One Country/1998 Nummer 2-3/Text

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»Die Erde ist nur ein Land, und al/e Menschen sind seine Barger.« - Bahdu Ila’h


[Seite 2]DEBATTE

DIANE ALA'I


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50 JAHRE

„ ALLGEMEINE ERKLARUNG DER

orfijnfzig Jahren, am1o.Dezember 1948,verabschiede te die Generaiversammlung der noch jungen Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, ein Dokument von dreiBig Artikeln. 45 Jahre später, aufder Weltkonferenz fijr Menschenrechte in Wien, wurde die Erklärung von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen als „allgemein erreichter Standard filr alle Völker und Nationen" anerkannt sowie als „inspirierende Quelle und Grundlage derVereinten Nationen beim Setzen von Standards" (Wiener Erklairung und Aktionsprogramm, Paragraph 8 der Préambel).

Verfaßt wurde die Allgemeine Erklärung in der ersten bis dritten Sitzung der UN-Menschenrechtskommission, vom 27.Januar1947 bis zum 18.

Juni 1948, unter

dem Vorsitz von Ele anor Roosevelt. Auch die Bahá’í waren daran beteiIigt. Sie Iegten der Menschenrechtskommission in ihrer ersten Sitzung eine "Erklärung der Bahá’í über die menschlichen Pflichten und Rechte„vor.

Da die Allgemeine Erklärung formal eine Erklärung ist, ist sie nicht rechtlich bindend. Dennoch hatte sie grofSen Einfluß auf die Entwicklung des modernen Völkerrechts. Während der vergangenen fünfzig Jahre verfaßten und beschlossen die Vereinten Nationen zahlreiche auf die Universale Erklärung abgestimmte Texte, darunter 25 Konventionen und Protokolle sowie 14 Erklärungen,deren Ziel es war, den Schutz verschiedener Rechte zu stérken, die in

MENSCHENRECHTE

der Allgemeinen Erklärung enthalten sind.

Gleichwohl hat sich gerade in den letzten Jahren gezeigt, daß der Versuch, eine jeweils bestimmte Gruppe von Menschenrechten herauszustellen und zu schijtzen - und zugleich bei der Beschließung einen Geist von Konsens zu bewahren -, Ieicht zu einer Verengungjener Artikel fuhren kann, die in der Allgemeinen Erklärung zu finden sind.

Dies war offensichtlich der Fall bei der kürzlich ange


[Seite 3]nommenen Erklärung über Rechte und Pflichten von Menschenrechts-Aktivisten (Declaration on the Rights and Responsibilities of Individuals, Groups and Organs of Society to Promote and Protect Human Rights and Fundamental Freedoms). Der Text,den die Menschenrechtskommission zur Beschließung an die Generalversammlung weitergeIeitet hat, wurde in einer gemeinsamen Stellungnahme von mehr als einhundert Nichtregierungsorganisationen als "blofSes Minimum" bezeichnet und „nicht derText,den die Verteidiger von Menschenrechten geschrieben hétten?

"Alle Menschenrechte fijr alle" — so Iautet das Motto der UN-Hochkommissarin fUr Menschenrechte, Mary Robinson, zum fiinfzigsten Jahrestag der Verabschiedung der Universalen Erklärung. Und die Zielbeschreibung ihres BUros fordert "verstérkte und nachhaltige Anstrengungen der Internationalen Gemeinschaft, die Menschenrechte weltweit zu einer Realitét zu machen."

Gleichwohl waren in diesem Jahr auch andere Stimmen zu hören. Einige von ihnen riefen nach einer Revision der Allgemeinen Erklärung, da die Vereinten Nationen vor fUnfzigJahren noch nicht die Vielfalt ihrer heutigen Zusammensetzung reflektiert hétten. Andere verIangten, daß der Interna t/ona/ B/// of Human Rights, der sich derzeit zusammensetzt aus der Allgemeinen Erklärung, dem Pakt über Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie dem Pakt Über bilrgerliche und politische Rechte mit seinem Zusatzprotokoll, ergéinzt werden um die Erklärung zum Recht auf Entwicklung.

Einerngere Untersuchung Überdie Zusammensetzung der Menschenrechtskommission zu dem Zeitpunkt, als die Allgemeine Erklärung geschrieben wurde,hat gezeigt, dafi die Mitglieder der Kommission mehrheitlich, némlich im Verhéltnis elf zu vier, aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa kamen (Bertrand Ramcharan:The Universality of Human Rights, Review of the International Commission of Jurists, Nr. 58-59, Decem ber1997).

Die Frage der Universalitét der Menschenrechte stand auch im Mittelpunkt der Weltkonferenz fijr Menschenrechte 1993 in Wien. Deren Abschlquokument, die im Konsens - also von allen Staaten - verabschiedete Wiener Erklärung, stellt eindeutig fest: "Alle Menschenrechte sind universal gflltig, unteilbar, voneinander abhéingig und aufeinander bezogen.„

Aus Bahá’í-Sicht ist die Bezugnahme auf "alle MitgliederderMenschenfamilie„, die die Préambel der Allgemeinen Erklärung

enthält, in klarer Übereinstimmung mit dem Bahá’iPrinzip von der Einheit der Menschheit. Die Überzeugung, daß "die Menschheit eine und unteilbar ist„, gilt fUr die Durchsetzung aller Prinzipien in derAllgemeinen Erklärung.

Zugleich mahnen die Bahá’í-Lehren bestimmte Rechte an, zum Beispiel die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion und nationaler oder sozialer Herkunft. Scharf verurteilt werden Sklaverei und die grausame und unmenschliche oder enthjrd/gende Behand/ungvon Menschen. Die Bahá’í-Lehren fordern Gerechtigkeit und einen angemessenen Lebensstandard fUr alle, und sie unterstreichen die Bedeutung von Erziehung. Sie anerkennen und wertschiatzen kulturelle Vielfalt und die Rolle von Minderheiten.

Diese Prinzipien zu stérken, ist fUr die Bahá’í-Gemeinde eine sténdige doppelte Aufgabe. Sie verlangt einerseits, die Prinzipien in den Reihen dereigenen Mitglieder durchzusetzen. Und andererseits, sich weltweit in Basisaktivitéten zu engagieren, um 50 die Menschenrechte zu stérken. D

Diane Ala'i ist Reprdsentantin der Bahdilntemational Community bei den Vereinten Nationen in Genf.


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[Seite 4]MAGAZIN



Mit seinem neuen Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse stellte der Bahá’í-Velag das Bahá’í—Statement "Integration als Herausforderung und Chance" in den M ittelpunkt.

IMPRESSUM

On: Counmv wird herausgegeben von der Bahá’í International Community, die als Nicht-Regierungs—Organisation bei den Vereinten Nationen die weltweite Bahá’í-Gemeinde reprisentiert. 0n: Couunv,0ffice of Public Information, Bahá’í International Community, Suite 120, 866 United Nations Plaza, New York, New York 10017, USA, Email: 1country@bic.org.

Chefredakteur: Brad Pokorny. Chef vom Dienst: Ann Boyles. Auslandsredaktionen: Nancy Ackerman (Moskau), Christine Samandari-Hakim (Paris), Kong Siew Huar (Macau), Guilda Walker (London).

Deutschsprachige Redaktion: Stefan Mutschler, Rolf Dietmar, Jens-Uwe Rahe. Freie Korrespondenten: Hilde Fanta (Osterreich), Silvia Fréhich (Schweiz), Jutta Bayani (Luxemburg). Geschaftsführung: Hartmut Nowotny, Arezu Braun. Übersetzerpool: Glinter Maltz. Anschrift: ONE Couumv, Eppsteiner Str. 89, D-65719 HofheimLangenhain, Germany. Tel _49-619299290, Fax _49-6192-992999Herausgeber derdeutschsprachigen Ausgabe: Nationaler Geistiger Rat der Bahá’í in Deutschland e.V.

Einzelheft: DM 4,-/SFr 4,405 28,-/LUF 80,—.JahresabonnementzDM15,»/SFr 15,-/OS1oo,-/LUF300.- (incI.MWSt u. Portokosten). Die Zeitschrift kann di rekt bei der Redaktion bestellt werden. Copyright 1998 by Bahá’í International Community ISSN 0945-7062. Gedruckt auf1oo% Recyclingpapier.

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IGNATZ BUBIs NENNT Bahá’í "FRIEDLIEBENDSTE RELIGION" - VERANSTALTUNGSREIHE ZUM WESTFISLISCHEN FRIEDEN IN MUNSTER

Ignatz Bubis,Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, erbffnete eine Ringvorlesung, die die Bahá'iGemeinde MUnster in ZUsammenarbeit mit der Stadt Milnster aus Anlaß des 350.Jahrestages des Westfélischen Friedens initiierte.

Bubis sprach Über den

Beitrag der Religionen zum Frieden und nannte u.a.friedensstifiende Maßnahmen, um bereits im Vorfeld Konflikte zu Ibsen, die Bekémpfung des Fundamentalismus in den eigenen Reihen und die Férderung des interreligiösen Dialogs in ener multikulturellen Gesellschaft. Er bezeichnete dabei die Bahá’í als die friedliebendste Religion.

Die PolitikwissenschaftIerin Farah Dustdar sprach Über ein von femininen Qualitaten getragenen neues Demokratiemodell und Freimut Duve, OSZE-Medienbeauftragter und Iangjähriges Bundestagsmitglied, griff die Globalisierungsthematik auf und formulierte "eine deutsche Antwort jenseits von links und rechts".

KONFERENZ UBER »EINE WERTEORDNUNG FUR DAS 21. JAHRHUNDERT“ IN BELGIEN

Anl'élSlich des 50. Jahrestages der Bahá’í-Gemeinde in Belgien Iud diese zu einer Konferenz über "Eine Werteordnung für das 21.Jahrhundert" ein. Hauptredner vor den 150 Gésten im Palais des Congres in Brijssel war der bekannte Philosoph und Schriftsteller Tschingis Aitmatow. In seiner Festan V

In vielen Ldndem der Dritten Welt tun sich Bahá’í—Gemeinden

sprache hob er die Bedeutung der Bahá’í-Religion hervor, da ihre Visionen und Werte konkret auf die Bedflrfnisse und Anforderungen der heutigen Zeit antworten.

Weitere Redner waren Andras Laszlo vom Club of Budapest, Prof. Anne Morelli und Prof.Wi||iam Hatcher aus Kanada.

zusammen, um lokale Oder regionale Bahá’í—Zentren zu bauen, die dann auchfijr Gemeindeentwicklungsprojekte zur Verflligung stehen, die allen Dorfbewohnem nutzen. Hier ein BahdiZentrum in Paynesville in Liberia mit ihren Erbauem.



In Malaysia organisierte eine lokale Bahá’í—Gemeinde eine

Baumpflanzaktion. Die Über 120 Teilnehmer erhielten ein T—Shirt mit der Aufschrift "Mdchtest Du eine gesunde Umwelt? Dann tue etwas dafijr. Pflanze Bäume".

LAUFEN FUR DIE IDEE DER INTEGRATION

Eine Gruppe Jugendlicher aus Magdeburg organisierte ein Laufprojekt zum Thema "Integration als Herausforderung und Chance" Über 600 Kilometer von Magdeburg nach Hofheim im Taunus. Die Léufer wollten damit darauf aufmerksam machen, daß die Vielfalt der Kulturen eine Bereicherung fUr alle darstellt, gerade auch fUr die Jugend.

An den Abenden luden sie in allen Orten, an denen sie zwischen dem Starttermin 15. September und dem Zieltermin 3. Oktober halt machten, zu Diskussionsveranstaltungen ein. Das Spektrum des Echos reichte von gering bis sehr stark. 24 Zeitungsartikel erschienen, in einigen Orten machten Rundfunkstationen auf die Léufer aufmerksam, in anderen wurden sie von den BUrgermeistern mit demonstrativer Herzlichkeit empfangen.

