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TEMPORA
Nr. 2
   
GLOBALISIERUNG
- die Herausforderung unserer Zeit
editorial
Globalisierung
- - die Herausforderung unserer Zeit
 
„Die Wohlfahrt der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit
sind unerreichbar, wenn und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist.“
Bahá’u’lláh, der Stifter des Bahá’í-Glaubens, beschrieb bereits vor 150 Jahren die entscheidende Vorraussetzung zur Befriedung unseres Planeten. Was damals vermutlich nur wenige erfaßten, zeichnet sich heute immer deutlicher ab: unsere Zukunft hängt am seidenen Faden.
War das Denken in national-staatlichen Dimensionen in vergangenen Zeiten ein festes Band, das einzelne Völker und Rassen einte und dadurch das Fundament für ihre zivile und kulturelle Entwicklung legte, erfordert die Entfaltung unseres Planeten zum »globalen Dorf« ein umfassenderes, ein erweitertes Verständnis von Einheit. „Durch den weltweiten Fluß an Energie, Gütern, Menschen und Informationen hat die Welt des 20. Jahrhunderts globale Dimensionen entwickelt; sie hat aber nicht die Ordnung entwickelt, die zum Funktionieren in diesen Dimensionen erforderlich ist” (Ervin Laszlo). Das Entstehen dieser neuen (Welt-) Ordnung setzt ein neues Denken, ein anderes Bewußtsein, - und damit verbunden einen Wertewandel - voraus. Das beginnt damit, daß wir uns von der Vorstellung verabschieden, daß inter-national mit global gleichzusetzen ist, wie Peter Spiegel u.a. in seinem Beitrag ausführt. Das zeigt sich in der Analyse von Gerhard Schweter über die Rolle der Weltwirtschaft ebenso, wie in den Ausführungen von Graham Nickelson über Wege zu einem globalen Rechtssystem.
Angesichts der allgegenwärtigen Desorientierung und Desorganisation ist die Entwicklung des Gemeinwesens im Verlauf von Jahrtausenden von Sippe über Dorfgemeinschaft, Stadt, Stadtstaat und schließlich Nationalstaat scheinbar ins Stocken geraten. Doch der Eindruck täuscht. Was sich manchem Betrachter darstellt „als das Ende der Weit“, kann gleichlaufend als der „Beginn einer neuen Zeit“ verstanden werden. Die Entwicklung zu einer globalen Gesellschaft ist zwingend und unausweichlich. Es geht nur um die Frage des Wann und Wie.
Der Umstand, daß wir im Norden bisher- verglichen mit den Lebensbedingungen der Menschen im Süden — wie die Könige und Fürsten gelebt haben, macht die Herausforderung nur noch größer. Denn das Prinzip der Gerechtigkeit - als entscheidendes Wesensmerkmal einer neuen Weltordnung - wird uns gar keine Wahl lassen, als uns von Privilegien zu trennen. Vielleicht fällt uns das leichter, wenn wir die Aussage „Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger“ (Bahá’u’lláh) zunehmend verinnerlichen.
- Die Redaktion
 
 
TEMPORA
- Nr. 2 - Januar 1998
 
Die Globalisierung unseres Planeten erfordert in allen Bereichen ein
gänzlich neues Denken und Handeln. TEMPORA beschäftigt sich auf
dem Hintergrund der Bahá’í—Lehren mit aktuellen Zeitfragen und möchte 
durch Gedankenimpulse die Entwicklung zu einer geeinten Welt fördern.
Herausgeber
- Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in
 - Deutschland e.V., Eppsteiner Str. 89
 - 65719 Hofheim
 
Redaktion
Elena Afscharian, Roland Greis, Mirko Echghi—Ghamsari, Wolfram Enders, Karl Türke jun.
Redaktionsanschrift
- Redaktion TEMPORA
 - Eppsteiner Str. 89
 - D-65719 Hofheim
 
- e—Mail: tempora@bahai.de
 
Layout/Produktion
Mirko Echghi—Ghamsari
Lithografie
Haamann, Aachen
Druck
Druckservice Reyhani, Darmstadt
Vertrieb und Bestellungen
- Bahá’í—Verlag
 - Eppsteiner Str. 89
 - D-65719 Hofheim
 
- Tel. (06192) 22921
 - Fax (06192) 99 29 99
 
TEMPORA erscheint halbjährlich.
Abonnementpreis für vier Ausgaben DM 35,- Einzelpreis DM 9,80.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die
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und Änderungen der Beiträge vor. Die Zeitschrift und alle in 
ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. 
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
© Bahá’í-Verlag GmbH 1998
ISSN 1433-2078
Gedruckt auf umweltschonendem Papier.
inhalt
2 . . . Editorial
4 . . . Zeitblende
- Zukunft als Ereignis: Die Expo 2000; Eine Welt in der Schule: Ein Buch des Arbeitskreises Grundschule; Erklärung: Publikationen der internationalen Bahá’í-Gemeinde; Ein Buch über Kinder aus aller Welt, Weltanschluß: Ein Glasfaserkabel durch Kasachstan; TOP SECRET: Die neuen Aufgaben des CIA.
 
6 . . . Report
- Bericht über die Verleihung des Preises für Planetarisches Bewußtsein an Michael Gorbatschow, Huschmand Sabet und Prof. Muhammed Yunus.
 
  
- Titelstory
 
8 . . . Globalisierung
- — Schicksal oder Chance?
 
15 . . . Die Rolle der Wirtschaft in der neuen Weltordnung
21 . . . Lesezeit Michael Gorbatschow: Das neuen Denken
22 . . . Auf dem Weg zu einem globalen Rechtssystem
27 . . . Design als Strategie
- Victor Margolin, Prof. für Kunst- und Design-Geschichte an der Universität von Illinois (USA), über die Rolle der Gestalter im Zeitalter der Globalisierung.
 
29 . . . Ein Jahr des Dienstes
32 . . . Kommunikationstechnik
- - Chancen und Gefahren für eine zusammenwachsende Welt
 
36 . . . Keimzelle einer künftigen Weltordnung
- Über das Bahá’í-Weltzentrum
 
43 . . . Vorschau
Zeitblende[Bearbeiten]
- Twipsy, das Maskottchen der Weltausstellung, soll mit seiner Form und seinen Farben Freude verbreiten. Je nach Gemütszustand ändert es die Farben oder das Muster (siehe unten). Geboren (gezeichnet) wurde es im Estudio Mariscal in Spanien.
 
 
Zukunft als Ereignis
Unter dem Leitgedanken „Mensch - Natur - Technik“ öffnet am 1. Juni
des Jahres 2000 die Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover ihre Pforten.
Der Themenpark - eine der Hauptattraktionen der EXPO 2000 - bietet in einer 100.000 Quadratmeter großen Erlebnislandschaft mit atemberaubenden Simulationen und spektakulären Vorführungen einen Blick in die Welt des 21. Jahrhunderts. Elf an die AGENDA 21 angelehnte Einzelthemen setzen den Leitgedanken der EXPO 2000 „Mensch - Natur -Technik“ in Szene und stellen Lösungsansätze für drängende globale Fragen vor. Dabei kommt dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung ein besonderer Stellenwert zu: Wie sind die medizinische Versorgung, die Ernährung und der Energiebedarf der ständig wachsenden Weltbevölkerung sicherzustellen, wie erhält der Mensch seine Umwelt, welche Verkehrskonzepte garantieren die Mobilität der Zukunft, wie wird im 21. Jahrhundert gearbeitet, welche Fortschritte sind im explodierenden Informations- und Kommunikationssegment zu erwarten? Dabei spielen nicht nur Forschung und Technik eine Rolle, sondern auch soziale, kulturelle, ökologische und humane Entwicklungen, kurz: das künftige Miteinanderleben auf begrenztem Raum.
Die Ausrichtung ist stets global, das heißt sie berücksichtigt die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ausgangspunkte auf den verschiedenen Kontinenten. Um diese umfassende Sicht zu gewährleisten, arbeiten Wirtschaftsunternehmen, wissenschaftliche Institutionen, kulturelle und soziale Träger sowie gesellschaftliche Gruppen und gemeinnützige Organisationen aus der ganzen Welt gemeinsam an der Konzeption.
Mehr Infos gibt es im Internet unter: http://www.expo2000.de
 
- TEMPORA TIP
 
Eine Welt in der Schule
Die Publikation richtet sich an Lehrkräfte in allgemeinbildenden Schulen bis zur 10. Klasse. RUDOLF SCHMITT als Herausgeber hat zu den Themenbereichen „Zusammenleben in unserer Gesellschaft - Solidarität mit Minderheiten“, „Leben in fremden Ländern - Alltag anderswo“, „Vernetzung zwischen hier und anderswo - Lernen von fremden Kulturen“ eine Vielzahl von interessanten Beiträgen zusammengetragen.
Hinzu kommen eine ausführliche Einführung mit mehreren sachkundigen Aufsätzen ... sowie ein Verzeichnis von Materialien zum Themenbereich „Eine Welt“. Der Band wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert.
- Rudolf Schmitt (Hrsg.),
 - „Eine Welt in der Schule“,
 - Arbeitskreis Grundschule,
 - Frankfurt a.M., 1997
 
   
Erklärungen
„ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN FÜR DIE MENSCHHEIT" und „WENDEZEIT DER NATIONEN“. So heißen zwei Erklärungen, die die Internationale Bahá’í-Gemeinde 1995 anläßlich des Weltgipfels für Soziale Entwicklung in Kopenhagen bzw. des 50-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen herausgegeben hat.
Während in „Entwicklungsperspektiven für die Menschheit“ Vorschläge für ein neues Verständnis von Globalem Wohlstand unterbreitet werden, werden in „Wendezeit der Nationen“ neue Vorstellungen entwickelt, die zu einer gemeinsamen Ordnung in einer zusammenwachsenden Welt führen können. Dazu gehören auch Überlegungen zu einer Weiterentwicklung der Vereinten Nationen.
- Bahá’í International Community (Hrsg.)
 - „Entwicklungsperspektiven für die Menschheit“ und
 - „Wendezeit der Nationen“
 
- Bahá’í-Verlag, Hofheim, 1996
 
 
 
Von der Arktis bis zum Äquator, von Südamerika bis Südostasien machen die Kinder der Welt im Grunde alle dasselbe: Sie spielen gerne Ball und Verstecken und gehen gerne zur Schule. Sie haben Angst vor dem Krieg und wünschen sich Frieden. Sie machen sich Sorgen um die Umwelt, die in ihren Augen von den Erwachsenen zerstört wird. Gerade diese Gemeinsamkeit betont UNICEF-Botschafter Harry Belafonte in seinem Vorwort zu dem Buch "Kinder aus aller Welt“. Barnabas und Anabel Kindersley haben in Zusammenarbeit mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen dieses Buch zum 50. Jahrestag der Gründung von UNICEF veröffentlich. Es bietet nicht nur Kindern einen faszinierenden Einblick in das Leben von Kindern aus aller Welt. Auf ihre ganz eigene Weise erzählen die vorgestellten Kinder von ihrem Leben, ihren Träumen, Ihren Ängsten und Hoffnungen.
- Barnabas und Anabel Kindersley
 - Kinder aus aller Welt
 - Loewes Verlag, Bindlach, 1996
 
 
 
Weltanschluß
Von Shanghai bis Frankfurt soll ein 27.000 Kilometer langes Glasfaserkabel die Kommunikation zwischen Europa und Asien sicherstellen. Diese Strecke wird die wichtigste, nicht über Satelliten realisierte West-Ost-Verbindung für die Telekommunikation zwischen Europa und Asien sein. In Kasachstan werden von 16 Millionen Menschen hierdurch 2,3 Millionen Zugriff auf eine Telefonleitung mit ISDN-Qualität bekommen, bis zur Jahrtausendwende werden weitere drei Millionen angeschlossen. Und dies in einem Land, dessen Telefonnetz noch nicht einmal problemlos Gespräche zum Nachbarort garantiert.
- Quelle: Siemens
 
 
 
 
 
TOP SECRET
In einer Zeit weltweiter Veränderungen müssen sich auch staatliche Institutionen neue Aufgabenfelder erschließen. So bietet der US-Geheimdienst CIA auf seiner Internet-HomePage umfangreiche Informationen über Staaten und Regionen der Erde. Neben Fakten und Statistiken zur Geographie werden auch bestehende Umweltprobleme, die Erschließung durch moderne Kommunikationstechnologien, z.B. Telefon, sowie bestehende politische Spannungen dargestellt. Zum reinen Text wird ergänzend umfangreiches Bild- und Kartenmaterial angeboten. Alle Informationen sind frei und zur weiteren Verwendung auf den eigenen Rechner herunterladbar. Auf einer weiteren Seite läßt sich die aktuelle Regierungszusammensetzung aller Nationen abrufen.
»http://www.odci.gov/cia/publications/nsolo/wfb-all.htm«
»http://www.odci.gov/cia/publications/chiefs/index.html«
REPORT
 
Vordenker einer menschenwürdigen Globalisierung[Bearbeiten]
Der Ort war gut gewählt: Die Frankfurter Paulskirche, 1848 Schauplatz des ersten demokratischen Entwurfs in einem politisch rückständigen Deutschland.
Die Situation ist vergleichbar, der Anlaß diesmal von weltweiter Dringlichkeit. Ging es vor hundertfünfzig Jahren um die Frage, ob eine überholte Regierungsform durch eine zeitgemäße ersetzt werden konnte, so steht heute eine ungleich größere Herausforderung auf der Tagesordnung.
MICHAEL GORBATSCHOW formulierte die Kernfrage so: Wird die Menschheit, werden ihre politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen das Gebot der Stunde erkennen und die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen für das Wohlergehen der gesamten Menschheit schaffen? Oder wird ein unsteuerbar gewordener Kapitalismus fast alle Errungenschaften der Menschheitsgeschichte aufzehren?
RICHARD VON WEIZSÄCKER bekräftigte in seiner Laudatio Gorbatschows Forderung nach einer Zivilisierung des Kapitalismus durch wirtschaftliche, soziale und ökologische Maßnahmen, für die in der UNO heute noch handlungsfähige Organe fehlen. Dies sei ein Gebot unserer Mitverantwortung als Weltbürger. Dabei gelte es, kurzfristiges, am nationalen und wirtschaftlichen Eigennutz orientiertes Denken zu überwinden.
An die Adresse derer gewandt, die global gültige und alle Teile der Menschheitsfamilie berücksichtigende Regeln und Institutionen als utopisch ansehen, erinnerte Weizsäcker an die Zeit vor zehn Jahren. Wer hätte damals die friedliche Reform des Sowjetsystems, das Ende des kalten Krieges, den Fall der Mauer für realisierbar gehalten? Er schilderte aus seiner Sicht als damaliger Bundespräsident, welches Ausmaß an Skepsis und Mißtrauen Gorbatschow entgegenschlug, als er seine neue Politik ankündigte. Erst als er dem amerikanischen Präsidenten einseitige Abrüstungsvorschläge unterbreitete, habe ein Umdenken bei den Führern westlicher Staaten begonnen.
In seiner anschließenden Rede ließ Gorbatschow keinen Zweifel an
seiner Entschlossenheit, dem 
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„neuen Denken“ (so der Titel seines gerade erschienenen Buches) zum
Durchbruch zu verhelfen und eine weltweite Umgestaltung (Perestroika) 
in Gang zu bringen.
Der ihm verliehene World Leadership Prize, das machte seine Rede deutlich, konnte keinen Würdigeren finden.
Die zwei Preisträger für Business Innovation, der Stuttgarter Unternehmer HUSCHMAND SABET und der aus Bangladesch stammende Wirtschaftsprofessor MUHAMMED YUNUS, wurden für ihre jahrelangen erfolgreichen Bemühungen geehrt, praktikable wirtschaftliche Instrumente zu entwickeln, mit denen die Ärmsten der Armen sich aus der Armutsfalle befreien können.
„Wegweiser für eine weltweite soziale Marktwirtschaft“ sah LOTHAR SPÄTH in dem von Sabet initiierten Terra-Prinzip, einer branchenbezogenen und wettbewerbsneutralen Sozialabgabe, mit der ganze Wirtschaftszweige humanitäre Projekte in Entwicklungsländern finanzieren. (Siehe auch Globalisierung - Schicksal oder Chance auf Seite 8ff.)
Er führte aus, daß es im Eigeninteresse der Wirtschaft liege, aktive Entwicklungshilfe zu leisten, wobei eine nachhaltige Entwicklung den Aufbau einer tragfähigen Sozialstruktur vorraussetze. Langfristig könne man nur mit starken Partnern Handel treiben. Dies gelte sowohl für die Entwicklungsländer, die sich in einem Teufelskreis aus Armut, Ernährungs- und Gesundheitsmängeln und Arbeitslosigkeit befänden, aber auch für die immer größer werdende Zahl der Mittel- und Arbeitslosen in den Industrieländern.
Die von Prof. Yunus seit 1976 entwickelte Idee einer Dorfbank, die nur den Mittellosen und vor allem Frauen Kleinkredite gewähre, sei ein wesentlicher Beitrag, Menschen, die bisher durch Geldmangel am Einsatz ihrer Arbeitskraft gehindert wurden, ihre Handlungsfähigkeit und somit ihre Menschenwürde wiederzugeben.
Der Erfolg des Konzepts spreche für sich: Rückzahlungsquoten von 98%, ein verliehenes Gesamtkapital von über zwei Milliarden Dollar, mit dem sich mehr als 8 Millionen Menschen eine Existenz aufbauen konnten, und die Übernahme der Idee durch bisher 50 Länder.
Dazu ergänzte Yunus in seinem Redebeitrag: Ein Projekt, das vor 19 Jahren damit begann, daß er 42 Menschen 27 Dollar lieh, habe beim Mikrokredit-Gipfeltreffen in Washington zu dem Beschluß geführt, eine weltweite Bewegung in Gang zu setzen, um 100 Millionen der ärmsten Familien der Welt mit Krediten zu erreichen. Damit wäre der Hälfte der Bedürftigen dieser Welt ein Werkzeug gegeben, um sich aus der Lohnsklaverei, Armut und Not zu befreien.
So ehrgeizig dieses Vorhaben auch ist, realisierbar ist es durchaus. Dies zeigen die exponentiellen Wachstumsraten der GRAMEEN-BANK. Es dauerte 18 Jahre, bis die erste Kreditmilliarde verliehen war, aber nur zwei Jahre, um diesen Betrag zu verdoppeln.
Die beste Antwort auf die Frage nach der Realisierbarkeit eines solchen Vorhabens gab Muhammed Yunus selbst: „Wir schaffen Institutionen und politische Maximen, die auf Vermutungen und Annahmen aufbauen, die wir über uns selbst und die Menschen haben. Wir akzeptieren es als Tatsache, daß es immer arme Menschen um uns herum geben wird. Aus diesem Grunde gibt es arme Menschen in unserem Umfeld!
Hätten wir daran geglaubt, daß Armut für uns inakzeptabel ist, daß sie nicht in eine zivilisierte Gesellschaft gehören sollte, hätten wir angemessene Institutionen entwickelt, um eine Welt frei von Armut zu schaffen.
Wir wollten auf den Mond fliegen - also haben wir es getan. Erreichen wir etwas nicht, so fällt mein erster Verdacht auf die Nachhaltigkeit unseres Verlangens, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.“
- - Roland Greis
 
  
 
  
     
    
Am 25. Juni 1997 verlieh der Club of Budapest den »Preis für planetarisches Bewußtsein« an Michael Gorbatschow, Huschmand Sabet und Muhammed Yunus. Der ehemalige deutsche Bundespräsident, Richard von Weizsäcker, bekräftigte in der Laudatio Gorbatschows Forderung nach einer Zivilisierung des Kapitalismus.
 
