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SONNE DER WAHRHEIT | ||
Organ der Bahá’í in Deutschland und Oesterreich | ||
HEFT 9 | 14. JAHRGANG | NOV. 1934 |
Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark, im Ausland 2.– Reichsmark |
Heft 9 | Stuttgart, im November 1934 Qudrat — Kraft 91 |
14. Jahrgang |
Inhalt: Das Buch des Bundes — Kitábu’l Ahd. — Nabíl’s Erzählung: Der Báb erklärt Seine Sendung (Schluß) und Mullá Ḥusayn’s Reise nach Ṭihrán. — Göttliche Lebenskunst.
Die Quelle des Mutes und der Macht ist: das Wort Gottes zu fördern und in Seiner Liebe standhaft zu bleiben.
Worte der Weisheit von Bahá’u’lláh
Das Buch des Bundes[Bearbeiten]
Kitábu’l Ahd
Ins Deutsche übertragen aus Three Tablets of Bahá’u’lláh, translated by Ali Kuli Khan, published by Bahá’i Publishing Society, Chicago USA
Über dieses Werk Bahá’u’lláh’s schreibt Shoghi Effendi1)
in einem Briefe vom 25. September 1934:
„Das „Kitábu’l Ahd" ist Bahá’u’lláh’s „Buch des Bundes“. Es ist völlig in Seiner eigenen Handschrift geschrieben. Und unter dem Gesichtswinkel der Ei'Abdu'l-Bahánwände, die von einigen Gläubigen gegen den "Willen und Testament“ 'Abdu'l-Bahá’s erhoben wurden, ist es von höchster Bedeutung zu wissen, daß dieses „Bud des Bundes" Bahá’u’lláh’s weder Unterschrift noch Siegel noch irgend ein Datum trägt. Es wurde den Gläubigen gezeigt und in ihrer Gegenwart neun Tage nach dem Aufstieg Bahá’u’lláh’s verlesen. Das Manuskript blieb dann im Besitz 'Abdu'l-Bahá’s während Seiner ganzen Wirkungszeit, und nach Seinem Tode wurde es Seinem eigenen letzten Willen beigelegt gefunden. Diese beiden wertvollen Dokumente, nämlich das „Buch des Bundes“ Bahá’u’lláh’s und „Wille und Testament“ 'Abdu'l-Bahá’s, sind beide sorgsam aufbewahrt jetzt im Besitze des Hüters.“
„Der Ausdruck „afnán“ bedeutet wörtlich „kleiner Zweig“ und bezieht sich auf die Verwandten des Báb, Männer sowohl wie Frauen. Da der einzige Sohn des Báb schon als Kind starb, hatte jener keine männlichen Nachkommen. So sind also die „afnán“ nur Verwandte zweiten Grades des Báb.
Auch „aghsán“ heißt „Zweig“; aber dies bedeutet einen größeren Zweig als „afnán“2). Dies bezieht sich auf Bahá’u’lláh’s Nachkommen.“
1) Der „Hüter“ des Bahá’i-Glaubens.
2) Somit „Ast" (der Übers.).
Obgleich der Höchste Horizont über die Nichtigkeiten der Welt erhaben ist, so haben Wir
dennoch eine unschätzbare und unvergleichliche Erbschaft für die Erben in der Schatzkammer
des Glaubens und der Entsagung niedergelegt. Wir haben keine Schätze darin verwahrt, noch
haben Wir etwas zur Pein hinzugefügt.
Bei Gott! Im Reichtum ist Furcht versteckt und Gefahr verborgen. Betrachtet und alsdann
bedenket, was der Barmherzige im Koran enthüllt hat: „Wehe jedem Bösewicht und
Verleumder, der Schätze anhäuft und sie nachzählt.“ Die Reichtümer dieser Welt sind nicht von
Dauer. Was der Vergänglichkeit unterworfen ist und dem Wechsel unterliegt, ist nie gewesen
und ist nicht der Beachtung wert. Ihr aber wißt, daß es das Ziel dieses Unterdrückten beim
Erdulden aller Widerwärtigkeiten und allen Elendes, bei der Enthüllung der Verse und der
Offenbarung der Beweise gewesen ist, das Feuer des Hasses und der Feindseligkeit zu ersticken,
so daß von ungefähr die Horizonte der Gemüter der Menschen dieser Welt im Lichte der
Einigkeit erstrahlen und die wahre Ruhe erlangen mögen. Die Sonne dieser Erklärung
scheint und erhebt sich vom Horizonte dieses
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Göttlichen Tablets; alle müssen sich danach richten.
O Volk der Welt! Ich gebiete euch das, was zur Erhöhung eures Ranges beiträgt. Bleibet in der Furcht Gottes und haltet euch am Saume der Gerechtigkeit. Wahrlich, Ich sage euch, die Zunge ist zur Erwähnung des Guten bestimmt; entweihet sie nicht mit bösen Reden. Gott hat euch vergeben, was vergangen ist; von nun an müßt ihr reden, wie es sich ziemt. Vermeidet Fluchen, Schmähen und alles, was die Menschen erzürnen könnte.