NGO-JUGEND ZUR MENSCHENRECHTSERZIEHUNG AUSGEBILDET

Der Européiische Bahá'iJugendrat veranstaltete in StraBburg ein Seminar zum Thema Menschenrechtsen ziehung, an dem Bahá’í-Jugendliche sowie Reprisentante nvon Nicht—RegierungsOrganisationen aus 25 Léndern teilnahmen.

[Seite 5]- WENIy BAHA

Die geltende Ausl Rechts erklcirt die grojite rglig

NUR

Seit Beginn der Islamischen Revlution vor zwanzig Jahren unterIiegen die Bahá’í im Iran einer verschdrften Verfo/gung. Der Menschenrechtsbeauftragte Christopher Sprung berichtet über die aktuelle Lage im Iran.

15 die Europiiische AUnion im juli 1998 wieder Cine hochran gige Delegation nach Tehcran cntsandte, hoffte sic, daß die Eiszeit in den deutsch—iranischen und européisch—iranischen Beziehungen allmählich beendet wcrden könntc. l)as „Mykonos—Urteil“ des Berliner Kammergerichts, in dem die iranische Urheberschaft an Terrorakten auf dcutschem Boden festgestellt worden war, konnte auf Dauer kein unüberwindbarcs Hindernis sein.

Doch nur einen Tag nach der Abreise der EU—Delegation aus Tehcran folgte die Erniichterung. In der Nacht zum 21. juli wurde der 52j§hrige Ruhollah Rohani in der iranischen Stadt Maschad hingerichtet. Menschen hatten über Wahrheit, Glauben und Religion gerichtet. Sie hatten befunden, daß ein anderer Mensch den falschen Glauben babe, und ihn im Namen der Islamischen Republik Iran getötet.

Ruhollah Rohani war am 20. September 1997 von den iranischen Behérden inhaftiert

STRAFFREIHEIT

0RD:

i

TITELSTORY


IST

im lranfijr vogelfrel

worden - der Vorwurt: cr sci fiir den Bahá’í—Glauben aktiv. Von einer offiziellen Anklageerhebung, eincm Gcrichtsvcrfahrcn Oder gar cincm Urtcil wurdc nichts bckannt. Die iranische Regierung, die aufinternationale Protests hin den Fall zunzichst geleugnet hatte, bestätigte spiiter die Exekution, behauptcte aber, Rohani sci wcgen „Gef‘éhrdung der nationalen Sicherheit“ zum Tode verurteilt worden. Ruhollah Rohani hatte bereits eine lange Lcidensgeschichte religiös motivierter Verfolgung erlitten. Schon vor zwélfjahren war er aufgrund seiner Zugehérigkeit zur Bahá’í—Religion für zwei jahre inhaftiert worden. Anschließend mußte er unter Polizeiaufsicht Verbarmungsjahr in einem

ein zusiitzliches

Dorf verbringen, das er nicht verlassen durfte. Die psychischen Leiden durch den Gef‘éngnisaufenthalt warcn dem Vater von Vier Kindern seither deutlich anzuschen.

Haftgrund: Bahá’í

Ruhollah Rohani, bekannt für seine sanfte Wesensart, war kein begflterter Mann. Seit 20 jahren handelte er mit Gesundheitsprodukten, wobci es für ihn in Maschhad zunehmend schwicrig wurde, den Lebensunterhalt für seine Fa


milic zu verdienen. Deshalb wollte die Familie Maschhad verlassen, als Revolutionswiichter im September des vergangenen jahres Ruhollah Rohani in seinem Heim aufsuchten und ihn zum zweiten Mal verhafteten. Seither durften seine Frau und seine Kinder ihn nicht sehen — mit einer Ausnahme etwa einen Mount nach seinerVerhaftung.

egung des


DAS OPFER

islamischen

lose Minderheit

Ruhollah Rohani wurde im

Juli 1998 hingerichtet. Einziger Vorwurf: seine Zugehdrigkeit zur BahdiReligion.

fl , ONE COUNTRY

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[Seite 6]Christopher Sprung ist Menschenrechtsbeauftragter der deutschen Bahá’í—Gemeinde

Anweisung an alle Iranischen Ballarden and Stellen: „...den Fortschritt und die Entwicklung der Bahá’í zu blockieren“ and flu: „kulturellen Wurzeln lm Ausland zu unw ten“.

Zitat aus einem Papier des Obersten Islamischen Kulturrats, unterzeichnet von Ayatollah Chamenei

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Die Bchiirdcn vcrwcigertcn

jeglichc Information über scinen Gesundheitszustand; dic Familie erfuhr nicht, ob cr noch am Lebcn war.

Erst am 21).]uli 1998 wurde der Familic mitgetcilt, (1:113 sie Ruhollah Rohani für eine Stundc besuchen kéinnc.

Am Tag darzlLIFWLlrciclr dic Angehörigen erneut ins (?cinngnis gerufen, um scincn Leichnam abzuholen. Gerzldc cine Stunde wurde ihncn zugcstanden, urn den Elremznm und Vater — ohne Beismnd durch Freunde odeerrwandte — beizusetzen.

Die deutlichen Spuren am Hals des Getöteten ließen darauf schließen, daß er durch Erhfingen exekutiert worden war.

amnesty international: Bahá’í warden systematisch diskriminiert und verfolgt

Scit 197‘), dem Beginn der Islamischen Revolution, wurden im Iran 202 lehz'li allein wcgcn ihrcr Glaubenszugchiirigkeit hingcrichtet. Die Gcmcindc, mit rund 300.000 Angchérigcn die größte religiéisc Minderheit des Landcs, wird nach Erkermmissen der Menschenrcchtsorganisation amnesty international Lmd der UNMcnschenrcchtskommission systclnatisch diskriminicrt und verfolgt.


Wic ist es zu erkliiren, duIS die Bahá’í, die sich nicht in die Innenpolitik eincs Landes einmischen und eine friedliche, Gewalt ablehncndc Gruppe sind, im Iran so unnachgiebig verfolgt warden?

Warum gerade die Bahá’í?

Die Bahá’í—Religion war im 19.jahrhundert in Pcrsien Cl1tSt Jndt Il. Nach Selbstverstiindnis und Auffassung der Religionswissenschaft ist sic kcinc islamische Sekte Oder K(mfcssion, sondern eine eigenstiindige Religion in der Rcihc der Hochrcligioncn. Sie hut zum Islam ein bihnliches Entstchungsvcrhiilmis wie das (Ihristcntum zum Judentum.

Die Bahá’í—Religion lehrt den (ylnubcn an einen Gott und dic Einhcit zlllcr Hochrcligioncn in ihrcr gcistigcn Quollc. Absoluthcitsanspriichc wcrdcn abgclclmt. Nnch chrzcugung der Bahá’í ist es die Aufgubc der Religionen, Friedcn und Vcrstlindigung zu stiftcn und sich für cin gcmeinsamcs Ethos der Mcnschheit einzusctzen.

Für den ()rthodoxen Islam ist es schwierig, den Bahá’iClauben anzucrkenncn. ln der Person des Religionsstiftcrs Baha’u’llah (1817 — 1892) ist nach dem Glaubcn der Bahá’í ein Prophct nach Mohammad erschienen — aus islamischcr Sicht eine Hiircsic. AUBCrdcm sind cinigc der Bahá’í—Lchrcn islamischen Fundamentalistcn ein Dom im Auge, wie die Gleichberechtigung Von Mann und Frau, die Ablchnung religiöser Absoluthcitsansprtiche Oder der Glaube an die transzendente, innere Einhcit allcr Religioncn.

Diskriminierung per Verfassung

Der iranische Staat zzihlt die Bahá’í nicht zu den sogennnntcn „gcschi‘1tztcn religiösen Minderheitcn“.Artikel 13 der iranischen LandesverFassung vom 15. November 197‘) listct die Religioncn auf, die aus Sicht der Staatsrcligion Islam „schutzwürdig“ sind: „Zoroastrian, jewish, and Christian Iranians arc the only rccognizcd religious minorities, who, within the limits ofthc l;1w,;1rc free to perform their religious rites and cercr monies, and to act according to their own canon in matters 0fpcrs<)t1al aflhirs and religious education.“

Die

vcrflxssung ist damit die CinziA

iranischc Landesge Vcrfilssung in der Welt, die die Diskriminierung Anderv gliiubigtr per Vcrfilssung normiert — und das obwohl der Iran den Internationalcn lnkt über bürgerlichc und politische Rechte V0111 19. Dezember 1966 ratifiziert hat. In 61‘ 116111 nicht—sikularen Stunt hat dies dramatische Auswirkungen. Es legitimiert die Vcrfolgung der nicht V01] diescr Verfassungswohltat erfaßttn GlaubensgemeinsChaften und tiffnct derWillkiirTür undTor, wie gerade 21m Beispiel der Bahá’í immcr wieder festzustcllcn ist.

Anflmg juli 1997 warcn zwei Bahá’í 1111 Iran getbtet worden — otfenbar aus niederen Motiven durch Einzeltiiter, die im iranischen Staatsdienst stehcn. Aus Clem Gcsamtzusammenhang mulS vermutet warden, daIS uuch hier dic Zugchiirigkeit der Opfcr zur Bahá’í—Rcligion die Ursachc der Exzcssc war.

1m crstcn dicscr Fiillc war der ()3j2ihrige Mashallah Enayati aus Tehcran dzls Opfcr. Er wurdc bei cincm Bcsuch in seiner Hcimatstadt Ardistnn inhaftiert, als er an eincr Versammhmg der dortigen Bahá’í teilnahm. In der Hzlft wurdc

[Seite 7]or schwcr gcflfltcrt. Allcm Anschcin nach wurdc cr crst eine \X/ochc nach dicscmVorfull nus dcm Getdngnis in sin Kraukcnhzlus gebracht, wo er kurz dnrauf, am 4. juli 1097, verstzlrb. lm Todtsschein, dcsscn Fuksimilic vorlicgt, ist als Tm dcsursachc vermerkt: „Wird

spiitcr bckmmt wcrdcn.“

Miirder eines Bahá’í mull nur die Pistolenkugeln seiner Tat bezahlen

[m zwciten Fall wurdc Shahram Rezai, ein jungcr Bahá’í, der den Militlirdicnst in einem Lager bci Rasht 21blcistete, getötetfim 6.]uli 1997 schoß ihm sein Vorgesetzter vorsfitzlich in den Kopf,ei11€n Tag spziter erlag der junge Mann seiner) Verletzungen. AIS dem Dienstgericht in dem daraufhin eingcleitetcn Vcrfahrcn bekzmnt wurde, daß der gctiitete Soldat ein Bahá’í war, wurdc der verantwortliche Offizier freigespmchen. Das ansonsten iiblichc Blutgeld wurdc ihm crlasscn, er mußte lediglich die Kosten für die drci Kugeln, mit denen er Slmhram Rezai tétetc, an die Stnatsknsse zurückzahlen.

Obwohl diesc bcidcn Fiil1c nicht unmittclbar von der chtralrcgicrung zu vcrantwortcn sind, wnrcn sie doch mm in cincr stzlzltlid] bcwuBt gcflirdertcn Atmosphiire der umfilsscndcn Vcrfblgung und Diskriminicrung der Angehéii rigcn der Bahá’í—Rcligion 1116g1ich. Auch dnB dic Tiitcr sich nicht vor cincm ()rdcntlichen Gericht vcrantwortcn muIStcn, nur wcil die Optcr Bahá’í wnren, zeigte erneut. wic dranmtisch die Luge der Bahá’í in) Iran 110d] immer ist.

