Tempora/Nummer 7/Text

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TEMPORA

Nr. 7




AGENDA 21


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INHALT



5 . . . Curitiba - Entwicklung andersherum

11 . . . Two Wings und das Capstone Projekt in Zambia

12 . . . Aachen Agenda 21 - Zupacken statt Zugucken

16 . . . Kunst verbindet Völker

18 . . . Von gegenseitigen Vorbehalten zur win-win Kooperation -

Die Rolle der Privatwirtschaft im Lokal Agenda-Prozess

21 . . . Einbahnstraße - ein Gedicht

22 . . . Welche Chancen verbergen sich in der Lokalen Agenda?

26 . . . Mahatma Gandhi und das SWRC-Barefoot College

32 . . . Lesezeit - Grameen-Bank

Buchbesprechung

34 . . . TERRA - One World Network

Die Wende kommt aus der Globalen Zivilgesellschaft

38 . . . Heidelberg - Unterwegs zur Nachhaltigkeit

41 . . . Die Rolle der Beratung auf dem Weg zur Zukunftsfähigkeit

44 . . . Women of the World - Frauen der Welt

ein Song zur Agenda 21

45 . . . Zeitblende



TEMPORA

Nr. 7 - Dezember 2000


Die Globalisierung unseres Planeten erfordert in allen Bereichen ein gänzlich neues Denken und Handeln. TEMPORA beschäftigt sich auf dem Hintergrund der Bahá’í—Lehren mit aktuellen Zeitfragen und möchte durch Gedankenimpulse die Entwicklung zu einer geeinten Welt fördern.


Herausgeber

Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in
Deutschland e.V., Eppsteiner Str. 89
65719 Hofheim-Langenhain


Redaktion

Elena Afscharian, Roland Greis, Wolfram Enders, Karl Türke jun., Michael Willems


Redaktionsanschrift

Redaktion TEMPORA
Eppsteiner Str. 89
D-65719 Hofheim
E—Mail: tempora@bahai.de


Layout

Michael Willems


Lithografie

AWI-Design, Krefeld


Druck

Druckservice Reyhani, Darmstadt


Vertrieb und Bestellungen

Bahá’í—Verlag
Eppsteiner Str. 89
D-65719 Hofheim
Tel. 06192/2 29 21
Fax 06192/2 29 36
E—Mail: info@bahai-verlag.de

TEMPORA erscheint halbjährlich.

Abonnementpreis für vier Ausgaben

DM 35,- Einzelpreis DM 9,80.



Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt die Redaktion keine Haftung. Die Redaktion behält sich sinnbewahrende Kürzungen und Änderungen der Beiträge vor. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.


© Bahá’í-Verlag GmbH 2000

ISSN 1433-2078


Gedruckt auf umweltschonendem Papier.


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Editorial


Wenn selbst ein in Umweltfragen sehr engagierter Politiker auf die Frage nach dem Stellenwert der AGENDA 21 eingesteht, dass er bisher einfach nicht die Zeit hatte, sich damit auseinanderzusetzen, scheint es der Redaktion - trotz aller Präsenz dieses Begriffes in den Medien - angebracht, diesem Thema, das seit der Konferenz von Rio 1992 ins öffentliche Bewusstsein rückte, eine Ausgabe von TEMPORA zu widmen.

Die unter Leitung von Willy Brandt erarbeiteten Ergebnisse der Nord-Süd-Kommission und der 1987 von der Weltkommission für Entwicklung und Umwelt vorgelegte Brundtland-Bericht gelten als Wegbereiter der Konferenz von Rio. Klassisch geworden ist die im letzteren vorgenommene Definition der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development): „Unter dauerhafter Entwicklung verstehen wir eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden....“

Die Themen, über die auf der Weltkonferenz 1992 in Rio beraten wurde, haben sich in folgenden - allerdings völkerrechtlich nicht verbindlichen - Dokumenten und Beschlüssen niedergeschlagen:


Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung (Rio-Deklaration)
AGENDA 21
Biodiversitätskonvention (Artenschutz)
Klima-Rahmenschutzkonvention
Walderklärung

Die größte Aufmerksamkeit hat seither die AGENDA 21 erfahren. Mit diesem Aktionsprogramm wollte man „die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorbereiten.“ Die Rio-Deklaration postuliert eine Reihe von Prinzipien und Dimensionen „nachhaltiger Entwicklung“, von denen wohl das ausging, was man heute gerne als den „Geist von Rio“ bezeichnet. So z.B.:

▪ Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur.
▪ Das Recht auf Entwicklung muss so erfüllt werden, dass den Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen heutiger und künftiger Generationen in gerechter Weise entsprochen wird.
▪ Frieden, Entwicklung und Umweltschutz sind voneinander abhängig und untrennbar.

Auf Einladung der UNO versammelten sich 1992 Politiker, Abgesandte lokaler Behörden, Vertreter von Wissenschaft und Wirtschaft, und eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern aus vielen Ländern, vorwiegend Mitglieder von „Nichtregierungsorganisationen“ (NRO's). Auch wenn NRO's sich in den unterschiedlichsten Bereichen engagieren, teilen sie die gemeinsame Überzeugung, dass viele der rasant zunehmeden ökologischen und sozialen Krisen über alle Ländergrenzen hinweg nur noch in globaler Partnerschaft zu bewältigen sind. Somit bot der „Erdgipfel“ die einmalige historische Chance, in eine qualitativ neue Form der internationalen Zusammenarbeit einzusteigen.

Auf rund 300 Seiten und in 40 Kapiteln beschreibt die AGENDA 21 die vordringlichen Herausforderungen des anstehenden 21. Jahrhunderts. Die vier Themenbereiche sind:

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▪ Soziale und wirtschaftliche Entwicklung
▪ Erhaltung und Umgang mit den Ressourcen der Erde
▪ Stärkung bedeutender Gruppen, z.B. Frauen, Kinder und Jugendliche, Eingeborene etc.
▪ Instrumente der Durchführung


Das Dokument ruft die Unterzeichnerstaaten dazu auf, nationale Strategien zur nachhaltigen Entwicklung zu erarbeiten.

Wenn man das Dokument von Rio hinsichtlich eines grundlegenden Wandels des Entwicklungsbegriffes studiert, wird man feststellen, dass die entscheidenden Industrienationen ihre nationalen Interessen in vielen elementaren Bereichen noch gewahrt haben. Schon im Vorfeld war abzusehen, dass die federführenden Staaten des Nordens kaum zu Konzessionen bereit waren, weder was die Reduktion des Treibhausgases CO2 betraf, noch im Hinblick auf den Artenschutz und erst recht nicht in der Frage einer gerechteren Unterstützung der (Entwicklungs-) Länder „des Südens“.

Aufgrund des globalen Ansatzes bleibt die Agenda 21 in vielen Bereichen sehr vage und beschreibt vorwiegend was zu tun ist, weniger wie die Absichtserklärungen in die Tat umgesetzt werden könnten. Zwar wird auch beschrieben, was auf Regierungsebene getan werden sollte, aber die Hauptverantwortung in den überlebenswichtigen Fragen wird an die Gemeinden und Kommunen und damit an die Bürgerinnen und Bürger jedes Landes delegiert: „Da viele der in der Agenda angesprochenen Probleme und Lösungen auf Aktivitäten auf der örtlichen Ebene zurückzuführen sind, ist die Beteiligung und Mitwirkung ein entscheidender Faktor bei der Verwirklichung der in der Agenda enthaltenen Ziele“ (Kapitel 28). Die Übertragung der Verantwortung für die lokale „nachhaltige Entwicklung“ an die Menschen der Städte und Gemeinden wurde unter dem Begriff „LOKALE AGENDA 21“ gebündelt.

Rückblickend mag man sich wundern, dass trotz der „heißen Luft“ über Rio das Anliegen auf fruchtbaren Boden gefallen ist, trotz - oder vielleicht gerade wegen? - der Reserviertheit der nationalen Regierungen. Zwar zögerlich, aber es bildeten sich auf der lokalen Ebene immer mehr Initiativen, Foren, Runde Tische mit dem Ziel der Umsetzung der Agenda 21. So scheint es, dass der „Geist von Rio“ bei immer mehr verantwortungsbewussten Bürgern und Bürgerinnen auf fruchtbaren Boden fällt.

Dass im Bewusstsein vieler die AGENDA 21 vor allem auf ökologische Programme reduziert wird, mag damit zusammenhängen, dass sich anfangs vorwiegend in der Umweltbewegung engagierte Bürger und Bürgerinnen angesprochen fühlten. Die grenzüberschreitenden Auswirkungen nationaler ökologischer Probleme (Luft, Wasser, Landwirtschaft etc.) waren bereits Ende der 80er Jahre offensichtlich und nicht mehr zu leugnen. Vor diesem Hintergrund lag es für viele Umweltaktivisten nahe, die in der AGENDA 21 enthaltenen Möglichkeiten und Chancen aufzugreifen und global denkend lokal zu handeln. Die immer einfacheren Möglichkeiten, über Ländergrenzen hinweg via Internet zu kommunizieren, erleichterten den NRO’s den Austausch und erhöhten damit ihre Effektivität, was in der Öffentlichkeit ihren Niederschlag fand.

Wie oben angeführt, stehen in der AGENDA 21 neben dem Schutz und der Erhaltung der Umwelt zwei weitere gleichgewichtige Leitgedanken: soziale und wirtschaftliche Entwicklung, sowie die Stärkung von bedeutenden Gruppen (z.B. Frauen, Kinder und Jugendliche, Eingeborene etc.). Auf diesen Gebieten wurde und wird bisher bei weitem nicht so intensiv gearbeitet, wie es in der Deklaration vorgesehen ist. Wenn man die Auflistung verschiedener lokaler Agenden studiert, sieht man daher, dass ökologische Fragestellungen den weitaus größten Anteil bilden. Das Interesse an diesem Problemkreis bei vielen Bürgern und Bürgerinnen ist wichtig und erfreulich, aber es ist dringend erforderlich, dass andere in der Agenda angeführten Bereiche ebensolche Aufmerksamkeit erfahren.

Der Gedanke, dass Probleme in einem Konsultationsprozess besser gelöst werden können als durch Konfrontation, findet seine Entsprechung in den Bahá’í-Schriften, ebenso wie der Gedanke des Weltbürgertums (Einheit der Menschheit) und die Notwendigkeit, bisher benachteiligten Gruppen (Frauen, Kindern, ethnischen Minderheiten) eine besondere Förderung zukommen zu lassen.

Von außerordentlicher Bedeutung im Gesamtzusammenhang der AGENDA 21 ist die Frage, wie die zaghaften ersten Schritte einiger weniger (in Relation zur Erdbevölkerung) so forciert bzw. multipliziert werden können, dass eine für alle Menschen zukunftsfähige Entwicklung angebahnt werden kann. Einen kleinen Beitrag hoffen wir mit dieser Ausgabe zu leisten.


Die Redaktion


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Curitiba[Bearbeiten]

Entwicklung andersherum


Curitiba ist die Hauptstadt des brasilianischen Staates Paraná. Seit 1950 wuchs die Bevölkerung rapide auf heute 1,5 Millionen an. Dennoch gelang es der Metropole, das zu vermeiden, was das unausweichliche Schicksal so vieler Millionenstädte des Südens zu sein scheint. Eine sehr bewusst an der Umwelt orientierte Entwicklungspolitik verhinderte seit 1990 weitgehend eine Polarisierung der Stadt in einen privilegierten Wohn- und Verwaltungsteil und von Slums überquellende Armenviertel.

Bereits vor der Konferenz in Rio de Janeiro im Jahre 1992 hatte Curitiba erste Grundlagen für eine umwelt- und sozialverträgliche kommunale Entwicklung geschaffen. Heute, acht Jahre danach, gilt die Stadt unter Kennern als ein weltweit herausragendes Beispiel zukunftsfähiger, an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierter Planung.

Hier ist gelungen, was Politiker in anderen Teilen der Welt noch immer für eine unerreichbare Utopie halten: Eine Großstadt praktisch ohne Arbeitslose und Kriminalität, eine Stadt, in der öffentliche Verkehrsmittel zu Preisen, die für jeden erschwinglich sind, im 1-2 Minuten-Takt fahren, eine Stadt, in der industrielle Entwicklung, traditionelles, an der Landwirtschaft ausgerichtetes Gewerbe und die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung in Einklang gebracht werden.

Der Schlüssel zu diesem Erfolg liegt in der Erkenntnis, dass die Bildung der Bevölkerung und eine an ethischen Werten orientierte Planung die Grundlage für eine Stadtentwicklung im Sinne der Bürger sind.

Sehr früh hatten die Verantwortlichen hier auf Dezentralisierung und Bürgerbeteiligung gesetzt. Ohne Dezentralisierung ist weder effektive Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung der Infrastruktur noch eine sozial verträgliche Stadtplanung möglich. Nur durch die Beteiligung der Bürger an vorbereitenden Beratungsprozessen lassen sich Fehlplanungen vermeiden und das Kräftepotential und Wissen der Bewohner sinnvoll nutzen, ohne die es keine nachhaltige Entwicklung gibt. Nur so entsteht langfristig Akzeptanz politischer Entscheidungen und ein Klima sozialer Kooperation und Verantwortlichkeit. Während man in sogenannten entwickelten Ländern noch immer von der materialistischen These ausgeht, die Wirtschaft liefere die Grundlage für kulturelles Wachstum, weist das Beispiel Curitibas in eine andere Richtung: Die kulturellen Möglichkeiten einer Bevölkerung, ihr Bildungsstand und ihr Zugriff auf Wissen haben einen entscheidenden Einfluss auf die wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung.

Ein Vergleich mit Städten wie Hamburg und München lässt erahnen, wie weit Curitiba in diesem Sinne vorausgeeilt ist. Hamburg verfügt bei einer Einwohnerzahl von 1,7 Millionen über 10 Bibliotheken und Bücherhallen, München hat bei 1,3 Millionen Einwohnern 18 Bibliotheken. Die Hälfte davon sind aber jeweils zentrale Einrichtungen oder Spezialbibliotheken und nicht für die breite Öffentlichkeit zugänglich.


Curitiba (1,5 Mill.) hat demgegenüber 28 öffentliche Büchereien und 30 Bibliothek-Leuchttürme, die die Bedeutung der Bildung symbolkräftig weithin sichtbar verkünden, sowie 73 Kulturzentren.

Die entscheidende Bedeutung der Bildung für die Entwicklung Curitibas wird daran deutlich, dass die Stadt flächendeckend Bildungsprojekte aufgebaut hat, die jeden heranwachsenden Bürger mit dem erforderlichen Umweltwissen versorgen und gleichzeitig durch dessen praktische Anwendung auf Stadtteilebene soziale Erfahrungen ermöglichen.

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1. DIE FREIE UMWELT-UNIVERSITÄT UNILIVRE

Ausgehend von der Erfahrung, dass die Lösung städtischer Entwicklungsprobleme, vor allem der mit der Umwelt verbundenen, nur durch eine volle Beteiligung der betroffenen Bevölkerung erreicht werden kann, gründete der Stadtrat im Juni 1981 UNILIVRE mit dem Ziel, diese Institution allen Bürgern, Technikern und Fachleuten zugänglich zu machen. Später wurde das Projekt in eine nicht profitorientierte Gesellschaft verwandelt.

UNILIVRE organisiert Kurse, Seminare, Technikertreffen, Veröffentlichungen und Veranstaltungen, die durch die Verbreitung ökologischer Prinzipien und sozialethischer Grundsätze und Wertvorstellungen das Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung entwickeln helfen. Dabei werden ständig die neuesten pädagogischen Kenntnisse und Methoden berücksichtigt. Gleichzeitig fasst die Universität die im Umweltmanagement gemachten Erfahrungen systematisch zusammen und stellt sie als Datenbank weltweit zur Verfügung. Die Arbeit von UNILIVRE hat inzwischen nicht nur in anderen Teilen Brasiliens, sondern auch in Argentinien, Portugal und Costa Rica zur Gründung ähnlicher Einrichtungen geführt.

Die Wirksamkeit der entwickelten Methoden konnte dadurch auch unter anderen Bedingungen erfolgreich überprüft werden.


2. SEIT 1990 EXISTIERT EIN UMWELTPROGRAMM FÜR DIE JUGEND

Durch Freizeitaktivitäten in den Bereichen künstlerische Bildung, Gemüseanbau, Gartenbau, Kompostierung, Gesundheit, Ernährung und Handwerk werden Kindern und Jugendlichen umweltgerechte Einstellungen und Gewohnheiten vermittelt. Die Kinder lernen hier frühzeitig, wie man die Umweltbedingungen verbessert, gleichzeitig werden Hygienegewohnheiten angeeignet. Die Produkte der eigenen Arbeit dienen zur Verbesserung der Ernährung oder werden verkauft. Die Aktivitäten werden mit den Kommunen koordiniert und die Kinder erfahren Befriedigung und Anerkennung durch eine Tätigkeit, die sowohl ihnen selbst als auch der Gemeinschaft Nutzen bringt. Außerdem werden sie auf diese Weise von der Straße geholt und vor dem Schicksal vieler Straßenkinder Südamerikas bewahrt.


3. EIN UMWELTARBEITSPROGRAMM

Dieses Programm setzt diese Aktivitäten für 14-17jährige fort. In diesem Alter erhalten die Jugendlichen parallel zum verpflichtenden Schulbesuch eine Ausbildung zum Gärtner, Verkäufer oder Umweltfachmann. Auf diese Weise verhindert die Stadt Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalität und sorgt dafür, dass jeder Jugendliche frühzeitig soziale Verantwortung in Bezug auf Umwelt und Kommune entwickelt. Die Schüler-Lehrlinge erhalten für einen vierstündigen Arbeitstag einen Lohn in Höhe des halben gesetzlichen Mindestgehalts plus einer Mahlzeit.


4. LEHRERFORTBILDUNG FÜR UMWELTERZIEHUNG

Seit 1996 gibt es dieses Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, neue kreative Methoden zu entwickeln, mit denen das Verständnis der Schüler für Umweltfragen geweckt werden kann. Dabei werden die Grüngürtel der Stadt für spielerische und praktische Aktivitäten genutzt, durch die die Bedeutung der grünen Lungen der Stadt für die Schüler erfahrbar gemacht wird. Das Projekt ermutigt Lehrer unterschiedlicher Fachgebiete zu interdisziplinärem Erfahrungsaustausch und ist mit Einheiten von jeweils 4 Stunden auf deren Arbeitsbelastung zugeschnitten.


5. PRAXISORIENTIERTE UMWELTERZIEHUNG

Sie beginnt in Curitiba in den Grundschulen und ist Gegenstand des Lehrplans aller Fächer. Durch den fächerübergreifenden Ansatz wird der enge Zusammenhang zwischen Umwelterziehung, politischer und sozialer Bildung für die Schüler erkennbar. Die Unterrichtsaktivitäten [Seite 7] werden ergänzt durch Gespräche mit Spezialisten des städtischen Umweltamtes, die mit den Kindern Landschaftsgestaltung und das Anlegen von Gemüsegärten praktisch üben. Außerdem werden Führungen durch die städtischen Grünanlagen und Camping-Aktivitäten in den Iguacu Naturschutzpark durchgeführt. Jede Woche übernachten 40 Kinder dort, erleben Freizeitaktivitäten und werden über die einheimische Flora und Fauna und Sicherheitsvorkehrungen im Wald informiert, besuchen den Zoo, Obstgärten und die Ausbildungsgärten der Stadt, die für den lokalen Markt produzieren. Das Programm erfasst auch die Privatschulen, so dass alle Grundschüler der Stadt frühzeitig eine Basisausbildung an ökologischen und sozialen Grundkenntnissen erhalten.

Abgesehen von den Bildungsprojekten gibt es 6 weitere Bereiche der Stadtentwicklung, in denen Curitiba Maßstäbe setzt.


1. Das WASSER IST LEBEN - PROJEKT

Das SOS-Projekt „Wasser ist Leben“ verfolgt das Ziel, am Beispiel des Bacacheri-Flusses, der durch Curitiba fließt und zum toten Gewässer geworden war, das Bewusstsein für die Bedeutung des Wassers zu wecken und Maßnahmen zu seiner Regeneration einzuleiten. Eine Nichtregierungsorganisation, die XAMA-Gesellschaft, begann das Projektmit einem offenen Brief, in dem der Fluss die Bevölkerung um Rettung bat. Als nächster Schritt wurden Texte, Bücher, Videos und andere Informationsmaterialien über Wasser für die Schulen entwickelt. Projektleiter besuchten sämtliche Schulen und erklärten die Bedeutung des Flusses für das Wohlergehen der Kommune. Kinder wurden aufgefordert, die älteren Bewohner aufzusuchen und die Geschichte des Flusses zu erforschen, der einmal als öffentliche Badeanstalt genutzt wurde. Die Arbeitsergebnisse präsentierte man in Form von meditativen Texten, Gedichten, Plakaten, Modellen, Zeitungen, Musik-, Theater- und Musical-Aufführungen. Das „Jornal Verde“ (Grüne Zeitung) wurde als Publikationsorgan der XAMA-Gesellschaft gegründet.


Von Anfang an bezog man die Bevölkerung in das Projekt ein. Öffentliche Veranstaltungen und Ausflüge zu den Quellen des Flusses wurden organisiert, wo man das Wasser noch trinken konnte. Das machte auf viele einen nachhaltigen Eindruck, denn der Fluss floss zu der Zeit als unerträglich stinkender Abwasserkanal durch die Stadt.

Die Untersuchungsarbeit brachte zu Tage, dass es der Kommune vor allem an einem Abwasserkanalsystem und an einem Müllentsorgungssystem mangelte. Offene Abwasserrinnen, Exkremente, die in den Fluss geleitet wurden, fehlende Hausbauplanung, das Abholzen von Waldgebieten und das Zuschütten von Tälern und Wasserquellen wurden als Ursachen der Verschmutzung erkannt.

Nachdem die Stadtverwaltung zunächst Maßnahmen verzögert hatte, wurde 1995 ein Management-Komitee für das Flussgebiet gegründet, in dem Vertreter der Schulen, der Wohnbezirke, der Verwaltung, der Regierung und Bürger nach Lösungen zu suchen begannen. Seitdem wurde eine Reihe von Projektvorschlägen ausgearbeitet und in Angriff genommen. Man erkannte, dass vor Eingriffen in die Umwelt zunächst die Folgen wissenschaftlich untersucht werden müssen. Die Bedeutung natürlicher Flussverläufe für die Überflutungsvorbeugung wurde nachgewiesen, die Notwendigkeit der Reinigung des Flusses und die Bedeutung der Waldgebiete und des Quellenschutzes aufgezeigt.

Anfang 1997 startete ein kommunales Selbsthilfeprojekt zur Wiederaufforstung im Flussgebiet. Das Konzept beruhte auf der Einsicht, dass der Schutz der Natur nur über die Erziehung der Bevölkerung zu erreichen ist. Die Menschen müssen zunächst verstehen, dass sie ein abhängiger Teil der Natur sind. Im Laufe der Arbeit erkannte man, dass ohne die Vermittlung von Grundwerten weder kommunale Projekte noch die Persönlichkeitsbildung der Akteure möglich ist. Daraufhin widmete man der Verbreitung ethischer Wertvorstellungen an den Schulen besondere Aufmerksamkeit. Ehrlichkeit, Zusammenarbeit, gegenseitige Unterstützung, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit, all diese Tugenden wurden in Zusammenhang mit dem Wasserprojekt vermittelt. Die entscheidenden Lehren dieses Projekts waren folgende:

- Ohne Beteiligung der Bürger einer Gemeinde kann kein kommunales Großprojekt, vor allem kein Umweltprojekt gelingen. Regierungsprojekte, die von oben aufgepfropft werden, bleiben oberflächlich und scheitern in der Regel langfristig am mangelnden Engagement der Bevölkerung.