Der Rang des Menschen ist hoch Vor kurzem wurde folgendes erhabene Wort aus dem Reichtum der Feder Abhá’s geoffenbart: „Dies ist ein glückseliger und großer Tag; aber das, was im Menschen verborgen war, wird und soll erschlossen werden.“ Der Rang des Menschen ist erhaben, wenn er sich an die Wirklichkeit und an die Wahrheit hält und fest und unverwandt die Gebote befolgt. Der wahre Mensch erscheint vor dem Barmherzigen gleich dem Himmel; sein Gesicht und sein Gehör sind die Sonne und der Mond; seine lichten und glänzenden Eigenschaften sind die Sterne; sein Rang ist der höchste; sein Leben ist ein Vorbild für die Erziehung der Menschheit. Jeder Gläubige, der heute den Duft des Gewandes einatmet und sich mit reinem Herzen dem Erhabenen Horizonte zuwendet, ist als einer der Nachfolger Bahá’s auf dem roten Blatt verzeichnet.
Nehmet den Kelch Meiner Gunst in Meinem Namen; dann trinket daraus zu Meinem Gedächtnis, dem Teuersten, dem Neuen!
O Volk der Welt! Das Glaubensbekenntnis Gottes ist Liebe und Eintracht; laßt es nicht die Ursache von Zwietracht und Spaltung werden. In den Augen der Einsichtsvollen und solcher, die sich an die Offenbarung halten, trägt das, was die Erhabene Feder verkündet hat, zum Schutze bei und ist die Ursache für Wohlfahrt und Ruhe der Diener; aber die Unwissenden der Erde, die von Ehrgeiz und böser Lust beherrscht werden, sind achtlos gegenüber der gereiften Weisheit des Wahren Weisen, und sie folgen in ihrem Reden und Tun ihren Einbildungen und Launen.
O ihr Heiligen Gottes und Seine Getreuen! Könige sind das Sinnbild von Kraft und Dämmerungsorte der Macht und Fülle des Wahren. Betet für sie, denn die Regierung der Erde ist jenen Seelen anvertraut; die Herzen aber hat Er für Sich Selbst bestimmt.
Er hat Streit und Hader mit unbedingtem Verbot in dem Buch (Kitáb-i-Aqdas) untersagt. Das ist Gottes Gebot in dieser Größten Offenbarung, und Er hat es bewahrt vor jeglichem Widerruf und hat es geschmückt mit der Zierde der Bestätigung. Wahrlich, Er ist der Allwissende und der Allweise!
Es ist die Pflicht aller, jenen Seelen zu helfen, die Dämmerungsorte der Herrschgewalt sind und Ausgangspunkte des Befehls, und die mit dem Schmucke der Billigkeit und Gerechtigkeit geziert sind. Gesegnet seien die Fürsten und Gelehrten in Bahá! Sie sind Meine Vertrauten unter Meinen Dienern; sie sind die Aufgangsorte Meiner Gebote unter Meinen Geschöpfen! Mein Ruhm, Meine Barmherzigkeit und Meine Gnade, die alles Dasein umgeben haben, seien mit ihnen! Im Kitáb-i-Aqdas ist im Hinblick hierauf das geoffenbart, was von den Horizonten Seiner Worte her das Licht der Göttlichen Fülle glänzen, aufgehen und strahlen läßt.
O Meine Äste! In diesem Lebenden Wesen ist die größte Stärke und die vollkommenste Macht verborgen und verwahrt; achtet darauf und sehet auf Seine Einheit und nicht auf Seine scheinbaren Widersprüche. Dies ist das Testament Gottes, daß die Äste (Aghsan), Zweige (Afnán) und Verwandten (Muntessabeen), alle und jede zu dem Größten Aste (Ghusn ’Azam) aufblicken müssen. Denket nach über das, was in Meinem Buche, dem Aqdas, enthüllt ist: „Wenn das Weltmeer Meiner Gegenwart verebbt und das Buch des Ursprungs vollendet sein wird, dann blicket auf zu Ihm, den Gott bestimmt hat, der aus dieser Wurzel entsprungen ist, die vorhanden war, ehe alles andere war.“ Der Zweck dieses Gesegneten Verses ist der Größte Ast. Auch haben Wir das Gebot als eine Gunst Unserer Gegenwart erläutert; und Ich bin der Großmütige, der All-Spendende!
Wahrlich, Gott hat den Rang des Größeren Astes (Ghusn Akbar) dem Range des Ersteren (des Größten Astes) untergeordnet. Wahrlich, Er ist der Gebieter, der Weise. Wir haben gewißlich den Größeren (Akbar) nach dem Größten (’Azam) gewählt auf Befehl des Allwissenden, des Allweisen!
Die Liebe zu den Ästen liegt allen ob, aber Gott hat ihnen kein Recht auf das Besitztum der Menschen zuerkannt.
O Meine Äste, Meine Zweige und Meine Verwandten! Wir gebieten euch Gottesfurcht und
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Befolgung dessen, was gerecht ist und nützlich und wodurch euer Rang erhöht wird. Wahrlich,
Ich sage euch, Gottesfurcht ist der gebieterischste Rufer nach dem Beistand der Göttlichen
Religion, und die Heerscharen, die dieses Gebieters würdig sind, waren und sind gute, lautere und
wohlgefällige Eigenschaften und Taten.
