieser erlag schließlich den Vorstellungen des Navváb und entsandte eine Abordnung Soldaten.
Eilig gab der Navváb seine persönlichen Weisungen an einige verkommene Subjekte, die er sich für solche Gelegenheiten bereithielt und die er nun aussandte, damit sie nach Kräften zu Vahíds Erniedrigung beitrügen.
Vahíd stand an einem Fenster im Obergeschoß seines Hauses und sprach zu seinen Freunden, die sich in großer Schar unten im Hof versammelt hatten, als ein Regiment Soldaten, gefolgt von einer gewaltigen Menschenmenge, eintraf und das Haus umstellte. Ein Diener brachte Vahíds gesatteltes Pferd, aber der beruhigte seine Freunde: Binnen kurzem würden Soldaten und Mob zerstreut werden. „Seht dieses Pferd! Es ist dasjenige, das mir der verstorbene König gegeben hat, damit ich es ritte, wenn ich meiner Aufgabe nachginge, das Wesen des Glaubens, den der Báb verkündet hat, unparteiisch zu untersuchen. Der König bat mich, ihm persönlich über meine Untersuchung zu berichten; ich sei der einzige unter den Religionsführern Tihráns, zu dem er ganzes Vertrauen hätte.
„Ich übernahm jene Aufgabe und ritt davon auf eben diesem Pferd, fest entschlossen, alles, was der Báb auch sagen mochte, zu widerlegen und meine Überlegenheit an Ihm zu beweisen, ja, Ihn zu zwingen, meine Führerschaft anzuerkennen, und Ihn dann als Zeugen meines Triumphes nach Tihrán mitzuführen.
„Als ich aber in Seine Gegenwart kam und Seine Worte hörte, trat das Gegenteil von dem ein, was ich mir vorgestellt hatte. In meiner ersten Audienz wurde ich erniedrigt, am Ende der zweiten fühlte ich mich hilflos und unwissend, und die dritte ließ mich so demütig zurück wie den Staub unter Seinen Füßen. Er wurde für mich, was Er in Wahrheit war: der Verheißene, die lebendige Verkörperung des Heiligen Geistes.“
„Seit jenem Tag sehne ich mich danach, mein Leben für Ihn hinzugeben, und ich bin glücklich, daß die Stunde hierfür rasch näherkommt.“
Vahíds Freunde bekamen es mit der Angst zu tun. Sie dachten, er spräche von dem, was unmittelbar bevorstand; denn die Soldaten und der Mob machten Anstalten anzugreifen. Aber Vahíd bat seine Gefährten, ruhig und geduldig zuzuwarten.
Kurz darauf rückte eine große Zahl bewaffneter Freunde an. Sie stürzten
sich mit solchem Mut und solcher Todesverachtung auf die Angreifer,
daß die Soldaten ihre Waffen im Stich ließen und die Flucht ergriffen; der
Mob stob hilfeschreiend in alle Richtungen davon. Vahíd sandte einen
Ausrufer durch die Straßen mit der Warnung, er würde niemand angreifen,
aber sich und sein Haus verteidigen. Nach einem zweiten Scharmützel,
bei dem sogar die Truppen des Gouverneurs in die Flucht geschlagen wurden,
wies Vahíd seine Gefährten an, sich zu zerstreuen und in Sicherheit
zu bringen. Er wußte, daß er sich in Yazd nicht länger halten konnte. Seine
Frau und die Kinder schickte er in das Haus des Schwiegervaters. Seine
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bewegliche Habe ließ er jedoch zurück. „Ich habe diese Villa gebaut“, sagte
er zu seiner Frau, „mit der einzigen Absicht, daß sie eines Tages auf dem
Pfade Gottes zerstört werden soll ... An diesem Tag werden Freund und
Feind erkennen, daß der, welcher dieses Haus besessen hat, noch einen
anderen so kostbaren Besitz sein eigen nannte, daß kein noch so
prächtiges Haus auf Erden ihm irgendetwas bedeutete, daß es für ihn zu
nichts mehr herabgesunken ist als zu einem Haufen von Knochen, dem nur die
Hunde nachlaufen.“
Aufbruch nach Nayríz
Mitten in der Nacht sammelte Vahíd die Schriften des Báb, die er besaß, und übergab sie seinem Diener Hasan. Er beschrieb ihm den Weg zu einer Stelle vor dem Stadttor, wo er ihn treffen wollte, und schärfte ihm ein, sich genau an seine Anweisungen zu halten, weil sie sich sonst nicht wiedersehen würden. Hasan ritt davon. Unterwegs hörte er die Rufe der Stadtwachen. In Furcht, diese könnten ihn gefangennehmen und die kostbaren Manuskripte an sich bringen, schlug er einen Weg ein, den er für sicherer hielt. Aber plötzlich stand er den Wächtern gegenüber. „Dort reitet Vahíds Diener!“ riefen sie, eröffneten das Feuer, schossen sein Pferd zusammen und fingen ihn ein.
Inzwischen war Vahíd sicher aus der Stadt entronnen. Kaum hatten sie das bemerkt, stürmten seine Feinde unter der Führung des Navváb in sein Haus, plünderten es völlig aus und zerstörten es bis auf den Grund.
