TEMPORA
Nr. 10
Lebensmut
Editorial:
Liebe Leserinnen und Leser,
es gibt Zeiten, in denen es den Anschein hat, der menschliche Verstand sei zu schwach, aus 
geschichtlichen Erfahrungen zu lernen. Wenn wieder einmal versucht wird, die durch
Gewalt verursachten Menschheitsprobleme mit Gewalt zu lösen, wächst mit dem Gefühl der 
Machtlosigkeit auch die Mutlosigkeit. Menschen verlieren ihren Lebensmut, wenn
sie sich als einflusslose Opfer ihrer Lebensbedingungen wahrnehmen. Und wo der Mut 
zu neuen Visionen fehlt, alte Fehler wiederholt werden und Fortschritt sich nur noch
im Einsatz neuer Vernichtungstechniken manifestiert, da erscheint der Sinn 
menschlicher Bemühungen fragwürdig.
In solchen Zeiten ist es unerlässlich, sich dessen zu vergegenwärtigen, was Mut macht. Mut bedeutet Zuversicht, die nur haben kann, wer nicht rückwärts, sondern nach vorn auf das blickt, was möglich ist und was auch in der Vergangenheit menschlichen Fortschritt bewirkt hat.
Natürlich gibt es Kriege, Zerstörung und Gewalt, so lange und so oft Blindheit und Kurzsichtigkeit das Handeln bestimmen. Aber wir haben überlebt aufgrund unserer Fähigkeit zusammenzuarbeiten und den Verstand konstruktiv zu gebrauchen.
„Die Lebenskraft liegt in der Meditation.“ Laotse, 5. Ihr. v. Chr.
NR. 10 INHALT
Meditation - Ein Übungsweg zu mehr Lebensmut . . . . . 4
- Rüdiger Dahm
 
Ein Raum, in dem meine Seele ausruhen konnte . . . . . 10
- Tamara und Peter Scheffel
 
Entsteht Lebensmut durch religiöse Haltung? . . . . . 11
- Eva Nickel, Kamala und Jivanuga Mattis, Wilfried Pfeffer, Gregor Böckermann, Taufiq Mempel, Magdalene Schönhoff, Peter Pollak
 
Bekenntnisse eines Junky . . . . . 19
- Lorcan Flynn
 
Verantwortung für das eigene Leben übernehmen . . . . . 21
- Ardawan Lalui
 
Kontemplation . . . . . 23
- Künstlerische Beiträge
 
 
[Seite 3]
Kreativität und Lebensmut . . . . . 27
- Roland Greis
 
Geborgenheit schafft Lebensmut . . . . . 29
Peter Held
Mehr Lebensmut durch Ermutigung . . . . . 32
- Theo Shoemaker
 
Schülergedichte . . . . . 35
- Tobias Jöst, B., Marc Niessen, Dimitrios Patronas, Janna Lincke
 
Lebensmut statt Trauma . . . . . 36
- Anja Niemand
 
Tätig sein stiftet Sinn . . . . . 39
- Fritz Klübner
 
Denen dienen, die in Not sind und leiden . . . . . 42
- Hans-Heinrich Pardey
 
Impressum . . . . . 44
Ankündigung . . . . . 45
Jahreszeiten des Lebensmuts . . . . . 48
- Reimar Kanis
 
Das gibt Anlass zur Hoffnung. Ein Grund für TEMPORA, sich in dieser Ausgabe mit der Frage zu beschäftigen, welches die Kräfte sind, aus denen Menschen Zuversicht und Lebensmut schöpfen. Die Religionen haben hierbei immer eine bedeutende Rolle gespielt. Die Visionen ihrer Offenbarer gaben und geben Menschen die Kraft, sich der Wiederholung des Sinnlosen zu widersetzen. Dass Fanatismus zu allen Zeiten den Frieden stiftenden Impuls der Religionen ins Gegenteil verkehrt hat, sollte uns nicht blind machen für ihr veränderndes und schöpferisches Potenzial.
Deshalb kommen in diesem Heft Vertreter verschiedener Weltreligionen zu Wort, die sich mit der Frage befassen, ob und wie sie aus ihrem Glauben Lebensmut schöpfen. Was gibt dem Leben einen Sinn? Was macht mir Mut? Antworten gaben Kinder und Jugendliche, gesellschaftlich engagierte Menschen, Pädagogen. Bei der Überwindung von Ängsten können Meditation und Ermutigung helfen, wie das geht, kann man lernen. Dass es in immer mehr Städten einen „Raum der Stille gibt, zeigt das Bedürfnis nach innerer Einkehr, nach mehr Geistigkeit. Wir hoffen, dass Sie in dieser Ausgabe genug Stoff zum Nachdenken finden, aber auch Ideen und Impulse für die eigene Arbeit in der Erziehung und Selbsterziehung.
- Die Redaktion
 
 
Meditation - Ein Übungsweg zu mehr Lebensmut[Bearbeiten]
- Rüdiger Dahm
 
Dem legendären Automobilbauer Henry Ford wird der Spruch in den Mund gelegt: „Ob ein Mensch denkt, er kann, oder ob er denkt, er kann nicht - er hat immer Recht!“
Daher könnte er auf die Frage, was er von Meditation halte, geantwortet haben: „Ob ein Mensch denkt, Meditation ist Unsinn, oder ob er denkt, Meditation ist etwas Wertvolles - er hat immer Recht!“
Nach über zwanzig Jahren Meditationspraxis ist unschwer zu erraten, was ich über Meditation 
denke. Meine Antwort ist grundsätzlich letztere, aber ich kenne auch genug Gedanken
und Gefühle passend zur ersten Antwort. Über Meditation zu schreiben ist schwierig, denn 
es geht dabei um nichts Geringeres als unser tiefstes Wesen, um unsere Seele, um geistige 
Dimensionen. Dennoch ist es unser Vorrecht und unsere Aufgabe, in aller Bescheidenheit 
und Demut den Tempel von Delphi zu betreten, an dessen Eingang stand:
- „Erkenne dich selbst.“
 
Was ist Meditation? Im Duden steht „Nachdenkliche, sinnende Betrachtung / geistig-religiöse Übung, die zur Erfahrung des inneren Selbst führen soll.“ Eng verwandt damit ist das Wort Kontemplation, definiert als „geistiges sich Versenken in Gottes Wort.“ Meditation ist ein Weg, der schon immer Bestandteil religiöser und geistiger Praxis war - wenngleich mit unterschiedlicher Betonung in den verschiedenen religiösen Systemen. Sinn erhält diese Definition natürlich nur für denjenigen, der den Menschen als Einheit aus Seele, Geist und Körper betrachtet.
Meditation ist eine geistige Übung in einer bestimmten körperlichen Form. Sie bringt allen Menschen - und nicht nur religiösen — positives Wachstum und trägt daher entscheidend zu mehr Lebensmut bei. Eine gewagte Behauptung?
Dieser Artikel ist zur Hälfte auf der Grundlage von Meditation entstanden. Schauen wir, was dabei herausgekommen ist:
Das philosophische Prinzip des yin - yang oder, wie ich es lieber bezeichne, das geistige Prinzip der Einheit lehrt uns unter anderem, dass auf der Ebene menschlicher Existenz Gegensätze existieren, wobei die eine Seite die Existenz der anderen beweist. Der Körper des Menschen beweist also, dass es einen Gegensatz geben muss, der gemeinhin als Seele und Geist bezeichnet wird. Letztlich ist Ursprung und Ziel des Lebens aber die Einheit. Deshalb gilt es zu erkennen, dass Gegensätze nicht nur miteinander verbunden, sondern in gewisser Weise auch Illusion sind. Eine elementare Fähigkeit des Menschen besteht deshalb darin, diese Gegensätze aufzulösen, sie wieder in Einklang zu bringen - und damit auch uns selbst. Aus diesem Prinzip lässt sich ableiten, dass die Gesetze der Physik und die geistigen Gesetze menschlichen Seins eins sind. Körperliche Prinzipien und geistige Prinzipien sind eins. So unterschiedlich sie auf uns wirken, in Wahrheit werden alle Bereiche unseres Lebens von den gleichen Prinzipien geleitet, vielleicht sogar von nur einem einzigen.
Was bedeutet das für die Meditation? Wenn sie eine Wirkung auf Geist und Seele hat, dann muss sie auch auf unseren Körper wirken. Wenn der Mensch eine Einheit aus Körper und Seele — Geist ist, dann ist Meditation eine Übung, die sich an beide richtet, dann bedarf es für die Meditation sowohl geistiger als auch körperlicher Haltungen.
Wenn Meditation wesentlich für den Menschen sein kann, dann muss sie auch wesentliche Bereiche seines Lebens berühren: Erkenntnis, Liebe, Glück, Heilung, Begegnung, Schönheit, Wachstum und Mut zum Handeln.
Von geistigen Lehrern stammen viele Aussagen über Meditation:
MEDITATION MACHT DEN MENSCHEN ERST ZUM MENSCHEN. MEDITATION IST KONZENTRATION
DES GEISTES. MEDITATION IST EINE LEITER IN DEN HIMMEL. MEDITATION IST WIE EIN SPIEGEL
— WAS IMMER MAN DAVOR STELLT, DARÜBER ERHALTEN WIR TIEFERES WISSEN. MEDITATION
IST EIN WEG IN UNSER INNERES, ZU UNSEREM WAHREN SELBST. MEDITATION VERLEIHT UNS
ERKENNTNIS, BRINGT SOGAR KÜNSTE UND WISSENSCHAFTLICHE ENTDECKUNGEN HERVOR.
MEDITATION IST EINE HALTUNG, DIE UNS ÖFFNET FÜR INSPIRATION, FÜR EINGEBUNG.
MEDITATION VERLEIHT INNERE RUHE. MEDITATION VERBINDET UNS MIT DER QUELLE
UNSERER KRAFT. MEDITATION BEWIRKT ENERGIEFLUSS.
Die Praxis der Meditation setzt voraus, dass wir an ein Größeres glauben. Wollen wir Erkenntnis 
aus der Meditation gewinnen, so hat das nur dann Sinn, wenn es in uns etwas gibt, das mehr
weiß als wir. Wollen wir üben, den Geist zu konzentrieren, so ist das nur dann sinnvoll, wenn 
wir daran glauben, dass wir uns noch mehr konzentrieren können. Wollen wir mehr innere Stärke
gewinnen, dann muss dieses Mehr als Möglichkeit in uns ruhen. Wollen wir in der Meditation mehr 
Ruhe finden, als wir in uns spüren, dann setzt das voraus, dass es in uns einen Ort gibt, der
ruhiger ist. Wollen wir tiefere Gefühle spüren, dann müssen wir diese in unserem Herzen tragen.
Dieser Glaube daran, dass da mehr sein, dass es da immer noch etwas Größeres geben muss, den nennen wir Demut — und diese Demut ist die zentrale Haltung in der Meditation. Nach dem Prinzip der Einheit unterliegt unser Körper den gleichen Prinzipien wie unser Geist.
- Meditation als Übung zur Körperwahrnehmung
 
Wirkliche Körperwahrnehmung bestätigt uns die gerade beschriebene geistige Haltung. Schließen wir die Augen und atmen wir! Atmen setzt voraus, dass es etwas Größeres gibt, nämlich den Atem oder Sauerstoff um uns herum. Niemals kämen wir auf die Idee, es bei den fünf Litern Luft in unserer Lunge zu belassen. Niemals zweifeln wir daran, dass wir immer an diesem größeren Atem um uns herum teilhaben. Wir - unser Körper - wissen nur zu gut, dass das Leben ein immerwährender Fluss ist, der Fluss des Ein- und Ausatmens, der nie versiegen darf. Der Körper weiß, dass all seine potentiellen Kräfte davon abhängen, dass er atmet. Nur dann kann er sie entfalten und in konkretes Handeln umsetzen. Der Körper kommt sich nicht erniedrigt vor, weil er um die Kleinheit seines Lungenvolumens weiß.
Er konzentriert sich in Demut auf die viel größere Kraft des Atems, die ihn umgibt, denn dessen Macht und Stärke sind mit jedem Atemzug die seinen.
- Meditation ist geistiges Atmen
 
Ein anderes Bild: Ein Stausee von gewaltiger Größe, das Wasser ruht. Ein geistiger Mensch würde sagen: „Da steckt gewaltige Energie drin.” Oder wie man in der chinesischen Kampfkunst sagt: „Wasser, das nachgiebigste Element und doch unüberwindlich in seiner Stärke.“ Ein materieller Mensch würde entgegnen: „Ich sehe keine Energie.“ Sie nicht zu sehen, ist aber kein Beweis dafür, dass es sie nicht gibt. Denn öffnen wir den Damm, wird eine ungeheure Energie freigesetzt.
- Meditation ist ein sich Öffnen für den geistigen Energiefluss
 
Haben wir einen Stausee gefunden - oder, anders ausgedrückt, das Wasser des Lebens -, dann verhilft uns die Meditation, die darin enthaltene Energie zu erkennen und für unser Handeln zu nutzen. Wenn wir über diese Bilder nachdenken, wird verständlich, weshalb Meditation Gefühle der Stärke, des Mutes, der Gelassenheit, des Vertrauens in uns entfacht. Da dieses Größere so viel mehr weiß als wir, dürfen wir uns nicht wundern, dass Meditation uns nicht mit einem Schlag „erleuchtet“, sondern dass sie uns „Stück für Stück und Tag für Tag“ voranbringt - vorausgesetzt, sie wird geübt. Würde der Stausee mit einem Schlag geöffnet, würden wir von den Wassermassen erschlagen werden. Und das ist nicht das Ziel der Meditation. Daraus folgt: Meditation ist ein Weg behutsamen Wachstums und kontinuierlicher Entwicklung, und „Geduld ist das Fahrzeug“ für diesen Weg.
[Seite 6]
Die Gegensätze haben dem Menschen die Freiheit gegeben, sich frei - zwischen zwei Seiten - entscheiden 
zu können {und zu müssen). Da der Mensch ein Entscheidungen treffendes Wesen ist, geht jedem Handeln 
eine solche voraus. Jede dieser Entscheidungen wird in unserem Inneren getroffen, bevor sie
sich äußerlich auswirkt. Jede kann gut oder schlecht, falsch oder richtig für unser Wesen sein. 
Die Macht unseres Handelns hängt von der Macht der Gedanken ab, für die wir uns entschieden
haben. Wir kennen alle die Kämpfe, die sich in uns abspielen, bevor wir unsere Entscheidungen 
treffen. In der Individualpsychologie nennt man das „innere Dialoge.“ Untersuchungen haben ergeben, 
dass der Mensch am Tag etwa 3000 bis 4000 solcher inneren Dialoge führt. Leider sind sie zu 70 Prozent
negativer Natur.
Meditation ist Begegnung, und in der Meditation begegnen wir uns selbst. Dieses Selbst ist zunächst in Gegensätze aufzuteilen: unser niederes und unser höheres Selbst. Wir begegnen also positiven Dialogen, aber vor allem auch negativen. Das ist es, was uns von der Meditation abhalten, was uns sogar Angst machen kann. Meditation soll positive innere Dialoge in Gang setzen, um uns zu befähigen, mutig und positiv zu handeln. Wenn wir diesen Prozess in Gang setzen und halten - und Meditation ist dazu nur eine Möglichkeit -, können wir tatsächlich von Selbstverwirklichung, vom Entwickeln eines gesunden Selbstbewusstseins sprechen: Ein Grundpfeiler für Lebensmut.
Für dieses Positive - das tatsächlich vorhandene - brauchen wir allerdings besagten Stausee, das heißt, eine Quelle des Positiven, eine Quelle, die uns Maßstäbe dafür gibt, was das Positive ist. „Versenken in das Wort Gottes“, wie es im Duden steht, wohl deshalb, weil man das als die größte Quelle für das Positive betrachtet. Jeder Mensch muss für sich entscheiden, in welches Meer der Gedanken er sich versenken will und welche die für ihn positivsten Quellen sind. Meditieren über vorgegebene Gedanken ist eine besondere Art der Meditation und aus meiner Erfahrung die bedeutendste und stärkste Form.
In der Meditation begegnen wir aber nicht nur dem Größeren, dem Schöneren, dem Größeren und Schöneren in uns, sondern - Prinzip der Einheit - auch dem Kleinen. Unserer Ungeduld, unseren überzogenen Ansprüchen an uns und an die Meditation. Der Art, wie wir mit uns umgehen, wie wir uns bewerten; wie wir mit uns sprechen - „innerer Dialog“; dem Perfektionismus, dem Anspruch, vollkommen sein zu müssen. Diese Begegnung hilft, uns selbst zu erkennen und zu verstehen. Sie gibt uns gleichzeitig die Chance, positive Fähigkeiten im Umgang mit uns selbst zu stärken sowie neue zu entwickeln und zu einzuüben. Sich selbst ein guter Freund zu sein, wie immer die Meditation läuft, ist keine leichte Übung. Aber es ist der einzige Weg, diese Übung, während des Tuns und in ihrer Wirkung danach, positiv zu gestalten. Ein meditationswürdiger Satz aus den heiligen Schriften dazu:
„DU BIST MIR EIN BESSERER FREUND ALS ICH SELBST“
- 'Abdu'l-Bahá, Gebete
 
Der Umgang mit uns selbst ist die Basis für den Umgang mit anderen Menschen. Meditation soll 
in ihrer Wirkung schließlich nicht auf uns beschränkt sein. Im Gegenteil! Sie soll uns 
befähigen, uns durch ein Weniger an Selbstbezogenheit für die zu Verfügung stehende Energie 
zu öffnen, sie durch uns fließen zu lassen und ihr eine klare Richtung zu geben. Der Mensch, 
das Leben ist zielorientiert! Wir können das vergleichen mit einem Stein, der ins Wasser fällt.