Sprich: o ihr Diener, laßt nicht die Ursache von Ordnung zur Ursache von Verwirrung werden und macht nicht den Grund der Eintracht zu einem Anlaß von Zwietracht! Es ist wünschenswert, daß das Volk Bahá’s das gesegnete Wort „Sprich: Alle sind von der Gegenwart Gottes“ beachtet, — und dieses erhabene Wort gleicht dem Wasser zum Löschen des Feuers von Haß und Feindseligkeit, das in allen Gemütern und Herzen lauert. Die verschiedenen Glaubensbekenntnisse werden durch dieses einfache Wort zum Lichte der wahren Einheit gelangen. Wahrlich, Er spricht die Wahrheit und führt auf dem Pfade, und Er ist der Kraftvolle, der Mächtige, der Wunderbare!
Ehrerbietung und Achtung für die Äste liegt allen ob zu Ehren der Religion und zur Erhöhung des Wortes; und dieses Gebot ist sowohl vorher wie nachher in den Heiligen Schriften Gottes verzeichnet und erwähnt worden. Selig ist, wer erreicht, was befohlen ward aus der Gegenwart des Gebieters, Dessen, Der war, ehe alles andere war!
Ehrerbietung ist gleichfalls geboten für die Frauen des Haushaltes Gottes und die Zweige und die Verwandten. Ich ermahne euch zum Dienst an den Völkern und an der Befriedung der Welt.
Vom Reiche der Offenbarung der Sehnsucht der Welt ist enthüllt worden, was die Ursache des Lebens der Welt und die Erlösung der Völker ist. Hört auf die Ermahnungen der Erhabenen Feder mit aufmerksamem Ohr. Wahrlich, sie sind für euch besser als alles andere auf Erden. Dies bezeugt Mein Buch, das Mächtige, das Wunderbare!
Hier endet der Kitábu’l-Ahd oder Bahá’u’lláh’s Wille und Testament.
Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]
Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932
(Fortsetzung 3. Kapitel: Der Báb erklärt Seine Sendung)
Bittet den Herrn, euren Gott, um die Gabe, daß durch keine irdischen Verwirrungen noch
weltliche Leidenschaften oder Geschäftigkeit des Tages die Reinheit getrübt und die Süßigkeit
verbittert werden möge dieser Gnade, welche durch euch strömt. Ich bereite euch für
den Anbruch eines mächtigen Tages vor. Bemühet euch mit euren äußersten Kräften, damit
Ich, der Ich euch jetzt unterrichte, Mich in der zukünftigen Welt vor dem Gnadenthron
Gottes eurer Taten und des Ruhmes Eures vollendeten Werkes erfreuen möge. Das Geheimnis
des kommenden Tages ist noch verborgen. Es kann weder enthüllt noch abgeschätzt werden.
Das neugeborene Kind dieses Tages übertrifft die weisesten und ehrwürdigsten Männer dieser
Zeit und die Niedersten und Ungelehrtesten dieser Jahre werden an Verstand die gelehrtesten
und vollendetsten Theologen dieses Zeitalters übertreffen. Zerstreuet euch durch die Lande
weit und breit, und mit festen Schritten und geheiligtem Herzen bereitet den Weg für Sein
Kommen. Schauet nicht auf euere Schwächen und Gebrechen; richtet eueren Blick nach der
unsichtbaren Macht des Herrn, eueres Gottes, des Allmächtigen. Hat Er nicht in vergangenen
Tagen Abraham trotz dessen scheinbarer Hilflosigkeit über die Gewalt Nimrods triumphieren
lassen? Hat Er nicht Moses, dessen Stab Sein einziger Begleiter war, befähigt, Pharao und
seine Meere zu besiegen? Hat Er nicht Jesus, arm und niedrig wie Er in den Augen der
Menschen war, zum Herren über die vereinten Kräfte des jüdischen Volkes gemacht? Hat Er
nicht die barbarischen und kriegerischen Stämme Arabiens der heiligen neugestaltenden Zucht
Muhammad’s, Seines Propheten, unterworfen? Erhebet euch in Seinem Namen, setzt euer
Vertrauen ganz auf Ihn und seid des endlichen Sieges versichert.“
Mit solchen Worten belebte der Báb den Glauben Seiner Jünger und entließ sie auf ihre [Seite 68]
Sendung. Jedem Einzelnen bezeichnete Er seine Geburtsprovinz als Arbeitsfeld. Er gebot ihnen
allesamt, über Seinen Namen und Seine Person keine besondere Auskunft zu geben. Er wies sie
an, den Ruf zu erheben, daß das Tor zu dem verheißenen Einen geöffnet sei, daß Sein Beweis
unwiderleglich und Sein Zeugnis vollkommen sei. Er befahl ihnen zu erklären, daß, wer an
Ihn glaubt, damit an alle Propheten Gottes geglaubt hat und, wer Ihn verleugnet, alle Seine
Heiligen und Seine Auserwählten verleugnet hat. Mit diesen Belehrungen entließ Er sie aus
Seiner Gegenwart und übergab sie dem Schutze Gottes. Von diesen Buchstaben des Lebendigen,
zu welchen Er so geredet, blieben bei Ihm in Shíráz noch Mullá Husayn, der Erste der
Buchstaben, und Quddús, der Letzte. Die übrigen, vierzehn an der Zahl, verließen Shíráz
zur Dämmerzeit, ein jeder entschlossen, die Aufgabe, die ihm anvertraut, in ihrer ganzen
Größe auszuführen.