Vahíd ging zu Fuß in Richtung Nayríz. Gegen Morgengrauen erreichte er ein Dorf, in dem einer seiner Brüder lebte, betrat dessen Anwesen aber nicht, sondern lagerte im nahen Gebirge. Der Bruder sandte ihm Pferde und Proviant. Kurz darauf kam ein Trupp Soldaten auf der Suche nach Vahíd, durchsuchte das Haus des Bruders und plünderte es vor Wut, Vahíd nicht gefunden zu haben, um dann enttäuscht nach Yazd zurückzukehren.
Der Navváb war über die Flucht Vahíds erleichtert. An der Verfolgung beteiligte er sich nicht; das wäre ihm zu gefährlich gewesen. Stattdessen tat er, was zugleich praktischer, sicherer und gewinnbringender war: Er ließ alle in der Stadt, die er für Bábí hielt, gefangennehmen, foltern und umbringen, um mit ihren Besitztümern Kisten und Kasten zu füllen.
Auch an Hasan, dem Diener Vahíds, ließen die Beamten und Soldaten ihre Wut aus. „Bindet ihn mit dem Rücken vor eine Kanonenmündung!“ befahl ein Offizier. Hasan flehte: „Nein, tut mir das nicht an!“ Der Offizier freute sich, daß es ihm so leicht werden sollte, den Diener zum Widerruf seines Glaubens zu bringen. Der aber sagte: „Bindet mich lieber mit dem Gesicht zur Kanone fest, damit ich sehen kann, wie sie abgefeuert wird.“
Auf dem ganzen Weg nach Nayríz setzte Vahíd seine Lehrbemühungen
fort. So oft er sein Lager aufschlug, ging er als erstes in den benachbarten
Ort, um dort die Menschen zusammenzurufen und ihnen die „frohe Botschaft“
vom Kommen des Báb zu bringen. In dem Bergdorf Bavánát nahm
der Ortsgeistliche, Hájí Siyyid Ismá’il, den Glauben an. Unermüdlich
pflegte Vahíd die ganze Nacht hindurch zu lehren, wo immer er
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Aufnahmebereitschaft fand. Wenn sich aber keiner erhob, seinen Glauben zu
bekunden oder weitere Fragen zu stellen, verließ Vahíd das Dorf sofort.
Als sich die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft Vahíds in Nayríz herumsprach, zogen ihm die Bürger in Scharen entgegen, um ihn willkommen zu heißen. Der Gouverneur verbot dies und warnte die Leute vor der Gefahr für ihr Leben und ihren Besitz. Die meisten verließen die Stadt deshalb bei Nacht. Als das dem Gouverneur zu Ohren kam, sandte er ihnen einen Boten nach: „Ihr werdet hingerichtet werden, wenn ihr Vahíd irgendeine Form der Huldigung entgegenbringt. Ich lasse es nicht zu, daß sich seine Siege von Yazd in Nayríz wiederholen.“ Aber keiner hörte auf diese Warnung. So entschloß sich der Gouverneur, in der Folge besonders scharf vorzugehen, um sein Prestige zu wahren.
Bevor Vahíd sein Haus aufsuchte, begab er sich in Nayríz in die nächstgelegene Moschee, um dort zu den Versammelten zu sprechen. Er rief sie auf, sich zum Báb zu bekennen. Noch in verstaubter Reisekleidung, bestieg er die Kanzel und sprach mit solcher Beredsamkeit, daß die ganze Versammlung wie elektrisiert war. Vahíd wartete, bis sich die erste Woge der Begeisterung gelegt hatte. „Meine einzige Absicht, weswegen ich nach Nayríz gekommen bin, ist, die Sache Gottes zu verkünden. Ich preise Ihn und danke Ihm, daß Er es mir verstattet hat, eure Herzen mit Seiner Botschaft zu rühren.“ Nicht weniger als tausend Menschen aus seiner Nachbarschaft und weitere fünfhundert aus den anderen Stadtteilen von Nayríz erklärten spontan ihren Glauben an den Báb. „Ich brauche nicht länger in eurer Mitte zu bleiben“, rief Vahíd der Menge zu. „Mein Werk ist getan, und wenn ich meinen Aufenthalt ausdehne, fürchte ich, der Gouverneur wird euch um meinetwillen schlecht behandeln.“ Das Volk erwiderte: „Wir ergeben uns in den Willen Gottes. Möge Er uns die Kraft geben, den Schicksalsschlägen zu begegnen, die uns befallen mögen. Aber wir können uns nicht damit abfinden, daß du uns so hastig und unvermittelt verläßt.“
Vahíd fügte sich ihren Wünschen und war damit einverstanden, ein paar Tage länger in Nayríz zu bleiben. Eine Menschenmenge geleitete ihn zu seinem Haus.
- (Fortsetzung und Schluß in Nr. 19 der „Bahá’í-Briefe“)
- —————
Nach William Sears, „Release the Sun“, Wilmette/Ill. 1960, Kap. 7 und 16 (leicht gekürzt); Copyright by the National Spiritual Assembly of the Bahá’ís of the United States.
- 1) Comte de Gobineau, „Les Religions et les Philosophies dans l’Asie Centrale“, S. 122.