Meditation ist der Stein, er setzt die Energie in Bewegung, die dann von uns, unserem innersten Kern aus nach außen wirken soll. Deshalb sehen wir die vielen Kreise, die der Stein im Wasser oder bildlich gesprochen im Leben zieht. Diese Kreise sind all die sozialen Bezugsfelder, in die der Mensch von heute eingebettet ist: Partnerschaft, Gemeinschaft bis hin zur gesamten Menschheit. Der Mensch ist ein soziales Wesen und darauf ist letztlich die Wirkung der Meditation gerichtet. Sie soll den Menschen befähigen, sein Bestes zum Besten für die Gemeinschaft zu entfalten.
Ein weiteres Ziel der Meditation ist es, auf unsere Fragen eine zufrieden stellende, uns angemessene, einleuchtende Antwort zu finden. Und das trifft vielleicht am ehesten, was für den Menschen Erleuchtung bedeuten könnte. Wir finden diese Antworten aber nur in uns, obwohl wir die Anregung - die Fragen - von außen brauchen: Nicht verwunderlich aus der Logik des Prinzips der Einheit.
- Meditation ist ein Weg der Selbstverwirklichung
 
Stellen wir uns den Menschen als ein Haus vor - Sinnbild für ein Ganzes, eine Einheit. Dieses Haus hat zwei Stockwerke. Im unteren leben wir als Wesen in einer materiellen Welt, denken, fühlen und handeln dementsprechend. Im oberen Stockwerk sind wir geistige Wesen, befindet sich das Reich der Seele, das Größere unseres Selbst. Ein religiöser Mensch würde sagen, dort hat Gott seine Wirklichkeit in uns gelegt. Hier ist der Ort der nächstmöglichen Begegnung mit dieser größten Wesenheit, die im religiösen Kontext Gott genannt wird. Hier befindet sich, wie es in den religiösen Schriften heißt, „das Bergwerk reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert.“ In diesem zweiten Stock befindet sich alles Wissen, Können, alle Fähigkeiten, die uns verliehen sind und die es zu entfalten gilt. Hier finden wir die tiefsten Gefühle und das stärkste Maß an Liebe, zu dem wir fähig sind. Hier ist der Sitz der Einheit unseres „verstehenden Herzens“.
Wir können die Meditation in diesem Bild als die Verbindung betrachten, mit der wir vom unteren in das obere Stockwerk gelangen können, oder die, anders herum, unserer seelischen Dimension, unserer geistigen Energie erlaubt, in das untere Stockwerk einzufließen. Diese Verbindung zwischen beiden Wirklichkeiten besteht lebensnotwendiger Weise immer, aber mit sehr großen Unterschieden an Intensität, Stärke, Klarheit und Bewusstheit. Der Prozess der „Erleuchtung“, die immer wieder im Zusammenhang mit Meditation auftaucht, ist der Prozess der Vergeistigung, ist die Fähigkeit, unser Denken, Fühlen und Handeln immer mehr, immer tiefer aus dem Potenzial des oberen Stockwerks heraus leiten und inspirieren zu lassen.
Meditation ist ein Weg der Übung, Haltungen zu entwickeln - etwa Demut oder Loslösung - die diese Eingebung aus dem oberen Reich des Hauses ermöglichen. Das kann und soll bereits während der Meditation der Fall sein. Das Gefühl zu schildern, wenn wir diese Verbindung spüren, wenn wir stärkerem Lebensmut, größeren Erkenntnissen und tieferen Gefühlen begegnen, als wir sie bis dahin kannten, ist kaum möglich. So wenig wie man das Gefühl der Liebe wirklich beschreiben kann. Aber wir alle kennen dieses Gefühl und haben eine tiefe Sehnsucht danach. Endlich gibt es eine Sucht, Mäßigung vorausgesetzt, die wir uns nicht verbieten, sondern uns verordnen sollten, und in der Meditation haben wir einen Weg, dem Ziel unserer sehnlichen Suche näher zu kommen. Das bedeutet es, die beiden Stockwerke des Hauses miteinander zu verbinden. Erst dann sind wir das ganze Haus, sind wir eins mit uns, haben wir eine Trennung aufgehoben und uns damit geheilt. Eine Heilung, die gemäß dem Prinzip der Einheit sowohl auf unseren Körper als auch auf unseren Geist wirkt.
- Meditation ermöglicht Beziehung
 

Wenn wir das Symbol des yin und yang betrachten, wird uns ein wesentlicher Aspekt des 
Prinzips der Einheit nicht unmittelbar ersichtlich. Malen wir deshalb das Symbol 
Schritt für Schritt.
Nachdem wir den Kreis gezeichnet haben, kommen wir zu der Wellenlinie, die den Kreis (Einheit) in zwei Hälften teilt (Abb.1), später dann in Gegensätze trennt. Gegensätze aber sind untrennbar miteinander verbunden. Daraus folgt, dass in jedem Trennen auch ein Verbinden steckt. Die Mittellinie symbolisiert daher jene dritte Dimension, die wir brauchen, um die Gegensätze überhaupt in Beziehung setzen zu können. Lösen wir die Form des Kreises auf, dann haben wir im Grunde drei Linien (Abb.2), oder anders ausgedrückt, drei Ebenen. Die obere und untere Ebene stehen für die Gegensätze, die mittlere für die Ebene, die dazu bestimmt und absolut notwendig ist, diese miteinander in Beziehung zu bringen (Abb.3).
Meditation gehört als geübte Haltung zur mittleren Ebene. Sie vermag uns Menschen, die wir in der Materie verhaftet sind, die wir mit beiden Beinen auf der ‚realen Ebene“ stehen, mit der geistigen Ebene unseres Wesens in Verbindung zu bringen. Sie gehört zu den Übungen, die im Grunde ein absolutes Muss sind, wenn wir die scheinbar gegensätzlichen Wesensteile von Körper und Geist in Beziehung setzen wollen. Und wer wollte nicht mit sich selbst in einer wirklichen Beziehung stehen?
- Meditation als Übung für „einen gesunden Geist in einem gesunden Körper“
 
Meditation muss, wenn sie eine positive Wirkung auf unseren Geist, unsere Seele hat, eine ebensolche auf den Körper haben. Cheng Man ch’ing, ein chinesischer Arzt, Kalligraph und Tai-Chi-Lehrer, hat über die direkte körperliche Wirkung der Meditation folgendes geschrieben: „Stärkung der Kontrollfunktion des zentralen Nervensystems; die tiefe Atmung während der Meditation verbessert die Blutzirkulation; sie erhöht die Nährstoffaufnahme und begünstigt Stoffwechselprozesse.“ Gerade die tiefe Bauchatmung - ein Muss in der Meditation - hat weitreichende Wirkung, denn die Organe des Bauchraums werden massiert und besser mit Blut versorgt. Der ganze Körper wird besser mit Sauerstoff versorgt, vor allem das Gehirn.
Wie so oft, wenn geistige Wissensquellen und Naturwissenschaft zusammen nach der Wahrheit 
suchen, ergeben sich 
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interessante Erkenntnisse. Amerikanische Wissenschaftler haben die Wirkung der Meditation auf 
Menschen, die sie jahrelang praktiziert hatten, mit neurologischen Mitteln untersucht. Die
Ergebnisse bestätigen die Wirkungen, die schon im alten China erkannt worden waren. Das Sinken 
des Blutdrucks und der Pulsfrequenz mit ihren positiven Wirkungen auf die Gesundheit
wurden offensichtlich. Besonders aufschlussreich waren die Untersuchungen der Gehirnströme. 
Es ergab sich, dass sich in der Meditation die Gehirnströme von Alphawellen in Betawellen
umwandeln, wie es sonst nur im Tiefschlaf geschieht. Und die Gehirntätigkeit ist auf diesem 
Betaniveau intensiver und qualitativ höherwertig. Im Tiefschlaf verarbeiten wir unter anderem
Tageserlebnisse. Damit ist freilich die Bedeutung des Träumens noch in keiner Weise ausgelotet. 
Schließlich heißt es in verschiedenen geistigen Quellen, dass der Traum der Beweis für
die Existenz einer anderen, einer geistigen Welt sei. Die Meditation kann also unsere 
Verstandesmöglichkeiten auf ein höheres Niveau bringen.
Unser Bild über Meditation erweitern außerdem folgende Untersuchungsergebnisse: Der veränderte Zustand unserer Gehirnwellen endet nicht mit der Meditation, sondern bleibt noch längere Zeit - durchaus mehrere Stunden - erhalten. Ich arbeite in meinen Seminaren (unter anderem Fortbildungen für Lehrer und das Wirtschaftsmanagement) bereits seit zehn Jahren erfolgreich mit Meditation als Übungsweg. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sollten uns erahnen lassen, dass Meditation für die Bildung und die Arbeitswelt - für Lernen, Kreativität und Intuition - eine überaus förderliche Übung sein könnte, deren Wirkungen wir noch gar nicht abschätzen können.
Meditation weckt in uns oft das Bild von Mönchen, die stundenlang in andächtiger Haltung in sich versunken sind. Dafür glauben wir als Menschen von heute, die ständig unter Zeitnot leiden, keine Zeit mehr zu haben. Die Untersuchungsergebnisse befreien uns von diesen Vorurteilen, denn die Wirkung der Meditation setzt bereits nach 10 bis 20 Minuten ein. Sich diese Zeit zu nehmen, kann dem Stress und unserem viel zu sehr auf das Äußere ausgerichteten Leben nur positive neue Impulse geben. Zudem wirkt Meditation weiteren falschen Haltungen entgegen.
Sie ist zum einen kein „fast food“-Weg - alles muss schnell und sofort erreicht werden. Zum anderen entzieht sie sich unserer Vorstellung, über alles Macht und Kontrolle zu haben. Denn ob wir den gewünschten Zustand in der Meditation erreichen, liegt nicht allein in unserer Hand. Diese geistige Übung macht deutlich, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind und sie deshalb nicht dem materiellen Gesetz des „Schalter an, Ergebnis da“ unterliegt. Auch diese Erfahrung kann uns Menschen nur gut tun. Sie befreit uns von Druck und überhöhten Ansprüchen, von falschen Haltungen, die wirklichem Lebensmut und echtem Selbstbewusstsein oft im Wege stehen.
Meditation ist ein Übungsweg, der die Einheit des Menschen aus Körper, Seele und Geist immer wahrt. Meditation findet in der Stille statt, denn nur dann können wir unsere innere Stimme hören. Wir meditieren mit geschlossenen Augen, werden also im Äußeren blind, damit wir lernen, mit dem inneren Auge zu sehen. Oder wie schon St. Exupéry schrieb: “Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Wir atmen tief in den Bauch, um zu spüren, dass wir stets Anteil an einer größeren Energiequelle haben, wenn wir sie durch uns wirken lassen und um in uns eine Mitte zu finden, „einen Ort, der ruhig und klar ist und der unberührt bleibt von allen Stürmen“. (nach T. Jossé)
Wir sitzen aufrecht, womit eine aufrichtige Haltung zum Ausdruck kommen soll. Aufrecht sitzen können wir nur, wenn wir die Gegensätze in uns in Einklang bringen. Die Hüfte sinkt Richtung Boden (wir leben in dieser materiellen Welt), der Kopf streckt sich Richtung Himmel (unser Streben geht in Richtung geistiges Sein). In dieser leichten Spannung, die wir im Leben brauchen, kann unser Rücken erst entspannen. Wir können erleben, wie der Rücken uns trägt und welche Kraft der angemessenen körperlichen Form innewohnt. Im Geistigen gilt das genauso.
Haben wir die dem Menschen angemessene geistige Form gefunden, werden wir spüren, wie wir getragen sind und sich daraus Kraft und Mut entfalten können, wie wir es nie zuvor kannten.
Meditation, eine körperliche Geistesübung, im Sitzen, entspannt, mit ruhigem Atem, geschlossenen Augen, in der Stille und bewegungslos. „Wo ist der Gegensatz?“ Den verwirklichen wir, wenn wir die Haltungen, die Erkenntnisse, die wir in der Meditation erschaffen, in unser tägliches Handeln in dieser gar nicht leisen, bewegungslosen, oft wenig entspannten Welt einfließen lassen. Wir können sogar noch weitergehen. Von 'Abdu'l-Bahá stammt die Aussage:
„LASST EURE TATEN TAGTÄGLICH
- WUNDERVOLLE GEBETE SEIN.“
 
So können wir formulieren: „Lass all dein Handeln tagtäglich Meditation sein.“ Es gibt auf diesem Übungsweg Momente, in denen ich das Gefühl habe, das Meditieren am liebsten ganz zu lassen. Es gibt Momente solch geistigen Erfülltseins, dass ich mir vorstellen könnte, ganz in diesem Zustand zu bleiben. Das eine als Ziel anzustreben und das andere als notwendigen Teil des Weges ebenso anzunehmen, das macht unser Menschsein aus.
- Rüdiger Dahm
 - Dip. Sozialpädagoge
 - Lehrer und Begründer der Meditativen Kampfkunst
 - Leiter von Human Art - Institut für Persönlichkeitsentwicklung
 - www.institut-human-art.de
 
„Ein Raum, in dem meine Seele ausruhen konnte.”[Bearbeiten]
Im nördlichen Torhaus des Brandenburger Tors in Berlin gibt es seit Oktober 1994 einen überkonfessionellen und für alle Menschen offenen „Raum der Stille.“ Er wird jährlich von rund 40.000 Menschen aus aller Welt aufgesucht, die hier einen Augenblick lang der Hektik unserer Zeit entfliehen und ihre Gedanken sammeln können. „Der Raum tut gut. Er sollte ausstrahlen, am besten durch Menschen, die anders herausgehen, als sie kamen.“ „Eine Wohltat für Geist und Sinne“. „Ein guter Ort, um zu sich selbst zu finden.“ So Eintragungen in den inzwischen 28 Besucherbüchern.
Worauf beruht diese starke Akzeptanz des Raumes der Stille? Er ist nicht allein ein Ort der Zuflucht vor dem Alltag der Großstadt, sondern auch ein Ort von beeindruckender Symbolik.
Das Brandenburger Tor ist das Wahrzeichen der Stadt. Durch dieses Tor marschierten Napoleon und Hitler, über Jahrzehnte symbolisierte es die Spaltung der Stadt und der Welt. Seit der Wende 1989 verbinden sich mit dem Tor jedoch Gedanken der Einheit, des Friedens und der Hoffnung. Auch dies wird immer wieder in den Besucherbüchern zum Ausdruck gebracht.
Geöffnet ist der Raum der Stille im Sommer täglich von 11 bis 18 Uhr, im Winter bis 16 Uhr. Möglich ist das durch das ehrenamtliche Engagement zahlreicher Menschen. Bereits 1991 gab es einen Initiativkreis, zunächst von Christen verschiedener Konfessionen. Bald kamen Muslime, Juden, Buddhisten und Bahá’í hinzu. Getragen wird der Raum der Stille von einem Förderverein mit etwa 150 Mitgliedern. Mehr als 80 Personen haben sich bereit erklärt, den Raum ehrenamtlich zu betreuen, und sie tun es meist einmal im Monat für zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden. Dabei halten die Betreuer sich im Vorraum auf, wo Gespräche möglich sind und Infoblätter in mittlerweile 28 Sprachen ausliegen. Der eigentliche Raum der Stille ist etwa 30 Quadratmeter groß und neutral und schlicht gehalten. An der Wand hängt ein gewebter Teppich von einer ungarischen Künstlerin mit dem Thema: „Licht, das die Dunkelheit durchdringt“, darunter auf dem Boden liegt ein Sandstein, es gibt einige Stühle, Hocker und Sitzkissen.
Wünschen wir, dass auch in Zukunft viele Menschen im Raum der Stille geistige Kraft schöpfen können und neuen Mut gewinnen, sich in ihrem Lebenskreis für Toleranz und Frieden einzusetzen.
- Tamara und Peter Scheffel
 
- Tamara und Peter Scheffel sind Mitglieder der Berliner Bahá’í-Gemeinde und wirken seit 1994 ehrenamtlich bei der Betreuung des Raumes der Stille im Brandenburger Tor mit. Peter Scheffel ist auch Vorstandsmitglied des Fördervereins „Raum der Stille in Berlin e.V."
 
Entsteht Lebensmut durch eine religiöse Haltung?[Bearbeiten]
Tempora hat Menschen verschiedener Glaubensrichtungen um eine Antwort auf die Frage gebeten:
Aus welchen Aspekten Ihrer Religion können Sie persönlich Lebensmut schöpfen?
Auf den folgenden Seiten wird der Frage aus der Sicht von acht Menschen nachgegangen, die sich zu einer der großen Weltreligionen bekennen.
Die Statements sind dabei als persönliche Stellungnahmen zu verstehen.
Judentum
- Eva Nickel
 
Gläubige von drei großen Religionen kennen die Geschichte von Hiob: Der Allmächtige hat ein Streitgespräch mit dem Teufel. Sie wollen herausfinden, wie fest der Treueste unter den Treuen an Gott glaubt, selbst wenn es ihm schlecht geht. Daher verliert Hiob, ein reicher und angesehener Mann, nach und nach alles: die geliebte Familie, Geld und Gut, Haus und Unterkunft, ja, Essen und Trinken. Schließlich wird er in großer Armut selbst noch schwer krank und fristet ein trauriges, jämmerliches Dasein - aber den Glauben an Gott, den Allmächtigen, verliert er nicht:
Er hat Hoffnung, er beweist Lebensmut!
In vier Jahrtausenden hatten Juden oft Lebensmut zu beweisen, wie es in der Tora (Christen sagen „altes Testament“) nachzulesen ist. In der modernen und neuzeitlichen Geschichte ist das Leben wahrlich ebenfalls nicht leicht, auch wenn die Lebenseinstellungen und Probleme heutzutage ganz anders sind als vor tausend Jahren, ja, als vor 50 oder sogar erst vor 15 Jahren.
Unsere Religion lehrt, dass jegliches Leben ein Heiligtum und unter allen Umständen zu schützen ist. Nicht, dass man sein eigenes opfern sollte, um anderes zu retten (ein Nichtschwimmer sollte nie ins Wasser springen, um einen Ertrinkenden zu retten. Er sollte aber schnellstens Hilfe holen, dazu ist er verpflichtet). Vielmehr muss beider Leben erhalten werden. Dafür müssen Möglichkeiten gesucht und gefunden werden.
„Wenn Du ein Menschenleben rettest, so rettest Du eine ganze Welt“ sagt der Talmud. Deutlicher denn je befinden wir uns jetzt in einer Zeit der weltweiten Entscheidung zwischen Krieg und Frieden. Jeder muss schon bei der Fragestellung Lebensmut beweisen, um nicht aufzugeben. Auch die Menschen (ich habe erstaunlich viele unter Nichtjuden getroffen), die für Krieg votieren, begründen ihre Entscheidung mit der Lebensbejahung, weil sie Diktatur und Zwangsherrschaft beseitigen wollen. Ich habe dafür Verständnis, denn es hilft den Unterdrückten.
Aber nützt es, wenn ich auf den Sack einschlage, aber den Esel meine? Ein Diktator kann vielen Menschen den Lebensmut rauben — abgesehen davon, dass er den Opfern das Leben raubt.
Wenn ich in Lethargie falle, nichts tue oder meine, nichts tun zu können, wenn ich wegsehe, helfe ich nur denen, die Macht an sich reißen wollen und grausame Taten zu verantworten haben. Dagegen müssen wir uns und die Betroffenen schützen, sie brauchen unsere Hilfe. Aber sind die Opfer immer nur Opfer, wann werden sie selbst zu Tätern? Können wir das feststellen - und wann - wenn wir viele Kilometer entfernt leben, die Mentalität der Betroffenen nicht kennen, die Situation nicht einschätzen können? Trotzdem bilden wir uns oft und gern ein Urteil, als ob das gleich „alles Leid der Welt heilen“ würde.
Beschränken wir uns nicht darauf, zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen, den Berichten (weil ja Bilder angeblich nicht lügen können!) zu glauben, ohne uns davon wirklich zu überzeugen und ja nicht über „den eigenen Tellerrand” zu sehen. Mein Lebensmut (mein Hinterfragen) soll mich zur richtigen Entscheidung führen. Ich will helfen, die Welt ein wenig besser und gerechter zu gestalten, aber wie und wo fange ich an? Wer sind die Leute, die mich immer wieder stoppen, und warum? Sind ihre Motive gut für eine gerechtere Welt? Oder tun sie es aus Eigennutz?
Was ich erreichen kann und möchte ist, dass wir alles hinterfragen, nachdenken - immer und immer wieder überdenken, denn Situationen, Einstellungen, Geschehnisse ändern sich mit den Zeiten. Es ist zwar bequem, alles hinzunehmen, was andere uns vorsetzen oder vorbeten, mitzutrotten, um nicht nachdenken zu müssen. Aber wir alle tragen für das Leben eine Verantwortung, der wir uns nie entziehen können. Und wer einmal begonnen hat, zu prüfen, nachzudenken und dann zu handeln, kann es nicht mehr lassen, will es immer tun. Jeder Mensch hat immer die Möglichkeit, sich für den einen oder den anderen (manchmal sogar für mehrere) Weg zu entscheiden. Die Verantwortung dafür liegt bei jedem Einzelnen.
Aber wenn wir den richtigen Weg gefunden haben, gehen wir ihn zielsicher und aufrecht - eben mit Lebensmut. Wenn uns dabei andere Menschen begegnen, die sich ähnlich entschieden haben, dann macht uns das stark und stolz - das gibt Lebensmut!
Eva Nickel
- Die Autorin ist leitende Mitarbeiterin der jüdischen Gemeinde zu Berlin, sie ist delegiert zur Agenda 21 und zum WCRP. Sie hat sich engagiert beim Aufbau der Wohlfahrtsverbände im Ostteil der Stadt
 