- Der Zustand der Umwelt spiegelt unmittelbar den inneren Zustand der Menschen wider. Deren [Seite 8] Erziehung ist daher das Entscheidende. Menschliche Beziehungen und emotionaler Austausch sind wesentlich, stärken den sozialen Zusammenhalt und das Verantwortungsgefühl und werden zur Kraftquelle einer nachhaltigen Entwicklung.

- Die technische Ausstattung spielt eine sekundäre Rolle.


Seit 1997 entwickelt die XAMA-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Universität von Parana ein Projekt für den Schutz der Wasserressourcen mit dem Ziel, die vorhandenen Quellen zu katalogisieren, in Stand zu setzen und zu kontrollieren, um sie als Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu erhalten.


2. ÖFFENTLICHE VERKEHRSMITTEL

Curitiba verfügt über eines der fortschrittlichsten Transportsysteme der Welt, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Bevölkerung und nicht primär am Profitinteresse der Betreiber orientiert. Ein dichtes Verkehrsnetz, bestehend aus U-Bahnen, Bussen und Gelenkbussen ermöglicht es den Kunden, zu einem erschwinglichen Einheitspreis beliebige Strecken zu befahren. Es versorgt in Form von Endlosschleifen das gesamte Stadtgebiet von 700 qkm, ermöglicht das Umsteigen auf verschiedene Verkehrsmittel, erspart aufgrund der einfachen Preisgestaltung 18% der üblichen Betriebskosten und seinen Benutzern täglich bis zu einer Stunde Fahrzeit, denn die Verkehrsmittel fahren im 1-2 Minuten-Takt.

Auf diese Weise reduziert die Kommune die Verschmutzung durch Abgase erheblich und spart 25% an Brennstoffen ein. Die Betriebskosten werden vollständig aus dem Fahrpreis bezahlt. Das Transportsystem erhält keine Zuschüsse und ist damit ein Beispiel dafür, dass durch eine intelligente, an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Verkehrsplanung das ständige Anwachsen des motorisierten Individualverkehrs vermieden werden kann. Damit ist Curitiba hinsichtlich der Verkehrspolitik ein Beispiel auch für die hochindustrialisierten Länder.

Es ist geplant, das Verkehrssystem von bisher 5 auf 12 der wichtigsten Curitiba umgebenden Städte auszuweiten.


3. ABFALL-MANAGEMENT

Die Grundlage für eine wirksame Abfallverwertung bildet die Einsicht der Bevölkerung in den Sinn eines solchen Systems. Durch eine intensive Öffentlichkeitskampagne wurden zunächst die Einwohner ermutigt, den Hausmüll zu trennen. Man erkannte, dass ein Drittel aller Feststoffe recyclebar war. 40 Tonnen dieses Materials werden täglich von Spezialfahrzeugen eingesammelt. Der größte Teil davon wird an private Unternehmen als Rohstoff verkauft. Der Rest geht an die Wohlfahrtseinrichtungen der Stadt, wo er weiter verarbeitet wird. Alle Einkünfte aus dem Verkauf des wieder verwertbaren Materials erhalten die Wohlfahrtseinrichtungen.

Ehemalige Müllsammler, die in anderen Städten Südamerikas auf den Müllhalden nach verwertbarem Material für das eigene Überleben suchen, wurden in Kooperativen organisiert, erhielten eine entsprechende Ausrüstung und konnten so ihr Einkommen verdreifachen. Zusätzlich dazu richtete Curitiba ein Abfall-Kauf-System ein, mit dem Ziel, Hausmüll aus schwer zugänglichen Gebieten einzusammeln. 44 Gemeinden, die in ein spezielles Umwelterziehungsprogramm eingebunden sind, nehmen daran teil. Abfallwagen wurden aufgestellt und jeden zweiten Tag entleert. Für den gesammelten Müll werden die Einwohner bezahlt und erhalten für einen Teil der Summe Gemüse und Obst. Der Tauschwert richtet sich nach den Kosten, die eine normale Müllabfuhr verursacht.

Ein Nebeneffekt dieser Maßnahmen ist der, dass gerade die ärmere Bevölkerung durch die Müllentsorgung ihr Einkommen und ihre Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln verbessern kann.

Darüber hinaus gibt es ein GRÜNTAUSCH-Programm, das die arme Bevölkerung ermutigt, gezielt Abfall zu sortieren und gegen Nahrungsmittel zu tauschen. Für etwa 5 Kilo wieder verwertbaren Müll bekommt man einen Korb mit Gemüse und Obst. Der gesammelte Müll wird zu Depots transportiert und dort weiterverkauft. Mit den daraus gewonnenen Einnahmen kauft die Stadt Naturalien, die wiederum gegen gesammelten Abfall ausgegeben werden. In den Schulen tauscht man Abfall gegen Schulmaterial.

Das System bringt Gewinn in alle Richtungen, denn durch den Austausch von Müll gegen Naturalien unterstützt die Stadt auch Kleinbauern, deren Ernteüberschüsse [Seite 9] aufgekauft und mehrfach nutzbringend verwendet werden.


4. GESUNDE ERNÄHRUNG

Seit 1995 veranstaltet Curitiba samstags einen biologisch-organischen Wochenmarkt. Die Kriterien für die Produktion und den Verkauf der Naturprodukte werden von der Gesellschaft für organische Landwirtschaft streng kontrolliert. Gleichzeitig bietet die Organisation technische Hilfe und Beratung für die Produktion und Vermarktung an. Für kleine Bauern bedeutet das Programm eine echte Alternative zum üblichen Anbau, denn die Herstellungskosten sinken durch den Verzicht auf Pestizide und künstliche Düngemittel drastisch. Ebenso werden Gesundheitsrisiken und Umweltbelastungen dadurch erheblich reduziert.

Bis heute sind 200 Kleinbauern in das Programm eingebunden. Sie werden von Agraringenieuren regelmäßig besucht und erzielen gute Preise für ihre Waren. Aber auch die Verbraucher profitieren von der Initiative. Sie erhalten Obst und Gemüse in garantierter Spitzenqualität zu einem günstigen Preis, da keine Zwischenhändler eingeschaltet sind, und die Konsumenten können den Produzenten ihre Wünsche direkt mitteilen. Der Erfolg des Projekts lässt eine Ausweitung in Zukunft erwarten.


5. STEUERPOLITIK

Seit 1992 hat der Staat Paraná eine ökologische Ausgleichssteuer in Kraft gesetzt, die 5% des Steueraufkommens den Städten zurückerstattet, die Parks, Waldbestände oder Wasserschutzgebiete unterhalten. Dadurch bekommen die Städte eine Kompensation dafür, dass sie keine Fabriken errichten, die Umweltverschmutzung oder Entwaldung verursachen. Das Motto der Steuergesetzgebung lautet: Wer die Umwelt schützt, gewinnt, wer dies nicht tut, verliert. Zur Bestimmung des Umfangs der natürlichen Ressourcen wird ein Umweltqualitätsindex benutzt, was die Gemeinden ermutigt, ihre Umweltschutzmaßnahmen zu erweitern. Wenn Zerstörung festgestellt wird, führt das zur Verringerung der ökologischen Steuererstattung. Bis 1997 hatten bereits 166 von 399 Gemeinden des Staates von diesem Programm profitiert, die ein Gebiet von 150.000 qkm und 55% der Versorgung der Stadtbevölkerung abdecken.

Das Ergebnis dieses Steuergesetzes war, dass die Qualität des Grundwassers und der gesamten Umwelt sich um 75% verbesserte. Die Fläche des geschützten Gebietes wuchs sprunghaft um 800%, gleichzeitig die Qualität der Umweltschutzmaßnahmen. In 5 Jahren hat das Steuerprojekt bessere Ergebnisse erzielt als in 60 Jahren durch herkömmliche Schutzmaßnahmen erreicht werden konnten. Andere Bundesstaaten und Länder haben bereits ihr Interesse an der Einführung ähnlicher Methoden gezeigt.


6. INITIATIVEN PRIVATER GESELLSCHAFTEN

Eine private Wirtschaftsgesellschaft gründete 1990 die O Boticario-Naturschutz-Stiftung, die aus den Gewinnen des Unternehmens gespeist wird und jedes Jahr Prämien für Projekte vergibt, die der Erhaltung der Natur dienen. Davon sind drei Bereiche betroffen: Erhaltungsmaßnahmen, Forschung und Schutz der Grünflächen bzw. des Wildbestandes. Von Nichtregierungsorganisationen betriebene Naturschutzeinrichtungen werden so ermutigt und unterstützt, wobei vor allem Rückzugsgebiete der Tierwelt und private Naturreservate berücksichtigt werden.

Forschungsprojekte, die der Erhaltung des Lebensraums bedrohter Ureinwohner, dem Artenschutz und der Erhaltung der Ökosysteme dienen, werden finanziert, Wiederaufforstung und die Rückgewinnung von Ökosystemen unterstützt, an denen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen beteiligt sind.

Außerdem ist die Gesellschaft bahnbrechend im Recycling-Management tätig und verschenkt jährlich 80.000 aus den wiedergewonnenen Materialien hergestellte Schulausrüstungen an bedürftige Schüler. Im Schulbereich gründet die Gesellschaft [Seite 10]



Curitiba „erfahren“

Ein Erlebnisbericht von Vania E. Prais Heimbucher

Curitiba ist die Hauptstadt von Paraná/Brasilien und als eine sehr innovative Stadt bekannt. Hier wurde die erste Fußgängerzone Brasiliens geschaffen, die erste „24 Stundenstraße“ und die ersten Fahrradwege. Curitiba sucht Mittel die Probleme ihrer Einwohner zu lösen und eine lebenswertere Welt zu schaffen.

Ein Beispiel ist ihr hervorragendes Verkehrssystem.

Mit 1 Real (bras. Währung), ca. DM 1,20, kann man durch ganz Curitiba fahren. Es gibt Busse alle 4 Minuten, die „ligeirinho“ (kleinerschneller) heißen, mit denen man bis zu dem nächsten Schnellbus-Terminal fahren kann. Dort ist es möglich den Bus zu wechseln ohne extra zahlen zu müssen. So erreicht Curitiba, dass viele Autofahrer freiwillig ihre Autos zu Hause lassen und lieber zur Arbeit, Schule oder Einkauf mit dem „ligeirinho" fahren.

Es gibt in der Nähe von Schulen besondere Regelungen, um Staus und Unfälle zu vermeiden. Lastwagen dürfen viele Straßen während der Arbeitszeit nicht benutzen. Die Ampeln sind so synchronisiert, dass die Busse Vorfahrt und die Autofahrer mehrere Rotphasen nacheinander haben, und es gibt viele Radarkontrollen. Die Folge ist: weniger Verkehr, weniger Unfälle.

Außerdem ist Curitiba weltweit bekannt als ökologische Stadt. Die UNO empfiehlt 16 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner, und hier sind es 52. Es ist einer der höchsten Werte der Welt, Es gibt viele Parks und Wälder, wie z.B. den Botanischen Garten mit 240.000 qm, einem außergewöhnlichen Glasgebäude, mit Tropenpflanzen aus ganz Brasilien in einer Umgebung voller Blumenbeete, Teiche und Naturwald. Und das mitten in der Großstadt. Diese Gelände werden von 40 Jugendlichen gepflegt. Sie gehören zum „PIA Projekt“, das 3.500 arbeitslosen Jugendlichen verschiedene Aufgaben bietet, von Kunstarbeit bis Umwelterziehung. Die Jugendlichen sind stolz auf diese Arbeit und erlernen einen Beruf.

Andere Beispiele sind der traumhaft schöne Tangu Park, der Barigui Park mit 1,4 Millionen qm See, Fahrradwegen und Museum, der „Deutsche Wald“, der dem Andenken an die deutschen Einwanderer gewidmet ist, und der „Papst Johannes Paul II Wald“ - eine Hommage an die polnischen Einwanderer.

Der Zoo umfasst ein riesiges Gelände, ist sehr tiergerecht und beherbergt 80 verschiedene Tierarten und ein großes Stück Naturwald.

Der Tingui Park - eine Erinnerung an die Einwanderer aus der Ukraine.

Curitiba hat die einzige Freie Umwelthochschule der Welt.

Die „Torre das Merces“ ist der höchste Punkt der Stadt, und von dort erkennt man, warum sie als „Öko-Stadt“ bekannt ist.

Eine andere Überraschung sind die „Leuchttürme des Wissens", öffentliche Bibliotheken, die tagsüber für Kinder und Erwachsene geöffnet sind und Hilfe bei Hausaufgaben bieten oder einfach aus Wissbegier benutzt werden. Es gibt 14 solcher Türme in der Stadt. Sie sind dem berühmten Leuchtturm und der Bibliothek des antiken Alexandria nachgebaut. Jeder, der eine gute Idee hat, kann sie an das „Amt für öffentliche Kommunikation“ weitergeben. Dieses sorgt dafür, dass die Bürger über die Entwicklung der Stadt mitbestimmen.

Curitiba hat auch seltsame Szenarien zu bieten, wie z.B. Leute, die mit einer riesigen Handkarre durch die Stadt gehen, um Müll zu sammeln. Der Müll kann dann gegen Lebensmittel, Schulhefte, Spielzeuge, Fahrkarten u.a. eingetauscht werden. Ein Fahrradteil z.B. ist 2 Bananenbüschel wert. Manche trennen den recyclebaren Müll und erhalten Geld dafür.

So wird gleichzeitig das Leben vieler armer Familien verbessert.

Diese Stadt hat eine hervorragende Umgebung. Sie ist von 100 km Atlantischen Regenwaldes und steilen Bergen umgeben. Der Weg nach Paranagu ist unbeschreiblich: Wasserfälle, Höhlen, Urwald und Tiere.

Curitiba hat 74 Museen, 24 Theater, 77 Bibliotheken, 94,5% der Einwohner sind alphabetisiert, und die Kindersterblichkeit beträgt 15,7% je 1000 Geburten.

Dies und andere Gründe machen diesen Ort zu einer besonders lebenswerten Stadt.



Partnerschaften mit den Medien, um Umwelterhaltungskonzepte publik zu machen. Eine Reihe von Veröffentlichungen über die Umweltgesetzgebung in Curitiba, den Vogelschutz und die Meeressäugetiere Brasiliens und den ökologischen Schutz wurden ebenfalls finanziert.

Als herausragendes Beispiel ist der Einsatz des Unternehmens für die Errichtung des Salto Morato Naturreservats zu nennen. Das Projekt begann mit dem Erwerb von 1.716 Hektar Land, auf dem sich die letzten Reste des atlantischen Regenwaldes befinden. Die brasilianische Regierung wies das Gebiet als Naturschutzgebiet aus. Im Nationalpark, der auch von der UNESCO als Biosphären-Reservat anerkannt ist, wurde eine ökologische Station errichtet.

Seit ihrer Gründung hat die O Boticario-Stiftung mehr als 400 Projekte mit 2,1 Millionen Dollar unterstützt. Sie bekommt jedes Jahr 400 neue Bewerbungen, von denen etwa 60 anerkannt werden. Die Arbeit der Stiftung wird in Partnerschaft mit einer Vielzahl brasilianischer und internationaler Institutionen durchgeführt. Dazu gehören die Universität von Sao Paulo, das brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare Ressourcen und die ökologische Unibank, die Umwelterziehungsprojekte in Sao Paulo und Rio Grande no Sul finanziert. Die genannten Beispiele verdeutlichen die ermutigenden Veränderungen, die sich im vergangenen Jahrzehnt in einem Land, das gemeinhin nicht gerade als Vorbild beim Schutz seiner natürlichen Ressourcen gilt, abzuzeichnen beginnen. Mit den Erfolgen der Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik Curitibas wird das Potential, das in der konsequenten Anwendung der Grundsätze der AGENDA 21 liegt, sichtbar. Das Beispiel dieser Stadt wird mit Sicherheit nicht nur im nationalen Rahmen Nachahmer finden, denn hier wird der praktische Beweis erbracht, dass Zusammenarbeit aller Betroffener auf lokaler Ebene und an den Menschen orientierte Entwicklungsplanung das Gesicht der Erde so verändern können, dass dieser Planet zu einem Ort wird, an dem es sich auch für künftige Generationen lohnen wird zu leben.


Roland Greis


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TWO WINGS und das Capstone Projekt in Zambia[Bearbeiten]

Das TWO WINGS Network hat sich darauf spezialisiert, Schulungs- und Entwicklungsprojekte in ausgewählten Ländern der südlichen Hemisphäre zu fördern und zu finanzieren. Die dahinter stehende Idee ist die des „Coherent Development“. Dabei werden Überschüsse der gut entwickelten Finanzmärkte des Nordens dem Süden zur Verfügung gestellt. Private Anleger werden ersucht, einen kleinen Teil ihres Ertrages für die Projekte zu widmen, nämlich die Dividende aus der Veranlagung in erstklassigen Aktien. Die Wertsteigerung selbst bleibt beim Anleger. Es gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit. Damit wird auch im Norden ein erzieherischer Effekt erreicht und die Verantwortung für das Wohlergehen der gesamten Menschheitsfamilie bewusst gemacht. Im Jahr 1998 hat sich das Exekutivkomitee von TWO WINGS (paritätisch besetzt aus Vertretern des Nordens und des Südens) für die Förderung des CAPSTONE PROJEKTS entschieden. CAPSTONE arbeitet äußerst wirtschaftlich. In der dreijährigen Anlaufphase von 1999 bis 2002 agiert der Programmkoordinator ehrenamtlich. In dieser Zeit werden nur 40.400 US Dollar benötigt. TWO WINGS hat im Jahre 1999 bereits 25.000 zur Verfügung gestellt. Der Rest wird von der MASETHLA Foundation kommen.


Was ist nun Sinn und Ziel des Capstone-Programms?

CAPSTONE ist ein Ausbildungsprogramm für jugendliche Afrikaner. Es legt die Grundlagen sowohl für eine höhere Schul- als auch berufliche Ausbildung. Damit stiftet es unmittelbaren Nutzen für die ganze Familie. Auf die Vermittlung von moralischen Standards wird großer Wert gelegt. Die Jugend soll durch die kritische Phase der Entwicklung vom Kind zum jungen Menschen geführt werden und die Möglichkeit eines positiven und sinnerfüllten Lebens gezeigt bekommen. Es geht nicht in erster Linie darum, Wissen anzuhäufen, sondern das Wissen zur Verbesserung des physischen und sozialen Umfelds einzusetzen. Gleichzeitig wird problemorientiert gearbeitet und nach Lösungen gesucht, um die konkrete Lebenssituation zu verbessern. Im Ausbildungsprogramm ist insbesondere die Förderung von Mädchen und Frauen verankert. Weltweite Untersuchungen haben gezeigt, dass die Ausbildung von Frauen die Entwicklung der Gesellschaft nachhaltig begünstigt, besonders wenn die hohe Bedeutung ethischen Handelns in der Ausbildung hervorgehoben wird.


Das CAPSTONE Projekt wird von der William Mmutle Masethla Foundation auf einem 200 Hektar großen Grundstück 70 Kilometer nördlich von Lusaka in Sambia umgesetzt. Es steht den jungen Menschen in Sambia, vielleicht später auch im Kongo und in Angola zur Verfügung. CAPSTONE geht auf das Vorbild der ländlichen Entwicklungshochschule „FUNDAEC” in Kolumbien zurück. FUNDAEC wird dort mit großem Erfolg seit 1974 als „rural university“ mit zur Zeit 23.000 Studenten geführt. Es fand gemäß Weltbank weltweite Beachtung als innovativstes Entwicklungsprogramm im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts und wird vom Erziehungsministerium von Kolumbien unterstützt. Die didaktische Vermittlung beruht auf einem Tutorensystem, durch Lehren lernen, und hat eine große Multiplikatorwirkung. In der ersten Phase der Entwicklung von CAPSTONE soll nun dieses äußerst erfolgreiche System modifiziert und den afrikanischen Gegebenheiten angepasst werden. Erste positive Bestätigungen liegen schon vor. CAPSTONE zeigt sich jetzt schon als ein besonders schönes Ergebnis der globalisierten Kooperation von 5 Kontinenten im Sinne der Einheit der Menschheit.


Gerhard F.Schweter


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Aachen Agenda 21[Bearbeiten]

AUFBAU EINER LOKALEN AGENDA AM BEISPIEL AACHEN



ZUPACKEN STATT ZUGUCKEN


Die kreisfreie Stadt Aachen mit ihren 250000 Einwohnern liegt am Dreiländereck Belgien, Niederlande, Deutschland. Seit 1992 erprobt sie als eine der drei „Ökologischen Städte der Zukunft“ des Landes Nordrhein-Westfalen modellhaft Ansätze eines ökologischen Stadtumbaus. 1993 wurde Aachen Mitglied im Klimabündnis. Im September 1997 fasste der Rat der Stadt, angeregt vom Dritte-Welt-Forum, einem lokalen Netzwerk entwicklungspolitischer Initiativen, den einstimmigen Beschluss, die „Aachen Agenda 21“ ins Leben zu rufen.


„ÖKOLOGISCHE STADT DER ZUKUNFT“ UND „DRITTE-WELT-FORUM“

Dem Agenda-Prozess in Aachen gingen unterschiedliche Aktivitäten voraus. Eine davon ist seit 1992 das Engagement der Stadt im Modellprojekt „Ökologische Stadt der Zukunft“, das zu einem bedeutenden Teil aus Landesmitteln gefördert wird. Es zielt im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung mit innovativen Projekten und Maßnahmen auf einen ökologischen Stadtumbau. Dieser Umbau wird in sechs Handlungsfeldern umgesetzt:


1. Flächennutzung / Natur / Landschaft
2. Verkehr
3. Bauen / Wohnen / Gewerbe
4. Energie / Klima / Luft
5. Abfall / Wasser / Abwasser
6. Umweltinformation / Umweltbildung


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Ein Projekt in diesem Rahmen wurde als „Aachener Modell“ bekannt: Die kostendeckende Vergütung bei der Einspeisung von Strom aus privaten Solaranlagen in das Elektrizitätsversorgungsnetz, das vor kurzem in leicht abgewandelter Form vom Bund übernommen wurde.

Als eigentlicher Ideengeber für den Folgeprozess der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) kann jedoch das Dritte-Welt-Forum angesehen werden, das als Netzwerk entwicklungspolitischer Aktions-, Menschenrechts- und Flüchtlingsgruppen bereits 1981 gegründet wurde. Heute deckt es die Bereiche fairer Handel, Ländersolidarität, Menschenrechte, Flucht und Migration, Antirassismusarbeit, Eine Welt, Jugend- und Erwachsenenbildung ab.

Bereits 1993 initiierte dieses Netzwerk das Projekt „Global denken - Euregional handeln!“, das für die Euregio Maas-Rhein nach zweijähriger Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit Anfang 1995 beginnen konnte. In diesem Rahmen wurde mit einem Kreis von umwelt- und entwicklungspolitischen Gruppen eine Nord-Süd-Charta für die Kommunen, Arrondissements und Gemeinden der Euregio Maas-Rhein erstellt. Diese Charta diente im Juni 1996 verschiedenen Gruppen als Diskussionsgrundlage für einen ersten Runden Tisch, an dem unter dem Motto „Zukunftsfähige Euregio“ Vertreter von Kommunen, Politik und Verwaltung sowie von Wirtschaftsverbänden und Nichtregierungsorganisationen zusammengekommen waren. Allerdings ging der Runde Tisch über einige Absichtserklärungen, nun den lokalen Agenda-Prozess zu beginnen, nicht hinaus. Konkret arbeiteten nur die Umweltinitiativen und die Verbraucherzentrale mit dem Welthaus weiter und legten Anfang 1997 einen umweltpolitischen Anforderungskatalog vor, der wesentliche Änderungsvorschläge für die Kommunalpolitik enthielt.