Als für Mullá Husayn die Stunde des Abschiedes nahte, richtete der Báb an ihn diese Worte: „Sei nicht traurig, daß du nicht zu Meinem Begleiter auf Meiner Pilgerreise nach Hijáz erwählt bist. Statt dessen werde Ich deine Schritte leiten nach jener Stadt, welche ein Geheimnis verwahrt von solch nie gewesener Heiligkeit, daß weder Hijáz noch Shíráz hoffen kann, ihr gleichzukommen. Es ist Meine Hoffnung, daß du mit Gottes Hilfe fähig sein mögest, die Schleier von den Augen der Eigensinnigen zu entfernen und die Gemüter der Böswilligen zu läutern. Besuche auf deinem Wege Isfáhán, Káshán, Ṭihrán und Khurásán, sodann begib dich nach dem ‘Iráq und erwarte dort den Befehl deines Herrn, welcher über dich wachen und dich lenken wird nach Seinem Wunsch und Willen. Ich selbst werde, begleitet von Quddús und von Meinem äthiopischen Diener, Mich auf die Pilgerreise nach Hijáz begeben. Ich werde Mich der Gesellschaft von Pilgern aus Fárs anschließen, welche sich bald nach diesem Land einschiffen wird. Ich werde Mekka und Medina besuchen und dort die Sendung erfüllen, welche Gott Mir anvertraut hat. So Gott will, werde Ich auf dem Wege über Kúfih zurückkehren, an welchem Platze Ich dich zu sehen hoffe. Sollte es jedoch anders bestimmt sein, so werde Ich dich bitten, dich mit Mir in Shíráz zu vereinen. Die Heerscharen des unsichtbaren Königreiches werden, sei dessen gewiß, deine Bemühungen stützen und stärken. Das Wesen der Macht wohnt nun in dir und die Begleitung Seiner erwählten Engel wird deinen Weg ebnen. Sein allmächtiger Arm wird dich umgeben und Sein unfehlbarer Geist wird fürderhin deine Schritte lenken. Wer dich liebet, der liebet Gott, und wer sich dir widersetzet, der widersetzet sich Gott. Wer sich mit dir befreundet, mit dem wird sich Gott befreunden, und wer dich verwirft, den wird Gott verwerfen.“
4. Kapitel
Mullá Ḥusayn’s Reise nach Ṭihrán (Teheran)
Den Klang dieser hohen Worte in den Ohren, machte sich Mullá Ḥusayn an sein gefahrvolles
Unternehmen. Wohin er immer kam und zu welcher Art von Menschen er auch sprach, furchtlos
und ohne Rückhalt verkündete er die Botschaft, welche ihm sein geliebter Meister
anvertraut hatte. In Isfáhán angekommen, ließ er sich in der geistlichen Schule von Ním Ávard
nieder. Es versammelten sich jene um ihn, die ihn noch von seinem letzten Besuch her in dieser
Stadt als den auserwählten Sendboten Siyyid Kázim’s an den hervorragenden Mujtahid Hájí
Siyyid Muhammad-Báqir kannten. Letzterer war nun gestorben und sein Sohn, gerade von Najaf
zurückgekehrt, war sein Nachfolger geworden und hatte den Stuhl seines Vaters eingenommen.
Hájí Muhammad-Ibráhím-i-Kalbási war ebenfalls schwer krank und dem Tode nahe. Die Schüler
des verstorbenen Hájí Siyyid Muhammad-Báqir, nunmehr des maßvollen Einflusses ihres
dahingegangenen Lehrers ledig, waren über die fremde Lehre, die Mullá Husayn verkündete,
aufgebracht und beschuldigten ihn heftig bei Hájí Siyyid Asadu’lláh, dem Sohne des
verstorbenen Hájí Siyyid Muhammad-Báqir. „Mullá Ḥusayn“, klagten sie, „war bei seinem letzten
Besuch imstande, deinen erlauchten Vater für die Sache des Shaykh Aḥmad zu gewinnen.