Hinduismus
- Jivanuga und Kamala Mattis
 
Kriege, Hungersnöte und Krankheiten, Verseuchung der Flüsse und Meere, Vergiftung der Luft und des Bodens, exzessiver Raubbau an der Natur - die Liste der Gründe, warum man den Mut zu leben verlieren könnte, ist lang und täglich fügen Menschen neue Gründe hinzu.
Doch vermittelt uns die hinduistische Weltsicht Hoffnung und Ansporn, der scheinbaren Sinnlosigkeit all der bedrängenden Ereignisse um uns herum und dem Gefühl der Hilflosigkeit, das sie oft auslösen, standzuhalten. Am Anfang steht für uns die Grunderkenntnis hinduistischen Denkens: Ich bin nicht mein Körper und damit auch nicht abhängig von all den freud- und leidvollen Umständen, die ihn betreffen. Alle materiellen Einflüsse und Gegebenheiten sind vergänglich. Nur der spirituelle Lebensfunke, der atma, der jeden einzelnen Körper in Gottes Schöpfung belebt, ist unvergänglich und wird von den Dingen dieser Welt nicht berührt.
Solange aber unser transzendentales Bewusstsein für diese grundlegende Tatsache des Lebens nicht erwacht ist und wir uns unserer spirituellen Identität noch nicht bewusst sind, schützt uns das Gesetz der Gerechtigkeit, das Gesetz des karma. Es besagt, dass jede Erfahrung unseres Lebens - und gerade auch die erschreckende - einer Ursache entspringt, die wir bewusst oder unbewusst zu einem früheren Zeitpunkt gesetzt haben. Das heißt, wir sind für das, was wir erleben, immer und unter allen Umständen selbst verantwortlich, und nur in uns finden wir die Lösung für all das, was uns bedrängt und hilflos macht. Daraus folgt, wir können an jedem Platz, an den wir in diesem Leben gestellt sind, mit Mut und Zuversicht unseren ganz eigenen Beitrag leisten, um das Leben lebenswerter zu gestalten.
Und über der Gerechtigkeit steht für uns Bhagavan, die Höchste Person, der Ursprung aller Dinge. Er, der unzählige Namen besitzt, sich in vielfältigen Erscheinungsformen manifestiert und dessen hervorragendste und heilsamste Eigenschaften Liebe und Barmherzigkeit sind. Er, der jedem Lebewesen seinen freien Willen zugesteht und dennoch über alle Vorstellungen von Schuld und Sühne hinaus bereit ist, all denen Verzeihung, Schutz, Geborgenheit und Liebe zu gewähren, die aufrichtigen Herzens bei Ihm Zuflucht suchen.
Und das ist für uns weit mehr als nur eine sentimentale, irrationale Flucht aus der Lebenswirklichkeit. Doch kann die Gewissheit Seiner Existenz nicht durch Vernunft oder Gefühl, sondern allein durch Glauben erlangt werden. Und dieser Glaube erwächst aus der Sehnsucht nach einer höheren Wahrheit, dem bewussten Fragen nach dem Sinn unserer Erfahrungen und aus dem Bestreben, die Antworten und Erkenntnisse, die uns zuteil werden, geduldig, entschlossen und voller Hingabe an unser Ziel umzusetzen.
Kamala und Jivanuga Mattis
- Kamala Sundari (Sylvia) Mattis, * 30.12.1955, Erzieherin, medizinische Fusspflegerin, Astrologin und Leiterin von systemischen Aufstellungen nach Bert Hellinger
 - Jivanuga (Norbert) Mattis, * 02.02.1952, Gymnasiallehrer (Deutsch, Geschichte, Englisch), Astrologe.
 
- Im Jahre 1986 wurden wir von Swami B.R. Sridhar als spirituelle Schüler angenommen. Wir arbeiten seit ca. 20 Jahren als Astrologen und haben 1987 eine Schule ins Leben gerufen: „RASA - Schule für Astrologie und spirituelles Leben“. Im Jahre 1989 haben wir den „Verlag für Vaishnava-Literatur“ gegründet und bemühen uns um die Übersetzung und Herausgabe spiritueller Literatur. Wir gehören seit 1995 dem „Forum für interreligiöse Zusammenarbeit“ (FIZ) in Freiburg an und sind Mitglieder der World Vaishnava Association (WVA).
 
Buddhismus
- Wilfried Pfeffer
 
Die Argumentation, der Einzelne könne nichts bewirken, entspricht nicht dem buddhistischen Weltbild. Nach der Lehre vom gegenseitigen abhängigen Entstehen und der vom Karmagesetz haben jede Tat und jeder Entschluss, aber auch jedes Unterlassen bestimmte Konsequenzen, die in das wechselseitige Netz der Bedingungen allen Seins eingehen und dort Wirkungen in verschiedenen Richtungen entfalten.
Kleine Anstöße können eine Lawine ins Rollen bringen. Es ist der Bewusstseinswandel, der Veränderungen hervorrufen kann. Das gilt auch für den politischen Bereich.
(14. Dalai Lama)
Der Buddhismus ist eine auf Logik aufgebaute Erkenntnislehre. Erkenntnisse sollen freilich 
nicht geglaubt, sondern durch praktisches Anwenden und Überprüfen im Alltag zu Wissen
werden. Denn glauben heißt nicht nur glauben, sondern sich an Erfahrenes zu erinnern. Galileo 
Galilei formulierte: Man kann den Menschen nichts beibringen. Man kann ihnen nur helfen, 
es in sich selbst zu entdecken.
Wo sind wir in diesem gigantischen Universum? Es gibt weitere Milliarden von Sonnen außer der irdischen in diesem Universum. Was sind wir? Wir - jedes Individuum - sind eine mikrokosmische Einheit der makrokosmischen Einheit.
Wozu leben wir? Um Entwicklung bewusst in Erfahrung zu bringen. Eine indische Weisheit sagt: Das Bewusstsein schläft im Stein, es atmet in der Pflanze, träumt im Tier, und es erwacht im Menschen.
Was der Mensch mit seinem reflektierenden Denken erfasst, ist das ihm Bewusste, alles andere ist das ihm Unbewusste. Die kosmische Entwicklung, von den einfachen zu immer komplexeren und bewussteren Formen, ist die Ursache unseres Daseins.
Sie ist das Aufbauende, Positive, das fundamental Gute, das Göttliche in uns. Für diese Entwicklung benötigt das Individuum Tausende von Jahren, also Hunderte von Leben. Denn dass die Erfahrungen aus einem einzigen Menschenleben nicht ausreichen, um mit der Realität der menschlichen Existenz zu einem Friedensschluss zu kommen, liegt auf der Hand.
Im Buddhismus geht es nicht um das Entkommen aus dieser Realität, solange das Bewusstsein nicht vollständig in der Souveränität mit Gewaltfreiheit verwirklicht ist.
Deshalb ist es eine logische Konsequenz, dass jedes Individuum im Laufe seiner Bewusstwerdung alle Stufen der Evolution periodisch durchleben muss, in verschiedenen Körpern, in wechselnden Geschlechterrollen, in den verschiedensten Kulturräumen und Religionen menschlicher Sozialisation. Erst dann kann es sich erfahrend, wissend erinnern, wird zum authentischen Erleben aller Phänomene und muss nichts blind glauben.
Dieser Evolutionsimpuls trägt den Mut zum Leben. Und das stellt den Menschen vor alle Formen geistiger Herausforderung, vor positive wie unangenehme Situationen bis zum Aushalten widrigster Umstände. Und wenn uns die gigantische kosmische Zeit den Lebensmut nehmen möchte, weil wir uns die Evolutionsdimension von drei Milliarden Jahren und mehr kaum vorstellen können, so hilft sich der Buddhist mit Bildern: Er stellt sich zum Beispiel seine ganze bisherige Lebenszeit als einen Tag vor. Dann denkt er sich ein Jahr, das aus 365 solcher Tage besteht, und schließlich ein Zeitalter, das viele dieser Jahre umfasst. Der Enthusiasmus eines wirklichen Buddhisten ist dann so groß, dass er bereit ist, selbst über diese unvorstellbare Zeit seine geistigen und körperlichen Mittel zur Verwirklichung der Erleuchtung - des voll erwachten Bewusstseins — einzusetzen und zu üben. Lebensmut ist dann nicht mehr an Zeit gebunden, sondern entsteht wie die Freude aus dem reinen Tun; nicht mehr aus der Frage nach dem Warum. Lebens-Unmut existiert dann nicht mehr.
Wilfried Pfeffer
- Wilfried Pfeffer reist seit 30 Jahren in die Himalayakulturen, lebte 2 Jahre in einem exiltibetischen Kloster im Himalaya und versucht, buddhistische Tugenden im westlichen Alltag zu leben.
 
- Initiierte und betreut 15 tibetische Hilfsprojekte in Indien, Nepal und Tibet. Gründer und Organisator des Tibet Kultur Hauses in Freiburg sowie Leiter des Kailash-Instituts für Tibetische Medizin in Freiburg.
 
Christentum, katholisch
- Gregor Böchermann
 
„Unser Wirtschaftssystem geht über Leichen“. Seit zwölf Jahren hält unsere Initiative 
„Ordensleute für den Frieden“ {OF} unter diesem Motto Mahnwachen vor der Zentrale der Deutschen
Bank in Frankfurt/Main. Dabei mussten wir aber feststellen, dass es nicht nur um die Armen 
in der Dritten Welt geht. Auch in Frankfurt werden die Reichen immer reicher und die Armen
immer ärmer. Daher fordern wir ein radikales Infragestellen unseres kapitalistischen 
Wirtschaftssystems, von dem 20 Prozent der Menschen auf Kosten von 80 Prozent in der Dritten
Welt, aber auch in Deutschland profitieren.
Unsere Eltern und Großeltern haben wir gefragt, wo sie Widerstand geleistet haben gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Uns wird man einmal fragen: Warum habt ihr keinen Widerstand geleistet in einem Unrechtsystem, das die Menschen der Dritten Welt ausbeutet, auch in unserem Land Millionen in die Arbeits- und Obdachlosigkeit treibt, die Umwelt zerstört und kommenden Generationen nur geringe Überlebenschancen lässt?
Lebensmut bedeutet für mich: intensiv leben. Dazu muss man einen alternativen Lebensstil entwickeln, bei dem nicht so sehr zählt, was wir haben oder konsumieren, sondern was wir sind und wie wir uns engagieren. Dabei müssen wir uns den Dimensionen menschlichen Existierens öffnen, mit allen Höhen und Tiefen.
Wer sich gegen das Leid abschirmt, ob das eigene oder das fremde, darf nicht erwarten, dass er das findet, was mit intensivem Leben gemeint ist.
Was hat das mit meinem Glauben zu tun? Er gründet auf zwei Pfeilern:
- 1) Jesus hat von Gott berichtet, der alle Menschen liebt, so wie sie sind und nicht für das, was sie leisten, produzieren oder konsumieren. Gott sagt “Ja” zu jeder/m von uns.
 
- 2) Jesus hat immer Partei ergriffen für die Schwachen und Unterdrückten. Er will, dass die Blinden sehen, die Lahmen gehen und die Gebeugten aufrecht dastehen.
 
Zwischen Mystik und Widerstand, zwischen Kampf und Kontemplation spielt sich mein Alltag ab. Mal liegt der Akzent mehr auf dem einen, mal mehr auf dem anderen. Die Balance zwischen beiden Polen zu finden, würde ich Lebensmut nennen.
Gregor Böckermann
- Pater Gregor Böckermann gehört dem katholischen Orden der „weißen Väter“ an und zählt zu den „Ordensleuten für den Frieden“, einer Handvoll radikal Friedensbewegter: Er hat 18 Jahre lang in Algerien als Missionar gelebt, heute fordert er einen Schuldenerlass für die Länder der Dritten Welt.
 
- Gebet „Vater unser“ in Aramäisch, Ausschnitt
 
Islam
- Taufiq Mempel
 
Anfang Februar auf dem Weg nach Bonn zu einer Konferenz. In der S-Bahn zum Fernbahnhof 
in Berlin heißt es plötzlich: „Schienenbruch. Der Zug wird ausgetauscht. Die Weiterfahrt
verzögert sich um ... Minuten.“ Kurz nach Hamm die Durchsage: „sehr geehrte Fahrgäste, 
wegen eines Schienenbruchs verzögert sich die Weiterfahrt voraussichtlich um ... Minuten“.
Das gleiche dann noch einmal nach Köln. Aber dann wird klar, dass es bei Temperaturen um 
den Gefrierpunkt unmöglich so viele Schienenbrüche an einem Tag geben kann. Die Gefahr des
Krieges gegen den Iraq scheint Menschen verzweifeln zu lassen. Und einige sehen nur noch 
den Ausweg, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Ich habe mich gefragt, ob es jetzt die Zeit sei, mit jedem Engagement aufzuhören. Dazu noch die Nachricht, dass Ende Januar das Land Niedersachsen alle Zufahrtsstraßen nach Bremen auf der suche nach islamistischen Terroristen hat sperren lassen. Alles, was nach Muslim aussah, wurde aus dem Auto geholt. Wie ich mich wohl verhalten hätte, fragte ich mich. Stehen Muslime in Deutschland mittlerweile pauschal unter Terrorverdacht?
Für mich fand ich nur die Antwort, dass alles, was passiert, das Ergebnis menschlichen Handelns und seiner Auswirkungen auf Menschen ist, die Verantwortung tragen, aber oft nur gewohnt sind, mechanisch zu reagieren. Andererseits glaube ich als Muslim, dass die Dinge, so wie sind, auch geschehen müssen. Als Muslime haben wir mit Allah - mit Gott - einen Bund geschlossen, der uns immer wieder daran erinnert, uns mehr auf Ihn zu verlassen als auf Menschen. Die Friedensbemühungen von so vielen unterschiedlichen Gruppen um eine Lösung im Iraq zum Beispiel lassen Hoffnung aufkommen, dass sich die Vernunft nicht unbedingt militärischer Gewalt und Gewaltandrohung beugen muss. Die Welt wird eben so sein, wie wir sie gestalten. Ich glaube, dass die Ereignisse um den Jüngsten Tag, das Weltenende, über uns „verhängt“ sind, wie der Koran sagt, dass sie aber nicht so eintreffen müssen. Viele Dinge sind ein Test, um unsere Wachsamkeit zu prüfen. Und deshalb sehe ich allen Grund, daß wir uns noch mehr engagieren und die Kräfte so kanalisieren, dass Früchte zu ernten sind, wenn es an der Zeit ist.
Taufiq Mempel
- Taufiq Mempel ist Regionalvertreter der Deutschen Muslim Liga für Berlin und Umgebung, Jahrgang 1962, verheiratet, drei Kinder, hat in Leipzig Arabistik studiert und ist diplomierter Dolmetscher für Arabisch und Englisch.
 
- Nahm 1992 den Islam an. Sein besonderes Interesse gilt der koranischen Terminologie, die einen Eingang zum Verständnis der islamischen Religion und Kultur bietet. Er arbeitet als online-Redakteur in Berlin.
 
- Qur’án, erste Sure In Arabisch, Ausschnitt
 
Christentum, evangelisch
- Magdalene Schönhoff
 
„Wer nicht weiß noch glaubt, dass Gott ein Gott der Freude, des Friedens, des Trostes, der Hoffnung, des Heils, des Lebens und alles Guten ist, der kennt Gott nicht.“ (Martin Luther)
Zwei Grunderfahrungen sind es, die mein Leben begleiten: Hineingestellt in eine Welt des Unrechts, 
der Grausamkeit, des unermesslichen Leids, versuche ich nicht, den Schmerz darüber, den
„Seufzer der bedrängten Kreatur“ (Römerbrief 8,22) weg zu drängen und mich in eine abgehobene, 
weltfremde Glaubenswelt zu flüchten.
Gleichzeitig erfahre ich immer wieder auch etwas von den Verheißungen des Lebens. Gegen den sich ausbreitenden zynischen Nihilismus des Zeitgeistes setze ich die Hoffnung Jesu: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ (Matthäus 5,6)
Solange die Hoffnung auf positive Veränderungen in der Welt lebendig ist, überwiegt die Tendenz zum Guten, zum Rettenden. Wir können sie als universelle Heilsgegenwart Gottes deuten. Öffnen wir uns dieser Gegenwart, werden wir uns geborgen fühlen - auch in einer Welt kaum erträglicher Zumutungen.
Das Grundgefühl des Getragen-Seins äußert sich im Lebensmut, der zur Wurzel aller tieferen geistig-seelischen Motivationen eines Menschen wird: von der persönlichen Liebe bis zum riskanten politischen Engagement.
Lebensmut und Gottvertrauen gehören zusammen. So schrieb der christliche Theologe Paul Tillich: Gott sei „die Macht des Seins Selbst, die uns bejaht und den Mut zum Sein verleiht.“ Gott ist demnach der „Grund des Mutes“. Das Gute im alltäglichen Leben verstärkt meinen Lebensmut. Dieses Gute begegnet mir unaufhörlich - im Ein- und Ausatmen, beim Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken; im Schlaf und beim Wach-Sein; vor allem aber im liebevollen Miteinander mit anderen Menschen: beim Verstehen, Vertrauen, bei der Vergebung.
Es gibt tausend Gründe dafür, dankbar zu sein für die Lebensspanne, die uns geschenkt ist, und diese mit Lebensfreude zu erfüllen. Handeln wir aus dem Glauben und Gottvertrauen heraus, wird durch dieses Handeln unser Glauben und Gottvertrauen vermehrt. Handeln wir aus Selbstachtung, wird auch die Selbstachtung sich verstärken. Das scheint ein Lebensgesetz zu sein.
Mehr Glauben und mehr Vertrauen in Gott ist meines Erachtens die Seligkeit, von der Jesus sprach. Und diese Seligkeit befreit zu einem vom Lebensmut getragenen Ausschöpfen der Lebens-Möglichkeiten in unserer persönlichen Lebensgeschichte.
Magdalene Schönhoff
- Magdalene Schönhoff ist ehrenamtlich im Umweltbeirat der ev. Kirche Berlin-Brandenburg und in der Krankenhaus-Seelsorge der ev. Kirchengemeinde Königs Wusterhausen tätig, außerdem arbeitet sie im Eine-Welt-Laden und im WCRP-Berlin mit.
 