AGENDA-BÜRO UND FACHBEIRAT

Ende 1996 gab der Umweltausschuss den Auftrag an das Umweltamt, eine Vorlage zur Erstellung einer Lokalen Agenda zu erarbeiten. Aber erst im September 1997 fasste der Rat der Stadt den einstimmigen Beschluss, den Prozess der Lokalen Agenda 21 unter dem Namen „Aachen Agenda 21“ offiziell einzuleiten. Zum 1. Januar 1998 wurde ein „Agenda-Büro“ eingerichtet und an das Umweltamt angebunden. Personell wurde es mit einer vollen ABM-Stelle und mit zwei Mitarbeitern des Umweltamtes besetzt, die jeweils zehn Stunden wöchentlich aus ihrem normalen Stellenvolumen für Agenda-Arbeiten zur Verfügung stellen. Im Februar beschloss der Umweltausschuss die Zusammensetzung des „Fachbeirates zur Aachen Agenda 21“, dem die inhaltliche Steuerung sowie die fachliche Begleitung und Weiterentwicklung des Agenda-Prozesses obliegen. Besetzt wurde er mit 16 Vertretern unterschiedlichster Institutionen. Der Fachbeirat beurteilt auch die Vorschläge, die von den Agenda-Akteuren der Bürgerforen erarbeitet wurden, und gibt hinsichtlich der Umsetzung Empfehlungen an die Ratsausschüsse.

Zu den Hauptaufgaben des Agenda-Büros gehören u.a. die Geschäftsführung des Fachbeirats, die Organisation und Betreuung der Bürgerforen, die Beantwortung von Anfragen zur Aachen Agenda 21 und die Erstellung und Herausgabe von Informationen.


AUFTAKT-VERANSTALTUNGEN UND BÜRGERFOREN

Im Februar 1998 wurde eine Umfrage zum Thema Aachen Agenda 21 in Zusammenarbeit mit den beiden Aachener Tageszeitungen durchgeführt. Im Anschluss gab es zwei Auftaktveranstaltungen: Am 12. März eine Veranstaltung



DER WERDEGANG DER AACHENER AGENDA 21 von RIO...

1992

UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro

Frühjahr 1994

„Charta von Aalborg”

Frühjahr 1995

Klimakonferenz in Berlin

Dezember 1997

Klimakonferenz in Kyoto


.....NACH AACHEN

Juni 1996

Dritte Welt Forum:
„Runder Tisch“ mit: Teilnehmern aus Verwaltung, Politik, Handwerk und Initiativen

Oktober 1996

Umweltausschuss:
Auftrag zur Erstellung eines Konzeptes „Entwicklung und Umsetzung einer lokalen Agenda 21 in Aachen”

Juni 1997

Fertigstellung des Konzeptes

September 1997

Aachener Stiftung Kathy-Beys: Studie „Zukunftsfähiges Wirtschaften im Raum Aachen"

Ratsbeschluss:

Aufstellung einer lokalen Agenda 21

Januar 1998

Einrichtung eines Agenda Büros

März 1998

Auftakt der Bürgerforen

Mai 1998

1. Sitzung des Fachbeirats

Juni 1998

Bürgermitwirkung zum stadtökologischen Beitrag
Workshop für Umweltverbände und -vereine

September 1998

Abschluss der Bürgerforen

November 1998

Präsentation der Ergebnisse der Bürgerforen

Dezember 1998

Studie „Solidarität und Partnerschaft mit der Dritten Welt”

Januar 1999

Empfehlungen des Fachbeirates zu den Projekten in der Aachener Agenda 21

Februar 1999

Scheckheft „21 Mitmach-Tipps für eine l(i)ebenswerte Zukunft”

März 1999

Präsentation der Aachener Agenda 21 auf der Euregio Wirtschaftsschau

Juni 1999

1. Treffen der LA 21 Vertreter der Städte Hasselt, Heerlen, Lüttich, Maastricht und Aachen


[Seite 14] ausschließlich für Frauen, am 21. März eine für die gesamte Bevölkerung. Insgesamt etwa 250 Interessierte setzten sich dabei mit der Frage einer im Sinne der Agenda 21 nachhaltigen Stadt- und Gesellschaftsentwicklung auseinander. Aus den Ergebnissen wurden Themenschwerpunkte gebildet, die sich in 12 Bürgerforen niederschlugen:


1. Visionen gesellschaftlicher Arbeit
2. Landwirtschaft und Ernährung
3. Ferntourismus
4. Stadtentwicklung und Stadtökologie
5. Demokratie neu lernen
6. Migration
7. Internationale Wirtschafts- und Handelsbeziehungen / Textil
8. Pilotprojekt: Autarke ökologische Lebensgemeinschaft
9. Pilotprojekt: Bürgerwindpark
10. Nachbarschaftliche Arbeits-, Wohn- und Lebensformen
11. Neue Formen der Partizipation
12. Frauen im Agenda-Prozess


Zusätzlich brachten Gruppen außerhalb der BürgerInnenforen weitere Projektvorschläge ein.


DIE AGENDA-FRAUENKONFERENZ

Mit der Agenda-Frauenkonferenz initiierte das Frauenbüro, das die Frauenbelange im Agenda-Prozess koordiniert, ein erfolgreiches Partizipationselement. Zunächst als „Versuchsballon“ im August des Jahres 1998 ins Leben gerufen, erwies sie sich als ein wichtiges Instrument zum Austausch





4. AACHENER FRAUENKONFERENZ AM 31.03.2000


der Bürgerinnenforen, die sich bei der Frauen-Auftaktveranstaltung gebildet hatten. Folgekonferenzen gab es im halbjährlichen Rhythmus, an denen sich durchschnittlich 50 Aktive beteiligten. Zur Zeit existieren zwölf Bürgerinnenforen, die sich aus Sicht der Frau mit Themen wie Stadtentwicklung, Arbeiten, Gesundheit, Wirtschaften/Dienstleistungen, Interkulturelles Handeln/Migration, Globales Handeln befassen. Das Ziel ist, so formuliert Aachens Gleichsteilungsbeauftragte, „zu einer frauengerechten Stadt beizutragen, denn nach dem Dokument von Rio hängt die erfolgreiche Durchführung der Agenda 21 von der aktiven Einbeziehung der Frau in die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsprozesse ab.“


AKTIVITÄTEN DES AGENDA-BÜROS

Um den Begriff und die (möglichen) Inhalte der „Aachen Agenda 21" bekannt zu machen, präsentierte das Agenda-Büro direkt zu Beginn seiner Arbeit ein einprägsames Logo: Eine Spirale mit der Unterzeile „Aachen Agenda 21 - Zupacken statt Zugucken“. Es erschien auf Schreiben, Veröffentlichungen und Plakaten des Agenda-Büros und wird mittlerweile auch von anderen Organisationen (z.B. Erwachsenenbildungsträgern), die Beiträge innerhalb ihrer Programme als Agenda-Teile kennzeichnen wollen, verwendet. Eine der beiden Aachener Tageszeitungen hat seit Januar eine monatlich erscheinende Agenda-Rubrik eingerichtet, die ebenfalls unter diesem Logo erscheint.

Das Agenda-Büro legte bis jetzt verschiedene Dokumentationen vor: Die Auftaktveranstaltungen vom 13. und 21. März; die ersten Ergebnisse der Bürgerforen, die auf einer Veranstaltung im November 1998 vorgestellt wurden; die Broschüre „Solidarität und Partnerschaft mit der Dritten Welt“, die eine Zusammenstellung zahlreicher von Aachen aus in der Dritten Welt durchgeführten Solidaritätsprojekte enthält und einiges mehr. In Zusammenarbeit mit der Carl Duisberg Gesellschaft erschien der „Agenda-Faden“ durch Aachen, der einen groben Überblick im Gewirr der Agenda-Aktivitäten und -Akteure gibt.

Sehr gut angenommen wurde das „Scheckheft zur Aachen Agenda 21“, das dem Vorbild aus München folgt. 21 MitmachTipps brechen wichtige Inhalte der Agenda 21 auf eine persönliche Ebene herunter und konkretisieren sie so, dass jeder Einzelne seinen Beitrag bringen kann. Inzwischen liegt die zweite Auflage vor.

Auf Initiative des Umweltamtes entstand eine neuartige Kooperation mit dem Ökologie-Zentrum und der Schulstelle im






DR. STEPHANIE KÜPPER VOM AACHENER AGENDA-BÜRO


[Seite 15] Welthaus. Mit dem Projekt „Lernen aus Koffern und Kisten“ entstand ein Koffer, der Materialien zu Themen aus Umwelt und Entwicklungspolitik enthält und der recht rege ausgeliehen wird. Das Agenda-Büro beantwortete zahlreiche Anfragen von Einzelpersonen, Verbänden, Vereinen, Hochschulen und aus anderen Kommunen. Besonders zu erwähnen ist, dass die Ausgestaltung des Prozesses in Aachen wegen seiner besonderen Maßnahmen bei verschiedenen Akteuren in anderen Städten ein offensichtliches Interesse hervorgerufen hat, das sich in Einladungen der Mitarbeiter zu Vorträgen in anderen Kommunen und bei Organisationen wie CAF (Agenda Transferbüro, Bonn) wiederspiegelte.


AGENDA UND VERNETZUNGEN

Oberbürgermeister Dr. Jürgen Linden, Schirmherr der „Aachen Agenda 21“, regte bei den regelmäßigen Gesprächen der Bürgermeister der fünf Städte in der "Euregio Maas-Rhein Maastricht (NL), Heerlen (NL), Hasselt (B),Lüttich.(B), Aachen (D) an, ebenfalls Treffen der Agenda-Vertreter der Städte einzurichten. Einige Zusammenkünfte fanden bereits statt. Ins Auge gefasst wurde, eine dreisprachige gemeinsame Publikation für die Bevölkerung der Euregio zu erarbeiten. Außerdem soll ein angedachtes gemeinsames Projekt - die Rekultivierung einer Industriebrachfläche - diskutiert werden.

Aachen ist ebenfalls in zwei regionalen Arbeitskreisen vertreten: Der „Landesarbeitsgemeinschaft zur Lokalen Agenda 21“, die sich aus dem Treffen der Ruhrgebietsstädte (Febr. 1999) entwickelt hat, und im Arbeitskreis „Agenda 21“ der „Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen“.

Die „Landesarbeitsgemeinschaft zur Lokalen Agenda 21“, in der zur Zeit etwa 40 Kommunen vertreten sind, haben im Mai/Juni dieses Jahres ihr erstes gemeinsames Projekt gestartet: 15 Städte beteiligen sich an der Mitmach-Aktion „Privathaushalte (er)leben Agenda“. Dazu sind in den Städten jeweils 21 Haushalte gesucht worden, die ein halbes Jahr lang einen nachhaltigen Lebensstil entdecken, über Gewohntes kritisch nachdenken und Neues ausprobieren möchten. In Aachen werden sie vom Agenda-Büro betreut, die Verbraucher-Zentrale NRW stellt die fachliche Begleitung. Die Haushalte werden sich mit den Themen Konsumverhalten/Ernährung, Ökonomie/Finanzen, Freizeit/Mobilität, Garten/Naturschutz, Soziales/Miteinander und Energie auseinandersetzen. Die ganze Aktion wird dokumentiert werden.


STABSSTELLE AGENDA 21

Im Mai 1999 wurden die Projektkoordination „Ökologische Stadt der Zukunft“ und das Agenda-Büro zur neuen Stabsstelle „Aachen Agenda 21“ zusammengelegt. Man erhofft sich davon Synergien, die die Arbeit effektiver machen sollen. Anlaufbüro für alle, die sich am Agenda-Prozess beteiligen wollen, bleibt aber das kleine Agenda-Büro.


SITUATION

Nach der Kommunalwahl im Herbst 1999 ergab sich in Aachen im Stadtrat ein Mehrheitswechsel:

CDU/FDP löste SPD/Grüne ab. Einige Projekte, die unter Rot/Grün beschlossen worden waren, wurden gestrichen: Die Fahrrad-Station am Hauptbahnhof, die Stadtbahn, die Biogas-Anlage und das Modell-Projekt Autofreies Wohnen. Positiv zu vermerken ist, dass die ABM-Stelle des Agenda-Büros Ende dieses Jahres in eine feste Stelle übergeht und dass die Stadt beschlossen hat, in die „Städtepartnerschaft von unten“, die vom Welthaus mit einem Township bei Kapstadt/Südafrika ins Leben gerufen worden war, einzusteigen.

Betrachtet man die Tatsache, dass der Agenda-Prozess ein „selbstlernender Prozess“ ist, der nicht vorgegeben ist, sondern schrittweise erarbeitet werden muss, und dem keine hohen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, dann kann Aachen sicher eine positive Entwicklung des lokalen Agenda-Prozesses für sich feststellen. Mit der tatkräftigen Mithilfe vieler Akteure aus der Bürgerschaft ist der Prozess in Gang gekommen.



Der Bericht basiert auf einem Artikel von Ulrich Nitschke in „Kommunen der einen Welt”, S. 7-12, und wurde von Karin Derakhchan‚ Aachen, überarbeitet.
Herausgeber: epd-Entwicklungspolitik, CAF/Agenda Transfer, Zentrum für kommunale Entwicklungsarbeit und Informationen aus dem Agenda-Büro und dem Frauenbüro der Stadt Aachen.
Der Bericht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit


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Kunst verbindet Völker[Bearbeiten]

BEGINN EINER PARTNERSCHAFT

Künstlerinnen-Austausch mit Südafrika


Die Provinz Mpumalanga liegt in Südafrika, Touristen bekannt durch den Krüger-Nationalpark. Weniger bekannt sein dürfte, dass das Land Nordrhein-Westfalen eine Partnerschaft mit Mpumalanga unterhält. Das NRW-Ministerium für Arbeit, Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport beschloss vor drei Jahren nicht nur die Zusammenarbeit der Städte und Gemeinden zu intensivieren, sondern auch internationale Beziehungen herzustellen.

„Da Kunst und der künstlerische Austausch ein geeignetes Kommunikationsmedium darstellen, entschlossen sich Künstlerinnen und Frauen in Kulturberufen und kulturellen Institutionen, sich nicht nur untereinander auszutauschen und gemeinsam an einem Netzwerk an spartenübergreifenden Präsentationsmöglichkeiten zu arbeiten, sondern gleichzeitig auch durch einen Künstlerinnen-Austausch mit der NRW-Partnerprovinz internationale Kontakte zu pflegen. Die Idee zur Gründung des FrauenKunstForums hatte Anna Vierhaus von der Gleichstellungsstelle in Hagen.

Nach einer 18-monatigen Vorbereitungszeit brachen also im Februar dieses Jahres zum ersten Mal sechs Künstlerinnen zu einem Austauschprogramm auf. Ihre Mission: Von den Erfahrungen einheimischer Künstlerinnen lernen und - daheim in Deutschland - den Blick öffnen für die Belange und Situationen der Länder des Südens und nicht zuletzt für das künstlerische Potential. Nord-Süd-Kooperation im Zeichen der Kunst.


INTERNATIONALER KUNST-DIALOG

Kern des ersten Aufenthaltes war ein gemeinsamer Workshop mit Künstlerinnen aus der gesamten Provinz. Sie tauschten Materialien und Techniken aus, aber auch ihre Erfahrungen über die Gratwanderung zwischen künstlerischem und marktgerechtem Arbeiten, über den Spagat zwischen Tradition und individuellem Ausdruck, über Kunstmanagement und die eigenen Entwicklungen, aber auch über die Rolle der Kunst in einem Land, in dem die Apartheid zwar abgeschafft ist, aber nach wie vor die politischen Umwälzungen die Gesellschaft und ihre Kultur stark prägen.“

(aus Forum Eine Welt, 9, 2.Quartal 2000)


ZWEI WOCHEN INTENSIVER ERLEBNISSE - Ein Bericht der Wittener Malerin Anne Bahrinipour

Obwohl wir uns auf die Situation in Südafrika vorbereitet hatten, war unser zweiwöchiger Aufenthalt eine Begegnung mit dem Unerwarteten. Wenig entsprach unseren Vorstellungen. Umso mehr gab es zu lernen und umzudenken. Die erste Überraschung: Statt in einem trockenen, sonnigen Afrika landeten wir im Grünen. Es war die Zeit nach der Überschwemmungskatastrophe in Mosambique, die auch in Mpumalanga Brücken und Straßen zerstört und Teile des Landes unter Wasser gesetzt hatte.

Beim ersten Treffen mit den afrikanischen Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen galt es zunächst die Befangenheit zu überwinden. Unsere Partnerinnen waren Frauen aus den Dörfern, die Weiße bisher nur als Vertreter der ehemaligen herrschenden Schicht kannten. Ihre anfängliche Scheu legte sich erst, als wir gemeinsam zu arbeiten begannen. Eine Woche stand uns zur Verfügung, um eine Ausstellung für ein Museum auf die Beine zu stellen. Aber der Zeitdruck wirkte sich positiv aus. Dadurch mussten wir unsere unterschiedlichen Vorstellungen und Erfahrungen im [Seite 17] praktischen Arbeitsprozess austauschen und zusammenbringen. Dabei war viel Feingefühl und gegenseitige Achtung gefragt, denn die verschiedenartigen kulturellen Hintergründe und Arbeitsbedingungen äußerten sich natürlich auch in ganz unterschiedlichen Zielvorstellungen und künstlerischen Ideen. Wer vor allem Gebrauchskunst wie bemalte Stoffe, Töpferwaren, Pappmaschee-Möbel, dekorative Bilder, Hausbemalungen oder Körbe herstellt, für den hat der künstlerische Ausdruck einen anderen Stellenwert als für einen Künstler, der mit seinen Arbeiten geistige Anregungen geben will. Dass wir es dennoch schafften, eine viel beachtete gemeinsame Ausstellung zustande zu bringen, ist das Ergebnis unseres in so kurzer Zeit gewachsenen gegenseitigen Verständnisses. Das ist vielleicht eines der wichtigsten Resultate unserer Zusammenarbeit.

Wir haben erlebt, unter welch unglaublich schwierigen Bedingungen diese Frauen leben und arbeiten.

Dabei spielt das Transportproblem eine nicht zu unterschätzende Rolle. Als Relikt der Apartheid gibt es so gut wie keine öffentlichen Verkehrsmittel, die die Dörfer miteinander verbinden. Die reichen Weißen besitzen Autos, um ihre Transportprobleme zu lösen. Die schwarze Bevölkerung war auf ihre Füße angewiesen und ist es in vielen Teilen des Landes immer noch, denn ein öffentliches Verkehrsnetz muss erst aufgebaut werden.

Vermarktung ist unter diesen Bedingungen ein großes Problem. Um dem abzuhelfen hat die Regierung begonnen an befahrenen Straßen Pavillons zu errichten, die den Frauen zum Verkauf ihrer Produkte zu Verfügung stehen.

Wenn man die noch vorhandenen Slums sieht, die immer noch von der Menschen verachtenden Apartheids-Politik zeugen und erkennt, wie sehr die Kultur der Schwarzen unterdrückt und vernachlässigt wurde, dann bewundert man, dass es beim Machtwechsel nicht zu einem Gemetzel gekommen ist.

Übrigens fanden der interkulturelle Austausch und dessen Ergebnisse in Mpumalanga große Anerkennung.

In einem Fax an die Frauengleichstellungsstelle in Hagen schrieb das Department für Bildung der Mpumalanga Provinzregierung: „Der Ideenaustausch und die Arbeit an gemeinsamen Projekten und Objekten sind von einer schwarzen Künstlergesellschaft, die jahrelang in Isolation gelebt hat, keine Förderung erhielt, zusätzlich im eigenen Land benachteiligt wurde, wie der Regenguss in der Wüste aufgenommen worden. Die Wüste lebt sogleich und neues Leben erwacht - selbst im fast ausgedörrten Boden.

Es zeigte sich, dass der einwöchige Gedankenaustausch und vor allem die gemeinsamen Aktionen beider Gruppen den Zielen mehr als gerecht wurden. Dies spiegelte sich in der Ausstellung der Objekte wider. Mit weiteren Ausstellungen und dann der geplanten Auktion der Objekte ist ein Highlight gesetzt worden, das Fortsetzung bzw. Nachahmung fordert. Der interkulturelle Austausch und die sich daraus abzeichnenden Ergebnisse fanden in Mpumalanga große Anerkennung. Das Ministerium für Sport, Freizeit, Kunst und Kultur in Mpumalanga bemüht sich, weitere Aktionen zu unterstützen und vor allem einheimische Künstlerinnen zu ermutigen, aus ihrer Isolation herauszubrechen. Die NRW Künstlerinnen können hier weitere Katalysatorfunktion übernehmen.

Natürlich ist es immer schwierig, in einem Land, in dem die Prioritäten des täglichen Lebens im Bereich Nahrung, Gesundheit, Bildung und vor allem Arbeit liegen, genügend Sponsoren für Kunst und Kultur zu finden. Doch gerade Präsident Thabo Bhekis Aufruf zur African Renaissance stößt hier auf fruchtbaren Boden. Die faszinierende und reiche, aber leider teilweise verlorene südafrikanische schwarze Kunst und Kultur erfährt durch Aktionen dieser Art neues Leben. Es ist allen Künstlerinnen hoch anzurechnen, ihre Freizeit und ihr eigenes Geld für die Maßnahme zur Verfügung gestellt zu haben.“

„Die in Südafrika gemeinsam ausgestellten Objekte werden im Gegenzug im Herbst dieses Jahres auch in Deutschland gezeigt - der Beginn eines auch für die nächsten Jahre geplanten intensiven Austauschprogramms.

Um auch die Professionalisierung der afrikanischen Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen zu fördern, richtet die Provinzialregierung derzeit das Netzwerk „FrauenKunstForum Mpumalanga“ ein.

Nachdem die Künstlerinnen erfahren hatten, dass 58 Prozent der Neugeborenen von Müttern unter 20 Jahren HIV-positiv sind, entschlossen sie sich, den Verkaufserlös ihrer Ausstellungen einem regionalen Projekt zur Unterstützung dieser jungen Mütter zugute kommen zu lassen.


(aus Forum Eine Welt, 9, 2.Quartal 2000)


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Von gegenseitigen Vorbehalten zur Win-Win-Kooperation[Bearbeiten]

Die Rolle der Privatwirtschaft im Lokalen-Agenda-Prozess


„An dem Tag, an dem die Manager vergessen, dass eine Unternehmung nicht weiter bestehen kann, wenn die Gesellschaft ihre Nützlichkeit nicht mehr empfindet oder ihr Gebaren als unmoralisch betrachtet, wird die Unternehmung zu sterben beginnen.“

Alfred Herrhausen (1930-1989), Vorstandssprecher der Deutschen Bank



Eine nachhaltige Entwicklung wird weder ohne noch gegen die Privatwirtschaft möglich und sinnvoll sein. Den Unternehmen kommt in der Agenda 21 von Rio de Janeiro eine zentrale Rolle in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes zu. Die im Kapitel 30 der Agenda 21 erhobene Forderung, die Privatwirtschaft und ihre Verbände sollten „gleichberechtigte Partner bei der Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Agenda 21 sein“, findet darum ihre Entsprechung in dem dreidimensionalen Verständnis von Nachhaltigkeit als Leitbegriff für die Integration von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten von Entwicklung. Die alte Maxime, zunächst ökonomischen Wohlstand zu erarbeiten und danach die sozialen und ökologischen Folgen zu reparieren, ist spätestens seit dem Erd-Gipfel in Rio de Janeiro hinfällig geworden. Die Wirtschaft bildet darum auch eine entscheidende Säule von lokalen Agenda-Prozessen.


