Tempora/Nummer 4/Text

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TEMPORA

Nr. 4





FRAUEN


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INHALT


4 . . . Wie traurig, eine Frau zu sein

Die Rolle der Frau in der Geschichte
von Elena Afscharian

7 . . . Schmetterlingsflug

Gedicht von Roland Greis

8 . . . Aufbruch der Frauen von Elena Afscharian

13 . . . Weil es sich sträubt, mein Leben

Gedicht von Liesel Willems

14 . . . Über die Notwendigkeit des Weiblichen in der Entwicklung des Mannes

von Roland Greis

20 . . . Das Bahá’í Frauen Forum von Ingeborg Franken

22 . . . Die Frau in der Religion von Elena Afscharian

29 . . . Fauziya Kassindja

Niemand sieht Dich, wenn Du weinst
Buchbesprechung

30 . . . „Physik ist nichts für Mädchen”

Ein Gespräch mit der Studiendirektorin Hiltrud Westram

32 . . . Zeitblende

- Museen im Internet
- Gedenktage
- Lise Meitner Preis
- Irgendwelche Fragen?
- Frauen machen Kulturgeschichte

34 . . . Lisa will malen - Das Guest-Projekt

von Anja Niemand

39 . . . Die Frau im Mann

Gedicht von Bülent Türkmen

40 . . . Sappho - eine patriarchalische Legende

von Roland Greis

43 . . . Susanne Schaup - Sophia

Buchbesprechung von Yasmin Mellinghoff

44 . . . Zitate

46 . . . Frauen - Triebkräfte der Entwicklung

Microkredite als Hilfe zur Selbsthilfe
von Roland Greis



TEMPORA

Nr. 4 - Januar 1999


Die Globalisierung unseres Planeten erfordert in allen Bereichen ein gänzlich neues Denken und Handeln. TEMPORA beschäftigt sich auf dem Hintergrund der Bahá’í—Lehren mit aktuellen Zeitfragen und möchte durch Gedankenimpulse die Entwicklung zu einer geeinten Welt fördern.


Herausgeber

Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in
Deutschland e.V., Eppsteiner Str. 89
65719 Hofheim-Langenhain


Redaktion

Elena Afscharian, Roland Greis, Wolfram Enders, Karl Türke jun., Michael Willems


Redaktionsanschrift

Redaktion TEMPORA
Eppsteiner Str. 89
D-65719 Hofheim
e—Mail: tempora@bahai.de


Layout

Michael Willems


Lithografie

AWI-Design, Krefeld


Druck

Druckservice Reyhani, Darmstadt


Vertrieb und Bestellungen

Bahá’í—Verlag
Eppsteiner Str. 89
D-65719 Hofheim
Tel. 06192/2 29 21
Fax 06192/99 29 99


TEMPORA erscheint halbjährlich.

Abonnementpreis für vier Ausgaben DM 35,- Einzelpreis DM 9,80.



Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt die Redaktion keine Haftung. Die Redaktion behält sich sinnbewahrende Kürzungen und Änderungen der Beiträge vor. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.


© Bahá’í-Verlag GmbH 1998

ISSN 1433-2078


Gedruckt auf umweltschonendem Papier.



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editorial


FRAUEN


„Die Emanzipation der Frau, die volle Gleichberechtigung der Geschlechter, ist eine der wichtigsten, wenngleich kaum anerkannten Voraussetzungen des Friedens. Die Verweigerung der Gleichberechtigung bedeutet ein Unrecht gegenüber der Hälfte der Weltbevölkerung ... Es gibt keine moralischen, praktischen oder biologischen Gründe, die eine solche Verweigerung rechtfertigen. Erst wenn die Frau in allen Bereichen menschlichen Strebens als gleichwertiger Partner aufgenommen wird, entsteht das moralisch-psychologische Klima, in dem sich der Weltfrieden entwickeln kann.“

(Aus einem Brief des Universalen Hauses der Gerechtigkeit, 1984)

Es liegt auf der Hand, dass diese ungeheuerliche Beschneidung der einen Menschheitshälfte auch auf allen anderen Gebieten des individuellen wie des gesellschaftlichen Lebens die potentiellen Möglichkeiten der gesamten Menschheit erdrosselt.

Dieses sehr komplexe Thema kann in einer Zeitschrift naturgemäß nur ansatzweise beleuchtet werden.

Ein guter Einstieg ist die Darstellung der frühgeschichtlichen Hintergründe von Elena Afscharian: „Wie traurig, eine Frau zu sein!“. So bedrückend wie der Titel ist auch dieser kurze Überblick über die Historie der Frau.

Das mit dem Aufbruch der Frauen anfänglich entstandene „Feindbild Mann“ hat langsam ausgedient. Elena Afscharian beschreibt in ihrem Aufsatz „Aufbruch der Frauen - an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“ neue Sichtweisen, die weit über das hinausreichen, was gemeinhin mit Emanzipation assoziiert wird.

In „Frauen - Triebkräfte der Entwicklung“ legt Roland Greis dar, wie wichtig und wie hilfreich die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau nicht nur, aber gerade auch in den Entwicklungsländern ist. Für die Frauen selbst, für ihre Kinder. Und, man mag es kaum glauben, sogar die Männer profitieren davon. Das „Dorfbanksystem“, von Muhammad Yunus in Bangladesch gegründet, beschreitet Wege, die unser traditionelles Bankwesen mehr als reformbedürftig erscheinen lassen.

„Die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu stärken und sie an der Gestaltung einer globalen Gesellschaft aktiv zu beteiligen“ ist das Ziel des Bahá’í-Frauen-Forums (BFF), welches in dieser Ausgabe vorgestellt wird.

Wenn man bedenkt, dass einige arabische Stämme in früheren Zeiten ihre Frauen zum Viehbestand zählten und das Wort „Frau“ und „Esel“ identisch benutzten, wird für „frau“ sowieso, aber sicher auch für „man“ nachvollziehbar, weshalb die letzten nicht patriarchalischen Gesellschaften von der „männlichen Hälfte“ so vehement bekämpft wurden. Roland Greis beschreibt dies einfühlsam am Beispiel der griechischen Dichterin Sappho.

Tatsache ist: Die eine Hälfte der Menschheit will (und muss) alte Fesseln abstreifen und auch in den Bereichen, die „die Herren der Schöpfung“ sich bisher vorbehielten, verantwortlich mitgestalten. Dass die andere Hälfte der Menschheit das - wohlwollend formuliert - mit gemischten Gefühlen betrachtet, ist verständlich. Einen Besitzstand freiwillig aufzugeben ist nicht jedermanns Sache. Dass Männer aus der Gleichstellung der Geschlechter sogar einen bisher völlig übersehenen Gewinn ziehen werden, ist einer Bemerkung 'Abdu'l-Bahás zu entnehmen:

„Solange den Frauen die höchsten Möglichkeiten verschlossen bleiben, werden die Männer ausserstande sein, die Größe zu erlangen, zu der sie fähig wären.“


DIE REDAKTION



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Wie traurig, eine Frau zu sein![Bearbeiten]

Wie so oft, ist es auch im Zusammenhang mit „der Frauenfrage“ (wer fragt da eigentlich wen was?) sinnvoll, sich den Ausgangspunkt eines Problems zu vergegenwärtigen. Woher kommen wir?

Aus urgeschichtlicher Zeit sind uns keine Zeugnisse überliefert, die eindeutig einer Frau zugeschrieben werden können. Doch der Entwicklungsbogen der Frauenrolle, der sich von den ältesten bekannten Gesellschaften bis heute spannt, läßt sich auch anhand zweier Zitate aus dem 3. und 19. Jhdt. n.Chr. zeigen: China, 3. Jhdt., Fu Xuan (Dichterin):

„Wie traurig, eine Frau zu sein! Nichts auf der Welt wird so gering geschätzt. Jungen stehen lässig in der Tür wie aus den Himmeln gefallene Götter. Ihre Herzen meistern die Meere, den Wind und Staub von tausend Meilen. Niemand aber freut sich bei der Geburt eines Mädchens. Durch sie erwirbt die Familie nichts.“ 1)

Persien (der heutige Irán), 19.Jhdt., Táhirih (Dichterin) zu einem Minister: „Ihr könnt mich töten, sobald Ihr wollt, aber die Befreiung der Frau könnt Ihr nicht aufhalten!“ 2)

Kurz darauf wurde Táhirih ermordet.

Wie kam es eigentlich dazu, dass die eine Hälfte der Menschheit die andere unterdrückte? Geschichtswissenschaftler mögen verzeihen, aber George Bernard Shaw hat völlig Recht, wenn er bemerkt: „Historiker sind Reporter, die überall dort nicht dabei waren, wo etwas passiert ist.“3) Drei Archäologinnen haben das Zitat noch passend ergänzt. Bei ihnen heißt es: „Historiker sind Reporter, die überall dort nicht dabei waren, wo etwas passiert ist und die dennoch darüber berichten.“ 4)

Die Wissenschaft kann uns zu der Frage nach den ersten Anfängen des Ungleichgewichtes zwischen Mann und Frau heute eine Menge Theorien, jedoch wenig beweiskräftige Zeugnisse liefern. Eine der Lehrmeinungen, die in den letzten Jahren besonders viele Anhänger fand, war die Überzeugung, dass die urzeitliche Gesellschaft matriarchalisch organisiert war; dass eine Große Göttin, die Muttergöttin das Denken der Menschheit beherrscht und für einhelligen Frieden gesorgt habe. Diese Theorie konnte sich vor allem deshalb in weiten Kreisen durchsetzen, weil es in den geistigen Zusammenhang unseres ausgehenden 20. Jahrhunderts passte. In Zeiten von Weltfrauenkonferenz und „Jahr der Frau“ ist es durchaus opportun, davon auszugehen, dass einst die Frauen das Weltgeschehen bestimmten, sie dann von den Männern bekämpft und besiegt wurden und sich daraufhin das Patriarchat etablierte. Das [Seite 5] Problem an dieser Theorie: „Bis heute ist das Matriarchat mit archäologischen Quellen weder zu beweisen noch zu widerlegen.“ 5)

Die Theorie der Großen Mutter sei daher der Geschichtsforschung überlassen, auch wenn sie der Frauenbewegung lieb und teuer geworden ist. Unbestritten bleibt, daß es in der Geschichte immer wieder Matriarchate gegeben hat und vereinzelt heute noch gibt, dies allerdings als Einzelerscheinungen.

Zu den mehr oder weniger gesicherten Erkenntnissen kann jedoch gezählt werden, daß die Entwicklung von Fertigkeiten großen Einfluß auf die Menschheitsgeschichte hatte. Im Paläolithikum, d.h. in der Altsteinzeit, waren die Menschen auf einen gewissen Grad an Gemeinschaftsarbeit und Gemeinschaftsbesitz angewiesen, um überleben zu können. Ohne die Zusammenarbeit einer Gruppe war z.B. mit den bekannten Jagdwaffen das Erlegen größeren Wildes nicht möglich. Das änderte sich grundlegend mit der Entwicklung der Fernwaffen. „Die verbesserten Jagdinstrumente brachten die Möglichkeit der Einzeljagd mit sich.“ 6) Nun war die gemeinschaftliche Arbeit nicht mehr zwingend notwendig. Wer die besseren Waffen hatte, konnte ebenso als Einzelner überleben wie auch kriegerische Auseinandersetzungen führen. Diese hatte es wahrscheinlich auch schon vor dieser Zeit gegeben, sie hatten aus vorher geschilderten Gründen jedoch keine größeren Ausmaße annehmen können.

Ein weiterer äußerst bedeutsamer Schritt in der Menschheitsgeschichte war das Erlernen der Viehzucht. Der Züchter hat gegenüber dem Jäger einen entscheidenden Vorteil: „Vieh kann sich, genau wie Geld, vermehren: es bringt Zinsen in Form von Jungen. Bis zum heutigen Tag hat das Wort >Vieh< in zahllosen Sprachen die Bedeutung von >Geld<.“(a.a.0.) Wir sprechen von pecuniären Verhältnissen, wenn wir die finanzielle Situation eines Menschen meinen - das lateinische Wort >pecunia< leitet sich von ›pecus / Vieh< ab. Die indische Rupie „hat ihre Wurzel in dem Sanskrit-Wort rupa“ (a.2.0) für Vieh. Die Entwicklung der Viehzucht öffnete in bis dato unbekanntem Ausmaß einer unheilvollen Neigung Tür und Tor: der Gier nach MEHR.

Doch was hat dies mit der Geschichte der Frau zu tun? Die allererste Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau hat sich zweifellos aus unserer Anatomie ergeben. Nur Frauen können Kinder gebären. Nur Frauen konnten sie in der frühen Kindheit ernähren. Zwangsläufig gab es also zumindest zeitweise Phasen der Abhängigkeit vom Mann im Leben einer Frau. Mit einem schreienden Säugling konnte sie nicht auf die Jagd gehen. Soweit bekannt, ergab sich daraus eine frühe Aufteilung in den Arbeitsbereich am Wohnplatz und in seiner Nähe (z.B. beim Sammeln von eßbaren Pflanzen) und den entfernteren Arbeitsbereich, beim Verfolgen des gejagten Wildes. Die Zuständigkeit des Mannes für die Tiere blieb. Gleichzeitig war er es, der durch die Jagd den Umgang mit Waffen erlernte. Somit war er es auch, der den ersten Zugang zu zwei wesentlichen Machtmitteln hatte: Reichtum und Kriegsgerät.

[Seite 6] Das bedeutete allerdings nicht, dass die Frau zu allen Zeiten und in allen Gebieten unterdrückt war. Die Entwicklung der Menschheit hat sich nicht überall völlig gleich abgespielt. Gab es einerseits Gesellschaften, in denen Frauen weniger galten als Tiere, so gab es andererseits Gruppen mit matrilinearer Erbfolge, d.h. die Mutter vererbte den Besitz, nicht der Vater. Die Frauen im altgriechischen Sparta lebten in vergleichsweise großer Freiheit, während ungefähr zur gleichen Zeit die Athenerinnen ein Leben lang unter männlicher Vormundschaft standen und völlig abgeschlossen von der Öffentlichkeit in der Familie lebten. Das römische und das germanische Recht waren gänzlich patriarchal ausgerichtet, während zugleich bei manchen keltischen Stämmen die weibliche Erbfolge galt (in Teilen der britischen Inseln noch bis zum 9.Jhdt.). Doch trotz allem war weibliche Gleichberechtigung oder gar Vorherrschaft die Ausnahme. Das Gros der Frauen war in seinen Rechten gegenüber den Männern eingeschränkt.

Über den Einfluß der Religionen auf die Rolle der Frau in frühgeschichtlichen Gesellschaften kann man nach heutigem Wissensstand kaum gesicherte Aussagen treffen; Grabfunde zeigen jedoch, dass die Frauen in ihrer Geschlechterrolle bei religiösen Riten durchaus eine beachtete Funktion hatten, wenn auch oft als Opfer. Die Auswirkungen religiöser Lehren auf die uns bekannten Hochkulturen sind unbestritten stark und werden in dem Artikel >Die Frau in der Religion< in dieser TEMPORA-Ausgabe erörtert.

So also begann es. Ein langer Weg, den die Frauen seit Urzeiten über Fu Xuan und Táhirih bis heute zurückgelegt haben.


1) dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band 1, S.13
2) zitiert nach Dr. Ingeborg Franken, Interreligiöses Symposium, St. Gallen, 1981
3) Röder, Hummel, Kunz, Göttinnendämmerung, S. 373
4) Röder, Hummel, Kunz, Göttinnendämmerung, a.a.O.
5) Röder, Hummel, Kunz, Göttinnendämmerung, S.375
6) Farah Dustdar, Die Frau und der Weltfrieden, S. 25


Elena Afscharian


dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band 1, Deutscher Taschenbuch Verlag, München

Andrea van Dülmen (Hrsg.), Frauen - Ein historisches Lesebuch, Beck'sche Reihe, Verlag C.H. Beck München

Farah Dustdar, Die Frau und der Weltfrieden, Horizonte Verlag in Poseidon Press GmbH, Wien

Charlotte Kerner/ Ann-Kathrin Scheerer, Jadeperle und Großer Mut, Otto Maier Verlag Ravensburg

BrigitteRöder/ Juliane Hummel/ Brigitta Kunz, Göttinnendämmerung - Das Matriarchat aus archäologischer Sicht, Droemer Knaur Verlag, München



[Seite 7]

BLÜTENSTAUBFLÜGEL
AUS REGENBOGENLICHT
EIN GANZES LEBEN
IM KOKON
AUS SEIDENFÄDEN
VERSCHNÜRT
DEN DIE LIEBE NUN SPRENGT
Schmetterlingsflug
LEBENSLUFT TRINKEND
ENTFALTET DEIN FÄCHER SICH
UND VON DEN STRAHLEN DER SONNE
DURCHWÄRMT
BEGINNST DU ZU LEUCHTEN.
EIN WIMPERNSCHLAG
UND DU SCHWINGST DICH EMPOR;
HIMMELWÄRTS SCHWEBEND:



ROLAND GREIS


[Seite 8]



Aufbruch der Frauen[Bearbeiten]

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert


Nach vielen Jahrtausenden menschlicher Entwicklung sollte man annehmen können, es gäbe keine Konflikte mehr zwischen den Geschlechtern. Die Realität sieht jedoch leider anders aus. Jederfrau und -mann kennt sicherlich Beispiele dafür. Aus der Fülle an Fakten läßt sich im Rahmen eines Artikels nur auf einige wenige hinweisen:

Im Juli 1985 fand die von den Vereinten Nationen deklarierte Frauendekade mit der 3.Weltfrauenkonferenz in Nairobi ihren Abschluß. Dort wurde festgestellt, dass die Tendenz zur Feminisierung der Armut anhält: mehr als zwei Drittel aller Armen auf der Welt sind Frauen.1) Diese Tatsache hat für die Menschheit stärkere Folgen, als wenn es Männer wären. Denn bei diesen Frauen leben zumeist Kinder, die aufgrund der großen Armut in Kinderarbeit ausgebeutet werden, keinerlei Bildungsmöglichkeiten haben und zum überwiegenden Teil in der sozialen Verelendung keine Chance haben, ihre Verhältnisse eines Tages zu verändern.


Es ist gar nicht nötig, in die sogenannten Entwicklungsländer zu reisen, um Derartiges zu finden Man kann sich leicht an Fälle aus dem eigenen Umfeld erinnern, bei denen familiäre oder soziale Probleme ihre Ursache in einer ungerechten oder mißachtenden Behandlung von Frauen haben.

Wir machen uns nicht immer klar, daß noch in jüngster Zeit hier in Deutschland sogar der Staat eine solche Ungleichbehandlung förderte. Erst vor kurzem wurde z.B. die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Erst seit der Eherechtsreform von 1977 kann ein Mann nicht mehr die Scheidung mit der Begründung verlangen, seine Frau habe ihn zur Mithilfe im Haushalt aufgefordert. Bis zu diesem Zeitpunkt war es dem Ehemann im Geltungsbereich des Bundesgesetzbuches auch noch ausdrücklich erlaubt, seiner Frau die Erwerbstätigkeit zu verbieten. Noch bis 1958 hatte ein Mann nach §1363 BGB das Recht, über das Vermögen seiner Frau nach seinem Willen ohne ihre Zustimmung zu verfügen. Und es ist überhaupt erst knapp 121 Jahre her, dass der letzte der deutschen Kleinstaaten anerkannte, dass eine volljährige Frau eine mündige Rechtsperson war. Bis dahin bestand die Geschlechtsvormundschaft, die „bestimmte, dass sie zunächst unter der Vormundschaft des Vaters und nach der Verheiratung unter der des Ehemannes stand. Eine Witwe hatte sich einen Kurator zu wählen, dessen Anordnungen sie Folge leisten mußte.“2) Dieses Gesetz hatte in unserem Kulturraum mit wenigen Ausnahmen seit den Zeiten der Römer Gültigkeit.