Keiner unter den hilflosen Schülern des Siyyid wagte ihm entgegenzutreten. Jetzt kommt er als
der Verfechter eines noch viel schrecklicheren Gegners und verteidigt Dessen Sache mit noch
weit größerer Begeisterung und Kraft. Er stellt hartnäckig die Behauptung auf, daß Er, für
Dessen Sache er jetzt kämpft, der Offenbarer eines göttlich inspirierten Buches sei, welches
dem Qur’án in Ton und Sprache treffend ähnlich sei. Vor den Leuten dieser Stadt hat er
folgende herausfordernde Worte ausgestoßen:
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"Vollbringt ein Gleiches! — sofern ihr Männer der Wahrheit seid.‘ Der Tag kommt rasch heran, da ganz Isfáhán diese Lehre angenommen hat.“ Hájí Siyyid Asadu’lláh gab ihnen ausweichende Antworten auf ihre Klagen. „Was soll ich sagen?“ war er endlich gezwungen zu erwidern. „Gebt ihr nicht selbst zu, daß Mullá Husayn durch die Beredsamkeit und die zwingende Kraft seiner Beweise einen großen Mann wie meinen erhabenen Vater zum Schweigen gebracht hat? Wie kann ich, der ich so tief an Verdienst und Erkenntnis unter ihm stehe, mich anmaßen zu verwerfen, was er schon für richtig befunden hat? Möge jeder einzelne von euch diese Ansprüche unparteiisch prüfen. Ist er damit zufrieden, so ist es schön und gut; wenn nicht, so lasset ihn Schweigen beobachten und nicht Gefahr laufen, den reinen Namen unseres Glaubens in Mißkredit zu bringen.“
Als sie sahen, daß ihre Bemühungen, Hájí Siyyid Asadu’lláh zu beeinflußen, gescheitert waren, brachten seine Schüler die Angelegenheit vor Hájí Muhammad-Ibráhím-i-Kalbási. „Wehe uns“, beteuerten sie laut, „der Feind hat sich erhoben, den heiligen Glauben des Islám zu zersprengen!“ In düster übertriebener Sprache unterstrichen sie den herausfordernden Charakter der Gedanken und Erklärungen Mullá Husayn’s. „Haltet Frieden“, gab Hájí Muhammad-Ibráhím zurück. „Mullá Husayn ist nicht der Mann, der sich von irgend jemand zum Narren halten ließe oder ein Opfer gefährlicher Ketzereien werden könnte. Beruht euer Streit auf Wahrheit und sollte Mullá Husayn in der Tat sich einem neuen Glauben zugewandt haben, so ist es ohne Frage euere erste Pflicht, den Charakter seiner Lehre leidenschaftslos zu prüfen und euch ohne vorherige sorgsame Nachforschung jeglicher Anschuldigung zu enthalten. Sobald meine Gesundheit und Kraft wiederhergestellt sind, habe ich die Absicht, mit Gottes Hilfe diese Angelegenheit selbst zu prüfen und die Wahrheit zu ermitteln.“
Diese ernste Zurückweisung durch die Worte des Hájí Kalbási brachte die Schüler des Hájí Siyyid Asadu’lláh ganz außer Fassung. In ihrer Bestürzung wandten sie sich an Manúchihr Khán, den Mu’tamidu’d-Dawlih, den Gouverneur der Stadt. Dieser weise und gerechte Regent lehnte es ab, sich in diese Angelegenheit zu mischen, welche, wie er sagte, ausschließlich dem Urteil der ‘Ulamá zustünde. Doch warnte er sie, irgendwelche Bosheiten auszuhecken und den Frieden und die Ruhe des Sendboten weiterhin zu stören. Seine scharfen Worte erschütterten die Hoffnung dieser Unheilstifter. So war Mullá Husayn von den Ränken seiner Feinde befreit und konnte eine Zeitlang ungehindert seiner Arbeit nachgehen.
Der Erste, der die Sache des Báb in dieser Stadt erfaßte, war ein Mann, ein Weizensieber, welcher, sobald sein Ohr den Ruf vernommen hatte, die Botschaft voll und ganz annahm. Mit wundervoller Ergebung diente er Mullá Husayn und durch seine enge Verbindung mit ihm wurde er ein eifriger Verteidiger dieser neuen Offenbarung. Einige Jahre später, als die seelenerschütternden Einzelheiten der Belagerung des Forts Shaykh Ṭabarsí ihm erzählt +wurden, fühlte er ein unwiderstehliches Verlangen, sein Schicksal mit diesen tapferen Begleitern des Báb zu vereinen, welche sich für die Verteidigung ihres Glaubens erhoben hatten. Sein Sieb in der Hand erhob er sich sofort, mit dem Vorsatz, den Schauplatz dieses denkwürdigen Treffens zu erreichen. „Warum läufst du so eilig davon?“ frugen ihn seine Freunde, als sie ihn im Zustand starker Erregung durch die Bazare Isfáháns rennen sahen. „Ich habe mich aufgemacht“, rief er zurück, „um zu der herrlichen Mannschaft der Verteidiger des Forts Shaykh Ṭabarsí zu stoßen! Mit dem Sieb, welches ich trage, will ich die Menschen in jeder Stadt, durch die ich komme, sieben. Wen ich bereit finde, der Sache beizutreten, die ich angenommen habe, den werde ich bitten, mit mir gemeinsam nach dem Felde des Märtyrertums hin zu eilen.“ So groß war die Ergebenheit dieses Jünglings, daß der Báb im persischen Bayán in solchen Worten auf ihn hinweist: „Isfáhán, diese hervorragende Stadt, ist bekannt durch das religiöse Feuer ihrer schiitischen Einwohner, durch die Gelehrsamkeit ihrer Theologen und durch die starke Hoffnung von hoch und nieder auf das erhabene Kommen des Ṣáḥibu’z-Zamán. In jedem Stadtteil sind religiöse Einrichtungen gegründet. Und doch, als der Botschafter Gottes sich offenbart hatte, da haben die, so die Schatzkammern der Gelehrsamkeit und die Erklärer der Geheimnisse des Gottesglaubens sein wollten, Seine Botschaft verworfen. Von allen Bewohnern dieses Sitzes der Gelehrsamkeit ward nur eine Person, ein Weizensieber, gefunden, der die Wahrheit erkannte, und ward mit dem Gewande der göttlichen Tugend geschmückt!“