- Gebet „Vater unser“ in Aramäisch, Ausschnitt
 
Bahá’í-Religion
- Peter Pollak
 
Lebensmut hängt für mich eng mit der Frage nach dem Sinn des Lebens zusammen, für mich persönlich, 
aber auch für die Menschheit als Ganzes, mit der eigenen Wertschätzung und der anderer Menschen, 
auch mit den zu bewältigenden Lebensaufgaben und nicht zuletzt mit der Gewissheit eines geistigen 
Lebens nach dem irdischen Tod.
Die wesentlichste Grundlage für meinen Lebensmut ist die Gewissheit, von Gottes Liebe getragen zu werden, ausgedrückt in dem Verborgenen Wort von Bahá’u’lláh, in dem Gott uns anspricht: „O Sohn des Menschen! Verhüllt in Meinem unvordenklichen Sein und in der Urewigkeit Meines Wesens, wusste Ich um Meine Liebe zu dir. Darum erschuf Ich dich, prägte dir Mein Ebenbild ein und offenbarte dir Meine Schönheit.“
Wenn Bahá’u’lláh sagt „Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. ...“, wird nicht nur ein Fundament für ein positives Menschenbild gelegt, sondern es kommt die große Wertschätzung aller Menschen zum Ausdruck, die mir großen Lebensmut gibt. Denn dieses Menschenbild gibt mir den Mut, meine Mitmenschen mehr und mehr zu lieben, ihre Edelsteine zu entdecken in der Gewissheit, dass in allen noch viele unentdeckte Potenziale verborgen sind, die es zu entwickeln gilt.
Daneben gibt mir der Aspekt, dass in der Bahá’í-Religion eine Vision für die Menschheit aufgezeigt wird, den Mut, mich den Lebensaufgaben zu stellen. So sagt Bahá’u’lláh: „Alle Menschen wurden erschaffen, eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen ...“ und an anderer Stelle „O ihr Menschenkinder! Der Hauptzweck, der den Glauben Gottes und Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechts zu sichern, seine Einheit zu fördern und den Geist der Liebe und Verbundenheit unter den Menschen zu pflegen.“ Mit der Überzeugung, dass unser Tun einen Sinn hat für jetzige und künftige Generationen und sogar über den Tod hinaus, ist mir meine Religion eine sprudelnde Quelle fortgesetzten Lebensmutes.
Peter Pollak
- Peter Pollak, verheiratet, 3 Kinder, Dipl. Ing. (FH), Individualpsychologischer Berater, Leiter des Adler-Schoenaker-Instituts, Dozent für Psychologie am SHI in Zug/Schweiz
 
Lorcan Flynn
- Lorcan Flynn ist Ire, lebt in Deutschland und ist als Übersetzer, Lehrer für Geschäfts-Englisch und Erzähler irischer Geschichten tätig, Verfasser zahlreicher Artikel und Gedichte in verschiedenen Zeitschriften.
 
 
Bekenntnisse eines Junky[Bearbeiten]
Der Raum der Stille, die Tranquillity Zone, ist als Projekt im englischen Swindon mit großem Erfolg eingeführt worden. Die Absicht seiner Schöpfer war, die Geistigkeit in der Bevölkerung zu fördern, und zwar bei möglichst vielen Bürgern und in allen Altersstufen. Daher haben sie für die Tranquillity Zone Räumlichkeiten im Health Hydro im Stadtzentrum gewählt, wo man eine ganzheitliche Herangehensweise an das Thema Gesundheit fördert.
Dort ist der Raum der Stille eine weitere „Dienstleistung“, diesmal der geistigen Art. Den Besucher umfängt eine liebevoll gestaltete Atmosphäre. Blumen und Kerzen schmücken den Raum, meditative Musik umrahmt die Texte, die als kurze Zitate aus den Heiligen Schriften zu Themen wie „Geistigkeit und Sinn des Lebens“, „Liebe“ „Einheit“, „Leben nach dem Tod“ zusammengestellt sind. So wird aus dem Raum der Stille eine Oase zur Erholung für Körper, Geist und Seele.
Auch in Deutschland gibt es mittlerweile vielerorts diese Einrichtungen, in denen jeder willkommen ist, der sich für einige Augenblicke von den Gedanken des Alltags befreien und Nahrung für Geist und Seele finden möchte.
- Die Übersetzung des Textes von Lorcan Flynn aus dem Englischen besorgte Roland Greis
 
Du hast leicht kritisieren. Vielleicht könnt ihr ja ohne regelmäßige Rauschzustände auskommen. 
Vielleicht braucht ihr ja überhaupt keine. Gut für euch. Aber das gibt euch nicht das Recht, euch 
mir überlegen zu fühlen. Euer Mitgefühl brauche ich auch nicht. Ich bin nun mal schwächer als ihr. 
Aber ich habe meine Schwachstelle erkannt, mich meinem Problem gestellt und mich auf den Weg der 
Besserung begeben. Vielleicht sehen wir uns auf dem nächsten Seminar und ich berichte euch von 
meinen Fortschritten. Aber mit etwas Glück kann ich bis dahin möglicherweise ganz darauf verzichten. 
Denn ich bin oder war ein Seminar-Junky.
Wenn man von einem Seminar kommt, besonders wenn es eine ganze Woche dauerte, wo man Gelegenheit hatte, nicht nur Kraft durch die anderen Menschen zu tanken, sondern auch in privaten Unterhaltungen und Workshops anderen ein wenig helfen zu können, hat man oft das Gefühl, dass das Leben lebenswert ist und dass man einen Beitrag dazu leisten kann. Wer schon einmal an einem solchen Seminar teilnehmen durfte, kennt dieses euphorische Gefühl. Leider weiß man, dass die Stimmung, die man mitnimmt, selten die erste Begegnung mit dem kalten Wasser der Wirklichkeit überdauert - egal, ob das die Realität der Arbeit, der häuslichen Situation oder diejenige der Unbeweglichkeit der Menschen ist, die, da sie das Seminar nicht erlebt haben, im alten Trott ihrer vertrauten Vorstellungen und Arbeitsweisen stecken bleiben. Oft ist die einzige dauerhafte Konsequenz die Bekehrung eines anderen Seminar-Junkys, des netten Menschen, den man auf jedem Seminar trifft und der ebenfalls nach dieser speziellen Atmosphäre süchtig geworden ist.
Das Wochenende, das in Swindon bei London unter der Bezeichnung „Events to Environments“ stattfand, war da ganz anders. Heute, achtzehn Monate danach, kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass es einen dauerhaften Einfluss auf mein Leben ausgeübt hat. Ich werde versuchen, das zu begründen.
Kein Seminar kommt ohne diese Elemente aus: eine lohnende Botschaft, begeisterte Seminarleiter, die sie übermitteln, eine unterstützende Atmosphäre und freundliche Teilnehmer. Das Wochenende in Swindon hatte das alles im Überfluss. Die Botschaft war einfach: Alle eure Anstrengungen sollten darauf gerichtet sein, die Art von Umgebung zu schaffen, in der geistiges Wachstum stattfinden kann.
[Seite 20]
 
Von allen britischen Inseln, aus Deutschland und mehreren anderen europäischen Ländern waren 
Menschen angereist. Sie alle hatten von dem Erfolg mit dem „Raum der Stille“ gehört
und wollten diese Einrichtung in ihren Ländern einführen. Als erfahrener Seminar-Junky fällt 
es mir leicht, in einer solchen Atmosphäre neue Freunde zu finden und den Stress des Alltags
abzuschütteln. „Okay“, sage ich mir dann immer, während ich meine geistige Fliegerweste 
anlege, „selbst wenn du an diesem Wochenende nichts lernst, wirst du doch zumindest nette 
Leute kennen lernen und eine angenehme Zeit haben.“
Weit davon entfernt, Stichwortlisten mit methodischen Anleitungen aufzuschreiben, verbrachten wir die meiste Zeit damit, uns über die Fehler zu amüsieren, welche die Leute aus Swindon gemacht hatten, bevor sie dahin gekommen sind, wo sie jetzt sind. Sie erzählten uns alles, was wir tunlichst vermeiden sollten beim Nachbau ihres berühmten Raumes der Stille in unseren Gemeinden. Das Verrückteste war ihre offenkundige Überzeugung, dass jeder mit gleichem Erfolg das tun könne, was sie getan hatten. Und merkwürdig ist, dass sie Recht hatten. Im Internet fand ich lange Listen mit Beispielen aus aller Welt. So schreibt die Bahá’í-Gemeinde Liechtenstein:
„Unsere hektische Zeit, voll von Ängsten und Zwängen, verlangt nach Ausgleich durch innere Ruhe und Sicherheit. Unsere Gäste genießen ruhige Momente des Nachdenkens über einige inspirierende Texte aus den Bahá’í-Schriften mit Musik, speziell ausgewählt, um ihr Herz zu erbauen und den Geist zu erfrischen.“ „Toms Website“ in Jerusalem dagegen liefert eine detaillierte Geschichte der „Tranquillity Zone“ und Hinweise auf andere interessante Themen.
Weder der Allgegenwart dieser wunderbaren Einrichtung noch der Tatsache, dass unsere eigene Gemeinde seit mehr als einem Jahr eine solche unterhält, kann ich jedoch den positiven Wandel zuschreiben, der seit dem Seminar in Swindon in meinem Leben eingetreten ist. Es war etwas anderes auf diesem Seminar. Es war die Geistigkeit, die Demut, das unerschrockene Vertrauen auf das Wort Gottes. Es war die Quelle des Mutes und die ansteckende Zuversicht, dass jeder von dort weggehen und etwas tun könne. Wenn ein Mann dich anschaut und in allem Ernst sagt: „Freunde, wenn ihr materielle Mittel benötigt, um ähnliche Projekte zu verwirklichen, wird sich ein Loch im Himmel auftun, und die nötigen Gelder werden euch vor die Füße fallen“, dann ist der Mann entweder komplett übergeschnappt, oder er spricht aus Erfahrung. Wenn er aus Erfahrung spricht, gibt es mit Sicherheit einen Grund, warum Gott all diese Hilfe einem ehemaligen Rockmusiker zuteil werden lässt und nicht so guten Menschen wie dir und mir.
Ein Unterschied, den ich begriffen habe, bestand in meinem Fall darin, dass ich geglaubt hatte, ganz gut allein zurechtzukommen. „Meistens geht es mir schließlich gut, und wenn es mir mal schlechter geht, kann ich ja immer ein Seminar besuchen“ - das hatte ich mir unbewusst jahrelang eingeredet. An einem Punkt in ihrem Leben hatten die Freunde in Swindon jedoch erkannt, dass sie auf göttlichen Beistand angewiesen waren. Sie merkten, dass sie doch nicht allein überleben konnten. Und dann machten sie etwas. Sie ließen nicht mehr locker. Sie ließen sich von Fehlschlägen nicht mehr entmutigen. Sie wandten sich solange an Bahá’u’lláh, bis Er ihnen zeigte, was sie tun konnten. Und dann taten sie es im Glauben an Seine Führung, die uns allen versprochen ist. Das Ganze ist offensichtlich recht einfach. Sie versicherten uns, dass es auch bei uns funktionieren würde. Wir müssten nur darum bitten.
Eine Konsequenz dieses Wochenendes ist, dass ich euch wahrscheinlich nicht auf dem nächsten Seminar treffen werde. Ich denke, ich kann meine Zeit besser nutzen und mit Leuten sprechen, die wie ich zu unserem Raum der Stille kommen, um Kraft und Mut zu tanken. Natürlich könnte ich auch selber ein Seminar über dieses Thema abhalten. Vielleicht treffen wir uns dann dort!
Verantwortung für das eigene Leben übernehmen[Bearbeiten]
- Ardawan Lalui
 
Life-Management ist das Thema eines Trainingskurses, der entwickelt wurde, den Teilnehmern Wissen, Einsichten und Fertigkeiten zu vermitteln. Damit sollen sie persönliche, soziale und berufliche Aspekte ihres Lebens besser in Einklang bringen können.
Der Kurs basiert auf zwei Thesen. Erstens: Der Mensch hat eine Seele - definiert als die Summe 
von Eigenschaften, die ihn zu dem machen, was er ist. Zweitens: Es gibt einen Schöpfer. Wer
diese Möglichkeit ablehnt, sollte sie zumindest als Arbeitshypothese gelten lassen können.
Ein Reisender kommt in ein Dorf. Er sieht einen Schuster bei der Arbeit und fragt: „Ich möchte mich an einem angenehmen Ort niederlassen. Was für Leute leben hier?“ „Was für Leute leben in Ihrem alten Dorf?“ fragt der Schuster ohne aufzusehen. „Leider keine netten. Eher sehr unangenehme, selbstsüchtige und gemeine Leute.“ „Sie werden es nicht glauben, aber die Leute in diesem Dorf sind gemeiner, unangenehmer und selbstsüchtiger als alles, was Sie bisher getroffen haben“, antwortet der Schuster. „Ich schlage vor, Sie versuchen es woanders.“ Was der Reisende auch tut.
Einige Stunden später kommt ein anderer Reisender. „Was für Leute leben hier?“ fragte er den Schuster. “Was für Leute leben in Ihrem alten Dorf?“ fragt der Schuster zurück. „Sehr nette, zufriedene und hilfsbereite Leute“, antwortet der Reisende. „Ah, Sie halten die Leute in ihrem alten Dorf für nett? Die Leute hier sind hundert Mal netter“, sagte der Schuster.
Fast jeder Kampf im Leben, jedes Ringen spielt sich im Einzelnen ab. Keine Organisation kann die inneren Probleme lösen, Sieg oder Niederlage im entscheidenden Moment herbeiführen oder verhindern. Diese Einsicht ist der Startpunkt auf unserem Weg zum persönlichen „Life Management“ 1
Wenn wir erkannt haben, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, unser Leben in die Hand zu nehmen, sollten wir uns Klarheit über uns selbst verschaffen. Sind wir Sünder, Konsumenten oder Opfer? Nach einigen Übungen werden wir erkennen, dass das ganze Konzept von Life Management nicht greift, wenn wir nicht den Menschen als ein „Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert“2 ansehen. Die Schlussfolgerung lautet dann, dass unsere individuellen Mängel nichts anderes sind als das Fehlen von positiven Eigenschaften. Und zwar von solchen, die universell, dauerhaft und ewig sind: Wahrhaftigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Geduld, Großzügigkeit, Freundlichkeit, Nachsicht, Gerechtigkeit. Es ist faszinierend zu sehen, was für eine befreiende Wirkung die Vorstellung von der Würde und Macht der menschlichen Natur auf diejenigen ausübt, die zum ersten Mal damit konfrontiert werden. Auf einmal sehen sie Dunkelheit als das Fehlen von Licht und ihre eigenen Mängel als Abwesenheit positiver Eigenschaften, die es noch zu entwickeln gilt.
- Vertreibe den Fremdling
 
Die Mehrheit der Kursteilnehmer ist nicht vertraut mit Sprachbildern wie „Hast du jemals gehört, dass Freund und Feind im selben Herzen wohnen? So vertreibe den Fremdling, dass der Freund in Seiner Wohnung Einzug halte“3. Dieses tiefsinnige und schöne Zitat kann man in die Sprache des Life Management übersetzen. Dann bedeutet Herz den Mittelpunkt unseres Seins, das Zentrum, um das sich alles dreht.
Es ist der Ort, aus dem unsere Sicherheit, unsere Weisheit, unsere Orientierung, unsere Kraft und unsere Prinzipien entspringen. Verständlicherweise sind wir von diesem Zentrum abhängig. Der „Fremdling“ bedeutet Dinge, die den Wechselfällen des Lebens unterworfen sind: das Ego, Besitz, Annehmlichkeiten, Geld, Macht, Karriere, Position und Status. Selbst Familien- und Freundessituationen können sich verändern.
Demgegenüber umfasst „Freund“ alles, was beständig, dauerhaft und allgemein gültig ist, Werte wie 
Geduld, Wahrhaftigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Großzügigkeit, Freundlichkeit, Rechtschaffenheit, 
Ehrenhaftigkeit, Verantwortlichkeit, Respekt, Hingabe. Wenn wir den „Fremdling“ zum Mittelpunkt 
unseres 
[Seite 22]
Lebens machen, sind wir zufrieden, solange uns Gesundheit, Erfolg und Bequemlichkeit 
beschieden sind. Wenn wir jedoch in Schwierigkeiten geraten und Mühsal oder Krankheit 
überhand nehmen, werden wir unsicher, depressiv, verwirrt und unglücklich.
Ein entscheidender Aspekt von Life Management besteht darin, sich vom „Freund“ führen zu lassen und Methoden zur Entwicklung, Förderung und Erneuerung „unseres Zentrums“ zu erarbeiten. Es wird nicht an einem Tag, sondern muß täglich erbaut werden. Jedes Mal, wenn wir eine richtige Entscheidung treffen, stärken wir unser Zentrum, selbst wenn unsere Wahl negative Konsequenzen hat. Unser Verhalten ist Ergebnis unserer Entscheidungen und nicht der Bedingungen, die uns umgeben.
„Schließen Sie die Augen und stellen sich vor, Sie sind auf einer Beerdigung, auf Ihrer eigenen“, fordert der Trainer die Teilnehmer auf. „Stellen Sie sich vor, dass danach Ihre Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen und die Gemeindemitglieder an einem Tisch sitzen und drei Sätze über Sie schreiben. Über Ihre Erfolge, Ihren Charakter, Ihr Verhalten und Ihre Eigenschaften. Da diese Sätze in der Zeitung erscheinen werden, müssen sie kurz sein, sonst wird es teurer als die Beerdigung. Welche Sätze würden Sie sich wünschen? Was sind Ihre Träume?“
Es ist noch nie vorgekommen, dass einer gesagt hätte: „Ich wünsche mir, ich hätte mehr Zeit im Büro verbracht“ oder die Dinge getan, die wir normalerweise tun. Wenn man analysiert, was die Menschen in der Zeitung sehen wollen, kommen zwei unterschiedliche, aber miteinander verbundene Träume ans Licht: Zum einen der Wunsch, bestimmte Eigenschaften entwickelt zu haben (persönliche Entwicklung) und zum anderen der Wunsch, zur Verbesserung der Welt beigetragen zu haben (gesellschaftliche Entwicklung).
Was aber verursacht eine persönliche Entwicklung? „Befasst euch nicht rastlos mit eueren eigenen Belangen! Lasst euere Gedanken fest auf das gerichtet sein, was das Glück der Menschheit wiederherstellen und der Menschen Herzen und Seelen heiligen wird“ 4.
Aber wie kann man zur sozialen Entwicklung beitragen? „Am besten kann dies durch reine und heilige Taten, durch ein Leben der Tugend und durch edles Betragen vollbracht werden“ 4.
Kernpunkt des Life Management ist die aktive Beteiligung an den beiden miteinander verbundenen Aspekten unseres Lebens, der Entwicklung unserer Eigenschaften und unseres Engagements für eine fortschreitende Zivilisation. Es ist unmöglich, diese beiden Ziele zu trennen, Erfolge auf dem einen Gebiet sind nicht nachhaltig ohne unser Engagement auf dem anderen.
- Alice im Wunderland
 
„Würdest du mir bitte sagen, welchen Weg ich von hier aus gehen soll?“ fragte Alice die Cheshire Katze, die auf einem Ast in der Nähe saß. „Das hängt davon ab, wohin du willst“, antwortete die Katze. „Das ist mir ziemlich egal“, erwiderte Alice. „Dann ist es auch egal, wohin du gehst“, meinte die Katze. „So lange ich nur irgendwohin komme“, fügte Alice erklärend hinzu. „Oh, das passiert von alleine, wenn du nur lange genug gehst“, gab die Katze zurück.
Life Management bedeutet nicht, zu gehen, ohne zu wissen, wo man hin will. „Wo man hin will“ ist unsere Vision, unser Traum. Life Management heißt, das Ziel und den Ausgangspunkt gleichzeitig im Blick zu haben: Das große Bild und das kleine zugleich. Visionen geben uns Hoffnung, Orientierung und den Wunsch, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Sich Ziele zu setzen, Strategien zu entwerfen und Handlungsschritte festzulegen: Das ist die praktische Seite von Lebens- und Arbeitsmanagement.
Life Management befasst sich auch sehr konkret und praktisch mit dem Prozess des Aufbaus beratender Beziehungen, mit effektivem Zeitmanagement und damit, proaktiv statt reaktiv zu werden. Mit der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts in unserem Leben, damit, wie Arbeit effektiv zu delegieren ist, und wie wir unsere Fähigkeiten entwickeln können, um mit schwierigen Menschen und Situationen besser zurecht zu kommen, aber auch mit der Entwicklung von Führungsqualitäten.
Ardawan Lalui
- Dr. Ardawan Lalui ist der Verwaltungsdirektor einer großen privaten Erziehungseinrichtung in der Tschechischen Republik. Davor arbeitete er als Direktor für Forschung und Entwicklung bei einer irischen Firma, die Beatmungsgeräte entwickelte und produzierte. Die Firma gewann 1996 den „European Design Award“. Er hielt daneben auch Vorlesungen im Bereich der Ingenieurwissenschaften.
 