Eine der Hauptursachen für das Zurückbleiben der Frauen auf den gesellschaftlichen Ebenen ist die Tatsache, dass ihnen qualifizierte Ausbildungsmöglichkeiten vorenthalten wurden. In Mitteleuropa begann sich die Schere zwischen Mann und Frau in diesem Bereich im 13. Jahrhundert zu öffnen. Bis dahin war Bildung nicht eine Frage des Geschlechtes sondern des Reichtums bzw. der gesellschaftlichen Stellung. Mit der [Seite 9] Ausbreitung der Universitäten öffnete sich ein Studium auch den Bürgern. Sogar Handwerkersöhne konnten sich nun einschreiben, sofern sie die Gebühren zahlen konnten. Nur eben die Frauen nicht. Die Universitäten beriefen sich dabei auf zu diesem Zweck passende, einseitig ausgewählte Stellen in der Bibel (1.Korinther 14,34; zur Stellung der Frau im Christentum s. Artikel „Die Frau in der Religion“ in dieser TEMPORA-Ausgabe), und da die frauenfeindlich gesinnten Kräfte zu den Gründern der Universitäten gehörten, hatten Frauen nie eine Chance, dort zu lernen. Damit blieben ihnen jedoch sämtliche höheren Laufbahnen verschlossen, denn gleich auf welchem Gebiet außerhalb des Handwerks oder Handels, das Studium galt als Voraussetzung.


Die Folgen dieser Entwicklung reichten bis in unser Jahrhundert. Die ersten Universitäten, die Frauen in Deutschland regulär aufnahmen, waren Freiburg und Heidelberg im Sommer 1901. „Das Habilitationsrecht wurde den Frauen erst 1920 zugestanden.“3) Erst 1923 erhielten zwei Frauen ordentliche Professuren in Deutschland. Und wenn man sich heutzutage die Universitäten anschaut, wird offensichtlich, daß wir noch weit von einem gesunden Gleichgewicht entfernt sind. Im letzten Jahrhundert erwachte das Bewusstsein der Frauen für ihre unterdrückte Situation, und der Kampf um Gleichberechtigung begann. Im Vergleich zu früher sind wir schon ein gutes Stück vorangekommen. Allerdings noch nicht weit genug. Der Grund dafür liegt vermutlich in der Art und Weise, wie Frauen und auch Männer dabei vorgingen. Bisher hielt sich die Vorstellung, Frauen müßten GEGEN die Männer kämpfen, um VON ihnen Rechte zu bekommen. Dabei geht es doch eigentlich darum, daß beide gemeinsam einen Weg finden, alle Kräfte der Menschheit zu bündeln, damit endlich die immensen Probleme auf aller Welt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln angegangen werden können. Der Kampf Frauen gegen Männer hat ebenso ausgedient, wie der „Kalte Krieg“. Bei einem Kampf, bei dem die eine Hälfte der Menschheit gegen die andere antritt, können nur alle verlieren, da viel zu viel Energie verloren geht und derweil die wirklichen Schwierigkeiten immer weiter wachsen.


So gesehen steht die Diskriminierung von Frauen in einem viel größeren Zusammenhang, als gemeinhin angenommen wird. Sie ist sicherlich einer der Gründe, auf die Bahá’u’lláh, der Stifter der Bahá’í-Religion, hinweist wenn er sagt:

„Seht den Aufruhr, der die Welt seit vielen langen Jahren heimsucht, und die Verwirrung, die ihre Völker ergriffen hat.... Obwohl Not und Elend die Welt umhüllen, hat doch kein Mensch innegehalten und darüber nachgedacht, was der Grund und Ursprung sei. ... “4)

Außerdem heißt es in den Bahá’í-Schriften:

„Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Nur wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. ... Erst wenn die Frauenwelt der Männerwelt.... gleichberechtigt ist, kann Erfolg und Gedeihen so erreicht werden, wie es sein soll.“5)


Eine Tendenz in der Frauenbewegung der vergangenen Jahrzehnte war, dass Frauen anstrebten, so zu werden wie Männer. Das Pendel schwang von einem Extrem in das andere. Doch mit einer ganzen Welt voller Männer gerät die Menschheit erst recht in die Katastrophe! Wenn man davon ausgeht, dass die Schöpfung kein Unfall, sondern der für das Geschöpf undurchschaubare, unendlich großartige Akt des unbeschreiblichen Schöpfers war, wird klar, daß es einen SINN hat, dass es zwei Hälften der Menschheit gibt, die sich zumindest in körperlicher Hinsicht voneinander unterscheiden. Bisher haben erst wenige zeitgenössische Wissenschaftler gewagt, zu untersuchen, ob es auch andere Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Nach all’ dem Unrecht, das Frauen in der Geschichte nur mit der Begründung widerfuhr, ihre Eigenschaften seien minderwertiger als die der Männer, galt es in unserer Zeit als unmöglich, von etwas anderem auszugehen als von völliger Gleichheit. Doch könnte es nicht sein, dass nicht nur die Geschlechtsorgane bei Frauen und Männern anders ausgebildet sind? Könnte es nicht sein, daß Mann und [Seite 10] Frau deshalb zusammenarbeiten müssen, weil eine Welt, die auf Konkurrenzkampf und Machterwerb ausgerichtet ist und in der Ausgleich und Harmoniestreben keine Rolle mehr spielen, dass so eine Welt für den Menschen unerträglich wird, da Natur und Umwelt und vor allem menschliches Miteinander daran zugrunde gehen? Eines ist klar: es ist die patriarchalisch orientierte Gesellschaft, die die unzähligen Mißstände auf der Welt, Verarmung, Umweltzerstörung, Kriege etc. zu verantworten hat. Die Friedensforscher z.B. sind sich weltweit einig darin, dass die Probleme der modernen Welt mit den Denkmodellen, auf die bisher zurückgegriffen wurde, nicht mehr zu lösen sind.


Wir sind daran gewöhnt, zur Problemlösung „wissenschaftlich“ vorzugehen. Doch was bedeutet das eigentlich? Wissenschaft, wie sie bisher betrieben wurde, basierte auf dem kopernikanischen Weltbild, auf den Lehren von Descartes, Newton und Darwin. Sie stützt sich auf Erkenntnisse, die mit den beschränkten Mitteln der Renaissance gewonnen wurden. Als „wissenschaftlich“ galt nur, was irgendwie meßbar war. Diese Wissenschaft kennt „zwangsläufig nur die Welt der Dinge“.6) Doch mit diesem materialistischen Wissenschaftsverständnis kommen wir nicht mehr weiter.


Ganz zaghaft regen sich Bestrebungen in der Wissenschaft, wenigstens auf psychologischem Gebiet die Frau als solche, nicht als einen Schattenriß des Mannes zu erforschen. Dass Frauen und Männer sich in ihrer Mehrheit unterschiedlich verhalten, hat bisher kaum jemand bestritten. Z.B. gibt es eine Untersuchung, in der den Probanden ein „Bild eines Paares, das in der Nähe einer niedrigen Brücke an einem Fluß auf einer Bank sitzt“7) vorgelegt wurde. Sie sollten dazu Geschichten erfinden. „Mehr als 21 Prozent der 88 männlichen Teilnehmer ... hatten als Reaktion auf das Bild Erzählungen verfaßt, in denen von Gewalttaten die Rede war, von Mord und Selbstmord, Erstechen, Entführung oder Vergewaltigung. Im Gegensatz dazu hatte keine der Frauen in diese Szene Gewalttaten projiziert."8) Solche Unterschiede sind bekannt, doch wandte die Forschung bisher Erklärungsmodelle an, die von männlichem Verhalten als Norm ausgingen und gar nicht danach fragten, ob weibliches Verhalten vielleicht einem ganz anderen Maßstab folgt. Verhielten sich Frauen anders als Männer, galt das folglich als unnormal. Eines der besten und bekanntesten Beispiele dafür ist Sigmund Freud mit seiner Penisneidtheorie. Dass weibliche Neurosen hauptsächlich ihre Ursachen im Fehlen des männlichen Geschlechtsorganes hätten, wird heutzutage in weiten Kreisen der Psychiatrie wohlwollend belächelt. Doch auch diese Kreise sind mit ihren Erkenntnissen noch nicht wesentlich weiter gekommen. Es ist an der Zeit, ernsthaft zu überprüfen, ob in dem andersartigen Verhalten der Frauen nicht vielleicht der bisher fehlende Ansatz zur Lösung so mancher Aufgaben liegt.

Es waren übrigens nicht nur Männer, die es versäumten, nach einem besonderen Potential der Frauen zu suchen. Viele aktive Frauen haben ja gerade in den vergangenen Jahrzehnten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Sicher, es war absolut notwendig, dass Frauen sich endlich von dem Zwang zu „Kinder, Küche, Kirche“ befreiten. Die Erwerbstätigkeit der Frau ist ein wesentlicher Schritt zum Ausgleich in der Gesellschaft. Doch indem sie sich das Recht dazu erkämpften, überbetonten diese Frauen die Bedeutung der Arbeit außer Haus zum Zwecke des Gelderwerbs, ebenso wie die Männer es vor ihnen taten. Das Schlagwort der „Nur“-Hausfrau wurde in Frauenkreisen wesentlich negativer eingesetzt, als unter Männern. Anstatt die Tätigkeit vieler Frauen, nämlich Kindererziehung und Haushaltsarbeit endlich in dem ihr zustehenden Maß zu würdigen, wurde das allgemeine Ansehen dieses Bereiches dem Fetisch „Selbstverwirklichung im Beruf“ geopfert. Plötzlich hatte sich eine neue [Seite 11] Front aufgetan: Karrierefrauen kontra Hausfrauen. Wieder eine Sackgasse.


Doch der Ausweg ist nicht fern. Schon heute ist den meisten bewusst, dass die Frauenerwerbstätigkeit eine Möglichkeit, jedoch kein Zwang sein sollte. Die Vorteile, die eine Familie daraus ziehen kann, wenn die Mutter die Familienarbeit der Berufstätigkeit außer Haus vorzieht, liegen auf der Hand. Dies natürlich auch nur, wenn sie damit glücklich ist, und nicht aus Mangel an anderen Möglichkeiten. Eine ständig frustrierte Frau stellt natürlich ein großes Gefahrenpotential für ihre Familie dar. Gerade in der Kindererziehung ist die Geduld eines der zentralen Mittel, und wer kann schon ständig auf ehrlich liebevolle Weise geduldig bleiben, wenn ihm das tägliche Einerlei von Spülen, Aufräumen, Waschen und Naseputzen zum Hals heraushängt? Kein Mensch kann sich depressiven Stimmungen entziehen, wenn er sich in dieser Tretmühle Haushalt gefangen fühlt, in der keine Arbeit ein dauerhaft greifbares Ergebnis hinterläßt, in der der Erfolg des stundenlangen Spülens nur bis zur nächsten Mahlzeit anhält, wo die Bemühungen um die Kinder erst eines fernen Tages und dann auch nur vielleicht Früchte tragen. Nichts kann einen so anöden, wie zum hunderttausendsten Mal nach der einen fehlenden Socke zu suchen.

Oder etwa nicht?


Bitte verzeihen Sie mir, aber ich habe mich gerade bemüht, Sie auf's Glatteis zu führen. Denn es ist die überlieferte männliche Denkweise, die auch diesen Bereich beherrscht. Es ist zwar völlig natürlich, dass es Menschen gibt, die sich bei der Hausarbeit tödlich langweilen. Aber ehrlich gesagt, ich finde jahrelanges Vergleichen unendlicher Zahlenkolonnen auch nicht viel aufregender.

Und doch ist das gesellschaftliche Ansehen eines Astro-Physikers so unendlich viel größer, als das einer Hausfrau. Und damit zumeist auch sein Selbstbewußtsein. Und sicherlich sein Einkommen. Kaum jemand kann sich dauerhaft der allgemeinen Beurteilung seiner Position entziehen. Daraus folgt, dass viele Hausfrauen einen mehr oder weniger großen Minderwertigkeitskomplex mit sich herumtragen, dass sie selbst an den Status der „Nur“-Hausfrau glauben, obwohl der Nutzen ihrer Arbeit für die Gesellschaft unter Umständen viel größer ist als der des Physikers, der sich womöglich in einer Theorie verfahren hat, die auf dem nächsten Kongreß in Bausch und Bogen untergeht. Die Hausfrau dagegen hat vielleicht zwei Kinder zu glücklichen Erdenbürgern erzogen, die eines Tages ebenso erfolgreich Familien gründen und mit ihrer Arbeit unzähligen Menschen helfen werden.


Es sollen hier beileibe nicht alle Frauen wieder an den Herd geredet werden! (Ich brauche nur an meine eigene Nase zu fassen, um zu wissen, dass ich auch noch Anderes neben Haushalt und Kindern benötige.) Wichtig erscheint, dass der Wert der Hausarbeit an sich nicht geringer ist, als der jeder anderen Berufstätigkeit. Ob ich eine Arbeit als langweilig empfinde oder nicht, sollte von meinen persönlichen Neigungen abhängen, nicht von der gesellschaftlichen Einstufung. Das ist heutzutage nicht der Fall.


Derzeit werden bestimmte Arbeitsbereiche mehr geschätzt, als andere. Und die mit dem geringeren Ansehen sind die, in denen traditionell die Frauen stärker waren. Dienstleistungen, Fürsorge für Alte und Kranke, die bereits erwähnte Erziehung der kommenden Generation und vieles mehr. Und die traditionellen Männerdomänen sind durch den Mangel an weiblicher Beteiligung entartet. Das ging soweit, dass aus einer so interessanten und wertvollen Wissenschaft wie der Physik der entscheidende [Seite 12] Anstoß zum Bau der Atombombe kam. Hätte sich das Machtstreben und Konkurrenzdenken in der Gesellschaft mit dem Bemühen um Ausgleich und harmonisches Miteinander die Waage gehalten, wären die an sich neutralen Entdeckungen der Wissenschaftler sicherlich nicht zur grausamen Geißel von Hiroshima und Nagasaki geworden.


Wie alles andere im Leben auch bestimmen unsere Gedanken, also die Art und Weise, wie wir Dinge beurteilen, unser Empfinden. Ob wir glücklich leben oder nicht, hängt davon ab, ob wir das Glas als HALBVOLL oder HALBLEER ansehen. Die Macht über unsere Gedanken hat aber niemand anderer als wir selbst! Wer zwingt uns unsere Gefühle auf, außer wir selbst? Probieren Sie es doch einmal aus: Sagen Sie sich dreihundert mal am Tag „ich bin ein Versager“. Sicherlich gehen Sie abends mit Kopfschmerzen oder zumindest deprimiert zu Bett. Sagen Sie dagegen dreihundert mal „ich bin wunderbar“ zu sich selbst, haben Sie zweifellos vor dem Einschlafen das Gefühl, einen schönen Tag verlebt zu haben. Probieren Sie es wirklich mal aus, das Ergebnis ist absolut verblüffend! Autosuggestion; es ist überhaupt nicht einzusehen, warum man das nicht ständig betreibt - natürlich nur die positive Variante. In unserem Kontext bedeutet das nun, dass wir endlich beginnen müssen, all’ die Eigenschaften und Fähigkeiten, die in der Menschheit bisher nur dahinkümmerten, weil sie als „weiblich“ galten, zu fördern und zum Wohle aller zu nutzen.


So muß auch auf dem Gebiet der Arbeit eine Neubewertung erfolgen. Beispiel Hausarbeit. Fritjof Capra drückt es so aus: „Eine Arbeit wie die Hausarbeit zu leisten, die immer und immer wieder getan werden muß, hilft uns, den natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen, von Geburt und Tod zu erkennen und uns so der dynamischen Ordnung des Universums bewußt zu werden. Dieses ökologische Bewußtsein ist unserer Kultur verlorengegangen, einer Kultur, die den höchsten Wert einer Arbeit zugesteht, die etwas 'Außerordentliches' schafft, also etwas außerhalb der natürlichen Ordnung Stehendes. Es darf nicht überraschen, dass der Großteil dieser hochbewerteten Arbeit jetzt Technologien und Institutionen hervorbringt, die für die natürliche und gesellschaftliche Umwelt äußerst schädlich sind...“9)

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert müssen wir uns also darüber klar werden, dass im Verhältnis der Geschlechter eine völlig neue Ära angebrochen ist. Die uns liebgewordenen Feindbilder früherer Zeiten taugen nicht mehr zur Lösung der weltweit miteinander vernetzten Probleme. Auch der Kampf um völlige Gleichheit hat keinen dauerhaften Erfolg gebracht. Bei genauer Betrachtung würde eine völlige Gleichheit der gesetzlichen Rechte für Mann und Frau nur wieder neuen Schaden anrichten, denn wo bliebe denn dann z.B. beim Arbeitsrecht der Mutterschutz für Schwangere?


Selbst der Begriff der „Emanzipation der Frau“ ist schon in manchen Teilen der Welt überholt. Denn „Emanzipation“ bedeutet nichts anderes als „aus dem manicipium geben“, wobei das „manicipium“ der feierliche Eigentumserwerb durch Handauflegen war. Korrekt bedeutet „Emanzipation der Frau“ also nichts anderes, als daß der Mann die Frau aus seinem Besitz entläßt. In Zukunft braucht es viel mehr als das! Noch entspricht die Lebensrealität der meisten Frauen nicht entfernt dem Ideal. Jedoch immer mehr erreichen einen zufriedenstellenden Zustand. Für diese Frauen, die über Zugang zu Bildung und materielle Absicherung verfügen gilt, dass die bittende, fordernde oder [Seite 13] zwingende Haltung gegenüber den Männern beendet werden muß. Sie sollten sich ihrer besonderen Fähigkeiten bewusst werden und der Tatsache, dass die Menschheitsentwicklung sie hier und heute in die Verantwortung nimmt. Für Verantwortung muß man selbst geradestehen. Die Zeit der gegenseitigen „Schuldzuweisungen“ ist vorbei.


1) Andrea van Dülmen, Frauen - Ein historisches Lesebuch, S. 155/ Christa Wichterich
2) Hermes Handlexikon, Geschichte der Frauenemanzipation, S. 224
3) Hermes Handlexikon, Geschichte der Frauenemanzipation, a.a.O.
4) Bahá’u’lláh, Ährenlese 112, Bahá’í-Verlag, Langenhain
5) 'Abdu'l-Bahá, Frauen, S.16, Bahá’í-Verlag, Langenhain
6) Farah, Dustdar, Die Frau und der Weltfrieden, S. 65
7) a.a.O, S.92
8) a.a.O.
9) Farah Dustdar, Die Frau und der Weltfrieden, S. 131


Elena Afscharian



empfehlenswerte Literatur:

Andrea van Dülmen (Hrsgb.),
Frauen - Ein historisches Lesebuch,
Beck'sche Reihe, Verlag C.H. Beck, München


Daniela Weiland (Hrsgb.),
Hermes Handlexikon: Geschichte der
Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich,
ECON Taschenbuch Verlag Düsseldorf


'Abdu'l-Bahá, Frauen, S.16,
Bahá’í-Verlag, Hofheim/ Ts.


Farah Dustdar,
Die Frau und der Weltfrieden,
Horizonte Verlag in Poseidon Press GmbH, Wien


Shulamith Shahar,
Die Frau im Mittelalter,
Fischer Taschenbuch Verlag



Weil es sich sträubt, mein Leben,

ohne mich gelebt zu werden, schreibe ich.

Halte so meine Uhr an, den Augenblick,

mit all seinen Widersprüchen.

Versuche ihn mit Worten sichtbar zu machen, lebbar.

Manchmal gelingt es, wie eine stille Liebe,

die wächst, wenn man sie nährt und hütet,

die aufbricht, wenn man ihr Türen öffnet.

Eine Liebe, die z weit gehen muß.


Manchmal steht am Ende ein Gedicht.

Lesbar, gegen jede Willkür.

und ich schon wieder mit leeren Händen.



Liesel Willems


Autorin zahlreicher Gedichte
„Das Kamatendorf“, Erzählung, Sassafras-Verlag, Krefeld
„Das Adoptierbaby“, Kinderbuch, tabu-Verlag, München
Autorindes Kindertheaterstückes „Leonard“
1. Preis/ Prosa beim Nettetaler Literaturwettbewerb 1989
1. Preis/ Prosa beim 10. NRW-Autorentreff 1997


[Seite 14]



Über die Notwendigkeit des Weiblichen in der Entwicklung des Mannes[Bearbeiten]

Der Gedanke, daß ein Herrscher, der sich des Machtmißbrauchs schuldig gemacht und seine Unfähigkeit, gerecht zu regieren, bewiesen habe, jederzeit abgesetzt werden könne, wurde in Europa von den Aufklärern des 18. Jahrhunderts entwickelt. Er wurde in den folgenden zweihundert Jahren zu einem der Eckpfeiler demokratischer Gesellschaftsordungen. Seitdem gilt die Fähigkeit, den Herausforderungen der Zeit angemessen zu begegnen, zumindest theoretisch als eine der Bedingungen der Regierungskunst.