Unter den Siyyids von Isfáhán waren nur
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wenige wie Mírzá Muhammad-‘Alíy-i-Nahrí, dessen Tochter später den Größten Zweig heiratete*),
Mírzá Hádí, der Bruder des Mírzá Muhammad-’Ali, und Mírzá Muhammad-Ridáy-i-Pá-Qal'iyí,
welche die Wahrheit der Sache erkannten. Mullá Sádiq-i-Khurásáni, früher als
Muqaddas bekannt und von Bahá’u’lláh Ismu’lláhu’l-Asdaq genannt, welcher nach den Anordnungen
Siyyid Kazim’s während der letzten fünf Jahre in Isfáhán wohnte, um den Weg für die Ankunft
der neuen Offenbarung vorzubereiten, war ebenfalls einer der ersten Gläubigen, welche die
Botschaft des Báb annahmen. Sobald er von der Ankunft Mullá Husayns in Isfáhán erfahren
hatte, eilte er, ihn zu sehen. Er berichtet folgendes über seine erste Zusammenkunft, welche bei
Nacht im Heim von Mírzá Muhammad-‘Alíy-i-Nahrí stattfand: „Ich bat Mullá Husayn, mir den
Namen doch zu nennen Dessen, Der den Anspruch erhob, die verheißene Manifestation zu
sein. Er erwiderte: ‚Nach dem Namen zu fragen und ihn zu verraten ist beides verboten.‘ ‚Würde
es dann‘, frug ich, ‚für mich möglich sein, wie die Buchstaben der Lebendigen selbständig nach
der Gnade des Barmherzigen zu suchen und durch Gebet Seine Persönlichkeit zu entdecken?‘
‚Das Tor Seiner Gnade‘, erwiderte er, ‚ist niemals verschlossen vor dem Angesicht dessen, der
Ihn zu finden sucht.‘ Sofort verließ ich ihn und bat den Herrn des Hauses, mir ein Zimmer zu
überlassen, wo ich ungestört mit Gott Gemeinschaft pflegen könnte. Mitten in meiner Versenkung
kam mir plötzlich das Gesicht eines Jünglings in Erinnerung, welchen ich oft beobachtet
hatte, wie er in Karbilá in Gebetshaltung, das Antlitz in Tränen gebadet, am Eingang des
Grabes des Imám Husayn stand. Dieses gleiche Gesicht erschien nun wieder vor meinen Augen.
In meiner Vision sah ich, wie mir schien, dasselbe Gesicht, dieselben Züge mit dem Ausdruck
solcher Freude, wie ich es niemals beschreiben kann. Er lächelte, als er mich anschaute. Ich ging
ihm entgegen, bereit, mich ihm zu Füßen zu werfen. Ich beugte mich zu Boden — siehe! da
verschwand diese leuchtende Gestalt vor meinen Augen. Von Freude und Glückseligkeit überwältigt,
rannte ich davon, bis ich Mullá Husayn traf, der mich entzückt empfing und mir versicherte,
daß ich endlich das Ziel meines Wunsches erreicht hätte. Jedoch hieß er mich meine
Gefühle unterdrücken. ‚Sprich über deine Vision zu keinem‘, drängte er mich, ‚denn die Zeit
dafür ist noch nicht gekommen. Du hast die Frucht deines geduldigen Wartens in Isfáhán geerntet.
Nun solltest du dich nach Kirmán begeben und dort Hájí Mírzá Karím Khán mit der Botschaft
bekannt machen. Von dort solltest du dann nach Shíráz reisen und dich dort bemühen, die
Menschen jener Stadt aus ihrer Nachlässigkeit aufzurütteln. Ich hoffe, dich in Shíráz zu treffen
und mit dir die Segnungen einer freudigen Vereinigung mit unserem Geliebten zu teilen.‘
*) Bezieht sich auf 'Abdu'l-Bahá’s Heirat mit Muníríh Khánum.
(Fortsetzung in der Januar-Nummer.)
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)
Übersetzung aus dem Englischen
7. Kapitel: Die Macht des Heiligen Geistes (Fortsetzung)
Sieh, welch ein Wunder der Mensch ist! Betrachte die Elektrizität — eines der Geheimnisse der
Schöpfung. Nach dem Verlangen der Naturgesetze sollte sie gebunden bleiben, aber der Mensch
entdeckte diese Macht, brachte sie vom Unsichtbaren in den Bereich des Sichtbaren und machte
ihre Kräfte nutzbar. Das heißt, daß der Mensch dieses Naturgesetz überschritt. In wie viele der
Naturgeheimnisse ist er eingedrungen! Columbus lebte in Spanien und entdeckte Amerika.
Der Mensch ist fähig zu entdecken, daß die Sonne feststeht und die Erde um sie kreist. Das
Tier kann solches nicht. Der Mensch begreift, daß Spiegelung eine Illusion ist. Dies ist
jenseits der Fassungskraft des Tieres. Das Tier kann nur durch Sinneseindrücke wahrnehmen,
aber nicht intellektuelle Wirklichkeiten erfassen. Das Tier kann nicht die Kraft der Gedanken
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begreifen. Dies ist ein intellektueller Stoff und nicht auf die Sinne beschränkt. Das Tier kann
die Tatsache nicht fassen, daß die Erde kugelförmig ist. Intellektuelle Erscheinungen sind
menschliche Kräfte. ‚Alle übrigen Geschöpfe sind Gefesselte der Natur, sie können nicht um
Haaresbreite von den in der Natur geltenden Gesetzen abweichen. Aber der Mensch schlägt der
Natur das Schwert aus der Hand und schlägt sie damit. Zum Beispiel: es ist eine Forderung der
Natur, daß der Mensch ein Bewohner der Erde sei, aber die Kraft des menschlichen Geistes
brach dieses Gesetz und er schwingt sich in Flugzeugen in die Luft. Dies ist das Gegenteil
von dem Gesetz und der Forderung der Natur. Er segelt auf hoher See über das Weltmeer.