- Life Management-Kurse finden an der Townshend International School vom 6. bis 12. und vom 20. bis 26 Juli 2003 statt. Weitere Informationen über: ardawan.lalui@townshend.cz
 
Quellen:
- 1. Shoghi Effendi: „Zum wirklichen Leben“
 - 2. Bahá’u’lláh: Ährenlese 122
 - 3. ders. Verborgene Worte, persisch 26
 - 4. ders. Ährenlese 43:4
 
Kontemplation[Bearbeiten]
O GOTT,
ERQUICKE UND ERFREUE
MEINEN GEIST.
LÄUTERE MEIN HERZ.
ENTFLAMME MEINE KRAFT.
ALLE MEINE ANGELEGENHEITEN
LEGE ICH IN DEINE HAND.
DU BIST MEIN GELEIT
UND MEINE ZUFLUCHT.
ICH WILL NICHT LÄNGER
TRAURIG UND BEKÜMMERT,
SONDERN EIN GLÜCKLICHES UND
FRÖHLICHES WESEN SEIN.
O GOTT,
NICHT LÄNGER SOLLEN MICH ANGST
PLAGEN NOCH SORGEN QUÄLEN.
ICH WILL NICHT BEI DEN NIEDEREN
DINGEN DIESES LEBENS VERHARREN.
O GOTT,
DU BIST MIR EIN BESSERER FREUND
ALS ICH SELBST.
ICH WEIHE MICH Dir, O HERR.
- GEBET VON
 
- 'ABDU'L-BAHÁ
 
 
- Hüterin, 2002
 - Öl auf Leinwand,
 - 6o x 8o cm
 - Berenike Michalke
 
- Von guten Mächten wunderbar geborgen
 - erwarten wir getrost was kommen mag
 - Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
 - und ganz gewiß an jeden neuen Tag"
 
- Dietrich Bonhoeffer
 
TAFEL DER LIEBE
ERKENNE MIT GEWISSHEIT:
LIEBE IST
- DAS GEHEIMNIS VON GOTTES
 - HEILIGER SENDUNG!
 
LIEBE IST
- DIE OFFENBARUNG DES
 - ALLBARMHERZIGEN!
 
LIEBE IST
- DER QUELL GEISTIGER AUSGIESSUNG!
 
LIEBE IST
- DES HIMMELS GÜTIGES LICHT!
 
LIEBE IST
- EWIGER ODEM DES HEILIGEN GEISTES,
 - DER DIE MENSCHENSEELE BELEBT!
 
LIEBE IST
- DER GRUND, WARUM SICH GOTT DEM
 - MENSCHEN OFFENBART!
 
LIEBE IST
- DAS NOTWENDIGE BAND,
 - DAS AUS DER WIRKLICHKEIT DER DINGE
 - DURCH DIE GÖTTLICHE SCHÖPFUNG
 - HERVORGEHT!
 
LIEBE SICHERT
- ALS EINZIGES MITTEL ECHTES GLÜCK
 - IN DIESER UND DER ZUKÜNDTIGEN WELT!
 
LIEBE IST
- DAS LICHT, DAS DURCHS DUNKEL FÜHRT!
 
LIEBE IST
- DAS LEBENDIGE BINDEGLIED, DAS GOTT
 - MIT DEM MENSCHEN VEREINT UND DEN
 - FORTSCHRITT JDER ERLEUCHTETEN
 - SEELE VERBÜRGT!
 
LIEBE IST
- DAS GRÖSSTE GESETZ, DAS DIESEN
 - MÄCHTIGEN, HIMMLISCHEN ZYKLUS
 - REGIERT!
 
LIEBE IST
- DIE EINZIGARTIGE KRAFT, WELCHE
 - DIE VERSCHIEDENEN ELEMENTE DER
 - STOFFLICHEN WELT ZUSAMMENHÄLT!
 
LIEBE IST
- DIE HÖCHSTE ANZIEHUNGSKRAFT,
 - WELCHE DIE BEWEGUNG DER SPHÄREN IN
 - DEN HIMMELSREICHEN REGIERT!
 
LIEBE ENTHÜLLT
- MIT UNFHLBARER, GRENZENLOSER
 - KRAFT DIE VERBORGENEN GEHEIMNISSE
 - DES WELTALLS!
 
LIEBE IST
- DER GEIST DES LEBENS FÜR DEN
 - GESCHMÜCKTEN LEIB DER MENSCHHEIT!
 
LIEBE ERRICHTET IN DIESER VRGÄNGLICHEN
- WELT WAHR KULTUR UND VERSTRÖMT
 - UNVERGÄNGLICHEN RUHM ÜBER JEDE
 - RASSE UND NATION, DIE HOHE ZIELE
 - ANSTREBT!.....
 
- 'ABDU'L-BAHÁ
 - BRIEFE UND BOTSCHAFTEN 12:1-4
 - LANGENHAIN 1990
 
- Sequenz 1-3 aus Verbindung III
 - Mischtechnik
 - je Teil 80 x 120 cm
 - Sigrid Drübbisch
 
 
  
 
     
- Segenszeit
 - in der Entstehung
 
- Handbemalte Seidentücher
 - mit Textstellen aus
 - den Bahá’í - Schriften
 
- Segenszelt
 - Φ 110 cm
 - auf der Ausstellung
 - "SFARTE" 19.10.02 - 10.11.02
 - Ilsedore Peterson
 
DER HERR DER GANZEN MENSCHHEIT
HAT DAS MENSCHENREICH ZUM GARTEN EDEN,
ZUM IRDISCHEN PARADIES GESTALTET.
FINDET DAS MENSCHENREICH DEN WEG,
DEN ES FINDEN MUSS, ZU EINTRACHT UND
FRIEDEN, ZU LIEBE UND ALLSEITIGEM VERTRAUEN,
SO WIRD ES EIN WAHRES GEFILDE DER SELIGKEIT,
EINE STÄTTE VIELFÄLTIGEN SEGENS UND UNENDLICHER WONNE.
DANN WIRD DIE MENSCHHEIT IHRE VORTREFFLICHKEIT
OFFENBAREN, DANN WIRD DIE SONNE DER WAHRHEIT
IHRE STRAHLEN AUF ALLE LANDE WERFEN.
- 'ABDU'L-BAHÁ,
 - BRIEFE UND BOTSCHAFTEN 220:1,
 - LANGENHAIN 1990
 
Kreativität und Lebensmut[Bearbeiten]
Lebensmut hat viele Ursachen. Allen gemeinsam ist die Erfahrung von Sinn. Ob dieser unbewusst erlebt oder bewusst wahrgenommen wird, ist dabei von sekundärer Bedeutung. Kleine Kinder erfahren sinnhafte Zusammenhänge intuitiv und entwickeln von diesem Ausgangspunkt schrittweise Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten des Lebens. Die Grundlage ihres Entwicklungstriebs ist dabei die zunächst unbewusste Annahme, dass im Dasein ein Sinn und eine gewisse Ordnung vorhanden sind. Wenn Erzieher oder Mitmenschen durch ihr Verhalten nicht den Gegenbeweis liefern, erschließen sich durch selbstständiges Forschen mehr und mehr Zusammenhänge als sinnhaft. Das ermöglicht dem Heranwachsenden eine immer bessere Anpassung seiner Gedanken und Gefühle an die Realität und führt potenziell zu einer Harmonisierung von Innen und Außen.
Das Werkzeug, das jeder Mensch zu diesem Zweck hat, ist seine Fähigkeit zur Erkenntnis. Damit können wir unser Verhalten auf die Bedingungen, die wir vorfinden, einstellen, aber diese auch umgestalten, wenn sie uns unsinnig erscheinen. Das Wesen dieser Fähigkeit, Probleme und Konflikte sowie Widersprüche zwischen Innen und Außen zu lösen, ist schöpferisch.
Kreativität ist somit unser Hauptinstrument auf dem Wege der Entwicklung. Die Tatsache, dass sie jeden Menschen angeboren ist, sollte bereits Anlass sein, Mut zu fassen. Vielleicht können wir sogar Dankbarkeit empfinden, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir mit allem ausgestattet worden sind, was wir für unseren materiellen und geistigen Fortschritt benötigen.
Kreativität ist die Fähigkeit, konstruktive Antworten auf die uns begegnenden Situationen zu geben. Weiterentwicklung ist ihr herausragendes Kennzeichen. Immer wenn uns diese nicht gelingt, wenn wir Bekanntes nur wiederholen, nach vorgegebenen Mustern denken und handeln, sind Stagnation oder Zerstörung und Verfall die Folge. Umgekehrt ist der Einsatz zerstörender Kräfte immer ein Zeichen für mangelnde Kreativität, für die Abwesenheit dessen, was eigentlich den Menschen seiner Erschaffung würdig macht.
Erfinderisch können wir auch in der Entwicklung destruktiver Techniken und Waffensysteme sein. Kreativ sind wir damit noch lange nicht. Denn kreativ sein bedeutet, sich im Einklang mit der Schöpfung zu betätigen und nicht Lebens- und Aufbauprozesse zu negieren.
Kreativ denken und handeln bedeutet, sich auf den Weg zu machen zur Gestaltung des eigenen 
Lebens. Diese Tätigkeit trägt ihren Lohn bereits in sich, denn der kreative Mensch
erlebt mit jedem schöpferischen Gedanken und Schritt bereits Befriedigung und das Gefühl 
einer positiven, aufbauenden Macht. Er erfährt sich als Macher und Veränderer seiner selbst
[Seite 28]
 
und der ihn umgebenden Bedingungen. Solange diese Tätigkeit nicht Andere beeinträchtigt und 
je mehr sie Andere ermutigt, fördert und unterstützt, desto stärker kann sie Glücksgefühle
auslösen, das Gefühl von Einssein und Harmonie.
- Jede kreative Tat ist ein Akt des Widerstands gegen die Sinnlosigkeit
 
Ausgehend von dieser Erkenntnis lässt sich bei fehlendem Lebensmut Kreativität als therapeutisches Hilfsmittel einsetzen. Warum wirken kreative Tätigkeiten ermutigend und stärken die Lebenskraft? Weil wir uns mit jeder kreativen Bemühung auf die konstruktive Seite des Lebens schlagen und dadurch einen Schritt gegen die Sinnlosigkeit tun. Wir befreien uns aus der passiven Rolle des Leidenden und entschließen uns zum Anschluss an die Kräfte, die Leben und Sinn hervorbringen. Und wir werden dafür belohnt, indem wir uns ein wenig mehr als Teil eines harmonischen Ganzen erfahren und fühlen können.
Welcher Art unsere kreative Tätigkeit ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Meist verbinden wir mit dem Begriff Kreativität künstlerische Beschäftigungen. Das ihnen zugrundeliegende Prinzip, nämlich eine neue Ordnung herzustellen, ist hier offenkundig. Das führt zu der These, dass künstlerische Tätigkeit vor allem dann als sinngebend und harmonisierend empfunden wird, wenn die im Produkt angestrebte Ordnung sich mit Lebensgesetzen im Einklang befindet oder deren Erkenntnis fördert. Bleibt sie ganz und gar subjektiv, drückt sie bestenfalls die Befindlichkeit ihres Schöpfers aus, kann aber kaum andere Menschen wahrhaft bereichern, da sie vom menschlichen Erkenntnisstrom abgeschnitten ist.
Aber Kreativität zeigt sich auch in ganz anderen Formen. Sie ist eine grundsätzliche Möglichkeit menschlichen Verhaltens. Gelingt es uns in unserem täglichen Tun, uns nicht als Automaten zu verhalten, sondern kreativ, also konstruktiv zu sein, so erleben wir ein Gefühl positiver Macht, Freiheit und Bereicherung. Kreatives Handeln verlangt Offenheit, Flexibilität, Verständnis für Andere und für Fremdes, die Fähigkeit, das Ungewohnte zu denken und Neues, bisher Unbekanntes einzubeziehen. Insofern ist Kreativität ein sozialer Akt, denn sie ermöglicht uns, die Begrenztheit unseres Selbst, unseres Horizonts zu verlassen und neue Verbindungen, auch zu Menschen, herzustellen. Dadurch macht sie Weiterentwicklung möglich.
Der Schlüssel zum Fortschritt war daher von jeher Kreativität. Dass sie es auch beim gesellschaftlichem Fortschritt ist, rückt immer mehr ins Bewusstsein. Vor allem in Zeiten drohender Kriege lohnt es, sich in Erinnerung zu rufen, dass wir mit diesen tausendfach gescheiterten Methoden keine Chance haben werden, die Menschheitsprobleme zu lösen. Das Festhalten an solchen ungeeigneten Mitteln ist vielmehr die Ursache für die Verschärfung der Probleme.
Im Kleinen und Alltäglichen zeigt sich Kreativität in der Art, wie wir mit uns selbst, mit unserer Umgebung und unseren Mitmenschen umgehen. Je mehr wir jede Situation als einzigartig und neu begreifen, darauf eingehen und uns von eingefahrenen Denk- und Handlungsmustern lösen, desto eher können wir Einstellungen überwinden, die Lebensmut zerstören oder lähmen. Wer das Gefühl hat, sich in einer Sackgasse zu befinden, wer sich als Opfer sieht und davon überzeugt ist, auf die Umstände seines Lebens keinen Einfluss zu haben, der versinkt leicht in Passivität und Depression.
Bemühen wir uns aber um eine wache und aktive Einstellung und suchen wir in jeder Situation das Veränderbare und den Keim des Neuen, den Ausgangspunkt der Weiterentwicklung, so überwinden wir schrittweise das, was uns lähmt und behindert. Insofern ist jeder kreative Versuch, jede schöpferische Tat, mit der wir dem scheinbar Sinnlosen Sinn abgewinnen, nicht nur ein Zeichen von Mut, sondern auch ein Stück Selbstermutigung. Es ist der Griff nach dem eigenen Potenzial, mit dem wir uns herausziehen aus dem Sumpf der Selbstbehinderung.
Jeder kreative Versuch erfordert ein Mindestmaß an Glauben. Was ist damit gemeint? Glauben ist die aus Erfahrung stammende Zuversicht in das Vorhandensein von Sinn. Ohne Glauben ist zielgerichtetes Handeln unmöglich, da es uns fruchtlos erscheint. Immer wenn wir handeln, drücken wir damit bereits unseren Glauben aus. Ob dieser auf religiösen Erkenntnisbemühungen oder nur auf dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten beruht, ist dabei zunächst unwichtig. Allerdings hat sich in der Geschichte der Menschheit gezeigt, dass eine Motivation, die sich nicht nur auf Selbstvertrauen, sondern auch auf das Vertrauen in eine höhere Macht stützen kann, unvergleichlich wirksamer und auch dann noch tragfähig ist, wenn das Selbstvertrauen vor der Übermacht sinnzerstörender Kräfte resignieren würde.
- Roland Greis
 
Geborgenheit schafft Lebensmut[Bearbeiten]
- Peter Held
 
Abschütteln und drauftreten
Ein alter Farmer hatte ein Maultier, das eines Tages in einen Brunnen fiel. Er hörte es schreien und überlegte, was zu tun sei. Er kam aber trotz seines Mitleids zu dem Schluss, dass es die Mühe nicht lohnte, das Tier oder den Brunnen zu retten. Stattdessen rief er seine Nachbarn zusammen und bat sie, ihm dabei zu helfen, das Maultier mit Erde zuzuschütten, um seinem Leiden ein Ende zu machen.
Als immer mehr Erde auf seinen Rücken herunterprasselte, geriet das Maultier in Panik. Aber dann hatte es eine Idee: Jedes Mal, wenn wieder eine Schaufel voll auf ihm landete, schüttelte es die Erde ab und trat darauf. Abschütteln und drauftreten, abschütteln und drauftreten. Die Erdklumpen taten ihm weh und die Lage schien aussichtslos, aber das Maultier besiegte seine Angst und hörte nicht auf, die herunterpolternde Erde von seinem Rücken abzuschütteln und draufzutreten. Und so kam es, dass das Tier auf der zusammengetretenen Erde im Brunnen immer höher kam, bis es nach einer Weile erschöpft und zerschlagen, aber triumphierend über die Brunnenmauer steigen konnte. Die Erde, die sein Grab hätte decken sollen, hatte es gerettet. Warum? Wegen der Art und Weise, wie das Tier mit dieser Bedrohung fertig geworden ist.
Im Leben ist es ähnlich. Wenn wir unseren Problemen ins Auge sehen und positiv darauf reagieren, uns nicht in Panik versetzen oder verbittern lassen und nicht in Selbstmitleid verfallen, können wir, anstatt unter ihrer Last zu ersticken, die in ihnen liegenden Möglichkeiten nutzen und ihre Segnungen empfangen.
Vergeben, Glaube, Gebet und Hoffnung sind solche Möglichkeiten, Probleme abzuschütteln und draufzutreten, damit wir aus dem Brunnen herauskommen, wenn wir hineingefallen sind,
Das Geheimnis des Lebensmuts ist ein Bezugsrahmen, in dem der Einzelne getragen wird und sich geborgen fühlen kann in einer sich entfaltenden Welt, wo er seine besondere Rolle finden kann. Sein Beitrag mag geringer oder größer sein, er darf hoffen, dass er in den großen Strom der Vorsehung münden wird. Der Schöpfer dieses Bezugsrahmens erwartet von der Menschheit, dass sie sich innerhalb ihrer Evolution zu immer umfassenderen sozialen Einheiten zusammenschließt, bis die Kultur einer einzigen Menschheit in Mannigfaltigkeit entsteht, die den Begriff der Einheit Gottes - wenn auch nur unvollkommen - auf ihrer Schöpfungsebene widerspiegelt.
- „Alle Menschen wurden erschaffen, eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen.“1
 