- 2) dto., S. 120.
- 3) dto., S. 120—122.
- 4) Journal Asiatique, 1866, Band 8, S. 251.
- 5) Vahíd trug den bürgerlichen Namen Siyyid Yahyáy-i-Dárábí.
- 6) Vgl. A. L. M. Nicolas, „Siyyid ‘Alí-Muhammad dit le Báb“, S. 273, und Nabíl, „The Dawn Breakers“, S. 171.
- 7) Die mit dem Báb zusammenhängenden Feste werden bislang nach dem islámischen Mondkalender bestimmt, so daß sie jedes Jahr auf einen anderen Tag des Sonnenkalenders fallen, nach welchem die nichtreligiösen Feste wie das Neujahrsfest (21. März) gefeiert werden.
- Navváb bedeutet „Hoheit“ (hebr. Nabob).
- 8) Nicolas, a.a.O., S. 390.
Was sagt die Wissenschaft über die Bahá’í-Religion? (III)
Die Bahá’í[Bearbeiten]
Bahá’í = Anhänger der neuen Religion, die von Bahá’u’lláh
begründet wurde und deren Vorläufer nach den Bahá’í-Lehren der Báb
war. Später war die höchste Autorität der Bahá’í-Religion und ihr
Verbreiter in Europa und Amerika ‘Abbas Effendi, der älteste Sohn des
Begründers, der den Bahá’í unter dem Namen ‘Abdu’l-Bahá
(„Diener Bahás“) bekannt ist. Geboren am 23. Mai 1844 in Tihrán, begleitete
er seinen Vater auf dessen Reisen und ins Exil und wurde nach dessen Tod
(1892) von der überwiegenden Mehrheit der Bahá’í als der bevollmächtigte
Ausleger und Erklärer der Schriften seines Vaters, als Mittelpunkt des
Bündnisses und als „Beispiel der Bahá’í-Lebensführung“ entsprechend
dem letzten Willen Bahá’u’lláhs (Kitáb-i-‘Ahd) anerkannt; dieser letzte
Wille wurde jedoch von ‘Abdu’l-Bahás Bruder Muhammad ‘Alí angefochten,
der eine rivalisierende Gruppe innerhalb der Bahá’í-Organisation um
sich scharte und es fertig brachte, seinen Bruder bei den ottomanischen
Behörden, die den Bahá’í feindlich gesinnt waren, zu kompromittieren.
‘Abdu’l-Bahá wurde 1908 aus dem Gefängnis entlassen, und zwar unter
der Amnestie, die von der neuen ottomanischen Regierung der Jungtürken
gewährt wurde. 1910 begann er seine drei großen Lehrreisen, die erste
nach Ägypten (1910), die zweite nach Europa (Paris und London 1911), die
dritte nach Amerika und Europa (1912—13). Von New York reiste er acht
Monate lang durch die ganzen Vereinigten Staaten bis Los Angeles und
San Francisco, wobei er in den wichtigsten Städten Station machte und in
evangelischen Kirchen, Synagogen, Freimaurerlogen usw. Ansprachen
hielt. Im September 1912 kam er nach Europa zurück, von England aus
wiederum nach Paris, dann nach Deutschland, Österreich und Ungarn.
Schließlich kehrte er Ende 1913 über Paris nach Palästina heim. Die erste
Bahá’í-Gruppe in Amerika hatte sich bereits 1894 gebildet, und am
10. Dezember 1898 kamen die ersten amerikanischen Bahá’í-Pilger in ‘Akká an.
‘Abdu’l-Bahás Reisen, deren Nebenzweck es gewesen war, der Propaganda
der Anhänger seines Bruders zu begegnen, stärkten die Gemeinde der
amerikanischen Gläubigen beträchtlich. Darüber hinaus bildeten sich
Bahá’í-Gruppen in den europäischen Ländern, durch die ‘Abdu’l-Bahá
kam. 1920 schlug ihn die britische Regierung zum Ritter des Ordens des
Britischen Empires. Er starb am 28. November 1921 in Haifa und fand
seine letzte Ruhestätte neben dem Báb in dem großen Mausoleum, das 1957
fertiggestellt wurde. In seinem letzten Willen ernannte er Shoghi Effendi,
seinen ältesten Enkel (den ältesten Sohn seiner ältesten Tochter) zum
„Hüter der Sache Gottes“ (Valíy-i-Amru’lláh). Shoghi Effendi, der am
3. November 1957 starb, war gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Haifa
geboren worden. Er studierte in Oxford und heiratete 1936 die
Amerikanerin Mary Maxwell, die den Namen Rúhíyyih Khánum annahm. Von 1923
an lebte er in Haifa in Israel, dem Weltverwaltungszentrum des Glaubens.
[Seite 446]
Die Bahá’í-Religion, die den Anspruch erhebt, (in der Methode) „wissenschaftlich“ und undogmatisch zu sein, weist klarer definierte theologische, philosophische und soziale Lehrsätze und Andachtsformen auf, als sich manche Orientalisten denken. Ich gebe diese Lehren in Kürze auf der Grundlage der Quellen wieder, die in der Bibliographie erwähnt sind.