Die Preisträger Muhammed Yunus, Huschmand Sabet und Michael Gorbatschow zusammen mit Victor Laszlo (v.l.n.r).
Der Wirtschaftsprofessor Muhammed Yunus glaubt, daß Armut nur vorhanden ist, weil wir Armut akzeptieren.
  
SCHICKSAL ODER CHANCE Globalisierung[Bearbeiten]
Das Ende der alten Ordnung — oder:
Wie kommen wir zu einer umwelt- und sozial gerechten Wirtschaft und Politik?
Peter Spiegel
Noch bis vor wenigen Jahren hatten wir eine relativ geordnete Unordnung in
der Welt. Einige wenige Nationalstaaten konzentrierten einen immer
größeren Anteil wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, politischer und 
militärischer Macht in ihren Händen - und regierten auf dieser Grundlage die
wesentlichsten Rahmensetzungen für die sich globalisierende Welt. Die Großmächte 
gruppierten zwei einander gegenüberstehende Machtblöcke um sich, den restlichen 
Nationen blieb nicht viel mehr übrig, als sich mehr oder minder
geschickt in diese Ordnung der Ungleichen einzupassen.
Zwei Prozesse haben diese alte Weltordnung in jüngster Zeit jedoch aus ihren Angeln gehoben:
- 1. - die Verabschiedung eines der beiden Blöcke und des damit verbundenen Weltkonzeptes des Sozialismus aus dem globalen Systemwettstreit
 
und
- 2. - die Turbo-Globalisierung der Wirtschaft, die sich immer mehr von den sie einst tragenden Nationalstaaten unabhängig erklärte.
 
Das Ergebnis ist eine „neue Weltunordnung", ein Wettstreit aller gegen alle mit immer weniger Spielregeln und immer größeren Risiken für alle.
Von der egoistischen Weltordnung der Nationalstaaten ...
Die entscheidenden „global players“ in der alten Weltordnung waren die im obigen Sinne mächtigen Nationen. Deren Handeln orientierte sich in der Innen- wie Außenpolitik, in der Wirtschafts- wie Sozialpolitik vornehmlich an ihren egoistischen „nationalen Interessen“. Das „freie Spiel“ der höchst ungleich mächtigen nationalen Interessen bildete die sogenannte „Realpolitik“.
In der Praxis bedeutete „Realpolitik“ nichts anderes als den Ersatz von ethischer Orientierung durch nationale Interessen, eine „Verdrängung der transzendent begründeten Moral aus dem Felde der Politik“1). Der „Freiraum“ für die geschickte „Wahrnehmung der eigenen Interessen“ gegenüber anderen Nationen beziehungsweise für die Rechtfertigung extrem ungleicher Entwicklungschancen war in dieser alten Weltordnung fast grenzenlos.
Das Ergebnis dieser realpolitischen Selbstfreisprechung von globalethischer Verantwortung2) ist eine Welt, in der die Extreme von arm und reich, mächtig und ohnmächtig, frei und unfrei regelrecht explodieren konnten.
In dieser nationalen Interessenwelt und Machtkonstellation waren auch internationale Einrichtungen wie die Vereinten Nationen kaum mehr als Spielbälle der ungehemmt selbstsüchtigen nationalen Interessen. Ich nenne diese Weltordnung daher „inter-national governance“ im deutlichen Unterschied zu einer „global governance“.3)
An einer wirklichen „global governance", die unverzichtbaren und zivilisierten politischen Grundanforderungen wie Handlungsfähigkeit oder Demokratie gerecht werden würde4), bestand seitens der Mächtigen im Rahmen der alten Weltordnung kein gesteigertes Interesse. Auch fiel es dem Weltkonzert der traditionellen Nationalstaatsinteressen sehr schwer, „greifbare, kurzfristige nationale Interessen zu Gunsten wenig greifbarer, langfristiger globaler Interessen zurückzustellen“.5)
Die nationale Selbstsucht führte nach einer UNO-Zählung inzwischen zu einem Problemstau
von nicht weniger als 14.300 globalen Problemen beziehungsweise Problemen, die nur durch 
global abgestimmtes Handeln gelöst werden können.6) Ein Teil der Welt - die 
wohlhabenden Industrienationen - war in dieser alten Weltordnung 
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wenigstens halbwegs „in Ordnung“, allerdings auf Kosten immer größerer Unordnung in
immer weiteren Regionen und Themenfeldern der Welt. In einer globalisierten Welt mußten die
zwangsläufig mit-globalisierten Probleme jedoch irgendwann auch auf die bisherigen Gewinner
der globalen Hackordnung zurückschlagen.
.. zur super-egoistischen Weltunordnung der Globalisierung
Die entscheidenden „global players“ in der neuen Weltunordnung, die sich durch die einseitige Globalisierung der Wirtschaft herausbildet, sind nun nicht mehr Nationen, sondern Wirtschaftseinheiten. Sich rasant globalisierende Unternehmen lösten sich aus den Nationalökonomien und damit aus nationaler Steuerbarkeit. Die „global players“ der Wirtschaft lassen sich immer weniger durch nationale Interessen beeindrucken — auch nicht mehr durch die Interessen der „mächtigen“ Nationen. Sie zwingen umgekehrt ihre Interessen den immer ohnmächtiger werdenden Nationalstaaten auf und bestimmen dadurch immer nachhaltiger die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Innen- und bald auch die Außenpolitik aller Länder.
Die neuen „global players“ spielen mit den alten: „In einer globalen Zangenbewegung hebt die neue Internationale des Kapitals ganze Staaten und deren bisherige gesellschaftliche Ordnung aus den Angeln. An der einen Front droht sie mal hier, mal dort mit Kapitalflucht und erzwingt so drastische Steuerabschläge sowie milliardenschwere Subventionen oder kostenlose Infrastruktur. Wo das nicht wirkt, hilft Steuerplanung im großen Stil: Gewinne werden nur noch in den Ländern ausgewiesen, wo der Steuersatz auch wirklich niedrig ist. Weltweit sinkt der Anteil, den Kapitaleigner und Vermögensbesitzer zur Finanzierung staatlicher Aufgaben beitragen. Auf der anderen Seite fahren die Lenker der globalen Kapitalströme das Lohnniveau ihrer steuerzahlenden Beschäftigten kontinuierlich nach unten .."7)
Im unteilbar globalen Wettstreit um die besten Standortbedingungen werden jetzt alle Nationalstaaten - unabhängig von ihrer Größe oder ehemaligen Macht - in einen gnadenlosen Konkurrenzkampf gedrängt.
Die Industrie- und Wohlstandsnationen beherrschten mit ihrer technologischen Übermacht lange Zeit die lukrativen globalen Märkte. Trotz hoher Löhne waren sie konkurrenzüberlegen, weil ihre Autos dank High-Tech-Einsatz immer noch konkurrenzfähige Stückpreise hatten, weil ihre Flugzeuge konkurrenzlos hohe Technologieansprüche erfüllten, weil sie über bessere Finanzierungsinstrumente und Lobbies verfügten.
Doch die Lohnkluft zwischen Wohlstands- und Armutsnationen ist nunmehr so groß geworden, daß es sich für immer mehr globale Unternehmen lohnt, in sogenannte Billiglohnländer auszuweichen oder zumindest damit zu drohen. Dadurch geraten die alten Hochlohnländer in einen gegenseitigen Konkurrenzkampf, wer am schnellsten den Sozialstaat abbaut, Steuern senkt8) und ökologische Standards herunterschraubt. In meinem Buch „Das Terra-Prinzip" weise ich nach, daß dies erst der Anfang ist. Durch den globalisierten Kapitalmarkt sowie die globalisierte Informations- und Transportwelt verbleibt letztlich kein einziger Standortvorteil mehr in den alten Industrienationen. In unterschiedlichen Schüben werden wegen der extremen Wohlstandslücke, die wir unbedacht und bedenkenlos wuchern ließen, in sehr kurzer Frist letztlich alle Standortvorteile vom Norden in den Süden und Osten abwandern.9)
Die alten mächtigen Industrienationen sehen sich unvermittelt in einen Konkurrenzkampf der Selbstauflösung des Politischen gedrängt: „Wenn aber Regierungen in allen existentiellen Zukunftsfragen nur noch auf die übermächtigen Sachzwänge der transnationalen Ökonomie verweisen, gerinnt alle Politik zu einem Schauspiel der Ohnmacht.”10) Was auf diesem Wege übrig bleibt ist „globalization governance“, die Resignation nationaler Politik vor den scheinbar unumstößlichen Erfordernissen der Globalisierung oder, andersherum formuliert: die Alleinherrschaft eines anonymen, weder demokratisch legitimierten noch ethisch verpflichteten noch rechtlich gezügelten Weltmarkts. Nationale wie inter-nationale Politik sitzt im Schwitzkasten der ökonomischen Globalisierung fest.
Die unerwartete Chance für eine weltweite Diskussion über eine neue globalverträgliche Regierungskunst
Sind wir nicht bereits an dem Punkt angelangt, da uns nur noch der Einstieg in eine 
echte „global governance“, die dem (Welt-) Volk die demokratische Souveränität über 
sein Schicksal zurückgibt, vor der sich ausbreitenden „globalization governance”, 
der sozial- und umweltblinden Herrschaft
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des Marktes, bewahren kann? Müssen in dieser Situation nicht endlich selbst die Auguren der alten nationalstaatlichen Macht in purem Eigeninteresse über eine neue global orientierte und
gobalverträgliche Regierungskunst nachdenken? Sind inzwischen nicht alle Völker der Erde auf eine
demokratische und handlungsfähige „global governance“ angewiesen, die der Weltwirtschaft
sinnvolle ökologische und soziale Rahmenbedingungen setzen kann?
Noch fällt es vielen Politikern schwer, sich politische Strukturen jenseits der heutigen nationalstaatlichen Welt vorzustellen. Die dramatische Erosion ihrer Handlungsfähigkeit zwingt sie jedoch zur Entwicklung von solcherart Phantasie und Nachdenklichkeit. Und sie erhalten dabei immer kräftigere Schützenhilfe auch und gerade aus der Wirtschaft:
Die neue Interessenlage der globalisierten Wirtschaft
Es ist ein populärer Irrtum zu glauben, die Wirtschaft habe ein zwangsläufiges und urtümliches Interesse an der Schwächung von Ethik und Politik und damit an der derzeit ablaufenden Form einer nahezu ethik- und politikfreien Globalisierung der Wirtschaft.
Die Wirtschaft war „ihrem Wesen und Drange nach“ schon immer „grenz- und kulturüberschreitend“ und dadurch zu allen Zeiten „über Waren-, Wissens-, Ideen- und Kulturaustausch ein nicht zu vernachlässigender Motor jeder Kulturentwicklung.“11) Ist es nicht vielmehr ein Versagen von traditioneller Politik und Religion, daß diese keine Ethik und keine politischen Handlungsstrukturen schufen, die der Globalisierung aller Lebensbereiche angemessen wären? Ist die Globalisierung nicht ein universelles Entwicklungsphänomen, das nur deshalb zu einem Problem wurde, weil sich die vier Grundbereiche der Gesellschaft - Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Religion - nicht im gleichen Tempo globalisierten und sich dadurch auf der neuen Organisationsebene des menschlichen Lebens nicht gegenseitig ausbalancieren konnten?12)
Der einzelne Akteur in der Weltwirtschaft, sprich: das einzelne Unternehmen sucht seinen Wettbewerbsvorteil unter den real vorhandenen Bedingungen des Weltmarktes. Dies bestimmt notwendigerweise die Hauptlinien seines Handelns, denn er weiß, daß seine Mitkonkurrenten dasselbe tun. Auf diese Weise entstehen die ökologisch und sozial verheerenden Globalisierungssachzwänge. Existiert jedoch eine globalethisch motivierte und handlungsfähige Politik, die faire Rahmenbedingungen für alle Akteure am Weltmarkt setzt, so ist das für die Wirtschaft nicht nur kein Problem, sondern ganz im Gegenteil: Dies nutzt auch ihren Interessen an einer langfristigen Sicherung ihrer Existenzgrundlagen und an gesicherteren Rahmenbedingungen für eine fairere Konkurrenz in geordneteren Bahnen.
So ist es kein Zufall, daß die radikalsten Forderungen in Richtung auf eine globale öko-soziale Rahmenpolitik heute ausgerechnet aus der Wirtschaft kommen:
▪ Der Präsident der HARVARD CAPITAL GROUP, WILLIAM KNOKE, meint: „Der Beibehalt unserer nationalen Souveränität steht längst nicht mehr zur Debatte; gegenwärtig sind Kräfte am Werk, die weit über unseren Rahmen hinausgehen und den Nationen bereits jede Möglichkeit genommen haben, die Zukunft im Alleingang zu bewerkstelligen ... Wir brauchen eine globale Regierungsform .. Monetarismus13) und Keynesianismus14) funktionieren am besten in geschlossenen Volkswirtschaften. Das ist heute unser gesamter Erdball.“15) Das heißt: Wirtschaftspolitische Steuerungsinstrumente wie Fiskal- und Sozialpolitik sind erst dann wieder einsetzbar, wenn es eine Weltregierung und eine globale Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt.
▪ Analoges gilt für die notwendigen ökologischen Maßnahmen. Die Unternehmer JÜRGEN HOPFMANN 
und GEORG WINTER - Gründer von über 30 grünen Unternehmerverbänden in allen fünf
Kontinenten - fordern eine einschneidende globale 
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ökologische Steuerreform, weil die Spielräume für eine nationenweise Einführung derselben
viel zu eng sind: „Der direkte Zugang zum Weg der ökosozialen Wende ist heute noch politisch
verbaut... Die globalen Probleme unserer Zeit werden aber erst im Maßstab einer ökosozialen
Weltwirtschaft gelöst werden können. Das Programm der sozialen und ökologischen Umsteuerung 
zur Erhaltung der Schöpfung kennt deshalb keine nationalen Grenzen.“16)
▪ Und FRANZ JOSEF RADERMACHER, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm: „Wir können eine Deckelung des Naturverbrauchs durchsetzen und dann über marktwirtschaftliche Mechanismen dafür sorgen, daß wir unter diesen Randbedingungen eine optimale Wirtschaftsstruktur bekommen. Der Markt hat damit kein Problem. Nur: Diese globale Limitierung der Ressourcennutzung muß als bewußte Entscheidung herbeigeführt werden - und zwar weltweit .. Der Mechanismus, auf den wir uns einlassen müssen, ist eine globale Ökosteuer, wohlgemerkt: eine globale ...17) Deshalb brauchen wir auch neue Mechanismen und Institutionen. Und weil der globale Pakt im wohlverstandenen Interesse aller liegt, ist er überhaupt nicht unrealistisch.“18)
▪ STEPHAN SCHMIDHEINY und FEDERICO ZORRAQUÍN — die Leiter des „World Business Council for Sustainable Development“, das 125 führende global agierende Unternehmen repräsentiert - meinen: „Die politischen Veränderungen sind (von der Sache her) einfach, aber (mit den heutigen inter-nationalen politischen Systemen) schwierig durchzuführen.19) Daher treten sie für ein völlig neuartiges wirtschaftliches Lobbying zugunsten globalpolitischer Handlungsfähigkeit ein: „Die Zeit ist reif, daß Unternehmen Organisationen schaffen oder ihnen beitreten, die auf neue Art mit den Regierungen bei der Schaffung politischer Rahmenbedingungen zusammenarbeiten, die die Ökoeffizienz unterstützen und honorieren."20)
▪ Der neue Vordenker-Club „Die Gruppe von Lissabon” - ebenfalls von überzeugten Marktwirtschaftlern dominiert - stellt gar den Kern der heutigen Markt-Philosophie, den Sinn von Wettbewerb, in Frage: „Wettbewerbsfähigkeit darf nicht das Leitprinzip der Visionen, Strategien und Handlungen der Menschen in dieser Übergangszeit sein. Sie ist machtlos gegenüber den globalen sozio-ökonomischen Schlüsselproblemen wie der wachsenden Armut, der Abkoppelung der reichen Länder vom Rest der Welt und der Umweltzerstörung.“ Deren Empfehlung lautet daher: eine „Anpassung der nach wie vor auf Nationalstaaten gegründeten Steuerung der Weltpolitik und Weltgesellschaft an die rasch wachsende globale Wirtschaft“, konkret: die Einführung von „Regeln, Prozeduren und Institutionen der politischen Steuerung auf derselben Ebene, auf der auch die globalisierte Wirtschaft operiert“.21) Nur so kann die Politik die immer asozialer werdende Marktwirtschaft wieder zu einer sozialen Dynamik zähmen.
Gerechtigkeit ist nicht länger Ziel, sondern Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft und Politik
Die Internationale Bahá’í-Gemeinde, die offizielle Vertretung der Bahá’í bei den Vereinten Nationen, veröffentlichte 1995 zwei denkwürdige Erklärungen anläßlich des Weltsozialgipfels in Kopenhagen - „Entwicklungsperspektiven für die Menschheit. Ein neues Verständnis von globalem Wohlstand“ - sowie zum 50. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen — „Wendezeit für die Nationen. Vorschläge zum Thema Global Governance“.
In der ersten Erklärung werden die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung diskutiert. Alle dortigen Überlegungen bauen darauf auf, daß bei dem heute erreichten Globalisierungsgrad kein Konzept, keine Institution und kein Instrument mehr wirksam sein können, wenn sie nicht auf der globalen Ebene umwelt- und sozial gerecht sind:
„Gerechtigkeit ist die herausragende Macht, die das erwachende Bewußtsein für die Einheit
der Menschheit in einen gemeinsamen Willen umsetzen kann. Erst durch diesen gemeinsamen
Willen können die für ein globales Zusammenleben notwendigen Strukturen mit Aussicht auf
Erfolg errichtet werden. Ein Zeitalter, das Zeuge davon ist, wie die Menschen weltweit immer
mehr Zugang zu allen Arten von Information und einer Vielfalt von Ideen erlangen, wird erkennen,
daß sich Gerechtigkeit als das vorherrschende Prinzip für eine erfolgreiche Sozialstruktur 
durchsetzen muß. Vorschläge, die auf eine Entwicklung des Planeten abzielen, werden sich nur 
dann als erfolgreich erweisen, wenn sie den klaren 
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Maßstäben der Gerechtigkeit standhalten.”22) Ohne Gerechtigkeit also keine 
Steuerbarkeit mehr für das Raumschiff Erde!
Die Vorschläge des zweiten Statements zu einer neuen Art von „global governance” werden nicht einfach als praktischer Ausdruck einer neuen globalpolitischen Vision gesehen, sondern als Konkretisierung eines Ethos, der der globalen Wirklichkeit gerecht wird. Ob wir uns für oder gegen die Einführung einer Welthilfssprache aussprechen, die in allen Schulen der Welt neben der Muttersprache gelehrt werden soll, ob wir uns für oder gegen eine Weltwährung, ein Schulfach Weltethos oder einen gleichen Zugang zum Weltwissen für alle entscheiden, ist weit mehr eine Frage unserer ethischen Reife als einer politischen Ausrichtung.
Schritte zu einer globalen und gleichzeitig dezentralen Wirtschaftspolitik und Regierungskunst
Auch wenn klar ist, daß die Entscheidungslücke zwischen globalisierter Wirtschaft und globalisierten Problemen einerseits und nationaler Politik andererseits dringend durch globale Handlungsstrukturen überwunden werden muß, so bedeutet dies keineswegs eine weitere Zentralisierung von Politik und Konzentration in der Wirtschaft. Ganz im Gegenteil:
▪ Dezentralisierung der Politik durch demokratische Strukturen auf globaler Ebene. Der weitaus größte Teil der heutigen überbordenden Bürokratien in aller Welt existiert nur deshalb, weil es viel zu wenige globale und endlos viele nationale und lokale Standards gibt, die mit einem Riesenaufwand in täglicher Sisyphosarbeit umgerechnet, abgestimmt, angeglichen, aufgerechnet, zugeordnet, kurz: ohne jeglichen wirtschaftlichen oder sonstigen Nutzen schlicht „übersetzt“ werden müssen. Diese Art von Vielfalt ist keine Vielfalt der Substanz, sondern eine provinzielle Einfalt in der Vielheit.
Das Prinzip, auf dem eine neue Weltordnung aufgebaut werden muß, heißt Subsidiarität: Globale Entscheidungsstrukturen und globale Standards für globale Belange, regionale Strukturen für regionale Belange und lokale für lokale. Noch einmal William Knoke: „Das neue Jahrtausend wird dadurch gekennzeichnet sein, daß die Macht der großen Nationalstaaten zunehmend an lokale Verwaltungsbehörden abgegeben werden wird, und umgekehrt dadurch, daß es zu einer Verschiebung der Macht an supranationale, möglicherweise globale Behörden kommen wird.“ 23) Wenn die wenigen ihrem Wesen nach globalen Themen global geregelt werden, wird man entdecken, daß unvergleichlich mehr Themen als heute bürgernah „vor Ort“ entschieden werden können.
Die künftige Weltordnung wird auf der einen Seite eine demokratisch legitimierte Weltregierung für überschaubare Kernthemen wie Frieden und globale öko-soziale Standards umfassen und gerade deshalb auf der anderen Seite soweit wie irgend möglich dezentrale Strukturen, denn künftige Generationen werden ihren wertvollsten gemeinsamen Schatz im Schutz und in der Weiterentwicklung ihrer individuellen und regionalen kreativen Vielfalt sehen.
▪ Dezentralisierung der Wirtschaft durch Nord-Süd-Ausgleich. Sobald sich die sozialen Lebensbedingungen und ökologischen Standards weltweit angleichen, wird sich mehr als 90% des heutigen Warentransfers ökonomisch nicht mehr rechnen und damit verschwinden. Die regionale Vielfalt bekäme wieder erheblichen Aufschwung - bereichert durch einen globalen Informationsaustausch, aus dem man für die eigene und selbstbestimmte Entwicklung unerschöpfliche Impulse entnehmen kann.
Ein neues Entwicklungs-Knowhow
In den beiden erwähnten Erklärungen der Internationalen Bahá’í-Gemeinde finden sich eine Fülle von praktischen Vorschlägen, wie wir aus der Falle der einseitigen wirtschaftlichen Globalisierung wieder herausfinden können, oder genauer: wie wir die enormen Wohlstandszuwächse aus der Globalisierung der Wirtschaft fair, ausgewogen, umweltverträglich und ohne eine verhängnisvolle Überbetonung des Materiellen sinnvoll nutzen können.
Die Menschen in den alten Industrienationen müssen rasch erkennen, daß sie ihre eigene Zukunft nur noch sichern können, wenn sie ihren Wohlstand nicht länger in einer „Festung Europa“ zu verteidigen suchen, was ohnehin nicht mehr möglich ist. Sie müssen die unteilbare Zukunft der Menschheit und damit auch ihre eigene wahrnehmen und mitgestalten
▪ in der Überwindung der Nord-Süd-Kluft «in der Etablierung einer globalen Wirtschafts- und Sozialpolitik
▪ in der Gestaltung einer demokratischen Global Governance
▪ in der Akzeptanz einer Ethik des globalen Zusammenlebens
▪ in der Schaffung einer globalen Sicherheitsordnung.
Zum Abschluß seien nur drei von zahlreichen praktischen Instrumenten genannt, mit denen diese unumgänglichen Ziele zügig umgesetzt werden können:
▪ Regionale Entwicklungshochschulen. Der Bahá’í DR. FARZAM ARBAB gründete vor einigen Jahren in Bolivien und Kolumbien zwei völlig neuartige Bildungseinrichtungen, die man als „Regionale Entwicklungshochschulen“ bezeichnen könnte. Die Universität NUR und die Stiftung FUNDAEC vermitteln kein Wissen, das fast nur in Städten gebraucht wird, sondern genau umgekehrt: ein Wissen für ländliche Entwicklung. Sie unterrichten nicht städtische Bildungsbürger, sondern Menschen vom Lande. Alles erworbene Wissen wird nicht für späteres Handeln „gespeichert“, sondern sofort in praktischen Entwicklungsprojekten angewandt. Technologie wird nicht einfach aus den Industrieländern transferiert, sondern neu entwickelt im Hinblick auf die Bedürfnisse, die die Menschen vor Ort definieren. Kurz: Vermittelt wird das gesamte Spektrum eines neuartigen „Entwicklungs-Knowhows“.
Die alten Industrienationen könnten diese Entwicklung unterstützen durch Kooperationen ihrer Universitäten mit diesen neuartigen Regionalen Entwicklungshochschulen - allerdings auf der Basis, daß sie ihre besserwisserische Position aufgeben und eine dienende annehmen. Dadurch könnte auch der Norden eine neuartige Technologie mitentwickeln für den Weg von zwei Milliarden Menschen aus einer unwürdigen Armut.
▪ Kredite für menschliches Potential. Der Muslim und Wirtschaftsprofessor MUHAMMAD YUNUS entwickelte in Bangladesh ein Bankensystem, das ausschließlich den Allerärmsten Kredite gibt - im Durchschnitt nicht mehr als 200 Mark. Dieses Konzept erwies sich überraschenderweise sowohl unter sozialen und humanitären als auch unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten als außerordentlich erfolgreich. Allein in Bangladesh konnten sich bereits über zwei Millionen Menschen, von denen 100% absolut mittellos waren, selbst aus der absoluten Armut befreien - und sie zahlten ihre Kredite zu 98% pünktlich zurück! Mehr noch: Sie führten aus eigener Initiative hohe soziale Maßstäbe für ihr Zusammenleben ein24) und gewannen durch die Kleinstkredit-Hilfe zur Selbsthilfe ein Selbstwertgefühl, wie es niemand für möglich hielt. Außerdem erwies sich dieses Programm als das bisher wirkungsvollste Mittel zur Befreiung der Frauen (93% der Kleinstkreditempfänger sind Frauen, da sie sich als die eindeutig besseren „Investoren aus der Armut“ erwiesen).
Die Menschen in den alten Industrienationen können diese Entwicklung unterstützen, indem sie z.B. ein Programm der weltweiten Kleinstkredit-Bewegungen unterstützen, durch das bis zum Jahr 2005 mindestens 100 Millionen Familien in den Genuß von Kleinstkrediten kommen sollen. Das hieße eine Halbierung des heutigen Stands der absoluten Armut in der Weit!
▪ Weltbürger-Ethos an den Schulen. In einer Entscheidungsvorlage der Internationalen Bahá’í-Gemeinde zum Kopenhagener Weltsozialgipfel 1995 heißt es: „Wir empfehlen, daß in allen Schulen Weltbürger-Ethos gelehrt werde und daß der Einheit der Menschheit — das dem Weltbürger-Ethos zugrundeliegende Prinzip - in allen Nationen Geltung verschafft werden möge.25)
Die besten Einsichten, Perspektiven und Projekte können nicht greifen, wenn die Grundlage dafür fehlt. Diese besteht in der Vermittlung und Verbreitung von Wissen über die globalen Zusammenhänge und über globalverträgliche Lösungsansätze. Eine neue Generation von Bürgerinitiative kann sich dafür einsetzen, daß es an allen Bildungseinrichtungen möglichst rasch entsprechende Angebote in Weltbürgerkunde gibt - zunächst auf freiwilliger Basis wie z.B. in Projektwochen, aber mit der Perspektive, dies als eigenes Schulfach zu etablieren.
1) - H. MÜNKLER: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz. Frankfurt 1982, S. 281.
2) - Hans Küng prägte hierfür den Begriff Weltethos. Siehe: HANS KÜNG, KARL-JOSEF KUSCHEL: Erklärung zum Weltethos. Die Deklaration des Parlaments der Weltreligionen. München 1993.
3) - PETER SPIEGEL: Das Terra-Prinzip. Das Ende der Ohnmacht in Sicht: Wirtschaftler werden Revolutionäre. Stuttgart 1996, S. 210f.
4) — YEHEZKEL DROR: Ist die Erde noch regierbar? Ein Bericht an den Club of Rome. München 1995. In diesem Bericht werden erstmals von einem renommierten Politikwissenschaftler die ethnischen und strukturellen Anforderungen an eine echte „global governance“ jenseits inter-nationaler Realpolitik konsequent und kompromißlos herausgearbeitet. Es ist bezeichnend, daß er dafür noch im Jahre 1995 von Seiten der „Realpolitiker“ vornehmlich Spott erntete.
5) - HANS Küng: Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft. München 1997, S.95.
6) - PETER SPIEGEL: Das Terra-Prinzip, S.16.
7) - HANS-PETER MARTIN, HARALD SCHUMANN: Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand. Reinbek bei Hamburg 1996, 5.17.
8) — Laut einer Statistik, die Harald Schumann zusammenstellte, haben globalisierte Unternehmen durch geschickte Verschiebung ihrer Gewinne in Niedrigsteuerländer in den vergangenen 15 Jahren ihre Abgaben bereits um 60% reduzieren können. Damit die großen Weltkonzerne überhaupt noch Steuern in den alten Industrienationen zahlen, müssen diese Länder nun ihre Steuerquoten dramatisch reduzieren.
9) - PETER SPIEGEL: Das Terra-Prinzip. Kapitel „Abschied von der Ohnmacht“, S. 57ff.
10) - HANS-PETER MARTIN, HARALD SCHUMANN: Die Globalisierungsfalle, S. 20.
11) - PETER SPIEGEL: Nord-Süd und die Unteilbarkeit der Erde. In: Willy Brandt u.a.: Eine Welt - ein Schicksal. Zusammenbruch oder Aufbruch. Frankfurt/M. 1992, S. 41.
12) - HUSCHMAND SABET: Der Übergang. Vom Global Crash zur Weltidentität. Stuttgart 1994, S. 43ff.
13) - Wirtschaftspolitik mittels Steuerung der Geldmenge.
14) - Wirtschaftspolitik mittels antizyklischer staatlicher Gegensteuerung, benannt nach JOHN MAYNARD KEYNES (1883-1946).
15) - WILLIAM KNOKE: Kühne neue Welt. Leben in der ‚placeless society‘ des 21. Jahrhunderts. Wien 1996, S. 367f.
16) - JÜRGEN HOPFMANN, GEORG WINTER: Zukunftsstandort Deutschland. Das Programm der umweltbewußten Unternehmer. München 1997, S. 211 u. S.106.
17) - FRANZ JOSEF RADERMACHER ergänzt hierzu: „Den ersten Schritt zu tun, beispielsweise mit einer ökologischen Steuerreform, wäre aus dieser Perspektive falsch.“ Er hebt sich damit bewußt von gut gemeinten, aber zu kurz greifenden Ansätzen ab, wie der von BUND und Misereor in Auftrag gegebenen Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ (Basel 1996) oder Wolfgang Kesslers „Wirtschaften im dritten Jahrtausend. Leitfaden für ein zukunftsfähiges Deutschland“ (Oberursel 1996).
18) - Franz Josef Radermacher: Tanz auf dem Vulkan in ZEIT-Punkte Nr. 6/1995, S. 62f.
19) STEPHAN SCHMIDHEINY, FEDERICO ZORRAQUÍN: Finanzierung des Kurswechsels. Die Finanzmärkte als Schrittmacher der Ökoeffizienz. Zürich 1996, S. 249.
20) - Ebenda, S.126. Siehe auch: STEPHAN SCHMIDHEINY: Kurswechsel. Globale unternehmerische Perspektiven für Entwicklung und Umwelt. 2. Auflage. München 1992.
21)- DIE GRUPPE VON LISSABON: Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit. München 1997, S.149 u. 164.
22} — ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN FÜR DIE MENSCHHEIT. Zit. n.: Zukunftsfähig. Perspektiven einer globalverträglichen Entwicklung. Stuttgart 1996, S. 21f.
23) - WILLIAM KNOKE: Kühne neue Welt, S. 344.
24) - BARBARA J. RODEY: The Spiritual Dimensions of Microfinance. Towards a Just Civilization and Sustainable Economy. European Bahá‘í Business Forum. Tucson/Arizona 1997.
25) - WELTBÜRGER-ETHOS. Eine globale Ethik für nachhaltige Entwicklung. Eine Erklärung der Bahá‘í International Community zum Weltsozialgipfel in Kopenhagen. Hofheim/Ts. 1995, S. 4f.
  