Die Anhänger Bahá’u’lláhs erkennen in den Schriften des Bahá’í-Glaubens eine „neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen, eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religionen neuen geistigen Auftrieb, neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit gibt, sie durch einen neuen Blick für die grundsätzliche Einheit ihrer religiösen Lehren entflammt und vor ihren Augen die herrliche Berufung enthüllt, der das Menschengeschlecht entgegengeht.“2
An sich selbst verzweifelt der Mensch, der sich als bloßes Produkt des Zufalls ins Sein 
hineingeworfen sieht, der für sein Wirken keinen anderen Rahmen wahrnimmt als die Einflüsse,
die von außen auf ihn einströmen, oder die Eingebungen seiner Neigungen, von denen er sich 
nicht sicher sein kann, ob sie ihm nützen oder schaden. Mal tragen sie ihn hoch, mal
stürzt er ihretwegen ab, im ewigen Schwingen des Pendels menschlichen Strebens, das die 
Mitte zwischen den Polen nicht ohne Bezugsrahmen finden kann. Der konstruktive Umgang
mit seinen inneren Schatten gelingt ihm nicht, entweder er liefert sich ihnen aus, oder 
er leugnet ihre Existenz so lange, bis
[Seite 30]
sie ungestüm aus ihm herausbrechen. Das innere Licht, das als Gabe in ihn gelegt ist, erkennt 
er nicht, er stellt sich nicht der Aufgabe, dieses Licht zu hüten und wachsen zu lassen, bis es ihn
und andere erleuchtet. Er vergisst seinen Ursprung und muss letzten Endes alle Dinge fürchten.
Bahá’u’lláh beschreibt ein Weltbild, das als Rahmen für die vitalen Äußerungen des Lebens dienen kann. „Nachdem Er die Welt und alles, was darin lebt und webt, erschaffen hatte, wünschte Er durch das unmittelbare Wirken Seines unumschränkten, höchsten Willens, dem Menschen die einzigartige Fähigkeit zu verleihen, Ihn zu erkennen und zu lieben - eine Fähigkeit, die notwendigerweise als der gesamten Schöpfung zugrundeliegender schöpferischer Antrieb und Hauptzweck anzusehen ist...
Und da es kein Band unmittelbaren Umgangs geben kann, das den einen, wahren Gott an Seine Schöpfung bindet, da keinerlei Ähnlichkeit zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen, dem Bedingten und dem Absoluten bestehen kann, hat Er bestimmt, dass in jedem Zeitalter und in jeder Sendung eine reine, unbefleckte Seele in den Reichen von Erde und Himmel offenbar werde... Durch die Lehren dieser Sonne der Wahrheit wird jeder Mensch fortschreiten und sich entwickeln, bis er die Stufe erreicht, auf der er alle in ihm verborgenen Kräfte offenbaren kann, mit denen sein innerstes, wahres Selbst begabt worden ist. 3
Das Menschenbild Bahá’u’lláhs ist die Grundlage für die lebensbejahende Selbstwahrnehmung des Menschen mit allen seinen Möglichkeiten und Lebensdimensionen. Der Mensch ist in der Tat edel erschaffen; alle Dinge der Welt sind zu seiner Erziehung geschaffen, auf dass ein Wesen existiere, das durch die eigene Suche nach Wahrheit in Beziehung treten kann mit dem göttlichen Ursprung.
„Das Höchste Wesen spricht: Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.“ 4
Die Definition von menschlichem Leben hat zwei Aspekte: Das Erscheinen des Menschen in einem materiellen Körper endet mit dem physischen Tod, der von Gott verordnet ist und dem er nicht entrinnen kann. Das Leben der Seele, das in den Heiligen Schriften erwähnt wird, beruht auf der Erkenntnis Gottes und dem Erreichen seiner Gegenwart durch die Begegnung mit den Boten Gottes, die als Stellvertreter des unerkennbaren Gottes auf der Schöpfungsebene dessen Erlösungsplan verfolgen. Für diese Begegnung gibt es zwei Quellen: Das Buch der Natur und das Buch der Offenbarung. Das Buch der Natur spricht in den ewigen Gesetzmäßigkeiten und spiegelt die geistige Welt wider. So betrachten die Bahá’í die Sonne als ein Bild, das seine Bedeutung als Lebensquelle von den Sonnen der Wahrheit herleitet, die seit jeher den Gang der Weltgeschichte maßgeblich beeinflussten. So wird auf die zweite Quelle der Begegnung mit Gott hingewiesen: Ohne die Erziehung durch die Stifter der einen Religion Gottes, die zu unterschiedlichen Zeiten den Völkern erschienen, sei der Mensch, betont Bahá’u’lláh, nicht imstande, seine rechte von der linken Hand zu unterscheiden. Erkenntnisfähigkeit und Liebesfähigkeit wurden seit Bestehen der Menschheit über unvorstellbar lange Zeiträume von den Boten Gottes geweckt, angeregt und entfaltet. Wendet sich der Mensch bewusst dieser Quelle der Begegnung mit Gottes Wort zu und macht er sich vertraut mit der göttlichen Absicht, wie sie in den Heiligen Schriften verzeichnet ist,so kann er seinen Lebensmut nicht verlieren. Denn selbst wenn er allein ist, so ist er doch nie einsam, da durch Gebet, Meditation und ein Leben des Dienstes die Gegenwart Gottes für ihn zu einer seelisch-geistigen Realität wird.
„Singe die Verse Gottes, O mein Diener, die Du empfangen hast, wie jene sie singen, die ihm nahe sind, damit die Süße Deiner Weise deine Seele entflamme und die Herzen aller Menschen anziehe. Wer zurückgezogen in seiner Kammer die von Gott offenbarten Verse spricht, wird erfahren, wie die Engel des Allmächtigen den Duft der Worte, die sein Mund ausspricht, überallhin verbreiten und das Herz jedes Gerechten höher schlagen lassen. Mag er sich auch zunächst dieser Wirkung nicht bewusst sein, so wird doch die Kraft der ihm gewährten Gnade früher oder später Einfluss auf seine Seele haben. So sind die Geheimnisse der Offenbarung Gottes durch den Willen Dessen, der Urquell aller Macht und Weisheit ist, verfügt worden.“ 5
- Bahá’u’lláh Bahá’u’lláh
 
Die Lebensbedingungen des Menschen in dieser Welt sind geknüpft an Leiderfahrungen. Aber 
das erschreckende Ausmaß des Leids in der Welt ist nicht die Absicht Gottes. Vielmehr
haben die Menschen einen freien Willen und fügen sich gegenseitig jenseits des für sie 
beschriebenen geraden Pfades der Rechtleitung unsagbares Leid zu. Der höchste Ausdruck
des freien Willens ist indessen, so paradox es klingt, die willige Unterwerfung unter den 
Willen Gottes.
Diese bewusste Eingliederung in den von Gott vorgesehenen Gestaltungsrahmen für den 
Menschen ist ein lebenslanger Prozess der Veredelung, mit Erfolgen und Rückschlägen, 
und der aus Liebe zu Gott ersehnten Rückkehr auf den von ihm gewiesenen Weg. Dazu 
muss der Mensch erkennen, dass Fortschritte auf diesem Weg eine ehrliche 
Auseinandersetzung 
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mit seinen Möglichkeiten und Versäumnissen bedingen. In seinen täglichen Gebeten 
weckt er die ganze Skala geistiger Empfindungen von unbegrenzten Segnungen, die für ihn
bereitstehen bis hin zum Eingeständnis seiner Machtlosigkeit und seiner Versäumnisse, 
ungeachtet dessen, welche Verdienste er schon erworben hat. Bahá’u’lláh versichert, 
dass Gott keine Seele über ihr Vermögen belastet. Die Prüfungen der Gläubigen, seien 
es besondere Ereignisse, Krankheit oder fehlgeleitete Gedanken, dienen der Erinnerung, 
der Rechtleitung, damit der Mensch sich loslöst von den Dingen, die ihn von der 
Gegenwart Gottes fernhalten.
„Klagt nicht in Zeiten der Heimsuchung, noch erfreut euch ihrer, suchet den Mittelweg: Gedenket Meiner in eurer Betrübnis und bedenket, was euch in Zukunft widerfahren kann. Also unterrichtet euch Er, der Allwissende, der alles kennt.“ 6
„Was deine eigenen Angelegenheiten angeht, so wäre es lobenswert, wenn du dich mit allem abfändest, was der Himmel schickt. Einen Beruf auszuüben ist sehr empfehlenswert; denn wenn man arbeitet, ist man weniger geneigt, sich bei den unangenehmen Seiten des Lebens aufzuhalten. So Gott will, wirst Du in jeder Stadt und jedem Land, wo du auch weilst, strahlende Freude, Frohsinn und Frohlocken erfahren.“ 7
Der Mut entsteht in seiner höchsten Form in der Überwindung der Furcht durch den Einsatz gottgegebener Fähigkeiten im Heilsplan Gottes:
„Die Quelle des Mutes und der Macht ist die Verbreitung des Wortes Gottes und die Standhaftigkeit in seiner Liebe.“ 8
Die Überwindung der Furcht ist seit jeher eine Herausforderung für jeden einzelnen. Bahá’u’lláh verspricht: „In den Schätzen der Erkenntnis Gottes liegt ein Wissen verborgen, das - richtig angewandt -, wenn auch nicht ganz, so doch in hohem Maße, die Furcht vertreibt. Dieses Wissen sollte von Kindheit an gelehrt werden, weil es viel dazu beiträgt, die Furcht zu bannen. Was die Furcht vermindert, steigert den Mut.“ 9
- 1 Bahá’u’lláh, Ährenlese 109:2
 - 2 The Faith of Bahá’u’lláh, A World Religion, by Shoghi Effendi, BV. S. 2
 - 3 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Kap. 27
 - 4 Bahá’u’lláh, Ährenlese Kap. 122
 - 5 Bahá’u’lláh, Ährenlese Kap. 136:2
 - 6 Bahá’u’lláh, Ährenlese Kap. 122
 - 7 Bahá’u’lláh, Tafel an Maqsud, Botschaften aus Akká, S 202
 - 8 Kitab-Aqdas K 178
 - 9 Bahá’u’lláh, Brief an den Sohn des Wolfes, S. 43 * Bahá’u’lláhs Testament
 - 10 Edward G. Browne, A Traveller‘s Narrative, Cambridge 1891, repr, Amsterdam 1975
 
O SOHN DES MENSCHEN!
DU BIST MEIN BESITZ,
UND MEIN BESITZ VERGEHT NICHT.
WARUM FÜRCHTEST DU DEINE
VERGÄNGLICHKEIT?
DU BIST MEIN LICHT,
UND MEIN LICHT VERLÖSCHT NIE.
WARUM FÜRCHTEST DU DEIN VERLÖSCHEN?
DU BIST MEINE HERRLICHKEIT, UND MEINE
HERRLICHKEIT SCHWINDET NICHT.
DU BIST MEIN GEWAND, UND MEIN GEWAND
VERALTET NICHT.
SO BLEIBE IN DEINER LIEBE ZU MIR,
DAMIT DU MICH IM REICHE DER HERRLICHKEIT
FINDEST.
- BAHÁ’U’LLÁH
 
- DIE VERBORGENEN WORTE, ARAB. 14
 
- Der Größte Friede
 
Die herrliche Berufung, der das Menschengeschlecht entgegengeht, zu der sie sich in den 
Umwälzungen unserer Zeit nach dem Willen Gottes hin bewegen wird, bietet die Grundlage für
Gewissheit, positive Lebensorientierung und Sinnhaftigkeit, die der Lebensangst wirkungsvoll 
entgegentreten.
Als Bahá’u’lláh gegen Ende seines Lebens, nach vierzig Jahren in der Verbannung, von einem europäischen Wissenschaftler besucht wurde, äußerte er eine Vision der Zukunft, die den Lebensmut der Bahá’í begründet:
„Wir wünschen nur das Gute dieser Welt und das Glück der Völker; und doch betrachten Sie uns als Aufrührer und Unheilstifter, der Gefängnis und Verbannung verdient... Dass alle Völker eins im Glauben und alle Menschen wie Brüder werden sollen; dass die Bande der Zuneigung und Einheit zwischen den Menschenkindern verstärkt werden sollen; dass der Religionsstreit aufhören und die Rassenunterschiede beseitigt werden sollen - was könnte das schaden? Und es wird so kommen. Diese nutzlosen Kämpfe, diese zerstörerischen Kriege werden vergehen, und der Größte Friede wird kommen.“10
- Peter Held
 
Mehr Lebensmut durch Ermutigung[Bearbeiten]
Jeder Mensch möchte irgendwo dazu gehören
Mut zum Leben heißt Mut zum Leben mit den Mitmenschen. Jemanden anlächeln, eigene Wege 
gehen, ein Gespräch initiieren, jemanden anschauen, Zuhause anrufen, sich entschuldigen,
jemandem verzeihen, dem andern etwas Gutes sagen, bei Schwierigkeiten stehen bleiben, seine 
eigene Meinung sagen, Bezahlung für Arbeit verlangen, die Entwicklung von sozialen, politischen 
oder religiösen Bewegungen unterstützen, sich weigern, einen Befehl auszuführen, die Führung 
übernehmen; das alles kann mutig sein. Mut impliziert Aktivität und zwar Aktivität, die 
ihre Zielrichtung findet im Interesse für die Interessen der anderen Menschen.
Das Zusammenleben mit den Mitmenschen findet in drei Lebensaufgaben statt, die die Individualpsychologie definiert als Liebe, Arbeit und Gemeinschaft. Das Glück des Menschen, seine Zufriedenheit und sein Erfolg entstehen aus gelungenen sozialen Beziehung in diesen Lebensaufgaben. Das heißt in der Beziehung zu dem/der Ehepartner/in, zu den Kindern und den Eltern in der Lebensaufgabe Liebe. In der Beziehung zum Vorgesetzten und den Mitarbeitern in der Lebensaufgabe Arbeit. Zu Freunden, zu Menschen, denen wir begegnen und solche, um deren Existenz wir im weltweiten Maßstab nur wissen in der Lebensaufgabe Gemeinschaft.
Die Lebensaufgaben sind aber auch die Ouelle des Leids. Wir erleben es bei Unfrieden in der Partnerschaft, bei Trennung und Scheidung, in Erziehungsproblemen, in spannungsreichen Verhältnissen mit Eltern oder Schwiegereltern in der Lebensaufgabe Liebe. Bei Problemen am Arbeitsplatz und Arbeitslosigkeit in der Lebensaufgabe Arbeit. Durch Konflikte und Einsamkeit in der Lebensaufgabe Gemeinschaft.
Aus psychologischer Sicht liegt der Sinn des Lebens in der Erfüllung der Lebensaufgaben; aber ein sinnvolles Leben fällt uns nicht zu. Es muss aktiv gestaltet werden. Wenn wir Mut haben, sind wir immer kreativ genug, um die Lebensaufgaben sinnvoll zu gestalten. Wenn uns der Mut fehlt, sind wir eher ichbezogen, und unsere Aktivitäten sind nicht auf die Interessen der anderen, sondern auf unsere eigenen abgestimmt. Aktivitäten können dann störend bis zerstörerisch sein. Mut ist so gesehen immer etwas Sozialkonstruktives, auch wenn das mutige Verhalten des einzelnen nicht allen gefallen mag. Der Mutige richtet sein Verhalten auf das Wohl des anderen, der Gruppe und der Gemeinschaft aus, mit der Absicht und dem Ziel, das Bestmögliche zu bewirken. Das ist im Kleinen so, wenn wir in der Kindererziehung Entscheidungen treffen, die auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sind, auch wenn unsere Entscheidung dem Kind nicht gefällt, und das ist in größeren Zusammenhängen so. Dann ist mutiges Handeln auf das Streben nach einer besseren Zukunft für die Menschheit und die Welt gerichtet.
- Das Zugehörigkeitsgefühl
 
Mutiges Verhalten kann also nicht ohne Interesse für das Wohl des anderen gedacht werden. Interesse für das Wohl des anderen ist aber eng verknüpft mit dem Erleben, dass wir selbst Teil des Systems, der Partnerschaft, der Familie, des Arbeitsplatzes, der Gemeinschaft sind. Es geht um das Gefühl der Zugehörigkeit. Wer sich nicht als ein wesentlicher Teil des Systems erlebt, der ist außerhalb, schaut von außen nach innen. Er schaut aus dem kalten Garten durchs Fenster in die gemütliche Wohnung, wo die anderen zusammen sind. Er ist allein, gehört nicht dazu und glaubt, nicht nützlich sein zu können, weil er nicht gebraucht wird. Das ist eine der schmerzlichsten und niederdrückendsten aller Emotionen, sich alleine, abgelehnt, isoliert zu fühlen. In allen Lebensaufgaben kann man das erleben; besonders stark in Mobbing-Prozessen. Es ist dabei unerheblich, ob jemand weiß, dass er dazugehört, zum Beispiel durch einen Ehevertrag, einen Arbeitsvertrag, eine Vereinsmitgliedschaft oder seine Mitgliedskarte, die ihm die Zugehörigkeit zu seiner Religionsgemeinschaft bescheinigt. Wenn er sich nicht zugehörig fühlt, hat das alles keine Bedeutung.
Ich hatte die Gelegenheit, 520 Personen aus verschiedensten Berufs- und unterschiedlichen Altersgruppen Fragen über ihr Zugehörigkeitsgefühl zu stellen.
(siehe auch: Schoenaker, Th. und J. und Platt, J.}
[Seite 33]
Die häufigsten Antworten waren (zusammengefasst):
Wenn ich mich nicht zugehörig fühle: bin ich angespannt; fühle ich mich traurig, ängstlich, 
aggressiv, mutlos, dumm. Ich denke: was habe ich wieder falsch gemacht; mir ist alles egal; 
lass mich bloß in Ruhe. Ich ziehe mich zurück; rede kaum; habe keine eigenen Ideen; bin 
gereizt und schlecht gelaunt. Ich erlebe die andern als abweisend, lästig, gemein, fremd 
und als weit weg.
Wer sich aber als zugehörig, als Teil des Ganzen erlebt, fühlt sich fit, belastbar und aktiv. Er fühlt sich glücklich, wissbegierig und voller Tatendrang. Er ist froh, da zu sein, er glaubt: „Ich bin offensichtlich okay und werde gebraucht.“ Er ist hilfsbereit, kann sich gut konzentrieren, hat Interesse für andere und ist humorvoll. Er erlebt die anderen als liebenswert, sympathisch und entgegenkommend.
Wir erkennen in diesen Aussagen die Aktivität und das Interesse. Wer sich zugehörig fühlt, findet in der betreffenden Gruppe den Antrieb zu mutigem Verhalten im besten Sinne. Es lohnt sich also, sich darüber Gedanken zu machen, wie man das Zugehörigkeitsgefühl und damit die Quelle des Mutes wecken oder stärken kann. Meine Umfragegruppe zeigt die Richtung mit den Antworten auf die Frage: Was können andere tun, wenn Sie sich nicht zugehörig fühlen? Auf mich zukommen; lächeln; eine einladende Geste machen; einen freundlichen Blick; mich einbeziehen; sich mir zuwenden. Ein Handschlag, oder wenn es passen würde, eine Hand auf meine Schulter; mit mir sprechen; meine Leistungen oder Fortschritte anerkennen; meine Ideen ernstnehmen; mir zuhören; mich bei meinem Namen nennen; ein bisschen Humor.
Es scheinen Kleinigkeiten zu sein, aber sie sind genau das, was Menschen von „außen“ nach „innen“ holen kann. Sie erleben durch diese Signale:
„Ich bin offensichtlich der Mühe wert, positiv wahr genommen zu werden; ich gehöre dazu; ich habe hier meinen Platz.“
- Jeder kann ermutigen
 