Vorbehalte und Vorurteile der Akteure

Die Teilnahme von Unternehmen an diesen überparteilichen Meinungsbildungsprozessen über die gemeinsame Zukunft ist aber deswegen noch lange nicht unumstritten. So bestehen von Seiten der Bürgerinitiativen, der Vereine und Verbände nicht selten Berührungsängste gegenüber Unternehmen und deren Verbänden. Indem die aus dem Umwelt- und Entwicklungsbereich kommenden Agenda-Akteure sich Fragen stellen wie: „Kann es einen sinnvollen Dialog überhaupt geben mit einer auf Wachstum und Profit fixierten, also doch vielleicht per se mit Nachhaltigkeitszielen unvereinbaren Wirtschaft(sweise) und korrumpiert man sich nicht gar, wenn man sich auf einen Dialog mit der Wirtschaft einlässt?“ wird offenbar, dass die Teilnehmer im Agenda-Prozess noch mehr über andere Sichtweisen urteilen als mit ihnen ins Gespräch kommen.1)


Selbstverständlich besteht auch auf der Wirtschaftsseite die Befürchtung, quasi durch die Hintertür in Fragen des Umweltschutzes stärker reglementiert zu werden. Bisherige Erfahrungen zeigen denn auch, dass die Privatwirtschaft nicht von sich aus die Initiative zum Beginn eines Agenda-Prozesses ergreift. Die Wirtschaft reagiert mehr als dass sie agiert, und nicht selten allein auf Anfragen der Stadtverwaltung bzw. eines Agenda-Büros. Ein Dialog mit anderen nicht-städtischen und nichtökonomischen Akteuren findet in der Regel lediglich innerhalb der geschaffenen Agenda-Struktur beispielsweise in Fachforen oder Workshops statt. Aber es sind ja auch nicht die Unternehmen selbst, die bei Agenda-Veranstaltungen teilnehmen, sondern meist deren Vertreter von Wirtschaftsverbänden wie der Industrie- und Handelskammer. Auffallend ist, dass es darüber hinaus sowohl engagierte Einzel- bzw. Kleinunternehmen als auch Großunternehmen sind - wie beispielsweise Hoechst und Bayer in Wuppertal -, die sich abgesehen von den kommunalen Eigenbetrieben an Agenda-Prozessen beteiligen. Mittelständische Unternehmen finden sich dagegen selten, was wohl auch auf Zeitmangel bzw. fehlende manpower zurückzuführen ist.


Dass zwischen der Privatwirtschaft und den sonstigen Akteuren kein wirklicher Dialog über ihre gemeinsame Zukunft stattfindet - allenfalls einer im Rahmen von Geschäftsordnungen und offiziellen Anlässen -, kann sicherlich mit den unterschiedlichen [Seite 19] Kulturen der beiden Lebenswelten erklärt werden. Kultur meint in diesem Zusammenhang die Summe aus Werten und Einstellungen, sozialem Status und vor allem den Lebens- und Arbeitsstilen, die sich wiederum manifestieren in der Art, mit Menschen, Sachverhalten und Problemen umzugehen bzw. sie anzugehen. So gesehen werden aus der Sicht der Nichtregierungsorganisationen die Vertreter der IHK auf Agenda-Foren oft als kühl, sachlich sowie rein ziel- und ergebnisorientiert wahrgenommen. Umweltschützer möchten sich auch nicht als „grüne Feigenblätter“ der Wirtschaft missbrauchen lassen. Umgekehrt kann gelten, dass die nicht selten langatmigen Diskussionen, schwammigen Zielsetzungen und unkonkreten Arbeitsaufträge von der Privatwirtschaft als chaotisch, kleinkariert und kontraproduktiv empfunden werden. Sinn und Zweck des Dialoges, vor allem aber die Möglichkeiten des eigenen Beitrages für eine lebenswerte Zukunft bleiben so der einen wie der anderen Seite verschlossen.


Verschiedene Kulturen - gemeinsame Interessen

Obgleich damit das Verhältnis zwischen Privatwirtschaft und den umwelt- bzw. entwicklungspolitisch orientierten Gruppierungen allen Aufrufen und Nachhaltigkeitspostulaten zum Trotz nicht befriedigen kann, gibt es dennoch lokale Entwicklungen einzelner Agenda-Prozesse, die der im Kapitel 30 der Agenda 21 hervorgehobenen Bedeutung der Privatwirtschaft für eine nachhaltige Entwicklung gerecht zu werden scheinen.

Herkömmliche Maßnahmen wie die verschärfte Einhaltung der gängigen Umweltgesetzgebung, die Durchführung von EU-Öko-Audits bzw. Öko-Checks oder die Einführung eines Umweltmanagementsystems und einer Öko-Bilanz - mit bewusstem Hinweis auf die Agenda 21 - zeugten auch bisher von einem eigenverantwortlichen, nachhaltigen Handeln von Unternehmen, das allerdings eher außerhalb des Agenda-Prozesses stattfindet. Auf die Frage, wie neue, nachhaltige Partnerschaften zwischen Privatwirtschaft, Verwaltung und Bürgern initiiert und ausgestaltet werden können, geben sie mithin keine Antwort.


Es liegt auf der Hand, dass die Themenfelder eines Bündnisses lokaler Gewerbetreibender mit den ansässigen Bürgerinnen und Bürgern eher in den Bereichen Dienstleistungen und Handel liegen dürften. Kaufhäuser, Supermärkte, Handwerksbetriebe oder Verkehrsgesellschaften stehen tagtäglich im direkten Kontakt mit den „Endverbrauchern“, Industriebetriebe nur mittelbar als Arbeitgeber. Gemeinsam ausgehandelte Maßnahmen wie die Förderung eines „fairen Handels“ von Produkten des täglichen Lebens, die Stärkung des Marktanteils an erneuerbaren Energien, die Förderung moderner Heiz- und Warmwassertechnologien oder die Realisierung von baubiologisch einwandfreien und zugleich kommunikationsfördernden Wohngebieten wären dabei Ausdruck einer von der lokalen Wirtschaft und ihren „Kunden“ gleichermaßen wahrgenommenen Verantwortung für eine zukunftsfähige Entwicklung ihres Gemeinwesens. Wirtschaftlich profitierte davon vor allem das Handwerk und die Baubranche, weswegen der Imagegewinn gerade für viele mittelständische Unternehmen nur ein Argument unter anderen ist, um sich an lokalen Agenda-Prozessen zu beteiligen. Dass dem dennoch nicht so ist, bleibt die Crux von so vielen Prozessen, deren Gründe bereits skizziert wurden.


Win-Win-Kooperationen mit Ökoprofit

Ein erfolgreiches Beispiel für die Kooperation von Privatwirtschaft mit anderen Akteuren im Agenda-Prozess - wenn auch nicht mit den Bürgerinnen und Bürgern - ist hingegen das bereits 1991 im österreichischen Graz entwickelte Ökoprofit-Projekt (ÖKOlogisches PROjekt für Integrierte Umwelt-Technik). Ökoprofit ist eine organisierte und betreute, gemeinsame Entwicklung mehrerer Unternehmen mit ähnlichen Interessen für einer nachhaltige Wirtschaftsweise. Kooperationspartner sind die kommunalen Verwaltungen, Fachberater aus der Wissenschaft sowie die Unternehmen selbst. Ihre Vertreter kommen aus unterschiedlichen Branchen und repräsentieren Unternehmen von unterschiedlicher Größe. Sie treffen sich monatlich zu Workshops und erarbeiten innerhalb eines Jahres Grundlagen der Abfall- und Emissionsvermeidung, von „Saubere Produktion“ und „Saubere Technologien“. Neben dem Wissenstransfer im Bereich „Sauberer Technologien“, liegt der Workshop-Schwerpunkt in der Vermittlung von Qualifikationen im Bereich der Problemerkennung, kreative und innovative Ideen- und Maßnahmenfindung, Teambildung und -betreuung, Mitarbeiter- und Managementmotivation. Die Workshop-Teilnehmer [Seite 20] übertragen das erlernte Know-how an ein innerbetriebliches Umweltteam mit dem Ziel der Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen im Unternehmen. Am Ende des Jahres stehen für die beteiligten Unternehmen eine Ökoprofit- Betriebsauszeichnung, deren Vergaberichtlinien unter anderem ein innerbetriebliches Programm von Umweltkennzahlen vorschreiben, die quantitativ die vorgesehenen Reduktionsvorhaben im jeweiligen Betrieb beschreiben. Da Ökoprofit-Projekte darauf ausgerichtet sind, durch eine Erhöhung der Nutzung der eingesetzten Materialien Emissionen und Abfälle zu vermindern, ergeben sich für die Unternehmen gleichzeitig ökologische und ökonomische Vorteile.


1998 begann die Stadt München im Rahmen des lokalen Agenda-Prozesses das erste Ökoprofit-Projekt in Deutschland durchzuführen. Im bisherigen Verlauf des Projektes wurden in den 26 beteiligten Unternehmen über 700 Maßnahmen zu den Bereichen Energie, Wasser, Abfall und Betriebsmittel erarbeitet. Die im Juni 1999 in München vorgestellte Zwischenbilanz spiegelt den win-win-Charakter dieses Handlungsprogrammes wider. Denn die durchgeführten ökologischen Maßnahmen der beteiligten Unternehmen erzielten bis dahin insgesamt Kostensenkungen von 1.050.000 Mark pro Jahr. Die meisten der getätigten Investitionen amortisieren sich bereits in weniger als einem Jahr. Zudem werden in den teilnehmenden Münchner Betrieben künftig pro Jahr 4.378.000 Kilowattstunden Energie, 7.972.000 Liter Wasser sowie 227.000 Kilogramm Restmüll eingespart.


Der Erfolg der Ökoprofit-Projekte liegt in der Formulierung der gemeinsamen Interessen aller beteiligten Akteure: Die Unternehmen profitieren durch Kosteneinsparungen und mehr Transparenz in der betrieblichen Kostenzuordnung. Die Mitarbeiter werden motiviert und lernen in Teams zu arbeiten. Die Kommunen verbessern ihre Infrastruktur und sichern Arbeitsplätze durch erfolgreichere Betriebe. Zudem wird nicht nur das Image des Unternehmens, sondern auch der Region gesteigert, womit auch eine Förderung des Tourismus verbunden ist. Außerdem wird die Umwelt entlastet, wodurch weniger Ausgaben für ihre Sanierung anfallen. Und natürlich profitieren die Bürgerinnen und Bürger, da deren Lebensqualität erhöht wird.


Fazit: Soll die Privatwirtschaft ein wirklicher „gleichberechtigter Partner“ (Agenda 21) im lokalen Agenda-Prozess sein, so erfordert dies auch einen wirklichen Dialog zwischen ihr und den übrigen Akteuren, die zumeist den Nichtregierungsorganisationen angehören. Unterschiedliche Kulturen und infolgedessen zahlreiche beiderseitige Vorbehalte stehen dem aber entgegen, so dass in der Regel allein Kontakt zur örtlichen Verwaltung besteht und andere Akteure nur in den Agenda-Strukturen kennengelernt werden. Nichtsdestotrotz reift auch bei Teilen der Privatwirtschaft die Einsicht, dass verbesserte Umweltstandards sich betriebswirtschaftlich rechnen können. Ohne sich am Agenda-Prozess aktiv zu beteiligen, führen engagierte und verantwortungsbewusste Unternehmen Umweltmanagementsysteme, Öko-Audits oder ähnliche Programme in ihren Betrieben ein. Aktuelle Tendenzen im Verhältnis von Privatwirtschaft und Lokale Agenda 21 zeigen darüber hinaus, dass sowohl die beteiligten Unternehmen untereinander im Sinne der Agenda verstärkt kooperieren als auch vermehrt mit örtlichen Verwaltungen und Wissenschaftsvertretern zusammenarbeiten. Die seit 1998 auch in der Bundesrepublik durchgeführten Ökoprofit-Projekte zeigen, dass auch die Privatwirtschaft ihren Beitrag zur Umsetzung der Agenda 21 von Rio de Janeiro leisten kann - und muss, sofern eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung erfolgreich sein will.


Peter Amsler

Der Autor (29) studierte Politikwissenschaft in Mainz und absolvierte im Anschluss einen Lehrgang zum Human Resources Manager in Frankfurt am Main. Heute lebt und arbeitet er in Berlin. Er engagierte sich mehrere Jahre für die Lokale Agenda 21 in Mainz und in Wiesbaden.

Kontakt: Jahnstr. 6, 10967 Berlin


(1) Eine aktuelle Bestandsaufnahme über das Verhältnis von Privatwirtschaft und den übrigen Akteuren in lokalen Agenda-Prozessen gibt die Autorin Katrin Speicher in einem Arbeitspapier des „Promotorteams für den Dialog mit der Wirtschaft in NRW". Diese 34 „Promotoren“ werden seit 1996 vom Land gefördert, um im Rahmen von lokalen Agenda-Prozessen in NRW entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Die zitierte Frage ist dieser Fallstudie entnommen.
Vgl. www.germanwatch.org/rio/ap15.htm

[Seite 21]

Einbahnstraße[Bearbeiten]

Abschied von den alten Feindbildern:
Denn keines Menschen Denken
ist:
Rechts oder links,
richtig oder falsch:


Das ewige Entweder-Oder
endet von jeher
im Weder-Noch.


Die Wirklichkeit ist mehr
als parteiliches Denken sich vorstellen kann.
Und in jeder noch so beschränkten Idee
steckt ein Funke von Wahrheit,
den es zu finden gilt,
will man nicht weiter
wechselseitig
mit Schrotflinten auf einzelne Fruchtfliegen schießen,
statt die Früchte zu retten
und gemeinsam zu kosten.


Roland Greis


[Seite 22]

Welche Chancen verbergen sich in der Lokalen Agenda?[Bearbeiten]

ÜBERALL IN DER WELT, IN TAUSENDEN VON STÄDTEN SIND SCHON ODER WERDEN „LOKALE AGENDEN“ EINGERICHTET. DIESER BEITRAG SOLL DER FRAGE NACHGEHEN, WIE DIE LOKALE AGENDA GESTALTET WERDEN KANN, WIE WIR UNS SELBER BEI DIESER ARBEIT VERÄNDERN UND WELCHEN SCHWIERIGKEITEN WIR AUF DIESEM LANGEN WEG BEGEGNEN.


Es ist nicht einfach, bei dem Thema Lokale Agenda den richtigen Einstieg zu finden. Die einen arbeiten bereits in einer Lokalen Agenda, die anderen wiederum haben noch nie etwas davon gehört. Ich möchte in diesem Beitrag nur einige Gesichtspunkte herausgreifen, die mir in der täglichen Agenda-Arbeit wichtig erscheinen, und ganz bewusst nicht die ganze Entstehungsgeschichte wiederholen.


DIE AKTEURE DER LOKALEN AGENDA

Eine sehr grundsätzliche Frage ist die nach den Akteuren und Initiatoren in einer Lokalen Agenda. Meist ist es so, dass eine beliebige Institution in einer Stadt den Anfang macht: Die Stadt selber, eine Volkshochschule oder ein Kreis von Initiativen (NROs) lädt ein. Dabei entsteht oft der Eindruck, dass sich wieder die Engagierten treffen, die ohnehin auch schon vorher in Umweltangelegenheiten engagiert waren. Dieser Eindruck trügt nicht ganz. Wir sind noch von „früher“ gewohnt, dass sich die alternativ Denkenden treffen, sich als „Familie“ erleben und die Andersdenkenden als „die Gegner“ sehen. Bei der Lokalen Agenda soll es aber im Gegensatz dazu viel eher darum gehen, dass auch und gerade die „Anderen“, die Andersdenkenden mit eingeladen, miteinbezogen werden und einen großen „Runden Tisch“ bilden. An diesem Runden Tisch sitzen nun auch die anderen gesellschaftlichen Akteure, also auch Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Der Sinn eines solchen Zusammentreffens liegt vor allem darin, dass wir die „Andersdenkenden“ und ihre Argumente direkt und unmittelbar wahrnehmen, um so auch zu einer Veränderung unserer eigenen Anschauungen zu gelangen.


LOKALE AGENDA: DEMOKRATIE, DIE LEGITIMATIONSFRAGE

Immer wieder taucht die Frage nach der demokratischen Legitimation der Lokalen Agenda auf. Die Politik sagt: „Wir sind gewählt und damit legitimiert.“ Die Wirtschaft wiederum scheint derzeit noch mehr Macht als die Politik zu haben und man könnte deshalb zurecht fragen: Wer hat die Wirtschaft gewählt? Durch wen wurde die Wirtschaft legitimiert? Die Zivilgesellschaft hingegen - also Initiativen, Vereine und Bürger - emanzipiert sich zusehen und möchte als gleichwertiger Partner, von Gleich zu Gleich, mit am „Tisch“ sitzen. Das wieder bereitet der Politik Sorgen wegen drohendem Machtverlust. Diese Sorge ist jedoch fehl am Platze. Die Politik sollte sehen, dass gerade sie eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft braucht, um die Wirtschaft in ihre Schranken weisen zu können.

Letztlich geht es ja im Agenda-Prozess darum, ein Gleichgewicht zwischen diesen drei Sphären (Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) herzustellen.

Dieses Gleichgewicht kann jedoch nur dann entstehen, wenn alle Beteiligten bereit sind, die Vertreter der Zivilgesellschaft auch als gleichwertige Partner am Runden Tisch anzuerkennen. Die Vertreter der Zivilgesellschaft sind ebensowenig die „Gegner“ wie es die anderen sind. Sie sind vielmehr ein notwendiger Teil des Runden Tisches auf dem Weg zu einer Balance zwischen den drei Bereichen.

Was hat sich verändert? Früher war es durchaus möglich, dass ein König oder ein gewählter Politiker die Geschicke des Landes gelenkt und entschieden hat. Heute jedoch ist die Welt um so viel komplexer geworden, dass die Gewählten nicht (mehr) alleine die Probleme lösen können. Es bedarf der Beratung der verschiedenen Akteure miteinander.

Die Wirtschaft produziert, belastet die Umwelt und muss auch einen gewissen Egoismus an den Tag legen. Die Vertreter der Zivilgesellschaft können und müssen dazu ein Gegengewicht aufbauen, weil sie nicht durch einen zu erwartenden Gewinn motiviert sind. Sie können viel eher ein Ideal vertreten und eine in Freiheit gebildete Position einnehmen. Sie sind nicht befangen, wie es in Erwartung von wirtschaftlichen Gewinnen üblicherweise der Fall ist.

Die Politik hat wiederum die Aufgabe, zwischen diesen beiden Sphären zu vermitteln. Sie hat die Aufgabe, die Balance herzustellen zwischen einem Ideal, das sich aus der Unbefangenheit der Zivilgesellschaft heraus artikuliert, [Seite 23] und einer Wirtschaft, die von ihrem Wesen her einen materiellen Egoismus vertreten muss. Natürlich müssen auch Entscheidungen getroffen werden und die Qualität der politischen Entscheidung sollte das Spiegelbild einer gesunden Balance zwischen den zuvor beschriebenen Bereichen sein. Sicher ist es richtig, dass dies einen Machtverlust der gewählten Politiker mit sich bringt. Aber in einem guten Sinne. Die Gewählten sind nicht mehr „Alleinentscheider“ auf Zeit, sondern in Zukunft Entscheider und Moderatoren in einem Beratungsprozess. Die Qualität der Politik wird sich in Zukunft daran messen lassen müssen, inwieweit sie es versteht, die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure an den „Runden Tisch“ zu bringen und wieweit sie es vermag, den dabei entstandenen Interessensausgleich in praktische Politik umzusetzen.

Ein solches Verständnis der Lokalen Agenda ist auf lokaler Ebene ebenso von Bedeutung wie auch auf globaler Ebene. Es müssen also auch globale „Runde Tische“ entstehen, damit die nur global zu lösenden Probleme hilfreich beraten und verbindlich gelöst werden können.


LOKALE AGENDA: VERÄNDERUNG DURCH BEGEGNUNG UND BERATUNG

Obwohl die Beschlüsse zur Agenda 21 schon acht Jahre zurückliegen (Rio 1992), ist auffallend, dass viele Ziele im Bereich des Umweltschutzes nicht erreicht wurden und dass sich die Lage in einigen Fragen sogar eher verschlechtert denn verbessert hat, obgleich immer wieder auf Konferenzen und in Memoranden Beschlüsse zu einem stärkeren Umweltschutz gefasst wurden. Daran wird deutlich, dass es offenbar nicht ausreicht, gebetsmühlenartig die verschiedenen Fragen zu wiederholen.

Vielmehr zeigt sich, dass sich die Umwelt gerade da in einem positiven Sinne schützen lässt, wo Gruppen von Menschen durch geduldiges Beraten zu einem Ergebnis gelangen, welches anschließend auch verinnerlicht, vertreten und von allen getragen wird. Zu einem Ergebnis also, welches die Menschen auch selber berührt und verändert hat.


LOKALE AGENDA: JEDER IST EINGELADEN

Immer wieder gibt es Fragen nach der Standpunktbestimmung der Lokalen Agenda. Welche Glaubensrichtung vertritt die Lokale Agenda? Welcher Partei ist sie zugehörig? Früher, auch in der 68er Bewegung, war es so, dass man konkrete Glaubensbekenntnisse abgelegt hat und die Andersdenkenden als Gegner sah. Die alternativ Denkenden waren per se „die Guten”. Bei der Lokalen Agenda liegt die große Chance aber gerade darin, dass bewusst und gewollt die „Andersdenkenden“ mit einer positiven Grundhaltung einbezogen werden. Wichtig ist bei dieser Sichtweise, dass die Andersartigkeit des anderen nicht als Hindernis, sondern vielmehr als Bereicherung gesehen wird, auch wenn es uns gewöhnlich schwer fällt. Der Gewinn liegt darin, dass gerade durch das Einbeziehen einer anderen Sichtweise viel eher eine Lösung gefunden werden kann. Bei der Ausgrenzung hingegen wird „die Mauer“ nur höher und das Ergebnis rückt in die Ferne.

Ein konkreter Versuch kann in jeder Lokalen Agenda darin liegen, jeden Menschen, jeden Bürger mit einer positiven Grundhaltung zur Teilnahme einzuladen. Am wichtigsten ist dabei, die eigene wirkliche Bereitschaft zur Offenheit und die Akzeptanz des anderen, so wie er nun einmal ist.

Man könnte auch sagen, es geht um die Veränderung, die in einem selber stattfindet.

In vielen Städten besteht das konkrete Problem, dass Lokale Agenden zwar mutvoll beginnen, jedoch im Laufe der Zeit schrumpfen. Viele resignieren, weil etwas nicht durchsetzbar war, anderen wiederum geht der Prozess zu langsam. Wenn jedoch eine Agenda-Gruppe wirklich von der Vorstellung durchdrungen ist, dass auch die Andersdenkenden eingeladen sind, so lässt sich sicher sagen, dass die Lokale Agenda wächst und nicht schrumpft. Keiner nimmt gern an einer Versammlung teil, die „geschlossen“ wirkt, und so, als wolle man nicht gestört werden. Allzu schnell geraten wir selber in die Rolle: Wer neu dazukommt, hat nichts zu melden. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, kann darin liegen, dass ein neues Mitglied direkt dazu eingeladen wird, etwas über sich selber und über die eigenen Vorstellungen und Wünsche zu erzählen. So etwas ist zum „Anwärmen“ gut.