  
Die Rolle der Wirtschaft in der neuen Weltordnung[Bearbeiten]
- GERHARD SCHWETER
 
  
Religiöse Gebote, Verordnungen und Prinzipien haben immer schon einen entscheidenden Einfluß auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten des jeweiligen Zeitalters ausgeübt. Dies gilt im besonderen für jene historischen Zeiten, in denen die Religionen für das Verhalten des einzelnen bestimmend gewesen waren. Die Umsetzung religiös motivierter Normen hat die wirtschaftlichen Aspekte des Alltagslebens bestimmt. Man denke etwa an geforderte Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Fleiß, Bescheidenheit, Dienst am Nächsten und ähnliches, oder den Glauben an ein unverrückbares Kastensystem und eine vorgegebene soziale Ordnung. Solche und ähnliche allgemein akzeptierte Glaubensinhalte haben die wirtschaftlich relevanten Aktionsparameter einer Gesellschaft in weit höherem Ausmaß bestimmt, als alle modernen nationalökonomischen Theorien zusammengenommen.
Es ist kaum zu bezweifeln, daß die wirtschaftliche Entwicklung seit der industriellen 
Revolution für einen begrenzten Teil dieser Welt einen deutlichen materiellen Fortschritt 
gebracht hat. Doch in den letzten Jahren sieht man auch in verstärktem Ausmaß die 
Negativseiten dieses Fortschrittsprozesses. Man ist kritisch geworden. Es wurde erkannt,
daß der Preis hoch, die Ungerechtigkeit groß und die geographische Verteilung unausgewogen 
ist. Unbehagen macht sich breit. Ist dieses nun berechtigt, oder entspringt es
eher einem irrationalen Zeitgeist, getragen von einer undankbaren
und übersättigten Jugend? Jedenfalls scheint es unbestreitbar zu sein: 
die westlichen Errungenschaften, die sich in der europäischen Moderne 
durchgesetzt haben, bescherten der Welt viel Großes, aber nicht nur 
Gutes, nämlich:
▪ Wissenschaft, aber keine Weisheit, um den Mißbrauch wissenschaftlicher Forschung zu verhindern.
▪ Technologie, aber keine geistige Energie, um die Risiken einer ausufernden Großtechnologie in den Griff zu bekommen.
▪ Industrie, aber keine Ökologie als Gegengewicht gegen die stets expandierende Ökonomie.
▪ Demokratie, aber keine gesellschaftliche Moral.1)
Eines ist gewiß: am Ende des zweiten Jahrtausends haben die
modernen Großideologien abgewirtschaftet. Und zwar nicht nur in
bezug auf ihre theoretische Akzeptanz, sondern auch in bezug auf ihre
konkreten Auswirkungen. Und das betrifft nicht nur die revolutionäre
Fortschrittsideologie des sowjetischen Ostens, sondern genauso die
technologische Wachstumsideologie des Westens. Aber ihre Persistenz
ist immer noch beträchtlich. Und besonders der Kapitalismus westlicher 
Prägung scheint in allerjüngster Zeit im Zuge des Wiedererstarkens des 
Neoliberalismus, bedingt durch den erzwungenen Abbau des
Sozialstaates, an Boden zu gewinnen. Das ist auch der Grund, warum
eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen 
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wirtschaftlichen Einflußgrößen ein merkwürdig zwiespältiges Bild ergibt. 
Aber dies scheint wiederum mit dem herrschenden postmodernen Zeitgeist zu 
korrelieren (Anything goes!). Es sieht manchmal so aus, als ob wir uns
gleichzeitig in mehreren verschiedenen Welten befänden.
Einerseits ist den Menschen klar geworden, daß wirtschaftlicher Fortschritt als Selbstzweck weltweit inhumane Folgen zeitigt. Man denke nur an die Zerstörung der natürlichen Umwelt und an den Verlust der menschlichen Dimension im Arbeitsprozeß. Weitere Stichworte wiederholen sich alltäglich in den Medien: Ressourcenknappheit, Umweltverschmutzung, Waldsterben, Treibhauseffekt, Ozonloch, Klimaveränderung, atomare Verseuchung, Massenarbeitslosigkeit, Schuldenkrise ... Diese Schlagworte signalisieren eine mögliche Selbstzerstörung der gegenwärtigen Fortschrittsgesellschaft und provozieren Alternativbewegungen.
Andererseits hat der Glaube an den ewigen, allmächtigen und allgütigen Fortschritt bereits quasireligiöse Züge angenommen. Der Kapitalismus versteht sich nicht als Religion, aber er funktioniert wie eine. Der Kult des Kapitals manifestiert sich im täglichen Tanz durch die Einkaufszentren, in der Askese am Arbeitsplatz und im Gottesdienst der Freizeit. Das gemeinschaftliche Heil wird durch den Strom des Geldes vermittelt. Gleichzeitig heucheln die Massenmedien permanent Entrüstung und stiften mit Katastrophenmeldungen eine Ökumene der apokalyptischen Drohung. Und die Menschen zelebrieren ihren Kult der Katastrophe vor ihrem Hausaltar, dem Fernsehapparat. In sehr vielen neuen Business Schools gilt ein Buch als kanonisiert, genauso wie früher die Vulgata an den Theologieschulen. Und dieses Buch ist der Bestseller von PETERS/WATERMAN »Auf der Suche nach Spitzenleistungen«. Spitzenleistungen wofür? Für den Gewinn natürlich! Und warum für den Gewinn?
Wer diese Frage stellt, hat die höheren Weihen nicht bestanden. Denn er hat das erste Gebot des neuen Glaubensbekenntnisses in Zweifel gezogen: der Zweck des Gewinnes ist der Gewinn!2)
Wachstum, Fortschritt, Profit, Gewinn - das sind die Zauberwörter des heute herrschenden Neo-Kapitalismus. Die religiöse Terminologie sollte nur darauf aufmerksam machen, daß diese Begriffe, zumindest von ihren Bekennern, nicht mehr hinterfragt werden, also Glaubensgut geworden sind. Dabei kann niemand ernsthaft prinzipiell gegen den Fortschritt sein. Gefährlich aber ist seine Vergötzung, seine Absolutsetzung. Und so erhebt sich die Frage, ob es gelingen wird, Technologie und Industrie wieder dem Menschen anzupassen, wieder auf ein menschliches Maß zu beschränken.
Aber wie soll das gelingen? Die soeben skizzierte kapitalistische Grundhaltung kann nur schwer von staatlich gelenkter Wirtschaftspolitik bekämpft werden, weil die entsprechenden Entscheidungsträger in einem hohen Ausmaß vom selben materialistischen Bazillus befallen sind. Und so ist die Wirtschaftspolitik unfähig, echte Lösungsansätze zu bieten, weil nicht einmal mehr ein Minimum an geistigen Werten vorhanden ist. Spekulationen, Betrügereien und dadurch bewirkte Firmenzusammenbrüche auf privater Ebene entsprechen Mißwirtschaft, Fehlplanungen und öffentliche Verschwendung auf der staatlichen. Gesetze sind zu leeren Formeln geworden, mit denen sich niemand mehr identifiziert.
Aber es gibt noch einen anderen Grund, der der gravierendste dafür sein dürfte, daß die Wachstumsideologie in den modernen Wirtschaftssystemen zum Problem geworden ist und den Keim der Katastrophe permanent in sich birgt. Dieser Grund liegt im inhärenten Zinseszinssystem, welches zwangsläufig zu exponentiellem Wachstum führt. Merkwürdigerweise wird dieses Zinssystem in der herrschenden Nationalökonomie zwar beschrieben, erklärt und gerechtfertigt, aber niemals hinterfragt und schon gar nicht in Frage gestellt.
Die gängige Nationalökonomie erklärt den Zins als den Preis für den mit dem Ausleihen von Kapital verbundenen Liquiditätsverlust.2) Er ist also eine teilweise Vergütung für das Sparen (Nichtkonsumieren). Der Zins tendiert dazu, die Nachfrage nach Kapital mit seinem Angebot auszugleichen. Da nicht die Gesamtheit der Einkommen sofort konsumiert, sondern ein Teil davon zurückbehalten wird (als Sparkapital), muß nun versucht werden, dieses Sparkapital in den Wirtschaftskreislauf wieder hineinzubringen. Und als Anreizmittel dafür wird der Zins versprochen.
So gut wie alle nationalökonomischen Schulen bieten derartige
mechanistische Rechtfertigungstheorien. Diese besitzen in der Tat
eine innere Logik. Die konkreten Erfahrungen sind jedoch vielfach andere. 
Der Zins zieht nämlich nur dann das Geld auf den Kapitalmarkt,
wenn er eine gewisse Mindesthöhe erreicht. Ist dies nicht der Fall, dann
wird das Geld zurückbehalten und auf Spekulationsmöglichkeiten gewartet. 
Der Zins braucht also eine Mindesthöhe, um überhaupt funktionieren zu 
können. Aber dann produziert er eine Fülle von unangenehmen Nebeneffekten, 
die von der Nationalökonomie völlig übersehen werden. Es gibt vor allem 
fünf Bereiche, in denen die Wirkung des Zinses
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Krisensymptome hervorruft: 1. Ökonomie allgemein, 2. Ökologie, 3. Sozialsystem, 
4.Staatshaushalt und 5. Verschuldung der Dritten Welt.
All diese Krisensymptome müssen nicht ihre einzige Ursache im Zinseszins haben - nichts in dieser Welt der Schöpfung ist monokausal - aber er treibt sie hervor oder verstärkt sie.
Dazu ein Beispiel: Wenn man Geld anlegt, dann wächst dieses
über den Zinseszinsmechanismus über die Jahre immer schneller an.
Der Zins wächst exponentiell, d.h. der jeweilige Zuwachs wächst auch
mit. Ein zu 7% angelegtes Kapital hat sich nach 10 Jahren verdoppelt, nach
20 Jahren vervierfacht und nach 100 Jahren vertausendfacht, und so weiter. 
Da muß man sich jetzt fragen: wo kommt das denn her? Diese Zunahme des 
angelegten Geldvermögens muß ja irgendwo erwirtschaftet werden. Zum 
Beispiel von den Betrieben, die Kredite aufnehmen und dieselben mit Zins und
Zinseszins zurückzahlen müssen. Ein exponentielles Wachstum auf der
Seite der Geldvermögen setzt also ein exponentielles Wachstum der
Verschuldung voraus. Wobei die Verschuldung noch stärker wächst, weil
die Sollzinsen immer höher sind als die Habenzinsen (von der Differenz
leben ja bekanntlich die Banken und Kreditleiher). Wenn die Kreditnehmer 
die geforderten Zinsen erwirtschaften wollen, muß auch die Produktion und 
das Sozialprodukt ständig wachsen. Und das geht auf die Dauer nicht, 
weil ständiges Wachstum die Umwelt, die Ressourcen und die Gesellschaft 
nicht aushalten. In allen Bereichen, in denen in irgendeiner Form 
exponentielles Wachstum auftritt, wirkt dieses auf die Dauer 
destruktiv. Im menschlichen Organismus nennt man ein solches 
exponentielles Wachstum eines Teiles Krebs. Es gibt heute
schon eine Reihe von wirtschaftlichen Alternativdenkern, die analog
dazu den Zins als Krebserreger am sozialen Organismus bezeichnen.
Denn er bewirkt ein exponentielles Wachstum eines Teiles, nämlich der
Geldvermögen, und erzwingt dadurch ein analoges Wachstum der Schulden. 
Es wird also ein immer größerer Teil aus dem Gesamtsozialprodukt
herausgeschnitten, um den arbeitsfeien Ansprüchen der Kapitalbesitzer 
zu genügen. Der Zins hat also immer die Tendenz, die Erträge der Arbeit 
zu mindern und die des Kapitals (des Besitzers) zu erhöhen. Auf diese 
Weise werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Und 
dies gilt für Einzelindividuen genauso wie für Staaten. Ein noch so 
radikales Sparpaket kann diesen inneren unheilvollen Mechanismus kaum 
beeinflussen. Seit Jahrzehnten reden Politiker, insbesondere die 
sozialistischen, von Umverteilung und Sozialreform und sie entwerfen 
Programme und Maßnahmen, um dieselbe in die Tat umzusetzen. Und dann 
wundern sie sich, daß sämtliche Maßnahmen
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nicht nur nicht greifen, sondern daß die Kontraste immer noch größer
werden. Es ist aber viel mehr verwunderlich, daß kaum jemand von
den Entscheidungsträgern die innere Ursache dieser perfekten 
mathematischen Mechanik, nämlich das Zinssystem, identifiziert 
und entlarvt hat.
Die alte Redensart „Zeit ist Geld“ bewahrheitet sich vor
allem durch das Zinssystem, auf dem unser Geldsystem aufgebaut 
ist. Mit dem Zins wird die Zeit tatsächlich zu Geld gemacht. 
Deshalb müssen heute alle Menschen ständig in Bewegung bleiben. Jedes
Ausruhen, jeder Stillstand bedeutet sofort Rückschritt und Verschuldung
für die, die Kapital aufgenommen haben. Eine Mäßigung oder Selbstbescheidung, 
ein Zufriedensein mit dem bisher Erreichten führt in diesem Zinssystem 
mit Sicherheit in den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Ein Nullwachstum 
ohne deutliche Vermögenseinbußen ist also nicht möglich. „Unser ständig 
positiver Zins zwingt uns also ohne Pause nicht nur zum Produzieren und
zum Konsumieren, sondern zu einer ständigen Steigerung desselben.
Und zwar im Gleichschritt mit dem Geldvermögen und den Schulden,
die wiederum durch die ständig positiven Zinsen übermäßig wachsen,
gewissermaßen von alleine. Diese Verknüpfung von Geld und Zeit haben 
wir bereits so verinnerlicht, daß wir uns immer mehr zum Leisten
und Verbrauchen jagen lassen, ohne jedes Hinterfragen.“4)
Der Zins hat Auswirkungen auf alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens. In allen Preisen von Waren und Dienstleistungen stecken Zinsen als Kostenfaktoren. Desgleichen in den Steuern, die wir an den Staat zu zahlen haben, weil fast alle Staaten Fremdkapital aufgenommen haben und in vielen Fällen die Neuverschuldung von den Zinszahlungen schon übertroffen wird. Gäbe es keinen Zins, würden sich unsere Gesamtausgaben etwa halbieren. Aber besonders katastrophal wirkt sich die Zinsproblematik in den verschuldeten Ländern der Dritten Welt aus. Die Geldbeschaffungskosten sind teilweise so hoch (von der EU sind bis zu 27% erlaubt - es herrscht das Gesetz des freien Marktes), daß längerfristige Entwicklungen gar nicht in Angriff genommen werden können. Im Würgegriff der durch den Treibsatz des Zinses explodierenden Rückzahlungsraten muß auf möglichst kurzfristig realisierbare Produktivität geachtet werden - klar, daß auf Moral (Rauschgiftanbau!), Umwelt und Ressourcen keine Rücksicht genommen werden kann. Die Rettung der Regenwälder am Amazonas ist ein Problem von 40 Jahren, ein Luxus, den man sich in diesem Geldsystem nicht leisten kann. Und so bedeutet unser herrschendes Zinssystem auch in hohem Maße Naturzerstörung.
Wirtschaft in der neuen Weltordnung
Seit den antiken Philosophen wissen wir, daß die Wirtschaft lediglich ein Mittel zum Zweck sein sollte und ihrem Wesen nach eine dienende Funktion hat. Daraus ergeben sich drei Hauptforderungen gegenüber dem Menschen: die Wirtschaft sollte für seine Bedürfnisbefriedigung sorgen, menschengerechte Arbeitsbedingungen bieten, die zu seiner Persönlichkeitsentfaltung beitragen, und sie sollte eine Globalisierung des Welthandels entwickeln, die auf dem Prinzip der Gerechtigkeit aufgebaut ist.
Diese drei Forderungen an die Wirtschaft sind bis heute zum größten Teil 
unerfüllt geblieben. Da ist es
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kein Wunder, daß vielerorts Unzufriedenheit mit dem bestehenden
System Platz greift. Alternativmodelle werden entworfen und neue
Geldsysteme experimentell erprobt (z.B. das englische Lets-System und
das schweizerische Talente-System). Zukunftsforscher, Theologen und
Philosophen sprechen bereits von einer notwendigen „Renaissance der
Ethik". Die Wiederherstellung der Kategorie des "Heiligen" wird gefordert.5)
"Keine Weltordnung ohne Weltehos"6) wird postuliert. Es wird auch gemeint, 
daß "statt der üblichen christlichen Schuldethik eine Ethik der 
Selbstrevolution und der Selbstverantwortung des Menschen entwickelt 
werden müßte."7)
Alles schöne Forderungen, aber: wo beginnen? Wer soll die Autorität haben? Ist eine Rückkehr zu den alten Werten möglich? Und wenn ja, zu welchen: zu den christlichen, den islamischen oder den buddhistischen?
In dieser Situation der allgemeinen postmodernen Ratlosigkeit
schickt sich eine neue Offenbarungsreligion an, bis jetzt von der
Weltöffentlichkeit fast unbemerkt, eine neue Wirtschafts- und 
Sozialordnung zu errichten. Diese basiert auf religiösen Normen und 
Werten, erneuert ethische Gebote, aber unterscheidet sich von 
früheren religiösen Konzepten vor allem durch eines: Zeitgemäßheit! 
Die Bahá’í-Religion sieht ihre Existenzberechtigung vor allem darin, 
die unserem Zeitalter gemäße Religion zu sein und die Einheit der 
Menschheit zu begründen. Im Bahá‘í-Wirtschaftsmodell steht der 
Mensch im Mittelpunkt. Es wird anerkannt, daß dieser materiell 
bestens versorgt sein soll, aber daß er zu seiner vollen 
Selbstentfaltung vor allem geistiger Werte bedarf. Dies entspricht 
seiner Würde und seiner hohen Stufe innerhalb der Evolution. Von 
diesem Standpunkt aus ist eine zukünftige Wirtschaftspolitik zu entwickeln.
Das Ziel der Bahá’í-Ökonomie ist letztlich die organische Einheit der
gesamten Menschheit durch Gerechtigkeit, Zusammenarbeit, Beratung, 
Mäßigung und neue kreative Ideen.
Diese Globalisierung der Welt, die Schaffung eines planetarischen Bewußtseins auf religiöser Grundlage und die Verwirklichung von konkreten politischen Rahmenbedingungen werden sicher notwendig sein, um die Probleme unserer Zeit nachhaltig in den Griff zu bekommen. Alle heute verwirklichten politischen Ordnungen sind von einer Ohnmacht gegenüber den sogenannten Sachzwängen gekennzeichnet. Innerhalb dieser wirtschaftlichen Sachzwänge können auch verantwortungsbewußte und engagierte Politiker nicht agieren. Der Grund für dieses Dilemma liegt in dem Versäumnis der Menschheit, rechtzeitig handlungsfähige Institutionen für die Steuerung der globalen Belange geschaffen zu haben.8) Globalsteuerung im Bahá’í-Sinne bedeutet aber nicht Zentralisierung und Verlust von Freiheitsgraden. Der Komplexitätsgrad der Weltgesellschaft erfordert aber eine Art Weltgehirn, bei dem alle Gehirnzellen eingeschaltet sind und mitwirken. Und wenn das funktioniert, dann kann die notwendige Dezentralisierung einsetzen und die örtliche Ebene mit einer weitgehenden Autonomie ausgestattet werden.9) Denn grundsätzlich sollen Probleme dort angepackt werden, wo sie anfallen. Weitaus die meisten Angelegenheiten lassen sich auf lokaler und regionaler Ebene am besten lösen, weil dort die Entscheidungsträger die größte Nähe zu den Folgen ihrer Entscheidungen haben und weil ein besserer Durchblick möglich ist.10)
Eine der wichtigsten Teilaspekte im Bahá‘í-Wirtschaftsmodell wird im 
Aufbau eines neuen, gerechten und globalen Geldsystems liegen. Die 
Schaffung einer Weltwährung und damit die Ausschaltung der 
Wechselkursschwankungen und der damit zusammenhängenden 
Spekulationsmöglichkeiten ist in diesem Modell beinhaltet. Der 
Zinsproblematik, die sich in den heutigen Systemen so unheilvoll 
auswirkt, wird erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen sein. In
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allen früheren heiligen Büchern war das Zinsnehmen ausdrücklich 
verboten. Den Bedürfnissen einer neuen Zeit und einer dynamischen 
Wirtschaft entsprechend hat Bahá’u’lláh dieses Zinsverbot zwar aufgehoben,
aber mit den wirksamen Schranken der Gerechtigkeit und der Mäßigung
belegt. Zinswucher ist ausdrücklich verboten. Außerdem hat Bahá’u’lláh
verfügt, daß die Mitglieder der Verwaltungsgremien (Häuser der 
Gerechtigkeit) die Zinsregelungen mit Weisheit und nach den Erfordernissen 
der Zeit handhaben sollen.11) Das bedeutet, daß flexibel zu 
entscheiden sein wird, wo ein Zins einen Sinn macht, in welcher vertretbaren
Höhe und wann und wo davon überhaupt Abstand genommen werden
soll. Das Zinssystem ist ein gutes Beispiel, um die Wirksamkeit von
Bahá’í-Prinzipien in bezug auf wirtschaftliche Belange zu demonstrieren. 
Die Anwendung dieser Prinzipien bringt nicht nur in der
Gesamtheit Fortschritt, sondern auch in bezug auf geistige Beweglichkeit 
und Kreativität des Einzelnen. Es sind vor allem vier Prinzipien, die 
hier zum Tragen kommen:
1. - Prinzip der selbständigen Suche nach der Wahrheit: Das bedeutet, wir sollen uns vom gängigen Wirtschaftsdogmatismus freimachen, auch wenn er von den bekanntesten Harvard-Professoren vertreten wird.
2. - Prinzip des Abbaus aller Vorurteile: Unser Geld- und Zinssystem basiert entweder auf ungesteuerten Entwicklungen oder auf ungeprüften Dogmen und Annahmen, die genauestens zu hinterfragen sind.
3. - Prinzip der Gerechtigkeit: Ist es gerecht, von den Ärmsten dieser Welt bis zu 27% Schuldzinsen zu verlangen?
4. - Prinzip der Mäßigung: Wenn schon Zinsen, dann nicht generell und überall und in ihrer Höhe so veranschlagt, daß die destruktiven Auswirkungen exponentiellen Wachstums nicht zum Tragen kommen.
Die Geschicke einer Gesellschaft werden vor allem durch 
drei Faktoren, drei Einflußgrößen bestimmt: Geist, Gewalt
und Geld. Jahrhundertelang lebte die Menschheit vor allem in der
Spannung zwischen Geist und Gewalt. Die Aufgabe für ein neues 
Zeitalter wird vor allem darin liegen, das Geld als ein Drittes 
zwischen Geist und Gewalt zu handhaben. Aber das sollte von dem 
Bewußtsein gelenkt werden, daß das Geld ein hochwirksames Instrument 
ist, das des Meisters bedarf, der damit umgehen kann.12) 
Aus der Forderung nach weitestgehender Gewaltlosigkeit und
der Tatsache, daß Menschen keine Engel sind, ergibt sich zwingend, 
daß das Geldwesen eine Schlüsselrolle im politischen Instrumentarium
spielen wird. Die Aufgabe der Zukunft wird es also sein, das Leben zu
lenken mit möglichst wenig Gewalt, mit möglichst viel Geist und mit 
genau der richtigen Menge Geld.13)
Das waren nur einige Aspekte der Wirtschaftslehre in der neuen Weltordnung. Diese basiert auf Geboten und Prinzipien aus dem Glaubensgut einer neuen Religion, dem Bahá’í-Glauben. Schöpfer dieses Wirtschaftsmodells ist also kein Nationalökonom und kein Philosoph, sondern der Stifter der Bahá’í-Religion selbst. Und genau das macht seine Besonderheit aus. Hier handelt es sich nämlich nicht um eine geschlossene Theorie mit einer inneren Systematik, sondern um ein Rahmenwerk, welches Konstanten absteckt, Gestaltungsfreiheit zuläßt, zeitgemäß ist und auf religiösen Grundlagen beruht. Und dies sollte nicht nur ein Garant für seine Qualität sein, sondern auch für die höhere Wahrscheinlichkeit seiner Umsetzung. Denn es ist immer die Religion, die Werte und Ziele setzt und die imstande ist, das Herz des Menschen und damit auch sein Verhalten zu ändern.
1) KÜNG, HANS, Projekt Weltethos, München 1990, S.31
2) SCHOPF, A. Vom ökonomischen Denken zum ökologischen Bewußtsein. Wien 1993, S.413
3) RITTERSHAUSEN, H.C., Wirtschaft. Fischer Lexikon. Frankfurt a.M. 1969, S. 237
4) Creutz, H., Das Geld-Syndrom. Frankfurt a.M. 1995, S.119
5) Jonas, H., Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt a.M. 1984, S.57
6) Küng, H., a.a.O., S. 56
7) Gerken, G. und Konitzer, M.A, Trends 2015. Bern/ München/ Wien 1995, S. 212
8) Spiegel, P., Das Terra-Prinzip. Stuttgart 1996, S.25 & 95
9) Sabet, Huschmand, Der Übergang vom Global Crash zur Weltidentität. Stuttgart 1994, S.114
10) Sabet, Hafez, Die Schuld des Nordens, Bad König 1991, S.82
11) Bahá’u’lláh, Botschaften aus Akká. Hofheim-Langenhain 1982, S. 155ff
12) Mühlschlegel, P., Der Weltzentralbank-Präsident. Rosenheim 1989, S.59
13) Mühlschlegel, a.a.O., S. 60
Lesezeit
Michail Gorbatschow
Das Neue Denken[Bearbeiten]
- Gorbatschow/ Sagladin/ Tschernjajew
 - Wege zu neuem Denken
 - Wilhelm Goldmann Verlag, München
 - 221 Seiten
 - ISBN 3-442-12754- 8
 