Die Stärkung des Gefühls, dazuzugehören, und des Glaubens, gebraucht zu werden, nennen wir existenzielle Ermutigung. Wie wir oben gesehen haben, ist es nicht schwer, jemanden zu ermutigen oder ihm Mut zu machen. Durch Ermutigung kommt ein Prozess in Gang, der dazu führt, dass der Empfänger mehr an sich und an seine Möglichkeiten glaubt. An sich glauben heißt „Ich bin so wie ich bin in Ordnung, nicht perfekt, aber gut genug für die Aufgaben, die ich zu erfüllen habe.“ An seine Möglichkeiten glauben, heißt: „Ich kann etwas bewirken, ich kann beitragen, ich schaff das schon.“
Die sichersten Ermutigungen finden ohne Worte statt, etwa durch Zuwendung, einen freundlichen Blick, eine freundliche Stimme, Körpernähe oder Körperkontakt, durch Zuhören, Geduld, Begeisterung, um nur einige zu nennen. Sie wachsen aus einer inneren Haltung, die ihren Ausgang findet, in 'Abdu'l-Bahás Empfehlung: „Man darf in jedem menschlichen Wesen nur das sehen, was des Lobes würdig ist. Wenn man so handelt, kann man der ganzen Menschheit Freund sein. Betrachten wir die Menschen jedoch vom Standpunkt ihrer Fehler aus, dann ist es eine äußerst schwierige Aufgabe, mit ihnen Freundschaft zu pflegen.... So sollten wir, wenn wir unseren Blick auf andere Menschen richten, das sehen, worin sie sich auszeichnen, und nicht das, worin sie versagen.“ Es geht bei Ermutigung in erster Linie um die Wahrnehmung des Guten. Nur schon die Umsetzung dieser Idee bringt kleine Wunder hervor. Zwölf verheiratete Personen, die in einer Ehekrise lebten und deren Partner nicht bereit waren, an der Verbesserung der Beziehung zu arbeiten, bekamen den Auftrag, sich auf das Gute des Partners auszurichten und täglich - ohne mit ihm darüber zu sprechen - über einen Zeitraum von 14 Tagen drei bis fünf Dinge aufzuschreiben, die sie gut fanden, schätzten, liebten an ihrem Partner. Zwei Berichte aus vielen:
„Beim Beobachten meines Partners mit dieser neuen Einstellung und beim Schreiben geht es mir 
einfach gut, ein Lächeln spielt über mein Gesicht. Ich bin froh, dass ich diesen Partner habe.
[Seite 34]
Das, womit ich nicht so zufrieden bin, ist nicht mehr so wichtig, denn das, worin er sich 
auszeichnet, bringt viel mehr Gewicht in die Waagschale. Mein Partner ist in dieser Woche viel
rücksichtsvoller und hilfsbereiter - merkwürdig - und ich fühle mich nicht mehr als Opfer, 
sondern als Gestalter der Situation.
Ich bin zuversichtlicher, meckere, nörgele und kritisiere nicht mehr so viel, und mein Partner ist ruhiger und redet öfter mit mir. Ich fühle mich wieder als Teil seines Lebens. Abends auf der Couch beim Fernsehen denke ich an das, was ich nachher aufschreiben will. Ich schmunzele, lehne mich an und als wir den Fernseher ausschalten, haben wir noch schöne, entspannte Stunden, wie schon lange nicht mehr.“
Es geht um eine innere Haltung, die das „Worin sie sich auszeichnen“ sehen kann. Das ist eine religiöse Haltung. Auf dieser Basis kann Ermutigung durch Worte aufbauen. Ohne sie wird Ermutigung zum Trick, zu einer Technik. Es geht um die Umkehrung des heute so üblichen Vorgangs. Wir schauen auf die Fehler und kritisieren sie und halten den Mund, wenn jemand etwas richtig macht. Wer sich darin übt, die richtige stärkenorientierte Haltung mit den richtigen Worten zur rechten Zeit zu vereinigen, der schaut auf das Gute und benennt es. Er hält den Mund, wenn er kritisieren wollte. In holländischen Kindergärten galt zu meiner Kindheit: „Bringe das Gute zur Entfaltung, dann brauchst du dich um das Böse nicht zu kümmern.“
'Abdu'l-Bahás Anleitung für Ermutigung mit Worten: „Wir müssen einander allezeit loben. Wir müssen von allen Menschen mit Anerkennung sprechen und dadurch den Unfrieden und Hass beseitigen, die die Menschen einander entfremdet haben.“2
Das ist ein Versprechen und eine im praktischen Leben ständig wiederholbare Erfahrung in allen Lebenslagen. Partnerschaften erleben ein Aufflammen der Anfangsliebe; Kinder entwickeln Zugehörigkeitsgefühl und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit; am Arbeitsplatz verändert sich die Atmosphäre zum Guten. Die Teamarbeit richtet sich wieder respektvoll auf gemeinsame Ziele.
Loben oder Ermutigen setzt natürlich voraus, dass wir die Bedeutung von Fehlern und Mängel verringern und den Nutzen von Kritisieren hinterfragen. Kritik ist eine bewertende Aussage, womit man sich über den andern erhebt. Auch die sogenannte konstruktive Kritik ist ein Ausdruck des Fehlersuchens. Konstruktiv ist vielleicht die Absicht des Senders, aber selten ist sie konstruktiv für den Empfänger. Wir sind nicht auf dieser Welt, um einander zu kritisieren, zu verletzen, abzulehnen oder zu erniedrigen. Wir sind hier, um eine Kultur der Einheit, der Zusammenarbeit und des Friedens aufzurichten. Ohne Ermutigung und mutiges Verhalten in obigem Sinne ist das Ziel nicht erreichbar.
Dass man auch in diesem Bereich viel lernen kann, um die richtige Art und das richtige Maß zu finden, versteht sich von selbst. Sicher ist, dass je mehr wir uns mit diesem Thema beschäftigen, wir durch Zunahme des Zugehörigkeitsgefühls dem Modell des mutigen Menschen näher kommen und anderen Mut zum Leben machen können.
- Theo Schoenaker
 
- Theo Schoenaker ist Individualpsychologischer Berater, Logopäde und Leiter des Rudolf-Dreikurs-Instituts in Sinntal-Züntersbach, Distinguished Professor at Meredith College, Nord Carolina
 
Literatur:
- 1 'Abdu'l-Bahá, Kleine Auswahl aus seinen Schriften, Bahá’í-Verlag, Hofheim-Langenhain 1980
 - 2 'Abdu'l-Bahá, in Hasan M. Balyuzi, 'Abdu'l-Bahá Band 1 S. 433, Bahá’í-Verlag, Hofheim-Langenhain 1983
 - 3 Schoenaker, Theo: „Mut tut gut“ RDI-Verlag
 - 4 Schoenaker, Theo u. Julitta u. Platt, John: „Die Kunst als Familie zu leben” Herder Verlag
 
Mut
Mut ist schwierig zu definieren
hat man ihn so mag man bemerken
dass viele Dinge leichter gehen
Mut ist aber auch nein zu sagen
wenn andere nur mit dem kopf nicken
viele Dinge werden dadurch nicht
leichter
Mut ist neues zu entwickeln
und dabei zu achten
eigene Grenzen nicht zu verletzen
sondern sie zu respektieren
Mut ist ehrlich zu sich sein
sich selbst zu erforschen und schätzen
oft ist der breitere Weg
auch nicht der angenehmste
- Tobias Jöst, 17 Jahre
 
Was macht mir Mut?
Das Gefühl,
- dass man akzeptiert, angenommen
 - und gemocht wird.
 
Die Bestätigung,
- die man bei Erfolg empfindet.
 
Das Wissen,
- dass es eine weitere Chance gibt.
 
Der Traum
- von etwas, das noch kommen wird.
 
Das Lachen,
- das dem Tag einen Sinn gibt.
 
Macht all das Mut?
- Oder ist es Teil des Lebensglücks, mit guten und
 - schlechten Seiten verbunden?!
 
- B., 17 Jahre
 
Was macht mir Mut?
Mut machen mir viele Dinge:
Es ist die Hoffnung, die mich vorantreibt.
Wozu braucht man Mut, wenn man keine Hoffnung hat,
die einem das Mut haben erstrebenswert macht?
Es ist die Vorfreude auf die Dinge, die danach folgen können.
Es ist auch die Erwartung,
die mich zwingt, mutig zu ein.
Es ist das positive Denken, das dazu aufruft mutig zu sein.
Mut machen mir auch die Dinge hier und jetzt.
Für die Dinge, für die es sich lohnt Mut zu haben.
Für die es sich lohnt zu kämpfen.
Mut ist der Trieb, der zur Veränderung führt,
für mich oder meine Umwelt im (hoffentlich) positiven Sinne.
Mut macht mir die Liebe, die Verbindung
zu anderen Menschen.
Mut macht mir der Gedanke,
das Geschehen zum Besseren zu wenden,
von Leuten akzeptiert, gemocht oder geliebt zu werden.
All diese Dinge machen mir Mut.
Für all diese Dinge lohnt es sich Mut zu haben.
- Marc Niessen, 16 Jahre
 
Was macht mir Mut?
Ohne Hoffnung auch kein Mut!
sagen die.
Aber welche Hoffnung?
Reichtum, Liebe, Anerkennung?
Glück, siegen, leben?
Nein,
wenn ich nur weiß,
dass nicht all mein Handeln
sinnlos ist.
wenn ich mich vergewissern kann,
dass was ich tue
richtig ist.
- Dimitrios Patronas, 17 Jahre
 
Mut
Ein kleines Wort mit großer Bedeutung
Jeder braucht ihn
- ich brauche ihn.
Wer macht mir Mut?
Es sind Freunde, es ist meine Familie
manchmal nur kleine Gesten
mit großer Wirkung.
Was macht mir Mut?
Es sind Gespräche, es sind Worte
Manchmal nur kleine Gesten
mit großer Wirkung.
Wie macht man mir Mut?
Es ist Vertrauen, es ist Liebe
manchmal nur kleine Gesten
mit großer Wirkung.
- Jana Lincke, 16 Jahre
 
 
  
Lebensmut statt Trauma[Bearbeiten]
Das pädagogische Konzept der Emmi Pickler
- Anja Niemand
 
Jeder Mensch bekommt ihn geschenkt: Den Mut zu leben, ein Geschenk Gottes, das sich manifestiert in einer Seele, die darauf drängt, sich in dieser Welt zu entfalten und ihrer Bestimmung entgegenzuwachsen. Doch was ist mit Menschen, denen dieser Mut zu leben genommen wurde? Sei es durch den Verlust wichtiger Bezugspersonen oder durch eine Umgebung, die ihren Bedürfnissen nicht gerecht wurde?
Es gibt wegweisende Beispiele dafür, wie es gelingt, anderen Menschen wieder die Kraft zu geben, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Eines davon schaffte die junge Ärztin Emmi Pickler. Sie übernahm nach dem Zweiten Weltkrieg das Säuglingsheim Lodzy in Budapest, in dem vorwiegend Waisenkinder betreut wurden. Sie entließ alle alten Pflegerinnen und suchte sich junge, unverbildete Frauen, die sie in ihrem Sinne schulte. Das Prinzip ihrer Arbeit war, dass eine Pflegerin, die etwa acht Babys zu betreuen hatte, durch die Art und Weise, wie sie mit ihnen umging, eine so hohe Qualität der Beziehung herstellte, dass die Kinder psychisch und seelisch gesund heranwachsen konnten.
[Seite 37]
Das Geheimnis dieser Beziehungsqualität war Gegenwärtigkeit. Daraus resultiert ein Höchstmaß 
an Wahrnehmung für das Kind und seine Bedürfnisse. Keine Handlung geschieht mechanisch,
jede Aktivität zwischen Pflegerin und Kind wird mit Worten begleitet. Auf diese Weise kann 
das Kind von frühestem Alter an in Beziehung treten, kommunizieren, sich respektiert fühlen.
Die Pflegerin übt keinen Zwang aus, sie wartet geduldig auf Reaktionen ihres „Partners“. Sie 
bereitet das Kind auf jede Veränderung vor und reflektiert jeden Handgriff, den sie an dem
Kind ausführt. Eindrucksvolle Studien belegen, wie diese Frauen es schaffen, den Kindern, die 
entwurzelt, „seelisch gehäutet“ in ihre Einrichtung kommen, Kraft und Lebensmut wiederzugeben.
Dabei unterscheiden sich die materiellen Bedingungen nicht von denen anderer Kinderheime. Die 
Kinder werden nicht therapiert, sie erhalten keine Sonderbehandlungen, sie genesen vielmehr
an der Qualität der Beziehung zu einem Erwachsenen, der ihrer Persönlichkeit höchsten Respekt 
zollt. Emmi Pickler wurde gefragt, wie eine Pflegerin alle ihr anvertrauten Kinder lieben
könne. Sie antwortete, dass eine Mutter ihr Kind liebe, darum pflege sie es. Die Frauen 
pflegten die Kinder und lernten dadurch, sie zu lieben. Diese Liebe ist für Kinder konkret 
erfahrbar, weil sie sich den Bedürfnissen ihres körperlichen und psychisch-geistigen Wesens 
entsprechend behandelt fühlen.
Zwischenmenschliche Liebe drückt sich immer durch den Körper aus: durch die Haltung, die Art und Weise der Berührung, durch Blicke, Mimik, Stimme und vieles mehr. Schon beim Säugling verändert sich die Herzfrequenz, wenn die Mutter ihm mit ambivalenter Haltung begegnet. Ganz fatal wirkt auf ein Baby permanenter Streit der Eltern. Der dadurch erhöhte Blutdruck vermindert sogar die Lernfähigkeit des Kindes.
Doch lässt sich „Liebe“ erlernen? Emmi Pickler spricht davon, dass ihre Pflegerinnen durch 
die Bereitschaft, der Persönlichkeit des Kindes zu begegnen, eine tiefe Beziehung zu ihren 
Zöglingen aufbauten. Diese Beziehung beruhe auf der Erfahrung, welche die Betreuerin durch 
ihr bewusstes Umgehen mit dem Kind mache: Sie erlebe den kleinen Menschen als kompetenten, 
liebevollen, lebensbejahenden und entwicklungsfähigen Partner. Diese Erfahrung stärke und 
nähre ihre Haltung zum Kind
[Seite 38]
und beeinflusse ihr inneres Bild, das sie vom Menschen im Allgemeinen habe. Umgekehrt lässt 
sich sagen: Das Menschenbild, das jemand unbewusst oder bewusst in sich trägt, drückt sich 
in seiner Haltung anderen und sich selbst gegenüber aus, und das offenbart sich in seinen 
Handlungen. Somit wird deutlich, dass diese drei Ebenen untrennbar miteinander verbunden 
sind.
Das vorhandene Menschenbild ist immer die Grundlage für die sichtbaren Äußerungen. Vielleicht wird dadurch deutlich, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der eigenen Sicht auf den Menschen ist, besonders, wenn man unmittelbar mit Menschen arbeitet, sei es pädagogisch, sozial oder therapeutisch.
Für die pädagogische Arbeit der Bahá’í ist das Menschenbild, das in den Schriften Bahá’u’lláhs gezeichnet wird, maßgebend. Sie erkennen es sowohl persönlich als auch für die pädagogische Arbeit als verbindliche Grundlage an. So werden methodische Fragen nicht im luftleeren Raum diskutiert, sondern immer im Hinblick auf das Bahá’í-Menschenbild. Die Erfahrung lehrt, dass es ständiger, mitunter auch schmerzhafter Auseinandersetzungen und eines fortdauernden Selbsterziehungsprozesses bedarf, wenn man sich innerlich auf diese Vision vom Menschen eingelassen hat.
Jedoch wird es nur schwer zu einer echten, inneren Berührung zwischen Menschen kommen, wenn man sich nicht auf diesen Prozess einlässt. Denn jedes antrainierte, unreflektierte Handlungsmuster wird zur Farce, wenn es nicht mit dem tiefen Inneren in Einklang steht.
- Kinder spüren das sofort,
 
- erkennen es als nicht glaubwürdig, nicht echt.
 
Doch nur diese Wahrhaftigkeit, gepaart mit einer tiefen Demut allem Beseeltem gegenüber ist es, 
die eine heilende Begegnung und Beziehung ermöglicht. Eine französische Psychologin zollte den 
Pflegerinnen im „Lodzy“ großen Respekt und nannte sie „Künstler im Dienste der Menschheit“.
- Anja Niemand
 
- Anja Niemand ist Bildhauerin und Mitarbeiterin des Kindergartens „Wilde 9“ in Guest bei Greifswald, dessen Konzept auf den Lehren der Bahá’í-Religion basiert.
 
 
Je mehr Du mir verbietest,
umso mehr machst Du die Welt
zu einem Ort der Ängste für mich.
Lass mich das Unbekannte erkunden,
das Neue entdecken
und mich mit Fremdem
anfreunden.
Lass mich nicht glauben,
dass alles,
was mir nicht vertraut ist,
Gefahren birgt,
sonst werde ich blind werden
für das, was ich zu kennen glaube
und taub für den Klang ferner Musik.
Ich werde mich abschließen
von dem,
was mich erweitern kann
und die Wege
meiner eigenen Entwicklung
verbarrikadieren.
Jeder Weg ins Unbekannte,
den Du mich gehen lässt,
lässt mich ein Stück
weltoffener sein.
- Roland Greis
 
- Porträtaufnahmen auf den Seiten 36, 37 und 38: Alexander Schramm
 
Tätig sein stiftet Sinn[Bearbeiten]
Ohne Wertschätzung wird Arbeit zur Last
- Fritz Klüber
 
Die These, Arbeit sei ein sinnstiftendes Element, mag auf den ersten Blick befremden; denn sie wird von vielen bekanntlich als ein „Muss“ empfunden. „Arbeit, geh weg, ich komme!“ stand bei einem Freund aus Studentenzeiten in kunstvollen Lettern und schön gerahmt an der Wand. Immer, wenn er sein Zimmer verließ, fiel sein Blick darauf. Seine Mutter hatte ihm den Spruch mitgegeben, sicherlich als kleine Mahnung. Die Doppelbödigkeit dieses Appells hat aber offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt, denn der Freund wurde erstaunlich schnell mit seinem Studium fertig.
Umfragen zufolge beginnen Arbeitnehmer schon im Alter von 50 Jahren, sich auszumalen, wie schön es wäre, „in Rente oder in Pension zu gehen“. Das bestätigt den Trend weg von der Arbeit. Andererseits leiden viele Menschen an ihrer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit, fühlen sich nicht mehr als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft, ihr Selbstwertgefühl sinkt. Wie wichtig Arbeit für den Menschen ist, hat sich mir aber erst erschlossen nach Kontakten mit Bahá’í und den Aussagen, die sie über die Bedeutung der Arbeit aus ihren Schriften ableiteten. Das war etwas ganz anderes, als ich es gewohnt war.
Denn das Thema „Arbeit“ hat für Bahá’í einen grundlegend anderen Stellenwert als für die heutige Spaßgesellschaft. In einer Zeit zunehmenden Werteverfalls und wirtschaftlicher Probleme beginnen aber immer mehr Menschen umzudenken und nach neuen Wegen zu suchen. Vor gut zehn Jahren gründeten Bahá’í aus dem europäischen Raum ein Forum, zu dessen Zielen es gehört, diesem Werteverfall entgegenzuwirken. Es firmiert als „European Bahá’í Business Forum“ (EBBF), arbeitet aufgrund von vereinsrechtlichen Statuten und steht allen interessierten Menschen offen.
Anhand einer Veröffentlichung des EBBF soll dargelegt werden, was die Bahá’í im Arbeitsleben 
anders sehen. Aufgrund zunehmender Führungs- und Umweltprobleme sowie globaler Veränderungen 
der herkömmlichen Marktstrukturen
[Seite 40]
 