Religiöse Lehren
1. Gott. Eine völlig transzendente und unerkennbare Wesenheit. „Jeder Zugang zu Ihm ist versperrt.“ Die Bahá’í sind Gegner eines mystischen Pantheismus. Die Mystiker haben nur ihren eigenen Vorstellungen Ausdruck verliehen. „Selbst die erhabensten Seelen und die reinsten Herzen, wie hoch sie sich auch in den Reichen der Wissenschaft und der Mystik emporschwingen mögen, können niemals über das hinausgehen, was in ihnen selbst erschaffen wurde“ (Lawh-i-Salmán).
2. Schöpfung. Das unerforschliche Wesen Gottes macht sich offenbar und erschafft das, was nicht Gott ist. Die Bahá’í-Idee vom Anbeginn der Dinge fällt zwischen diejenige der Schöpfung und die der Emanation. Wir könnten von „ewiger Schöpfung“ sprechen in Anbetracht dessen, daß die Bahá’í-Texte den Ausdruck „Khalq“ (Schöpfung) beibehalten, aber gleichzeitig ausführen, es habe nie eine Zeit gegeben, in der die Schöpfung nicht existierte, da das Attribut „Kháliq“ (Schöpfer) so ewig ist wie Gott Selbst. Folglich ist die Welt ewig (Lawh-i-Hikmat = Tablet der Weisheit).
3. Eine besondere Form der Offenbarung Gottes ist das, was in den
Propheten zum Ausdruck kommt. (Der terminus technicus der Bahá’í
ist „Mazáhir-i-iláhiyyih“, göttliche Manifestationen, anstelle von „Rusul“
oder „Anbiyá“). Deshalb wird der Gedanke des „Hulúl“, der Inkarnation
im vollen Sinne des Wortes, abgelehnt. In diesem Zusammenhang ist der
Brief Bahá’u’lláhs an Násiri’d-Dín Sháh (Lawh-i-Sultán) wie auch das
Kitábu’l-Shaykh (Brief an den Sohn des Wolfes) besonders aufschlußreich,
worin er sein eigenes mystisches Erlebnis im Gefängnis des Siyáh-Chál in
Tihrán beschreibt. Der Prophet hat zwei verschiedene Seinsweisen: Er ist
ein Mensch, aber auch ein überaus klarer Spiegel, in dem sich Gott
spiegelt. So ist es in einem bestimmten Sinn nicht falsch, ihn in der Art
einer Abkürzung Gott zu nennen. Die Stufe eines solchen Wesens, die man
„prophetisch“ nennen könnte, unterscheidet sich grundlegend von der des
Menschen; sie liegt zwischen der menschlichen und der göttlichen. Nach
den Bahá’í-Lehren kann kein Mensch, so vollkommen er auch werden mag,
die prophetische Stufe (oder besser: die der „Manifestation“) erlangen,
genausowenig wie ein Tier, so vollkommen es in seiner Art sein mag, nach
der menschlichen Stufe trachten könnte. Die Offenbarung Gottes durch die
Propheten hört nie auf. Die göttlichen Manifestationen sind fortschreitend.
Der erste (bekannte) Prophet ist Adam; dann kommen die überlieferten
Propheten des Judentums, Christentums und Islams. Zarathustra und
Buddha werden ebenfalls als wahre Propheten angesehen, während Konfuzius
mehr als ein großer Meister des Geisteslebens betrachtet wird. Nach
Muhammad kommen der Báb (den die Bahá’í als eine wahre, unabhängige
Manifestation Gottes anerkennen, deren eigentliche Sendung nur neun
[Seite 447]
Jahre dauerte) und Bahá’u’lláh. Die Bahá’í glauben, daß nach ihm weitere
Propheten kommen werden, die sich auf höhere Abschnitte des menschlichen
Fortschritts einstellen werden, aber „nicht vor Ablauf eines Jahrtausends“
(Aqdas). Die prophetischen Perioden werden in größeren Zyklen
zueinandergeordnet; mit dem Báb endet der Zyklus, der mit Adam begann,
und der Bahá’í-Zyklus beginnt. Er währt nach den Lehren mindestens
500 000 Jahre.
Es ist demnach ungenau, die Bahá’í-Religion als synkretistisch anzusehen. Wenn sie auch alle prophetischen Religionen als dem Wesen nach wahr annimmt, beansprucht sie doch, die beste für die heutige Zeit zu sein und in sich alle vorangegangenen Religionen zu begreifen.