Für Bahá’í: kein Staatsdienst, keine Rente, keine Bildung

Die Mehrhcit der Bahá’í hat nur héichst cingcschriinkte M&Sglichkeiten, ihrcn Lc bcnsuntcrhnlt zu vcrdicncn. Mchr 1115 10.00„ 152111511 wurdcn in dcn fi‘iihcn achtzigcr jahrcn untcr Bczug uuf ihrc (ilaubmszugcllifirigkeit nus ihrcn Stellen in der (Sffcntlichen Verwaltung und Ausbildung cntlasscn. Die mcistcn blieben arv beitslos. Rentenznhlungcn an Bahá’í sind eingcstcllt. bcrcits gelcistctc I’Cmionen wurden zurückgctbrdert. Bahá’í—Landwirtcn wird der Eintritt in landwirtschaftliche Cellosscm schafien verweigert. Einjiingstes Entlassungsschreiben bcruft sich aufeinen Runderlafi des iranischen Ministcriums fiirArbeit und Soziales. in dem cs heißt: „l)ic Entlassung nus dem thc-ntlichen Dienst ist als Bestrafimg für die Mitglicdschnft in der irregeleitetcn Sekte zu schen, die von allen Modems als abtr Linnigy betrachtct wird.“

Irunischc Gcrichtc hubcn much in jiingster Zcit znhlrcichc Urtcilc gcflillt. much dcncn

die lellfi’i als Mitglicder cincr

,.irrcgclcitctcn Scktc‘fl als „Ungliiubige“, gar nls .,ApoStaten“ (Abtriinnigc) bczcichnet wcrdcn. Diesc Urtcilc sind bclcgt Zum Bcispicljcncs. dus cincm Bahá’í dds Erbrccht wrwcigcrtc, wcil cr „Abtriinnigcr“ sci, oder cin wcitcrcs, durch das cin Moslcm, der nachts cincn Bahá’í mit cincr

Axt crschlugcn lmttc, von der

Anklagc dos Totschlags freigci sprochen wurde — wcil dds Optcr Bahá’í war. Durch cin nndercs wurdc cincm bci cincm Vcrkchrsunfixll vcrlctztcn lehzii der S(hzldcnsersatz vcr weigcrt, wcil cincm ..Ap()stzlten“ ein solcherAnspruch gcgcniibcr einem Moslcm nicht zustehe.

Für Bahá’í: keine Eheschließung, kein ReisepaB, kein Organisationsrecht

Bahá’í—Eheschließungen wcrden nicht anerkannt. zivile Standcsiimtcr gibt es nicht. Ehcschließungcn sind nur nach dem Ritus einer der ..sc}ultZ\Viirdig611“ Religioncn möglich. Mit Ausnahmc wenigcr Fiillc erhaltcn Bahá’iv Angchdrigc kcincn Reisepnl} und kein Ausreiscvisum. Seit 1983 dtirfcn sich die Bahá’í nicht uls (lcmcindc kunstituicrcn. dic in der Bahá’í—Rcligion vorgcschricbcnc demokrutischc. frcic Lmd gchcimc Wahl von jcwcils ncun Miti glicdcm dcx (firtlichen „(Icistigcn Rates“ ist YCI‘bOtCI]. \vic auch tines Nntionnlcn (vcistigcn Rates. DJ dds Bullfi'itum kcincn chrus. kcinc (?cistlichkeit kcnnt, hut dicscchrbot die Aumirkung. dnlfi eine Lcitung der (?cmcindc nicht 111(Sglich

ixt.

Dokument belegt das erkliirte Ziel: "Ausliischung als lebensfähige Gemeinde"

Die UN—Mcnschenrcchtskommission spricht in dicscm Zusummcnhung von der (lefllhr der “Auslbschung als lcbensflihige (?emeinde„. Dal} all dies kein Zufall ist. sondern tine lung angelegte Strategic.


Seit 5o Jahren setzen sich Bahá’í—Gemeinden in a/ler

Welt aktivfur die Ziele der UN-Organisationen ein. Hier dankt Dr. Terrel Hill, Leiter von UNICEF Philippinen, dem Chor "Voices of Baha", der ein Benefizkonzert im Philamllfe Theater

on Manila gab zugunsten von UNICEF.



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0 FFENER GEGEN DIE DISKR'MINIERUNG

Wir, die Unterzeichner, protestieren mit Nachdruck gegen die jfingste Welle systematischer Verfolgung der Bahá’í im Iran. Wir appellieren an die Verantwortlichen im Iran, die bestehenden, zum Teil erst vor kurzem verhéngten Todesurteile gegen Bahá’í aufzuheben und die Übergriffe auf Bildungseinrichtungen der Bahá’í—Gemeinde einzustellen. Wir sind empért über den AusschlufS der Bahá’í vom Recht auf Bildung und verurteilen die Zerschlagung der Baha'iHochschule. Dies ist eine VerIetzung der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte (Art. 26) sowie des Internationalen Pakts Über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 13). Wir rufen die Bundesregierung auf, a||es zu tun, um die Vollstreckung derTodesurteiIe zu verhindern, das Los der Bahá’í zu verbessern und ihre Diskriminierung dauerhaft zu beenden.

Nach Erkenntnissen und Berichten der UN-Menschenrechtskommission und von Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und der Gesellschaft fUr bedrohte Völker werden rund 300 000 Mitglieder der Bahá’í-Religion im Iran, dort die grbBte religiöse Minderheit,von der ira Der obige Appe/l wurde nach derjungsten Verfo/gungswe/le formuliert and von namhaften Persdn/ichkeiten des éjjent/ichen Lebens unterzeichnet.

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DER BAH

nischen Regierung und der isIamischen Geistlichkeit allein aufgrund ihres Glaubens systematisch diskriminiert und verfolgt. Seit 1978/79 wurden Über 200 Bahá’í hingerichtet. Tausende wurden willkUrlich verhaftet, gefoltert, ihre Wohnungen geplfindert, ihre heiligen Stétten und Friedhbfe geschéindet. Die gewéih|ten Institutionen der Bahá’í-Gemeinde wurden offiziell verboten.

In letzter Zeit gab es Hoffnungen, daß die Lage der Bahá’í sich gebessert habe. Denn seit 1992 kam es zumindest nicht mehr zu Hinrichtungen. Dochjetzt spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu. lm Juli 1998 wurde Ruhollah Rohani im Geféngnis von Maschhad hingerichtet, nur weil er Bahá’í war. lm September wurde die Todesstrafe flir zwei weitere Bahá’í-Héftlinge bestätigt. Die UrteilsverkfindungerfolgtenurmUndlich;es liegen keine schriftlichen Urteile oder sonstige Prozeßunterlagen vor. Weitere Todesurteile bestehen schon seit Iéngerem gegen vier Bahá’í im Teheraner Geféngnis. Es ist zu befflrchten,daf§diese Todesurteile von Teheran und Maschhad vollstreckt werden. Man hat den Verurteilten die Freiheit angeboten, unter der Bedingung, dafS sie dem Bahá’í-Glauben abschwbren.

Anfang Oktober1998 nah beweist ein offizicllcs Dokumcnt, das der ()bcrstc [$131111schc Kulturrat um 25. Februar 1991 verabschicdcte und dus von Ayatollah Chamenci. dcm Ieligiésen F‘Lihrer[111113,gcgc11gczeichnet wurdc. Dds Iapicr „Zur Bahá’í—Frage“ \Vurdc 1993 von der UN—Mtnschcw rcchtskomission als authentisch vcrifiziert und V(l‘éiflbntlicht. Es weist 3116 iranischen Bchiirden und Stellen :111„,del1 Fortschritt und die Entwicklung der Bahá’í zu blockicrcn“ und ihrc „kulturellen Wurzeln im Ausland zu zerstércn“. ()ffi‘nkundig gehcn imm men Beamte der iranischen Republik in 14 Städten 36 Dozenten einer privaten Bahá’iHochschule fest. Einrichtungsgegensténde und Lehrmittel wie Computer, Laborgeréte, Literaturetc.,die sich landesweit in über 500 Privatwohnungen befanden, wurden bei dieser Aktion beschlagnahmt. Diese private Hochschule wurde 1987 von den Bahá’í intern gegrflndet, nachdem der iranische Staat ab 1980 den Bahá’í jeglichen Zugang zu höherer Bildung verwehrte. Die Bahá’iJugendlichen durften die Schule nicht abschliefSen und wurden nicht mehr an den Universitéten des Landes aufgenommen,nurweilsie Bahá’í waren. Daher grUndeten die Bahá’í fLir ihre Jugendlichen eine eigene Hochschule, die Studiengainge in Chemie, Biologie, Zahnmedizin, Pharmazie, Bauingenieurwesen, Informatik, Psychologie, Rechtsund Literaturwissenschaft anbot. Selbst diese private Einrichtung wurde nun zerschlagen. Die jfingste Verfolgungswelle ist Teil eines langfristigen Planes der iranischen Regierung,wie er bereits im Februar 1991 in einem Geheimdokument des Obersten Revolutionéren Kulturrats festgelegt wurde. Dieses von Ayatollah Khamenei unterzeichnete und von der UN-Menschenrechts sche justiz und Gehtimdienst auch im Herbst 1998 gezielt nach diescm Plan vor. Denn in] September und Oktober kam c‘s zu einer weiteren Esknlution der Ereignisse. Gegenüber zwei Mithiiftlingen v01] Ruhollah Rohani hat ein drtliches Gericht in Maschhad jctzt die Todtsstrafe bestétigt, cin drittcr wurdc zu zehn jahrcn Hat} vcrurteilt. Die jetzt zum Tode Vtrurteilten Sirus Zubihi—Maghaddam und Heduynt—Kushcfi Najafabadi erhicltcn bislang 110Ch nicht einmul cin schriftlichcs Urtcil. Dag Todcsurtcil wurdc ihlltll ledig AIIM

IRAN

kommission im Jahr 1993 als authentisch verifizierte und veröffentlichte Dekret weist alle iranische Behbrden an, „den Fortschritt und die Entwicklung der Bahá’í zu blokkieren“, ihre „ku|ture||en Wurzeln im Ausland zu zerstören“, sie "aus den Universitéten zu entfernen"und ihnen “einfluBreiche Positionen,z.B. im Bildungsbereich, zu verweigern".

Im Iran ist der Islam Staatsreligion.Art.13 deriranischen Landesverfassung zéhlt als sogenannte „schutszrdige religiöse Minderheiten“ nur die Christen, Juden und Zoroastrier auf. Damit sind die Bahá’í von einer ganzen Reihe von BUrgerrechten ausgenommen und werden zum Opfer von Willkflr und Verfolgung. Die Bahá’í sind eine friedfertige Gemeinschaft. Sie sind auf Grundlage ihres Glaubens loyale Staatsbflrger und enthalten sich jeglicher Gewaltanwendung.