„sehen sich Manager und führende Persönlichkeiten der Wirtschaft Herausforderungen in völlig 
neuen Dimensionen gegenüber. Einerseits lenken Globalisierung der Märkte und harter Wettbewerb 
die Aufmerksamkeit immer mehr auf Bereiche wie Kundenorientierung, Qualitätsverbesserung, 
konkurrenzfähige Preise sowie auf ein neuartiges Managen von Veränderungen. Andererseits 
werden Geschäftsleute durch große gesellschaftliche Herausforderungen wie die weltweite 
ökologische Krise gezwungen, Grundsatzfragen und altbewährte Handlungsmuster in Frage 
zu stellen.”1
Es geht um eine neue Einstellung zur Arbeit. Dabei werden zwei Aspekte in der Natur des Menschen unterschieden, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen: „Einer bezieht sich auf den Menschen als körperliches Wesen - dazu gehören sein Instinkt, der ihn zum Überleben und zum Aneignen der lebensnotwendigen Dinge motiviert. Der andere Aspekt leitet sich von Eigenschaften ab, durch welche sich der Mensch von allen anderen Lebensformen unterscheidet und abhebt. Dieser kann als menschlicher Geist zusammengefasst werden2, der das „hier und jetzt“ transzendiert und seinen Ausdruck in der Fürsorge für andere findet oder in der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens über die rein körperliche Existenz hinaus. Ziel eines Menschen aus Bahá’í-Sicht ist, zu Lebzeiten edle Eigenschaften zu entwickeln, um so einen Beitrag zu einer „ständig fortschreitenden Kultur“ zu leisten.”2
Ein wesentlicher Bestandteil dieser Sichtweise ist, dass Arbeit, die im Geiste des Dienens geleistet wird (Dienst an der Menschheit), in der Bahá’í-Religion in den Rang eines Dienstes an Gott erhoben wird: Arbeit ist Gottesdienst. In einer anderen Veröffentlichung hießt es: „Es geht also um mehr als die bloße Erfüllung einer Pflicht. Arbeit ist - recht verstanden - Ausdruck der Hingabe des Geschöpfs an seinen Schöpfer.“4 Und an anderer Stelle heißt es: „O Meine Diener! Die besten unter den Menschen sind jene, die durch einen Beruf ihren Lebensunterhalt verdienen und ihn für sich und ihre Angehörigen verwenden, in der Liebe zu Gott, dem Herrn aller Welten.“ 5
Damit wird verständlich, welchen Wert die Bahá’í der Arbeit beimessen. „Jedem von Euch ist es zur Pflicht gemacht, sich in einem Beruf - einem Handwerk, Gewerbe oder dergleichen - zu betätigen. Wir haben eure Tätigkeit bei solcher Arbeit .. in den Rang des Dienstes an Gott, dem Wahren, erhoben. Denkt in euren Herzen über die Gnade und den Segen Gottes nach und sagt Ihm Dank des Abends und des Morgens... Wer sich in einem Handwerk oder Gewerbe betätigt, dessen Tätigkeit wird von Gott als Gottesdienst gewertet; und dies ist nur ein Zeichen Seiner unendlichen, alles durchdringenden Großmut.“6
Vor dem Hintergrund dieser Zitate mag erkennbar werden, woran es der heutigen (säkularen) Arbeitswelt mangelt: „wo Wertschätzung fehlt, wird Arbeit zur Last. Sie wird zu einer auf Nützlichkeit ausgerichteten Funktion degradiert, in welcher durch Arbeit lediglich der Lebensunterhalt verdient oder Macht und Besitz angehäuft wird. Was der Arbeit erst einen Sinn gibt, ist der Geist des Dienstes an der Menschheit. Am Arbeitsplatz kann dies ein anderer Mitarbeiter oder ein Kunde sein. Solch eine positive Ausrichtung auf einen „inneren oder äußeren Kunden“ hin führt zu Kreativität und Engagement.
Diese Sichtweise verleiht handwerklicher oder landwirtschaftlicher Arbeit wieder die ihr 
angemessene Wertschätzung und anerkennt darüber hinaus die Wichtigkeit des Beitrags jedes
einzelnen Arbeitnehmers zum Ganzen. Solche Einstellungen zu fördern ist das Kernstück jener 
Formen modernen Managements wie Ermutigung, Stärkung selbständiger Teams und geistiger
Bereicherung der Arbeit (Job enrichment). Derartige Einstellungen 
[Seite 41]
 
vermitteln der Arbeit (wieder) Würde, setzen ungeahnte Kräfte für Qualitätssteigerungen 
frei und fördern das Streben nach überdurchschnittlichen Leistungen“ 7. Weitere 
Grundwerte (Core Values), die aus Sicht des EBBF heute ins Arbeitsleben einziehen sollten, 
finden sich unter www.ebbf.org (es gibt dort auch eine deutschsprachige Domain).
Historisch betrachtet, wurden seit der Antike drei Arten von Tätigsein unterschieden: Arbeiten, Herstellen und Handeln. Das Christentum hat diese uralten Unterschiede nivelliert.8
Aus Bahá’í Sicht werden sie weiter relativiert. Mehr noch: Sie werden sogar aufgehoben, da jedes Tätigsein, das im Geiste des Dienens erfolgt, in den Rang des Dienstes an Gott erhoben wird. Über den Verdienst eines Menschen entscheidet nur Gott; denn: „Die ganze Pflicht des Menschen liegt an diesem Tage (in diesem Zeitalter) darin, seinen Teil von der Gnadenfülle zu erlangen, die Gott für ihn strömen lässt ...“ 9
Die Einstellung zur Arbeit zeigt sich auch in anderen Lebensbereichen: Solange „jemand seine Verwandten und Freunde in seinem eigenen Haus nicht mit völliger Vertrauenswürdigkeit und Rechtschaffenheit behandelt, wird sein Umgang mit der Außenwelt ... sich als unfruchtbar erweisen. Zuerst sollte man seine eigenen Familienangelegenheiten in Ordnung bringen; dann sollte man seine Geschäfte mit der Außenwelt betreiben.“10
Die Bahá’í glauben an ein Weiterleben der Seele nach dem Tode, und sie glauben vor dieser Perspektive, dass es für ein gedeihliches Leben in der jenseitigen Welt wichtig ist, im diesseits möglichst viele Tugenden zu entwickeln - und das sind weit mehr als die hierzulande aus Tradition teils noch hochgehaltenen preußischen Tugenden! Doch die fast 60 Prozent der Menschen in Deutschland, die nicht (mehr) an ein Leben nach dem Tode glauben 11, wird das kaum kümmern.
- Fritz Klüber
 
- Fritz Klüber, Diplom-wirtschaftsingenieur, arbeitet als Wirtschaftsberater; er moderiert Strategie-Workshops und betreut Förderprojekte auf Bundes- und EU-Ebene, die Voraussetzungen schaffen, den Trend zur Wegwerfgesellschaft in ein nachhaltigeres Verhalten zu wandeln.
 
- 1 Emerging Values for a Global Economy, A Statement of the European Bahá’í Business Forum, 1994, S.1
 - 2 diese Sichtweise ist in „Die Botschaft zum Frieden“, Hofheim 1985, noch umfassender beschrieben
 - 3 Emerging Values... a.a.O., S.3
 - 4 Friedo Zölzer, Arbeit als Gottesdienst; Titel in der Reihe „Die Bahá’í-Religion“, Hofheim 1994, S.6
 - 5 Bahá’u’lláh, Verborgene worte, Frankfurt 1965, pers., Nr. 82
 - 6 Bahá’u’lláh, Botschaften aus Akka, Kap 3:22, 23
 - 7 Emerging Values.., a.a.O, S.4
 - 8 Hannah Arendt in: Vita activa - oder Vom täglichen Leben, München 2002, S. 403
 - 9 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Kap.5, Abs.5
 - 10 'Abdu'l-Bahá in Textsammlung: „Vertrauenswürdigkeit“, Haifa 1987, Nr. 48
 - 11 einer ZDF-Veröffentlichung vom 9. März 1989 zufolge glauben 47 Prozent der befragten (West) Deutschen nicht an ein Leben nach dem Tode und weiteren 11 Prozent zweifeln daran.
 
„Denen dienen, die in Not sind und leiden“[Bearbeiten]
Als ehrenamtlicher Helfer in der Obdachlosenhilfe
- Hans-Heinrich Pardey
 
Es war wie ein Weihnachtsgeschenk und kam so überraschend, als ob ein Stein zu reden 
anfinge. Bei all seinen früheren Besuchen war dieser schlimm verwahrloste Mann aggressiv
und vollkommen wortlos in den Raum gestürmt, hatte sich mit seinen schmutzigen Fingern 
Brot und Wurst von einem der Tische gekrallt und war stumm davongerannt. Seit Monaten
ging das nun schon so, ich hatte das schon etliche von Malen erlebt. Und jetzt stand 
der Mann im Klosterhof vor mir und sagte mir, dass er Kaffee mit Milch wolle, mit viel 
Milch, und noch ein Wurstbrot. Ich ging zurück, um das Gewünschte zu holen, und dachte: 
Es lohnt sich also doch, was du tust.
Es werden in diesem Frühling zwei Jahre, dass ich in der Brüdergemeinschaft der Kapuziner in Frankfurt lebe. Und genauso lange arbeite ich wenigstens einmal in der Woche im Franziskustreff mit. Das ist eine Armenspeisung mitten in der City, keine hundert Meter von der Hauptwache entfernt, neben der katholischen Liebfrauenkirche, eins der zahlreichen Angebote der in der Bankenstadt weit aufgefächerten Hilfe für Wohnsitzlose. Ich mache dort eine ganz einfache Arbeit, ich serviere den Gästen ihr Frühstück.
Kloster, das ist schon immer auch gleichbedeutend mit Gastfreundschaft gewesen: Im Franziskustreff reden wir stets ausdrücklich von unseren Gästen. Sie werden höflich mit ihrem bürgerlichen Namen angeredet und gesiezt, sie sitzen an Tischen und werden wie in einem Café bedient: Kaffee, verschiedene Tees, Saft oder Kakao, Wurst, Käse, Schmalz, Marmelade, Nutella, knusprige Brötchen, diverse Sorten Brot. Die Qualität des Angebots ist über jeden Zweifel erhaben, im Kloster kommt das Gleiche auf den Tisch. Jeder bekommt, so viel wie er mag, und er bekommt es nicht einfach hingeknallt. Er kann wählen und darf Wünsche haben. Und ein Paket Brote zum Mitnehmen für den Tag gibt es auch.
Beim Bedienen bitten wir die Gäste um 5o Cent für unser “All-you-can-eat”-Angebot. Wenn jemand sagt, dass er nicht zahlen könne, ist es auch gut, und er bekommt sein Frühstück wie alle anderen. Keiner - die Gäste sind ganz überwiegend Männer - wird gefragt, warum er kommt.
Es ist offensichtlich, dass nicht alle Gäste - etwa hundert jeden Tag - tatsächlich ohne Obdach sind. Im Franziskustreff treffen sich auch Einsame, Sozialhilfeempfänger, gestrandete Touristen aus dem östlichen Ausland und manchmal junge Nachtschwärmer nach einer Disconacht. Die sozialen und gesundheitlichen Probleme der Gäste sind höchst unterschiedlich. Körperliche Behinderungen, aber auch Verletzungen sieht man häufig, genauso wie seelische Erkrankungen und die Folgen von Alkohol- und Drogenmissbrauch erkennbar sind. Der Grad der Verwahrlosung ist sehr verschieden, was unter den Gästen oft zu Spannungen führt.
Damit gleichbleibend freundlich umzugehen und zugleich ein Minimum an Regeln konsequent aufrechtzuerhalten, macht die Arbeit für die ehrenamtlichen Helfer anstrengend. Einige von ihnen arbeiten schon seit Jahren mit, und manche Mitarbeiter kamen aus dem Milieu der Gäste. Sie haben über diese Tätigkeit den Weg aus einem chaotischen Leben zurück zu einer eigenen Wohnung und in geordnete Verhältnisse gefunden. Unter den Stammgästen Kandidaten für diese Art der Hilfe zu finden, gehört ebenfalls zu den Aufgaben des dreiköpfigen Leitungsteams: Der Kapuziner Bruder Wendelin kümmert sich vor allem um die zu hundert Prozent durch Spenden gesicherte Finanzierung. Die Franziskanerin Schwester Veronika steht allen hauswirtschaftlichen Belangen vor, und die Sozialarbeiterin Patricia Trischler verknüpft durch ihre Beratung den Franziskustreff mit anderen Einrichtungen der Wohnsitzlosenhilfe: mit der Kleiderkammer oder der Straßenambulanz und den Wohnheimen.
Abgesehen von ein bisschen praktischer Intelligenz, vor allem Aufmerksamkeit und Gedächtnis, 
stellt meine Arbeit wirklich keine besonderen Anforderungen. Wendig muss man sein, denn
[Seite 43]
es geht eng zu zwischen den 32 Sitzplätzen, gut balancieren mit Tabletts und Tellern sollte 
man können, flott muss einem die Arbeit von der Hand gehen, denn unsere Gäste sind ungeduldig:
Sie sind oft genug in ihrem Leben übersehen worden. Geschirr, Brot und Wurst hinstellen, 
Kaffee einschenken, wischen und neu eindecken, das ist aber nur das Eine. Viel wichtiger ist 
freundliche Zuwendung, das Erkennen von unausgesprochenen Wünschen, im richtigen Moment 
taktvoll eine Frage nach der Gesundheit zu stellen oder eine Notlage anzusprechen. Manchmal 
kann das der mit sanfter Strenge unterstrichene Hinweis sein, sich endlich mal wieder zu 
waschen und etwas Frisches anzuziehen. Es ist recht komplex, was wir machen, aber es lässt 
sich ganz einfach umschreiben: Wir versuchen im Franziskustreff nicht Sozialfälle 
abzufertigen, sondern gute Gastgeber zu sein, die ihre Gäste so liebevoll umsorgen, wie es 
jedem von uns gefallen würde.
Ich habe mir diese Arbeit nicht ausgesucht, aber ich tue sie ausgesprochen gern. Sie macht mich zufrieden, ich erlebe sie als sinnvoll, als einen Ausdruck dafür, mich “nicht zu den Großen zu zählen, sondern denen zu dienen, die in Not sind und leiden”. Ich habe im Franziskustreff eine Menge dazugelernt: Zum Beispiel, dass es in dieser Randzone unserer Gesellschaft nichts von Vagabundenromantik und fröhlicher Freiheit gibt. Der Alltag dieser Menschen ist hart und voller Zwänge, das Gerangel um Lebenschancen noch um etliches brutaler als ein paar Etagen höher. Ich habe auch gelernt, bescheiden von meinen Möglichkeiten zu denken, anderen Menschen helfen zu können. Man kann nicht nur recht wenig tun, und das auch nur für wenige, man tut es häufig auch völlig vergebens. Aber ich bin hier auch ganz praktisch davon überzeugt worden, dass die Liebe alles überwindet: All das Elend von Schuld, Aggression, Abhängigkeit, Krankheit - letztlich den Tod. Das ist für mich der Kern des christlichen Evangeliums, der guten Botschaft, an die ich glaube.
Schließlich hat die Arbeit im Franziskustreff für mich noch eine kleine Nebenwirkung: Wenn ich morgens oder abends in der unwirtlichen Frankfurter Innenstadt unterwegs bin, ist die City voller Bekannter. Von einem Ladeneingang zum nächsten begleitet mich das Hallo unserer Gäste.
- Hans-Heinrich Pardey
 
- lebt als Mitglied des Dritten Ordens des Hl. Franziskus oder als franziskanischer Tertiar im Kapuzinerkloster Liebfrauen oder in der Brüdergemeinschaft der Kapuziner in Frankfurt.
 
 
 
 
 
 
 
 
Bild-Autoren
Sigrid Drübbisch
- Tempora Titelbild:
 - „1 aus der Sequenz Verbindung I“
 - und die Bilder auf den Seiten
 - 24 + 25
 
Berenike Michalke
- Gemälde:
 - „Hüterin“
 - Seite 23
 
Ilsedore Peterson
- Installation:
 - „Segenszelt“
 - Seite 26
 
Reimar Kanis
- Kalligrafie in 2 Teilen, S.11 + 18:
 - „Verborgenes Wort pers. Nr. 2“
 - und Fotos dieser Ausgabe
 - mit „Jahreszahl_R.“
 
Hinweis: Auf unserer Internet-Seite www.ternpora.org
- veröffentlichen wir gerne lesenswerte Beiträge,
 - konstruktive Kritiken oder Ergänzungen und
 - Erweiterungen zum Thema dieser Ausgabe
 - Schreiben Sie Ihren Leserbrief per E-Mail an:
 - tempora@bahai.de
 
TEMPORA
- Nr. 10 - Mai 2003
 
Die Globalisierung unseres Planeten erfordert in allen Bereichen ein
gänzlich neues Denken und Handeln. TEMPORA beschäftigt sich auf
dem Hintergrund der Bahá’í—Lehren mit aktuellen Zeitfragen und möchte 
durch Gedankenimpulse die Entwicklung zu einer geeinten Welt fördern.
Herausgeber
- Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in
 - Deutschland e.V., Eppsteiner Str. 89
 - 65719 Hofheim-Langenhain
 
Redaktion
- Wolfram Enders, Roland Greis, Reimar Kanis, Monika Schramm, Karl Türke jun.
 
Redaktionsanschrift
- Redaktion TEMPORA
 - Eppsteiner Str. 89
 - D-65719 Hofheim
 - Internet:
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TEMPORA erscheint jährlich.
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schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
© Bahá’í-Verlag GmbH 2002
ISSN 1433-2078
Gedruckt auf umweltschonendem Papier.
friedenswege
Viele Wege führen nach Rom.
Gibt es nur einen oder mehrere Wege zum Frieden?
Wenn Menschen zusammen sind,
wird das friedliche Miteinander
immer wieder auf die Probe gestellt.
Manchmal entzündet sich ein Konflikt
schon an unterschiedlichen Auffassungen,
auf welchen Weg das gemeinsame Ziel
erreicht werden soll.
Die Dringlichkeit, eine friedliche und geeinte
Weltgemeinschaft zu erreichen, scheint
heute vielen Menschen offensichtlich.
TEMPORA Nr. 11 „Friedenswege” untersucht,
wie auf der Basis von Beratung, Konfliktprävention
sowie der Entwicklung von Prinzipien und
Institutionen eine neue Weltordnung
entstehen kann.
Wir bitten Künstlerinnen und Künstler:
„Zeigt uns Bilder, Visionen oder Installationen
von Spuren, Wegen und Prozessen...”
Wir freuen uns auf Ihre Zusendung
von Fotos oder Bildmaterial.
Einsendeschluss
15. Januar 2004
Zusendungen an:
Redaktion TEMPORA
Eppsteiner Str. 89
D-65719 Hofheim
Die nächste TEMPORA-Ausgabe:
Nr. 11 „Friedenswege" erscheint im Mai 2004
Die Bahá’í-Religion
Zentrale Lehren
- Die Einheit Gottes
 
- Es gibt nur einen Gott,
 - mit welchem Namen
 - er auch benannt oder
 - umschrieben wird.
 
- Die Einheit der Religionen
 
- Alle Offenbarungsreligionen bergen den
 - gleichen Kern ewiger Wahrheiten, wie
 - die Liebe zu Gott und den Menschen.
 
- Bestimmte Gesetze jedoch, die zum
 - Beispiel die Organisation der Gemeinde,
 - das Sozialwesen oder die Hygiene
 - betreffen, müssen sich im Zuge der
 - Menschheitsentwicklung verändern.
 
- In großen Zyklen offenbart Gott sich
 - durch seine Boten wie Krishna, Buddha,
 - Moses, Christus, Mohammed und
 - Bahá’u’lláh und erneuert diesen Teil
 - seiner Gebote als Antrieb für den
 - menschlichen Fortschritt.
 
- Die Einheit der Menschheit
 
- Die Menschheit ist eine einzige,
 - große Familie mit völlig
 - gleichberechtigten Mitgliedern.
 
- Ihren Ausdruck finden diese
 - grundlegenden Lehren in Prinzipien wie:
 
- ▪ Selbständige Suche nach Wahrheit
 
- ▪ Gleichstellung von Frau und Mann
 
- ▪ Soziale Gerechtigkeit
 
- ▪ Entscheidungsfindung durch Beratung
 
- ▪ Abbau von Vorurteilen.
 
- ▪ Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft
 
 
Zentrale Gestalten
- Báb (1819-1850), der Vorbote
 - Bahá’u’lláh (1817-1892), der Stifter
 - 'Abdu'l-Bahá (1844-1921), der Ausleger
 - Shoghi Effendi (1897-1957), der Hüter
 
Die Bahá’í-Gemeinde
- organisiert sich in Gremien,
 - die auf örtlicher, nationaler und
 - internationaler Ebene von den
 - erwachsenen Gemeindemitgliedern
 - in freier, gleicher und geheimer Wahl
 - ohne Kandidatur oder Wahl-
 - kampagnen gewählt werden.
 - Es gibt keinen Klerus.
 
  
 
- Europäisches Bahá’í-Haus der Andacht
 - in Hofheim-Langenhain/ Deutschland