4. Der Mensch. Die Bahá’í-Psychologie ist recht vielgestaltig. ‘Abdu’l-Bahá (Mufávidat = Beantwortete Fragen) unterscheidet fünf Typen des „Geistes“: Pflanzengeist, Tiergeist, menschlicher Geist, Geist des Glaubens und den Heiligen Geist. Der Geist des Glaubens ist von Gott gegeben; nur dieser Geist des Glaubens verleiht dem menschlichen Geist wahres „ewiges Leben“. (Man ist demnach weit entfernt von einer rein philosophischen Auffassung der Unsterblichkeit der Seele.) „Glauben“ ist wesentlich im geistigen Leben der Bahá’í. Der erste Vers des Aqdas lautet: „Das erste Gebot Gottes für seine Diener ist die Erkenntnis des Morgens Seiner Offenbarung und des Tagesanbruchs Seines Geheißes (das heißt des Propheten), der Sein erwählter Vertreter in der Welt der Schöpfung ist. Wer diese Erkenntnis erlangt, hat alles Gute erlangt. Wer nicht darum weiß, befindet sich in der Welt des Irrtums, auch wenn er alle (guten) Werke tut.“ Der Glaube an Gott (der, da Gott der Definition nach unerforschlich ist, nur Glaube an Seine Manifestation, den Propheten, sein kann), verleiht dem Gläubigen Unsterblichkeit. In den Welten des Jenseits setzt der Gläubige seine ewige Reise hin zu dem unerforschlichen Wesen Gottes fort. (Übermäßige Beschäftigung der Bahá’í mit diesen Welten wird abgeraten; es ist ihnen ausdrücklich verboten, an spiritistischen Sitzungen teilzunehmen). Paradies und Hölle sind Symbole, deren erstes für den Weg des wahren Gläubigen zu Gott steht, während das zweite den ergebnislosen Pfad zur Nichtswerdung desjenigen kennzeichnet, der wissentlich den Glauben verwirft und Böses tut. Unter dem Eindruck dieser fortschrittlichen Auffassung von der jenseitigen Welt ist es den Bahá’í gestattet — und es wird ihnen ans Herz gelegt — für die Verstorbenen zu beten. Der Gedanke der Reinkarnation in dieser Welt wird mit Bestimmtheit verworfen.
Sittliche und soziale Grundsätze
Die Bahá’í anerkennen den alten Ausspruch, der ‘Alí zugeschrieben wird:
„Alle privaten Angelegenheiten gehören der menschlichen Sphäre an, alle
gesellschaftlichen der göttlichen.“ So liegt die besondere Betonung in den
Bahá’í-Lehren auf der Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft,
ein Ziel, das die vornehmste Aufgabe der Verwaltungseinrichtungen der
Bahá’í-Welt ist.
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Die sittlichen und sozialen Lehren der Bahá’í stellte ‘Abdu’l-Bahá unter die folgenden zwölf Stichworte:
1. Einheit der Menschheit
2. die Notwendigkeit des selbständigen Forschens nach Wahrheit
3. die wesentliche Einheit aller Religionen
4. die Bedeutung der Religion für die Förderung der Einheit
5. Wissenschaft und Religion müssen im Einklang miteinander sein
6. gleiche Rechte und Pflichten für beide Geschlechter
7. Widerstand gegen jede Art von Vorurteilen
8. Errichtung des Weltfriedens
9. die Verpflichtung der Sorge für umfassende bildende Erziehung, die jedermann zugänglich ist
10. die Lösung der sozialen Frage auf religiöser Grundlage, wobei die Extreme übermäßigen Reichtums und entwürdigender Armut abzuschaffen sind
11. Einführung einer Welthilfssprache
12. Errichtung eines Weltschiedsgerichtshofes.
Die Verwaltungs- und Organisationsformen, die wir im folgenden kurz
beschreiben, dienen nach Ansicht der Bahá’í der Verwirklichung dieser
Ziele:
Die Bahá’í-Religion kennt kein öffentliches Ritual, keine Sakramente oder private Verrichtungen sakralen Charakters. Die einzigen religiösen Pflichten der Bahá’í sind:
1. sich alle 19 Tage am ersten Tag jedes Bábí-Monats (der Kalender des Báb wurde von Bahá’u’lláh übernommen) zu einem Gemeindefest zu versammeln, das von den westlichen Bahá’í „Neunzehntagefest“ und von den Persern „Diyáfat-i-rúz-i-núnzdahum“ genannt wird. Es besteht aus der Lesung von Gebeten und heiligen Texten (auch von Stellen aus der Bibel, dem Qur’án und anderen heiligen Schriften, wenn es gewünscht wird). Darauf folgen Beratungen mehr administrativen Charakters, in denen die finanziellen Angelegenheiten der Gemeinde durchgesprochen werden, wichtige Bekanntmachungen erfolgen usw. Schließlich wird gemeinsam ein kleines Mahl eingenommen, „selbst wenn es nicht mehr ist als ein Glas Wasser“, nach dem Gebot des Báb;
2. 19 Tage lang zu fasten, das heißt während des ganzen Bábí-Monats ‘Alá, vom 2. bis zum 21. März, dem Bahá’í-Neujahrstag. Dieses Fasten ist islamischer Art und erfordert die Enthaltsamkeit von Speise und Trank von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang;
3. völlige Enthaltsamkeit von allen alkoholischen Getränken zu üben;
4. einmal zur Mittagsstunde oder dreimal am Morgen, Mittag und Abend
zu beten, nach kurzen, festgesetzten Texten. Die Pflichtgebete (von
Bahá’u’lláh in Arabisch aufgezeichnet) können in jeder beliebigen
Sprache gesprochen werden. Einem davon gehen Waschungen voraus,
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die aber viel einfacher als die islamischen Waschungen sind und nur
aus dem Reinigen von Gesicht und Händen, verbunden mit zwei recht
kurzen Gebeten, bestehen.