Die Verfolgung der Bahá’imußbeendet werden. Den Bahá’í sind die bUrgerlichen Rechte einschließlich des Rechtes auf freie Religionsausflbung zu gewähren. Ein Staat mufS sich daran messen lassen, wie er mit seinen Minderheiten verféihrt.Es gehtumTaten,nicht um Worte.


lich 111imdlich übermittelt. Es muß 110th vom Obersten Islnmischen Gcrichtshof in Tehcrzm bestlitigt werden. 1m drittcn Fall dcs Ataollah Hamid Nasirizndeh, der zu zehn jahfen Haft verurteilt wurde, ist bckannt geworden, daß er in c111 Gcfiingnis nach Keman Libertiihrt werden 5011. Zuglcich lubcn in cincr zentrzll gestcuertcn Aktion Beamte des iranischen Informationsministcriums 36 Lchrer in H Stiidtcn inhufticrt. Die Lehrer geh6rel1 der BnhfliGemeinde an und leitcten ein internes Ausbildungspro [Seite 9]gramm der iranischen Bahá’í, das speziell für die Bahá’í—jugcndlichen konzipiert war, die vom iranischen Stunt wegcn ihrer Zugehérigkeit zur Bahá’í—Religion nicht zum Studium an den Universitdten zugelassen waren Oder denen der reguliire Schulabschluß verwehrt wurde. Hduser und

lrivateigentum dieser Lehrer

ANSCHLAG AUF DAS

WUIdt‘l) geplijndert, Lehrmaterialien zerstört Oder beschlagnahmt.

Die Welt bleibt aufgefordert, auf ein Ende der Verfolgung der Bahá’í im Iran zu drhngen. Ohne Religionsfreiheit für die Bahá’í karm es keine „normalen“ Beziehungen zum Iran geben. Und auch die Frage, 0b eine Regierung Oder

AUF BILDUNG

Die Verfolgungen der Bahá’í im Iran erreichten eine neue Qualitait: Nunmehr werden ihre Bildungseinrichtungen zerschlagen. Eine Hintergrundinformation über die BahdiHochschule im Iran.

cit 1980 werden im Iran S im Rahmen der regisrungsgelenkten Versu che, das intellektuelle und kul turelle Leben der 300.000 Mitglieder zfihlenden Bahá’í Gemcindc zu zerstérelnjunge Menschen, die sich als Bahá’í bekctmcn, systematisch von Hochschulen und Universitéten im Iran ausgeschlossen.

Bildung statt Gewalt

In tiefer Besorgnis darüber, cine gauze Generation ihrer Besten ohne Mdglichkeit weiterführender Bildung ermatten zu sehen, lancierte die iranische Bahá’í—Gemeinde eine krcative und gcwaltlosc Antwort: die Errichtung eincs cigenen, voll fimktioniercndcn

ein Staatspriisident einen liberalen Weg einschl'égt, muß sich an der Wirklichkeit der Menschenrechtc orientiercn, speziell für die religiösen Minderheiten, einschliefilich der Bahá’í. El C/zrisrophcr Sprung R((lztsanwalt, Mitglim tics Nationalcn Geistégm Rates der Balzd’l 1'11 Dmisrlzland



Die Verfolgungen der Bahá’í—Gemeinde in ihrem Ursprungsland Iran reichen bis zu den Anfcingen in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurijck.

Eine neue Variante der Verletzung elementarer Menschenrechte

RECHT

Wie der Iran versucht,

das intellektuel/e und kulturelle

Leben der Bahá’í-Gemeinde

zu zerstören

Systems.

und dezentralen Universitfits1 9 8 7 g6 grander, hatte


| RAN die Bahá’í Hochschule (Bahá’í Institute of Higher Education — BIHE) im September 1998 mehr 2115 900 eingcschricbcne Studentcn, einen Lehrkörper von ]50 erstklassigen Akademikcrn und Dozcntcn, und eine "Infrastruktur" aux über don ganzcn


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[Seite 10]



Wie sie von staatlichen Universitfiten ausgeschlossen wurden




„lm lran mulS man sich zu einer PrUfung anmelden, wenn man die Hochschule besuchen mochte. lst man erfolgreich,darf man studieren.Aufdem Anmeldebogen ist ein Feld, das nach der Religionszugehorigkeit fragt. Es gab die Wahlmöglichkeiten Islam, Christentum, Judentum und Zoroastrisch. Wir alle [die Bahá’í] haben da gar nichts hingeschrieben. lch habeauf der linken Seite nur„Bahá’í“ notiert. Also haben sie uns nicht zur Prflfung zugelassen. Sie haben uns einfach keinen Eintrittsschein fUr den PrUfungsraum gegeben. Wir könnten nicht einmal an der Prfifung teilnehmen.“










Ein anderer Student:



„lch habe mich gar nicht erst fUr die Universitét beworben, weil ich wulSte, dalS ich ohnehin keine Chance auf Zulassung hatte. Aber meine Cousine hat sich beworben. Sie haben sie angerufen und gesagt „du kannst zur Universita't gehen, wenn du sagst, du seist eine Muslima und wenn du dein Photo in die Zeitung setzt und [offentlich] sagst, du seist Muslim.“







Ein welterer, filterer Student, der Io Jahre seiner Ausbildung verpame, bis die Bahá’í-Hochschule ihren Betrieb aufnahm:





„Im Iran gibt es eine schwere Aufnahmeprflfung fUr die Universitét. lch habe sie sehrgut bestanden.Aber





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nach dem ersten Semester,das war 1979, wurden alle Universitéten wegen der Revolution geschlossen. Als sie wiedereroffnet wurden, sagten sie allen Bahá’í-Studenten, wir miil Sten auf dem Bewerbungsbogen [zur Wiederaufnahme an die Universitét],den sle uns gaben, schreiben, wir seien Muslims. Das habe ich nicht geschrieben. Und sie haben mich exmatrikuliert. Im Iran gibt es viele Studenten, die studieren, weil es eine Art des Kämpfes ist, eine Art positiven Kämpfes, ähnlich dem Gandhis. Wenn die Behorden einem die Bildung verweigern, einen nicht studieren lassen, will man ihnen zeigen,dal§ man wohl studieren kann.“

Studenten zu den Problemen, ohne direkten Kontakt mit den Dountan der Baha'iHochschule :u arbeiten:

„Am Anfang jedes Semesters bekamen wir Aufgaben und Blocke, eine Art ErgebnisbUcher, zur Korrespondenz mit den Dozenten. Wir bekamen auch eine Liste der Literatur und wo wir sie kaufen könnten und welche BUcher wir brauchen würden. Jede Woche mußten wireinen bestimmten Teil des Buches bearbeiten. Der einzige Weg, mit unseren Dozenten zu „sprechen“, war per Brief. Es sei denn, es war ein sehr schwieriger Kurs oder wir arbeiteten in einem Labor. Dann könnten wir den Professor kontaktieren. Dann war da die Halbjahresprljfung. Wir gingen zu verschiedenen Orten [in Privathéusern] und in jedem Haus legten wir eine Prljfung ab, die Ergebnisse wurden uns zugeschickt. Es waren eine ganze Menge Leute in den Prfifungsprozeli eingebunden. Es gab Erwachsene [freiwillige Universitétshelfer],

STATEMENTS VON STUDENTEN UND Do; NTEN zun LAGE Wmumm DER BAHA I-HOCHSCHULE

die den Dozenten die Klausuren brachten." (ehemaliger Student d. Bahá’í-Hochschule)

„Spéter, gegen Ende, hatten wir die Möglichkeit, ein Tutorium [Arbeitsgemeinschaft] je Semester zu besuchen. Das war immer nach der Halbjahresprijfung. Alle Studenten kamen nach Teheran und andere Bahá’í-Familien waren ihre Gastgeber. So wa ren die Studenten fast einen Monat lang bei verschiedenen Bahá’í-Familien. Und dann hatten wir fl Jr jedes Fach ein Tutorium, einen eintégigen Kurs."

Kommentare von Mitgliedern dos lehrkfirpers der Bahá’í-Hochschule:

„Anfänglich kannten die Studenten nicht einmal die Namen ihrer Professoren. Selbst nach drei oder vier Jahren kannten sie die Namen ihrer Professoren nicht. Sie hatten sie nie gesehen. Weil es sehr geféihrlich war. Wenn jemand die Namen kannte,wUrde er sie vielleicht einem Freund sagen. Daher lief am Beginn dieses Planes alles per Korrespondenz.“

„Es war sehr schwer zu arbeiten, weil wir keinen Platz zum Arbeiten hatten. Wir hatten kein BUro. Wir arbeiteten zu Hause.Aberes hat gutfunktioniert und es war wirklich eine gute Sache, die wir gemacht haben. lch hoffe, die machenjetzt nicht alles dicht."

„Wir alle sind Freiwillige. FUr die Professoren gibt es keine Gehélter.Wir haben die Studenten gebeten, das Papier zu bezahlen [fflr die Fotokopien]. Es kostet also etwa einen Dollar pro Kurs.“


ohne Gehalt arbeiten:

„DieseJugendlichen sind sehr wertvolle Menschen. Wir sorgen uns alle um sle. Sie sind durch harte Zeiten und Schwierigkeiten gegangen und sie hatten keine Hoffnung. Sie sind so vieler Dinge beraubt. Wenn es fur uns also irgend eine Möglichkeit gibt, ihnen etwas Besseres zu geben, machen wires.“

„Unser Ziel war, die besten Kurse im Iran anzubieten.“

„Wir hatten eine pharmazeutische und eine zahnmedizinische Fakultét. Die Studenten der Zahnmedizin gingen in die Praxen von Baha’l—Zahnérzten, um von ihnen zu |ernen.Aberdie Kurse liefen per Fernstudium. Niemand gab eine Vorlesung."

Sonstige Kommentare:

„Die Bahá’í-Jugendlichen werden alle so erzogen, dalS sie studieren und beruflich arbeiten wollen. Einfach nur herumzusitzen und nichts zu tun ist also eine schwere psychische Belastung. Und bevordie Bahá’í-Hochschuleihren Betrieb richtig aufnahm, waren die Jugendlichen in einer hoffnungslosen Situation. Nun gibt es Leute, die studieren, um Anwéilte oder Buchhalter zu werden. Ingenieure werden ausgebildet. Da slnd Leute,die Zahntechnik studieren und davon traumen in die Vereinigten Staaten zu gehen, um dort ihren Abschluß zu machen. Wasdiese Bahá’í machen,ist eine Hilfe fUr das Land lran. Der Iran braucht technisches Wissen, er braucht Ingenieure und Wissenschaftler.“ (Ein iranischerBaha‘i,derjetzt im Ausland lebt und die Bahá'iHochschule besucht hat)

[Seite 11]Iran verteiltcn Klasscnriiumcn, Laboratoricn und Bibliotheken in Irivathiiusern und gcbziuden.

Wic in den internationalen Nnchrichtenmedien ausfiihrlich berichttt, haben Vertrctcr der iranischen Regierung Ende September und Anfang Oktober 1998 eine Reihe radikaler Übergriffe durchgefiihrt, bei denen mindestens 36 Mitglieder des Kollegiums der Bahá’í—Hochschule verhaftet wurden. In über 500 I-Iéusern wurden grOBe Teile der Einrichtungen und Unterlagen beschlagnahmt. Die Verhafteten, von denen Viele mittlerweile wieder freigelassen wurden, sollten eine Erklärung unterzeichnen, die besagte, daß die BIHE am 29. September aufgeldst worden sei und sic nicht mehr 111it der Bahá’iHochschule zusammenarbeiten würde. Die Haftlinge weigerten sich, eine derartige Erkl'érung zu unterschreiben.

Für informierte Bcobachter sind die neuerlichen Verhaftungen und Beschlagnahmungen eindeutig Teil einer langfristigen und zentral dirigicrten Aktion der iranischen Bchérden, die 1991 durch ein gehcimes Regierungs-Memorandum zur „Bahá’í—Fragc" die Bahá’í—Gemeinde "auf eine Weiss zu behandeln, daß ihr Fortschritt und ihre Entwick angcwicscn wurden,

lung blockiert werden„.

Das Vorgchen gcgcn die Bahá’í—Hochschule reflckticrt daher eine neuc und gefiihrlil che Phase für die Bahá’í—Gemeinde im Iran, die durch die Hinrichtung Ruhollah Rohanis eingeleitet wurde.