Im Lichte dieser Erkenntnis möchte ich Sie bitten, einem Gedankenexperiment zu folgen. Angenommen Sie hätten die Möglichkeit, einer bestimmten Gruppe von Menschen aufgrund historischer Erfahrungen das Recht auf Machtausübung zu verweigern oder zu gewähren, wie würden Sie bei einer Gruppe verfahren, die sich zur Krone der Schöpfung ernannt und nichts unversucht gelassen hat, eben diese Schöpfung zu zerstören; die ihre Rationalität für ihr wichtigstes Kennzeichen hält und aus fünftausend Jahren Geschichte nicht mehr gelernt hat als Gewalt mit Gewalt zu beantworten und anders Handelnde als Schwächlinge zu belächeln; die Staatssysteme und Gesetzesbücher geschaffen hat, die unablässig Lebensgesetze verletzen und dem gesunden Menschenverstand und einfachsten psychologischen Einsichten zuwiderhandeln; die eine andere Gruppe von Menschen als minderwertig und zu beherrschen bestimmt und diese gleichzeitig zum Objekt ihrer Begierde gemacht hat; die ihr Wissen in erster Linie eingesetzt hat, um Macht über andere zu gewinnen und sich Reichtümer auf Kosten anderer anzueignen; die alles getan hat, um eine Hälfte der Menschheit an ihrer Weiterentwicklung zu hindern; die unablässig Kriege vorbereitet, angezettelt und geführt und dies zur patriotischen Pflicht erklärt hat; die fast immer ihre eigenen oder bestenfalls Gruppeninteressen über das Allgemeinwohl gestellt hat; die ihre eigenen Schwächen hinter einem Nebelvorhang aus Oberflächlichkeit, Arroganz, Kraftmeierei und Aggressivität zu verbergen trachtet und die es gelernt hat, ihre Fehler zu leugnen, ihre Unfähigkeiten in Qualitäten umzudeuten, ihre Gefühle zu unterdrücken und Zweifel an ihrer Vollkommenheit regelmäßig im Alkohol zu ertränken oder in Allmachtsträumen zu kompensieren?

Die Rede ist von jenem Teil der Menschheit, der immer noch diese Welt regiert und sich mehrheitlich bis heute hartnäckig weigert, aus Jahrtausende alten Erfahrungen endlich die logischen Konsequenzen zu ziehen.


Die Rede ist von den Männern.


[Seite 15] Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß hier nicht der Versuch gemacht werden soll, die männliche Fraktion pauschal zu verurteilen oder herabzusetzen. Dies ist in verständlicher aber wenig hilfreicher Weise von einem Teil der Frauenbewegung bereits gemacht worden.

Verstehen Sie meine Einleitung eher als Rückblick, der das Ziel verfolgt, offenkundige Schwächen der eigenen Art bloßzulegen, um daraus Schlüsse für die Zukunft abzuleiten.

Zieht man ein Gesamtresümee männlicher Leistungsbilanz, wie ich das oben die globalen Tatsachen zusammenfassend versucht habe, müßte Mann selbstkritisch zu dem Ergebnis kommen, daß er überwiegend versagt hat. Ein deprimierendes Resultat, zugegeben, aber kein Grund in Selbstmitleid zu verfallen oder das typisch männliche Repertoire aggressiver Verteidigung abzuspulen.


Vielleicht sollte man die Aufmerksamkeit auf die positiven Dinge lenken: Es hat in der Geschichte immer wieder Männer gegeben, die sich durch Weisheit, Nachgiebigkeit und einen Blick für das Ganze auszeichneten.

Sie haben häufig die Funktion von Wegweisern und Heilern ausgeübt und zusammen mit zahllosen von der Geschichtsschreibung ignorierten Frauen immer wieder neue Wege der Weiterentwicklung aufgezeigt bzw. Alternativen zum herrschenden Denken entwickelt.

Dante, Shakespeare, Lessing, Goethe, Hölderlin, Novalis, Gandhi, Einstein, Martin Luther King, Nelson Mandela, Michail Gorbatschow, Heinrich Böll, Rudi Dutschke, John Lennon, Michael Ende, Karlheinz Böhm‚ Mohamed Yunus, sie alle waren oder sind Männer. Sie konnten zu geistigen Helfern der Menschen werden, weil sie die Vision eines ganzheitlichen Menschseins vermittelten und immer wieder den Weg aus der Sackgasse der Einseitigkeit wiesen. Zu allen Zeiten gab es Männer, die solche Impulse aufgriffen und weitertrugen.

Trotzdem haben die Mächtigen dieser Welt es immer wieder vermocht, die Menschheit auf den Irrweg zu führen, den ihre eigene Beschränktheit ihnen diktierte, so daß selbst die Impulse der Gottesoffenbarer immer wieder umgedeutet, verdreht und in ihr Gegenteil verkehrt wurden.

Erst im Zeitalter der jüngsten Offenbarung, die die Gleichberechtigung der Frauen als eines ihrer zentralen Ziele erklärte, das heißt im 19. Jahrhundert, haben die Frauen begonnen, ihre Aufgabe zu erkennen und den Kampf für eine ebenbürtige Rolle an der Seite des Mannes aufzunehmen. Eine Folge davon war auch, daß sich immer mehr Menschen, nicht zuletzt auch Vertreter der von Männern dominierten Wissenschaften, einem ganzheitlichen Denken zuwandten und neue Visionen der Menschheit und der Erde als Gesamtorganismus entwickelten.


Das wissen von der Einheit alles Seienden, von der gegenseitigen Abhängigkeit und Ergänzung des Weiblichen und des Männlichen, ist uralt. Es hat in der chinesischen Ganzheitslehre im Bild des Yin und Yang als der beiden Hälften des Kreises seinen Ausdruck gefunden. Das männliche und das weibliche Prinzip werden hier sowohl als Gegensätze als auch als Teile einer größeren Einheit gesehen. Darüberhinaus ist im weiblichen Teil ein männlicher in Form eines Punktes, im männlichen ein weiblicher dargestellt. Beide Hälften werden als Fische gesehen, und das Bemerkenswerte daran ist, daß die beiden Kontrastpunkte in den Fischkörpern die Position und Funktion eines Auges haben.

Das kann so gedeutet werden, daß die Wahrnehmung, Anerkennung und [Seite 16] Entwicklung der jeweils gegensätzlichen Wesenheiten in einem selbst die Voraussetzung für die Herstellung einer ganzheitlichen Harmonie bilden. In dem Maße wie die Männer ihre weiblichen Eigenschaften und die Frauen den



In der Vergangenheit wurde die Welt durch Gewalt regiert, aber schon neigt sich die Waage, Gewalt verliert ihr Gewicht und geistige Regsamkeit, Intuition und die geistigen Eigenschaften der Liebe und des Dienens, in welchen die Frau stark ist, gewinnen an Einfluß. Folglich wird das neue Zeitalter weniger männlich und mehr von weiblichen Leitbildern durchdrungen sein, oder genauer gesagt, es wird ein Zeitalter sein, in dem die männlichen und weiblichen Aspekte der Kultur besser ausgeglichen sein werden.

'Abdu'l-Bahá, zitiert in Esslemont, >Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter‹, S. 173



männlichen Teil ihres Wesens erkennen und zur Entfaltung bringen, ohne dabei ihre Hauptseite zu verleugnen, werden Frauen und Männer in gegenseitigem Verständnis, Wertschätzung und Eintracht leben und sich gemeinsam weiterentwickeln können. Anders ausgedrückt heißt das zu lernen, sich selbst mit den Augen des anderen Geschlechts zu sehen, Abschied zu nehmen von den Grundannahmen männlichen Selbstverständnisses, die immer wieder Männer gehindert haben, ein realistisches Bild von sich selbst zu gewinnen.

Welche sind das?


Männer halten sich für rational denkende Wesen. Das Vorurteil von der Überlegenheit des männlichen Geistes stützt sich vor allem auf die Annahme, Frauen würden durch ihre Emotionalität daran gehindert, zu klaren Einsichten zu gelangen. Die hierin ausgedrückte Abwertung des Emotionalen findet ihre Entsprechung in dem Versuch vieler Männer, ihre eigenen Gefühlsregungen zu verdrängen, zu leugnen oder zu rationalisieren.

Wohin das führt, ahnen wir. Daß es letztendlich selbstzerstörerisch ist, haben Mediziner und Psychologen längst erkannt. Aber es gefährdet nicht nur die eigene Existenz. Ihren deutlichsten Niederschlag hat die Überbewertung des Rationalen in den Wissenschaften. Seit Descartes hat die einseitige Bevorzugung des Vernunftdenkens im Siegeszug der empirischen Wissenschaften ihren Ausdruck gefunden. Das Endprodukt dieses rationalen, auf wissenschaftlichen Fortschritt und die Verwirklichung des technisch Machbaren gerichteten Denkens ist die Atombombe: Symbol eines von der Moral abgekoppelten Handelns. Spätestens hier wird die Irrationalität männlicher Vernunftgläubigkeit offenbar. Es reicht eben nicht, die Welt als eine Summe von Gegenständen zu sehen, die objektiv betrachtet, analysiert und manipuliert werden können. Mindestens ebenso wichtig wäre das intuitive Wissen um die gegenseitige Abhängigkeit allen Lebens, der Gedanke, daß alles, was einzelne Teile des Ganzen anderen zufügen, auch auf sie zurückwirkt.


Männer sind stolz auf ihre Unabhängigkeit. Der Fetisch der Unabhängigkeit, an sich eine biologische, soziale und psychologische Absurdität, hat millionenfach Machtstreben, Konkurrenzkampf, emotionale Verhärtung und letztendlich Einsamkeit verursacht. Unabhängig kann sich nur fühlen und wünschen, wer sich selbst seiner Mitwelt gegenüberstellt, wer sie als Objekt sieht. Von der männlichen Wahnvorstellung der Unabhängigkeit ist es nur ein kleiner Schritt zur Nutzbarmachung, zur Ausbeutung der Umwelt und der Mitmenschen. Frauen haben dem die Alternative



Dominanz wird mit
Dauerstress bezahlt.


menschlicher Fürsorge und Verantwortlichkeit entgegenzusetzen. (Eine Haltung, die übrigens deutlich das Infarktrisiko senkt.)

[Seite 17] Vergegenwärtigt man sich, welche Idolvorstellungen in Männerhirnen spuken, so wird man immer wieder den Macher, den Manipulator, den großen Einsamen finden, der seine ganze Würde in der Heldenpose mit zusammengekniffenen Lippen findet. Vom Westernhero bis zum absurden Helden eines Albert Camus immer das gleiche Grundschema: Mann sein heißt alleine gegen die Welt stehen. Erst in letzter Zeit ist das Asoziale, das Irreale und zutiefst Unsinnige dieser Vorstellung von Psychologen bewußt gemacht worden. Ein Ergebnis dieser Annahme ist die Idee von der Schlechtigkeit des Menschen, von der Grausamkeit der Welt. Der einsame Kämpfer sieht sich zwangsläufig umstellt von einer Unzahl widriger Umstände, feindlicher Konkurrenten, sein Lebensmotto ist das des leidvollen‚ letztendlich vergeblichen Kampfes. Ernest Hemingway (aber auch viele andere "moderne" Autoren) hat einen Großteil seines Lebenswerkes der Variation dieses Themas gewidmet. Menschenwürde ist aus dieser Perspektive nur noch im Standhalten, in der Weigerung, sich als besiegt anzusehen, vorstellbar. Daß aus dieser Haltung kaum positive Ansätze zur Gestaltung des Zusammenlebens entstehen, daß sie zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird, da sie sich im eigenen Verhalten niederschlägt, ist !eicht einzusehen. Deshalb scheint es dringend erforderlich, die Rolle des Menschen, vor allem des Mannes, anders zu definieren. Denn mißtrauische, immer kampfbereite, auf ihre Überlegenheit pochende Menschen werden kein soziales Klima des Vertrauens und damit keine menschliche Gemeinschaft, die diesen Namen verdient, schaffen können. Hier können Männer von Frauen unendlich viel lernen, und erst in dem Maße, wie sie weiblicher Partnerschaft, weiblichem Einfluß auf allen Gebieten des Lebens, auch in der Politik, Gleichberechtigung einräumen, werden sie ihre eigenen Schwächen und Defizite schrittweise beseitigen können.


Männliches Denken bewegt sich meist in den Kategorien von Sieg oder Niederlage. Das Entweder-Oder-Schema, das dem zugrundeliegt, verrät sehr einfache Denkstrukturen. Hier hat die Evolution seit Jahrtausenden kaum Fortschritte gemacht oder anders ausgedrückt ist es einem Großteil der Männer gelungen ihre Hirne zu immunisieren. Bereits Lao-tse hatte vor rund 2500 Jahren versucht, seinen Zeitgenossen klar zu machen, daß Siege Niederlagen und Niederlagen Siege sein können und damit die geistige Dimension menschlichen Handelns angesprochen. Dennoch hat sich die männliche Überschätzung des Quantitativen, des Vordergründigen und Materiellen hartnäckig bis in unsere Tage als Haupttendenz erhalten. Obwohl tausendfach bewiesen wurde, daß Kriege, Gewalt, Habsucht und Machtstreben ernten, was sie säen und langfristig nur Nachteile und Schäden verursachen, zeigt sich ein beträchtlicher und oft leider der herrschende Teil der Menschheit gänzlich unbeeindruckt von Lebenserfahrung‚ historischen Erkenntnissen und Logik.

Noch immer mißt Mann die Qualität einer Nation eher an ihrer militärischen Stärke und ihrem Bruttosozialprodukt und nicht an Ihren kulturellen und sozialen Errungenschaften, an ihrer Bereitschaft, Bedürftigen zu helfen. Noch immer stiften Sieg oder Niederlage im Sport Nationalbewußtsein oder kollektive Minderwertigkeitsgefühle, sind Menschen bereit, für die Minuten auf dem Siegerpodest ihre Gesundheit zu ruinieren. Noch immer wird die Reife eines Schülers in Zahlen ausgedrückt, die aus seiner meßbaren Leistung abgeleitet sind, während seine soziale Integrationsfähigkeit mit keinem Wort auf dem Abiturzeugnis erwähnt wird. Noch immer werden Studenten nahezu ausschließlich der Auslese eines Numerus Clausus unterworfen, auch wenn sie Berufe anstreben, die ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und sozialer Verantwortung erfordern.

Man tut so, als habe nur das Meßbare in unserem Leben Bedeutung und Bestand. Als Leistung gilt folglich nur, was quantifizierbar ist. Der Wert des Menschen wird gemessen an seinem meßbaren Output. Nicht meßbare Tätigkeiten wie Hausarbeit, Erziehungsarbeit und alles, was der Verbesserung des sozialen Klimas dient, werden gering geschätzt und entsprechend entlohnt. Die Arbeit einer Krankenschwester wird bis zu hundertmal geringer bezahlt als die eines Leistungssportlers.


Fast alle bisher von Männern geschaffenen Staats- und Wirtschaftssysteme kranken an den Mängeln und Defiziten, die oben als typisch männlich beschrieben wurden. Staatssysteme zeichnen sich durch ausufernde Hierarchien, bürokratisch gegliederte Machtstrukturen und Kopflastigkeit, das heißt ur Schwerfälligkeit aus, durch die Unfähigkeit, [Seite 18] die Bedürfnisse der untersten Ebene zu berücksichtigen. Das Prinzip eigenverantwortlichen Handelns auf allen Ebenen, das Treffen von Entscheidungen dort, wo die dafür nötigen Kenntnisse und Bedingungen vorhanden sind (Subsidiaritätsprinzip), scheint einem Großteil der herrschenden Männer zutiefst suspekt, wenn nicht gar unverständlich zu sein. Machtdenken und Machtstrukturen scheinen so tief in der männlichen Psyche verankert zu sein, dass sie die Fähigkeit zu sachgerechtem Denken blockieren. Der Verdacht liegt nahe, daß männliches Machtstreben eine Kompensation anerzogener Liebesunfähigkeit ist und deshalb als existenzielle Notwendigkeit angesehen wird.

Die Wirtschaftssysteme unserer Zeit, sowohl das sogenannt kommunistische als auch das kapitalistische, hatten und haben als Grundbedingungen den materiell orientierten Egoismus und das darauf beruhende Konkurrenz- bzw. Leistungsdenken. So war es lange Zeit die fixe Idee des Ostblocks, den Westen materiell zu überrunden. Was das Bruttosozialprodukt nicht schaffte, mußte ein Heer durchgedopter Sportler ersatzweise bewerkstelligen.

Das eine System ist inzwischen an den nicht mehr überbrückbaren inneren Widersprüchen zugrunde gegangen. (Einige wenige Staaten sind noch dabei, ihr Bestes zu tun, um auf diesem Weg zu folgen.)

Führende westliche Ideologen haben den Prozeß des Zerfalls des sozialistischen Lagers als Beweis für die triumphale Überlegenheit des Kapitalismus gedeutet und dabei die verhängnisvolle Widersprüchlichkeit des eigenen Systems aus den Augen verloren. Eine Milliarde hungernder Menschen, endlose Kolonnen von Flüchtlingen, ausufernde Arbeitslosigkeit, Bürgerkriege, Terrorismus, zunehmende Gewalt und Kriminalität, sind das nicht schlagende Beweise für die Effizienz unseres Systems? Wenn die Kenntnis davon und die täglich wiederholten Beteuerungen politischer Führer, gegen diese Symptome etwas tun zu müssen, bislang kaum Konsequenzen im Handeln fanden, liegt da der Verdacht nicht nahe, daß es vielleicht auch am fehlenden Mitgefühl liegt?

Würden Frauen in politischer Verantwortung sich mit gleicher Hartnäckigkeit in bürokratische Fangnetze verstricken und das Fehlen globaler Entscheidungsstrukturen als Alibi für die eigene Untätigkeit benutzen?

Würden Frauen mit gleicher Prinzipientreue an überalterten Verwaltungs- und Machthierarchien festhalten, ihre Handlungsunfähigkeit weltmännisch leugnen und sich unbelehrbar von den Tatsachen an Steuerruder und Führungssessel klammern - bis zum gemeinsamen Untergang? Hätten viele Frauen in Führungspositionen, nicht einzelne dem System angepaßte Karrierefrauen wohlgemerkt, nicht längst den Denkmüll und die destruktiven Prinzipien männlicher Machterhaltung über Bord geworfen und ihre sensiblere Wahrnehmung menschlichen Leids und mitmenschlicher Bedürfnisse genutzt, um Umgangs- und Organisationsformen zu finden und zu verwirklichen, die dem Gesamtorganismus der Menschheit dieses einen Planeten angemessen sind?

Aus dem Gesagten wird deutlich, wie überlebensnotwendig es ist, daß Männer anfangen, sich aus dem Korsett ihrer kollektiven Zwangsneurosen zu befreien. Wurde der Begriff der Emanzipation zunächst als der Weg der Frauen in Richtung der von den Männern bereits errungenen Positionen und Privilegien verstanden, so rückte mit fortschreitendem [Seite 19] Selbstbewußtsein der Frauen immer mehr ein neuer Gedanke in den Vordergrund: Die Notwendigkeit der Emanzipation des Mannes.

Ursprünglich, d.h. bei den Römern, bedeutete Emanzipation die Freilassung eines Familienmitgliedes aus der väterlichen Gewalt. Der Prozeß materiellen Selbständigwerdens - für die Frauen eine wesentliche Errungenschaft in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft und Grundbedingung selbstbestimmter Mündigkeit - war für die Männer immer selbstverständlich. Dabei haben sie übersehen, daß die Gewalt der Väter in ihnen selbst weiterwirkte, in ihrem Denken, Fühlen und Handeln.