Darüber hinaus stellt das Aqdas genaue Regeln für die Erbverteilung auf (ein Teil des Erbes fällt an die Schule), erhebt eine Steuer von 19 % auf das (über den Lebensunterhalt hinausgehende) Einkommen und enthält zahlreiche weitere Bestimmungen sowie strafrechtliche, bürgerliche und religiöse Gesetze, die (zur Zeit) erst teilweise von den östlichen Bahá’í befolgt werden. Es herrscht Einehe; das Aqdas gestattet zwar, zwei Frauen zu ehelichen, aber diese Vorkehrung wurde von ‘Adu’l-Bahá (dem „Beispiel des Bahá’í-Lebens“, auf Grund einer ausdrücklichen Erklärung Bahá’u’lláhs) gestrichen. Damit eine Ehe gültig wird, ist die Zustimmung der Eltern des Paares erforderlich. Die Scheidung ist erlaubt, wird aber mißbilligt.
Die leitenden Körperschaften der Bahá’í-Gemeinschaft sind von zweierlei Art, administrativ und lehrend. Der erste Typ baut auf gewählten Räten auf, der zweite auf Personen und Vereinigungen, die von oben ernannt werden. Beide Arten kulminieren im Universalen Haus der Gerechtigkeit (s.u.) und im Hütertum. Die administrativen Körperschaften sind die folgenden:
1. der örtliche Geistige Rat (Baytu’l-‘Adl-i-Mahalli). Er wird überall dort gebildet, wo es wenigstens neun Bahá’í gibt, und besteht aus neun Mitgliedern, die durch allgemeine geheime Wahl bestimmt werden. Die Wahl wird als gottesdienstliche Handlung angesehen, und im Gegensatz zu den Wahlgrundsätzen der parlamentarischen Demokratien bringt die Bahá’í-Auffassung keine Verantwortlichkeit der Gewählten ihren Wählern gegenüber mit sich, da beide lediglich Werkzeuge des Willens Gottes sind. Die Wahlen werden alljährlich zwischen 21. April und 2. Mai (Ridván-Fest) durchgeführt.
2. Wo eine genügende Anzahl örtlicher Räte ist, wählt eine gleichfalls durch allgemeine Wahl bestimmte „Nationaltagung“ von 19 Abgeordneten oder einem Vielfachen davon den Nationalen Geistigen Rat (Baytu’l-‘Adl-i-Milli oder -Markazí), der ebenfalls aus neun Mitgliedern besteht, die nicht notwendigerweise alle aus der Abgeordnetenversammlung hervorgehen müssen.
3. Wenn genügend viele Nationale Räte gebildet sein werden, werden deren
Mitglieder einen universalen Geistigen Rat wählen, nicht notwendigerweise
aus ihrer Mitte, sondern aus den Reihen aller Anhänger.
Dieser Rat wird sich Baytu’l-‘Adl-i-‘Umúmí, Universales Haus der Gerechtigkeit,
nennen1)). Sein Vorsitzender wird kraft seines Amtes und
für die Dauer seines Lebens der Hüter sein. Das Universale Haus der
Gerechtigkeit wird die Aufgaben einer höchsten administrativen und
rechtsprechenden Körperschaft wahrnehmen und darüber hinaus nach
den zeitbedingten Erfordernissen Gesetze geben, die nicht vom Begründer
im Aqdas oder in seinen anderen Schriften niedergelegt sind. Diese
Gesetze kann es, wenn erforderlich, wieder aufheben.
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Seite an Seite mit diesen durch Wahl bestimmten administrativen Systemen, die sich von unten nach oben aufbauen, besteht das Lehrtätigkeits-System, das von oben ausgeht und aus ernannten Mitgliedern besteht. An seiner Spitze steht der Hüter, dessen Amtsgewalt jedoch nur im Bereich der Auslegung, nicht in dem der Gesetzgebung liegt. Die Macht der Gesetzgebung hat er nur als ordentliches Mitglied des Universalen Hauses der Gerechtigkeit auf derselben Grundlage wie die anderen Mitglieder. Die Stellung des Hüters ist erblich, aber sein ältester Sohn muß nicht notwendigerweise als Nachfolger bestimmt werden. Er benennt seinen Nachfolger zu seinen Lebzeiten aus den Mitgliedern seiner Familie. Dem Hüter unmittelbar nachgeordnet sind die „Hände der Sache Gottes“ (Ayádíy-i-Amru’lláh, von denen er eine beliebige Anzahl ernennt. Die „Hände der Sache“ wählen aus ihrer Mitte einen Rat von neun Mitgliedern, dessen Aufgabe es ist, den Hüter zu unterstützen und seine Wahl des Nachfolgers zu bestätigen. Andererseits benennen sie ihre eigenen „Hilfsamtsmitglieder“, die sie bei ihrer Aufgabe der Unterweisung und der Verbreitung der Lehren und des Geistes des Glaubens unterstützen.