Das geheime Regierungspapier vom Obersten Islamischen Kulturrat im Februar 1991 verfaßt, hatte der UNSonderbeauftragte für die Menschenrechte 1111 Iran, Reynaldo Galindo P0111, 1993 erhalten und veröffentlicht.

D215 von lriisident Ali Chamenei untcrzeichnetc Dokument stellt eine L1111fl1556nde Regierungsstrategie gulf, die damuf abzielt, die Bahá’í—Cemcinde bis zur Nicht—Existenz zu zermahlen.

Dies 5011 durch das Aufzwingen eincr strcng islamischen Erziehung der Bahá’iKinder, durch das Abschieben der erwachsenen Bahá’í an den Rand wirtschnftlicher Existenzflihigkeit und ihre Enfernung aus einflußreichen Positionen, sowie dadurch geschehen, daß Bahá’í-jugendliche „von den Universitéten entfernt werden, entweder wzihrend des Zulassungsvorgangs Oder inmitten ihrer Studien, wenn bekannt wird, daß sie Bahá’í sind.„

Es Wzire nicht richtig, die Bahá’í—Hochschule 2115 „Untergrunduniversitfit„ zu bezeichnen; ihre Existenz war den Behérden nämlich von den frijhen Anfangen an bekanntl Bereits 1992 batten iranische Behérden weitreichende Überflille auf Einrichtungen der lehzii—Hochschule vertibt und Unterlagen und Ausstattung bcschlagnahmt, allerdings ohne denVersuch, den Betrieb zu schließen.

In Einklang mit den Bahá’í—Lchren zum Gehorsam gegenüber der Regierung habcn die Bahá’í im Iran Frageu zur Hochschulc und auch Liber sonstige Aktivithten immcr zlllfiiclltig bcantwortet. D21 die Bahá’í 1111 Iran damn gchindert warden, ihrc Institutioncn frei und normal zu führen, entschieden sie sich für dns Konzept der "offcnen Universitét„, die in hohem Mch dezentral und umsichtig arbcitCtC.

Umfassendes Bildungsangbot

Bis zu den Regierungsüberfüllen Ende September 1998 bot die Bahá’í—Hochschule Diplomabschliisse in zehn Fachbereichen anzAnge \Vundte Chemic. Biologie, Zahnmcdizin. lharmazie, Bauingenicurwesem Informatik, lsychologic. Rechtswisscnschaften, Literamr und

Rechnungswescn. Innerhalb

dieser Fachbereichc, die in fiinf lekultiiten geglicdert warcn, bot die Hochschule jlihrlich Libcr 200 verschiedcnc Kurse an.

Anfdnglich bnsicrtcn die Kurse auf chstudicngiingcn (161' Indiana University (USA). die als crstc wcstlichc Institution die lehdi—Hochschule nnerkunntc. Später wurdc das Kursnngcbot intern entwickelt. Gclchrt wurdc überwiegend per Korrcspondenz Oder für spcziclle naturwisscnschaftliChe und tcchnische Kurse und in nndercn AUSImhmc‘fiillcn in Kleingruppcn—Kursen. die in der Regs] in privntcn Riiumlichkeitcn abgchaltcn wurdcn.

Die Hochschule betrieb auch einige Laboratoricn in Geschifisgebifiuden in mud um Tehemn, die in lrivatbesitz standen. Solche Laboratorien gab es für die Infbrmatik. Physik, Zahnmedizin, lhnrmazie, Angewandte Chemie; auBBrdem gab es ein Sprachlabor.


Die Geschichte O/yas und der Verfolgungen, die sie wegen ihres Claubens im

‘, Iran erlitt, 9ng in Buchform i um die ganze Welt.


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[Seite 12]„ er anerkennen das Recht dc: elnzelnen auf

Bildung. “

Aus dem Pakt über wirtschaftliche, soziale und kuItureIle Rechte der Vereinten Nationen

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"Dem Evangelischen Pressedienst vom 8. Oktober 1998 haben wir entnommen, daß in Maschhad die Bahá'iAnhänger Sirus ZabihiMoghaddam und HadeyatKashefi Najafabadi zum Tode verurteilt worden seien. Wie aus der deutschen Bahá'iGemeinde zu erfahren war, wird den beiden Verurteilten "Geféhrdung der nationalen Sicherheit" vorgeworfen.

Wie bereits im Falle des deutschen Staatsbfirgers





Der Betrieb der Labore war sehr dezent und die Studen ten wurden angewiesen, nicht in größeren Gruppen zu erscheinen, um den Behérden keinen Grund für Beanstandungen zu bieten.

Ehrenamtlich arbeitende Dozentan

Die Hochschule hatte auf ihrem Héchststand über 150 Mitglieder im Gesamtkollegium der Fakulteiten. Etwa 25 bis 30 waren Professoren, die nach der Islamischen Revolution 1979 von den staatlichen Universititen entlassen worden waren. Andere Dozenten wiederum waren Ärzte, Zahnmediziner,]uristen und Ingenieure, die sich Zeit fiir den Unterricht der Studenten nahmen. Die Mehrzahl hatte im Iran studiert, eine ganze Reihe von ihnen besitzt jedoch Abschlfisse von westlichen Universitäten wie das Massachusetts Institute of Technology, die Columbia University, die University of California in Berkeley und die Sorbonne. Keiner der Bahá’iDozenten erhielt ein Gehalt; sie alle stellten ihre Zeit freiwillig als Dienst an der Gemeinde zur Verfiigung.

nALLAH 6mm IHR HERzu

Brief des Zentralinstitus IsIam-Archiv Deutschland an Ayatollah Khamenei

Helmut Hofer und der Iranerin Wahideh Kassemi möchten wir Sie dringlich bitten,von |hrem hohen Recht, das Urtei| aufzuheben, Gebrauch zu machen.

Eine Regierung wird danach beurteilt, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht,d.h. e5 ist ein untrijgliches Zeichen fflrFreiheit,RechtundAchtung der Menschenwflrde, wenn eine Regierung den Glauben, die Kultur und Traditionen der Minderheiten in ihrem Lande

jede dieser fiinf Fakultiiten stützte sich nicht nur auf das Fachwissen dieser ehrenamtlichen Dozenten, sondern auch auf eine klcine, anonyme Gruppc von Bahá’í-Akademikern in Nord—Amerika, Europa und Australian, die aktuelle Lehrbiicher und Forschungsberichte schickten, gelegentlich den Iran als Gastdozenten besuchten sowie anderweitige fachliche Unterstfitzung gaben.

Hohe akademlsche Anforderungan

Die Bahá’í-Hochschule sah Aufnahmeprfifungen vor, die hohe Anforderungen stellten.Von den rund 1500 Studenten, die sich im ersten jahr beworben batten, wurden 250 fiir das erste Studiensemester zugelassen. 1996 studierten insgesamt 600 Studenten an der Bahá’í—Hochschule; 1998 waren etwa 900 Studenten eingeschrieben.

Ein Beweis für den überraschend hohen akademischen Standard der Hochschule war die erfolgreiche Bewerbung und Zulassung einiger ihrer Absolventen zu GraduiertenStudiengangen außerhalb des Iran, darunter in führenden


schfitzt und achtet. Sie wUr den mit der Aufhebung des unmenschlichen Urteils und mit derFreiIassungderinsgesamt vier Gefangenen ein Zeichen setzen für einen den Menschen zugewandten |s|am in einer Zeit, in der die Unmenschlichkeit zu siegen scheint. Allah öffne lhr Herz."

gez. M. Salim Abdullah lnstitutsdirektor

18. Oktober1998



Universitéten der USA und Kanadas.

Es muß erwiihnt werdcn, daß einige Absolventen und Studenten der Hochschulc außerhalb des Iran Schwierigkeiten hatten, ihre Kurse angerechnet zu bekommen; diese Tatsache im chen der Hochschulabsolventen leitet sich direkt vom Plan der Iranischen Regierung ab, den Zugang der Bahá’í zu Bildung zu verhindern und def Hochschule die offizielle Anerkennung zu versagen.

Komplexo Struktur

Die Hochschule funktionierte im täglichen Betrieb wie eine Fernuniversitit, jedoch mit eigenem Zustelldienst.

In den ersten Jahren wurden die Hausarbeiten und Unterrichtseinheiten zwischen Studenten und Dozenten noch über die staatliche Post hin— und hergesandt. Doch die Paketc kamen oft nicht an und wurden vermutlich im Sinne des Versuchs der Regierung, den Bahá’í den Zugang zur Bildung zu nehmen, abgefangen.

Da die Irofcssoren keine Vorlesungen abhaltcn könnten,

[Seite 13]fertigten sie eigenc schriftliche Unterlagen an und stellten Lehrbijcher zusammen, die an die Studenten verteilt wurden. Einige dieser Bücher basierten, wie bereits angemerkt wurde, auf aktuellem westlichen Forschungsstand. So beschéftigte sich beispielsweise ein Student für zivilen Maschinenbau mit der Konstruktion erdbebensicherer Erdsilos; hierfijr konnte ihm die Hochschulc über ihre Kontakte in Übersee die jfingsten Forschungsergebnisse des Massachusetts Institute ofTechnology besorgen.

Die gesamte Arbeitsweise stützte sich sehr stark auf den breiten Einsatz von Fotokopien; einer der schwerstefi Schlige wiihrend der jfingsten Übergrifié war daher das Konfiszieren mehrerer großer Fotokopiergeréte.

Ein weiteres Merkmal der Hochschulstruktur war ein Netz an speziellen Bibliotheken im ganzen Land, wo BiiCher hinterlegt wurden. Über 45 solcher Bibliotheken existierten in Privathaushalcan und ermöglichten den Studenten Überall, die 116tigcn Lehrbiicher für die Kurse zu konsultieren. Manchc dieser Bibliotheken wurden während derjiingsten Aktioncn geplfindert.

ACHTUNG DER ME

ASHINGTON. F‘ x ’. Es ist eine der besonderen Eigenar ten der Verfassung der Vereinigten Staaten, daß alle internationalen Vertriige von einer Zweidrittelmehrheit des USSenats ratifiziert werden müssen. Dies ist eine der gesetzgebenden Körperschaften, die sich aus je zweiVertretern der 50 Gliedstaaten zusammensetzt.

Es ist daher manchmal schwicrig, auch Für solcheVer Zur SchlleBung der Bahá’í-Hochschule

Mit der Zeit entwickcltcn die Mitarbeiter der Hochschule mehr Vertraucn in ihre Arbeitsweise. Sic begannen Unterricht in kleinen Gruppcn in Privatwohnungen zu organisieren. Die Hochschule fing außerdem an, detaillierte Kursverzeichnisse hcrauszugeben, die nicht nur das Kursangebot auflisteten, sondern auch die Qualifikationen der Dozenten. Durch das internationals Netzwerk der weltweiten Bahá’í—Gemeinde erkundete die Hochschule zudem Wege, um die Absolventen von anderen Universitdten und Institutionen außerhalb des Iran V011 anerkcnnen zu lassen.

Es bleibt der Bahá’í—Gemeinde 1111 Iran verborgen, weshalb es Ende September zu den Pliinderungen und Bcschlagnahmungen kam; nach dem Grund ihrer Handlungen befragt, gaben die Regierungsbeamten hierfur keine Erklärungen ab.

Abgesehen von anderen bedeutenden Menschenrechtskonventionen ist der Iran auch am Internationalcn Pakt über wirtschaftliche, sozialc und kulturelle Rechtc betciligt, der von der UN—Gene trige die Zustimmung zu bekommen, die es wirklich verdienen. Wie sich Kenner der Geschichte erinnern werden, vcrweigerte der Sena: die Mitgliedschaft Amerikas beimVölkerbund, obgleich es Président Woodrow Wilson war, der die Gründung des Völkerbundes vorgeschlagen hatte.