Wovon sich Männer emanzipieren müßten, habe ich oben versucht darzustellen. Wie dies aber geschehen kann, ist von mindestens ebenso großer Wichtigkeit.

Aus der Tatsache, dass Männer gelernt haben, auf Angriffe mit Gewalt zu reagieren, folgt, daß diese auch von Teilen der Frauenbewegung praktizierte Methode nicht nur moralisch verwerflich, sondern sogar kontraproduktiv ist.


Wenn die Existenz des weiblichen und des männlichen Elementes ein Grundprinzip der Schöpfung ist, dann brauchen Männer Frauen genauso wie Frauen Männer zu ihrer Weiterentwicklung benötigen. Kein geringerer als Goethe war es, der erkannte, daß das Geheimnis der Entwicklung in den Prinzipien der Polarität und Steigerung liegt. Dies bedeutet, daß Gegensätze aufeinandertreffen und sich gegenseitig beeinflussen und bereichern müssen, damit aus dem beschränkten Einzelnen, dem Einseitigen, das Vollkommenere, Höhere hervorgehe. Möglich ist das nur, wenn der Aufeinanderprall der Gegensätze in einer Atmosphäre der Wertschätzung stattfindet, wenn beide Seiten bereit sind, ihre Vorurteile voneinander beiseite zu legen, wenn Vertrauen, Offenheit und gegenseitiges Verstehenwollen vorhanden sind. Unter solchen Bedingungen werden Erkenntnis und Selbsterkenntnis nicht nur möglich, sondern zwangsläufig, erscheint der „Funke der Wahrheit“ am Horizonte des menschlichen Geistes.



Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird‘s Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
Goethe, Faust II


Nehmen vor allem wir Männer dies als eine Herausforderung, unsere steckengebliebene Evolution fortzusetzen. Lernen wir, die Weit mit den Augen der Frauen zu sehen. Was wir dabei zu gewinnen haben, ist eine ganze Welt, eine neue Welt, in der der Wert eines Menschen gemessen wird an seiner Bereitschaft, mit anderen zusammenzuarbeiten, mit ihnen zusammen zu fühlen, sich zu freuen, zu genießen, an seiner Fähigkeit, über sich selbst hinauszuwachsen und anderen zu dienen.


Text und Fotos: Roland Greis


[Seite 20]




BAHÁ'Í FRAUEN FORUM[Bearbeiten]

Vielfältig erscheinen die Probleme, vor denen die Welt heute steht, doch führen sie alle zu der Kernfrage: Wie kann die Menschheit mit ihren tiefsitzenden, von trennenden Vorurteilen geprägten Konfliktstrukturen in eine Weltgemeinschaft verwandelt werden, in der Einheit und friedliche Zusammenarbeit die grundlegenden Merkmale sind?

Die Erkenntnis von der Einheit der Menschheit ist gemäß der Bahá’í-Lehre die grundlegende Voraussetzung für eine Neuordnung und Befriedung der Gesellschaft. Hierbei ist die Gleichberechtigung der Geschlechter ein entscheidender Grundsatz. Nach der Bahá’í-Lehre ist wirklicher Fortschritt in Gesellschaft und Politik erst dann zu erwarten, wenn dieser Grundsatz keine hehre Idee bleibt, sondern im Denken und Handeln aller Menschen, Männer wie Frauen, akzeptiert und praktiziert wird. Ausdrücklich wird die Gleichberechtigung der Geschlechter als eine der Vorbedingungen für einen dauerhaften Frieden in der Welt genannt. Die künftige Weltkultur wird davon geprägt sein, dass „die männlichen und weiblichen Elemente ... ausgeglichen sein werden.“1) Daher ist die Forderung der Gleichberechtigung der Geschlechter weder ein Anliegen, dessen Verwirklichung ausschließlich den Frauen zugute kommt - es geht hierbei nicht um den Wunsch nach bloßer Selbstverwirklichung der Frauen -, noch eine Aufgabe, die allein die Frauen zu übernehmen haben. Vielmehr ist die Beteiligung von Frauen an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen eine Notwendigkeit für die Entwicklung der gesamten menschlichen Gesellschaft.

Das Bahá’í-Frauen-Forum e.V. (BFF) wurde im Jahre 1996 gegründet mit dem Ziel, „die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu stärken und sie an der Gestaltung einer globalen Gesellschaft aktiv zu beteiligen“.2) Einerseits sollen durch gezielte Förderung an der Basis möglichst viele Frauen befähigt werden, das geistige Klima im sozialen Umfeld vor Ort - d.h. in der Partnerschaft, in der Familie, im Beruf - und in der Gesellschaft entscheidend zu prägen. Dies bedeutet z.B., dass Frauen durch Seminare, Workshops, etc. ermutigt werden, bestehende Bildungschancen und Zugangsmöglichkeiten aktiv zu nutzen, um auf diese Weise fähig zu werden, sich mit den Männern gemeinsam als gleichermaßen kompetente Partnerinnen selbstbewußt und verantwortungsvoll am Gestaltungsprozeß unserer Gesellschaft zu beteiligen. Andererseits hat sich das BFF die Aufgabe gestellt, den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter, wie er in den Bahá’í-Lehren verankert ist, einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen und - auch in Zusammenarbeit mit anderen nationalen und internationalen Organisationen - die Bedeutung der Gleichberechtigung für die zukünftige Zivilisation im Bewußtsein aller zu vertiefen sowie den Fortschritt der Frauen zu fördern.

[Seite 21] Das BFF wendet sich nicht nur an Bahá’í sondern auch und gerade an die Gesellschaft im Allgemeinen. Es versteht sich als Forum für Menschen unterschiedlichsten Hintergrundes, die an der Förderung der vorgenannten Ziele interessiert sind. Die Mitgliedschaft steht jedem Erwachsenen offen, der sich der Satzung verpflichtet fühlt.

Ingeborg Franken







TeilnehmerInnen der BFF-Jahrestagung 1998 in Langenhain


1) 'Abdu'l-Bahá, zitiert in: Esslemont >Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter<, Bahá’í-Verlag GmbH, Hofheim-Langenhain, 6. Auflage 1976, S. 173
2) vgl. Präambel der Satzung des BFF-Bahá’í-Frauen-Forums


Nähere Auskünfte erhalten Sie bei:
BFF, c/o Gisa Meier-Floeth,
Tiefe Str. 10, 31675 Bückeburg
oder per eMail: bff@bahai.de




Die Gleichstellung der Geschlechter
ist aus Sicht der Bahá’í
eine der wichtigsten Voraussetzungen
für den Frieden in der Welt.
'Abdu'l-Bahá, Promulgation of World Peace



[Seite 22]



Die Frau in der Religion[Bearbeiten]

EWIGE WAHRHEITEN UND VERÄNDERLICHE GESETZE


Die in diesem Artikel angesprochenen Religionen mögen sich in ihren uns heute bekannten Formen des Lebens der Gläubigen extrem voneinander unterscheiden, bei genauerer Untersuchung lassen sich jedoch deutliche Gemeinsamkeiten feststellen. Z.B. findet sich sowohl im Buddhismus als auch im Judentum, Christentum, Islam und der Bahá’í-Religion als zentrales Element die Liebe, Liebe zu Gott, Liebe zum Mitmenschen. Dass die Liebe die Grundlage jeder Offenbarungsreligion ist, kann man als ewige Wahrheit bezeichnen, unwandelbar durch alle Zeiten. Die Übereinstimmung in solchen zeitlosen Lehren ist das eine Merkmal der großen Weltreligionen.

Das andere ist das Vorhandensein veränderlicher Gesetze. Nähere Betrachtung zeigt, dass große Bereiche der Lehren, die die Religionsstifter brachten, im Zusammenhang mit der Zeit bzw. dem Entwicklungsstand der Gesellschaft stehen, in der sie lebten. Wenn Jesus Christus eindeutig sagt, dass er nicht gekommen sei, das religiöse Gesetz aufzuheben, d.h., wenn er ausdrücklich das alte Testament als Bestandteil des Glaubens bestätigt, aber gleichzeitig das Element der Liebe zu Gott und dem Nächsten besonders hervorhebt, so ist das aus den Zuständen der damaligen Judengemeinden sehr gut zu verstehen. Die Pharisäer beriefen sich auf ein völlig unübersichtlich gewordenes Gesetzeswerk, das mit dem alten Testament kaum, jedoch sehr viel mit Überlieferungen gelehrter Priester zu tun hatte. Es war dem einfachen Juden kaum möglich, den eigenen Glauben gesetzestreu zu leben, so kompliziert war alles geworden. Gleichzeitig wurde ein glückliches Miteinander und ein friedliches Auskommen mit den Nachbarn durch den zerstörerischen Streit um die richtige Einhaltung der Gesetze verhindert. Jesus Christus brachte dieser geistig toten Gemeinde neues Leben.

Oder der Islam. Dem Moslem ist z.B. Schweinefleisch verboten. Heutzutage erscheint uns diese Speisevorschrift vielleicht unverständlich, damals war sie lebensrettend. Unter den herrschenden hygienischen Zuständen mit trichinenverseuchtem Fleisch war es ein enormer Fortschritt, das Schwein vom Speiseplan zu verbannen.

So zeigt sich, dass die großen Religionen in ihren Lehren einen Kernbereich haben, der sich lediglich in der Wortwahl voneinander unterscheidet und andere Bereiche, die man mehr in die Kategorie „Sozialgesetzgebung”“ oder „Gesellschaftspolitik“ einordnen könnte, die sich stark voneinander unterscheiden, die aber im Zusammenhang mit dem Zustand der jeweiligen Gesellschaft standen. In der Bahá’í-Religion wird dieses Faktum so erklärt, dass alle Religionen eine einzige, gemeinsame Quelle haben, und das ist Gott. Im Zuge der Menschheitsgeschichte sendet Gott den Menschen Erzieher, die [Seite 23] Religionsstifter oder Offenbarer, die entsprechend dem Entwicklungsstand der Gesellschaft Gesetze zur weiteren Förderung dieser Entwicklung bringen. Diese Gesetze wirken für eine gewisse Zeitspanne, eben die Ära dieser Religion, segensreich. Irgendwann ist die Menschheit dieser Entwicklungsstufe entwachsen. Dann sendet Gott den Menschen einen neuen Boten, der die ewigen Wahrheiten wieder mit Leben erfüllt und die übrigen Gesetze der Notwendigkeit entsprechend verändert. So hätten die Menschen zur Zeit Jesu Christi wohl kaum etwas damit anfangen können, hätte er ihnen gesagt, dass aus allen historisch entstandenen oder künstlich entwickelten Sprachen eine ausgewählt werden solle, die in allen Schulen der ganzen Welt gelehrt werden müsse, damit sich alle Menschen weltweit problemlos austauschen können. Die Begriffe waren noch gar nicht vorhanden! „Alle Menschen“ - was war das damals? Man hätte vermutlich nur die kleine Gruppe der herrschenden Männer darunter verstanden, jedoch weder Ausländer, Sklaven oder gar Frauen. Und „weltweit”?!

Ein gutes Jahrhundert nachdem Bahá’u’lláh dies jedoch den Menschen offenbarte, erscheint es uns mehr als plausibel. Und so wird nach den Bahá’í-Lehren eines fernen Tages wieder ein Bote Gottes kommen, der die dann notwendige Erneuerung bringt.

Dieser Aspekt einer fortlaufenden Entwicklung hat für die Stellung der Frau in den Religionen große Bedeutung. Außerdem müssen zwei Dinge unbedingt unterschieden werden: die Position, in der der Religionsstifter die Frauen sah, und das, was in späteren Jahrhunderten daraus wurde. Denn allen Religionen ist etwas Weiteres gemeinsam: je länger ihre Stiftung zurückliegt, desto unklarer steht es um die Stellung der Frauen (wie auch um andere ihrer Lehren).


BUDDHISMUS

Abgesehen von Ausnahmen hat sich schon früh in der Menschheitsgeschichte eine Vorherrschaft der Männer etabliert.*) Ferner wurde per obigem Exkurs deutlich, dass Religionen immer im Zusammenhang mit der Gesellschaft gesehen werden müssen, in der sie gestiftet wurden. So offenbarte Buddha seine Lehren in einer althinduistischen Umgebung, in der Naturreligionen und hinduistische Überlieferung teilweise kaum voneinander zu unterscheiden waren. Frauen hatten keinen Wert in der Gesellschaft, im Gegenteil, sie verursachten ihrer Familie große Kosten durch den Zwang zur Mitgift bei der Heirat. Da es Frauen nicht erlaubt war, unverheiratet zu bleiben, bedeutete die Existenz einer Tochter für viele Familien den Ruin. Die Tötung von neugeborenen Mädchen war daher gang und gäbe. Die Ehefrau war über den Tod des Ehemannes hinaus sein Besitz, wie in Naturreligionen die Grabbeigaben. Witwen wurden verbrannt.

Was Buddha nun für die Frauen vorsah, wirkte in diesem Kontext wie eine Revolution. Frauen sollten plötzlich als verantwortungsvolle, rationale Wesen mit Intelligenz und eigenem Willen angesehen werden. Nach Buddha kann jeder Mensch die Erlösung erlangen.


„Und sei es eine Frau, sei es ein Mann auf den dieses Fahrzeug wartet - mit eben diesem Fahrzeug werden sie das sichtbare Nirvana erreichen.“

(Samyutta-Nikaya, I, 5, Paragraph 6).


Buddha hob den Zwang zur Ehe auf, indem er den Frauen den Zugang zu Klöstern öffnete. Im Buddhismus wurden Witwen auch nicht mehr verbrannt. Die Vorstellung von Gleichwertigkeit, die Buddha im erwähnten Zitat offenbarte, geriet in der Folge jedoch schnell in Vergessenheit. Im Laufe der Geschichte gewannen frauenfeindliche Kräfte auch im Buddhismus wieder die Oberhand. Doch das hatte kaum noch mit der eigentlichen Religion zu tun, sondern mit dem, was die Menschen in Jahrhunderten daraus machten.

  • (s. „Wie traurig, eine Frau zu sein“, in dieser Ausgabe)


JUDENTUM

Das Judentum bietet auch ein sehr interessantes Beispiel für diesen Wandel in der Geschichte. Im ersten Buch Mose, der Genesis, heißt es in Kapitel 1, Vers 27:

„Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bildnis Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.“

Mann und Frau, beide nach dem Bilde Gottes. Wie bereits angedeutet, hat das Gesetz im Judentum eine besondere Bedeutung. Und eben dieses Gesetz räumt der Frau eine ganz außerordentliche Stellung ein. Für einen gläubigen Juden ist die [Seite 24] Zugehörigkeit zu seiner Religion das Wichtigste im Leben, nichts ist von größerer Bedeutung. Und den Status der Zugehörigkeit zum Volk der Juden kann nur die Frau vererben, nicht der Mann. Jude ist, dessen Mutter Jüdin ist und der nicht freiwillig eine andere Religion angenommen hat.

Auch Moses erschien in einer Gesellschaft, in der die Frau mehr als Sache denn als Wesen galt. So wirkte das, was wir heutzutage als Demütigung empfinden, als unglaubliche Aufwertung der Frau, nämlich die Tatsache, dass Männer und Frauen getrennt beten. Uns erscheint die Trennung unerhört, damals fungierte sie als Schutz der Frauen vor männlichen Übergriffen. Denn manch ein Mann dürfte in seiner Reaktion auf den Schock, dass Frauen überhaupt beten durften, nicht eben zimperlich gewesen sein. Dass Frauen z.B. die einzigen waren, die das wichtige Ritual des Sabbats einleiten konnten, wird viele der damaligen Männer völlig vor den Kopf gestoßen haben. Nachdem wir aber seither entsprechend der jüdischen Zeitrechnung 5758 Jahre Menschheitsentwicklung hinter uns haben, haben diese Vorschriften ihre Aufgabe verloren. Darüberhinaus hat das alte Testament selbst im Judentum heute nicht mehr das Gewicht, das es eigentlich als zentrales Buch der Religion Mose haben könnte. Der Talmud, also die Überlieferungen jüdischer Schriftgelehrter, hat in Teilen jüdischer Gruppierungen heutzutage sogar noch größere Bedeutung. Von daher sollten die starken Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Judentum nicht verwundern.


CHRISTENTUM

Jesus Christus selbst machte keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Für ihn zählte der Glaube, sonst nichts. Wie erwähnt, bestätigte er das alte Testament und somit auch das Zitat aus der Genesis über die Erschaffung von Mann und Frau nach dem Bilde Gottes. Zum Entsetzen der Pharisäer ließ er sich von einer Frau berühren, die gerade ihre Menstruation hatte. Er „erörterte mit einer Frau theologische Probleme, die dem von den Juden verachteten Samaritervolk angehörte. (Jo 4,1). Er rettete die Ehebrecherin vor den Männern, die sie steinigen wollten und setzte deren Sünden den ihrigen gleich. (Jo 7). Er bekannte sich öffentlich zu seiner Freundschaft nicht nur mit Lazarus, sondern auch mit dessen Schwestern Maria und Martha, die er ganz selbstverständlich als seine Schülerinnen aufnahm. Er sprach sich öffentlich gegen die bestehende Scheidungspraxis aus“, bei der die Frauen große Nachteile erlitten, „und berief sich dabei ausdrücklich auf die bereits zitierte gemeinsame Gottesebenbildlichkeit von Mann und Frau.“ (zitiert nach: Dr. Elfriede Kreuzeder, Interreligiöses Symposium St.Gallen.)

Schließlich war es eine Frau, nämlich Maria Magdalena, die von Jesus dazu ausgewählt wurde, seinen verstörten und zweifelnden Jüngern mit der Nachricht von seiner Auferstehung den verlorenen Mut zurückzugeben.

(Matthäus 28/Johannes 20)

Was in der Folge geschah, wurde maßgeblich von der Kombination aus historischem Umfeld und weiter Ausbreitung des Christentums geprägt. Die Jünger befolgten getreu Christi Auftrag:

„Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker.“

(Matthäus 28,19)

Doch wer waren diese Völker? Allein im römischen Reich gab es unzählige verschiedene Kulturräume, die zwar unter Roms Oberhoheit lebten, in ihren Traditionen aber kaum verschiedener hätten sein können. Mauretanier, Ägypter, Juden, Syrer, Parther, Armenier, Galater, Korinther, Macedonier, Illyrer, Germanen, Belger und Gallier, um nur ein paar zu nennen. In diesen Kulturen bestand gleichzeitig nebeneinander einerseits patrilineares, andererseits matrilineares Recht, d.h. in diesem Volk vererbten die Väter Besitz und Status, in jenem die Mütter. Machtfragen bestimmten den Alltag. Und in dieses Umfeld drangen nun bis dahin unbekannte und machtlose, aber von tiefstem Glauben beseelte Menschen, eben die Jünger Christi vor. Sie wollten ihren Glauben verbreiten. Um dieses Ziel zu erreichen, mußten sie jedoch erst einmal verhindern, dass sie alle gleich ausgerottet wurden. Die Leiter der Urgemeinde, später auch Paulus, mußten also alles verhindern, was bei Juden und Heiden Anstoß erregte. Außerdem hatten diese Männer, so auch Paulus, einen nicht-christlichen Hintergrund. Die Wandlung von Saulus zu Paulus, d.h. vom [Seite 25] Christenverfolger zum großen Apostel ist sprichwörtlich geworden. Paulus hatte Jesus Christus zu dessen Lebzeiten nie persönlich getroffen. Und bei aller Hingabe an den neuen Glauben konnte er wie auch andere gewisse Grundhaltungen, z.B. gegenüber Frauen, nicht abstreifen. All' diese Faktoren führten gemeinsam zu den berühmten Zitaten über die Frauen. Weithin bekannt sind Paulus Worte aus dem Korintherbrief:

„Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.“

(1. Korinther 14, 34)

Für uns heute eine äußerst frauenverachtende Stelle, doch wir vergessen dabei, dass eine in der Öffentlichkeit predigende Frau mehr als Anstoß erregt hätte; sie hätte gegen bestehende Landesgesetze verstoßen und eine Christenverfolgung ausgelöst. Derselbe Paulus schrieb jedoch auch an die Galater:

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

(Galater, 3,28)

Nachweislich haben die Frauen in der apostolischen Zeit in der christlichen Welt eine Rolle gespielt, die weit über das hinausging, was man ihnen im zeitgenössischen Juden- oder Heidentum zubilligte.