Selbst unter dem Wasser fährt er in Unterseebooten. Er hält die Stimme fest auf dem
Phonographen. Er bringt den Osten und den Westen in einem Augenblick in Verbindung.
Dies sind einige der Dinge, die wir als Widerspruch zu den Naturgesetzen erkennen. Der Mensch durchbrach die Naturgesetze. Das Tier, die Pflanze, das Mineral kann dies nicht tun. Dies kann nur durch die Kraft des Geistes geschehen, denn der Geist ist Wirklichkeit. Dagegen sind Tier und Mensch hinsichtlich der körperlichen Sinne Genossen. Tatsächlich ist das Tier dem Menschen oft überlegen in Sinneswahrnehmungen. Zum Beispiel ist das Sehvermögen mancher Tiere ungemein scharf; das Ohr mancher Tiere kann Geräusche auf weite Entfernung vernehmen. Denke an den Instinkt eines Hundes; er ist viel größer als der des Menschen. Aber obwohl das Tier mit dem Menschen alle körperlichen Fähigkeiten und Sinne gemeinsam hat, ist dem Menschen eine geistige Fähigkeit gegeben, welche dem Tier fehlt. Dies ist ein Beweis dafür, daß im Menschen etwas ist, was das Tier nicht hat. Der Mensch besitzt eine Fähigkeit, welche dem Tiere. fehlt. Und dies ist der Geist des Menschen. Alle diese wunderbaren Erfindungen sind der Wirksamkeit und Durchschlagskraft des Menschengeistes zuzuschreiben. Besässe der Mensch nicht diesen Geist, keine dieser Erfindungen wäre zustandegekommen. Dies ist ein Beweis dafür, daß der Mensch von einem Geiste geleitet wird. Dies ist so klar wie die Sonne am Mittag.
Alle Geschöpfe der materiellen Körperwelt sind an ein Ebenbild oder an eine Form gebunden. Das heißt, jedes erschaffene materielle Wesen wird von einer Form beherrscht. Es kann nicht zwei Formen zu gleicher Zeit besitzen. Ein Körper kann zum Beispiel dreieckig sein oder kugelförmig oder viereckig oder sechseckig oder achteckig, aber es ist unmöglich, daß ein Körper gleichzeitig dreieckig und kugelförmig sei; er kann nicht zwei Formen zu gleicher Zeit haben. Er wird entweder dreieckig oder viereckig sein. Soll ein Dreieck viereckig werden, so muß es zuerst die Dreieckform ablegen. Es ist ihm völlig unmöglich, gleichzeitig viereckig und kugelig zu sein. Das heißt, in der Wirklichkeit der Geschöpfe können verschiedene Formen nicht gleichzeitig bestehen. Aber von der Wirklichkeit des Menschen können alle geometrischen Formen gleichzeitig begriffen werden. In anderen Wirklichkeiten muß eine Form aufgegeben werden, damit eine andere ermöglicht werde. Dies ist das Gesetz des Wechsels und der Verwandlung, und Wechsel und Verwandlung sind Vorboten der Sterblichkeit. Gäbe es nicht Wechsel und Verwandlung der Formen, so wären die Erscheinungen unsterblich; aber alle Erscheinungen sind sterblich, weil sie dem Wechsel und der Verwandlung von einer Form oder Gestalt in eine andere unterworfen sind. Die Wirklichkeit des Menschen jedoch besitzt alle Wunderkraft; der Mensch braucht nicht eine Vorstellung einer anderen wegen aufzugeben, wie die gewöhnlichen Körper zu tun gezwungen sind. Darum ist in dieser Wirklichkeit kein Wechsel und keine Verwandlung; sie ist unsterblich und immerwährend. Wahrlich, der Körper des Menschen mag in Amerika sein, aber sein Geist kann dabei im fernen Osten arbeiten und schaffen, kann entdecken, organisieren und Systeme aufstellen. Sein Körper kann noch in Amerika sein, obwohl er dabei in Rußland herrschen oder Gesetze machen oder ein Gebäude errichten kann. Was ist diese Macht, welche zwar in Amerika verkörpert ist, aber trotzdem im fernen Osten wirkt, welche dort organisiert, Systeme aufstellt, zerstört oder aufbaut? Es ist der Geist des Menschen. Dies ist unwiderleglich.
Wenn ihr über etwas nachdenkt oder eine Sache überlegt, fragt ihr oftmals etwas in euch.
Ihr sagt zu euch: Soll ich das tun oder nicht? Ist es besser, dies zu ergreifen oder zu lassen?