LOKALE AGENDA: WAHRHEIT

Wir alle sind sehr von der Vorstellung eingenommen, dass nur eine Lösung die einzig richtige ist. Diese Überheblichkeit resultiert daraus, dass wir alle nicht den Überblick über das Ganze haben und zu vorschnellem Urteil neigen. Die große Chance der Lokalen Agenda liegt darin, eben nicht von der einen Wahrheit überzeugt zu sein, sondern vielmehr [Seite 24] nach der örtlichen und gegenwärtigen Wahrheit gemeinsam zu suchen. So ist es z.B. durchaus vorstellbar, dass in der einen Stadt eine Straße gebaut wird und in einer anderen nicht. Das, was am ehesten „nachhaltig“ ist, muss eben in jedem Einzelfall herausgefunden werden, in einem ständigen Prozess.

„Nachhaltigkeit“ ist kein „Gesetz“, sondern das Ergebnis von Beratungsprozessen.


LOKALE AGENDA: ERGEBNISOFFENHEIT

Die Ergebnisoffenheit ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer Lokalen Agenda. Die größte und gleichzeitig am meisten missachtete Ressource sind die Menschen selber mit ihren Ideen und Fertigkeiten. Diese Ressource kann aber nur genutzt werden, wenn ein „Raum“ geschaffen wird, in den hinein die Qualitäten des Einzelnen überhaupt gelegt werden können - also ein freier Raum, ein gestaltbarer Raum.

Wenn es um ein Problem geht, so sollte die Haltung der Lokalen Agenda sein, dass alle und jeder Einzelne gemeinsam nach einem Ergebnis suchen. Damit lässt sich am besten gewährleisten, dass die Potenziale des Einzelnen genutzt werden können. Wenn nun bei den Beteiligten schon überwiegend eine Meinung feststeht, so kann kein Prozess mehr entstehen.

Die Gruppe wird sich früher oder später auflösen. Jeder Teilnehmer spürt unterschwellig, dass er „gegen etwas kämpft“, dass Kräfte verschlissen werden. Um ein Beispiel zu machen: Gerade bei städteplanerischen Projekten, in denen eine sogenannte Bürgerbeteiligung vorgesehen war, ist es von großer Wichtigkeit, dass alle den Mut zu einer wirklich ergebnisoffenen Arbeit haben, sich also nicht schon vorher - unkenntlich für die anderen - festgelegt hatten.

Eine Stadtplanung, die schon vorher die Ergebnisse festgeschrieben hat und die Bürgerbeteiligung lediglich als Akzeptanzbeschaffer benutzt, schadet den positiven Kräften, die in einer wirklichen Partizipation hätten liegen können.


LOKALE AGENDA: UNABHÄNGIGKEIT

Die Unabhängigkeit des Lokalen Agenda Prozesses ist ein wichtiger Grundpfeiler und sie sollte ständig mit einem Bemühen aufrecht erhalten werden.

Auch ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft unabhängig bleibt. Das heißt, dass da, wo sie mit Politik und Wirtschaft zusammentritt, keine verdeckten Verbindungen oder Verbindlichkeiten eingegangen werden. Die Bürger, Initiativen und Vereine müssen also aus ihrer Unabhängigkeit heraus argumentieren. Wenn z.B. eine Initiative von der Wirtschaft Geld bekommt, so ist sie, zumindest diesem Wirtschaftsunternehmen gegenüber, befangen und kann nicht mehr für eine gegenläufige Position einstehen. Die Entbindung aus einem Strafprozess wegen Befangenheit ist bei Gericht eine ganz normale Angelegenheit. Vergleichbar damit ist es auch bei anderen gesellschaftlichen Prozessen wichtig, die - eigene - Befangenheit zu hinterfragen. Auf der anderen Seite steht es außer Frage, dass jeder Bürger irgendwo in wirtschaftlichen Zusammenhängen steht, auch wenn er an einer Lokalen Agenda teilnimmt.

Eine konkrete Hilfe und Möglichkeit für die Lokale Agenda könnte darin liegen, dass jeder seine Motive für einen Vorschlag und seine wirtschaftlichen Absichten offenlegt.

Ein zweiter, ebenso wichtiger Aspekt, liegt darin, dass der gesamte Agenda-Prozess in einer Stadt unabhängig bleibt. Das heißt, dass er nicht von einer, wie auch immer gearteten Organisation dominiert wird. Der Agenda-Prozess „gehört“ nicht der Stadtverwaltung, ebensowenig den alternativen Initiativen oder den politischen Parteien. Die Lokale Agenda in einer Stadt sollte vielmehr durch ständiges Bemühen aller Beteiligten bewusst neutral gehalten werden, damit jeder Bürger sich mit seinen Vorstellungen wiederfinden kann.

Im Konkreten wäre es hilfreich, wenn jede Art von Spaltung in Denkweisen, Stadtteile, in „intern“ und „extern“, in politische oder sonstige Parteien vermieden wird.


LOKALE AGENDA: TRANSPARENZ UND GELD

Es widerstrebt uns oft, unsere Pläne, Gedanken und Vorstellungen anderen gegenüber transparent zu machen, vor allem dann, wenn es um Geld geht. Dieses Vorgehen resultiert daraus, dass wir gerne etwas „im Geheimen“ auf den Weg bringen, weil wir vermeiden wollen, dass andere unseren Plan durchkreuzen. Nun tritt aber der Konflikt auf, dass wir in einer Gruppe nicht etwas beraten können, von em wir gar nichts wissen. Deshalb ist es ein lohnender Versuch, trotz einer unterschwellig vorhandenen Geldangelegenheit alle Dinge zur Sprache zu bringen.

Die Bereitschaft zur Transaprenz nimmt bei Geldangelegenheiten in dem Maße ab, wie eigene finanzielle Ziele potenziell bedroht sind. Der große Bruder dieses Empfindens ist die Wirtschaft selber, die das „Ausstechen” des Konkurrenten als einen notwendigen Vorgang ansieht. Nun können wir schwerlich die Ungerechtigkeit [Seite 25] in der Welt überwinden, wenn wir selber noch die Angst vor materiellem Verlust in uns tragen. Besonders ist auch zu sehen, wie ökologische Schäden letztlich auf solche Verhaltensmuster zurückzuführen sind. Nur in der transparenten Beratung, in der Offenlegung aller Motive, kann der zerstörende Teil des Egoismus überwunden werden.

Im Konkreten kann in der Lokalen Agenda ständig daran geübt werden, gerade Geldangelegenheiten offen am „Runden Tisch“ zu besprechen. Allzu groß ist die Gefahr, dass sich gerade bei Geldangelegenheiten - zunächst kleine - Machtzirkel bilden, die dann in der Folge jegliche Ergebnisqualität vereiteln. Eine weitere Hilfe kann darin liegen, dass alle Beschlüsse mit finanziellen Auswirkungen schriftlich festgehalten und ständig offengelegt werden, so dass auch andere die Vorgänge nachvollziehen können.


LOKALE AGENDA UND KONKRETE PROJEKTE

Konkrete Projekte müssen beschlossen und durchgeführt werden. Das ist richtig und auch der Alltag in jeder Kommune. Die Gewichtung liegt jedoch meistens auf der Fertigstellung eines Projektes. Die Stadt gibt einen Auftrag, bezahlt dafür und bekommt ein Ergebnis. Im Sinne der Arbeit der Lokalen Agenda sollte der Schwerpunkt jedoch anders gelegt werden. Man könnte sagen: So weit wie möglich, sollten Bürger bei der Planung und späteren Ausführung einbezogen werden. Planung und Realisierung von etwas sind immer Chancen der Partizipation. Die Partizipation ist möglicherweise viel wertvoller als das spätere Ergebnis. Sie gibt uns Menschen überhaupt etwas von dem, was wir als Sinn unserer Existenz begreifen können. Wenn schlussendlich alles von Maschinen geplant und gebaut würde, stellte sich die Frage, wozu wir als Bürger und Menschen eigentlich noch da sind.

Konkretes Ziel der Lokalen Agenda-Arbeit kann es sein, bei anstehenden Planungen so viel wie möglich Bürger miteinzubeziehen. Konkrete Projektarbeit muss stattfinden, weil sonst die Ideen der Lokalen Agenda die Bodenhaftung verlieren, wie eben im „normalen Leben“ auch.


LOKALE AGENDA UND GEDULD

Oft leiden die Lokalen Agenden in den Städten auf Dauer an „Magersucht“ und lösen sich nach einem anfänglich geglückten Start sogar gänzlich auf. Es fehlen vorzeigbare Erfolge. Teilnehmer sind voller Verdruss über zu viele Gespräche, aber zeitaufwendiges Abwägen. Dabei wird jedoch die Wichtigkeit einer ausgeprägten Beratungskultur unterschätzt. Wir neigen dazu, gerade den so wichtigen Abwägungs- und Findungsprozessen mit einer gewissen Geringschätzung zu begegnen, weil uns ein festgeklopftes Ergebnis realer erscheint. Das ist sicher verständlich, weil wir in solchen Prozessen noch wenig geübt sind, weil Wiederholungen, Schwächen und Unzulänglichkeiten offenbar werden.

Weil aber nur solche Prozesse Veränderung in uns selber und damit auch in der Welt hervorbringen, ist es an denen, die diesen Wert spüren können, mit unendlicher Geduld, auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg, an diesen anstehenden Beratungsprozessen helfend teilzunehmen. Die Hilfe kann darin liegen, anderen auf diesem Wege durch die eigene Sicherheit Mut und Zuversicht zu spenden.


Jens Loewe


Aktivist in der Stuttgarter Agenda
und Vorstandsmitglied bei Terra


[Seite 26]

Mahatma Gandhi[Bearbeiten]

- ein geistiger Vater der AGENDA-Idee


Gandhi - dieser Name steht im Westen vor allem für die Idee der Gewaltlosigkeit. Als geistiger Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung ist er in die Geschichtsbücher eingegangen. Weniger bekannt dürften seine sozialreformerischen Ideen sein. Die Konsequenz, mit der er soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen suchte und sich für die „Unberührbaren” einsetzte, stieß auf den heftigen Widerstand religiöser Fanatiker und dürfte neben seiner Toleranz gegenüber anderen Religionen ein Grund für seine Ermordung gewesen sein. Seine sozialen Ideen wurden nie Teil eines Regierungsprogrammes, aber sie leben weiter und haben wie seine Anregungen zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zur Gründung sozialer und ökologischer Initiativen geführt. Das BAREFOOT COLLEGE ist eine der interessantesten und innovativsten.

[Seite 27] Im Barefoot College werden ein Lebensstil und eine Arbeitsethik gelebt, die Gandhis immer noch relevanten und universellen Ideen entsprechen.

Gandhi glaubte fest daran, dass das Wissen, die Fachkenntnisse und die Weisheiten, auf die man in den Dörfern stößt, für die Entwicklung eben dieser eingesetzt werden sollten, anstatt dafür Fachwissen von außen heranzuziehen.

Das Barefoot College hat dies in den letzten 29 Jahren geleistet. Nur die Technologie, die von der Gemeinschaft verstanden, eingesetzt und kontrolliert werden kann, wird in einer passenden Weise umfangreich genutzt und angewandt, um die Lebensqualität der armen Bevölkerung zu heben.

Gandhi glaubte, dass anspruchsvolle Technologien in den ländlichen Gegenden Indiens angewandt werden sollten. Sie sollten jedoch von den Armengemeinschaften selbst kontrolliert werden, sodass diese nicht abhängig und ausbeutbar sein würden oder gar durch Außenstehende ersetzt würden. Diesen Glauben reflektiert und praktiziert auch das Barefoot College. So mögen zwar die technologischen Errungenschaften der Solaranlagen, der Handpumpen und Computer anspruchsvoll sein, doch die entsprechen zugleich diesen Kriterien.

Gandhi sagte einst, dass ein Unterschied zwischen Buchwissen und Bildung besteht. Bildung erhalten die Kinder von ihren Familien und ihrem örtlichen Umfeld. Die Abendschulen wurden auf der Grundlage diesen zentralen Glaubens ins Leben gerufen. Am Barefoot College gilt jedoch als eine bildende Quelle; der Postbote, der Schreiber, der Polizist, die Krankenschwester, die traditionelle Hebamme und der Telegrafenarbeiter, dienen als Kommunikatoren für Wissen in einem Dorf.

Gandhi glaubte an die Gleichstellung der Frau. Das Barefoot College bemüht sich darum, Frauen aus Dörfern solcher Regionen auszubilden, in denen Männern traditionell das Monopol zugeschrieben wird.

Gandhi hat uns gelehrt, nichts zu verschwenden. Das Barefoot College verwertet Abfall. Alte Reifen werden zu Schaukeln für Kinder umfunktioniert; landwirtschaftliche Abfallprodukte im Handwerk verwertet; Papier wird in Handpuppen und Lehrhilfsmittel verwandelt; Restmetalle werden zu geodäsischen Häusern (damit Holz als Baumaterial gespart werden kann); Blätter und Gras werden zur Produktion von Bio-Gas verwandt; Altkleider zu Teppichen verarbeitet und anschließend verkauft.


SWRC - Barefoot College


Rajasthan ist der zweitgrößte Staat der Indischen Union, seine Fläche besteht zu mehr als der Hälfte aus Wüstengebieten. Seit einigen Jahren wird der Staat von anhaltenden Dürreperioden heimgesucht, die mittlerweile auch die semiariden und fruchtbareren Landstriche im Südosten erreicht haben. Viel geregnet hat es hier aber noch nie, die landwirtschaftliche Produktivität ist entsprechend niedrig. Viele Dörfer haben in den Sommermonaten kein ausreichendes Trinkwasser.

Die meisten Einwohner leben von der Landwirtschaft oder beziehen ein karges Einkommen aus saisonaler Lohnarbeit. Manche finden auch in staatlichen Beschäftigungsprogrammen Arbeit. 40% der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Nur knapp 40% der Bevölkerung von Rajasthan können lesen und schreiben. 400 Kilometer südlich von Neu Delhi am Rande der Wüste von Rajasthan liegt das Dorf Tilonia. Tilonia ist der Sitz des Social Work and Research Centre (SWRC).


Die Ziele

Das SWRC wurde 1972 von Sanjit (Bunker) Roy gegründet. Es ist eine private, regierungsunabhängige Organisation und heute in ganz Indien bekannt. Ohne ideologische Anbindung vertritt das SWRC einen praxisorientierten Ansatz der Entwicklungsarbeit mit ausgeprägt experimentellem Charakter. Ziel ist eine Professionalisierung der freiwilligen Entwicklungsarbeit und die Ausbildung von dörflichen Führungskräften, um benachteiligten Menschen Zugang zu den wirtschaftlichen Ressourcen des Gebietes zu verschaffen. Bildung und Bewusstseinsbildung sollen darüber hinaus den Menschen helfen, ihre Rechte im Bildungs-, Gesundheits-, ökonomischen und politischen Bereich nicht nur zu erkennen, sondern auch einzuklagen. Die Verbesserung der Kommunikation und [Seite 28]







Auf der EXPO 2000 präsentierte das BAREFOOT COLLEGE seine Arbeit im GLOBAL HOUSE.


Nutzung des traditionellen Wissens sind erforderlich, Bildungsveranstaltungen und Puppentheater sind wichtige Instrumente in diesem Prozess.

Die ersten Entwicklungsmaßnahmen begannen 1972 in den umliegenden Dörfern, sie konzentrierten sich auf umfassende Grundwasseruntersuchungen, die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung und Wiederherstellung alter Wasserreservoire. Seit 1977 wuchs die Organisation; auch ihr Ansatz wurde umfassender, so dass die Aktivitäten auf die Förderung von Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe, Gesundheit und Ausbildung sowie in den letzten Jahren auf die Entwicklung alternativer Technologien ausgedehnt wurden. Wichtigster deutscher Partner des SWRC ist die Deutsche Welthungerhilfe (DWHH), die die Arbeit der Organisation seit 1978 mit mehr als 4,5 Mio. DM unterstützt hat.

In 14 indischen Staaten sind bereits 18 Tochterorganisationen des SWRC entstanden, die in ihrem Einzugsgebiet selbstständig Entwicklungsprojekte durchführen und den Ansatz des SWRC multiplizieren. Fünf von ihnen werden ebenfalls von der DWHH unterstützt.


Die Philosophie

Die Philosophie des SWRC beruht auf der Annahme, dass die Menschen, die Gemeinschaften über Wissen, Fähigkeiten und praktische Erfahrung verfügen, die sie für ihre eigene Entwicklung nutzen müssen und können. Gelingt dies, steigen auch Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein und damit die Fähigkeit, Konflikte auch gegen Widerstände zu ihren Gunsten zu lösen.

Sanjit Bunker Roy formulierte das in seiner Rede anlässlich des 3ojährigen Bestehens der Deutschen Welthungerhilfe so:

„Reisender, es gibt keinen Weg: Wege entstehen durch Begehen.“

Menschen lassen sich nicht entwickeln. Menschen sind die Träger von Entwicklung, wenn man ihnen die Zeit und die Möglichkeit gibt, dies auf ihre Weise und in ihrer Zeit zu tun. Wenn diese Zusammenarbeit uns etwas gelehrt hat, dann dies: Viele Probleme, die von sogenannten Experten identifiziert wurden, haben die Armen längst auf ihre Weise gelöst. Nur: Wir haben nicht die Geduld zuzuhören und zu lernen. Der Süden mit seinem kollektiven Reichtum an Weisheit, Wissen und Fähigkeiten könnte dem Norden viele Wege weisen. Wenn es im Süden so gut wie keine Doktoren, Lehrer und Ingenieure mit Universitätswissen gab, wie kommt es, dass in den Dörfern Kranke geheilt oder Regenwassertanks gebaut wurden? Wie kommt es, dass Menschen, die nie eine Schule oder ein College besucht haben, Literatur schreiben? Vor Jahrhunderten gab es in Indien Selbsthilfe-Strukturen, [Seite 29] die jeder Frau und jedem Mann das Grundrecht auf Trinkwasser, Nahrung, Ausbildung, Gesundheit, Wohnung und Arbeit gewährten. Heute ist dieses Netz gegenseitiger Hilfe und Unterstützung der einseitigen Abhängigkeit von Regierung und ausländischer Hilfe gewichen.“


Warum Barefoot College?

Millionen armer Menschen in Indien, die das Wissen, die Fachkenntnisse und die Weisheiten ihrer Vorfahren in sich tragen, leben und arbeiten barfuß. Sie sitzen und arbeiten auf dem Boden. Der Name symbolisiert die Anerkennung, den Respekt und die Bedeutung, die dem kollektiven Wissen der Armen beigemessen wird.

Das Barefoot College ist eine Einrichtung, die auf den Prinzipien der Gleichheit, des Selbstvertrauens, der Dezentralisierung und der Sparsamkeit beruht und auf der Grundlage kollektiver Entscheidungsprozesse weiterentwickelt wird: Wo von jedem erwartet wird, offen zu sein, neue Ideen auszuprobieren, wo der Lehrer der Schüler und der Schüler der Lehrer ist, wo der Arbeit, dem Teilen und dem Willen, mit den Händen zu arbeiten, ein enormer Wert zugeschrieben wird.


Ursachen der Verelendung

Bereits Gandhi hatte die Ursachen der ländlichen Arbeitslosigkeit und Stadtflucht analysiert. Die britischen Kolonialherren hatten systematisch das einheimische Handwerk durch billige Massenwaren und die landwirtschaftliche Selbstversorgung durch Monokulturen zerstört.

Aber auch nach der Unabhängigkeit wurde eine an westlichen Vorbildern orientierte Wirtschaftspolitik fortgesetzt.

Die Verwendung von Plastik in Schuhen, Seilen und anderen Utensilien haben die traditionellen Handwerker der Leder- und Seilverarbeitung, die Töpfer und Hufschmiede arbeitslos gemacht. Elektrische Webstühle haben die manuellen ersetzt. Zunehmende Bewässerungsanlagen haben zu konzentrierter Landnahme geführt, wodurch die Zahl der Bauern ohne Bodenbesitz anstieg. Eine zunehmende Abhängigkeit von städtischen Regionen führte zum Untergang traditioneller Fachkenntnisse. Antwort auf Indiens Probleme liegt nicht in der Massenproduktion, sondern in der Produktion durch die Massen!


Frauen-Power

Das Barefoot College hat Frauen ermuntert, in großen Gruppen zusammenzukommen, damit sie realisieren, dass sie nicht alleine sind. Die ländlichen Frauen, die Analphabetinnen und dennoch gebildet sind, stellen, wenn sie Selbstvertrauen gefunden haben, die bei weitem machtvollsten Kommunikatoren für Wissen und Aktionen dar.

Durch gezielte Förderung von Frauen konnten Domänen männlicher Vorherrschaft beseitigt und in Ursachen weiblichen Selbstbewusstseins verwandelt werden. „Barefoot-Frauen“, die Mechanikerinnen sind, reparieren und halten Handpumpen in Stand, um Frauen Kontrolle über ihre Wasserressourcen zu geben. Weibliche Solaringenieure bauen ein Netz der Selbstversorgung mit Solarstrom auf. 20 bis 25 Frauen aus ländlichen Regionen, die lesen und schreiben können, leisten die computerisierte [Seite 30] Datenverarbeitung in den Zweigstellen des Barefoot College.

Auf der Grundlage ihres gewachsenen Selbstvertrauens haben Frauen Konferenzen und öffentliche Anhörungen und Kampagnen gegen Vergewaltigung durchgeführt, die zuvor in einer von Männern beherrschten Gesellschaft toleriert wurde.

Frauenaktionen haben in Rajasthan das erste Urteil bezüglich Mindestgehältern beeinflusst. Ihr Sieg vor dem Obersten Gerichtshof gewährleistet, dass in Zeiten von Hungersnöten die Regierung Mindestgehälter auszahlen muss.

Mehr als 400 Frauen aus ländlichen Regionen produzieren hochqualitative Kunsthandwerkserzeugnisse sowohl für den Export als auch für den einheimischen Markt.

Das Handelsvolumen beläuft sich auf 100.000 Britische Pfund im Jahr, wobei ein Großteil der Gewinne in Schecks ausgezahlt wird. Die Frauen waren somit gezwungen, ihre eigenen Bankkonten zu eröffnen. Sie mussten lesen und schreiben lernen, um an ihr Geld zu kommen.


Traditionelle Medien

In Regionen, wo die Analphabetenrate hoch und die mündlichen Überlieferungen reichhaltig sind, besitzen die traditionellen Medien wie Straßen- und Puppentheater eine größere Macht als Fernsehen oder Printmedien. Die traditionellen Medien der Unterhaltung sind ein machtvolles Instrument, um Einstellungen und Geisteshaltungen der Menschen zu verändern, die in dem Glauben leben, nichts an ihrem Leben verbessern zu können.