Die folgenden Jahrhunderte brachten dem Christentum ungeheuerliche Herausforderungen. Traf die Botschaft Christi einerseits auf Menschen wie die Römer oder Griechen, die an ein stark durchstrukturiertes und hochorganisiertes Staatswesen mit klarer Gesetzgebung und einer großen Tradition in Rhetorik und Literatur gewöhnt waren, so stießen die Missionare andererseits auf Völker wie die Kelten, deren Kultur zwar nicht minder entwickelt, jedoch völlig anders geartet war. Noch heute lesen wir in der Schule Aristoteles und Caesar, aus keltischer Zeit gibt es jedoch keinen einzigen schriftlich überlieferten Text. In der keltischen Kultur galt es als lästerlich, heilige Texte aufzuschreiben, und so entstand eine große mündliche Tradition. Da Fremde jedoch kaum in diese eingeweiht wurden, blieben die Kelten schon den Zeitgenossen in vielen Bereichen ein großes Rätsel. Oder die Ägypter. Eine ehemals blühende Hochkultur, verkommen in großer Dekadenz. Je verkrusteter die Verhältnisse waren, desto stärker hielten die Menschen daran fest. Es gibt unzählige Beispiele. Wie sollte man solche Völker bloß bekehren? Sicher nicht, indem man alle ihre Überlieferungen und Rituale verdammte. Besser erschien es da den Missionaren, ganz gleich wohin sie kamen die neue Lehre in das Vorhandene einzubinden. Und so kam es zu solch bekannten Verknüpfungen wie zwischen den römischen Saturnalien und Weihnachten oder den keltischen Beltanefeiern und dem Osterfeuer.

All' dies hatte erheblichen Einfluß auf die Stellung der Frau. Jahrhundertelang blieben in der christlichen Welt Relikte aus vorchristlicher Zeit nebeneinander stehen. Die rechtliche Stellung der Frau war abhängig von den Gesetzen, die in dem Gebiet galten, in dem sie lebte. Das wirkte bis in die kultischen Handlungen hinein. Im frühen Christentum gab es in manchen Bereichen Diakoninnen, in anderen spielten die Frauen in der Gemeinde überhaupt keine Rolle. Noch „Anfang des 6. Jahrhunderts durften katholische Frauen in Nordgallien und Irland an der Seite männlicher Priester zelebrieren, womit sie eine alte keltische Überlieferung im Rahmen der christlichen Kirche fortsetzten.“ (Shulamith Shahar, Die Frau im Mittelalter, S.37, Fischer Taschenbuch).

Nach und nach setzten sich jedoch auch im Christentum wieder frauenfeindliche Kräfte durch. Nachhaltigen Einfluß hatte darauf die Lehre vom Sündenfall. In der christlichen Theologie gewann die Auffassung, daß die Frau durch Eva die Sünde in die Welt brachte und so für alles Leid auf der Welt verantwortlich sei, immer mehr an Gewicht. Das europäische Mittelalter erwies sich hier überhaupt als äußerst zwiespältig. Einerseits gelangte die Marienverehrung zu immer größerer Blüte, [Seite 26] andererseits wurden Frauen teilweise als so verachtenswert angesehen, daß es Theologen gab, die den Geschlechtsverkehr grundsätzlich, d.h. auch in der Ehe und zum Zweck der Fortpflanzung ablehnten. Hinzu kam, daß die damaligen Wissenschaftler lehrten, Frauen hätten einen erheblich stärkeren Sexualtrieb als Männer. So entwickelte sich allmählich eine unterschwellige Angst der Männer vor den Frauen, denen sie vorwarfen, nichts anderes im Sinn zu haben, als unschuldige männliche Wesen zur Sünde zu verführen. Der Gleichsetzung der Frauen mit dem Teufel bzw. seinen weiblichen Helferinnen, den Hexen, war die geistige Grundlage gelegt. Es ist jedoch ein Irrtum, das Mittelalter mit der Hexenverfolgung in Verbindung zu bringen. Zwar hatte die mittelalterliche Theologie wie beschrieben den geistigen Hintergrund dafür geschaffen, „die im eigentlichen Sinn große Hexenjagd setzte aber erst im 16. und 17. Jhdt. ein.“ (a.a.O.)

Da die Entwicklung seither und die gegenwärtige Situation mehr oder weniger bekannt ist, sei aus Platzgründen an dieser Stelle weitergeleitet zum


ISLAM

Im alten Arabien erging es den Frauen nicht wesentlich anders, als im alten Indien. Frauen waren eine Ware, bestimmt, Männer zu vergnügen oder sie zu bedienen. Auch die Tötung neugeborener Mädchen aus wirtschaftlichen Gründen kam vor. Mohammads Lehre muß auf seine Umgebung ebenso gewirkt haben, wie die Buddhas oder Moses auf die ihre.

So heißt es im Koran:

„Was muslimische Männer und Frauen sind, Männer und Frauen, die gläubig, die (Gott) demütig ergeben, die wahrhaftig, die geduldig, die bescheiden sind, die Almosen geben, die fasten, die darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist und die unablässig Gottes gedenken - für sie (alle) hat Gott Vergebung und gewaltigen Lohn bereit.“ (33:35)

Auch hier lenkte der Offenbarer die Aufmerksamkeit darauf, dass nicht das Geschlecht, sondern der Grad der Gläubigkeit die Menschen vor Gott unterscheidet.

Und z.B. das Thema Vielehe. Vor Mohammad nahmen Männer unzählig viele Frauen, mochten sie den Status einer Ehefrau haben oder nicht. Nun hieß es im Koran:

„.. dann heiratet, was euch an Frauen gut ansteht, zwei, drei oder vier.“

Für damalige Araber eine unglaubliche Einschränkung! Aber damit nicht genug. In der gleichen Sure heißt es weiter:

„und wenn ihr fürchtet, (so viele) nicht gerecht zu behandeln, dann {nur) eine... Und ihr werdet die Frauen (die ihr zu gleicher Zeit als Ehefrauen habt) nicht (wirklich) gerecht behandeln können, ihr mögt noch so sehr darauf bedacht sein.“

(zitiert nach: Dr.J.Christoph Bürgel, Interreligiöses Symposium St.Gallen s.o.)

Dass auf diese Weise die Einehe empfohlen wird, war für die Männer im damaligen Umfeld wahrscheinlich so ungeheuerlich, dass sie diese Sure nicht weiter beachteten. Dafür schenkten sie den gelehrten Priestern, den Mullahs immer mehr Aufmerksamkeit. Auch Überlieferungen der islamischen Heiligen wurden immer wichtiger. Schließlich waren für viele Moslems die Hadith, die Überlieferungen heiliger Aussprüche wichtiger als der Koran selbst. Etwas Vergleichbares haben wir ja schon beim Judentum gesehen mit dem Talmud und dem alten Testament. Das, was wir von der Stellung der Frau im Islam heute kennen, ist nur noch ein kaum erkennbares Zerrbild des Ursprünglichen. Was zu Zeiten Mohammads ein großer Schutz für die Frauen war, nämlich der Schleier, wirkt auf uns heutzutage nur noch wie ein Gefängnis. - Wir sind ja auch nicht mehr daran gewöhnt, dass eine schöne Frau auf der Straße so mal eben überfallen wird, weil der Mann ihrer Schönheit nicht widerstehen kann und es sowieso als sein Recht ansieht, zu nehmen, was ihm über den Weg läuft.

Übrigens ist es interessant, die theologische Stellung der Frau im Islam mit dem Christentum zu vergleichen. Auch der Koran berichtet vom Paradies, jedoch wurde nach Mohammad nicht [Seite 27] der Mann von der Frau verführt, sondern beide fielen dem Satan zum Opfer.


BAHÁ'Í-RELIGION

Die Stellung der Frau in der jüngsten der großen Weltreligionen darzustellen - wir befinden uns im Jahr 155 nach Bahá’í-Zeitrechnung - fällt leicht, weil die Aussagen erstens alle in Originalschriften verbürgt und zweitens völlig eindeutig sind. Mann und Frau sind gleichwertig.

„Was macht.. die Ungleichheit zwischen Mann und Frau aus? Beide sind Menschen. An Fähigkeiten und Aufgaben ist jeder die Ergänzung des anderen. Den Unterschied macht allenfalls, daß der Frau die Möglichkeiten, deren sich der Mann so lang erfreute, verweigert wurden, besonders das Vorrecht der Ausbildung...“ ('Abdu'l-Bahá, in: Frauen, S.17, Bahá’í-Verlag) „Eine Unterscheidung, die Gott in der Schöpfung nicht vorgesehen hat, gelten zu lassen und an ihr festzuhalten, ist Unwissenheit und Aberglaube...“ (a.a.O., S.18)

In der Bahá’í-Welt werden die Angelegenheiten von Gremien aus gewählten Vertretern geregelt, wobei das Wahlrecht allen volljährigen Gläubigen zusteht.

Betrachten wir noch einmal die Gesellschaftsgeschichte als Ganzes. Aus vereinzelten Kleingruppen ging die Entwicklung hin zum Zusammenschluß der Sippe, es bildeten sich Fürstentümer, Königreiche, Nationalstaaten. Bei vorurteilslosem Blick ist die Bildung einer Weltgemeinschaft der logische nächste Schritt. Doch in unserer Zeit der Globalisierung, wo aufgrund der immer enger miteinander verknüpften internationalen Abhängigkeiten ein scheinbar kleiner Konflikt zum katastrophalen Flächenbrand ausarten kann, ist die Frage des WIE bedeutsamer denn je. Würde eine Weltgemeinschaft mit den Mitteln früherer Jahrhunderte gebildet, durch Krieg, käme das der Zerstörung der uns bekannten Welt gleich. Da jedoch trotz allen von Menschen verursachten Unheils die Entfaltung des Organismus Menschheit nicht aufgehalten werden konnte, also ein dieser ganzen Entwicklung zugrunde liegender, schöpferischer Plan erkennbar ist, ist nicht damit zu rechnen. Die Vernichtung dieses so großartigen Werkes just zu dem Zeitpunkt, wo es einen nie zuvor erreichten Grad der Reife erlangen könnte, wäre unlogisch. Wenn man also davon ausgeht, daß die Bildung einer Weltgemeinschaft mit Frieden, sozialer Gerechtigkeit, gesunder Umwelt und geistiger Freiheit für alle Menschen die Aufgabe unserer Zeit ist, wird verständlich, weshalb die Frauenfrage in der Bahá’í-Religion einen so bedeutsamen Stellenwert hat. Die Bahá’í betrachten Bahá’u’lláh als den Boten Gottes, der für unsere Zeit die ewigen Wahrheiten bestätigte, sie mit neuer Kraft erfüllte und gleichzeitig Impulse gab, die die Menschheit befähigen, die Welteinheit zu verwirklichen. Dazu gehört eben entscheidend die Gleichstellung der Frau.

Es heißt:

„Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Nur wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein Flügel schwächlich, so ist kein Flug möglich... Erst wenn die Frauenwelt der Männerwelt ... gleichberechtigt ist, kann Erfolg und Gedeihen so erreicht werden, wie es sein soll.“ (a.a.O. S.18)

Wie eng die Bahá’í die Verknüpfung von Frauen und Frieden, letztlich also der Welteinheit, sehen, zeigt ein Abschnitt aus einer Botschaft an die Völker der Welt, die das Universale Haus der Gerechtigkeit, das international oberste Bahá’í-Gremium anläßlich des Jahres des [Seite 28] Friedens herausgab:

„Die Emanzipation der Frau, die volle Gleichberechtigung der Geschlechter, ist eine der wichtigsten, wenngleich kaum anerkannten Voraussetzungen des Friedens. Die Verweigerung der Gleichberechtigung bedeutet ein Unrecht gegenüber der Hälfte der Weltbevölkerung und leistet bei den Männern Vorschub für schädliche Einstellungen und Gewohnheiten, die aus der Familie an den Arbeitsplatz, ins politische Leben und letztlich in die internationalen Beziehungen hineingetragen werden. Es gibt keine moralischen, praktischen oder biologischen Gründe, die eine solche Verweigerung rechtfertigten. Erst wenn die Frau in allen Bereichen menschlichen Strebens als gleichwertiger Partner aufgenommen wird, entsteht das moralisch-psychologische Klima, in dem sich der Weltfrieden entwickeln kann.“

(Universales Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens, S.24, Bahá’í-Verlag)


RESÜMEE

Religiöse Gesetze, die den Alltag regeln, so auch die Stellung der Frau, haben einen verständlichen Sinn, wenn man sie im Zusammenhang mit der Zeit und dem entsprechenden Entwicklungsstand der Menschheit betrachtet, für die sie offenbart wurden. Was wir heutzutage als diskriminierend empfinden, war oft einst eine Notwendigkeit. Die ewige Wahrheit, dass Frauen und Männer vor Gott gleich sind, haben Religionsstifter jedoch zu allen Zeiten bestätigt.


Elena Afscharian


empfehlenswerte Literatur:


Farah Dustdar, Die Frau und der Weltfrieden, Horizonte Verlag in Poseidon Press GmbH, Wien
Nationaler Geistiger Rat der Bahá’í der Schweiz, Mensch und Religion '81, „Die Frau in der Religion“, Interreligiöses Symposium, St. Gallen, November 1981, herausgegeben in Bern
Brigitte Röder/ Juliane Hummel/ Brigitta Kunz, Göttinnendämmerung - Das Matriarchat aus archäologischer Sicht, Droemer Knaur Verlag, München
Shulamith Shahar, Die Frau im Mittelalter, Fischer Taschenbuch Verlag
Universales Haus der Gerechtigkeit, Frauen - Eine Zusammenstellung aus den Bahá’í-Schriften zusammengestellt von der Forschungsabteilung, Bahá’í-Verlag, Hofheim/Ts.


[Seite 29]



Lesezeit[Bearbeiten]

Niemand sieht dich, wenn du weinst

FAUZIYA KASSINDJA


Dies ist die bewegende Geschichte einer jungen 17jährigen moslemischen Frau aus Togo, die vor ihrer erzwungenen Verheiratung und der damit verbundenen Genitalverstümmelung flieht, in der Hoffnung in den USA Asyl zu finden.


Doch die Hoffnung trügt. Vom Moment ihrer Einreise an ist sie Opfer behördlicher Willkür, wird wie eine Schwerverbrecherin in Ketten gelegt und teilt das Schicksal ungezählter anderer Flüchtlingsfrauen, die unter unmenschlichen Bedingungen in profitorientierten Haftanstalten jahrelang auf ihre Anerkennung warten. Vier solcher Gefängnisse durchleidet sie, zweimal findet sie sich im Hochsicherheitstrakt mit Schwerverbrechern zusammengeschlossen. Als nach über einem Jahr des Wartens ihr Asylantrag abgelehnt wird, beantragt Fauziya, seelisch und körperlich am Ende ihrer Kräfte, die Rückführung nach Togo.

Doch die junge Juristin Layli Miller-Bashir kämpft um ihre Mandantin und zugleich um ein weitergehendes Ziel: die Anerkennung der genitalen Verstümmelung als Fluchtgrund. Es gelingt ihr, juristische Experten, Menschenrechts- und Frauenorganisationen, prominente Journalistinnen und Politikerinnen zu mobilisieren. Das Verfahren wird wieder aufgenommen und endet - wohl nicht zuletzt unter dem Druck der Öffentlichkeit - damit, dass Amerika der Afrikanerin Fauziya Kassindja Asyl gewährt.


Layli Miller Bashir gründete in Folge Ihrer Erfahrungen mit diesem Fall das Tahirih Justice Center, eine gemeinnützige Einrichtung, die sich für Frauen einsetzt, die von Menschenrechtsverletzungen bedroht sind.


Ein Buch von aktueller Brisanz: Werden doch allein in 28 Ländern Afrikas junge Mädchen und Frauen einer qualvollen Verstümmelung ihrer Genitalien unterzogen, die häufig ihren Tod, immer aber lebenslange seelische und körperliche Schmerzen zur Folge hat.


Ein Buch, das aufrüttelt und einen Beitrag leistet zur dringend notwendigen Mobilisierung der Weltöffentlichkeit gegen einen barbarischen Brauch, dessen Opfer 100 Millionen Frauen weltweit sind.


Karl Blessing Verlag GmbH, München, 1998
ISBN 3-89667-080-8
Preis 39,80 DM








[Seite 30]

GESPRÄCH


„PHYSIK IST NICHTS FÜR MÄDCHEN, SAGTE EINE 15-JÄHRIGE SCHÜLERIN.“[Bearbeiten]

DASS FRAUEN IN DEN NATURWISSENSCHAFTEN UNTERREPRÄSENTIERT SIND, IST WEITHIN BEKANNT. AM BEISPIEL SCHULE VERDEUTLICHTE HILTRUD WESTRAM, FACHLEHRERIN FÜR MATHEMATIK, PHYSIK UND INFORMATIK, STELLVERTRETENDE SCHULLEITERIN DES STÄDT. ST.-MICHAEL GYMNASIUMS IN MONSCHAU, IN EINEM GESPRÄCH MIT TEMPORA MÖGLICHE URSACHEN.


„Der Prozentsatz weiblicher Fachlehrer an Gymnasien in NRW sah 1996 wie folgt aus: Mathematik 29 %, Physik 13 %, Informatik 8%.
Das spiegelt sich gleichermassen im Wahlverhalten der Schüler und Schülerinnen wieder. In der Oberstufe findet man im Leistungskurs Physik nur vereinzelt Mädchen. Es ist auch eine Frage der individuellen Förderung durch die Lehrer vor Ort. Die Kollegen müssen wissen, dass Mädchen nicht zu dumm sind, nur meistens zu schüchtern. Sie brauchen Motivation, müssen aktiviert und darin bestärkt werden, dass das Fach für Mädchen nicht zu schwer ist. Wenn die Mädchen sich dann für Physik als Leistungskurs entscheiden, sind sie sehr zuverlässige Arbeiterinnen, die erfahrungsgemäss mit guten Leistungen und Ausdauer den Kurs bis ins Abitur durchführen.“


Heutzutage hapert es noch auf allen Seiten an der Überzeugung, dass Mädchen für Fächer wie Physik und Informatik befähigt sind. Dort, wo sich sowohl Lehrer als auch Schülerinnen von dem Vorurteil "Frauen gehören an den Herd" befreit haben, beweisen die Ergebnisse den hohen Eignungsgrad der Mädchen für diesen Bereich. Doch auch heutzutage sind die überholten Vorurteile noch weit verbreitet, nicht nur bei den Lehrern, sondern auch bei den Schülerinnen selbst.


Mädchen zwischen 12 und 16 möchten vor allem eines, Anerkennung in der Gruppe Gleichaltriger finden und, oft, den Jungen gefallen. Diese Anerkennung finden sie nicht durch gute Leistungen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern sondern durch Betonung der sogenannten "weiblichen Tugenden" wie Schönheit, Angepasstheit etc.. Gleichzeitig sinkt ihr Selbstbewusstsein auf ein Minimum, der Spiegel wird zum geliebten Feind. Das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit ist kaum mehr vorhanden, mangelhafte Leistungen in Mathematik, Physik bzw. Informatik sind die Folge. Anders zeigt sich die Situation an monoedukativen Schulen. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass Informatik an reinen Mädchenschulen zu den beliebtesten Fächern gehört, an koedukativen Schulen ist sie neben Physik das unbeliebteste Fach überhaupt. Sobald Jungen die Scene betreten, verdrängen pubertäre Triebe alle übrigen Überlegungen. Da diese Vorstellungen und Handlungsweisen jedoch eher hormonell und vom Unterbewusstsein als von konkreten Gedanken gesteuert werden, ist es durchaus möglich, dem entgegenzuwirken.


"Ich spreche Mädchen, die mir als talentiert auffallen, so früh wie möglich an, ermutige sie, bestärke sie immer wieder darin, dass sie Physik oder Informatik gut bewältigen können. Oft sind Schülerinnen ebenso wie Schüler bei ihrer Kurswahl unentschlossen. Wenn man sie dann motiviert und berät, ihnen das Fach als sehr gut für sie geeignet empfiehlt, kommt es zu einer ganz anderen prozentualen Verteilung der Geschlechter in den Kursen als dort, wo die Schülerinnen mit ihrer Entscheidung allein gelassen werden. Da greift dann nämlich wieder das althergebrachte Verhaltensmuster und Sprachen oder Biologie stehen im Vordergrund."