Die Bahá’í sind der Auffassung, daß dieses vielgestaltige Verwaltungssystem göttlichen Ursprungs ist. Tatsächlich ist dieses System in seinen Grundzügen im Aqdas angelegt; es enthält Zusätze und Verbesserungen durch ‘Abdu’I-Bahá und, was die Ernennung von Helfern der Hände der Sache angeht, von Shoghi Effendi. Für die Bahá’í ist dieses System nicht nur ein Werkzeug für die interne Verwaltung ihrer Gemeinschaftsangelegenheiten, sondern der Prototyp einer idealen Weltregierung der Zukunft, die schließlich nach einem langen Prozeß friedlicher Entwicklung entstehen soll. Die Bahá’í akzeptieren nicht die Trennung von Kirche und Staat, sondern sind der Ansicht, der Bahá’í-Zusammenschluß von Religion und Verwaltung werde, da es ja keine Priester und Sakramente gebe, einen Charakter annehmen, der sich von demjenigen der überkommenen Theokratien wesentlich unterscheidet. Jedem Bahá’í ist es dementsprechend ausdrücklich verboten, einer politischen Partei oder einer Geheimgesellschaft anzugehören, und der Gehorsam der rechtmäßigen Obrigkeit gegenüber ist zur Pflicht gemacht. Da die Bahá’í-Religion einen starken pazifistischen Zug hat, sind die Mitglieder der Bahá’í-Gemeinschaft angehalten, wenigstens in den Ländern, die die Freistellung vom Waffendienst aus Gewissensgründen gesetzlich zulassen, diese zu erwirken. Wir könnten auch von einem starken Zug zum Vegetarismus sprechen, der sich auf eine kurze Ansprache ‘Abdu’l-Bahás während seines Aufenthalts in Amerika gründet, worin er zum Ausdruck bringt, ihm liege die Entwicklung einer Lebensweise nahe, die es nicht länger nötig mache, andere Lebewesen um der Nahrung willen zu töten; aber er würde niemanden zwingen, seiner Ansicht beizupflichten. Er äußert sich auch kritisch über die Jagd. Er warnt eindringlich vor dem Rauchen, ohne es jedoch formal zu verbieten.
Wennschon die Bahá’í keine festgesetzte öffentliche Form der Anbetung
kennen, empfiehlt das Aqdas die Errichtung von Mashriqu’l-Adhkár (wörtlich
„Aufgangsorte der Anbetung Gottes“), einer Art Tempel-Rundbauten
mit neun Eingängen, überhöht von einer Kuppel, die den gläubigen Menschen
aller Bekenntnisse zum Gebet offen stehen sollen, wann immer sie
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es wünschen. ‘Abdu’l-Bahá betont, daß jedem Tempel eine Hochschule für
die Unterrichtung in den verschiedenen Wissenschaften, ein Krankenhaus,
ein Waisenhaus, eine Armenapotheke und andere gemeinnützige Einrichtungen
zuzuordnen sind. Am 10. Mai 1912 legte er selbst den Grundstein
zum Mashriqu’l-Adhkár in Wilmette (Illinois) an den Ufern des Michigansees
bei Chikago. Dieses eindrucksvolle Bauwerk kostete über zwei Millionen
Dollar und wurde im Juni 1953 in Gegenwart der Gattin des Hüters
offiziell eingeweiht. Schon lange zuvor war 1902 ein weiterer
Mashriqu’l-Adhkár in ‘Ishqábád im heutigen Sowjetisch-Turkmenistan
errichtet worden, aber wir haben keine genauen Nachrichten über den
gegenwärtigen Zustand dieses Bauwerks2). Andere Bahá’í-Bauten
sind die Haziratu’l-Quds (wörtlich „Gehege der Heiligkeit“),
Verwaltungszentren ohne sakralen Charakter, und schließlich die
Grabmäler der Begründer, die sich alle im Weltzentrum des Glaubens
beim Berg Karmel in Israel befinden.
Es ist sehr schwierig, Angaben über die Zahl der bekennenden Bahá’í in ihren Gemeinden in den verschiedenen Ländern der Welt zu machen. Das Kernland ist Persien, wo mannigfache Schätzungen ihrer Anzahl von über einer Million bis auf etwa 500 000 abweichen. In der Stadt Tihrán gibt es etwa 30000. Sodann folgen die Vereinigten Staaten von Amerika (etwa 10 000) und in Europa Deutschland (1 000). Die Bahá’í in anderen Ländern können nach Hunderten gezählt werden3).