Eine 1987 gemachte Tournee durch 63 Dörfer gab den Puppenspielerteams die Gelegenheit, Theaterstücke zu Themen wie Trinkwasser, den fragilen Umweltbedingungen zur Erhaltung von Trinkwasser und der Bedeutung von Bäumen vorzustellen. Mehr als 10.000 Menschen haben diese Vorstellungen gesehen. Es bestehen mehr als 45 Puppenspielerteams, die unter anderem folgende Themen vorstellen: Das Recht auf Information, Gründe für Schulabgänge in den ländlichen Regionen, die Bedeutung der Einführung von Mindestlöhnen, die Notwendigkeit brachliegende Böden zu erschließen, Frauenrechte, das Problem der Unberührbarkeit.


Technologie entmystifizieren

Das Barefoot College entmystifiziert Technologie, damit diese den dringenden Bedürfnissen der Menschen dienlich werden kann. Dies umfasst eine Botschaft an nationale und internationale Entscheidungsträger. Schreiben und lesen zu können sowie hochgestochene Qualifikationen sind nicht erforderlich, um sogar anspruchsvollste Technologien zu verstehen und anzuwenden, die die Lebensqualität der ländlichen Bevölkerung verbessern. Dazu sind lediglich Glauben, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und ein praktischer Sinn nötig.

Nur die Technologie, die man verstehen und die unter der Kontrolle der Gemeinschaft bleiben kann, sollte umfangreich eingesetzt werden.

Zu den angewandten Technologien gehören Computer, Solarenergie, Biogas und elektronische Kommunikationsmittel.


Die Nachtschulen

60 Prozent der armen Kinder aus ländlichen Regionen können es sich nicht leisten, eine der staatlichen Tagesschulen zu besuchen. Sie müssen in ihren Familien mithelfen, das Vieh versorgen und die Wasserversorgung sichern. Aus diesem Grund wurden Nachtschulen ins Leben gerufen. Dies erfolgte zur Bequemlichkeit der Schüler und [Seite 31] nicht, um Lehrern entgegenzukommen.

Der Lehrplan der Nachtschulen wurde so gestaltet, dass die Kinder ein größeres Bewusstsein für ihr Dorf entwickeln, d.h. erfahren, wie ländliche Institutionen funktionieren. Nach 25 Jahren bestehen 150 Nachtschulen in einem Gebiet von 850 Quadratkilometern. Diese Schulen werden jeden Abend von mehr als 3000 Kindern besucht, 70 Prozent der Nachtschulen nutzen Solarenergie für die Beleuchtung.

Alle Schüler wählen ein Schülerparlament, dessen Vertreter die Schulen kontrollieren. Ihre Aufgabe ist es zu Überwachen, dass die Lehrer pünktlich sind und ausreichend Schulmittel vorhanden sind. Außerdem sorgen sie dafür, dass mehr Kinder die Schule besuchen, und sie können den Leiter des College veranlassen, unfähige Lehrer zu feuern.


Solarenergie

Der gesamte Kampus des Barefoot College funktioniert auf der Grundlage von Solarenergie, die von einem Priester eingeführt wurde, der an einer Mittelschule unterrichtet. 15 Computer, ein Telefonnetz mit 250 Anschlüssen, E-Mail sowie insgesamt 500 Beleuchtungsanlagen in der Bibliothek, im Speisesaal, in den Unterkünften für 100 Personen und deren Familien, Wasserpumpen und -verteiler, das pathologische Labor und das Mütterzentrum werden ausschließlich durch Solarenergie gespeist. Dies hat die Einsparung von 60.000 Liter Dieselöl und Kerosin zur Folge. Mehr als 100 Abendschulen werden mit Licht versorgt, das aus Solaranlagen kommt.

Außerdem unterstützt das College die Solarstromversorgung von 25 entlegenen Dörfern der Himalaya-Region durch Lieferung von Solaranlagen. In Ladakh an der indisch-pakistanischen Grenze sorgen 19 einheimische barfüßige Solaringenieure für die Installation und Wartung der Anlagen. In einer Region, die sechs Wintermonate im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten ist, stellt dies eine wesentliche Verbesserung dar. Das Projekt wurde gegen den anfänglichen Widerstand staatlicher „Fachleute“ durchgesetzt, die die ökologisch schädliche Stromversorgung durch Dieselgeneratoren fortsetzen wollten.

Innerhalb von drei Monaten wurden die nötigen Fachkräfte aus den Bergdörfern ausgebildet und konnten eine von außen unabhängige Stromversorgung installieren.


Trinkwasserversorgung

Der Zugang zu Trinkwasser ist keineswegs ein technisches Problem, wie Ingenieure behaupten, sondern in erster Linie ein gesellschaftliches Problem.

Es müssen Gemeinschaftsprobleme wie die Wahl der Technologie, die Sammlung und Verteilung, Reparaturen und Instandhaltung, Vermeidung von Verschwendung und Korruption von den Menschen selbst aufgegriffen und gehandhabt werden, indem sie sich mit den anderen betroffenen Personen beraten.

Derartige Probleme werden einfacher bewältigt, wenn die Nutzer der Gemeinschaft einbezogen werden und nicht die städtischen Ingenieure, die Außenseiter sind und die Sorgen und Dringlichkeiten nicht am eigenen Leib erfahren.

Es besteht nicht die Notwendigkeit, Wasser mit Hilfe von teuren Maschinen aus großen Tiefen zu fördern. Indem einheimische Materialien, die Fachkenntnisse der Dorfbewohner und Freiwillige aus den Dörfern eingesetzt wurden, konnten große Wasserbehälter konstruiert werden, die Regenwasser in großen Mengen auffangen. Mit den Kosten für die Bohrung eines einzigen Bohrlochs konnten in 107 Schulen 12 Millionen Liter Regenwasser aufgefangen und 1000 Menschen für vier Monate Arbeit gegeben werden.


Die aufgeführten Beispiele und Bilder stellen eine Zusammenfassung der vom BAREFOOT COLLEGE veröffentlichten Materialien dar. Sie zeigen, in welchem Maße die Ideen einer nachhaltigen, ökologisch und sozial verträglichen Entwicklung in einem Land Fuß gefasst haben, das in den Schlagzeilen der Weltpresse eher als unerschöpfliche Quelle menschlicher Katastrophen dargestellt wird.

Das Buch zum Thema:
„Tilonia, where Tradition and Vision meet“,
Frederking & Thaler Verlag, München
ISBN 81-7436-108-1
auch in Deutsch erhältlich


[Seite 32]32

Lesezeit[Bearbeiten]

GRAMINEEN

Eine Bank für die Armen der Welt


Mit diesem Buch dokumentiert Professor Muhammad Yunus, der Gründer der GRAMEEN BANK, die Entstehung und Entwicklung eines „unmöglichen“ Projektes. Dies war zumindest die Ansicht aller in- und ausländischen Bankfachleute, an die sich der Autor wandte, nachdem er erkannt hatte, dass oft nur wenige Dollar die Ärmsten seines Landes vom Aufbau eines menschenwürdigen Lebens trennten.

Detailliert stellt der Autor dar, wie es ihm gelang, die Einwände seiner Kritiker schrittweise in der Praxis zu widerlegen und ein System des Kredits aufzubauen, das sich an den Bedürfnissen der Menschen und nicht am Prinzip der Profitmaximierung orientiert.

Das Überraschendste daran ist, dass sein Modell einer Bank für die Armen auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Effektivität und Rentabilität die herkömmlichen Banken in den Schatten stellt. Während im Westen Rückzahlungsquoten von 70-80% üblich sind und in Yunus’ Heimat Bangladesh sich Banken häufig mit 10% Kreditrückzahlung zufriedengeben müssen, weil die vermögenden Schuldner regelmäßig mit staatlich verordneten Schuldenerlässen rechnen können, weist die GRAMEEN BANK eine Rückzahlungsquote von 98% auf.

Inzwischen wurde das Modell des Kleinstkredits für Bedürftige, insbesondere Frauen, in 58 Ländern der Welt erfolgreich den jeweiligen Bedingungen angepasst. Es genießt die Unterstützung der Weltbank und führender Politiker aus allen Teilen der Welt, die sich zusammen mit über 100 Nichtregierungsorganisationen das ehrgeizige Ziel gesetzt haben, bis zum Jahre 2005 die 100 Millionen Ärmsten der Welt mit Krediten auszustatten, die ihnen den Aufbruch in die Selbstständigkeit ermöglichen.

Der Autor erläutert ausführlich, warum GRAMEEN zu 94% an Frauen Kredite vergibt, und beschreibt die soziale Revolution, die in seinem vom islamischen Fundamentalismus geprägten Land dadurch eingeleitet wurde, in einem Land, in dem noch vor wenigen Jahren Frauen in vollständiger Abhängigkeit von den Männern wie Haussklaven gehalten wurden.

Einen speziellen Teil des Buches widmet der Autor der Darstellung der Prinzipien und Bedingungen, unter denen das GRAMEEN-Modell auch auf die reichen Länder übertragen werden kann, [Seite 33] in denen Armut zunehmend ein Problem geworden ist. An Beispielen aus aller Welt werden erfolgreiche Projekte dokumentiert.

Im für den westlichen Leser vielleicht interessantesten Teil des Buches erläutert Professor Yunus die Unternehmensphilosophie des GRAMEEN TRUSTS. Hier liefert er überzeugende Argumente dafür, wie die Probleme unseres Jahrhunderts, Armut, Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsexplosion, Ressourcenknappheit durch neue, am Menschen und seiner geistigen Natur orientierte Denkansätze in Angriff genommen werden können.

Inzwischen ist der GRAMEEN TRUST auch im Bereich des Technologietransfers (Aufbau eines solargetriebenen Mobilfunknetzes, Zugang zum Internet), bei der Bildung von Renten- und Vorsorgefonds, im Ausbildungs- und Gesundheitsbereich tätig und erweitert die Gebiete seines Engagements ständig auf Grundlage der in der praktischen Arbeit gemachten Erfahrungen. Die Tatsache, dass viele dieser Erkenntnisse auch in den reichen Ländern des Westens anwendbar sind und zunehmend Fuß fassen, bringt den Leser zu der erstaunlichen Schlussfolgerung, dass die Zeiten vorbei sind, wo die Repräsentanten armer Länder ehrfürchtig auf die westlichen Vorbilder starrten und sie blindlings nachzuahmen versuchten. Eine Zeit hat begonnen, in der der Norden anfängt vom Süden zu lernen.


Roland Greis
GRAMINEEN - Eine Bank für die Armen der Welt
Muhammad Yunus mit Alan Julis, Deutsch von Helmut Mennicken, Gustav Lübbe Verlag, 1998, ISBN 3-7857-0948-x



Kleinstkredit bedeutet nichts anderes, als
jedem Menschen dabei zu helfen, seine
Fähigkeiten zu entwickeln und zu
verwirklichen. Er beruft sich nicht auf das
monetäre, sondern auf das menschliche
Kapital. Der Kleinstkredit ist vor allem ein
Werkzeug, das die Träume der Menschen
verwirklicht und auch dem Ärmsten
unter den Armen hilft, in Würde und
Respekt zu leben und seinen Leben einen
Sinn zu geben.
Muhammad Yunus



Zitate


Demokratie ist,
wenn sich Menschen in ihre
eigenen Angelegenheiten einmischen.
Max Frisch




Nahe den Bergen
klingt der Felsboden
hohl
unter den Schritten.
Er sagt dir: Denk daran,
die Erde ist eine Trommel.
Wir müssen sorgsam auf unsre Schritte achten,
um im Rhythmus zu bleiben.
Joseph Bruchac


Joseph Bruchac stammt väterlicherseits von
slowakischen Einwanderern ab, seine Mutter war
eine Abenaki-Indianerin.
In diesen knappen Zeilen fasst er die indianische
Einstellung zur Natur zusammen. Angesichts der
drohenden Umweltzerstörung unserer Tage ist der
„Indianische Weg“, nämlich mit der Natur und nicht
gegen sie, auch für uns von großer Bedeutung.


[Seite 34]

Terra - One World Network[Bearbeiten]

Die Wende kommt aus der Globalen Zivilgesellschaft

- ungewöhnliche Wege zur Umsetzung der Agenda 21 -


Die Entstehungsgeschichte fast aller der weltweit über 50.000 Nichtregierungsorganisationen(NRO) liest sich im Kern recht ähnlich: Einige Bürger haben ein weiteres Problem erkannt, um das sich die staatlichen und sonstigen gesellschaftlichen Einrichtungen zu wenig oder gar nicht kümmern. Um auf das erkannte Problem aufmerksam zu machen und Abhilfe zu schaffen, gründen sie eine Bürgerorganisation, eine NRO. So wichtig diese Funktion eines Anwalts und „Weltgewissens“ ist, so dringend muss die Zivilgesellschaft jetzt zusätzlich in eine viel weiterreichendere Rolle hineinwachsen: Sie muss aus der Freiheit von den Sachzwängen heutiger Politik und Wirtschaft kreative und konkrete Zukunftskonzepte entwickeln - von der lokalen bis zur globalen Ebene. In der Stärkung dieses Prozesses sieht das Terra One World Network seine Hauptaufgabe.


VERLOCKENDE HOFFNUNGEN AUF EINE NEUE WELTORDNUNG

Nach über zwei Jahrzehnten wachsenden Bürgerprotests gegen Aufrüstung, globale Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung war die Rio-Konferenz 1992 in mehrfacher Hinsicht eine historische Wende. Nie zuvor wurden die brennendsten Weltprobleme zum Gegenstand einer wirklich globalen Diskussion. Nie zuvor wurde so klar erkannt und so breit anerkannt, dass die Probleme der Menschheit nicht in Umwelt-, Entwicklungs-, Wachstums- oder Menschenrechtsprobleme teilbar sind. Nie zuvor gewann die Einsicht so klaren Ausdruck, dass die Probleme nur gemeinsam zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu lösen sind - am runden Tisch auf gleicher Augenhöhe. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts schienen die Zeichen günstig für große Hoffnungen. Nach den ersten echten Abrüstungsverträgen der Menschheitsgeschichte schien die Gestaltbarkeit auch der anderen Menschheitsprobleme in Reichweite zu kommen.


DIE GLOBALISIERUNGSWALZE

Doch im Siegesrausch des Westens erhoben sich ganz andere Stimmen - Stimmen, die von den Visionären einer humaneren Weltordnung zu wenig beachtet und damit in ihrer Wirkung unterschätzt wurden:

Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Welt war der Weg frei zur ungehemmten Globalisierung der Weltwirtschaft. Noch länger Rücksicht nehmen auf soziale Ansprüche, nachdem sich der Sozialismus so gründlich diskreditiert hatte? Hat sich das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht als eindeutig überlegen herausgestellt? Macht es also nicht Sinn, dieses nunmehr global und in seiner reinen Form zu installieren? Waren die sozialen Attribute der Marktwirtschaft nicht die ökonomisch nur störenden Zugeständnisse an eine sozialistisch beeinflusste Weltgesellschaft? „Liberalisierung der Weltwirtschaft", so lautete die neue Verheißungslehre.

Sie führte zunächst zu einer rasanten Liberalisierung und Globalisierung der Geldmärkte. Der Shareholder-Value avancierte zum Wert, dem alles unterzuordnen war. Die Aktienbesitzer verlangten immer höhere Renditen und die Beseitigung aller Hindernisse, die dem im Wege standen - in den Unternehmen und in den Staaten. Die Folge: Die Börsen boomten wie nie zuvor. Die Geschwindigkeit des Reichwerdens vervielfachte sich - für die Shareholder und für jene, die die Vorteile der ökonomischen Globalisierung für sich nutzen konnten.


DAS NEUE GLOBALE UNGLEICHGEWICHT

Die Shareholder-Globalisierungswalze führte in nur wenigen Jahren zu tektonischen Verschiebungen allergrößten Ausmaßes und in allen Bereichen der Weltgesellschaft:

Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößerte sich schneller als je zuvor. Auch in den reichen Staaten riss diese Kluft mit unerwarteter Dynamik auf. Die soziale Stabilität erodierte weltweit.

Der Teil der Wirtschaft, der sich globalisieren konnte, zahlt fast keine Steuern mehr und nutzt auch sonst die Unterschiedlichkeit der Nationen gnadenlos aus: Er produziert, wo er High-tech und Low-income am besten verbinden kann, und zahlt seine Steuern, wo die Steuerquote gegen Null tendiert. Dadurch „gewinnt“ die globalisierte Wirtschaft enorme Globalisierungsvorteile im Vergleich zu jenem [Seite 35] Teil der Wirtschaft, der sich aus strukturellen oder sonstigen Gründen nicht globalisieren kann. Die globalisierte Wirtschaft diktiert die neuen Shareholder-Erwartungen, mit denen die nicht-globalisierte Wirtschaft nicht mithalten kann. Die Großbanken ziehen deshalb das Kapital, das sie bislang in die mittelständische, nicht-globalisierte Wirtschaft pumpte, aus dieser ab, um alles Geld in die globalisierten Märkte zu stecken. Der klein- und mittelständischen Wirtschaft, dem Fundament jeder gesunden Ökonomie, wird der Geldhahn abgedreht.

Und - last not least - „entwächst“ die globalisierte Wirtschaft immer mehr den politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Nationalstaaten. Die wirklich entscheidenden politischen Standards werden heute nicht mehr von den Nationen vorbereitet, sondern von globalwirtschaftlicher Lobbyarbeit. Adam Smith's „unsichtbare Hand“ ist heute nicht mehr nur eine des Marktes, sondern auch der Politik. Lobbyisten, die keinerlei demokratische Legitimation besitzen, beeinflussen nachhaltig die politischen Entscheidungswege und halten die entscheidenden Fäden in ihrer Hand. Auf der heute wichtigsten, der globalen Ebene entfernen wir uns daher immer weiter von demokratischen Attributen.


DIE NEUE ROLLE DER GLOBALEN ZIVILGESELLSCHAFT

In dieser Situation gewann die globale Zivilgesellschaft - allen voran die sogenannten Nichtregierungsorganisationen - eine neue, unerwartet weitreichende Bedeutung. Wenn nationale Politik versucht, einem globalen Unternehmen Zügel anzulegen, kann dieses mit der Verlegung seines Standorts drohen. Wenn NROs demselben Unternehmen mit einer globalen Kampagne drohen, ist dies für das Unternehmen weitaus gefährlicher.

Die globale Zivilgesellschaft wird daher an immer mehr „Runde Tische“ geladen, um globale Standards für die wichtigsten globalen Rahmenbedingungen mit auszuarbeiten. Die globale Zivilgesellschaft rückt immer mehr in die Position, Anwalt globaler Werte und globaler Verantwortung in der globalen Willensbildung zu sein. Sie muss daher ihre Kompetenzen einschneidend erweitern: vom Protest gegen Ungerechtigkeit und gegen verantwortungsloses Handeln zu konkreten Lösungskompetenzen in allen grundlegenden Sachfragen. Und sie hat dabei die Gelegenheit, nicht nur inhaltlich, sondern auch in Stil und demokratischer Qualität eine neue politische Kultur mitzuetablieren.

Wir haben derzeit eine Entwicklung, die man als eine „konstituierende Versammlung auf globaler Ebene“ bezeichnen könnte, aus der eine neue Kultur lokaler bis globaler Entscheidungsstrukturen hervorgehen wird. Diese „konstituierende Versammlung“ ist jedoch keine singuläre Großkonferenz, sondern ein komplexer Prozess über einen Zeitraum von mehreren Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten. Die erforderlichen kreativen Impulse in diesen Prozess werden aufgrund der bisher sehr einseitig wirtschaftlichen Globalisierung weder aus den bisherigen politischen Strukturen noch aus der Wirtschaft kommen, da diese zu sehr in die Sachzwänge der bisherigen Strukturen verstrickt sind. Die wichtigsten kreativen Impulse werden daher aus der globalen Zivilgesellschaft kommen.


WO SUCHT HIER TERRA SEINEN PLATZ?

Terra will in diesem Prozess sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der Ebene der neuen Strukturbildung mitwirken. Auf der inhaltlichen Ebene konzentriert sich Terra auf ein Schwerpunktthema: die Überwindung der Armut. Auf der Ebene der Herausbildung einer








Bei der 1. internationalen Chancen-Konferenz traf der Terra-Vorstand mit Grameen-Bank-Gründer Muhammad Yunus (Mitte) zusammen.








Diese Frau unterzeichnet erstmals in ihrem Leben einen Vertrag für einen kleinen Kredit von der Grameen Bank. Sie kann sich dadurch mit einem Kleingewerbe selbstständig machen.








Eine Landfrau in Bangladesh erhielt ihren ersten Kleinkredit von der Grameen Bank.



[Seite 36]








Huschmand Sabet (Mitte) wurde für die Entwicklung des Konzeptes für eine freiwillige Entwicklungsabgabe der Wirtschaft gemeinsam mit Muhammad Yunus (links), dem Gründer der Grameen Bank, und Michail Gorbatschow mit dem „Planetary Consciousness Award" des Club of Budapest ausgezeichnet.








Gustavo Correa, Direktor der Entwicklungshochschule FUNDAEC in Kolumbien, besuchte die Terra-Gruppe in Stuttgart.








Viele Kurse der Entwicklungshochschule FUNDAEC finden unter freiem Himmel statt.


neuen Kultur und Struktur globaler Entscheidungsfindung will Terra als „lernende Organisation“ in der Lokalen Agenda mitwirken, sich aber auch in der globalen Netzwerkbildung der NROs und Zivilgesellschaft aktiv einbringen.


INITIATIVE ZUR WELTWEITEN ÜBERWINDUNG DER ARMUT

Seit der Gründung im Jahr 1994 arbeitet Terra an der Entwicklung eines umfassenden Programms zur Überwindung der Armut. So entwickelte das Terra-Ehrenmitglied Huschmand Sabet das Konzept einer freiwilligen Abgabe der Wirtschaft zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten. Diese Idee wurde in einem Pilotprojekt im europäischen Teppichhandel umgesetzt. Jährlich fließt auf diesem Wege rund 1 Mio. DM in soziale Infrastrukturprojekte wie Schulen und Krankenhäuser in den Teppichknüpfregionen Indiens, Nepals und Pakistans.

Doch dies war nur ein Anfang. Terra betreibt seit fünf Jahren Lobbyarbeit für die Einführung einer wettbewerbsneutralen Abgabe, an der sich nicht nur einzelne Betriebe beteiligen sollen, sondern gesamte Wirtschaftszweige. Für dieses Bemühen wurde Huschmand Sabet 1997 in der Frankfurter Paulskirche gemeinsam mit Michail Gorbatschow und Muhammad Yunus mit dem Planetary Consciousness Award ausgezeichnet. Immer mehr Politiker und selbst Unternehmer erkannten, dass eine wettbewerbsneutrale Abgabe zur Finanzierung eines intensiven globalen Programms zur Überwindung der Armut ein eindeutiges Win-Win für alle ist - für die Armen als ernsthafte Entwicklungschance, für die Wirtschaft als Erschließung großer neuer Märkte und für die wohlhabenden Länder als effektivstes Mittel zur Überwindung von Bevölkerungsexplosion bis armutsbedingter Umweltzerstörung.

Seit 1999 führt Terra diese Bemühungen weiter in Form einer Initiative zur Etablierung eines weltweiten „Fonds zur Überwindung der Armut“. Diese Initiative soll nach Vorstellung von Terra die Entschuldungskampagne „Erlassjahr 2000“ fortführen. Der Kern dieser Initiative ist die Einführung einer Abgabe aus den globalen Wirtschaftskreisläufen und die Investition der dadurch gewonnenen Gelder in Projekte, die eine effiziente „Entwicklung von unten“ fördern, z.B. Kleinkreditprojekte, Entwicklungshochschulen, Basic-Needs-Projekte sowie die Förderung des Zugangs zur Selbstorganisation und zum Weltwissen (Internet).