Letzteres ist besonders verständlich wenn man bedenkt um welche Altersgruppe es sich handelt. Die Pubertät mit den von den Jugendlichen oft als grausam empfundenen Selbstzweifeln, in der das Sichzurechtfinden in der eigenen Geschlechterrolle und das Erlernen des Umgangs mit dem anderen Geschlecht im Vordergrund stehen, ist im Grunde ein sehr schlechter Zeitpunkt, jahrhundertelang tradierte Verhaltensmuster zu überwinden. Zwar stellen Jugendliche gerade dann alles in Frage, ihr Selbstbewusstsein reicht jedoch noch lange nicht aus, sich gegen den Gruppendruck zu behaupten. Die [Seite 31] Gruppe wiederum übernimmt in der ihr innewohnenden Trägheit die Sicherheit überkommener Rollenklischees. Stärkt man jedoch das Selbstwertgefühl der Mädchen in ausreichendem Maß, sind sie in der Lage, eine eigene Position zu vertreten und werden sehr erfolgreich.


"Diese Prozesse brauchen Zeit. Wenn ich eine Klasse schon ab der 8 Jahrgangsstufe unterrichte, ist die Beteiligung der Mädchen am Unterricht viel intensiver und eine größere Zahl von ihnen wählt Physik als Leistungskurs, als wenn die mädchenspezifische Förderung erst in Klasse 11 beginnt, wo es allein deshalb oft zu spät ist, da schon viele Physik zugunsten der Biologie abgewählt haben.
Eine 10.Klasse hat mir einmal ein interessantes Beispiel gegeben, wie Jugendliche sich selbst in diesem Zusammenhang heutzutage empfinden. Ich übernahm diese Klasse neu in Physik; es waren genau zehn Mädchen und zehn Jungen. Schon die Sitzordnung war bezeichnend. In den ersten beiden Reihen saßen nur Jungen, die Mädchen setzten sich in Reihe drei und vier. Wie immer bei einer mir unbekannten Klasse habe ich zu Beginn sehr darauf geachtet, alle gleichmäßig dranzunehmen. Ungefähr nach der vierten Stunde gab es großen Ärger. Die Jungen beschwerten sich lauthals, ich nähme immer nur die Mädchen dran. Die Mädchen bestätigten das und meinten, sie wollten außerdem gar nicht so oft drangenommen werden, Physik interessiere sie ja ohnehin nicht. Daraufhin ließ ich Strichlisten führen, die das ausgewogene Verhältnis beim Aufrufen nachwiesen. Erst dadurch wurde den SchülerINNEn die Realität klar. Ich habe das dann aufgegriffen und ihnen ihr eigenes Rollenverhalten verdeutlicht."


Solcherart den Unterricht durchzuführen ist nicht leicht. Eine Lehrerin, die sich die Mädchenförderung zur Aufgabe gemacht hat, braucht unerschütterliches Selbstvertrauen, da ihr durch Situationen wie diese sofort der Stempel der "Emanze" aufgedrückt wird, nicht immer liebevoll gemeint. Nicht selten kommt es sogar zu offener Opposition von Schülern, Eltern und selbst Kollegen. Es fehlt oft noch das Problembewusstsein, z.B. auch bei der Auswahl geeigneter Schulbücher. Manchem Physiklehrer ist nicht klar, dass es durchaus einen Unterschied macht, in welcher Form der fachliche Inhalt präsentiert wird.


"Motivation ist grundsätzlich ein entscheidendes Element des Lehrens. Man muss Schülern erst einmal klar machen, welchen praktischen Nutzen sie aus einem Fach ziehen können, damit sie überhaupt bereit werden, den Unterrichtsinhalt aufzunehmen. Im Laufe der Jahre hat es sich in meinem Unterricht bewährt, die Verbindung der Physik zum Alltag besonders auch in traditionell weiblichen Bereichen hervorzuheben. Schülerinnen, denen man mechanische Vorgänge nicht anhand der Kfz-Pumpe sondern an der Herz-Lungen-Maschine auf einer Intensivstation erklärt, sind viel eher geneigt, sich für den fachlichen Stoff zu interessieren. Insofern war ein Klassenausflug in das Aachener Klinikum sehr erfolgreich. Den SchülerINNEn wurde zum ersten Mal bewusst, dass es dort hochinteressante Arbeitsplätze für Informatiker gibt.
Im Grunde ist es recht einfach, mit dem Vorurteil aufzuräumen, Physik und Informatik seien zu schwer für Mädchen. Den meisten Schülerinnen wird klar, welche falsche Vorstellung sie von ihren eigenen Fähigkeiten bzw. Unfähigkeiten hegen, wenn ich sie frage: "Kannst Du einen Videorecorder programmieren?" Kaum eine, die das nicht kann. Dann erkläre ich ihnen, dass sie mir da etwas voraus haben. Ich habe mich mit diesem Bereich bisher nicht beschäftigt, weil ich es nicht brauche; würde ich es benötigen, könnte ich es mir aneignen. Es sind Kenntnisse wie alle anderen. Man kann sie durch einfaches sich damit Beschäftigen erwerben."


Solange sich das Verhalten von Schülerinnen bei der Fächerwahl nicht grundlegend ändert, wird auch an Universitäten und in der Wirtschaft der Frauenanteil in Physik und Informatik nicht wesentlich steigen. Das Ziel des proportionalen Ausgleiches ist erreichbar, indem das Problembewusstsein geschärft und den Schülerinnen der Rücken gestärkt wird, an ihre eigenen Fähigkeiten zu glauben. Der Weg ist jedoch noch weit; gerade in den ausgehenden 90ern ist z.B. die Zahl der Informatikstudentinnen zurückgegangen. Nach Jahren der stetigen Zunahme weiblicher Beteiligung scheint das Pendel nun in die andere Richtung auszuschlagen. Auch 98 Jahre nachdem Frauen sich zum ersten Mal regulär an einer deutschen Universität immatrikulieren durften, sind noch Wachsamkeit und Anstrengung gefordert.


[Seite 32]



ZEITBLENDE[Bearbeiten]

Deutschsprachige Museen im Internet


Unter der Adresse www.bellnet.eom/suchen/kultur/museen.htm findet sich eine Übersicht aller deutschsprachigen Museen, die in irgendeiner Form im Internet vertreten sind. Per Mausklick kann man dabei ebenso die ausgezeichnet gestaltete Web-Seite des Aachener Doms oder des Deutschen Museums in München besuchen, sich bei „Kultur-Online“, einem mehrfach ausgezeichneten Führer zu Museen, Galerien und Kulturausstellungen im www oder im Österreichischen Freilichtmuseum Stübing bei Graz einloggen, wie sich über Pfahlbauten in Unteruhldingen oder über den Pferdegöpel Johanngeorgenstadt informieren. Allen Kulturinteressierten bietet sich tagelanges Surf-Vergnügen, denn viele Links führen wiederum zu Übersichtsseiten (z.B. „Museen der Stadt Köln“) mit unzähligen Möglichkeiten, weiterzuklicken, zumal Veranstaltungskalender ständig aktualisiert werden.



GEDENK TAGE


1999 wird zu einem in der Mediengeschichte bisher unerreichten Jahr der Rück- und Ausblicke, des Gedenkens und Philosophierens werden. Eine bevorstehende Jahrtausendwende - Glücksfall für jeden Redakteur, damit lässt sich noch jedes Loch stopfen. Doch nicht nur das kommende Jahr 2000 sondern auch 1999 selbst verdient einige Beachtung. So seien hier nur winzige Appetithäppchen aus der Fülle der kommenden Gedenktage gereicht:

1999 begeht die Musikwelt den 100. Todestag von Johann Strauß, den 40. Todestag von Heitor Villa-Lobos und den 100. Geburtstag von Duke Ellington.

„Die Mitteilungsmöglichkeit des Menschen ist gewaltig, doch das meiste, was er sagt, ist hohl und falsch. Die Sprache der Tiere ist begrenzt, aber was sie damit zum Ausdruck bringen, ist wichtig und nützlich. Jede kleine Ehrlichkeit ist besser als eine große Lüge.“ schrieb Leonardo da Vinci, dessen Todestag sich 1999 zum 480.mal jährt. Johann Wolfgang von Goethe könnte sich in diesem Jahr einer Geburtstagstorte mit 250 Kerzen erfreuen, wogegen sein Kollege Theodor Fontane sich mit 180 Lichtern begnügen müsste. Aber vielleicht würde er auch den Brauch des brennenden Kuchenschmucks mit jenen Worten kommentieren: „Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.“

Nicht ganz so bekannt aber nicht unbedingt weniger Wert, sich ihrer Worte zu erinnern sind die Geburtstagskinder Amos Bronson Alcott (am. Pädagoge und Philosoph 1799-1888): „Es ist besser, für etwas zu kämpfen, als gegen etwas.“ und Friedl Beutelrock (dt. Schriftstellerin, 1899-1958): „Macht besitzen und nicht ausüben ist wahre Größe.“.

Ein Jubilar, dem wir 1999 zum 100. hätten gratulieren können, wird vielleicht auch zu den meistzitierten gehören, wenn den Redakteuren der passende Bezug zum Jahrtausendwechsel auffällt, denn er sagte: „Das Merkwürdige an der Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.“ (Ernest Hemingway, 1899-1961)


[Seite 33]


Irgendwelche Fragen?


Die Universität Bielefeld bietet mit ihrem INTERDISZIPLINÄREN FRAUENFORSCHUNGSZENTRUM IFF eine sehr interessante Möglichkeit des schnellen Zugriffs auf Datenbanken, Forschungsergebnisse und Netzwerke. Kontakt ist sowohl herkömmlich als auch via Internet möglich. Letzteres bietet eine Fülle an Informationen und Links, Zugang zu speziellen Suchmaschinen zum Thema und vieles mehr.

Interdisziplinäres Frauenforschungszentrum
Universität Bielefeld
Postfach 100131
D-33501 Bielefeld
Tel: 0521/106-4571, Fax: 0521/106-2985,
eMail: iff@post.uni-bielefeld.de
Internet: www.uni-bielefeld.de/IFF



Frauen machen Kulturgeschichte


Das FRAUEN-MUSEUM BONN, 1981 von der jetzigen Direktorin Marianne Pitzen in einem 3000 Quadratmeter großen, leerstehenden Kaufhaus gegründet, ist heute eine international bekannte und geschätzte Institution.

Ein Haus, das weniger auf Subventionen, die von Anfang an spärlich flossen, sehr viel aber auf Kreativität und Improvisation vertraut und dem oft erstarrten, männlich beherrschten Kunstbetrieb Bewegung, Leben, Wandel, Engagement entgegensetzt.

400 Ausstellungen wurden seit 1981 durchgeführt, eine davon, „Die Bonnerinnen“, wurde 1989 zur bestbesuchten der 2000-Jahrfeier der Stadt Bonn.

Ein Haus, in dem nicht nur ausgestellt, sondern auch gearbeitet, gelebt wird, in dem Seminare, Workshops, Tagungen und Vorträge stattfinden. Kein Musentempel, sondern ein lebendiges Forum, das sich durch weibliche Kreativität und Vielfalt ständig erneuert. Ein Ort des Wachstums, Prädikat besonders erlebenswert.


Ausstellung „Politeia - Szenarien aus der Deutschen Geschichte nach 1945 mit Bildern von Frauen, die Geschichte machten.“ (9. November 1998 bis 9. November 1999)



Lise Meitner Literaturpreis

Frauen in Wissenschaft und Technik


Das Frauenreferat der HTU (Österreichische Hochschülerlnnenschaft an der Technischen Universität Wien) und die Kunstvereinigung Akunst schreiben diesen Preis mit einem Preisgeld von 30.000,- ÖS aus. Lise Meitner (Physikerin, 1878 bis 1968) war eine Frau, die ihren Weg im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb erfolgreich gegangen ist. Erwartet werden Texte, die sich erzählend mit der Geschichte der Technik und Naturwissenschaft, mit dem Studium an einer Technischen Universität, mit Gefahren, Alternativen und Visionen auseinandersetzen.


Teilnahmeberechtigt sind deutschschreibende Frauen mit unveröffentlichten, höchstens 30 seitigen Prosatexten (Experimentelles einschließlich).

Pro Autorin dürfen bis zu 3 Texte eingereicht werden. Einsendeschluß ist der 31.3.1999.

Weitere Informationen:

Frauenreferat der HTU
Kennwort „Literaturpreis“
Wiedner Hauptstr. 8-10
A-1040 Wien
eMail: hgartner@mail.zserv.tuwien.ac.at



[Seite 34]



DAS GUEST-PROJECT

LISA WILL MALEN[Bearbeiten]

Lisa will malen. Gemeinsam holen wir die Staffelei. Sie möchte einen hellblauen Karton. Mit einer Klebebandrolle lege ich ihr das Blatt neben die Staffelei. Den Rest besorgt sie sich selbst: Malpalette, Pinsel, Wasser, Lappen, Farben. Sie heftet das Papier auf die Staffelei, drückt sich Farbe aus den Tuben auf die Palette und beginnt: Das Blatt wird mit leuchtenden breiten Längsstreifen überzogen. Sie überlegt. Dann bemalt sie ihre Hände mit schwarzer Farbe und „druckt“. Prüfend betrachtet sie ihr Werk. Dann geht sie ins Freie, um etwas zu suchen. Sie kommt mit Ahornblättern wieder und bemalt sie ebenfalls mit schwarzer Farbe. Auch sie werden auf das Blatt gedruckt. Die Suche geht von neuem los: ein Stückchen Holz, ein kleiner Schwamm, eine Feder, zerdrücktes Papier, alles hinterläßt Spuren auf Lisas Bild. Sie ist fertig. Kritisch betrachtend löst sie das Blatt vom Untergrund und legt es zum Trocknen weg. In mir regt sich das Bedürfnis, sie zu ermutigen, daß sie weiter nach interessanten Druckmaterialien suchen könnte, da es doch gerade so spannend für mich war, zuzuschauen. Ich nehme mich zurück. Lisa findet ein Kind, das ihren Malplatz und die zurückgebliebenen Farben auf der Palette weiterbenutzt. So muß sie nicht aufräumen. Sie holt sich einen Speckstein und beginnt mit einer neuen Arbeit.


So oder so ähnlich und manchmal auch ganz anders erlebe ich die Stunden in der „Kinderwerkstatt“, die mein Mann und ich vor eineinhalb Jahren ins Leben gerufen haben und die ich dreimal in der Woche leite. Wir hatten den Wunsch, Kindern in einer geschützten [Seite 35] Atmosphäre die Möglichkeit zu geben, kreativ zu sein, ihren Bedürfnissen nachzugehen. Wir wollten eine „vorbereitete” Umgebung schaffen, in der sich Kinder frei entfalten können. Für mich war diese Form des Arbeitens mit den Kindern neu. Die Kinder loszulassen, nichts zu erwarten, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, nicht voreilig einzugreifen in selbstgewählte Tätigkeiten, offen zu sein für ihre Werke, die oft allen Regeln widersprechen, Vertrauen zu finden in ihre unkonventionellen Methoden. Auf der anderen Seite emotionalen Schutz zu geben, wenn der Mut sinkt oder wenn es zu Konflikten zwischen den Kindern kommt. Bewahrer von sozialen Regeln und einer materiellen Ordnung zu sein, ohne die Arbeiten nicht möglich wäre.


Die Erfahrungen in der Kinderwerkstatt haben meinen Mann und mich sowie zwei weitere Frauen ermutigt, diesen pädagogischen Ansatz auf ein größeres Projekt zu übertragen, das wir nun mit ganzer Kraft vorbereiten. Wir werden dabei versuchen, Bahá’í-Prinzipien auf der sozialen, pädagogischen Ebene umzusetzen.

So z.B.:

▪ die eigenständige Suche nach Wahrheit

▪ Gleichwertigkeit von Mann und Frau und allen Menschen überhaupt

▪ das Beratungsprinzip

▪ eine ganzheitliche Sicht des Menschen (Einheit von Kopf, Herz und Hand)

▪ Einheit der Menschheit und der Religionen

▪ Dienst am Menschengeschlecht,


um nur einige zu nennen.

Als Grundlage unserer Arbeit sehen wir somit zum einen das Menschenbild und die ethischmoralischen Grundsätze, die wir in der Bahá’í-Religion erkennen können und zum anderen reformpädagogische Grundsätze, die aus unserer Sicht mit dieser Grundlage übereinstimmen.


So soll in einem alten Kornspeicher ein Zentrum für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene entstehen, in dem unterschiedliche Werkstatträume, eine Kindertagesstätte und ein großer Abenteuergarten integriert sind, wo vielfältigste Aktivitäten stattfinden können. Durch eine offene und flexible Struktur möchten wir die Kinder und Jugendlichen ihren Bedürfnissen entsprechend in die Gestaltung dieses Projektes einbeziehen, ob es nun [Seite 36] um die Gestaltung des Außengeländes geht oder um die Aktivitäten, die im Gebäude stattfinden werden. Das bedeutet für uns selbst, daß wir flexibel in unseren Tätigkeiten sind, uns immer wieder mit neuen Themen, Materialien, Möglichkeiten auseinandersetzen müssen. Diesen Anforderungen können wir nur gerecht werden, wenn wir als Team konstruktiv zusammenarbeiten. So wünschen wir uns eine Arbeitsstruktur, die nicht auf Hierarchien aufgebaut ist, sondern durch eine Kommunikation getragen wird, die sich mehr und mehr zu einer reifen Beratungskultur entwickelt.


Für uns Frauen bzw. Mütter ist ein weiterer Aspekt von besonderer Wichtigkeit, der sich aus diesen offenen Strukturen ergibt: Wir können unsere eigenen Kinder in das Projekt aktiv einbeziehen. Zum einen können sie erfahren, was und wie wir arbeiten, zum anderen sind wir trotz einer normalen Arbeitssituation für unsere Kinder verfügbar. Ihr Wohlergehen steht gleichwertig neben den Anforderungen der Projektarbeit. Dies erlaubt uns Handlungsspielräume, ohne die unsere berufliche Arbeit besonders in schwierigen Situationen - wie etwa die Krankheit eines Kindes - auf Kosten unserer Kinder bzw. Familien gehen würde. «Nichtsdestotrotz dürfen auch private Freiräume der einzelnen Mitarbeiter nicht zu kurz kommen.»

Um die eben geschilderten Strukturen sicherzustellen, müssen viele Arbeitsbereiche gemeinsam getragen werden. So können wir uns als weibliche Mitarbeiter nicht auf frauenspezifische Tätigkeiten zurückziehen. Die Bereitschaft zur Vielseitigkeit und die Begeisterung für mehrere Handlungs- bzw. Arbeitsbereiche ist unabkömmlich. Gerade für die Mädchen und Jungen, die unser offenes Angebot annehmen, kann es von entscheidender Wichtigkeit sein, ob eine Frau in der Holzwerkstatt anzutreffen ist oder ein Erzieher ein weinendes Kind tröstet. Wie sonst lassen sich Vorurteile oder Ängste gegenüber scheinbar geschlechtsspezifischen Tätigkeiten und Handlungen aufbrechen?


Zusammenfassend gesagt, möchten wir einen Ort schaffen, an dem sowohl methodisch als auch strukturell weiblichen Werten - wie Intuition, Dienstbarkeit, Teamgeist, Geduld, Flexibilität - sowie weiblichen Bedürfnissen - wie dem Wunsch nach funktionierenden zwischenmenschlichen Beziehungen, Wachstum, [Seite 37] Ganzheitlichkeit, Menschlichkeit usw. - Rechnung getragen wird.


Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, müssen noch viele Anstrengungen unternommen werden, insbesondere beim weiteren Aufbau einer tragfähigen finanziellen Basis. Dann kann Lisa vielleicht schon in einem Jahr all die Möglichkeiten nutzen, die ihr dieses Projekt wohl in weit größerem Umfang bieten wird, als es die begrenzten Räumlichkeiten der Kinderwerkstatt derzeit erlauben.