Bibliographie:
Außer den unter „Bahá’u’lláh“ aufgeführten Werken (vgl. „BAHA’I-BRIEFE“
Heft 16, S. 401) siehe über 'Abdu'l-Bahá:S. Lemaître, „Une
grande figure de l’Unité, ‘Abdu’l-Bahá“, Paris 1952; M. H. Phelps, „Life
and teaching of Abbas Effendi“, London 1912 (deutsche Übersetzung:
„Abdu’l-Baha Abbas, Leben und Lehre“, Stuttgart 1922); Lady Blomfield, „The
Chosen Highway“, London 1940; M. Hanford Ford, „The Oriental Rose, or
the Teachings of Abdul Baha“, New York 1910. Bericht über seine Reise
nach Europa und Amerika: Mahmúd Zarqání, „Kitáb Badá’i’ul-Athár fi
Asfár Mawlá’ul-Akhyár...“, Bombay 1912-1914 (2 Bände). Seine Hauptwerke:
„Makátib-i-'Abdu'l-Bahá“, Cairo 1910-1921 (3 Bände); „Al-Núral-Abhá fi
Mufávidát Hadrat ‘Abdu’l-Bahá“ (Aufzeichnung von Gesprächen, gesammelt
von Laura Clifford Barney in ‘Akká), Cairo 1920, (Englische Übersetzung
von L. Clifford Barney, „Some answered questions“, London 1908;
französische Übersetzung von I. Dreyfus, „Les Leçons de Saint Jean d’Acre“,
Paris 1929, deutsch: „Beantwortete Fragen“, Frankfurt 1962);
„Khitabát-i-Mubárakay-i-Hadrat-i-'Abdu'l-Bahá dar Awrúpá va
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Amríká“, Tihrán 99 B.E./1942 (englisch: „The Promulgation of Universal
Peace“, Chicago 1917—23/1943); „Al-Risála al-Madaníyyih“, Cairo 1329/
1911 (von ‘Abdu’l-Bahá vor 1292/1875 niedergeschrieben, englisch von
Marzieh Gail, „The Secret of Divine Civilization“, Wilmette/Ill. 1957, deutsch
auszugsweise in „BAHA’I-BRIEFE“, S. 92—163); „Javáb-i-Prúfissúr-i-Almání
Dr. Forel“ (Antwort an Prof. Forel), Cairo 1922 (deutsch in
„BAHA’I-BRIEPE“, S. 5 ff); „Paris Talks“ (deutsch: „Ansprachen in Paris“,
Frankfurt); „Alváh va Vasáyáy-i-Mubárakay-i-Hadrat-i-'Abdu'l-Bahá“,
Cairo 1342/1924 (wichtig im Hinblick auf die Frage der Nachfolge). Anthologien:
„Tablets of ‘Abdu’l-Bahá“, Ed. Windust, New York 1930 (3 Bände);
„The Wisdom of ‘Abdu’l-Bahá“, New York 1924; „‘Abdu’l-Bahá on Divine
Philosophy“, Ed. Chamberlain, Boston 1918; „Selected Writings of 'Abdu'l-Bahá“,
Wilmette 1942.
Von den Werken Shoghi Effendis, der in Englisch so gut wie in Arabisch oder Persisch schrieb, ist das bedeutendste in englischer Sprache „God passes by“, Wilmette 1945 (deutsch: „Gott geht vorüber“, Frankfurt 1954). Bemerkenswert für seinen reichen und eleganten persisch-arabischen Stil ist das „Lawh-i-Qarn“, Bombay o.J., ein Brief, der aus Anlaß der ersten Jahrhundertfeier der Begründung des Glaubens (1944) an die Bahá’í des Ostens gesandt wurde.
Über die Bahá’í-Lehren: J. E. Esslemont, „Bahá’u’lláh and the New Era“, London 1923 (mit zahlreichen erweiterten Auflagen, deutsch: „Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter“, Frankfurt 1963); R. Jockel, „Die Glaubenslehren der Bahá’í-Religion“, Darmstadt 1951 (vervielfältigte Dissertation, enthält eine überaus umfangreiche Bibiliographie orientalischer und westlicher Werke); Abu’l-Fadá’il Gulpaygání (oder Abu’l-Fadl Jarfádhqání) hat interessante und anregende Auseinandersetzungen in Arabisch und Persisch verfaßt; hier ist zu erwähnen: „Al-Hujaj al-Bahíyyih“ (Cairo 1343/1925 (englische Übersetzung von ‘Alí Qulí Khán, „The Bahá’í Proofs“); „Majmú’ay-i-Rasá’il“, Cairo 1339/1920.
Das „Má’iday-i-Asmáni“, Tihrán 104 B. E./1947 (6 Bände) ist eine ausgedehnte Anthologie der Lehrschriften der Begründer des Glaubens.
Viele Statistiken und Nachrichten aus dem Leben der Bahá’í-Gemeinschaft auf der ganzen Welt sind in dem kostspielig ausgestatteten, in Amerika herausgegebenen Jahrbuch „The Bahá’í World“ (12 Bände seit 1925) enthalten.
- Prof. Dr. A. Bausani, Rom
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Vom Verfasser durchgesehene Übersetzung aus „Encyclopaedia of Islam“, New Edition, Leyden/London seit 1954, S. 915 ff, mit freundlicher Genehmigung der Verlage.
- 1) Das Universale Haus der Gerechtigkeit wurde 1963 gebildet.
- 2) Nach neueren Meldungen wurde das Haus der Andacht in 'Ishqábád abgerissen, nachdem es durch ein Erdbeben baufällig geworden war. 1961 wurden Häuser der Andacht in Kampala (Uganda) und Sydney (Australien), 1964 in Langenhain bei Frankfurt eingeweiht.
- 3) Durch die neuere Entwicklung in Lateinamerika, Afrika, Indien und Südostasien sind die Zahlenangaben überholt.
Die „BAHA’I-BRIEFE“ werden vierteljährlich herausgegeben vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Deutschland e. V., 6 Frankfurt, Westendstraße 24. Alle namentlich gezeichneten Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion dar.
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