LOKALES LERNEN FÜR EINE NEUE POLITISCHE KULTUR

Die Entwicklung einer neuen politischen Kultur muss nach Ansicht von Terra vor allem auf zwei scheinbar entgegengesetzten Ebenen erfolgen: der lokalen und der globalen.

Auf der lokalen Ebene ist das geeignete Forum hierfür die Lokale Agenda, auch wenn diese derzeit noch so unvollkommen ist. Aber die historische Bedeutung der Lokalen Agenda liegt darin, dass sie vom Geist des „Runden Tisches“ bestimmt ist, an dem alle Akteure von Gleich zu Gleich miteinander beraten. Zur Stärkung des Prozesses der Lokalen Agenda will Terra vor allem beitragen durch den Aufbau eines Terra-Trainingsinstituts, in dem eine neue Qualität der Teamarbeit bei lokaler Entscheidungsfindung trainiert wird, die Kunst konsultativer Konfliktlösung sowie die Vorteile eines Win-Win-Denkens, bei dessen Ergebnissen niemand mehr Verlierer ist, sondern alle zu Gewinnern werden. Diese Angebote sind unter dem Begriff „Chancenwerkstätten“ zusammengefasst.

Diesen neuen Ansatz setzt Terra in einer immer größer werdenden Anzahl von lokalen Einzelprojekten um, z.B. bei „Wettläufen [Seite 37] gegen die Armut“, bei „Projektepartnerschaften“ oder in Arbeitskreisen zur Förderung von Entwicklungshochschulen oder Kleinkreditprojekten.


GLOBALES LERNEN FÜR EINE NEUE POLITISCHE KULTUR

Auf der globalen Ebene ist in der jetzigen Phase vor allem ein wechselseitiges globales Lernen der weltweiten Zivilgesellschaft von den Tausenden von konstruktiven Ansätzen erforderlich, die verstreut über die ganze Welt bereits entwickelt wurden.

Birgit Breuel bezeichnete zurecht die sogenannten „Weltweiten Projekte“ als „den Eiffelturm der Expo 2000”. Eine internationale Jury suchte erstmals bei einer Weltausstellung 767 vorbildliche Umwelt- und Entwicklungsprojekte aus und verlieh ihnen den Status „Weltweite Projekte der Expo 2000". Ein so breites Spektrum lösungsorientierter NROs und Projekte mit hoher Lösungskompetenz war noch nirgendwo zusammengeführt worden. Terra ergriff daher gemeinsam mit anderen NROs und Weltweiten Projekten die Gelegenheit, daraus ein dauerhaftes Netzwerk zu bilden. Am 31. Oktober 2000, dem letzten Tag der Expo 2000, wurde das „Netzwerk Weltweite Projekte“ formell gegründet. Terra wird die weitere Ausgestaltung dieses Netzwerks mit allen seinen Kräften mit voranbringen, weil aus diesem Netzwerk besonders wertvolle und konstruktivkreative Impulse in die globale Willensbildung eingebracht werden können.

Eine wesentliche Voraussetzung für den globalen Austausch von Informationen und Erfahrungen der globalen Zivilgesellschaft ist die effektive Nutzung des Internet. Um dies voranzubringen, begann Terra 1998 mit der Bildung einer Internet-Plattform für die globale Zivilgesellschaft - dem „ChancesPark“. Der ChancesPark - www.chancespark.net - wurde Partner der Expo 2000 im Global House am dortigen „Global House Web Point“. Er soll nun zu einer gemeinsamen Plattform für möglichst viele NRO-Netzwerke werden. Im ChancesPark sollen sich bewusst auch Unternehmen präsentieren, die den Gedanken der Nachhaltigkeit in ihre gelebte Firmen-Philosophie aufgenommen haben.


Peter Spiegel









Mit dem Internetprojekt „ChancesPark“ war Terra Partner der Weltausstellung Expo 2000 im Global House. Der ChancesPark ist eine Kommunikationsplattform im Internet für engagierte Menschen und Organisationen.








Der Zeri-Pavillon - ganz aus Bambus gebaut - wurde zum Symbol der Weltweiten Projekte der EXPO 2000.


Weitere Informationen:

www.terra-network.de
www.chancespark.net
Terra One World Network eV,
Morsestr. 35, 70435 Stuttgart,
Tel. 0711/8263553,
Fax 0711/8263558.


[Seite 38]


Heidelberg - Unterwegs Zur Nachhaltigkeit[Bearbeiten]

„Du, der Vaterlandsstädte ländlichschönste, so viel ich sah” schrieb vor 200 Jahren Friedrich Hölderlin.

In Heidelberg war man sich der Verantwortung für die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt früh bewusst, davon zeugt ein weitgehend vor den Bausünden der Nachkriegszeit bewahrtes Innenstadtbild. Hier fand der Aufruf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, ein Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert auf globaler wie lokaler Ebene zu erstellen, auch bei Politik und Verwaltung ein deutliches Echo: Bereits im Novernber 1994 ratifizierte der Gemeinderat die Charta von Aalborg „Sustainable Cities and Towns“.

Im Februar 1997 wurden die Leitlinien und Ziele des neuen Stadtentwicklungsplans verabschiedet. Dem Beschluss ging eine ausführliche Diskussion in einem speziell dazu eingerichteten Beirat sowie in einer interessierten Öffentlichkeit voraus, wodurch mehrere hundert Änderungsvorschläge seitens der Bürger Berücksichtigung fanden.

In allen Handlungsbereichen wird auf die Gleichwertigkeit der drei Ziele „Soziale Verantwortung”, „Umweltverträglichkeit” und „Wirtschaftlicher Erfolg” sowie auf die Notwendigkeit einer aktiven Beteiligung der Bürgerlnnen am Diskussions- und Entscheidungsprozess hingewiesen. Stadtteilrahmenpläne für alle 14 Stadtteile Heidelbergs (insgesamt ca. 160.000 Einwohner) ermöglichen eine Bürgerbeteiligung gerade da, wo unmittelbare Betroffenheit herrscht und Selbstverantwortung und Eigeninitiative besonders gut realisiert werden können. Die Einrichtung von Bürgerämtern, die dezentral Dienstleistungen und Beratung in Umweltfragen anbieten, spielte hier eine wichtige Rolle, ebenso wie die schrittweise Einführung der dezentralen Ressourcenverantwortung.


KLIMASCHUTZ

Bereits 1991 veranlasste die Stadt Heidelberg die Erstellung eines kommunalen Klimaschutz-Konzeptes. Dieses Konzept bildet den Rahmen für viele Einzelmaßnahmen zur Energieeinsparung. Bei der internationalen Konferenz „Lokale Maßnahmen zum globalen Klimaschutz” verpflichteten sich die Bürgermeister von mehr als 20 Städten, darunter Heidelberg, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 20% gegenüber dem Wert von 1987 zu reduzieren.

Im September 1996 fand in Heidelberg der erste Folge-Workshop statt, an dem Vertreter aus inzwischen 46 Städten und 22 Ländern teilnahmen und über ihre Erfahrungen und Fortschritte berichteten. Dies zeigt, dass Heidelberg im europäischen Rahmen von Anfang an eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der AGENDA 21 spielte.

Zu den Maßnahmen gehören die Einrichtung eines kommunalen Energiemanagements mit nachweisbaren Einspareffekten, die Verpflichtung zur Einhaltung des Niedrigenergiehausstandards, ein Förderprogramm Energiesparen für Haus- und Wohnungseigentümer und die Durchführung eines Energietisches, der sich aus Handwerkern, Architekten, der IHK, Mieter- und Vermieterorganisationen, Umwelt- und Verbraucherverbänden, den Stadtwerken und der Stadtverwaltung zusammensetzt und als Ergebnis den Heidelberger Wärmepass hervorbrachte, eine standardisierte Energieberatung mit Computerhilfe.

Im Jahre 1997 richtete die Stadt Heidelberg zusammen mit Nachbargemeinden die Klimaschutz- und Energieberatungsagentur KLIBA ein, die durch Beratung das große Energiesparpotential im Bereich des Wohnungsbestandes erschließen soll.

Zwischen dem Bund für Umwelt [Seite 39] und Naturschutz Deutschland (BUND), Kreisgruppe Heidelberg und der Stadt existiert seit 1991 eine Kooperation bei der Durchführung einer öffentlichen Umweltberatung. Das „Heidelberger Modell“ sieht vor, dass der BUND die allgemeine Umweltberatung übernimmt und dafür finanzielle Förderung erhält.


LOKALER NATURSCHUTZ - ÖKOLOGISCHER LANDBAU

Der Naturschutz hat seit vielen Jahren einen hohen Stellenwert. Seit Mitte der 80er Jahre wird intensiv eine Biotopvernetzung betrieben. Bis Frühjahr 1997 sind ca. 25 Hektar Vernetzungsfläche mit extensiven Gras- und Krautflächen, Gehölzflächen und Ackerrandstreifen neu entstanden. Der Artenbestand hat sich auf den Flächen gut entwickelt.

Ein vielversprechendes Projekt wurde in den letzten Jahren im Bereich ökologischer Landbau initiiert. Die Stadt Heidelberg fördert durch Beratung und Vermittlung bei der Vermarktung ökologischer Produkte an Großküchen, Kantinen und Restaurants die Umstellung von landwirtschaftlichen Betrieben auf ökologischen Anbau.


VERKEHRSENTWICKLUNGSPLAN (VEP)

Im Jahr 1994 wurde ein groß angelegtes Bürgermitwirkungsverfahren bei der Erstellung des VEP erprobt. Das Engagement der Bürger war ungewöhnlich groß. Die ökologische Verträglichkeit des Stadtverkehrs wurde programmatisch festgeschrieben und der klare Vorrang des öffentlichen Verkehrs, des Radverkehrs und Fußgängerverkehrs betont.

In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung eines Tourismusleitbildes zu sehen. Da der Tourismus eine hohe wirtschaftliche Bedeutung hat, war die Umorientierung auf einen sozial- und umweltverträglichen Tourismus ein wichtiger Schritt.


WIRTSCHAFT

Zusammen mit dem Gewerbe und anderen Akteuren fördert die Stadtverwaltung Pilotprojekte zum umweltfreundlichen Gastgewerbe und Friseurgewerbe.

Ziel ist es, gemeinsam mit den Unternehmen Umweltmaßnahmen zu ergreifen, die über die Vorschriften hinausgehen, für alle Seiten von Vorteil sind und das Umweltbewusstsein bei den Gewerbetreibenden und den Kunden schärfen. Inzwischen beteiligt sich die Stadt auch an einem Verbundprojekt „Ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik der Kommunen“ des DIFU in Berlin.


PARTIZIPATIONSPROJEKTE

In den vergangenen Jahren wurden in Heidelberg in zahlreichen Bereichen neue Partizipationsansätze erprobt. Dazu gehören das Verkehrsforum, die Beteiligung bei den Stadtteilrahmenplänen oder beim Stadtentwicklungsplan.

Ein besonderes Projekt sind die Zukunftswerkstätten speziell für Frauen, die in fast allen Stadtteilen durchgeführt wurden. Damit sollen frauenspezifischen Anforderungen und deren Wahrnehmung von Lebenszusammenhängen mehr Gewicht in einem sonst eher männlich geprägten Diskussions- und Planungsumfeld verliehen werden. Inzwischen werden Planungsworkshops mit Anwohnern, Eigentümern, Investoren und Politikern im Vorfeld von Bauvorhaben durchgeführt, um Anforderungen an die Planung frühzeitig abzustecken.


EINE-WELT-ZENTRUM

Das Eine-Welt-Zentrum besteht aus ca. 30 Mitgliedsgruppen aus der Friedens-, Menschenrechts- und Entwicklungsarbeit, aus ausländischen Kulturinitiativen oder anderen Basisgruppen. Die [Seite 40] Aufgabe des Zentrums besteht in der Stärkung der Basisgruppen durch Bereitstellung von Räumen, Beratung und Kooperation, in der Durchführung von Veranstaltungen und dem Aufbau einer öffentlich zugänglichen Bibliothek.

Die Stadt hat den Aufbau eines Kulturzentrums durch den Umbau des Karlstorbahnhofs unterstützt.

Von Bedeutung ist bei diesem Projekt die inhaltliche Verknüpfung von Nord-Süd-Themen mit Umwelt-, Menschenrechts- oder Friedensthemen.


ÖKOLOGISCHE FORSCHUNGSSTATION FÜR KINDER

Diese wurde 1995 ins Leben gerufen. Vorangegangen war 1994 das Pilotprojekt der sogenannten Stadtteilerforschungen, bei dem Kindern eine individuelle, selbständige und handlungsorientierte Auseinandersetzung mit ihrem städtischen Lebensraum ermöglicht werden sollte.

Daran knüpfte auch das Projekt der Kinderversammlung an, bei dem Kinder aus einem Stadtteil ihre Kritik und ihre Erfahrungen aus den Stadtteilerforschungen der Oberbürgermeisterin und verschiedenen Amtsleitern mitteilen konnten. Die Ökologische Forschungsstation bietet den Kindern ganzjährig praktische und erlebnisbezogene Aktivitäten, dazu gehören fünf „Arbeits-Spielräume“: das Expeditionsbüro, der Erlebnisgarten, das Forschungslabor, die Mal- und Ideenwerkstatt und die Bibliothek.


UMWELTAKTIVITÄTEN IN SCHULEN

Besondere Aufmerksamkeit schenkt die Stadtverwaltung bei der Durchführung von Umweltmaßnahmen den Schulen. Dort wurden schülerorientierte Aktionen und Wettbewerbe durchgeführt und Maßnahmen zum abfallarmen Frühstück oder zum Wertstoffsammeln initiiert. Auch die gesunde Ernährung wurde in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und dem Land Baden-Württemberg propagiert und gefördert.


BESCHÄFTIGUNGSEINRICHTUNGEN

Die Stadt unterstützt seit einiger Zeit Initiativen zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen. Ziel ist die zeitlich befristete Beschäftigung und damit die Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage und die Förderung der Aus- und Weiterbildung. Dazu werden zum einen private Beschäftigungseinrichtungen gefördert, indem ihnen ein Mindestvolumen an städtischen Aufträgen zugesichert wird. Zum anderen wurden 1992 die Heidelberger Dienste als gemeinnützige GmbH von der Stadt Heidelberg und den städtischen Versorgungs- und Verkehrsbetrieben HVV gegründet. Die Tätigkeitsfelder der Heidelberger Dienste liegen u.a. im Aufbau und Betrieb eines städtischen Recyclinghofes und in Rekultivierungsmaßnahmen im Stadtgebiet.


Die bisher durchgeführten Projekte und Maßnahmen zeigen, welch großen Handlungsspielraum die Kommunen bei der Umsetzung der AGENDA 21 haben, wenn deren Grundidee der Kooperation in Politik, Verwaltung und bei den Bürgern auf Resonanz stößt. Das Motto, das die Heidelberger Bürgermeister zum Leitmotiv ihrer Arbeit gemacht haben, verdient Nachahmung: „Wir sollten die unbegrenzte Kapazität unseres Gehirns nutzen und nicht die begrenzten natürlichen Ressourcen!“


Eine Zusammenfassung der Schrift „Nachhaltiges Heidelberg Für eine lebenswerte UmWelt”, herausgegeben von der Stadt Heidelberg im Mai 1997

[Seite 41]


Die Rolle der Beratung auf dem Weg zur Zukunftsfähigkeit[Bearbeiten]

Die Umsetzung des AGENDA-Prozesses eröffnet der Menschheit weltweit ungeahnte Perspektiven. Der Beschluss von Rio de Janeiro, bis zum Jahr 1996 die 170 Unterzeichnerstaaten (ca. 90% aller Staaten) zu veranlassen, Aktionspläne für eine nachhaltige Entwicklung nicht nur auf globaler, sondern auch auf kommunaler Ebene aufzustellen, dürfte der bisher bedeutsamste Fortschritt in der planmäßigen Umgestaltung unseres Planeten sein. Die darin enthaltenen Möglichkeiten sind so weitreichend, dass sich ihr ganzes Ausmaß erst im Laufe der nächsten Jahrzehnte abschätzen lassen wird. Als Michail Gorbatschow im Jahre 1985 die Perestroika (Umgestaltung) in Gang setzte, hielt es kaum jemand für denkbar, dass sich damit das Gesicht der Sowjetunion innerhalb weniger Jahre grundlegend verändern könnte. Hätte vor 10 Jahren jemand behauptet, dass noch vor Ende des Jahrtausends ein Großteil der politisch Verantwortlichen dieser Welt sich darauf einigen würde, eine von gemeinsamen Zielsetzungen inspirierte weltweite Umgestaltung auf den Weg zu bringen, er wäre als weltfremder Träumer verlacht worden.

Genau dies ist aber drei Jahre später (1992) geschehen, ohne dass die Weltöffentlichkeit auch nur annähernd zur Kenntnis genommen hätte, wie weittragend die gefassten Beschlüsse waren. In Deutschland, wo der AGENDA-Prozess erst mit großer Verzögerung initiiert wurde, herrscht bis heute noch Unklarheit bis in die Reihen der Politiker, was er eigentlich beinhaltet. Während in anderen Teilen der Welt bereits die Früchte der AGENDA 21 sichtbar werden, befindet sie sich in der Bundesrepublik noch in der Orientierungsphase und hatte im März 1999 erst 5,8% der Kommunen erfasst.

Zwei unterschiedliche Herangehensweisen sind dabei sichtbar geworden. In einer Reihe von Kommunen haben die politischen Repräsentanten die Initiative ergriffen, Umsetzungsbeschlüsse gefasst, Institutionen geschaffen und Bürger zur Mitarbeit eingeladen. So wurden von oben Organisationsformen geschaffen, die von den Beteiligten erst mit Leben gefüllt werden mussten.

In anderen Kommunen begann der AGENDA-Prozess von unten, auf Initiative engagierter Bürger, die ihre eigene Verantwortung für die Verwirklichung der Beschlüsse von Rio erkannten und in die Tat umzusetzen versuchten. Hier war es oft so, dass die politisch Verantwortlichen und die Verwaltung erst für die Zusammenarbeit gewonnen werden mussten. Beide Herangehensweisen haben unterschiedliche Auswirkungen, beinhalten aber auch Chancen, auf die kurz eingegangen werden soll.


Im ersten Fall ist die finanzielle Ausstattung der AGENDA meist von Anfang an gesichert - schließlich gibt es den Beschluss, DM 0,50 pro Einwohner jeder Kommune für die Umsetzung der AGENDA zur Verfügung zu stellen. Größere Kommunen können dadurch hauptamtliche Mitarbeiter und Koordinatoren einstellen, die die anfallenden Arbeiten ausführen. Das ist von Vorteil, da es eine gewisse Kontinuität sichert. Es birgt aber auch Gefahren.


Wenn Politiker und Verwaltungsangestellte den AGENDA-Prozess als „ihre“ Aufgabe ansehen, entwickelt sich leicht die Einstellung, die beteiligten Bürger als Hilfskräfte aber nicht als gleichberechtigte Partner zu sehen. Dies kann dazu führen, dass der AGENDA-Prozess zum Verwaltungsakt gemacht und das Schlüsselelement für eine nachhaltige Umgestaltung, die Teilnahme der Bürger, unterschätzt oder sogar bei Entscheidungen ignoriert wird, wodurch der entscheidende Motor allgemeinverträglicher Veränderungen lahmgelegt wird.

Es muss betont werden, dass die Unterzeichner der AGENDA die Teilnahme der Bürger als notwendiges Moment forderten. Genau dieser Punkt bedeutet einen entscheidenden Durchbruch im demokratischen Grundverständnis in Hinblick auf eine zukunftsfähige Umgestaltung unserer Welt. Denn die Bürger, die sich in der AGENDA engagieren, bringen nicht nur ihren Sachverstand, ihre kreativen Ideen und ihre Tatkraft ein. Sie versetzen die Politiker auch in die Lage, rechtzeitig die Bedürfnisse und Wünsche, die Ansichten und Interessen der von ihnen Repräsentierten zu erkennen und dadurch Fehlentscheidungen zu vermeiden.

Wird der AGENDA-Prozess von allen Beteiligten als eine Chance begriffen, am Gemeinwohl [Seite 42] mitzuwirken, das heißt werden die Bürger in ihrem Engagement ernst genommen, so bietet er die Möglichkeit, ein neues Vertrauensverhältnis zu stiften, wie es einst dem Demokratiegedanken zugrunde lag. Dies würde bedeuten, dass eines der Probleme unserer Zeit gelöst werden könnte: Ein Problem, das unter dem Begriff der Politikmüdigkeit gefährlich unterschätzt wird. Denn Menschen, die sich auf der politischen Ebene in ihren Bedürfnissen nicht mehr repräsentiert fühlen, verlieren nicht nur ihr Interesse an politischen Vorgängen. Sie kündigen innerlich dem Staatswesen ihre Mitverantwortung. Die zunehmende Selbstbedienungsmentalität, Steuerhinterziehung, Korruption, selbst Vandalismus und kriminelle Übergriffe haben wie der allgemeine Verfall der Moral ihre psychologischen Wurzeln nicht zuletzt in dem Gefühl, von „denen da oben“ verwaltet und manipuliert zu werden und nichts daran ändern zu können.


Demgegenüber erfüllt der AGENDA-Prozess alle Voraussetzungen, eine politische Kultur gegenseitiger Verantwortung auf den Weg zu bringen. Dialog statt autoritärer Verfügung, gegenseitiges Verständnis statt Ellenbogenmentalität, Rücksichtnahme statt Egoismus und Karrierismus, dienen statt herrschen, das sind nur einige der Alternativen, die in diesem Rahmen verwirklicht werden können und müssen. Dies setzt aber Umdenken voraus. Die politischen Funktionsträger, aber auch alle anderen Beteiligten, müssen sich von Vorstellungen lösen, die jahrzehntelang als Dogmen galten und die inzwischen die Entwicklung der Kommunen blockieren.

Die Ursache dafür sind grundsätzliche Missverständnisse bezüglich dessen, was Führungskräfte leisten können, aber auch darüber, wie überhaupt Konsensbildung erfolgen kann.


Die Fähigkeit, die eigene Position durchzusetzen, gilt heute als politische Tugend und als Zeichen von Führungsstärke. Sie erweist sich aber als Haupthindernis bei der Konsensbildung. In unserer komplexen Welt ist es schlechthin unmöglich, dass einzelne Personen oder Gruppen alle für die Wahrung des Allgemeinwohls erforderlichen Faktoren erkennen und berücksichtigen. Von daher sind Konsultationen bei allen wichtigen Entscheidungen mit möglichst vielen davon Betroffenen notwendig, um sachgerechte und die Bedürfnisse aller einbeziehende Beschlüsse zu fassen. Als Beispiel für erfolgreiche Beratungsmethoden bieten sich die Erfahrungen an, die die Bahá’í-Gemeinden seit über einem halben Jahrhundert in allen Teilen der Welt gemacht haben. Die wichtigsten Grundsätze werden im Folgenden zusammengefasst.