In derjijngerenVergangenheit hat der US—Senat die Beratung über die UN—Konvention zur Abschaffung aller Art von Diskriminierung von


ralversammlung 21m 16. Dezember 1966 verabschicdc-t wurde. Staaten, die diesem Pakt angehören, “anerkennen das Recht des einzclnen auf Bildung„ und 1111 bcsonderen, daß “höhere Bildung in gleiCher Weiss allen, auf Basis der Fsihigkeit, zuganglich gemacht wcrden muß, durch jegliche geeignete Mittel."

Der Ausschluß der Bahá’í vom Zugnng zur Hochschulbildung stellt ohne Zweifel einen schwerwiegendenVerstoB gegen dicscn Pakt dar. Die zulctzt untcmommenen Schritte, die kreative und friedvolle Antwort der iranischen Bahá’í zum Verstummen zu bringen, fiihrcn nur zu wachsender 6ffentlicher Empérung über die Versuche der Iranischen Regierung, die Bahá’í-Gemcindc zu ersticken. D


Dr. Faramarz Samandari, ein bedeutender Hals-, Nasenund 0hrenspezialist und Universitdtsprofessor, wurde, da er dem BahdiGlauben nicht abschwdren wolte, am 14. Juli 1980 in Tcibriz hingerichtet.

KAMPAGNE zun NSCHENRECHTE

Bahá’í-Gemeinden unterstllitzen weltweit die Fortentwicklung derAchtung der M enschenrechte

Frauen (CEDAW) vcrzbgert. Dabei ist es eine v01) hohen Grundseitzen getragcneVereinbarung, die schon von 160 Staaten angcnommcn wurde.

Einc große Koalition V0n Nicht—chicrungsorganisatio


fl? ‘ ONE COUNTRY

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[Seite 14]„Elnes unserer Hauptziele bei den Bembhungen zu diesem globalcn Prozep ist, die Aufmerksamkelt darauf zu richten, welche enge Verbindung zwlschen der Achtung der Menschenrechte und einem Welt frleden besteht. “

Nokoo Mahboubian, Reprisentantin der Bahá’í International Community

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nen (NRO) in den Vereinigten Staaten hat vor kurzem eine schon Iange Iaufende Bemiihung intensiviert, den Senat zur Ratifizierung des CEDAW zu veranlassen. Wie der Titel schon sagt, bemijht sich die Konvention datum, Diskriminierung von Frauen in der ganzen Welt zu unterbinden. Daran beteiligt ist auch der Nationale Geistige Rat der Bahá’í derVereinigten Staaten, der bei den neuesten Aktivitdten eine entscheidende ROIIC gespielt hat.

Unter Einschaltung des Internet und anderer Kommunikationsmedien hat der Rat eine dcmokratisch gewéhlte Körperschaft zur Verwaltung der Angelegenheit der Bahá’iGemeinde auf nationaler Ebene - die Bahá’í im ganzen Lande darum gebeten, an ihre Senatoren zu schreiben und die Ratifizierung der CEDAW anzumahnen.

Dezentral Für die Menschenrechte eintreten

D3 es in jedem Bundesstaat der USA aktive Bahá’iGemeinden gibt, könnten sich die drtlichen Bahá’í—Riite LiberaII im Lande an die Senatoren und politischen Organisationen wenden. Die meisten anderen NROs könnten nicht so fléchendeckend dezentral wirken.

„In den Vereinigten Staaten gibt es in 7000 Orten Bahá’í, die alle Rassen, Kultuten und Volkszugehérigkeiten reprisentieren,“ sagt Kit Cosby, die in Washington arbeitende Koordinatorin des Rates Fur Auswiirtige Angelegenheiten. „Auf diese Art haben wir die bestenVoraussetzungen zu 6nlicher Kontaktaufnahme mit Senatoren, in welchem Staat es auch sei, um die Sache der CEDAW zu unterstützen.“

In diesen Bemühungen der Bahá’í der Vereinigten Staaten zeigt sich die Entschlossenheit der weltweiten Bahá’í—Ge meinde, sich aIIgemein fijr die Menschenrechte einzusetzen und besonders für die Erziehung in den Menschenrechten. Angesichts der bevorstehenden 50—]ahr-Feier der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden diese Bemühungen noch verstfirkt.

Die Menschenrechts—Erklärung wurdc am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen. Es ist ein einfaches wie cindrucksvolles Dokument, in dessen Priiambel es heißt: „I)ie Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen FamiIie innewohnenden Wiirdc und ihrer gleichen und unveriiußerlichen Rechte (bildet) die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in derWelt.“ Sie definiert nicht nur grundlegende bürgerliche und politische Rechte wie Gedanken—, Gewissensund Religionsfreiheit, sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Grundrechte wie das Recht aqurbeit und auf Bildung.

Die Vereinten Nationen, verschiedene Regierungen und zahlreiche NROS planen 1998 Feiern aus Anlaß desjahrestages diescr Erklsirung. Es ist gleichzeitig das Vierte jahr in der UN—Dekade für die Erziehung zu Menschenrechten (1994 - 2004). Die Bahá’í hoffen, bei diesen Aktivitiiten in der vorderstcn Reihe zu stehen.

Bahá’í-Biiro entwickelt Programm zur Eniehung zu den

Menschenrechten

So hat 2.13. das Bahá’iBiiro bei den Vereintcn Nationen im Oktober 1997 an alle nationalen Bahá’í—Gemeinden ein besondercs Informationspaket über die Menschenrechte verschickt, um die Gemeinden dabei zu untcrstützen, wenn sie sich

stiirkcr bei der Férderung der Erziehung zu Menschenrechten engagieren.

„l)ie weltweite Bahá’iGemcinschaft hat schon in der Vergangenheit die Programme und Aktivitiiten der Vereinten Nationen für die Menschenrechtc unterstiitzt“, sagtc Nokoo Mahboubian, eineVertreterin der Internationalen Bahá’í—Gcmcinde bei denVereinten Nutionen. „Eines unsere Hauptzicle bei den Bemijhungen zu diesem globalen ErziehungsprozeB zu den Menschenrechten besteht darin, die Aufincrksmnkeit darauf zu richten. wclche enge Verbindung zwischen der Achtung der Menschenrechte und einem Weltfrieden besteht.“

Mahboubian wics darauf hin, daß die Bahá’í—Gemeindc schon 1947 eineVerIautbarung zur Unterstiltzung der Menschenrechtserklärung herausgegeben hatte. Scitdem sind Bahá’í-Gemeinden in der ganzen Welt 2m zahlrcichen Bemühungen zur F(Srderung der Menschenrechte bctciligt. Unter anderem hat sie für die Ratifizierung verschiedencr Menschenrechtskonventionen gearbeitet, bei der Verbreitung von Menschenrechtsdokumenten geholfen undjfihrlich zahlreiche Feiern zum Tag der Menschenrechte ausgerichtct.

Weltweit aktiv

In Vorbereitung auf das nichste jahr haben verschiedene nationale Bahá’í—Gemeinden ihrc Aktivitiiten versteirkt.

0 In der Türkei half dic Bahá’í—Gemeinde bei der Organisation einer Konferenz für NROS, um über die Entwicklungen zum Thema Menschenrechte in der abgelaufenen Dekade zu beraten. Das Frauenforum der türkischen NROS, bei dem auch die Bahá’í—Gemeinde Mitglied ist, hat am 8. Dezember 1997 ein Konferenz abgehalten, an der cine breite Palette von Spre [Seite 15]chcrn teilnahmcn. daruntcr uuch Scma Piskinsun Mitglicd dos larlmnents und Vorsitzcndc der Rcgicrungskommissfi on für Mcnschenrechte.

C In Norwogtn arbeitet die Ballfi—Gcnwindc mit arr dercn NROS zusnmmen, um landcmvcit (hdcnkvcranstaltungcn zum 50.jahrcstag der Erklärung der Menschenrcchtc ubzuhultcu Mit Unterstfit211any dcs norwcgischen Aulicmninistcriums plant die Gruppe für dcn Iliichsten August eine internationals Konferenz in Oslo unter dem Titel: ..Oslocr Kunfi'rcnz tiir die Freiheit der Religion: Wir nchmcn dic Hmausflwderung an und bildcn eine Koulition zum Schutz der Llnivcrscllcn Frciheit dos (?luubcnx.“

. In Brasilicn hut dic Bahá’í—Ccnwindc sich m] der Durchführung cincr grélficrcn Konferenz für die Mcnschenrechte bctciligt. Organisicrt wurde die ,.Erstc Internationale K011fe1‘enz für Mcnschenrcchte“ in Brasili;1.;111 der über 1()()() Menschen teilnalmlcn, von der brasilianischen juristcnvercinigung. Betciligt war

nuch die UNESCO und die brasiligmischen Ministerial] für justiz und Aumviirtige Angelegenhcitcn.

. ln Kunnda plnncn die Bahá’í eine Kumpugne zur Entwicklung bcsonderer audio—visucllcr und gcdruckter Materialism. um den 5“. jahrcstug zur Allgmncincn Erkllirung der Mcnschenrechtc zu unterstiitzcn. „Wir 1103111. dzlli es uns gclingt. cm bcxscres Verstiindnis dafür zu crrciChen. daß wir doth nur eine Familie sind Lmd dulfi dic Vurletzung der Rcchtcs cincs cinzelnen Mitgliedes der Menschhcitsfllmilic cinc Vcrletzung der Rechtc zlllL‘l ist“. sagtc Gerald Filson, der l )ircktor für Auswiirtigen Angclw gcnhciten dtr Bahá’í—Gcmchp dt.

0 In den Vereinigtcn Staai ton ist die Bahá’í—Gcmcindc vom Franklin—und—Elamok Roosevelt—lnstitm cingcludcn \Vordcn. Mitglicd dcs Lcnkungsausschusses einer Kampugne für die Feier des S(LJahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrcchtc zu Wcrdcn.


„l)ie Allgcmcine Erkllirung der Mcnschenrechte ist

bedeutsam, wcil es dns erstc Mal ist, dali die Mcnschhcit einen Vcrhaltcnskodcx ungenommen hut. dem sich allc Nationen untcrwcrtcn. Dumit ist sie cin V0r11iufcr der ErrichA rung der Einhcit der Mensch; hcit — cin Zic L dds dic Bahá’í als Ziel der Mcnschheitscntwicklung anschen“. sagtjefficy Huffines der amerikanischc Vertrctcr der Bahá’í—Gemcindc bci dchereinten National.

1361 der Kampugnc zur Ratiflzierung der CEDAW hut der Nationale Geistige Rut der Bahá’í der Vcreinigten Stnzltcn gcmcinsam mit amnesty inter national don Vorsitz. Wic [it (Tosby sagt. hotfen sic. die Unterstiitzung von wcnigstcns 74 US—Scmtoren bis zum 111‘ tcrnationalcn Frauentag zu gewinncn.

"Die Fruuenkonvention ist cm Instrument, das die Fraucn in der ganzen Welt dazu benutzcn, gcgen die Diskriminicrung zu kiimpfen, wie etwa Gewnlt gcgcn Frauen, Armut, gcringcn gesctzlichen Status usw.“. sugt Cosby. El


t}


Thema bei der Ietztjdhrigen Tagung derfranzcisischsprachigen Gesellschafter Bahá’í—Studien war, die loka/en Bahá’í—Gemeinden aufeine weitere Vertiefung ihres M enschenrechts engagements vorzubereiten.