Wer geglaubt hat, mit dem erzwungenen Rücktritt von Michail
Gorbatschow im Jahre 1991 sei das Wirken dieses wohl bedeutendsten
Politikers unseres Jahrhunderts zu Ende gegangen, der wird mit seinem
neuesten Buch, das er mit Vadim Sagladin und Anatoli Tschernjajew,
zwei seiner politischen Wegbegleiter, verfaßt hat, eines Besseren 
belehrt.
Bereits in den ersten vier Kapiteln, die sich mit der Entwicklung der gedanklichen Grundlagen der Perestroika und ihrer praktischen Umsetzung befassen, wird deutlich, daß hier ein Vordenker von außerordentlicher Prägnanz am Werk war, dessen visionärer Entwurf weit über das hinausging, was ihm aus innen- und weltpolitischen Gründen zu verwirklichen möglich war.
Für den politisch Interessierten geben diese Kapitel einen aufschlußreichen Einblick in die Motive und gedanklichen Grundlagen des Mannes, der fast im Alleingang die Gefahr eines Atomkrieges gebannt hat.
In den folgenden Kapiteln untersuchen die Autoren die grundlegenden Bedingungen der Weltentwicklung nach Beendigung des kalten Krieges. Die daraus abgeleiteten praktischen Vorschläge lassen erkennen, daß Gorbatschow wie kaum ein anderer realisierbare Visionen anzubieten hat, die Meilensteine auf dem Wege der menschenwürdigen Umgestaltung der Welt sein können. Hervorzuheben sind hier seine Vorschläge, die auf eine Umgestaltung der UNO hinzielen und die Beziehungen der Nationen in einer zusammengewachsenen Welt neu definieren helfen.
Die beiden abschliessenden Kapitel widmen die Autoren den erforderlichen Veränderungen menschlicher Wertorientierung. Welche Möglichkeiten hat die Menschheit, die an einem entscheidenden Wendepunkt ihrer Entwicklung angelangt ist? Manche Autoren sprechen von einem Ende der Geschichte. Gorbatschow setzt dem eine überzeugende Alternative entgegen, indem er beschreibt, in welche Richtung wir uns bewegen müssen, um unserer Geschichte einen neuen, diesmal im tieferen Sinne des Wortes menschlichen Anfang zu geben.
Ein Buch, das geeignet ist, selbst hartgesottene Skeptiker zu ermutigen, geschrieben in einer klaren Sprache, die auch komplizierte Zusammenhänge verständlich macht.
- Roland Greis
 
Das Weltgesetz[Bearbeiten]
- Vorbereitung auf die Neue Weltordnung
Graham Nicholson analysiert und diskutiert die gegebenen Tatsachen dieser Welt und legt anschaulich dar, wie sie unerbittlich auf ein internationales Staatengebilde hinführen, in dem alle Staaten Mitglieder sind.
Zum Abschluß wird die Frage aufgeworfen, der sich die heutige Menschheit gegenübersieht: Werden wir die Unausweichlichkeit der Einheit der Menschheit akzeptieren und gemeinsam ein System ersinnen, das angemessen unseren sich wandelnden Bedürfnissen entgegenkommt oder werden wir stumm die Hände in den Schoß legen und warten, bis uns die Geschichte mit einem Ad-hoc-System überrollt?
Weltliche Gesetze haben eine nachhaltige Wirkung auf die Art und Weise, wie unsere heutige Gesellschaft funktioniert. Auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind, so wird doch fast alles, was wir tun, von einer Reihe solcher Gesetze geregelt, wenn wir z.B. einkaufen, mit dem Auto fahren, unseren Beruf ausüben oder miteinander kommunizieren. Jede Handlung, die wir tun oder unterlassen, kann rechtliche Konsequenzen haben, auch wenn wir vielleicht nur selten darüber nachdenken. Im 20. Jahrhundert gibt es praktisch überall Gesetze.
Die meisten Rechtsexperten sind im allgemeinen der Ansicht, daß es zwei unterschiedliche Bereiche des weltlichen Rechts gibt. Das eine ist das Recht, das im eigenen Staat gilt - also das nationale Recht, welches auch das kommunale Recht einschließt —, das andere ist das internationale Recht. Im ersten Fall handelt es sich um den Bereich des Rechts, mit dem die meisten Menschen wahrscheinlich in Berührung kommen. Mit dem internationalen Recht wird wohl kaum jemand etwas zu tun haben.
Einige Rechtsgelehrte sind der Auffassung, das internationale Recht sei gar kein Rechtssystem im eigentlichen Sinn. Es sei ein System, das sich über die Jahrhunderte hinweg im Beziehungszusammenhang mit denjenigen herausgebildet hat, die an der Macht waren, und das erst in neuerer Zeit als ein Regelwerk angesehen wird, das die Beziehungen zwischen souveränen Nationalstaaten regelt.
Der Begriff „Internationales Recht“ wurde erstmalig von JEREMY BENTHAM im vergangenen Jahrhundert gebraucht. Dieses Recht hatte damals einen eingeschränkten Aufgabenbereich: Es war vornehmlich mit Angelegenheiten betraut wie z.B. Kriegs- und Vertragsgesetzen, diplomatischen Beziehungen, nationalen Grenzziehungen unter Einschluß maritimer Grenzen, der Seefahrt auf offener See usw.
Weil es damals keine Weltkörperschaft gab, die in der Lage gewesen wäre, internationales Recht in der selben Weise zu erlassen und anzuwenden wie die Nationalstaaten ihre nationalen Gesetze machen und anwenden konnten, gelangen manche Autoren zu der Überzeugung, daß internationales Recht im Grunde genommen weniger ein Rechtssystem, sondern eher ein zweckdienliches System von politischen Übereinkünften zwischen Nationalstaaten sei, das jedoch ihre souveräne Gewalt nicht schmälern dürfe. Dieser Standpunkt führte eine Anzahl von Ländern, auch diejenigen, die ihre Rechtsauffassung aus der britische Rechtstradition herleiten, dazu, eine gewissermaßen dualistische Auffassung zu vertreten: Internationales Recht ist demnach weitgehend an den eigenen nationalen Gerichtshöfen nicht anwendbar, es sei denn, es wurde durch die eigene nationale Gesetzgebung übernommen. Wenn also jemand internationale Rechtsmittel einlegen möchte, dann muß er sich an den jeweiligen Nationalstaat wenden, um die Angelegenheit vor ein internationales Gericht zu bringen.
Andere Rechtsgelehrte sind der Auffassung, internationales Recht
sei schon allein deswegen ein eigenständiges Rechtssystem, weil es in
der Praxis größtenteils beachtet wird, obwohl (normalerweise) jede 
rechtliche Vollzugsinstanz fehlt und es nicht notwendigerweise auf 
Nationalstaaten begrenzt ist. Eine solche Auffassung ist schon von der
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Sache her wenig dualistisch und sieht Verknüpfungspunkte
zwischen nationalem und internationalem Recht.
Die umfassendste Ansicht ist, daß in Wirklichkeit beide Rechtssysteme Teile eines Gesamtsystems bilden, das die Belange der gesamten Menschheit regelt. Der einzige Unterschied ist der jeweilige Geltungsbereich.
Wo stehen wir heute? Es ist sicherlich einleuchtend, daß sich
in diesem Jahrhundert Umfang und Spannweite des internationalen Rechts 
enorm ausgebreitet haben und immer noch ausweiten. Es gibt heutzutage 
nur noch wenige Angelegenheiten - gleich auf welchem Gebiet -, die nicht 
zumindest teilweise von ihm geregelt werden. Handel und Industrie, 
Frieden und die friedliche Regelung von Streitigkeiten, Abrüstung,
die Umwelt und ihre Bewahrung, Menschenrechte, Gesundheit, Erziehung, 
Nahrung, Bevölkerung, die Nutzung der Luft, die Meere und der Weltraum, 
Verbrechen, Flüchtlinge und Katastrophen sind heutzutage Angelegenheiten, 
die in wachsendem Maß auf internationaler Ebene erörtert werden. Trotz allem 
ist es ein unvollständiges Rechtssystem, das sich erst noch entwickeln muß.
Es ist ebenfalls einleuchtend, daß der Grad der direkten Einflußnahme auf Rechtspersonen, die keine Nationalstaaten sind, wächst. Diese Rechtspersonen bestehen aus einer Vielfalt internationaler Institutionen (die Organe der Vereinten Nationen eingeschlossen), multinationaler Firmen, politischer Rechtspersonen, die keine souveränen Nationalstaaten sind, Nichtregierungsorganisationen und - in begrenztem Maß - aus Personen.
Ein Beispiel jüngeren Datums für die zuletzt angeführte Gruppe ist der Untersuchungsbericht des INTERNATIONAL COVENANT ON CIVIL AND POLITICAL RIGHTS, das Personen ein begrenztes Beschwerderecht bei internationalen Menschenrechtsinstitutionen einräumt.
Darüber hinaus wirkt sich das internationale Recht immer stärker auf das nationale Recht aus, sogar in den Ländern, die noch an einer dualistischen Rechtsauffassung festhalten. In vielen Ländern nehmen heutzutage nationale Gerichtshöfe bei ihren Entscheidungsprozessen Zuflucht zu internationalen Prinzipien, und nationale Parlamente beziehen sich zunehmend auf diese Prinzipien oder übernehmen sie in ihre eigene nationale Gesetzgebung. Die wachsende gegenseitige Abhängigkeit der Nationalstaaten erschwert es ihnen zunehmend, internationale Überlegungen einfach zu übergehen, und dies schlägt sich auf verschiedene Weise in den jeweiligen nationalen Rechtssystemen nieder.
Dazu kommt noch, daß sich auf der ganzen Welt immer häufiger die Erkenntnis durchsetzt, daß sich die meisten größeren Probleme, vor die die Menschheit gestellt ist, nicht länger auf nationaler Grundlage behandeln lassen. Zu viele Probleme kann man über die nationalen Grenzen hinweg spüren. In den meisten Fällen wachsen diese Probleme stetig an Dringlichkeit, Ausmaß und Komplexität. Sie fordern internationale Lösungen. Die Lösungen ihrerseits haben unweigerlich Folgen für das internationale Recht. Noch nie hat sich die Menschheit einer vergleichbaren Situation gegenübergesehen. Diese einzigartige Zeit erfordert einzigartige Lösungen. Traditionelle Auffassungen und Konzepte, die den Nöten der Zeit nicht gerecht werden, werden entsprechend modifiziert oder vom Tisch gefegt, entweder freiwillig oder zwangsläufig. Die Sachzwänge lassen uns keine andere Wahl. Das internationale Recht ist in dieser Beziehung keine Ausnahme. Ein führender Anwalt des internationalen Rechts, JAMES BRIERLY, sagte: „Im Grunde genommen ist das Recht bloß Mittel zum Zweck, der darin besteht, die Probleme der Gesellschaft lösen zu helfen, zu deren Nutzen es besteht. ... Man kann die Gesellschaft nur in geringem Maß und das internationale Recht schon überhaupt nicht in eine juristische Form pressen, die den Bedürfnissen nicht gerecht wird oder dem, was die vorherrschende Meinung als Bedürfnisse ansieht.“
C. WILFRED JENKS befaßte sich eingehend mit diesem Thema. Er schrieb, der größte Streitpunkt in bezug auf das internationale Recht sei heute die Frage, wie dieses Recht ein traditionelles Rahmenwerk für die gegenseitigen Beziehungen der Staaten untereinander bleiben könne, die eifersüchtig über ihre souveräne Unabhängigkeit wachen, und auf welche Art und Weise das internationale Recht wirkungsvoll zu einem allgemeinen Recht der Menschheit werden könne, das in einer Weltgemeinschaft des Friedens und der Freiheit die Rolle übernimmt, die der eines reifen Rechtssystems in einer fortgeschrittenen Kultur vergleichbar ist.
Die Bestrebungen, das internationale Recht zur Reife zu entwickeln, 
haben durch die bedeutenden Ereignisse dieses Jahrhunderts großen Auftrieb 
erhalten. Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs führte zur Schaffung des 
Völkerbundes und zu der frühen Entstehung des Konzepts der kollektiven 
globalen Sicherheit. Es gab den Anstoß für multilaterale Verträge und 
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anderer Vereinbarungen zwischen den Nationalstaaten, die dazu dienten, 
die Probleme der Welt zu lösen. Auf diese Weise wurde die Rolle des 
internationalen Rechts ausgedehnt.
Der Zusammenbruch des Völkerbundes und der Eintritt der meisten Länder und Völker in einen weiteren Weltkrieg führte seinerseits zur Schaffung der Vereinten Nationen. Dieses internationale Organ hatte trotz zahlreicher Unzulänglichkeiten einen enormen Einfluß auf das globale Bewußtsein und auf globale Methoden zur Lösung der anstehenden Probleme, dessen Ausmaß noch nicht angemessen gewürdigt worden ist. Hier nur eine lückenhafte Aufzählung der Fortschritte, die unter der Schirmherrschaft der UN zustandegekommen sind: die Ächtung des Krieges durch das internationale Recht, die Entwicklung der Prinzipien der Menschenrechte für alle Völker, die wachsende Bedeutung internationaler Institutionen als klar definierte Rechtspersonen, eine detaillierte Ausarbeitung von Prinzipien der kollektiven Sicherheit und der deutliche Anstieg multi- und bilateraler Übereinkünfte. Jedoch bleiben die Vereinten Nationen wegen ihrer gegenwärtigen Charta eher ein Zusammenschluß souveräner Nationalstaaten als eine Vertretung der Menschheit in ihrer Ganzheit.
Immer mehr maßgebliche Persönlichkeiten in der ganzen Welt verlangen eine Reform der Vereinten Nationen und wirksame Veränderungen der Weltordnung. Viele dieser Forderungen galten dem internationalen Recht und seiner neuen oder erweiterten Rolle und den internationalen Institutionen, die dafür notwendig sind.
Besondere Beachtung fand das Ziel „Weltfrieden durch
Weltgesetz“,so der Titel eines Buches der Autoren G. CLARK und
L. SOHN, das vor einigen Jahren erschienen ist. Eine Organisation mit 
dem Namen WORLD PEACE THROUGH LAW CENTRE wurde ins Leben gerufen. 
Sie verfügt über eine große Anzahl von Mitgliedern aus den Rechtsberufen. 
Sie hat eine Reihe weltweiter Konferenzen abgehalten, auf denen prominente 
Juristen Wege erforscht haben, um auf dem Gebiet des Rechts
enger international zusammenzuarbeiten und dem internationalen 
Recht zu einer umfassenderen Anwendung zu verhelfen.
Andere Organisationen wie z. B. die WORLD FEDERALIST MOVEMENT stehen in vorderster Reihe, wenn es um Vorschläge zur Reform der Vereinten Nationen geht. Viele andere Organisationen haben, was den Frieden und die Wohlfahrt der Menschheit im allgemeinen anbelangt, ähnliche Ziele.
Die Vereinten Nationen haben diese wachsenden Bedürfnisse erkannt. Die Generalversammlung hat die gegenwärtige Dekade zur Dekade des Internationalen Rechts erklärt. Innerhalb der Vereinten Nationen wächst die Erkenntnis, daß sie sich ändern müssen und mit ihr das Recht, auf das die Vereinten Nationen fußen, die Charta eingeschlossen.
Die verschiedenen Vorschläge, die eingegangen sind, befassen sich mit Änderungen des Sicherheitsrates, mit Fragen im Zusammenhang mit UN-Friedenstruppen, mit einer größeren Bedeutung der Rolle des Internationalen Gerichtshofes und der möglichen Schaffung neuer internationaler Gremien wie z.B. der eines Internationalen Strafgerichtshofs oder Tribunals.
Die Lehren der Bahá’í-Schriften nehmen auf die Wichtigkeit des internationalen Rechts Bezug, besonders im Zusammenhang mit dem Weltfrieden und der Einheit und dem Aufbau einer gerechten Weltordnung. Sowohl in den Schriften Bahá’u’lláhs als auch in denen seines Sohnes und Nachfolgers 'Abdu'l-Bahá wird eindrücklich eine allgemeine Zusammenkunft der Herrscher und Repräsentanten aller Nationen gefordert, auf der ein dauerhafter und bindender Zusammenschluß aller Staaten der Welt errichtet werden soll. Diese Zusammenkunft muß nach ihren Worten ein umfassendes und bindendes Vertragswerk und ein feierliches Abkommen zustande bringen. Dies sei eine heilige Aufgabe, welche im Namen der gesamten Menschheit erfüllt werden müsse.
In einem solchen feierlichen Vertrag würden die Beziehungen zwischen allen Staaten klar definiert und alle bestehenden internationalen Abkommen und Verpflichtungen aufgelistet. Ein umfassendes multilaterales Abrüstungssystem muß ebenfalls darin enthalten sein. Ein System, das die kollektive Sicherheit auch durchsetzen kann, würde die Vertragserfüllung sichern. Ein oberster Gerichtshof, der über eine bindende Jurisdiktion verfügt, würde bei allen Streitfragen von internationalem Ausmaß das Urteil sprechen. Seine höchste Aufgabe wäre die Verhütung des Krieges.