Die Beratungsgrundsätze


Am Anfang jeder Konsensbildung muss die Erkenntnis stehen, dass die Sicht jedes Einzelnen zwangsläufig begrenzt ist und der Ergänzung durch andere Sichtweisen bedarf. Erst im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ansichten erscheint der Funke der Wahrheit. Voraussetzung dafür ist, dass Beratungen in einer Atmosphäre gegenseitiger Achtung durchgeführt werden. Der Einzelne muss sich bewusst machen, dass es nicht darum geht, seine eigene, nur einen Teil der Wirklichkeit erfassende Ansicht durchzusetzen. Diese bedarf vielmehr der Ergänzung. Das Problem muss von möglichst vielen Seiten beleuchtet werden. Erst dann können gemeinsam Lösungen gesucht werden. Dies wiederum erfordert Disziplin und die Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen. Solange Profilierungsstreben die Beiträge bestimmt, sind echte Konsensentscheidungen unmöglich. Nur wenn sich die Beteiligten von ihren persönlichen Ambitionen lösen können, nur wenn das Gemeinsame im Vordergrund steht, kommen Beschlüsse zustande, die auch von allen akzeptiert und mitgetragen werden.


In einer Zeit, in der vor allem die Medien ein entgegengesetztes Bild von Kommunikationsprozessen bieten und Talk-Shows gegenseitiges Anpöbeln und selbst körperliche Gewalt als Umgangsform salonfähig machen, ist es besonders wichtig, Alternativen aufzuzeigen. Vor allem die heranwachsende Generation wird überschüttet von Bildern und Handlungsmustern, die gewaltsame Methoden der Konfliktlösung propagieren.

Wer heute öffentliche Debatten verfolgt, hat oft den Eindruck, die politische Kultur erschöpfe sich in der starren Konfrontation vorgefasster Meinungen, wenn nicht darin, den Gegner lächerlich zu machen und persönlich herabzusetzen.

Diese Methoden sind allerdings für jede Form interaktiver Problemlösung kontraproduktiv. Dennoch werden sie häufig auch dort praktiziert, wo keine politischen Parteien, sondern engagierte Bürger zusammenarbeiten, in Bürgerinitiativen und Nicht-Regierungsorganisationen. Sie scheinen so sehr verinnerlicht zu sein, dass sie reflexartig in Konfliktsituationen auftreten und gerade hier Fortschritte verhindern. Vor allem der Individualismuskult der westlichen Welt scheint wesentlich dazu beigetragen zu haben, kämpferischer verbaler Auseinandersetzung den Anschein des Natürlichen zu geben. In diesem Zusammenhang sollten wir uns daran erinnern, dass bereits steinzeitliche Kulturen wie die der Indianer Nordamerikas oder der australischen Ureinwohner Beratungsmethoden entwickelt hatten, die [Seite 43] unseren weit überlegen waren, die Konsensbildung förderten und gleichzeitig ein hohes Maß individueller Freiheit zuließen. Das genaue Zuhören und Ausredenlassen galt hier als Selbstverständlichkeit. Ging es doch um Problemlösungen und nicht um Selbstdarstellung. Der Redestab, der weitergereicht wurde, wenn man seinen Beitrag beendet hatte, war ein sichtbares Symbol dieser Beratungskultur.

Wieviel dringender muss es dann in einer Welt vernetzter globaler Strukturen sein, reife Kommunikationsformen zu entwickeln, die auf den Prinzipien der Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit beruhen? Gleichwertigkeit geht davon aus, dass jeder Mensch einzigartig ist und die Fähigkeit der Erkenntnis besitzt. Gerechtigkeit bedeutet, das Wachstum jedes Menschen zu fördern, d.h. ein Klima der Ermutigung zu schaffen, in dem dies möglich wird. Um das zu erreichen, sollten folgende Regeln der Beratung beachtet werden: in einer Atmosphäre gegenseitiger Achtung und Wertschätzung muss jeder die Möglichkeit haben, seine Meinung in vollkommener Freiheit zu äußern. Niemand sollte sich verletzt fühlen, wenn ihm jemand widerspricht. Jede Meinung wird als Beitrag abgegeben, der der Ergänzung durch die Standpunkte anderer bedarf. Keiner versucht seine Ansicht durchzusetzen.

Mäßigung, Geduld, Höflichkeit und Bescheidenheit beim Sprechen sorgen dafür, dass niemand verletzt wird.

Gegenseitiges Vertrauen, Offenheit, aktives Zuhören und das Bemühen, die Standpunkte anderer zu verstehen helfen jedem Einzelnen, den eigenen Horizont zu erweitern und tragen dazu bei, dass alle sich ernst genommen fühlen. Für die Problemlösung ist es wichtig, dass jeder sich bemüht, die Beiträge der anderen in ihrer positiven Qualität zu erkennen und hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit auszuwerten. Der Standpunkt oder die Gedanken eines anderen dürfen auf keinen Fall herabgesetzt werden. Angriffe auf Personen sind unbedingt zu unterlassen.

Hat jemand ein Problem, so wird es in Form einer Ich-Botschaft artikuliert, d.h. ohne einen anderen dafür verantwortlich zu machen oder schuldig zu sprechen. Stattdessen versucht jeder herauszufinden, was er selbst zur Veränderung der Situation beitragen kann.

Ist ein Thema ausgiebig beraten worden, so wird mit einfacher Mehrheit beschlossen, was zu tun sei. Einmütigkeit in der Entscheidung ist allerdings wünschenswert. Jeder Beteiligte bemüht sich mit ganzem Herzen, den Beschluss umzusetzen, er hat aber die Möglichkeit, seine Bedenken bei einer neuen Beratung zu äußern.


Werden die oben genannten Regeln beachtet, so entsteht eine Kommunikationssituation neuer Qualität. Während Dominanz und Manipulationsversuche meist Ärger, Frustration, Demütigung und Zorn erzeugen, die konstruktive Lösungen verhindern und das kreative Potential eines Großteils der Beteiligten blockieren, legen Beratungen, die in dem beschriebenen Geiste der Wertschätzung und Ermutigung durchgeführt werden, ungeahnte Energien frei. Sie stärken die Verbundenheit, motivieren die Teilnehmer, ihre Fähigkeiten einzubringen und weiterzuentwickeln und ermöglichen Lösungen, an denen jeder Einzelne sich beteiligt fühlt. Dies wiederum macht die Umsetzung zum wirklich gemeinsamen Anliegen.


Natürlich fällt es zunächst nicht leicht, sich von oft lebenslang eingeübten Verhaltensweisen zu lösen. Ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Selbsterkenntnis sind erforderlich, um die Regeln konsequent anzuwenden. Dabei ist es von Bedeutung, dass jeder Einzelne sich seine Motive bewusst macht, die ihn zur Mitarbeit veranlassen. Geht es einem um den Fortschritt der gemeinsamen Sache oder möchte man vor allem selbst eine wichtige Rolle spielen? Rede ich, weil ich mich gern reden höre oder ergreife ich nur dann das Wort, wenn ich etwas Neues zu sagen habe? Insofern spiegelt die Art und Weise, wie eine Beratung abläuft, immer auch die Reife der Beteiligten wider. Und dies schlägt sich unmittelbar in der Qualität der menschlichen Beziehungen nieder.

Letztlich ist es hilfreich, sich immer wieder eine Frage zu stellen: Will ich selbst dazu beitragen, in meinen partnerschaftlichen, familiären und gesellschaftlichen Beziehungen Einheit, Liebe und Wachstum zu bewirken oder möchte ich lieber meine Kräfte in Streit, fruchtlosen Kämpfen und dem sinnlosen Versuch, andere zu beherrschen, zu kontrollieren und auszunutzen vergeuden. Die Antwort darauf dürfte nicht schwer fallen.


Roland Greis


Teile dieses Textes entstammen dem Buch „Der Mensch ist zum Fliegen bestimmt - Selbsterziehung und geistiges Wachstum” Roland Greis, Bahá’í-Verlag, Hofheim, 2000


[Seite 44]

FRAUEN DER WELT[Bearbeiten]

Women of the World


Frauen der Welt - Wir müssen zusammengehn - Die Welt ein

Women of the world - We've got to get together - To make


bisschen besser machen - Wo ihr auch lebt, wo immer ihr geht - Glaubt

this world a little bit better - Wherever you live, wherever you go - Believe


an euch selbst und ich weiß - Agenda 21, wir werden es schaffen - Global

in yourselves and this I know - Agenda 21, we'll get it done - Think


denken, lokal handeln - Wie ein Vogel, der fliegt - Am Himmel hoch und

global, act local - Like a bird in the sky - Flying free and high -


frei - Wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten - Wird eine neue

When men and women work together - It creates a new world


Welt entstehen - Auf den Flügeln der Gleichwertigkeit - Erreichen wir

forever - With two wings of equality - This brings the world


Frieden und Einheit - Wir haben nur diese eine Welt zum Leben - Schaut

peaca and unity - We have only got one world to live in - looking


sie euch an, die Erde, die uns geschenkt wurde - Ein trauriger Anblick -

at the earth that we've been given - It's a sad affair -


Kommt in Bewegung und zeigt, dass wir es ändern wollen - Oh Frauen

Let's move and show that we care - Oh women


der Welt - Habt Mut und wagt es - Denkt global, handelt lokal - Wie ein

of the world - Be brave and dare - Think global, act local - Like a bird in


Vogel, der fliegt - Am Himmel hoch und frei - Wenn Männer und Frauen

the sky - Flying free and high - When men and women work


zusammenarbeiten - Wird eine neue Welt entstehen - Auf den Flügeln

together - It creates a new world forever, with two wings of


Gleichwertigkeit - Erreichen wir Frieden und Einheit - Jetzt an die

equality - This brings the world peaca and unity - Now we must


Arbeit, wo wir auch sind - Direkt um die Ecke packen wir's an - Hier in

work where we can - Right around the corner let's give a hand - Here


eurem Ort, wo ihr lebt - Politik oder Beruf, was immer wir können - Oh

in your town where you live - Politics or business what we can give - Oh


Frauen der Welt, Oh Frauen der Welt - Agenda 21 entfaltet sich

women of the world, oh women of the world - Agenda 21 is unfurled -


Global denken, lokal handeln - Agenda 21, packen wir's an

Think global, act local - Agenda 21 let's get it done



WOMEN OF THE WORLD

Judy Rafat - Vocal

Petra Held - Piano


Diese CD entstand Im Auftrag

der Gleichstellungsstelle

für Frauenfragen der Stadt

Duisburg für die AGENDA 21.


[Seite 45]

Zeitblende[Bearbeiten]

ICLEI - The International Council for Local Environmental Initiatives


Der Internationale Rat für Kommunale Umweltinitiativen (ICLEI) und die Lokale Agenda 21


Mehr als 200 Kommunen aus 43 Ländern gründeten den Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen (ICLEI) beim Weltkongress der Gemeinden für eine bessere Zukunft, der im September 1990 bei den Vereinten Nationen in New York stattfand. Dieser Kongress und die Entstehung ICLEIs wurden unterstützt durch das UN-Umweltprogramm (UNEP), den internationalen Gemeindeverband (IULA), und das Centre for Innovative Diplomacy.

ICLEI hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine weltweite Bewegung von Kommunen aufzubauen, um durch gemeinsame Aktionen messbare Verbesserungen der globalen Umweltbedingungen zu erzielen.

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, verfolgt ICLEI folgende Ziele:

▪ Sammeln und Weitervermitteln von Wissen und Ideen zur Förderung einer „nachhaltigen Entwicklung“ auf kommunaler Ebene.

▪ Initiierung interkommunaler Forschungs- und Pilotprojekte sowie von Städte-Kampagnen, um innovative Lösungen für drängende Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu entwerfen, zu erproben und zu demonstrieren.

▪ Organisation von Fortbildungsprogrammen und Veröffentlichung von Berichten, Leitfäden und Fallstudien zum Stand der Technik bei Umweltplanung und Umweltschutzvollzug.

▪ Vertretung kommunaler Interessen gegenüber Regierungen, Behörden und internationalen Organisationen zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung.

Mehr als 340 Kommunen aller Größen sind als Mitglieder bei ICLEI eingetragen. Sie alle haben sich dem gleichen Ziel verschrieben, nämlich eine führende Rolle bei der Ausarbeitung und Einführung innovativer Umweltmanagementpraktiken auf lokaler Ebene zu übernehmen.

Die Förderung der Umsetzung der Lokalen Agenda 21 stellt einen wesentlichen Aufgabenbereich ICLEIs dar und wurde von ICLEI mitbegründet.

Auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) wurde 1992 von über 170 Staaten, darunter auch Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Agenda 21, das Aktionsprogramm der Vereinten Nationen für eine zukunftsbeständige Entwicklung im 21. Jahrhundert beschlossen. Sie enthält die von ICLEI eingebrachte Empfehlung, die Kommunen zur Erarbeitung eigener, lokaler Agenden 21 aufzufordern und sie dabei zu unterstützen. ICLEIs Vorschlag prägt das Kapitel 28 der Agenda 21.

Seither unterstützt ICLEI weltweit Kommunen, die sich die Aufstellung einer Lokalen Agenda 21 zur Aufgabe gemacht haben, durch Kampagnen, Projekte, Arbeitsmaterialien und Vernetzung.


DIE LOKALE AGENDA 21 BEWEGUNG IN EUROPA

1994 organisierte ICLEI gemeinsam mit der Stadt Aalborg/Dänemark und mit Unterstützung durch die Europäische Kommission die erste Europäische Konferenz zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden in Aalborg. Sie war der Startpunkt für die Europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden.

Durch die Unterzeichnung des Abschlussdokumentes, der Charta von Aalborg, werden Kommunen Teilnehmer an der Kampagne und verpflichten sich zur Aufstellung einer Lokalen Agenda 21. Bisher haben sich der Kampagne europaweit über 700 Kommunen angeschlossen. Sie wird von ICLEI gemeinsam mit dem Rat der Gemeinden und Regionen in Europa (RGRE), Eurocities und UTO getragen und von der Europäischen Kommission finanziell unterstützt.

Einen Gesamtüberblick über den Aufgabenbereich des ICLEI-Europa-Sekretariates finden Sie unter folgender Internetadresse: http://www.icei.org/europe




LOKALE AGENDA IN KREFELD


In Krefeld haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen (Frauen, Kirchen, Industrie u.a.) bereits 1995/96 begonnen, sich mit Möglichkeiten der Gestaltung eines „Agenda-Prozesses“ für Krefeld gedanklich auseinanderzusetzen. Die Krefelder Frauen gründeten dazu nach einer Auftaktveranstaltung bereits Ende 1998 den „Runden Tisch Krefelder Frauen". Anfang 1999 beauftragte dann der Stadtrat die Stadtverwaltung offiziell den Krefelder „Agenda-Prozess" zu unterstützen. Es erfolgte die Einrichtung eines „Agenda-Büros“ im Umweltamt. Kurz darauf folgte das erste Treffen des Krefelder „Zukunftsforums“, bei welchem drei Arbeitsgruppen ins Leben gerufen wurden. Die Arbeitsgruppe „Energie und neue Technologien“ befasst sich derzeit mit Möglichkeiten der Energieeinsparung. Beispiele für kreative Zusammenarbeit verschiedener Akteure in Projekten sind dabei z.B. die Finanzierung von Energiespartechnik durch einen Krefelder Industriebetrieb, die dann in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung in einer Schule eingesetzt wurde, oder die Zusammenarbeit der SWK und Greenpeace bei der Entwicklung eines Heizspiegels für Krefelder Haushalte.

Die Arbeitsgruppe „Arbeit, Freizeit, Bildung“ widmet sich derzeit dem Schwerpunkt „Kinder und Jugendliche in Krefeld". Dazu werden Gespräche mit vielen beteiligten Institutionen geführt. An konkreten Aktionen fand eine Fotoaktion für Jugendliche sowie ein „Jugendhearing“ statt.

Die dritte Arbeitsgruppe „Wohnen und Leben in Krefeld“ wählte den Schwerpunkt „Mobilität und Lebensqualität". Sie führte dazu ein Strategietreffen durch und setzte sich eine Reihe von Zielen. Dazu gehören Verbesserungen des öffentlichen Nahverkehrs, Verbesserung der Aufenthaltsqualität auf öffentlichen Plätzen, Verbesserung der Situation für Kinder anderes.


[Seite 46] 


DIE ERD-CHARTA

Basis-Ethik für ein gesunde, gerechte und friedvolle Welt


Nach 8 Jahren Beratung mit mehr als 100.000 Menschen in 50 Ländern gab die Erd-Charta-Kommission im Frühjahr dieses Jahres die endgültige Fassung des Erd-Charta-Entwurfs heraus. Als ethische Richtschnur für die globalen Belange der Menschheit soll sie - so das Ziel der Verfasser - eine ähnliche Bedeutung erlangen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.


EINE UNIVERSELLE ERKLÄRUNG ETHISCHER UND ÖKOLOGISCHER PRINZIPIEN

Die Erd-Charta versteht sich als universale Erklärung ethischer und umweltpolitischer Prinzipien mit dem Ziel, die Menschen und Nationen der Welt in eine friedvolle, gerechte und umweltbewusste Zukunft zu leiten.

Die Charta-Kommission, die sich aus etwa 25 leitenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Religion, Erziehung und Umwelt zusammensetzt, hofft, dass die Charta durch die Vereinten Nationen übernommen wird und als Primärdokument auf gleicher Ebene wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte betrachtet wird.

Das Dokument betont auch die „universale Verantwortung“ der Menschheit gegenüber jedem menschlichen Individuum sowie für alles Leben überhaupt. Dazu erklärt sie, dass „wir uns dafür entscheiden sollten, mit einem Sinn für universale Verantwortung zu leben, indem wir uns mit der ganzen Erdengemeinschaft genauso identifizieren wie mit unserer örtlichen Gemeinschaft.“


GRUNDLAGE FÜR DIE ERARBEITUNG VON VERHALTENSKODEXEN IN ALLEN WICHTIGEN BEREICHEN

Nachdem das Dokument nun verabschiedet und veröffentlicht ist, liegt der Schwerpunkt jetzt darauf, die Erd-Charta als Erziehungsinstrument in formeller und informeller Ausbildung zu nutzen und sie als Grundlage für geschäftliche und berufliche Verhaltenskodexe sowie für nationale Entwicklungspläne zu verwenden.

Während der Dauer der Initiative, also fast einem Jahrzehnt, war die Internationale Bahá’í-Gemeinde (BIC, die Bahá’í-Vertretung bei den Vereinten Nationen) ein aktiver internationaler Partner im Entwurfsprozess.

„Die Erd-Charta ist die maßgebliche Welt-Ethik-Erklärung geworden", so Peter Adriance, der den Charta-Prozess für die Internationale Bahá’í-Gemeinde von Beginn an mitverfolgt hat.



ONE WORLD-BAHÁ'Í FOUNDATION

Kurz vor der Eröffnung der Weltausstellung EXPO 2000 wurde in Deutschland die „One World-Bahá’í Foundation“ ins Leben gerufen. Ihr Leitmotiv ist der Satz Bahá’u’lláhs: „Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger”.

Mit der Gründung der „One World-Bahá’í Foundation“ in Deutschland ist die Förderung von sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsprojekten bezweckt. Derartige Initiativen, die eine weltweite Förderung eines Bewusstseins von der Einheit und der Schicksalsgemeinschaft aller Menschen als Grundlage für Handlungsprogramme sehen, gibt es bereits beispielsweise in Kanada, Norwegen und Großbritannien.

Wie auch in diesen Ländern wird sich die „One World-Bahá’í Foundation“ bemühen, nachhaltige Zukunftsprojekte voranzubringen.

Um diese Ziel zu erreichen, möchte die „One World-Bahá’í Foundation“ Projekte fördern, die zum Beispiel:

▪ harmonisches Gleichgewicht zwischen ökonomischer, sozialer und geistiger Entwicklung in jedem Menschen und in der Gesellschaft fördern,

▪ die verborgenen Potentiale in jedem Menschen freisetzen

▪ bei der Lösungsfindung das Prinzip der Beratung anstelle der Konfrontation anwenden,

▪ Frauen als gleichwertige Partner in allen Bereichen fördern und die

▪ weltweite Bildung und Erziehung des Einzelnen gewährleisten und gleichzeitig ein Weltbürgerbewusstsein umfassen.


Diese Ziele werden von der „One World-Bahá’í Foundation“ sowohl durch die Unterstützung von bereits bestehenden Initiativen als auch durch Kooperation mit Fördereinrichtungen verfolgt; dies sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene.



Weitere Informationen erhalten Sie unter

www.bahaiworldnews.org, sowie der E-Mail-

Adresse: one-world@bahai.de




GLOBALE ZIVILGESELLSCHAFT versammelt sich bei den Vereinten Nationen zum NGO-Millenium-Forum


Das Forum, das vom 22. bis 26. Mai 2000 am Sitz der Vereinten Nationen in New York stattfand, zog 1350 Menschen aus 106 Ländern an. Obwohl mehr als 1800 Organisationen der Zivilgesellschaft aus 145 Ländern akkreditiert waren, am Millennium-Forum teilzunehmen, hinderte Geldmangel viele daran, nach New York zu kommen. Einige, die nicht dabei sein konnten, nahmen über das Internet an den Diskussionen teil. Sie antworteten auf die Zwischenergebnisse per E-Mail.

Die teilnehmenden NGOs waren kleine lokale Organisationen bis zu internationalen Netzwerken mit Millionen von Mitgliedern. „Es ist eine erstaunliche Vielfalt“, bemerkte Paul Hoeffel, Chef der NGO-Sektion der UN-Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit.

Die Öffnungs- und die Abschlussplenarsitzungen fanden im Saal der UN-Generalversammlung statt. Die Kernthemen wurden in acht interaktiven Plenarsitzungen und in vielen kleineren Arbeitsgruppensitzungen diskutiert.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden in die Haupterklärung übernommen. Diese und andere Forumsunterlagen können in vollständiger Fassung auf der Web-Seite des Millenium-Forums unter www.milleniumforum.org nachgelesen werden.


[Seite 47]


DIE BAHÁ'Í-RELIGION


ZENTRALE LEHREN


Die Einheit Gottes
Es gibt nur einen Gott, mit welchem Namen er
auch benannt oder umschrieben wird.


Die Einheit der Religionen
Alle Offenbarungsreligionen bergen den gleichen
Kern ewiger Wahrheiten, wie die Liebe zu Gott und
den Menschen.
Bestimmte Gesetze jedoch, die z.B. die Organisation
der Gemeinde, das Sozialwesen, Hygiene etc. betreffen,
müssen sich im Zuge der Menschheitsentwicklung
verändern. In großen Zyklen offenbart Gott
sich durch seine Boten wie Moses, Krishna, Buddha,
Christus, Mohammed und Bahá’u’lláh und erneuert
diesen Teil seiner Gebote als Antrieb für den
menschlichen Fortschritt.


Die Einheit der Menschheit
Die Menschheit ist eine einzige, große Familie mit
völlig gleichberechtigten Mitgliedern.


Ihren Ausdruck finden diese grundlegenden Lehren
in Prinzipien wie:
▪ Selbständige Suche nach Wahrheit
▪ Gleichwertigkeit von Frau und Mann
▪ Soziale Gerechtigkeit
▪ Entscheidungsfindung durch Beratung
▪ Abbau von Vorurteilen.
▪ Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft


ZENTRALE GESTALTEN

Báb (1819-1850), der Vorbote
Bahá’u’lláh (1817-1892), der Stifter
'Abdu'l-Bahá (1844-1921), der Ausleger
Shoghi Effendi (1897-1957), der Hüter


DIE BAHÁ'Í-GEMEINDE

organisiert sich in Gremien, die auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene
von allen erwachsenen Gemeindemitgliedern in freier, gleicher und geheimer Wahl
ohne Kandidatur oder Wahlkampagnen gewählt werden. Es gibt keine Priester.




Europäisches Bahá’í-Haus der Andacht in Hofheim-Langenhain/ Deutschland


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Die nächste Ausgabe



TEMPORA
Nr. 8







Erziehung