3! ' ONE COUNTRY

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[Seite 16]Palais des Nations, Genf, Tagungsort der UNMenschenrechtskommission



DER INTERNATIONALE STRAFGERICHTSHOF Em SCHRITT zu

EINEM WELTWEITEN


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ROM


Erstaunen erfafSte im Juli die Welt: Auf einer Konferenz in Rom einigte sich die M ehrheit der Staaten aufdie Grandung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Von 16o Ldndem stimmten 120 dafijr, darunter Deutschland.

as Gericht 50H weltD weit die Urheber von Völkermord, Verbre Chen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur

' Verantwortung ziehen. Es 5011

in Den Haag errichtet werden, sobald 60 Staaten das Statut ratifiziert haben. Die Zustiindigkeit des Strafgerichtshofes gilt fiir Verbrechen, die ab diesem Zeitpunkt begangen werden.

Die Bahá’í haben scit 75

Jahren einen klaren und pragmatischen Standpunkt zur Frage eines Internationalen Strafgerichtshofes in die Diskussion eingebracht. Aus ihrer Sicht ist die Herrschaft des Rechts eine der schzirfsten Waffen der Menschheit. Deshalb hat die Bahá’í International Community (BIC) in den vergangenen jahren die Aktivitaten zahlreicher Nichtregierungsorganisationen unterstfitzt, die für einen Stiindigen Internationalen Strafgerichtshof eintraten, besonders in der Vorbereitungsphase für die Konferenz von Rom

Forderung eines Weltgerichtshofas seit 15 Jahren

Das Augenmerk der BIC war besonders aufdas Ziel gerichtet, das Gerechtigkeitsprinzip für eine Weltkultur zu etablieren und so den bereits


RECHTSSYSTEM

existierenden Internationalen Gerichtshof(lGH) zu stérken, der zwar eines der sechs Hauptorgane der Vereinten Nationen ist, zugleich aber fast völlig machtlos. „Derzeit ist die Zusténdigkeit des Internationalen Gerichtshofs auf wenige Kategorien von Rechtsfragen beschrzinkt. Nur Staaten haben Antragsrecht. Wir schlagen vor, daß neben den Mitgliedsstaaten auch anderen Organen derVereinten Nationen ein Antragsrecht cringer'2iumt wird„, so die BIC in ihrer Erkleirung „Wendezeit Für die Nationen„ von 1996. „Der Weltgerichtshof könnte als Dach für bereits existiemnde und neu zu schaffende Fachgerichte fungieren, die in internationalen Fallen innerhalb bestimmter Fachgebiete vermitteln und Recht sprechen können.„ Die BIC befijrwortet somit neben dem in Rom beschlossenen Straf


[Seite 17]gerichtshof auch solche Gerichtshéfe auf internationaler Ebene, die für Fragen derWirtschaft, des Verkehrs, der Umwelt, des Terrorismus und des Drogenhandels zust'éndig sind.

Es geht um die Grundlagen einer Weltkultur

Das übergeordnete Ziel der Weltgemeinschaft wurde schon 1945 festgelegt. Es geht um Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit, das gemeinsame Anliegen derVereinten Nationen, dokumentiert in deren Charta und in der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte.

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs lag die Ides nahe, Kriegsverbrecher in sogenannten Tribunalen vor Gericht zu stellen. Die Weltgemeinschaft hatter gemeinsam gegen Tyrannen gekémpft und die Tyrannei besiegt. In diese Zeit fielen die Gründung der Vereinten Nationen und die Verabschiedung der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte.

Allerdings hielt sich bis Ende dcs Kalten Krieges lahmende Ratlosigkeit, wie eine internationals Strafgerichtsbarkeit in das internationals System einzubauen sei, wie die Kulturerfolge der Menschheit nachhaltig vor den Aggressionen von Kriegsverbrechern und Völkermérdern — auch denen in Amt und Wijrden zu schiitzen seien.

Obwohl es nicht an gemeinsamen Werten derVölker mangelte, fehlte der gemeinsame politische Wills, die Charta derVereinten Nationen ernst zu nehmen. So dauerte es von 1945, dem Zeitpunkt der Zielsetzung, bis zur Golfkrise 1990/91, daß der UNSicherheitsrat zum ersten Mal so einig handelte, wie von der Charta vorgesehen. Die Staaten der Welt gingen — in relativer Geschlossenheit — gegen die Aggression des Irak gegen Kuwait V0r.

Rechtssystem und Gerechtigkeit

Langfristig kann Frieden nicht ohne Gerechtigkeit erreicht werden. Gerechtigkeit badeutet aber auch die Durchsetzung des humanitéren Völkerrechts und der Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung sowie in verschiedcnen internationalen Konventionen niedergelegt sind. Auch wenn noch nicht alle Staaten diese Dokumente ratifiziert haben, so berufen sich doch bedréngte Bürger allerorten auf der Welt zunehmend aufdasVölkerrecht. Dieses muß deshalb nachhaltig durchgesetzt werden, wenn umfassender Frieden erreicht werden 5011.

Ein traditionellesVerfahren, um Rechten Geltung zu verschaflen, ist die Bestmfung von Personen, die gegen geltendes Recht verstoBen. Daher gilt die Hoffnung, daß die Bestrafung von Verantwortlichen für KriegsverbrechenNélkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dazu beitragen kann, Menschenrechte und das Völkerrecht durchzusetzen und mögliche

humanitare

Titer V0r kiinftigen Verstéfien abzuschrecken.

Außerdem kann die Verséhnung nach Konflikten — die nur zu 0ft von Kriegsverbrechem planma Big geschiirt worden sind — dadurch gefordert werden, daß Strafe und Sanktion die persénlich Verantwortlichen treffen und nicht die Gruppe, der sie angehören. Es geht datum, Cine stigmatisierende Wirkung gegen die verantwortlichen Individuen zu erzielen, nicht Schuld und Repression gegen Völker Oder Volksgruppen.

Tribunale als Testlfiufe

Erst nach Ende des Kalten Krieges konnte eine wirksame Arbeit an einer internationalen Rechtsordnung wieder aufgenommen werden. Die

vom UN—Sicherheitsrat eingesetzten Tribunale in Den Haag fiir die Kriegsverbrechen im Jugoslawien (1993) und im tansanischen

ehemaligen

Arusha für die KriegsverbreChen in Ruanda (1994) waren die erstenVersuche seit den Nfirnberger Prozessen, einzelneVerantwortliche für Kriegsverbrechen,Völkermord und Verbrechen gcgen die Menschlichkeit strafrechtlich zu verfolgen.

Die Statuten des jugoslawien— und des Ruanda—Tribunals waren noch keine optimale Lösung. Fragen der Zustindigkeit, Organisation, Finanzicrung, Überordnung ijber nationale RechtspreChung sowie Bestimmungen über die Beweisfiihrung und dasVerfahren mußten definiert werden.

Die Tribunale bilden keinen internationalen Strafgerichtshof, sondern Hilfsorgane des UN—Sicherheitsrates nach Artikel 29 der UNCharta. Da Entscheidungen des Sicherheitsrates gemaiB KapitelVII der Charta für 3H6 Mitgliedstaaten verbindlich sind, besteht die Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Tribunalen Für alle Staaten — auch ohne deren jeweilige Zustimmung. Überdies erstrecken sich die Befugnisse der Tribunale nach KapitelVII auch auf die Verletzung des humanitiiren Völkerrechts in innerstaatlichen Konflikten, allerdings nur bei solchen Straftaten, die nach bereits bestehendem internationalem Recht strafbar sind.

Die Überraschung

Die Tribunale für das ehemalige jugoslawien und für Ruanda waren schon eine kleine Revolution gegen die Straffreiheit von KriegsverbreChern. Die cigentliche Revolution aber {and am 18.]u1i 1998 statt: Die Konferenz in Rom verabschiedete das Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof.


„Du Gerichtshof, derjetzt zu artichten 15!, wird ulncn elgcnen, unabhfinglgcn Straivcrfolger haben, dc: an keinen noch so machtlgen Stunt gcbundcn lst. Dlascr Gerlchtshof sol! den alias iibcrmgcnden Intenssen dc: Opfcr

dlcncn. “

Kofi Annan UN-Generalsekretér

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[Seite 18]„Der Wengerlchtshof k8nnt¢ uls Dad! flir bereft: existiennde und neu zu schaffende Fachgerichte fungleren, die In Internationalen F&Ilcn inncrhalb bestlmmur Fachgebide vermittcln and Rack! spn chen k6nncn. “

Aus einer Erklärung der Bahá’í International Community aus dem Jahr 1996

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UN—Generalsekretfir Kofi Annan erliiuterte die Errungenschaft gegenüber der Vergangenheit: „Bis heute wußten die Méchtigen, dieVerbreChen gegen die Menschlichkeit begingen, daß kein irdischer Gerichtshofsie verurteilen konnte, solange sie an der Macht waren. Und selbst wenn sie verurteilt wurden, könnten sie behaupten, dies sei nur möglich, weil andere noch miichtiger seien 315 516 selbst.„ So seien Urteile, die die Rechte der Hilfslosen und Schwachen schützen sollten, als „Siegerrecht„ gebrandmarkt und angefochten worden.

Annan weiter: „Solche Beschuldigungen, so ungerecht sie sind, können auch gegenüber Tribunalen gemacht werden, die — wie in Den Haag und Arusha — ad hoc geschaffen wurden, um Verbrechen in bestimmten Konflikten zu bchandeln. Die mögliche Schlußfolgerung: Die gleichen Verbrechen, begangen von anderen Personen an anderen Orten zu einem anderen Zeitpunkt, würden nicht geahndet.„

Dank hartcr Arbeit in Rom, so der UN—Generalsekretair, werde man nun endlich einen stiindigen Gerichtshof haben, um diejenigen zu belangen, die des Völkermords und vergleichbarerVerbrechen angeklagt seien, wo und wann auch immer diese begangen wurden.

Trotz schwierigerVerhandlungen und mancher Kompromisse, die die Rom—Konferenz eingehen 1nu13te,2iuBerte sich Arman zufrieden mit dem Ergebnis: „Der Gerichtshot: der jetzt zu errichten ist, wird seinen eigenen, unabhiingigen Strafverfolger haben, der an keinen noch so mächtigen Staat gebunden ist. Dieser Gerichtshof soll den alles überragenden Interessen der Opfer und der gesamten internationalen Gemeinschaft dienen. In dicsemjahr des 50. Geburtstags der Allgemeinen Erklii rung der Menschenrechte haben wir einen gewaltigen Schritt gecan zur VerwirkliChung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.„

Welche Fragen hatte Rom zu klfiren

Mit dem multilateralen Vertrag bzw. Statut flir den Internationalen Strafgerichtshofist ein wichtiger Schritt zu einer internationalen Rechtsordnung beschlossen worden, wie sie der Stifter der Bahá’iReligion, Bahá’u’lláh, für die Weltgesellschaft voraussah.

Markante Schritte aufdem bisherigen Weg dorthin waren folgende vélkerrechtliche Verv trzige: die Charta der Vereinten Nationen (1945), die Allgemeine Erklarung der Menschenrechte (1948), die Europiiische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950), der Internationale Pakt über bijrgerliché und politische Rechte (1966), der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) und die Wiener Erklärung der Konferenz Für Menschenrechte (1993).

In Rom ging es nicht zuletzt darum, einen Strafgerichtshof„n1it scharfen Zlihnen„ zu errichten, Wie sie in der nationalen Stratjustiz fiblich sind. Denn, so die Überlegung, nur durch Strafe kann deutlich werden, daß Völkerrecht tatsächlich geltendes Recht ist, Das Ergebnis von Rom scheint beachtlich. Erreicht wurde die Grundlage fiir eine weitreichende Gerichtsbarkeit — Vorausgesetzt, genügend Staaten treten dem Statut bei.