Anja Niemand



„Wir glauben, dass Kinder, die Respekt und Achtung für Ihre authentischen Bedürfnisse erfahren haben, alles Lebendige in dieser Welt schützen werden. Nur wenn Kindern das Gefühl für ihr eigenes Leben nicht verloren geht, können sie den Wert des Lebens in anderen Lebewesen ermessen und Verantwortung für ihre Umwelt übernehmen.”

Rebecca Wild



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Projekt GUEST


In einem kleinen Dorf nahe bei Greifswald und gut erreichbar für Kinder und Jugendliche liegt hinter dem von alten Kastanienbäumen umsäumten Dorfplatz das ehemalige Gutshaus von Guest.

Zu diesem Gutshaus gehört ein verwilderter Gutspark und ein hundert Jahre alter langgezogener Kornspeicher. Dieser noch sanierungsbedürftige Speicher mit seinem 2300 qm großen Garten bietet einen unbegrenzten Blick über Wiesen und Wälder. Hier entsteht in Eigeninitiative ein Aktiv-Integrativer Kindergarten auf der Grundlage der Lehren der Bahá’í-Religion. Methodische Grundlage ist eine kindzentrierte Pädagogik, die Ansätze von Maria Montessori, Rebecca und Mauricius Wild und Jean Piaget einschließt.


„Schon von Geburt an sind Kinder in der Lage, entsprechend ihren Fähigkeiten selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu handeln. Als Erzieher sehen wir unsere Aufgabe darin, den Kindern eine geschützte und vorbereitete Umgebung zu schaffen, in der sie ihren inneren Entwicklungsplan verfolgen können. Den etwa 20 Kindern stehen alle Werkstätten, der gesamte Außenbereich, der Toberaum und der Raum der Stille zur Verfügung. Hinzu kommen ihre Kindergartenräume, in denen freies Spiel und die Arbeit mit z.B. Montessori-Materialien möglich ist.“


Darüber hinaus beinhaltet das Projekt offene Angebote an Kindergartenkinder, Schüler, Jugendliche und Erwachsene. Ein Abenteuergarten wird von den Kindern entsprechend ihren Bedürfnissen gestaltet und verändert. Tierhaltung und Gartenbau bieten die Möglichkeit unmittelbare Erfahrungen mit der Natur zu machen, praktische Fertigkeiten in der artgerechten Tierhaltung und der Herstellung von Lebensmitteln zu erwerben und und ein hohes Maß an Selbständigkeit zu entwickeln.

Das Projekt deckt einen akuten Bedarf ab, der durch die Schließung sozialer Einrichtungen nach der Wende entstanden ist. Deshalb unterstützen die Gemeinde und der Landkreis das Projekt.

Die Initiatoren, bisher 6 Frauen und Männer, Pädagogen, Handwerker und Künstler, investieren ein hohes Mass an eigener Arbeitskraft in den Aufbau ihres Projektes und sind für jede personelle und finanzielle Unterstützung dankbar.


Kontaktadresse:
Franziska Wolf
und Kordula Koksch
Wiesenstr. 25
17489 Greifswald .
Tel./Fax: 0 3834/5128 85.


Bankverbindung:
Sparkasse Vorpommern
„Projekt Guest“
BLZ 130 510 22
Kto.-Nr. 407 110 57



„Kinder sind anders.... Das Kind trägt nicht die verkleinerten Merkmale des Erwachsenen in sich, sondern in ihm wächst sein eigenes Leben, das seinen Sinn in sich selbst hat.“

Maria Montessori


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Die Frau im Mann[Bearbeiten]

Hast du vergessen, aus welchem Körper du entstanden bist?
Hat deine Mutter dich neun Monate getragen,
damit du ihr Geschlecht abwertest?


Hat sich die Wärme des Mutterleibes
So schnell abgekühlt?


Frierst du jetzt?


Gib es zu!



Bülent Türkmen, 21 Jahre



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SAPPHO[Bearbeiten]

Eine patriarchalische Legende


Seit Jahrtausenden wurde ihr Name von Männern mißbraucht, als Inbegriff weiblicher Perversion gebrandmarkt, wurde sie mit Spott, Haß und Verachtung bedacht: Die Dichterin, Erzieherin und Sozialreformerin Sappho. Erst Historiker und Völkerkundler des letzten Jahrhunderts haben die Grundlagen für eine realistische Beurteilung jener antiken Frauenbewegung geliefert, die von einer Insel vor der Westküste der heutigen Türkei ihren Namen bekam: Lesbos.

Sappho (612-557 v. Chr.) wurde auf Lesbos geboren, deren Hauptstadt Mytilene der Sage nach von Amazonen gegründet und nach deren Königin benannt wurde. Sie lebte zu einer Zeit, in der das Patriarchat überall im Mittelmeerraum zur vorherrschenden Gesellschaftsordnung geworden war. Die aus dem Norden eingefallenen Erobererhorden der Achaier hatten es mit Waffengewalt den dort ansässigen Bauernvölkern aufgezwungen. Nur auf Lesbos, in Sparta und auf Kreta, das auf eine lange mutterrechtliche Tradition zurückblickte, gab es noch Überreste des Matriarchats. Nur hier existierten bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. noch Schulen für Mädchen. Während im übrigen Griechenland, vor allem auf Attika, die Frauen zu Sklavinnen der Männer degradiert worden waren, genossen sie auf Lesbos noch weitgehende Freiheit, nahmen öffentliche Aufgaben wahr und widmeten sich in Kultvereinen der Erziehung heranwachsender Mädchen. Sappho war Leiterin eines solchen Thiasos genannten Vereins. Sie war mit Kerkidas verheiratet, Mutter einer Tochter, Kleis, hatte in ihrer Jugend ein Verhältnis zu dem Dichter Alkaios gehabt, der einige seiner schönsten Verse an sie richtete.

Die Erziehung, die in einem Thiasos vermittelt wurde, bestand in kultischer Unterweisung, Tanzen, Gesängen, in philosophischen Unterhaltungen und im Verfassen von Versen. Der Eintritt in einen Kultverein beruhte auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, indem sich an Frauen, die sich durch musische Fähigkeiten und Bildung auszeichneten, Mädchen anschlossen, die diese Bildung anstrebten.

Die Lyrik der Sappho vermittelt einen lebendigen Eindruck von den liebevollen Gefühlen, die Lehrerin und Schülerinnen verbanden. Von ihr stammt die Idee, dass Erziehung ein Verhältnis von Zuneigung und gegenseitiger Wertschätzung voraussetzt. Bei Sappho taucht zum erstenmal in der Dichtung des Westens der Gedanke auf, daß nur völlige Gleichberechtigung und gegenseitiger Respekt Liebe ermöglichen. Allein diese Vorstellungen mußten den bis ins Mark patriarchalischen Griechen [Seite 41] als Sakrileg und Herausforderung erscheinen. Hatten diese Frauenverächter doch eine ganz andere Art der Beziehung zur höchsten Form des Eros hochstilisiert: Die Päderastie (Sexueller Missbrauch minderjähriger Knaben). In ihr drückte sich in mehrfacher Hinsicht das damalige männliche Selbstverständnis aus. Ihre Frauenverachtung ermöglichte es ihnen, die Fiktion männlicher Überlegenheit aufrechtzuerhalten. Ihre Unfähigkeit, den Gedanken der Gleichberechtigung mit Liebe in Verbindung zu bringen, manifestierte sich darin, daß sie als Sexualobjekte Knaben zwischen 12 und 17 Jahren auswählten, die für sie in dem Augenblick unattraktiv wurden, wo sie das mannbare Alter erreichten und ihre Unterlegenheit verloren. Die Tatsache, dass über Jahrhunderte im klassischen Griechenland der Zugang zu führenden Positionen in Staat und Gesellschaft weitgehend über den Dienst als Lustknabe einflußreicher Männer erfolgte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die moralische Integrität jener Sklavenhalter, die als Erfinder der Demokratie gefeiert werden.

Die Ursachen dieses Verhaltens reichen weit in die Vorgeschichte Griechenlands zurück.


Als Eroberer hatten die Achaier, die als viehzüchtende Nomadenkrieger aus den Gebieten nördlich des Schwarzen Meeres nach Griechenland vorgedrungen waren, ihre häufig mutterrechtlich organisierten und wehrlosen Opfer verachten gelernt. Galt ihnen doch jede Arbeit außer dem Waffenhandwerk als unmännlich. Eine Folge dieses Machtwechsels war ein Jahrhunderte langer wirtschaftlicher Verfall der eroberten Gebiete, deren Siedlungszahl zwischen dem 13. und dem 11. vorchristlichen Jahrhundert von 330 auf 40 sank und deren Bevölkerung fast ausstarb. Wer Homers Ilias liest, erhält ein eindrucksvolles Bild der Lebenseinstellung, die solche Zustände herbeiführte. Bewaffnete Überfälle, Brandschatzungen, Plünderung, Vergewaltigung, Raub von Vieh und Frauen, so liest sich die Geschichte der zehnjährigen Belagerung Trojas, wobei die profiliertesten Totschläger Achill und Ajax den höchsten Ruhm ernten. Selbst Zuneigung, Liebe äußert sich im Heldenepos der Griechen bezeichnenderweise in der Maßlosigkeit der Rache, die Achill an Hektor nimmt, der seinen Geliebten Patroklos erschlagen hat.





Scheinen will mir, er komme gleich den Göttern,
jener Mann, der dir gegenüber
niedersitzen darf und nahe den süßen
Stimmenzauber vernehmen
und des Lachens lockenden Reiz. Das läßt mein
Herz im innern mutlos zusammenkauern.
Blick ich dich ganz flüchtig nur an, die Stimme
stirbt, eh sie laut ward,
ja, die Zunge liegt wie gelähmt, auf einmal
läuft mir Fieber unter der Haut entlang, und
meine Augen weigern die Sicht, es
überrauscht meine Ohren,
mir bricht der Schweiß aus, rinnt mir herab, es beben
alle Glieder, fahler als trockene Gräser
bin ich, einer Toten beinahe gleicht mein
Aussehn ...
Aber alles trägt sich noch, da ...
(Fragment)



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Es ist nicht verwunderlich, daß, konfrontiert mit der rücksichtslosen Brutalität dieser männlichen Despoten, es für Frauen, die noch nicht versklavt waren und es nicht werden wollten, nur eine Möglichkeit der Selbstbehauptung gab: Flucht und Aufbau von Frauenstaaten, die Männern den Zutritt verwehrten und sich mit äußerster Entschlossenheit der Aneignung militärischer Fähigkeiten und Verteidigungstechniken widmeten. Diese Amazonenstaaten, östlich des Schwarzen Meeres in der Gegend von Kolchis gegründet, konnten sich einige Jahrhunderte behaupten und hinterließen auch auf Lesbos, das unweit des historischen Troja liegt, ihre Spuren. Homer schildert in der Ilias, wie ein Amazonenheer zur Verteidigung Trojas, das noch Reste des Mutterrechts bewahrte, in den Kampf gegen die Achaier eingreift und im Kampf mit Achill ihre Königin Penthesilea verliert.






Dichter Alkaios und Lyrikerin Sappho

Aus diesern kurzen Rückblick wird vielleicht deutlich, dass aus der Perspektive der Patriarchen Athens, die Frauen als verachtenswerte, minderwertige Kreaturen ansahen, Sapphos Selbstbewußtsein nur als Schreckgespenst gesehen werden konnte, das sie durch Diffamierung zu neutralisieren suchten.

Dies hinderte allerdings Sokrates (470-399 v. Chr.) nicht, die Dichtkunst der Sappho zu bewundern und seine Akademie nach dem Modell des Thiasos aufzubauen.


In Gegensatz zu den griechischen Philosophen, Dichtern und Staatsmännern, die immer wieder Frauenfeindschaft demonstrierten und das Lob der Knabenliebe anstimmten, findet man bei Sappho weder Männerfeindschaft noch den Versuch, die Liebe unter Frauen als eine der Heterosexualität überlegene Form darzustellen. Im Gegenteil, einige ihrer ausdrucksvollsten Gedichte besingen die Anziehungskraft männlicher Schönheit und die Verbindung zwischen Frau und Mann in der Ehe, aber auch den schmerzlichen Verzicht auf die Freundin, die einen Ehemann gefunden hat.


Auch heute noch können ihre Verse als Beispiele einer würdevollen Selbstbehauptung der Frau in einer von Männern ihrer wichtigsten Werte beraubten Welt gelesen werden.


Roland Greis




süß, der Liebe voll die begehrt d en 1 Züge,

Hochzeitsrede


(Zum Bräutigam)
Glücklicher Bräutigam, was du dir zur Hochzeit wünschtest,
ist nun erfüllt: du hast die Jungfrau die du dir wünschtest.
(Zur Braut)
Du bist entzückend anzusehen, deine Augen...
süßer als süß, der Liebe voll die begehrten Züge.
(Zum Bräutigam)
...geehrt hat hoch dich die Aphrodite.
(Fragment)


aus Sappho, Strophen und Verse, übersetzt und herausgegeben von Joachim Schickel, insel taschenbuch


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SUSANNE SCHAUP - SOPHIA[Bearbeiten]

UNTERWEGS ZU EINEM GANZHEITLICHEN GOTTESBILD


In ihrem neuesten Buch „SOPHIA*) - DAS WEIBLICHE IN GOTT“ setzt sich die evangelische Publizistin mit der Wiederfindung des Gleichgewichts von Logos und Weisheit auseinander.

  • Anm.d.Red.: griechisch - „Weisheit“

In einer Zeit, in der alte Wert- und Weltvorstellungen in zunehmendem Tempo demontiert werden, wird unter gläubigen Menschen immer stärker das Leiden an dem herkömmlichen, einseitigen Gottesbild empfunden - einseitig deswegen, weil in ihm fast ausschließlich die patriarchalischen Züge eines strengen, strafenden, züchtigenden Gottes hervortreten, wogegen die eher als „weiblich“ empfundenen Eigenschaften Gottes seit langer Zeit verdrängt wurden. Da dieses einseitige Gottesbild in ursächlichem Zusammenhang mit der Entwertung alles Weiblichen in unserer Kultur steht, suchen viele Gläubige heute nach einem neuen, ganzheitlichen Gottesbild, was als unabdingbare Voraussetzung für eine friedvolle Zukunft auch ein neues Menschenbild zur Folge hat.

Im Ringen um ein solches ganzheitliches Gottesbild stellt das Buch „Sophia - Das Weibliche in Gott“ von Susanne Schaup einen wichtigen Beitrag dar. Der Weisheit kommt hier, wie schon der Titel besagt, eine besondere Bedeutung zu. Die Weisheit, d.h. das Wissen um die inneren Zusammenhänge der Dinge, ist untrennbar mit der Liebe zur ganzen Schöpfung verbunden.

Susanne Schaup erläutert in ihrem anspruchsvollen, aber doch gut verständlich geschriebenen Werk, das sich jeglicher Polemik enthält, dass es schon vor Jahrtausenden eine lange, blühende Tradition der Weisheit gab, und zwar in fast allen Kulturen - z.B. der ägyptischen, der indischen, der chinesischen und auch der israelitischen (vgl. die Weisheitsbücher des Alten Testamentes). Da die in der Natur waltenden, schöpferischen Kräfte mit der weiblichen Schöpferkraft in engster Verbindung gesehen wurden, war auch der erste Begriff des Göttlichen zwangsläufig ein weiblicher; die weibliche Gottheit brachte das Männliche erst hervor und schließt es in sich ein.

Sie trug in den verschiedenen Kulturen die unterschiedlichsten Namen (z.B. Isis, Maat, Demeter). Erst in späterer Zeit - die Ursachen hierfür sind noch nicht genau geklärt - gewann der einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung entsprechende monotheistische Vatergott und in der Folge auch der Logos, der eigentlich aus der Sophia erst hervorgegangen war, immer stärker die Überhand, bis Sophia sich schließlich im Logos fast auflöste. Die Folge der Verbannung Sophias aus Gottes Wesenskern waren seither die rücksichtslose Ausbeutung der Natur, der Wille zur Macht, das Prinzip des Habens statt des Seins, Konkurrenz und Gewalt.

Susanne Schaup zeigt jedoch auf, wie auch in der patriarchalisch geprägten Welt Sophia immer wieder in unterschiedlichen Gestalten auftrat und sich Gehör verschaffte. Besonders eindrucksvoll sind die ungeheuer kraftvollen Visionen der Hildegard von Bingen, in denen die von Liebe durchdrungene Sophia alle Bereiche des Daseins umfasst, sowie die klaren Analysen des immer noch fast unbekannten Otfried Eberz (1878-1958); er erkannte scharfsichtig die verheerenden Folgen der jahrtausendelangen Mißachtung des Weiblichen sowie die Notwendigkeit, das verlorene Gleichgewicht wiederherzustellen.

[Seite 44] Das werk von Susanne Schaup beschäftigt sich aber nicht nur mit der Vergangenheit. Die Autorin klopft die Beispiele der Vergangenheit systematisch auf ihren Bedeutungsgehalt für unsere Gegenwart und Zukunft ab. Als Ergebnis zeichnet sich für den Leser die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Gottesbegriffs als Voraussetzung für ein ebensolches Menschenbild ab, in dem das Männliche und das Weibliche als Einheit in gegenseitiger Ergänzung gesehen werden. Dieser „theologische Quantensprung“, wie die Autorin es nennt, ist jedoch - zumindest in der Kirche - bisher noch nicht vollzogen, wie auch insbesondere die russischen Sophiologen erhebliche Schwierigkeiten hatten, Sophia in das dogmatische Gehäuse des christlichen Gottesbildes zu integrieren.

Aus dieser Einheit ergeben sich weiterhin ein neuer Machtbegriff auf der Basis von Gleichberechtigung sowie ein neues Geschichtsverständnis - die Geschichte verläuft spiralförmig, sich auf immer höhere Ebenen bewegend und um Sophia kreisend. Unsere heutige Aufgabe besteht nach Susanne Schaup darin, das Prinzip der Sophia mit Handeln zu erfüllen. Hierfür ist es hilfreich, sich auf die vielen Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kulturen und Religionen zu besinnen und einen „Grundkonsens über verbindliche ethische Werte“ zu erlangen, wie sie in allen Religionen verankert sind. So bleiben die aus der Vergangenheit gewonnenen Denkanstöße nicht einzeln für sich stehen, sondern münden in für die heutige Menschheit überlebenswichtige Fragestellungen nach dem Gottes- und Menschenbild. Insbesondere die zwischen die einzelnen Kapitel gestellten „Meditationen“ dienen dazu, über verschiedene Aspekte des Weiblichen in Gott nachzudenken. Naturgemäß kann es hier nicht auf alle Fragen eine Antwort geben, aber die Richtung ist klar: Die Erkenntnis der Einheit durch gegenseitige Ergänzung und die Einheit von Mensch und Natur.

Yasmin Mellinghoff


Kösel Verlag GmbH & Co. München

ISBN 3-466-20383-X



ZITATE[Bearbeiten]

Als eine Frau lesen lernte,
trat die Frauenfrage in die Welt.
Marie von Ebner-Eschenbach



Selbstdenken ist der höchste Mut.
Welche wagt, selbst zu denken, die
wird auch selbst handeln.
Bettina von Arnim (1785-1859)



[Seite 45]


Nichts in der Welt ist weicher und schwächer
als Wasser, und doch nichts, was Hartes und
Starkes angreift, vermag es zu übertreffen,
es gibt nichts, wodurch es zu ersetzen wäre.
Schwaches überwindet das Starke, Weiches
überwindet das Harte.


Lao-Tse



Gott hat alle Geschöpfe in Paaren
erschaffen. Der Mensch, das Tier, die
Pflanze, alles in diesen drei Reichen
ist zweierlei Geschlechtes, und unter
ihnen herrscht völlige Gleichheit.
'Abdu'l-Bahá, aus der Bahá’í-Religion



Das Herz einer Frau sieht mehr
als die Augen von zehn Männern.


schwedisches Sprichwort



Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, daß sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Wort, zeitlebens große Kinder sind: Eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist.
Schopenhauer



Zu zweit schweigen zu können, gehört zu den kostbaren Geschenken, die Freundschaft, Liebe und der einfache menschliche Umgang gewähren können. Unantastbarkeit des seelischen Territoriums - welch unschätzbares Recht des Menschen!