Shoghi Effendi, der Hüter des Glaubens nach 'Abdu'l-Bahá, machte bei der Erläuterung dieser Aussagen deutlich, daß auch nach einer solchen Zusammenkunft die Nationalstaaten weiterhin bestehen würden. Sie würden jedoch einige ihrer souveränen Rechte an eine Weltlegislative und -exekutive dieser neuen Weltbundeseinrichtungen abtreten, vergleichbar den Vorgängen, wie wir sie heute in Bundeseinrichtungen innerhalb einiger Nationalstaaten kennen.
Er forderte die Annahme eines einzigen Gesetzkodex des internationalen Rechts - das 
Ergebnis einer wohlüberlegten Arbeit der Repräsentanten des Weltbundesstaates. Teil dieser
neuen Regelung seien Sanktionen in Form einer sofortigen und zwangsweisen Intervention 
aller Streitkräfte der Bundeseinheiten. Die Legislative der neuen Welt, die sich als 
Treuhänder
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der gesamten Menschheit versteht, würde das internationale Recht weiterentwickeln, um 
den jeweiligen Bedürfnissen einer neuen, vereinten globalen Gemeinschaft zu begegnen.
Unter einem derartigen System würde bei der Regelung internationaler Angelegenheiten der willkürliche Einsatz von Gewalt als Methode der Konfliktlösung verschwinden und jeder Gewaltbedrohung würde umgehend begegnet. Dies ist besonders gerichtet an die nichtssagenden Aussagen der heutigen UN-Charta bezüglich der Ächtung des Krieges, angesichts derer Gewaltkonflikte weiterhin gedeihen konnten. Die Bedrohung durch weitere Katastrophen, ausgehend von Waffen der Massenvernichtung, eine Bedrohung, die immer noch real ist, würde somit auf Dauer verschwinden.
An seiner Stelle würde das Konzept der friedlichen Schlichtung von Streitigkeiten auf Grundlage des Weltgesetzes treten, das die Rechte und Freiheiten der ganzen Menschheit achtet. Der Dreh- und Angelpunkt dieses Systems wäre die Anerkennung der Einheit der Menschheit.
Diese dramatischen Lehren, die eine radikale Veränderung der gegenwärtigen 
Weltstrukturen beinhalten, sind vielleicht für viele nur schwer zu akzeptieren. 
Wenn wir aber die wichtigsten weltweiten Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte 
bedenken, deuten die Anzeichen in wachsendem Maße auf eine solche Evolution der 
menschlichen Belange hin.
Viele sind vielleicht skeptisch und sagen, so etwas könne nicht in ihrer Lebenszeit passieren. Aber wer hätte schon vor ein paar Jahren die dramatischen Veränderungen z.B. in Osteuropa voraussehen können? Andere werden einwenden, die Gefahren einer globalen Tyrannei, die das internationale Recht und die Institutionen untergraben und zugunsten einer machthungrigen Gruppe mißbrauchen könnte, sei zu groß.
Natürlich gibt es Gefahren, und viele Schwierigkeiten müssen gelöst werden. Doch schließlich sei die Frage erlaubt, ob die Menschheit auf lange Sicht überhaupt eine echte Alternative zu ihrer Suche nach größerer Einheit hat. Die heutige Weltordnung wird zunehmend als beklagenswert fehlerhaft bezeichnet. Die Führer und Verantwortlichen stehen vor der Wahl: entweder bemühen sie sich freiwillig um ein besseres System, das auf geeigneten Prinzipien beruht, wie z.B. die Herrschaft des Gesetzes, Gerechtigkeit und Zusammenarbeit, oder sie lehnen sich zurück und erlauben somit den herrschenden Umständen, uns irgendein neues und möglicherweise defektes System aufzudrängen. Immer mehr Menschen, die nachdenken, sind für die erste Wahl.
Egal, was passiert, es ist klar, daß internationales Recht an Durchsetzung und Wichtigkeit wachsen wird. Dies formulierte vor kurzem der neue Präsident des Internationalen Gerichtshofes, SIR ROBERT JENNINGS so: „Ein internationales Recht, das stark und der heutigen Situation angemessen ist, ist nicht bloß etwas Wünschenswertes — etwas, das man bejaht, - es ist vielmehr absolut unerläßlich. Kein ernstes Problem, das die Menschheit hat, kann ohne es gelöst werden.“
Aus: Herald of the South, July-September 1993. Übersetzt von W.P. Löhndorf.
Victor Margolin - Professor für Kunst- und Designgeschichte an der » University of Illinois«, Chicago und Herausgeber der Zeitschriften, »Design Issues« und »Design Discourse« - über die Rolle der Gestalter im Zeitalter der Globalisierung.
Design als Strategie[Bearbeiten]
Die Welt ist in Unruhe. Konflikte nehmen mehr und mehr globale Formen an. Wir sehen uns konfrontiert mit dem, was Horst Rittel als besondere „Kategorie von Problemen des sozialen Systems“ bezeichnet hat. Der einstige Dozent für Methodologie an der Hochschule für Gestaltung in Ulm verstand darunter jene Probleme, zu denen es irritierende Informationen gebe und die sich auf absolut verwirrende Weise ins System hinein verästeln.
Als eine Möglichkeit Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen, bot es sich an, Modelle auszuarbeiten, mit denen der Zustand der Welt dargestellt und problematische Bereiche benannt werden können. Einen bedeutenden Schritt in diese Richtung hat der Club of Rome unternommen, eine Gruppe von Ökonomen und Unternehmern, die sich 1968 auf Anregung des italienischen Industriellen Aurelio Peccei zusammenfand.
Schon bei seinem ersten Treffen ging der Club of Rome daran, den „Komplex von Problemen“ zu untersuchen, der die Menschen aller Nationen beunruhigt: Armut inmitten des Überflusses; Schädigung der Umwelt; Verlust des Vertrauens in die Institutionen; unkontrolliertes Wachstum der Städte; nicht gesicherte Beschäftigung; Entfremdung der Jugend, Ablehnung traditioneller Werte sowie Inflation und andere wirtschaftliche Probleme. Voraussetzung dafür, dieses Projekt überhaupt zu strukturieren, war es, die Welt als System zu betrachten und als Ganzes zu analysieren - so wie es Rittel in Ulm während der sechziger Jahre versucht hatte.
Aus den Überlegungen des Clubs entstand der 1972 erstmals veröffentlichte Bericht Die Grenzen des Wachstums, der nachdrücklich für die Notwendigkeit votierte, ein globales Gleichgewicht zu schaffen. Als dessen Voraussetzungen wurden die Beschränkungen des Bevölkerungswachstums, die wirtschaftliche Entwicklung unterentwickelter Länder und eine neue Aufmerksamkeit für Umweltprobleme genannt.
Dieser erste Bericht des Club of Rome wurde 1991 mit The First Global Revolution auf den neuesten Stand gebracht. Die Bemühungen des Club of Rome haben zur Verbreitung dessen geführt, was ich als Weltmodell des Gleichgewichts bezeichnen möchte.
Aufgebaut ist dieses Modell auf der Vorstellung, daß die Welt ein System von ökologischer Selbstregulierung und Ausgleichsbewegungen mit endlichen Ressourcen ist. Werden Teile dieses Systems beschädigt oder aus dem Gleichgewicht gebracht, kann dies letztendlich zu dessen Zusammenbruch führen.
Allerdings läßt sich dieses Modell nur schwer mit der Vorstellung in Einklang bringen, daß dynamisches Wachstum von Produktivität und Handel die Entwicklung einer neuen globalen Wirtschaft Vorantreibt. Grenzenlose Expansion ist mit dem Gleichgewichtsmodell einfach nicht zu vereinbaren. Das Expansionsmodell, von dem sich Weltwirtschaft und auch viele Konsumenten leiten lassen, ist dem Gleichgewichtsmodell geradezu entgegengesetzt.
Bis vor kurzem konzentrierte sich der globale Markt auf das, was Kenichi Ohmae und andere als die Triade bezeichnet haben, nämlich auf die wirtschaftlich entwickelten Länder Nordamerikas, Europas und Japan. Zu diesen entwickelten Wirtschaftsregionen sind inzwischen China, die Schwellenländer Südostasiens und auch einige Länder anderer Regionen, so etwa Brasilien, hinzugekommen.
Produktentwicklung und Innovation
Die diversen Programme zur gesellschaftlichen Entwicklung beider Modelle sind nicht nur unvereinbar, sie steuern auch auf eine Kollision zu, was bereits zu erheblichen unerwünschten Auswirkungen geführt hat. So etwa zur immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich; zur Entwicklung einer Informatonsstruktur, die entsprechend die einen begünstigt und die anderen ausschließt; und zu einer Reihe von umweltpolitisch bedenklichen Situationen, die den Planeten auf Dauer schädigen könnten. Das Verhältnis zwischen beiden Modellen ist außerordentlich gespannt. Und dies muß verändert werden, wenn wir die wenig wünschenswerten Folgen einer Konfrontation der beiden Modelle vermeiden wollen.
Das Gleichgewichtsmodell fordert Einschränkungen und Verzicht, womit es dem Expansionsmodell diametral entgegenläuft. Und so gibt es denn auch vielfachen Widerstand gegen eine verminderte Produktion von Waren, wie sie die Konsumkritik des Club of Rome impliziert.
Produktentwicklung und Innovation sind Motoren, mit denen die globale, Wirtschaft in Gang zu halten ist: Beherrschend für das Expansionsmodell ist der Glaube an die Macht technischer Innovationen, wenn es um Steigerung von Erfahrung und Wissen der Menschen geht. Derartige Vorstellungen sind übrigens auch dem Gleichgewichtsmodell eigen, wie sich etwa an dem Versuch erkennen läßt, die Prinzipien der Nachhaltigkeit auf das Design neuer oder auf das Re-Design vorhandener Produkte anzuwenden.
Besitz und Innovationen sind heute ein so wesentlicher Bestandteil der Vorstellung von Glück geworden, daß zwischen Produktentwicklung und dem Streben nach Verbesserung der Lebensqualität kaum noch unterschieden wird.
Das hat erhebliche Folgen. Vor allem für das Design. Zunächst einmal werden
für die Verbesserung von Produkten und
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das Streben danach keine Grenzen anerkannt; weiterhin herrscht keine Einigkeit
darüber, was die zureichende Qualität von Produkten überhaupt ausmachen
könnte.
Oft gehen Leistungen und Features eines Produkts weit über das hinaus, was ein Verbraucher für sich nutzen kann. Neue Produkte sind heute nicht einfach verschwenderische und überflüssige Versionen bereits vorhandener. Sie verkörpern tatsächliche Verbesserungen, die die menschliche Erfahrung auch verändern. Die Vervollkommnung von Produkten geht heute weit über das hinaus, was Thorsten Veblen annahm, als er vor fast hundert Jahren seine Vorstellung von der Conspicous consumption — der aufwendigen Lebenshaltung - entwickelte.
Verbesserter Nutzen, verbesserter Gebrauch: Das verspricht eine ganze Flut raffinierter Produkte. Sie reichen von elektronischen Rasenmähern, deren computergestützte Systeme zusätzliche Kräfte mobilisieren, wenn das Gras besonders dicht steht; bis zum „intelligenten Haus“. Die Wohnung von morgen ist ausgerüstet mit neuester Technologie. Ein Steuerungssystem regelt alles automatisch: vom Anschalten der Kaffeemaschine bis zum Blumengießen. Diese und andere Innovationen drängen mit solcher Geschwindigkeit auf den Markt, daß wir uns nur fragen können, was uns denn in hundert Jahren noch zutun bleiben wird.
Radikales Monopol
Die Anschaffung von intelligenten Rasenmähern und Häusern ist noch ins Belieben der Verbraucher gestellt; ganz anders sieht es bei dem Netz von „intelligenten Autobahnen“ in den Vereinigten Staaten aus, in die das US-Verkehrsministerium im Lauf von sieben Jahren 200 Millionen Dollar Forschungsgelder investiert hat. Wenn dieses System computergesteuerter Schnellstraßen realisiert wird, entsteht damit das, was Ivan Illich ein „radikales Monopol“ genannt hat; dann nämlich bleibt den Menschen keine andere Wahl, als diese Straßen zu nutzen. Und die Autofahrer werden dereinst dazu verpflichtet, für das technische Upgrade ihres alten Fahrzeugs zu einem intelligenten, für solche Highways ausgerüsteten Automobil zu zahlen. Die Kosten für diese Umrüstung zu Schnellstraßen wird die Allgemeinheit durch erhöhte Steuern zu tragen haben. Die Umrüstung des gesamten Highway-Netzes der Vereinigten Staaten für intelligente Fahrzeuge wird Milliarden von Dollar verschlingen, die man statt dessen sehr gut für dringend benötigte soziale Leistungen einsetzen könnte.
Greifbare Ergebnisse
Es wäre leicht, hier noch weitere Geschichten von Produktforschung und -entwicklung anzuführen, die innerhalb des Expansionsmodells mit den Verheißungen eines verbesserten Lebens gerechtfertigt werden. Nicht so leicht ist es dagegen, die Denkbahnen zu verändern. Kosten und Nutzen von Projekten wie intelligenten Schnellstraßen werden nicht an dem gemessen, was erforderlich wäre, um sich den quälenden globalen Problemen der Wirtschaft und der Umwelt zuzuwenden.
Als Teil einer Strategie, die globalen Probleme systematisch zu definieren hat der Club of Rome auch eine analytische Methode entwickelt, die er Resolutique nennt. Dabei beabsichtigt der Club, mit neuen und alten öffentlichen Einrichtungen zu kooperieren, ohne die Schwierigkeiten einer Neustrukturierung der Beziehungen zwischen Expansions- und Gleichgewichtsmodell zu berücksichtigen. Statt dessen beruft er sich auf neue „kollektive Werte“, die etwas unklar einen moralischen Kodex für Handeln und Verhalten umreißen; das aber erscheint eher eine Hoffnung als ausgearbeitete Strategie zu sein.
Verfechter beider Modelle agieren so, daß sie die Macht der jeweiligen Gegenseite viel zu gering einschätzen oder gar für belanglos halten. Und da sie ihre eigenen utopischen Verheißungen zugleich in irgendeine ferne Zukunft verlegen, brauchen sie nicht zu fürchten, daß die vorgeschlagenen Strategien an Resultaten oder gar den Einwänden ihrer Kritiker gemessen werden. Vertreter des Gleichgewichts fordern, völlig illusorisch, eine radikale Kürzung des Konsums; Vertreter des Expansionsmodells unterschätzen wiederum den ökologisch bedenklichen Zustand des Planeten und die politischen Konsequenzen und Gefahren der immer größer werdenden Kluft zwischen Reichen und Armen. Und all dies zusammen führt dazu, daß wir die Notwendigkeit garnicht mehr sehen (wollen), die einander zuwiderlaufenden Werte beider Modelle miteinander in Einklang zu bringen.
Von einer Entwicklung von Methoden, wie sich die beiden Modelle aussöhnen ließen, ist nichts zu spüren. Vielleicht aber könnte ein Überdenken der Praxis des Designs und der Design-Ausbildung von Nutzen sein. Design ist eine Tätigkeit, die Pläne, Projekte und Produkte hervorbringt. [...]
Zum Design gehören methodische Techniken zur Entwicklung produktiver Handlungsabläufe. Gute Designer haben ihre Fähigkeiten, zu beobachten und zu analysieren, zu erfinden, zu formen und zu gestalten, zu kommunizieren geschult. Wenn wir Design als Tätigkeit betrachten, die von der visuellen Kommunikation bis zu Makroumwelten reicht, sehen wir auch, daß in diesem Beruf die Flexibilität und auch die Autorität steckt, um an einer ganzen Reihe bislang unbearbeiteter Probleme zu arbeiten. Wenn Design nicht auf materielle Produkte eingeschränkt wird, könnten Designer innerhalb von Organisationen und in bestimmten Situationen auf vielfache Art und Weise eingreifen und mitwirken.
Konkrete Modelle
In Anbetracht der außerordentlichen Schwierigkeiten, die Gegensätze zwischen Gleichgewichts- und Expansionsmodell auf dem wechselnden Niveau von Normen und Werten auszugleichen, eine Taktik, die die Vereinten Nationen und Gruppierungen wie der Club of Rome weiterhin verfolgen, ist es vielleicht ergiebiger, wenn man mit Hilfe von Produkten und Projekten vorangeht, an denen zu demonstrieren ist, wie neue Werte in die Tat umgesetzt werden können. Möglicherweise wirken diese verlockender auf die Öffentlichkeit als Argumente, die immer eher Behauptungen bleiben und nichts Demonstratives haben. Die Frage, die wir bedenken, für die wir Antworten erproben müssen, ist, wie wir den traditionellen Bereich des Designs ausweiten können: Wie kann Design statt ausschließlich Dienstleistung für die Industrie zu sein, sich aktiv jenen Problemen widmen, die der Club of Rome und andere Gruppierungen aufgeworfen haben? Phantasie ist gefragt. Designer können durch die Kunst der Demonstration versuchen, die Aspekte des Expansions- und des Gleichgewichtsmodells zu versöhnen, und damit einen bedeutenden Beitrag zum erfolgreichen Weiterleben auf dem Planeten Erde leisten.
 
