Rosengärtlein/Jahrgang 4/Heft 4/Text

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Das Rosengartlein.

Zeitschrift für die Bahä’i- Jugend und ihre Freunde.

Jahrgang 4 Nr. 4. Du bist Meine Lampe, und Mein Licht ist in dir. u Erleuchte dieh damit und suche keinen andern

1. Sultan 84. als Mich, denn lch habe dich reich erschaffen und dich großmütig begünstigt. 19. Januar 1928. (BAHA’U’LLAH, Verborgene Worte 11).





Das Bahä’i-Pilgerhaus in Haifa.

„Der wirft den eriten Stein ?” Don EM. Sr.

$ tebe Kinder: Dor einigen Tagen fam ich an einem Kaden vorüber. = Es war eine fehr fchöne fleine Buchhandlung, die eine fehr liebe Dame eingerichtet hat. Es follte ein Laden Gottes werden, und darum verkauft fie nur folche Dinge darin, die Bott Freude machen, foldye Bücher aller Dölker und Religionen, die die Menfchen auf den Weg des Buten führen.

Im Hintergrunde des Schaufenfters fieht man ein fchönes Schild, darauf jind im funftvollen Buchitaben die zwölf Prinzipien unferes lieben Meijters BAHA’U’LLAH aufgezeichnet, die Er den Menfchen gab, um fie einander und Bott näher zu bringen. Unter vielen andern

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Büchern fiel mir da ein fleines auf, das die folgende Worte als Überfchrift trug: „Der wirft den erften Stein?“. Ich habe lange darüber nachgedacht, und es fam mir dann in den Sinn, daß ich euch ein wenig davon erzählen wollte.

Seht, — nehmen wir Menfchen nicht oft einen Stein und werfen ihn auf unjern Hächjten? Wir fagen Ungutes über ihn, tränfende, häßliche Dinge. Das ift genau dasfelbe, als wenn wir einen Stein gegen ihn fchleuderten. Und da habe ich mir gedacht: Wie wäre es, wenn wir einmal verfuchen wollten, feine Steine mehr zu werfen? Wäre das nicht fein?

Ihr meint gewiß, das fei garnicht fo einfach, wie man denft! Wißt Jhr nun was? Wir wollen alle zufammen Bott ganz ernft- haft darum bitten, daß Er uns dabei hilft, und Er tut es gewiß. Dann wird Er uns immer daran denken helfen, und feht, wenn wirklich einmal etwas in unferen Mund kommen will, das nicht gut und nicht lieb ift, dann wird plötzlich das Wort unferes lieben Herrn Iejus Ehriftus hell vor umferer Seele ftehen: „Wer wirft den eriten Stein?" Dann wird der Stein, den wir fchon gegen unfern Nächiten erhoben hatten, langjam unferer Hand entgleiten, und es wird eine gute Tat mehr in der Welt fein und eine fchlechte weniger !

Der tönerne Vogel.

Im Koran (dem Religionsbuch der Muhammedaner) steht mancherlei, das sich auf CHRISTUS bezieht und nicht in den Evangelien erwähnt ist. So wird beispielsweise erzählt, daß CHRISTUS einen Lehmklumpen nahm, den Er in Gestalt eines Vogels formte. Dann hauchte Er ihn an, und der Vogel flog fort.

Die Bedeutung davon ist, daß der Vogel einen irdischen Menschen darstellt, der durch CHRISTUS geistige Erziehung empfing. Die Geschichte sagt: „Er hauchte ihn an, und der Vogel flog hinweg“. Das bedeutet, daß der Mensch den Odem des ewigen Lebens empfing und durch diese Erleuchtung sich

zum Reiche des Wissens erhob. — „ABDU’L-BAHA. (Lucas, Visit to Acca, S. 21.)

Das Erlebnis des alten Juden.

Als ’ABDU’L-BAHA in Amerika war, besuchte Er auch das Naturhistorische Museum inNew-York. Julia Thompson, die Ihn begleitete, erzählt darüber: „Es war ein sehr heißer Tag. Als wir die Ecke des Museums an der neunten Avenu erreichten, an der der Eingang für die Beamten ist,: trennte uns noch ein breiter Sonnenstreifen von dem Haupteingang, und ’ABDU’L-BAHA war augenscheinlich so ermattet, daß ich

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[Seite 3]die Notwendigkeit fühlte, einen näheren Eingang für Ihn zu finden. So ließ ich Ihn auf einer Kante der Einfassung nieder- sitzen und sich ausruhen, während ich auf die Suche nach einem Eingang ging. Die Beamtentür war verschlossen. So eilte ich weiter und wagte mich sogar an einem Schild „Ver- botener Eingang“ vorüber, aber als es mir gerade glücken wollte, daran vorbeizukommen, wurde ich durch einen schrillen Pfiff angehalten und stand dem Wächter des Grundstücks gegenüber. Es war ein kleiner alter Jude mit freundlichem Antlitz. Ich erklärte, warum ich die Vorschrift übertreten hätte und fragte, ob er uns an eine nähere Tür als den Haupt- eingang bringen könnte. Er wandte sich um und schaute auf "’ABDU’L-BAHA, auf die Gestalt aus dem Osten, aus vergangener Zeit — so ganz und gar nicht aus dieser Welt oder der Gegen- wart — die da so ruhig auf der Kante der Einfassung saß, und sein Antlitz besänftigte sich seltsam: „Komm mit“, sagte er, und darauf, als ’ABDU’L-BAHA mit den übrigen ihm folgte: „Ist er Jude ?“

„Nein“, sagte ich, „Er ist ’ABDU’L-BAHA aus Persien“.