— Wen fragt ihr? Wer ist es, der solche Fragen beantwortet? Sicherlich eine bestimmte Macht,
ein bestimmtes Ich. Wäre nichts, was von eurem Ich unterschieden ist, so würdet ihr auch nicht
fragen. Es ist etwas größeres als die Gedankenkraft. Es ist euer Geist, welcher euch belehrt
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und belebt und über die Dinge entscheidet. Wer ist es, der frägt? Wer ist es, der antwortet? Es
gibt keinen Zweifel darüber, daß es der Geist ist und daß es bei ihm keinen Wechsel und
keine Verwandlung gibt, denn er ist nicht aus zusammengesetzten Elementen entstanden; und
alles, was nicht aus Elementen zusammengesetzt ist, ist ewig. Wechsel und Verwandlung sind
Eigentümlichkeiten der Zusammensetzung. Im Geist gibt es keinen Wechsel und keine Verwandlung.
Ein Beweis dafür ist, daß der Körper eines Menschen in seinen Teilen schwach werden mag.
Er kann ein Glied verlieren oder eines dieser Glieder kann ganz unbrauchbar
werden. Der ganze Körper kann gelähmt werden, und doch bleibt der Verstand, der Geist
immer derselbe. Der Verstand kann entscheiden und die Gedanken völlig klar sein, und doch
können dabei die Hände verwelkt, die Füße unbrauchbar, das Rückgrat gelähmt und die
Muskeln unbeweglich sein: der Geist aber bleibt unverändert. Verstümmelt einen gesunden
Menschen: sein Geist wird nicht verstümmelt. Amputieret seine Füße: sein Geist bleibt derselbe.
Er mag lahm werden: sein Geist wird nicht berührt. Der Geist ist immer der gleiche; keinen
Wechsel und keine Verwandlungen könnt ihr bemerken. Und weil es keinen Wechsel und
keine Verwandlungen gibt, ist er immerwährend und ewig.
Betrachtet einen Menschen, während er schläft; es ist klar, daß alle seine Organe und Glieder stillstehen und wie leblos sind. Sein Auge sieht nicht, sein Ohr hört nicht, seine Füße und Hände sind bewegungslos, aber trotzdem sieht er in der Welt der Träume, hört er, spricht er, bewegt er sich, kann er selbst durch die Luft fliegen. Darum wird es klar, daß der Geist immerwährend ist, selbst wenn der Körper stirbt. Nein, vielmehr mag das Wahrnehmungsvermögen schärfer werden, wenn der Körper des Menschen schläft, sein Flug mag höher, sein Hören besser sein; alle Funktionen sind da, und doch ist der Körper stillgelegt. Hieraus ergibt sich der Beweis, daß ein Geist im Menschen ist, und für diesen Geist gibt es keine Unterschiede, ob der Körper schläft oder völlig tot und gebunden sei. Der Geist wird von solchen Bedingungen nicht unfähig gemacht; er verliert nicht sein Dasein, noch verliert er seine Vollkommenheiten. Der Beweise gibt es viele — unzählige.
Dies sind alles vernunftgemäße Beweise. Niemand kann sie leugnen. Da wir Beweise haben, daß es einen Geist gibt, daß dieser Geist immerwährend und ewig ist, müssen wir darnach streben, von ihm zu lernen. Möget ihr Kenntnis erlangen von diesem Geiste, möget ihr euch beeilen, ihn göttlich zu machen, geheiligt und heilig, damit er zum wahren Lichte der Welt werde, welches den Osten und Westen erleuchtet.
- —————
Es gibt fünf Stufen des Geistes:
- Erstens: den Pflanzengeist.... .
- Zweitens: den Tiergeist ... .
- Dann den Menschengeist....
- Die vierte Stufe ist der himmlische Geist, es ist der Geist des Glaubens und der Gnadenfülle Gottes. Er kommt vom Atem des Heiligen Geistes...
- Die fünfte ist der Heilige Geist. Dieser Heilige Geist ist der Mittler zwischen Gott und seinen Geschöpfen. Er ist wie ein Spiegel, in den die Sonne scheint. Wie der reine Spiegel das Licht empfängt und diese Gabe an andere weitergibt, so ist der Heilige Geist der Mittler für das heilige Licht der Sonne der Wirklichkeit, welches er den geheiligten Wirklichkeiten spendet. Er ist mit allen göttlichen Vollkommenheiten geschmückt.
(Fortsetzung in der Januar-Nummer.)
Dezemberheft als Werbenummer
Das Dezemberheft der „Sonne der Wahrheit“ wird als Werbenummer erscheinen, weshalb die laufenden Veröffentlichungen von „Nabíl’s Erzählung“ und „Göttliche Lebenskunst“ erst im Januarheft wieder fortgesetzt werden. Wir verweisen auf das beiliegende Rundschreiben.
Die Schriftleitung.
In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Alle auf den Inhalt der Zeitschrift bezüglichen Anfragen, ferner schriftliche Beiträge wie auch alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart W, Reinsburgstraße 198, zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sind an die Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, Alexanderstr. 3 (Nebengebäude) zu richten. — Alle Zahlungen sind zu leisten an den Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, Alexanderstraße 3 (dessen Postscheckkonto Nr. 19340 Amt Stuttgart). — Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart. — Druck von J. Fink, Hofbuchdruckerei, Stuttgart.
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
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'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
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Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
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Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
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Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XIII gebunden je 6.--