Dieser Beitrag ist erschienen in form - Zeitschrift für Gestaltung Nr. 157, 1/1997. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages form-GmbH.
Wir haben diesem Heft den Titel „Globalisierung - die Herausforderung unserer Zeit“ gegeben. Herausgefordert ist zunächst unser Bewußtsein. Die Aufgabe, von der unser Überleben abhängt, heißt zu begreifen, was ökonomisch und ökologisch bereits Realität ist: Die gegenseitige Abhängigkeit aller Bewohner dieses Planeten und unsere Abhängigkeit von unserem Lebensraum Erde.
Aber nur, wenn wir unsere Verantwortung füreinander erkennen und unsere Verpflichtung, unseren Lebensraum zu schützen und zu bewahren, und wenn unserer Einsicht Taten folgen, werden wir der Herausforderung gewachsen sein.
Aus diesem Grund drucken wir auf den folgenden Seiten einige Beispiele des persönlichen Engagements einzelner junger Menschen ab, die ein Jahr ihres Lebens dem Dienst an anderen gewidmet haben. Diese Beispiele sollen Mut machen. Sie zeigen, wie sehr ein solcher Dienst auch den Dienenden bereichern kann.
Ein Jahr des Dienstes[Bearbeiten]
Es stand für mich schon lange fest, daß ich nach meiner Schulzeit ein Jahr des Dienstes machen wollte. Jetzt mußten nur noch die unwichtigen Sachen - z.B wohin denn nun? — geklärt werden. Zuerst war ich fest entschlossen, nach Rußland zu gehen, vier Monate vor Abreise wurde mir dann doch bewußt, daß es mich mehr nach Südamerika zog. Nachdem ich mich informiert hatte, stand nach Beratung mit Freunden Bolivien an erster Stelle auf meiner Liste. Am 10. September 1996 war es soweit, und voller Aufregung und Unwissenheit ging die große Reise los. Jetzt sind neun Monate vergangen und ich bin wieder zurück in Deutschland. In Worte fassen lassen sich meine Erlebnisse und Erfahrungen nicht so einfach.
Ich arbeitete für einige Monate in einem Dorf mit etwa 350 Familien, die alle in Baracken und alten, zusammengeflickten Hütten lebten. Im ganzen Dorf gab es nur einen Wasserhahn für alle Einwohner. Jeden Tag schleppten kleine Kinder, Frauen und Männer eine große Zahl von Eimern zu ihren oft weit entfernten Hütten. Schweine, Ziegen, Hunde, Kühe und Hühner liefen zwischen den Menschen fröhlich herum. Mit meinen drei anderen Teamgefährten besuchten wir das Dorf jeden Tag und versuchten, den Leuten mit unserem Projekt zu helfen. Das Programm konzentrierte sich besonders auf Kinder, Frauen und die Wichtigkeit der Familie. Mit der Bildung eines Frauenforums versuchten wir, den Frauen eine Bildung in verschiedenen Bereichen anzubieten. Einmal wöchentlich kamen sie zusammen, um zu kochen, zu singen, zu malen, oder sie konnten sich über Themen informieren wie Kindererziehung und Ernährung. Dieses Forum sollte ihnen helfen, sich persönlich zu entwickeln und sich aktiv an der Entwicklung der Gesellschaft zu beteiligen.
Jeden Samstag und Sonntag fanden Kinderklassen statt, um die moralische und persönliche Entwicklung der Kinder zu fördern. Wir sprachen mit ihnen über Tugenden wie Höflichkeit und Liebe, und sie malten danach Bilder, sangen und hörten Geschichten dazu. Oft kostete es mich große Überwindung, mich an die dort herrschenden Verhältnisse zu gewöhnen, da viele Kinder keine Möglichkeit hatten, sich regelmäßig zu waschen, oft hungrig zu den Klassen kamen und keine Grenzen im Umgang mit anderen kannten. Trotzdem war es für mich eine sehr schöne und hilfreiche Zeit. Insbesondere die Arbeit und der Umgang mit den Kindern bestärkten mich in meinem Berufsziel, Lehrerin zu werden.
Es war - alles in allem - für mich eine unglaublich bereichernde Erfahrung, mit Menschen einer völlig anderen Kultur zusammenzuleben, mit ihnen zu arbeiten, zu reden, zu lachen ...
- Susanne Boehm,
 - 20 Jahre, Freiburg
 