Der alte Jude fragte nichts weiter. Ich fühlte nicht die Freiheit zu reden, obgleich ich empfand, daß er es gerne wollte, und dann war 'ABDU’L-BAHA selber da, um zu sprechen.

Wir gingen durchs Museum. .. Als wir wieder draußen waren, setzte sich der Meister, obwohl Er sich bereits im Museum ausgeruht hatte, wieder auf eine sanfte kleine Boden- welle unter einem jungen Baum nieder. Er saß eine kleine Weile da, wir hinter Ihm stehend auf den Fliesen des Wegs. Wartete Er auf irgend etwas? Langsam stahl sich der alte Jude zu uns.

„Ist Er müde?“ flüsterte er mir leise zu. „Wer ist Er, Er sieht aus wie ein großer Mann“.

Ich erwiderte, daß ’ABDU’L-BAHA viel für die Sache der Brüderlichkeit gelitten hätte. Dann erzählte ich ihm einiges aus der Leidensgeschichte des Meisters.

„Ich möchte Ihn gern sprechen“, sagte der Jude. Und so ließ ich ihn zum Meister. Der Meister schaute auf, die strahlenden Augen voll Milde.

„Komm und setz dich zu mir“, sagte Er. „Nein, ich darf nicht“, entgegnete der Wächter. „Ist es gegen die Vorschrift, daß ich im Gras sitze“, fragte der Meister. „Nicht für Sie“

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[Seite 4](mit Weichheit). „Wenn es gegen die Vorschriften ist, will ich aufstehen.“ „Nein, Sie dürfen hier den ganzen Tag sitzen.“

„Sie haben nicht das ganze Museum gesehen“, fuhr der alte Wächter fort, „möchten Sie zurückgehen, wenn Sie sich aus- geruht haben? Da sind die Versteinerungen und die Vögel“. „Nein“, sagte der Meister lächelnd, „das Umhergehen und An- schauen der Dinge dieser Welt hat mich ermüdet. Ich möchte aufsteigen und umhergehen und in die geistigen Welten hin- einschauen. Wie denkst du darüber?“ fragte Er plötzlich, wieder hell lächelnd. Der alte Wächter machte ein verlegenes Gesicht und kratzte sich den Kopf. „Was möchtest du lieber besitzen“, fuhr der Meister fort, „die materielle oder die geistige Welt?“ „Nun, ich meine, die materielle“, antwortete der Wächter ernsthafte. „Du weißt auf alle Fälle, was du hast. Aber du verlierst sie nicht, wenn du in die geistige kommst. Wenn du in einem Hause die Treppe hinaufsteigst, so verläßt du das Haus auch nicht. Das tiefere Stockwerk ist dann unter dir.“

„O ja“, ein ganzer plötzlicher Lichtschein erleuchtete des alten Mannes Antlitz. Dann stand der Meister auf, und wie Er unter dem, jungen Baum stand, Sonnenlicht auf Seinem Kleid, lehrte Er den alten Juden mit Seiner unwiderleglichen Folgerung und doch mit unwiderstehlichem Lächeln und Reiz über die geistige Übereinstimmung CHRISTI und MOSE. O, könnte ich euch nur das Bild sehen lassen, es euch wieder zum Leben zurückrufen: der alte Jude und sein unerkannter Messias, dieser Eine, von dem er gefragt hatte: „Ist Er Jude“?, der ihn so seltsam angezogen und ihn mit Weichheit und hei- liger Scheu erfüllt hatte, das ergriffene, fragende Antlitz des Juden... und... der strahlende Fremde, wie die Vision eines längst vergangenen Propheten, „der Alte von einst“ und die „göttliche Jugend“ in einem, durch irgend eine seltsame Mischung des Geistes. Sicher mußte der Jude irgend etwas gefühlt haben. Christen hatten von diesem Gast aus dem Osten gesagt „diese Gestalt läßt mich an die Klagen Judäas zurückdenken“, „ich schien mit Moses oder Jesajas zu sprechen“. Rassenempfindung, tiefe Rassenhoffnung muß sich in dem Juden enıporgedrängt haben.

Ich bin mehrfach wieder ins Museum gegangen, um den alten Wächter zu finden. Aber ich habe sein Gesicht nie wieder gesehen. Er ist wohl sehr bald „die Treppe in dem Hause hinauf-

gerufen worden.“ (First days in America, S. 38 ff.)

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