Raissa Orlowa-Kopelew


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Frauen - Triebkräfte der Entwicklung[Bearbeiten]

„Wir haben uns ein Ziel gesetzt. Bis zum Jahr 2005 soll hundert Millionen der ärmsten Familien in dieser Welt geholfen werden, durch kleine Kredite wie hier in Bangladesh. Wenn wir das erreichen, dann haben wir, glaube ich, die Voraussetzungen für eine Welt ohne Armut. Heute leben auf der Erde noch insgesamt etwa 1,3 Milliarden Menschen in Armut. Und wenn wir 100 Millionen Familien durch unsere Programme erreichen, dann ist das die Hälfte aller Armen, die auf unserem Planeten leben. Wir brauchen diese Zahl also nur noch zu verdoppeln und erreichen die restlichen hundert Millionen Familien. Unser Ziel ist eine Welt ohne Armut. Nicht ein einziger Mensch auf diesem Planeten soll mehr in Not und Elend leben.“


Diese Worte von Muhammad Yunus, dem Begründer der Grameen-Banken (Dorfbanksystem) machen deutlich, welchen Rahmen sich eine Bewegung gesetzt hat, die dabei ist, das Gesicht der Erde von Grund auf zu verändern. Eine Idee, die in Bangladesh geboren wurde, hat inzwischen Nachahmer in 58 Ländern gefunden. Sie wird unterstützt von UNO-Unterorganisationen, Staatsoberhäuptern, der Weltbank und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus 112 Ländern und hat dazu geführt, dass inzwischen ca. 15 Millionen Arme die Chance erhielten, sich ein neues Leben aus eigener Kraft aufzubauen. Als Professor Yunus, ein Wirtschaftswissenschaftler, vor 19 Jahren mit seinen Studenten die Situation der Landbevölkerung Bangladeschs untersuchte, fand er heraus, dass vielen Armen nicht mehr als einige Dollar fehlten, um sich selbst vor dem Hungertod zu retten, das Geld nämlich, das sie brauchten, um sich selbständig zu machen.


Es sind vor allem Frauen, die Empfänger und Hauptakteure der Microkreditbewegung wurden, aus einem einfachen Grund:

Frauen und Mädchen sind diejenigen Teile der Gesellschaft, die weltweit am stärksten von Benachteiligung, Armut und Ausbeutung betroffen sind. Und Frauen sind aufgrund ihrer tieferen emotionalen Bindung an ihre Kinder und ihres größeren Mitgefühls offensichtlich eher als Männer bereit, die erhaltenen Kredite als Starthilfe für eine dauerhafte Entwicklung ihrer Familien einzusetzen. Dies sind zumindest die Erfahrungen, die in vielen Teilen der Welt gemacht wurden. Während Männer Kredite häufig für ihre kurzfristigen Interessen und Bedürfnisse verwandten, investieren Frauen in die Ausbildung ihrer Kinder, bauen kleine Unternehmen auf und schaffen damit die Grundlagen für langfristigen Wohlstand. Auch ist ihre Rückzahlungsmoral weit höher als die der Männer. Deshalb vergibt die Grameen-Bank 94% ihrer Kredite an Frauen, die sich zur gegenseitigen Unterstützung in Fünfergruppen zusammenschließen müssen.

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In Bangladesch, einem vor der Kolonialzeit blühenden Land, leben heute 85% der Menschen unter der Armutsgrenze.

Salma, eine Frau Mitte dreißig berichtet aus ihrem Leben:

„Wir waren 6 Mädchen und 3 Jungen in unserer Familie. Mein Vater war sehr arm. Keiner von uns ist je zur Schule gegangen. Meine Brüder haben mit meinem Vater gearbeitet. Als ich zwölf Jahre alt wurde, hat mein Vater mich verheiratet. Zuerst ging es mir ganz gut. Mein Mann war reich. Aber das hat sich bald geändert. Drei Jahre hatte er ständig Bauchschmerzen und es ging ihm auch sonst immer schlechter. Fragen Sie mich nicht, wie oft wir beim Arzt waren, aber es hat alles nicht geholfen. Ich mußte unser Haus verkaufen, für 550 Dollar. Mit dem Geld habe ich die Medikamente finanziert. Aber nach 3 Jahren ist mein Mann dann gestorben. Und auf einmal stand ich ganz alleine da mit meinen zwei Söhnen. Wir brauchten Geld zum Überleben. Ich bin mit selbstgebackenen Kuchen ins Dorf gegangen und habe sie an den Haustüren verkauft.

Vor sieben Monaten kam die Grameen-Bank in unser Dorf. Einen ganzen Monat haben wir die Regeln gelernt. Dann wurden wir Mitglieder. Ich habe damals direkt hundertfünfundzwanzig Dollar geliehen. Mit Hilfe des Geldes habe ich Reis angepflanzt und mein eigenes kleines Geschäft aufgebaut. Jetzt verkaufe ich meine Ernte. Die Leute kennen mich und kaufen meinen Reis.“1)


Eine andere Frau erzählt:

„Eine Vertreterin der Grameen-Bank kam in unser Dorf. Ich wurde Mitglied und habe meinen ersten Kredit aufgenommen. Von dem geliehenen Geld habe ich ein Kalb gekauft und Reis angebaut, den ich auf dem Markt verkaufen konnte. Ich habe genug verdient, um davon zu leben und die Zinsen zu bezahlen. Ein Jahr später habe ich noch einmal Geld geliehen und eine Bananenplantage aufgebaut. Von da an konnte ich sogar das geliehene Geld zurückzahlen und wir haben trotzdem jeden Tag genug zum Leben. Ich habe drei Töchter. Die ältere ist auf einer weiterführenden Schule, die andere geht noch in die Grundschule. Für die Ausbildung der Kinder müssen wir zahlen. Bis jetzt haben wir insgesamt drei oder vier Kredite aufgenommen. Aber wir haben es geschafft. Wir ernten heute Bananen und Getreide. Es geht uns gut. Außerdem haben wir noch Geld geliehen, um ein Haus zu bauen. Betten, Matratzen und all die Dinge, die man in einem Haus braucht, konnten wir uns leisten.“1)

Durch ihr Engagement gewinnen die Frauen ein völlig neues Selbstbewußtsein. Waren sie noch vor zehn Jahren in Haus und Küche verbannt und durften mit Männern nur durch einen Vorhang sprechen, so hat ihre neue Rolle als Ernährerinnen der Familie auch ihre soziale Stellung entscheidend verbessert. Davon profitieren auch ihre Ehemänner. Sie helfen bei der landwirtschaftlichen Arbeit oder zu Hause. Aber den größten Teil der Arbeit erledigen die Frauen selbst. Sie entdecken ihr Organisationstalent, erkennen eigene Führungsqualitäten und die Fähigkeit, anderen Frauen etwas beizubringen. Vielen Männern fällt diese Umstellung nicht leicht. Manche fühlen sich herabgesetzt. Konflikte mit islamischen Geistlichen und Männern, die bisher das Leben in den Dörfern bestimmten, bleiben nicht aus.

„Sie haben versucht, mir Angst zu machen”, sagt Salma. „Sie haben gesagt, wenn ich das Geld nicht zurückzahlen kann, dann wird die Grameen-Bank mich in den Fluß werfen. Wenn ich Mitglied der Bank werde, haben sie mir gesagt, dann wird die Bank mich entführen. Aber ich habe mich trotzdem dafür entschieden. Ich wollte es einfach versuchen. Für mich.“1)

Wenn islamische Geistliche die Tatsache, dass die Grameen-Bank Zinsen von 10% jährlich nimmt, als Verletzung der Gesetze anprangern, dann wissen die Frauen sehr genau, was sie davon zu [Seite 48] halten haben. Denn kein Geistlicher hat in der Vergangenheit, wo Geldwucherer bis zu 20% Zinsen monatlich verlangten, dagegen protestiert. Und sie wissen, dass die Zinsen nötig sind, damit das System ausgebaut werden kann und auch andere daraus Nutzen ziehen.

Die explosionsartige Ausbreitung der Dorfbanken hat Veränderungen im Leben der einfachen Leute bewirkt, die keiner vorher für möglich gehalten hätte. Menschen, die niemand für kreditwürdig hielt, haben die in ihnen verborgenen Fähigkeiten entwickelt, sich selbständig machen können und dadurch ein neues Selbstbewußtsein gewonnen. Ausgerechnet in einem Land mit einer vom Islam geprägten extrem patriarchalischen Struktur ist eine Frauenbewegung in Gang gekommen, die nicht nur mehr Gleichberechtigung erreicht, sondern dem Land auch völlig neue wirtschaftliche Perspektiven gewiesen hat. Wenn Professor Yunus heute von namhaften Fachleuten als der größte Sozialreformer unseres Jahrhunderts bezeichnet wird, so ist dies eine Aussage, die Hoffnung macht.


Nehmen wir ein anderes Beispiel von der gegenüberliegenden Seite der Weltkugel, das zeigt, wie ähnlich die Probleme der Armen sind und wie wirksam das System der Dorfbanken auch in anderen Länder und Kulturen funktioniert:

Das Beispiel von Arcacely Martiney Moran aus Chalchuapa in der Nähe von Santa Ana, El Salvador:

Eine kleine, schmale Frau namens Arcacely Martiney Moran wird uns vorgestellt. Wir sind eine Gruppe von RESULTATE- Mitarbeitern aus den USA und der BRD, die an einem Dialogprogramm in San Salvador teilnehmen. Frau Moran ist ein Gründungsmitglied der Dorfbank in Chalchuapa und sehr erfolgreich als Unternehmerin. Mit 59 Jahren ist sie sehr flink und aktiv, allerdings ist ihr Sehvermögen stark eingeschränkt. Neunmal hat sie Kredite zwischen 50 und 300 Dollar bekommen und ist seit 3 Jahren Mitglied bei der Dorfbank von Centro Apoyo a la Microempresa, einem Projekt von FINCA (Foundation for International Community Assistance).

Sie erzählt uns ihre Lebensgeschichte. Als sie acht Jahre alt war, starb ihre Mutter. Ihr Vater kümmerte sich nie um sie oder um ihre Geschwister, obwohl er noch lebt. Sie hat nur die erste Klasse der Schule besucht und kann deswegen wenig lesen und schreiben.

Senora Moran ist verheiratet. Sie hatte 11 Kinder, sieben davon leben noch. Sie versorgt jetzt sechs von ihren Enkelkindern, die bei ihr wohnen. Um 4 Uhr morgens steht sie auf, um das Frühstück für sie zu bereiten, bevor sie zur Schule gehen. Danach kümmert sie sich um ihre Geschäfte, womit sie das nötige Geld für die Familie verdient. Senora Moran verkauft Obst, Gemüse und Fleisch auf dem Markt. Zweimal in der Woche fährt sie mit dem Bus über die schlechten Straßen nach Guatemala, um Produkte zu kaufen. In der Zeit bleibt ihr Mann am Kiosk zu Hause.

Bevor Senora Moran Mitglied der Dorfbank wurde, nahm sie Kredit in Form von Reis und Saft auf. Diesen Kredit hat sie mit Bargeld zurückzahlen müssen. Es war sehr schwierig, aber trotzdem hat sie es geschafft, täglich einen kleinen Gewinn für die Familie zu erwirtschaften. Sie sagt zu ihrer Situation als Bankmitglied:

„Jetzt fühle ich mich erleichtert, seitdem ich bei der Dorfbank bin. Vorher waren die Probleme wie eine schwere Last. Jetzt habe ich mehr Geld und kann für die Zukunft sparen. Je mehr ich spare, desto mehr Geld kann ich ausleihen. Jetzt habe ich Freundinnen, die mich unterstützen, wenn es mir schlecht geht. Sie helfen nicht nur mit Geld, sondern auch mit Ermutigung und Ideen. Früher war ich immer allein mit meinen Problemen. Meine Enkelkinder gehen zur Schule und lernen das Lesen und Schreiben. Das, was ich für mich [Seite 49] und meine Kinder erträumt habe, geht jetzt für meine Enkelkinder in Erfüllung. Mit Gottes Hilfe und Krediten von der Dorfbank werde ich meine Enkelkinder weiterhin unterstützen können.“


Mary Akoth lebt in Ahero Town, einem der ärmsten ländlichen Gebiete in Westkenia. Sie ist 38 Jahre alt und verantwortlich für ihre fünf Kinder im Alter von 5 bis 22.

Marys Ehemann verließ sie 1979, und da ihre Familie sie zurückwies, war sie mittellos. Sie war gezwungen, mit ihren Kindern nach Ahero Town zu ziehen und auf die erniedrigendste Weise Geld zu verdienen, um Miete und Nahrungsmittel bezahlen zu können. Ihr Leben war ein ständiger Kampf. Es war menschenunwürdig und hatte keine Zukunft.

Im Jahre 1992 besuchte Mary einen Ausbildungskurs von AFRICA NOW als Teil der Nyando Frauengruppe. Ein Jahr später erhielt sie einen Kredit von 4 US-Dollar. Sie begann Chapatis und Tee am Straßenrand zu verkaufen. Bald verdiente sie 0,80 Dollar pro Tag. Nach sechs Monaten verkaufte sie außerdem noch Reis und Bohnen und konnte dadurch ihren Kundenstamm beträchtlich erweitern. Sie erwarb von der Gemeinde ein Stück Land und baute einen Kiosk. Dann stellte sie einen jungen Mann an, der ihr in ihrem wachsenden Geschäft half. 1995 konnte sie zwei weitere Leute einstellen und wurde Inhaberin eines gewinnbringenden Unternehmens.

Heute verdient Mary pro Tag 8 US-Dollar, das Doppelte ihres ursprünglichen Kredits. Sie verwendet das Geld, um Miete und Schulgebühren für ihre Kinder zu bezahlen und sie kann ihre Familie gut ernähren. Sie sagt, dass sie sich nun nicht mehr isoliert und hilflos fühlt wie früher. Sie blickt voller Zuversicht in eine Zukunft für sich und ihre Kinder, von der sie nie zu träumen wagte. Sie sagt, dass sie ihre Würde wiedergewonnen hat.


Aus dem oben Gesagten wird klar, dass es bei der Microkreditvergabe nicht einfach darum geht, Geld an Bedürftige zu verleihen. Entscheidend für den Erfolg der Bewegung ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit kleiner lokaler Gruppen, deren Mitglieder sich nicht nur materiell, sondern vor allem mit Rat und Tat, mit Ideen und gegenseitiger Ermutigung unterstützen.

„Es geht um ein völlig neues Banksystem", sagt Prof. Yunus, „nämlich um eines, das menschliche Strukturen aufweist. Hier regulieren die Bankmitglieder sich selber. Sie nehmen Ihr Leben selbst In die Hand, entdecken ihr eigenes Potential und zahlen ihre Kredite zurück. Kredit kommt von Credo, das heißt Glauben, Vertrauen.“


Es geht um nicht weniger als den Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen, die auf menschlichen Werten, nicht auf dem Prinzip des maximalen Profits beruhen. Eines der tragenden Prinzipien ist deshalb der Aufbau kleiner Ortsgruppen, die sich zur gegenseitigen Hilfe verpflichten, die Vorhaben ihrer Mitglieder überprüfen und sich selbst verwalten. Der Vorteil solcher Basisgruppen ist unter anderem der, dass sie auch weiterarbeiten können, wenn keine Unterstützung mehr von außen kommt. Vor allem aber kann sich in ihnen Vertrauen, Gemeinsinn, Verantwortung füreinander und eine Haltung gegenseitigen Dienens entwickeln. Diese moralischen Qualitäten sind es letztlich, die die Grundlage für eine Entwicklung bilden, die nicht nur darin besteht, Menschen mit dem materiell Nötigen zu versorgen. Indem Menschen ihre persönlichen Bedürfnisse in die der Gemeinschaft einordnen, lernen sie auch etwas über das Verhältnis von materiellen und geistigen Werten. Dies scheint besonders wichtig zu sein in einer Zeit, in der das Prinzip der Gewinnmaximierung eine ökologische Krise globalen Ausmaßes verursacht hat, die nur durch die Besinnung auf geistige Werte lösbar sein wird.

Ziel der Microkreditbewegung kann deshalb nicht Wachstum um jeden Preis, d.h. die Nachahmung des westlichen Konsummodells sein. Sie stellt vielmehr eine Entwicklungshilfe neuer Art dar, [Seite 50] die die Vision der Gleichberechtigung aller Menschen mit dem Glauben an das Gute in ihnen verbindet, an die Fähigkeit und den Willen der Armen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und gegenseitig Verantwortung zu tragen. Sie hilft Einstellungen zu überwinden, die unsere Welt an den Rand der Selbstzerstörung gebracht haben, wie Egoismus, Konkurrenzverhalten, Machtstreben und Materialismus.

Es kann kein Zufall sein, daß Frauen die Träger dieser neuen Art von Entwicklungsbemühungen sind. Sind es doch gerade ihre besonderen Qualitäten, die auch in den Prinzipien des Dorfbanksystems ihren Niederschlag finden.

Die Ausbreitung dieser Bewegung wird deshalb ein entscheidender Beitrag sein, der Welt wieder ein menschliches Antlitz zu geben. Viel zu lange haben Männer alleine über das Schicksal der Erde bestimmt. Das Ergebnis sehen wir auch heute noch überall dort, wo die Allmacht des Mannes ungebrochen ist. Armut, Analphabetismus, Unterentwicklung, Kampf, Krieg, Terror, Zerstörung und Verfall waren und sind die Früchte männlicher Alleinherrschaft.

Die Antworten der Frauen sind weniger spektakulär, dominieren weniger die Medien und stellen heute noch eine kaum sichtbare Unterströmung im Fluß der Menschheitsentwicklung dar. Aber bald werden sie hervortreten als die Kraft, die die Menschheit zusammenbringt und auf den Weg führt, der ihr vorbestimmt ist und der dem wahren Wesen des Menschen entspricht.


Roland Greis
Fotos: Andrea Steinert
1) >>Kredite gegen den Hunger<<, ein Film von Mark Aardenburg, deutsche Bearbeitung Andrea Rübenacker, Produktion Movie Ton/ Wildshot


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DIE BAHÁ'Í-RELIGION


ZENTRALE LEHREN


Die Einheit Gottes
Es gibt nur einen Gott, mit welchem Namen er
auch benannt oder umschrieben wird.


Die Einheit der Religionen
Alle Offenbarungsreligionen bergen den gleichen
Kern ewiger Wahrheiten, wie die Liebe zu Gott und
den Menschen.
Bestimmte Gesetze jedoch, die z.B. die Organisation
der Gemeinde, das Sozialwesen, Hygiene etc. betreffen,
müssen sich im Zuge der Menschheitsentwicklung
verändern. In großen Zyklen offenbart Gott
sich durch seine Boten wie Moses, Krishna, Buddha,
Christus, Mohammed und Bahá’u’lláh und erneuert
diesen Teil seiner Gebote als Antrieb für den
menschlichen Fortschritt.


Die Einheit der Menschheit
Die Menschheit ist eine einzige, große Familie mit
völlig gleichberechtigten Mitgliedern.


Ihren Ausdruck finden diese grundlegenden Lehren
in Prinzipien wie:
▪ Selbständige Suche nach Wahrheit
▪ Gleichwertigkeit von Frau und Mann
▪ Soziale Gerechtigkeit
▪ Entscheidungsfindung durch Beratung
▪ Abbau von Vorurteilen.
▪ Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft


ZENTRALE GESTALTEN

Báb (1819-1850), der Vorbote
Bahá’u’lláh (1817-1892), der Stifter
'Abdu'l-Bahá (1844-1921), der Ausleger
Shoghi Effendi (1897-1957), der Hüter


DIE BAHÁ'Í-GEMEINDE

organisiert sich in Gremien, die auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene
von allen erwachsenen Gemeindemitgliedern in freier, gleicher und geheimer Wahl
ohne Kandidatur oder Wahlkampagnen gewählt werden. Es gibt keine Priester.




Europäisches Bahá’í-Haus der Andacht in Hofheim-Langenhain/ Deutschland


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Die nächste Ausgabe



TEMPORA
Nr. 5







Arbeit