Ich holte meine Schuhe, setzte mich draussen auf die Treppen und 
zog sie an. Das Essen hatte mir, wie immer, gut geschmeckt: Reis, 
Sabssi, Kartoffeln, viele Zwiebeln und Öl. Für mich kochte man 
eine gewürzlose Portion. Saiki, Ramkali und Pupi, die sich 
inzwischen neben mich gesetzt hatten, redeten mir die Ohren 
voll; sie erzählten von ihren Familienmitgliedern, die ich
am Samstag kennenlernen würde, von dem neuen Buchstaben,
den sie im Laufe des Vormittags gelernt hatten, wir sangen den Hit
„Raja Hindustani“, .. Ich mußte mich konzentrieren, um mit dem
bißchen Hindi, das ich konnte, wenigstens den Kontext zu verstehen
und auf ihre Fragen antworten zu können. Bald gingen sie ins 
Workshed, um ihre Blusen weiterzunähen.
Wir befinden uns im Bahá‘í Vocational Institute for Rural Women (Bahá‘í-Institut für Berufsbildung von Landfrauen, Anm. der Red.), einem Entwicklungsprojekt für Landfrauen, das von der indischen Bahá’í-Gemeinde geleitet wird. Das Institut befindet sich in Indore, Madhya Pradesh, und lädt junge Frauen aus den umliegenden Dörfern ein, an einem drei Monate langen Kurs teilzunehmen. Die Mädchen, die zwischen 15 und 23 Jahre alt sind, werden während dieser Periode auf dem Gelände des Instituts untergebracht. Das Programm zielt sehr auf die Entwicklung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft. Die Frauen lernen selbständig zu sein, einen eigenen kleinen Handel leiten zu können, gesund zu leben ...
Ein gewöhnlicher Tagesablauf fängt morgens um 7 Uhr mit zwei Stunden Feldarbeit an. Die Mädchen lernen dort technische Methoden, um ein Feld am besten zu beackern, und entscheiden, was sie an dem Tag selber essen werden. Die Mahlzeiten werden jeden Tag von einer anderen Gruppe Mädchen zubereitet. Nach dem Frühstück werden die Frauen in Alphabetisierung, in den Grundlagen der Gesundheits-, Hygiene- und Ernährungslehre, in Religion und Moral, und im Rechnen unterrichtet. Nachmittags lernen sie nähen, weben, Textil färben, sticken, ... Es wird sehr viel Wert auf Gebete gelegt; so fängt z.B. jeder Unterricht mit einem gesungenen Gebet an. An Sonntagen und in ihrer Freizeit üben die Mädchen sich u.a. im Fahrradfahren.
Ich besuchte das Institut im Rahmen meines Jahres des Dienstes. Meine Hauptaufgabe dort war, die Briefakten des Instituts zu ordnen und zu reorganisieren. Zeitweise habe ich im Alphabetisierungskurs mitgeholfen. Anhand von Spielchen werden den Frauen die Buchstaben und Silben ihrer Nationalsprache beigebracht. Am Anfang war es recht schwer für sie zu verstehen, daß Gesprochenes auch geschrieben werden kann, doch sobald sie das raushatten, schritten sie schnell in ihrem Lernen fort.
Das Bahá’í Vocational Institut for Rural Women wurde vor ungefähr 10 Jahren von Janak Palta gegründet. Die Gruppen, die anfangs nur aus 8 oder 15 Mädchen bestanden, wurden immer größer, als die Bewohner der umliegenden Dörfer die Auswirkungen des Kurses auf die jungen Frauen und deren Familien beobachten konnten. Heute muß das Institut aus Platzmangel viele Bewerberinnen zurückweisen. Jimmy McGilligan, Janaks Mann, ist als Ire dort der einzige Ausländer. Daß die meisten Arbeiterinnen und Lehrerinnen ehemalige Schülerinnen des Instituts sind, ist eine enorme Ermutigung für die jungen Frauen, die sehen, wie ihre Vorgängerinnen Schulabschlüsse bestehen, bei Poesiewettbewerben gewinnen, ...
Das BVIRW, das außer diesem noch viele andere Projekte in den Dörfern leitet, hat seit seinem Bestehen viele Preise gewonnen, u.a. den „Global 500“ der UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen. Die UNO zählt das BVIRW zu den 80 besten Entwicklungsprojekten der Welt.
Es hat mir unheimlich viel gebracht, dieses Projekt „mitzuerleben“. Ich kann nur jedem anraten, das BVIRW zu besuchen, und sei es auch nur für eine kurze Zeit. Es kann jede Unterstützung, die es erhält, gut gebrauchen.
- Sarah Blyth, 21 Jahre
 - Eupen (Belgien)
 
Jedem, der einmal das Weltzentrum der Bahá’í-Gemeinde in Haifa, Israel 
besucht hat, wird sicherlich die Vielfalt der Rassen und Nationen auffallen, 
die hier gemeinsam an dem Ziel arbeiten, die Einheit der Menschheit zu
verwirklichen.
Mit über 600 Menschen aus derzeit 64 Ländern, unzähligen Volksgruppen und Hintergründen, die ca. 70 Sprachen sprechen und auf engstem Raum zusammenleben und arbeiten, ist dieser Ort wohl einzigartig auf der ganzen Welt.
Wenn es möglich ist, hier in Einheit und Liebe zusammenzuleben, wo fast jeder einer anderen Kultur angehört und somit auch verschiedene Ansichten, Erfahrungen und Auffassungen mit sich bringt, wo Mitglieder aller Rassen auf viel engerem Raum zusammenleben, als dies auf der Oberfläche dieses Planeten jemals der Fall sein wird, sollte dies dann nicht auch in allen Ländern der Welt eine greifbare Alternative zu Haß, Krieg und Feindschaft bieten? Wie ist es möglich, daß der kulturelle Zusammenprall, der unter den gegebenen Umständen unausweichlich scheint, nicht eintrifft, sondern stattdessen gegenseitige Akzeptanz, Respekt, Verständnis und Liebe das Miteinander prägen?
Als Bahá’u’lláh vor über hundert Jahren der Welt die Botschaft der Einheit der Menschheit brachte, die Botschaft einer Einheit in der Vielfalt, als er die folgenden Worte niederschrieb: „Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger. Es rühme sich nicht, wer sein Vaterland liebt, sondern wer die ganze Welt liebt“, schien es unmöglich, die von Kriegen zerrütteten Nationen dieser Welt jemals in Frieden und Einheit zusammenzuführen.
Doch schon ein Jahrhundert nach seinem Hinscheiden (1892) haben sich seine Anhänger in allen Ländern der Erde diesem Ziel verschrieben und, was noch viel wichtiger ist, geben mit ihrem eigenen Leben den Beweis, nach dem die der Feindschaft müde Menschheit sich sehnt, daß „Weltfriede nicht nur möglich, sondern unausweichlich ist“ und daß dieser Friede, der auf der Einheit der Menschheit basiert, bereits eine Wirklichkeit, keine Fernvision ist.
Im Prozeß zur Einheit der Menschheit sind wir fast unmerklich schon viel weiter gekommen, als wir es für möglich halten. Die nachkommenden Generationen sind lebende Beispiele hierfür. Sie fühlen sich nicht mehr als Angehörige einer Rasse, wie wäre das auch möglich, wo sie doch bereits in ihrer eigenen Person oft mehr als zwei Nationalitäten vereinigen.
So wie Runa, Halb-Jordanierin und Halb-Iraki, die in Australien aufgewachsen ist.
Oder Maniksaq aus Alaska, dessen Eltern - die Mutter ist Inupiach (Eingeborene), der Vater Amerikaner - durch ihre Hochzeit ein Zeichen gesetzt haben, daß die Feindschaft zwischen den Eroberern und den Eingeborenen der Vergangenheit angehört.
Oder May, die ihr ganzes Leben in den Philippinen verbracht hat und dennoch in drei Kulturen zuhause ist, da ihre Mutter Perserin und ihr Vater Schwarz-Amerikaner ist.
Diese Generation hat aus ihren Herzen das Gift des Hasses verdrängt, sie beginnt, eine „neue Rasse Mensch“ zu bilden, Menschen, die frei von Vorurteilen sind und ihr Gegenüber vor allem als Mensch sehen, als Mitglied einer Menschheit und Geschöpf des einen Gottes.
Sie lernen voneinander, leben miteinander, unterstützen und ermutigen einander und bauen das bereits funktionierende Modell einer Gesellschaft, die auf den Prinzipien von Gleichberechtigung, Beratung, globalem Bewußtsein, Freiheit von Vorurteilen und vor allem der Einheit der Menschheit aufgebaut ist.
Sie sind bereits die Verwirklichung des Wortes Bahá’u’lláhs: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweiges und die Früchte eines Baumes“
- Katrin Greis,
 - 20 Jahre, Tönisvorst.
 
- Hartmut Nowotny
 
Kommunikationstechnik[Bearbeiten]
- Chancen und Gefahren für eine zusammenwachsende Welt
4. Oktober 1957, eine Metallkugel mit nur 53 Zentimeter Durchmesser verändert entscheidend die Welt. Sputnik I, der erste Erdsatellit, ist in seiner Umlaufbahn. Damit steht die Menschheit am Anfang zur Erschließung einer neuen Dimension der Kommunikation. Die sowjetische Regierung bezeichnet den Start als „kolossalen Beitrag zu den Schätzen der Weltwissenschaft und Kultur”.
Die Verwirklichung dieser Vision scheint aber noch, bedingt durch die trennende Kluft des Kalten Krieges, unmöglich. So steht der Euphorie des „Ostens“ nur die Hysterie und Angst des „Westens“ gegenüber. Die beiden Großmächte begeben sich auf einen prestigeträchtigen Wettlauf ins All. Wieder einmal ist der Wunsch nach Vormachtstellung wichtiger als die Möglichkeit der Zusammenarbeit.
Die Folgejahre bringen eine Reihe neuer technischer Entwicklungen. Bereits 1962 sendet der amerikanische Fernsehsatellit Telstar erstmals Live-Übertragungen zwischen Europa und den USA. Es bilden sich noch weitere neue Wissenschaften heraus, wie z.B. Kybernetik und Informatik, in deren Überlegungen die Satellitentechnologie ebenfalls mit einbezogen sind. Neben der militärischen Nutzung finden Satelliten primär für den Aufbau von kontinentalen und interkontinentalen Telefonverbindungen, sowie für Fernseh- und Radioübertragungen Verwendung. Dadurch wird z.B. die erfolgreiche Verbindung der 3.000 indonesischen Inseln überhaupt erst möglich.
Das „Globale Dorf“
Anfang der 70er Jahre vollzieht sich ein Prozeß der Veränderung der Informationsmedien und der Globalisierung der Kommunikation. Die Computerisierung ermöglicht das Zusammenwachsen von Telekommunikation (Datenübertragung) und Informatik (Datenverarbeitung) zur Telematik, die alle Informations- und Kommunikationsströme vernetzt.
Durch die neue Technologie ist Kommunikation zwischen den Kontinenten ohne spürbaren Zeitverlust möglich. Es ist noch nicht vorstellbar, wie sich das auf alle Lebensbereiche auswirken wird. Wir erleben, wie die Vision eines Globalen Dorfes beginnt Realität zu werden.
Internationale Arbeitsteilung
Der Zugriff auf globale Datenbanken (z.B. Internet) und das Versenden von
„elektronischer Post“ (E-Mail) überwindet die Grenzen. Weil man über
Satelliten auch in der Lage ist, die Ergebnisse von Bildschirmarbeit in
Sekunden um den Erdball zu schicken,  
[Seite 33]
übernehmen immer mehr Programmierer, Datenverwalter und Buchhalter aus 
Indien und Südamerika die Arbeit der westlichen Spezialisten. Sie erhalten 
dafür nur ein Neuntel der ursprünglichen Bezahlung, zählen aber damit zu den
Spitzenverdienern in ihren Heimatländern.
Technische Entwicklung
Zum Ende des 20. Jahrhunderts verdoppeln sich die naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse innerhalb von 5 Jahren; mit einer weiteren Verkürzung dieses Zeitraums ist zu rechnen. Nach einer Periode von grundsätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die unser Weltbild veränderten, überwiegt zum Ausgang des 20. Jahrhunderts die immer feinere Aufschlüsselung bestimmter Erkenntnisbereiche. Infolgedessen ist vielfach übergreifende Grundlagenforschung nicht mehr vom Staat alleine finanzierbar, darum fördern mittlerweile Staatengemeinschaften internationale Forschungszentren. Wissenschaftliche Forschung ist somit heute ohne Zuhilfenahme der vielfältigen Möglichkeiten der neuen Technologien nicht mehr denkbar.
Ebenso sind eine Reihe von Aufgaben, z.B. Erhaltung der Umwelt, Entwicklung regenerativer Energieformen, nicht mehr von einer Nation alleine leistbar. Die weltweite Zusammenarbeit auf diesen Gebieten wird erst durch die neuen Kommunikationsformen effektiv möglich.
Globale Datenbanken
Eine wichtige Rolle spielt dabei das Internet. Dieses globale Datennetz gestattet es, auch vom entlegendsten Dorf aus, in der modernsten Bibliothek zu stöbern. In den meisten Ländern sind die ersten Nutzer des Internet überwiegend Studenten und Dozenten großer Universitäten. Damit bildet sich ein „Weltmarkt des Wissens“, wo Information als Rohstoff gehandelt wird. Und wieder einmal bestimmt derzeit der Norden dafür die Spielregeln. Aber das Internet kann auch das Informationsmonopol des Nordens aufweichen. So gewinnt der Süden durch die neuen Zugriffsmöglichkeiten auf Information - der Norden lernt (hoffentlich) vom Süden.
„Es gibt keine Grenzen. Nicht für Gedanken, nicht für die Gefühle. Die Angst setzt die Grenzen.“ (Ingmar Bergmann, Regisseur) Verschiedenen Ländern ist mittlerweile der grenzenlose Austausch von Informationen sehr suspekt. Der ungehinderte Zugang zum Internet wird darum nicht immer gewährleistet. In einigen Staaten müssen Internet-Nutzer sich „polizeilich registrieren“ lassen, sonst droht eine strenge Bestrafung. „Es ist eine Art von Fortschritt, was Wissenschaft und Technologie betrifft, wenn unser Land mit dem Internet verbunden ist. Aber als souveräner Staat werden wir Kontrolle über die Informationen ausüben. Wenn wir uns an das Internet anschließen, dann meinen wir damit nicht die absolute Freiheit der Information.“ (Wu Jichuan, Minister für Post und Telekommunikation in China)
Globale Kommunikation
Um in den Genuß des globalen Datenaustausches zu kommen, ist ein Telefon notwendig. 1994 lebten rund 50% der Weltbevölkerung 2 Stunden vom nächsten Telefon entfernt. - Zum Vergleich: In Tokio gibt es mehr Telefone als in ganz Afrika. - Als Lösungsweg entsteht derzeit ein Globalfunk-Netz. Damit kann mit einem kleinen, handlichen und leichten Telefon von jedem Punkt der Erde via Satellit telefoniert werden. Zusätzliche Sende- und/oder Empfangseinrichtungen auf der Erde sind nicht mehr nötig. Unterentwickelte Staaten verlieren dadurch ihre
Als dezentrales Verbundnetz von (Groß-)Rechnern für den militärischen Nachrichtenaustausch konzipiert und später für die wissenschaftliche Nutzung freigegeben, wird das Internet zunehmend von privaten Informationsanbietern genutzt.
Die lose Struktur des Internets wird "virtuell" durch kleinere Netzwerke wie Compuserve, Microsoft Network oder T-Online gegliedert. Damit gehört das Internet niemandem speziellen - also keinem Unternehmen oder keiner Nation - sondern allen Internet-Anbietern ("Provider") und auch den Internet-Nutzern ("Internetsurfer"). Es macht vor keiner Grenze halt, ist frei von irgendwelchen Reglementierungen.
Der derzeit größte Informationspool im Internet ist das WorldWideWeb kurz WWW (oder nur Web [engl.: Netz]). Es wurde im Mai 1991 auf den Großrechenanlagen der CERN (Europäische Organisation für Nuklear-Forschung mit Sitz in Genf) ins Leben gerufen. Im WorldWideWeb kann jeder - egal ob Privatperson, Unternehmen oder Verein - Informationen in Form einer "Homepage" oder besser "Web-Sie" anbieten, die andere an das Internet angeschlossene Personen abrufen können.
Ein anderer Dienst, der erst durch das Internet möglich geworden ist, ist der elektronische - also papierlose - Postverkehr, das E-Mail.
[Seite 34]
 
Souveränität auf dem Telefonsektor; nationale Telefongesellschaften 
versinken in der Bedeutungslosigkeit.
Weltkultur
Während Wissenschaft und Handel noch dem Nutzen der Menschheit dienen, wird mit dem Aufbau eines Netzes von Fernsehsatelliten auch gleichzeitig die Büchse der Pandora geöffnet. Derzeit erleben wir eine rücksichtslose globale Kulturalisierung westlicher Prägung. Dabei wiederholen sich die gleichen Fehler wie bei der Kolonialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts. Bei der nun einsetzenden Kulturalisierung der Welt nimmt man wieder keine Rücksicht auf die Eigenheiten und Bedürfnisse der „schwächeren Völker“.
Aufgrund der hohen Analphabetenrate in den unterentwickelten Staaten sind die heimischen Massenmedien und Presseagenturen nicht sehr einflußreich. Somit ist primär das Radio die wichtigste Informationsquelle. (In armen Ländern verwenden die Menschen bis zu 10% ihres Einkommens für Akkus - ein Drittel der Menschheit hat noch immer keinen Stromanschluß.) Jedoch werden bei der Funkfrequenzverteilung der Internationalen Fernmeldeunion in erster Linie die ökonomischen Interessen berücksichtigt; die Belange der Entwicklungsländer finden kaum Beachtung.
Die Weltnachrichtenagenturen vermitteln überwiegend eine amerikanische Sichtweise bzw. sind eurozentrisch. Die Berichterstattung über die unterentwickelten Staaten ist bei „uns“ stark katastrophenorientiert. Unter globalen Gesichtspunkten sind die Erfassung und Analyse der Ereignisse des Südens in den Nachrichten des Nordens ebenso wichtig wie umgekehrt. Ein wechselseitiger Dialog ist also zukünftig für eine geeinte Welt unverzichtbar.
Das weltweit größte TV-Imperium befindet sich in der Hand einer einzelnen Person. Es erreicht per Satellit mit seinen Fernsehprogrammen - und vor allem mit seinen Nachrichtensendungen - rund zwei Drittel der Menschheit. Das Fernsehen als Informationsquelle ist eine Einbahnstraße von Nord nach Süd. Westliche TV-Produktionen werden zu Schleuderpreisen, die weit unter den heimischen Produktionskosten liegen, im Süden vermarktet.
Probleme
Die Vernetzung der Welt durch Kommunikationsmedien verändert die Bedürfnisstrukturen und schafft damit nicht nur Kauf- sondern auch Migrationsanreize.
Information und Kommunikation haben den Doppelcharakter von kulturellen und kommerziellen Werten. Einerseits wird die weltweite Kommunikation wesentlich von der Kultur der dominanten Volkswirtschaften bestimmt, andererseits werden alle Kulturen der Welt von der technischen Revolutionierung der Informations- und Kommunikationsinstrumente stark beeinflußt.
Die kulturellen Wertemuster der „Entwicklungsländer“ werden dabei aber einfach vernachlässigt.
Die Massenmedien fördern derzeit eine „Weltkultur“ westlicher Prägung und verändern die Bedürfnisstrukturen der Menschen. Durch den ökonomisch und materiell verankerten Fortschrittsglauben, sowie durch die Desintegration traditioneller Lebenswelten suchen viele Menschen nach Orientierung in neuen Sinn- und Gemeinschaftsbezügen. Zusätzlich verändert die digitale Welt unsere Sprache, unsere Art zu schreiben und letzten Endes unsere Art zu denken. Als internationale Verkehrssprache gilt mittlerweile das Englische.
Dieser Versuch der globalen kulturellen Homogenisierung von außen führt unausweichlich zur Belebung innerer Kräfte. Es wächst ein entgegengesetztes kulturelles Bewußtsein heran. Als Zeichen der stark vorangeschrittenen Kulturalisierung von Ökonomie und Politik können die steigende Zahl und Intensität ethnischer, nationaler und religiöser Konflikte, sowie die Unabhängigkeitsbewegungen nationaler Minderheiten und die zunehmende Islamisierung in afrikanischen und asiatischen Ländern angesehen werden. Insbesondere im Nahen Osten intensivieren sich die sozialen und kulturellen Konflikte.
Schlußfolgerung
Erst die Globalisierung von Informationssystemen hat das Wohlstandsgefälle weithin sichtbar gemacht und Migrationsmotivation geweckt. Die zusammenwachsende Eine-Welt fördert die internationale Mobilität der Menschen; die Revolutionierung des Verkehrswesens erleichtert sie. Der technologische Fortschritt macht die nationalen Grenzen durchlässiger. Während die Staaten ihre Souveränität behalten, wird die Autorität von Regierungen ausgehöhlt. Sie sind weniger in der Lage, die grenzüberschreitenden Bewegungen von Geld oder Informationen zu kontrollieren. Der Globalisierung steht eine Basisbewegung mit einer Forderung nach Dezentralisierung gegenüber.
Die Völker der Erde können nur gemeinsam überleben und ihre Probleme 
lösen, wenn sie sich als Globale Zivilisationsgesellschaft verstehen. 
Dazu ist natürlich eine neue Weltordnungspolitik nötig, in der die
kulturellen und wirtschaftlichen 
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Belange aller Volksgruppen gleichwertig behandelt werden.
Vision
Der entscheidende Durchbruch der Menschwerdung war weniger- wie meist angenommen - der aufrechte Gang, sondern die Hilflosigkeit der Neugeborenen. Die Schutzbedürftigkeit der Kinder verlangte von den Eltern enorme Aufmerksamkeit. Das bewirkt soziale Familienbindungen und eine Arbeitsteilung zwischen Mutter und Vater. All das fördert die Kommunikation — und letztendlich das Entstehen von Sprache. Heute stehen wir, im übertragenen Sinne, wieder vor der gleichen Situation: Den aufrechten Gang - die Technologie - beherrschen wir. Mutter (das Weibliche) und Vater (das Männliche) sind dabei die Menschen im Süden und Norden. Im Interesse des schutzbedürftigen Kindes - unserer gemeinsamen Erde - müssen wir endlich lernen, aufeinander zu hören und eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Wir müssen uns besser kennenlernen und uns miteinander vertraut machen. Wir müssen unser Gegenüber als gleichwertigen Partner ernst nehmen. Die modernen Kommunikationsmittel vereinfachen es uns dieses Ziel zu erreichen.
Nachsatz
„Ein Netzwerk weltweiter Kommunikation wird ersonnen werden; es wird den ganzen Erdball umspannen und, von allen nationalen Hindernissen und Beschränkungen frei, mit wunderbarer Schnelligkeit und vollkommener Pünktlichkeit ablaufen. [...] Eine Weltsprache wird entweder geschaffen oder unter den bestehenden Sprachen ausgewählt und in den Schulen aller verbündeten Nationen als ein Hilfsmittel neben der jeweiligen Muttersprache gelehrt werden. Eine Weltschrift, eine Weltliteratur, ein einheitliches, allumfassendes Währungs-, Gewichts- und Maßsystem werden den Verkehr und die Verständigung unter den Nationen und Rassen der Menschheit vereinfachen und erleichtern.“ (Shoghi Effendi in einem Brief vom 11. März 1936. Zitiert in „Die Weltordnung Bahá’u’lláhs“, Bahá’í-Verlag, S. 297.)
 
 
Von der Keilschrift zum Computer
Im ehemaligen, innen völlig neu gestalteten Nixdorf-Verwaltungsgebäude 
in Paderborn entstand für 100 Millionen Mark das Heinz Nixdorf MuseumsForum 
(HNF). Das HNF will kein gewöhnliches Museum sein, sondern ein lebendiges Forum. 
Neben der Ausstellung - eine spannende Zeitreise durch die Vergangenheit, 
Gegenwart und Zukunft der Informationstechnik - finden regelmäßig
Veranstaltungen und Vorträge statt, die z.B. aktuelle Fragen aus den
Bereichen der neuen elektronischen Medien und ihre Bedeutung für
Schule, Bildung, Kultur und Wirtschaft behandeln.
Auf zwei Etagen präsentiert das HNF die 5000jährige Geschichte der Informationstechnik bis in die Gegenwart. Was sich damals unabhängig voneinander als Kulturtechniken des Schreibens, Rechnens und Zeichnens entwickelte, ist heute in der Universalmaschine Computer vereint. Welche zuweilen abenteuerlichen Wege die Geschichte dabei ging, wie Personen und Ideen, Soziales, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diese Wege beeinflußten, wie die Geschichte des Computers das Leben der Menschen prägt und verändert - all das sind Facetten der Ausstellung.
Dabei werden die über 1000 Exponate nicht nur vorgestellt, sondern durch die Einbindung moderner Technik in die Museums-Inszenierung wird der Besucher zum Anfassen und Ausprobieren ermuntert. Wer Lust hat, kann den Umgang mit dem Abakus auffrischen, im Tonstudio komponieren, im Softwaretheater virtuell durch den Vatikan und den Petersburger Dom fliegen oder an den über 15 PC-Stationen Software erproben und im Internet surfen.
- Heinz Nixdorf MuseumsForum,
 - Fürstenallee 7, D-33102 Paderborn
 - http://www.hnf.de
 
- Öffnungszeiten
 - Dienstag bis Freitag: 9-18 Uhr.
 - Samstag und Sonntag: 10-18 Uhr.
 
- Text: Hermine Meyer-Berdijis - Fotos: Rüdiger Dahm
 
DAS BAHÁ‘Í-WELTZENTRUM — KEIMZELLE EINER KÜNFTIGEN WELTORDHUNG[Bearbeiten]
Eine KEIMZELLE ist der Ausgangspunkt, von dem aus sich etwas entwickelt, das zu einem größeren Ganzen wird. So sehen die Bahá’í ihr Weltzentrum.
- DAS »GRÖßERE GANZE«
 
Das angestrebte „größere Ganze“, eine künftige Weltordnung, die nach den Vorgaben Bahá’u’lláhs arbeitet, beschreibt Shoghi Effendi so:
„Der Grundsatz der Einheit der Menschheit - der Angelpunkt, um den die Lehren Bahá’u’lláhs kreisen - ist kein bloßer Ausdruck unkundiger Gefühlsseligkeit oder unklarer frommer Hoffnung ... Die Folgerungen gehen tiefer. .. Die Botschaft gilt nicht nur dem Einzelnen, sondern befaßt sich in erster Linie mit der Natur jener notwendigen Beziehungen, die alle Staaten und Nationen als Glieder einer menschlichen Familie verbinden müssen. Der Grundsatz der Einheit stellt nicht nur die Verkündigung eines Ideals dar, sondern ist unzertrennlich mit einer Institution verbunden, die seine Wahrheit verkörpert, seine Gültigkeit bekundet und seinen Einfluß dauernd zur Geltung bringt. Er verlangt eine organische, strukturelle Veränderung der heutigen Gesellschaft, eine Veränderung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. ...”1) Shoghi Effendi sagt dann weiter, daß der Durchbruch zu dieser Neugestaltung nicht nur notwendig, sondern unumgänglich ist und daß er nur durch eine aus Gott geborene Kraft herbeigeführt werden kann.
- DER IMPULS
 
Diese „aus Gott geborene Kraft” sehen die Bahá’í im göttlichen Impuls, den die Bahá’í-Religion in die Welt brachte, und die Weltordnung Bahá’u’lláhs ist die Blaupause für das Ziel dieses neuen Impulses: die Einheit der Menschheit. Sie bietet geistige Motivation und Anleitung für praktische Schritte, in denen sich der Wille Gottes widerspiegelt. Das Bahá’í-Weltzentrum, die Keimzelle dieses Zieles, hat dementsprechend eine geistige und eine administrative Komponente. Von hier aus werden die erneuerten ewigen geistigen Wahrheiten durch global ausgerichtete praktische Gesetze einen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit bewirken, einen Entwicklungssprung hin zur Weltgesellschaft, zum Weltfrieden, zur Weltkultur.
Jede Keimzelle enthält bereits das komplette Entwicklungsprogramm für das größere Ganze. So auch das Bahá’í-Weltzentrum. Und wie jeder Entwicklungsprozeß Zeit braucht, um sichtbar zu werden, zeigt auch die kaum 150-jährige Bahá’í-Geschichte einen Verlauf, der nun so langsam in die Phase des Sichtbarwerdens der Strukturen ihres Weltzentrums und ihrer Gesellschafts- und Verwaltungsordnung eintritt.
- DER GEISTIGE BRENNPUNKT
 
Als erstes läßt sich die Entfaltung des geistigen Weltzentrums zurückverfolgen.
Bahá’u’lláh selbst hatte bei einem seiner Besuche in Haifa bestimmt,
daß am Hang des Berges Karmel ein Mausoleum für seinen Vorläufer
und Märtyrer-Propheten, den Báb, erbaut werden soll. 'Abdu'l-Bahá und
Shoghi Effendi führten seine Anweisungen aus und schufen mit dem
Grabmal des Báb, in dem dieser 1909 zur endgültigen Ruhe gebettet 
wurde, ein geistiges Zentrum von 
[Seite 37]
EILE, O KARMEL, DENN SIEHE, DAS LICHT DES ANGESICHTS GOTTES ...
DES HERRSCHERS IM REIHE DER NAMEN UND SCHÖPFERS DER HIMMEL, ....
[Seite 39]
 
unermeßlicher Bedeutung, einen „Brennpunkt göttlicher Erleuchtung und 
Kraft... im Herzen des Karmel“, des „Weinberges Gottes“.2) 
Derzeit werden unter der Führung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit 
je neun Terrassen unterhalb und oberhalb dieses Mausoleums errichtet.
- DIE ARCHE GOTTES
 
In Seiner „Tafel vom Karmel“ hat Bahá’u’lláh außerdem erklärt, daß „Gott bald Seine Arche auf dich zusteuern und das Volk Bahás offenbaren wird, das im Buche der Namen erwähnt ist.“3) Das „Volk Bahás“ sind in diesem Zusammenhang nach den Worten Shoghi Effendis die Mitglieder des Universalen Hauses der Gerechtigkeit, und die Arche Gottes symbolisiert das administrative Weltzentrum, von dem aus die Gesetze der Weltordnung Bahá’u’lláhs der Menschheit zuströmen werden. Dieses administrative Weltzentrum sollte in unmittelbarer Nähe des geistigen Weltzentrums errichtet werden.
Shoghi Effendi begann bereits mit der Planung von fünf Gebäuden in harmonischem Architekturstil, die er auf einem weiten, horizontalen Bogen anordnete, in Sichtweite des Schreines des Báb, des geistigen Weltzentrums. Er stellte das erste Gebäude, das Internationale Archiv, fertig und bestimmte damit den Charakter des Baustils. Dieses Archiv beherbergt Heilige Schriften sowie historische Gegenstände und Dokumente des Bahá’í-Glaubens.
Nach der Gründung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit 1963 wurde am Scheitelpunkt des Bogens dessen Sitz errichtet. „Die Amtsträger des Hauses der Gerechtigkeit“, schrieb Bahá’u’lláh, „haben die Pflicht, den Geringeren Frieden 4)zu fördern, damit das Erdenvolk der Bürde maßloser Staatsausgaben ledig werde. Diese Aufgabe ist zwingend und absolut wesentlich, zumal Streit und Feindseligkeit die wahren Ursachen von Leid und Elend sind.“5) Überall auf der Welt, ganz besonders bei den Vereinten Nationen, bemühen sich unter seiner Führung die Bahá’í, Verantwortungsträger des öffentlichen Lebens, aus Wissenschaft und Kultur über die Prinzipien der Weltordnung Bahá’u’lláhs zu informieren6). Dies ist die derzeit herausragendste Aufgabe von öffentlicher Bedeutung. Daneben steht die globale Verantwortung für die geistige und praktische Entwicklung und Sicherheit der Bahá’í-Weltgemeinde. Das Universale Haus der Gerechtigkeit steht an der Spitze des „Gewählten Pfeilers“ der heutigen Bahá’í-Gesellschafts- und Verwaltungsordnung, dessen Institutionen die Vorstufen der Gremien der künftigen Weltordnung bilden und sich bis in jede Bahá’í-Gemeinde der Welt hinein verzweigen. Es ist das höchste Gremium in der Weltordnung Bahá’u’lláhs.
- DER BOGEN AUF DEN KARMEL
 
Die riesige Baustelle am Karmel zeigt, daß sich die übrigen drei Gebäude des Bogens, des administrativen Weltzentrums der Bahá’í, im Bau befinden:
Der Sitz des Internationalen Lehrzentrums, das besonders mit dem Schutz und der Verbreitung des Bahá’í-Glaubens beauftragt ist. Es ist die höchste Instanz des „Ernannten Pfeilers“, in dem Bahá’í mit vertieftem Wissen als Berater und Helfer der einzelnen und der Bahá’í-Institutionen dienen. Diese Einzelpersonen haben jedoch durch ihren Dienst keine legislativen Befugnisse oder persönlichen Vorteile. Das Internationale Lehrzentrum untersteht dem Universalen Haus der Gerechtigkeit.
Der Sitz des Zentrums für das Studium der Texte ist eine Erweiterung der
derzeitigen Forschungsabteilung, die
[Seite 40]
dem Universalen Haus der Gerechtigkeit beim Zugang zu relevanten Texten zu 
grundsätzlichen und aktuellen Fragen assistiert. Diese Institution sorgt außerdem 
für Übersetzungen, Textkompilationen und Erläuterungen zu Texten des Glaubens. Das 
Ausmaß des vorhandenen Originalschrifttums der Bahá’í-Religion ist so enorm, daß es 
seinesgleichen in der Religionsgeschichte nicht gibt.
Die Internationale Bahá‘í-Bibliothek erfaßt sämtliche über den Glauben veröffentlichte Literatur und dient als wichtige Informationsquelle für die Institutionen des Weltzentrums zu allen mit dem Bahá’í-Glauben und der Lage der Menschheit zusammenhängenden Themen. Sie soll der Kern bedeutender Einrichtungen der wissenschaftlichen Forschung und Entdeckung werden.
- DAS MODELL
 
Das Bahá’í-Weltzentrum und sein Ausbau sind auf die Zukunft ausgerichtet. Die Struktur der Weltordnung Bahá’u’lláhs läßt sich jedoch schon jetzt aus der Struktur des Weltzentrums, seiner Keimzelle, ablesen: An erster Stelle steht die geistige Kraft des Glaubens an die neue göttliche Botschaft für unser Zeitalter, die wir in seinem geistigen Zentrum finden. Sie wird reflektiert im umfassenden Prinzip der Einheit der Menschheit, an deren „unumgänglicher“ Verwirklichung das administrative Weltzentrum arbeitet. Es bemüht sich darum, daß eine weltweite Bahá’í-Identität wächst, daß Institutionen und einzelne sich entwickeln und vervollkommnen, daß durch raschen Zugriff auf die geoffenbarten Quellen höchst mögliche göttliche Führung zur Verfügung steht und daß die globale Entwicklung der Menschheit genau verfolgt und gemäß den Bahá’í-Grundsätzen unterstützt werden kann. Daß die Arbeit der Bahá’í, die nur aus ihren freiwilligen Spenden finanziert und von aufopfernder Tätigkeit getragen wird, weltweit an Erfahrung, Kompetenz und Ansehen gewinnt, ist für sie ein ermutigender Ansporn. Inzwischen ist eine Bahá’í-Weltgesellschaft im Entstehen, die nach den von Bahá’u’lláh verkündeten Prinzipien arbeitet und der Menschheit als Modell dienen kann.
- IM FOKUS
 
Bahá’u’lláh hatte an die bedeutendsten Herrscher seiner Zeit geschrieben, ihnen seine Mission verkündet und sie aufgerufen zu Frieden, Gerechtigkeit und Einheit. Sie versäumten, auf ihn zu hören.
Die deutschen Templer waren im 19. Jahrhundert gekommen, um die Wiederkehr des Herrn zu erleben. Bahá’u’lláh kam, sie sahen ihn, aber erkannten die Herrlichkeit Gottes nicht. Am Ende ihrer ehemaligen Kolonie beginnen die unteren Terrassen, die zum Schrein des Báb führen. Inzwischen kommen jedes Jahr Tausende Bahá’í-Pilger ins Heilige Land. Sie beten in ihrem geistigen Weltzentrum und lernen ihr administratives Weltzentrum kennen. Für sie ist der Anblick der vertikalen geistigen Achse mit dem Schrein des Báb und den Terrassen ein Symbol für den ewigen Bund Gottes mit den Menschen, und die horizontale, administrative Achse führt mit den Bogengebäuden den Bund Bahá’u’lláhs mit der Menschheit vor Augen. Mögen die Völker der Welt und ihre Herrscher endlich die Bedeutung der Botschaft Bahá’u’lláhs, seiner Weltordnung und deren Keimzelle, des Bahá’í-Weltzentrums, erkennen und die göttliche Führung annehmen, die ihnen hier geboten wird:
- WER AUGENH HAT, ZU SEHEN, DER SEHE!
 
 
1) Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 69 ff., Bahá’í-Verlag 1977
2) Shoghi Effendi, Gott geht vorüber, Seite 315, Bahá’í-Verlag 1974.
3) Bahá’u’lláh, Botschaften aus 'Akká, 1:1-5; Bahá’í-Verlag 1982
4) Der von Bahá’u’lláh angesprochene „Geringere Frieden“ ist ein von den Politikern der Welt geschlossener Friede, der sich aber nach den Prinzipien der Weltordnung Bahá’u’lláhs weiterentwickeln muß zum „Größten Frieden“ und einer dauerhaften Einheit der Menschheit.
5) Bahá’u’lláh, Botschaften aus 'Akká, 7:19
6) Hierzu nur zwei Beispiele: In Südafrika unterbreiteten die Bahá‘í Vorschläge für die neue Verfassung, für die sie beachtliche Anerkennung erhielten. In Kanada legten die Bahá’í der Regierung ein Dokument zur Frage der Ureinwohner des Landes vor.
... IST AUF DICH GERICHTET.«
- Er stand am Grab von Navvab
 - auf einen geschnitzten Speer gelehnt.
 
- Eine Eule aus Walbein
 - an einer Schnur vor seiner Brust.
 
- Sein Gesicht aus Fels gehauen.
 
- Nachfahre von Kriegern.
 
- Viel später erst sprach ich ihn an.
 
- Er war Maori.
 
- Der Speer gehörte einst
 - dem ersten Maori,
 - der in Neuseeland Bahá’í wurde.
 
- Und jedes Mal,
 - so erzählte er mir,
 - wenn ein Maori
 - die heiligen Stätten in Haifa besuchte,
 - nahm er den geschnitzten Speer mit
 - auf die Reise.
 
Roland Greis
  
KEREAMA
 
 
Thema der nächsten Ausgabe
- KUNST
 
Aus dem Inhalt:
▪ Künstler, Sucher, Seher
▪ Das Theater als geistiger Impulsgeber
▪ Bildhauerei als Ausdruck geistiger Prozesse
▪ Bahá’í-Häuser der Andacht - Symbole der Einheit
▪ Portrait: Mark Tobey
▪ und vieles mehr
DIE BAHÁ'Í-RELIGION
ZENTRALE LEHREN
- Die Einheit Gottes
 
- Es gibt nur einen Gott, mit welchem Namen er
 - auch benannt oder umschrieben wird.
 
- Die Einheit der Religionen
 
- Alle Offenbarungsreligionen bergen den gleichen
 - Kern ewiger Wahrheiten, wie die Liebe zu Gott und
 - den Menschen.
 
- Bestimmte Gesetze jedoch, die z.B. die Organisation
 - der Gemeinde, das Sozialwesen, Hygiene etc. betreffen,
 - müssen sich im Zuge der Menschheitsentwicklung
 - verändern. In großen Zyklen offenbart Gott
 - sich durch seine Boten wie Moses, Krishna, Buddha,
 - Christus, Mohammed und Bahá’u’lláh und erneuert
 - diesen Teil seiner Gebote als Antrieb für den
 - menschlichen Fortschritt.
 
- Die Einheit der Menschheit
 
- Die Menschheit ist eine einzige, große Familie mit
 - völlig gleichberechtigten Mitgliedern.
 
- Ihren Ausdruck finden diese grundlegenden Lehren
 - in Prinzipien wie:
 
- ▪ Selbständige Suche nach Wahrheit
 
- ▪ Gleichwertigkeit von Frau und Mann
 
- ▪ Soziale Gerechtigkeit
 
- ▪ Entscheidungsfindung durch Beratung
 
- ▪ Abbau von Vorurteilen.
 
- ▪ Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft
 
 
ZENTRALE GESTALTEN
- Báb (1819-1850), der Vorbote
 - Bahá’u’lláh (1817-1892), der Stifter
 - 'Abdu'l-Bahá (1844-1921), der Ausleger
 - Shoghi Effendi (1897-1957), der Hüter
 
DIE BAHÁ'Í-GEMEINDE
- organisiert sich in Gremien, die auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene von allen erwachsenen Gemeindemitgliedern in freier, gleicher und geheimer Wahl ohne Kandidatur oder Wahlkampagnen gewählt werden. Es gibt keine Priester.
 
  
 
      
- Europäisches Bahá’í-Haus der Andacht in Hofheim-Langenhain/ Deutschland