Ein wichtigcr Grundsatz im Statut ist der der Subsidiaritiit: Der kiinftige Gerichtshof kann nur dann aktiv werden, wenn die nationale Strafgerichtsbarkeit nicht Oder nur ungenügend aktiv geworden ist.Verst68€ gegen das humanitzire Völkerrecht Oder die

Menschenrechte sind 0ft auch Verstéfié gegen nationalcs Recht. Der Internationale Strafgerichtshof 5011 sicherstellen, daß die Burger nicht der Willkijr ihrer Staatslenker überlassen bleiben.

Bisher haben Nationalstaaten jede Einmischung in ihre inneren Konflikte verweigert — das ist aus ethischer Perspektive unbefriedigend. Auch die Zusténdigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes wird auf solche Straftaten beschränkt bleiben, die auf dem Gebiet eines Vertragsstaates Oder von Staatsangehbrigen eines solchen begangen werden. Gewählte Staatsvertreter aus Mitgliedstaaten und ihre Aktionen sind also singeschlossen, nicht aber VerbreChen in Nichtvertragsstaaten. Hier besteht eine Chance fijr Nationen, deren nationals Strafjustiz noch nicht stark entwickelt ist. Durch ihren Beitritt können sie sich selbst vor kfinftigen Tyrannen Oder Führern schiitzen, die, zum Beispiel unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht ethnischer Gruppen, Burgerkriege anzetteln.

Staaten und deren Vertreter fijrchten Souverzinitiitsverluste, weil sie aus nationaler Perspektive andere — politische, wirtschaftliche Oder strategische — Schwerpunkte setzen 315 die Vertreter übernationaler Institutionen und Organisationen, denen das Wohl der ganzen Menschheit aufgegeben ist und nicht nur das cinzelner Völker.

chte, da die Welt kleiner geworden ist, wird nationals Souverdnitiit haiufiger in Frage gestellt. Die B'Lirger der meisten Lénder sind durch die Median über die Ereignisse in anderen Staaten informiert. Sie sind wenigcr geneigt als früher, über Verbrechen hinwegzusehen, nur weil sie ein paar Kilometer hinter der eigenen Grenze passieren.

Da aber unter jenen, die eine Machtposition im Staate

[Seite 19]innehaben, sich auch Menschen mit krimineller Energic befinden, stellte sich für die Konferenz von Rom die Frag6, wie nationale Souveriinitiit zu umgchen sci, obwohl auf ihr das gesamte Gcfiige internationaler Ordnung aufgebaut ist. Das gcwählte Irinzip, einzelne Personen zur Rechenschaft zu ziehen, ist dazu geeignet. Es karm die Souverinitét V011 Staaten durchbreChen, hinter der sich Titer in derVergangenheit versteckten.

Eine andere Schwierigkeit ist die Finanzierung des Internationalen Strafgerichtshofes. Allgemein ist die Finanzierung der Vereinten Nationen Lmd ihrer Unterorganisationcn 56hr anfzillig. Neben der Ratifizierung des Statuts durch die nationalen Parlamente geht es jetzt darum, auch die finanziEllen Ressourcen des ncuen Organs zu sichcrn. Dzlzu könnte gchören, das Budget dem SpcndenfluB v01] Einzclpersonen zu {Sffncu

Die Aufgubc von Erziehungswissenschuftlcrn und —administratorcn ist es deshalb weltweit, vorhandcnes Wissen besscr umsctzbar zu machen, um nachhaltige Veränderungen auch in bezug auf emotionale Bindungen zur nationalcn Souveriinitiit zu ermöglichen. Für einen dauerhaften Frieden lohnt sich jede Investition, weil sie sich — buchhalterisch ausgedrückt — über Jahrhunderte amortisieren

kann. El Stephan Pemau

nWIR BRAUCHEN EINE INTERNATIONALE EXEKUTIVEu

Thomas Mailer setzt sich seit seinem 16. Lebensjahrfur die Achtung der Menschenrechte ein - auch weil er Bahá’í ist. Er ist ehrenamtlicher Mitarbeiter der Internationalen Gesellschafifdr M enschenrechte und einer der beiden Leiter des Duisburger ZArbeitskreis Menschenrechte„.

ONE COUNTRY: Vor der Konferenz V01) Rom sagtcn Sic: Nie war die Gclcgcnheit so g Linstig. Sieht der Menschenrechtsaktivist Muller einen Jugendtraum in Erfijllung gchen?

THOMAS MULLER: In der Tat habe ich großc Hoffnungen, daß der stiindigc Internationale Straflgerichtshof nach der Kontcrcnz 1998 nicht mehr wcgzudcnkcn scin wird. Dikmtorcn und Tyranncn werdcn cs nun schwercr haben, und das wird hclfen, weltweit Fricden zu bewahrcn.

ONE COUNTRY: Was k611ncn Interessierte tun, um den lrozeB der Ratiflzierung durch die nationalen Regierungen zu untersttitzen?

THOMAS M ULLER.‘ Wichtig

blcibt 65, national wic international Bewußtsein für die fiicdmmtifimuic Wirkung von Recht und Gcrcchtigkeit zu wcckcn. Der Fricdcnsnobelprcistrliger Martin Luther King bcmerktc cinmal Sthl" treftend, dalfi die Unfrciheit am anderen Ende der Welt letztlich die eigenc Frciheit beéintrdchtigen wird

ONE COUNTRY: Die mcnschenrcchtlichen Mindcststandards sind 1993 in Wien vcrhandelt worden. Sind dumit allc wichtigen Menschenrcchtsfiagen gekl'ért?

THOMAS M ULLER: Allen internationalcn Übereinkommen mangelt 65 an rechtlichcr Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit. Solange es kcinc internationale Exekutive gibt. die Recht und Gerechtigkeit zur Geltung verhilft, bleibcn leider Vicle Abkommen reins Papiertiger.

ONE COUNTRY: Die meisten Mcnschen interessicrcn sich fast ausschliclilich für ihrc eigenen Allgelcgenheitcn.Wic kamen Sic dazu, sich mit internationnlcn Mcnschenrechtsfragen zu beschiiftigcn?

THOMAS M ULLER: Noch wdhrend meincr Gymnasialzeit griindetc mcin Rtligionslchrcr eine Mcnschenrechtsgruppc an der Schule — ich war

zu jener Zeit engagiert katholisch. Bei unserer Arbcit stand stets das Schicksal des Einzelnen im Vordergrund.


INTERVIEW


Dadurch handc‘l t6 es sich nicht um blanks Theorie,sonder11 um konkrcte mcnschlichc Schicksalc. Engagement fijr Menschen ist sehr befriedigend. Es erfolgt aus dcm Bcwulitscin, daß derjenige, der in Freiheit und Wolllstand lebt, verpflichtet ist, sich für die Vcrbcsscrung der Verhliltniese verfolgter Oder anderwcitig bccintnichtigtcr Mcnschen cinzusctzcn.

Man xpiirt da bci bcwulit,

wic gut cs cincm selbst geht, so c1315 man seine eigene Situation erst richtig schätzen lcrnt. Und dies hat sicher auch positive Auswirkungen auf das persönliche Umfeld,561 es Familic, Arbeit Oder Freizeit. El




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[Seite 20]Durch die Unterstatzung von Internationa/en Frauenorganisationen könnten 15junge Madchen im Alter von 13 bis 18 Jahren nach New York kommen, um dort vor der "Commission on the Status of Women „ über ihr Schicksal zu berichten. Ihre Berichte erschatterten die Zuhörer.


.. AUSGELIEWFERT MADCHEN KLAGEN AN

NEW YORK


"Die Erkenntnls über Rechte und Bediirfnlsse van Mfidchen M van fundamentaler Bedeutung Für die Durchsetzung dc: Menschenrechte van Frauen, um Gewalt van Ihnen abzuwcnden und 5!: bcsscr zu schiit zen. “

Sree Gururaja Beraterin für Entwicklung bei UNICEF

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Zur diesjahrigen „UN Commission on the Status of Women„ (CSW) im Frahjahr waren 15 Mddchen aus verschiedenen Teilen der Welt eingeladen warden, damit sie Liber ihre Lebenssituation berichteten. Ihre Erfahrungen zeigten auf eindringliche Weise die menschlichen Schicksa/e hinter sonst nachternen Berichten und Statistiken.

EREINTE NATIOS } NEN — Die 17jiihrige Kemmeh Dambu—Dun jo aus Gambia erzdhlte den Vertretern der Regierungv und Nichtregierungs—Organisationcn unterTrfinen, aber mit {ester Stimmc die Geschichtc ihrcr 14jiihrigen Cousine, die. wie so viele Miitter im Teenageraltcr, als Folge von Gcburtskomplikationen im

Wochenbctt gcstorbcn wan


Weibliche Teenager berichten vor der UNO von Mlflbrauch, Mcinnergewalt und Ignoranz

Der Vatcr dcs Kindes — selbst ein Teenager — hatte 56in Versprechen, sie zu heiraten, nicht eingehalten. Der Siiugling starb cbenfillls.

„Wiirc dns Kind am Lebcn geblicme hiittt ich es bei mir aufgenommcn wie mein eige1165“, so Kemmch DambaDanjo, dic sclbst noch zur Schulc geht und gleichzeitig arbeitet. Sic zicht bereits das Kind ihrer Schwcster auf auch sie war bci der Geburt gestorben,;115 Folge von Komplikationen wegen der Beschneidung. Die in Vielen Teilen Afrikas pmktizicrte Tradition der Beschncidung wird von den Vereinten Nationen 315 „Female Genital Mutilation“ bezeichnet, alchrstiimmelung der wciblichen Genitalien.

„Wie lange noch 111iisscn junge Frauen i111W0chenbett sterben?“, fragtc BambaI);mj0 beim Runden Tisch zum Thema „Miidchen klagcn an“. Und: „Ich appellierc :m JHC jungen Miidchen \Vachsum zu sein, um nicht in eine solche Lage zu gemten.“

Menschenrechte konkret: zum Belspiel das Schicksal vieler junger Mfidchen

Nach einem Zeitplan, den Aktionsplattfbrm“ wlihrend der Vier die „1’ekinger

ten Wclt—Frauenkonfcrenz 1905 aufgestellt hatte befaßtc sich die Kommission mit den Themcn „Menschenrechte für Frauen„, „Frauen und bcwafil 11ete Konflikte“, „Gewalt gcgen Frauen“ und ,Junge MiidChen“.

Man war sich einig, daß diese vier Themen flieBend ineinander übergehen und daß die lroblematik ,Junge MiidChen“ der Beginn eines Themenkatalogs ist, der Frauen betritTt.

Srec Gururaja, Beraterin fiir Entwicklung bci UNICEF, faßte dies so zusammen: „Die Erkenntnis über Rechte und Bediirfnisse von Médchen ist von fimdamentaler Bedeutung f Lir die Durchsetzung der Menschenrechte V(m Frauen, um Gewalt von ihnen abzuwenden und sie bei bewaffneten Konflikten besscr zu schiit [Seite 21]zen, All dicsc Thcmcn hiingen cng nutcinander zusammen.„

In dem Bericht „Cleaning 3 Path for Girls“ („einen Weg fiir Miidchen cbnen„) zeigtcn 248 Nichtregierungs—Organisationcn aus 87 Staaten diejeweils unterschiedliche Lagc von Miidchen in ihrcn Landern auf. Die am hiiufigsten genannten Problems bctrafen Gesundheit und Erniihrung, wirtschaftlichc Ausbeutung, rückstlindige traditioncllc Ansichtcn und Praktiken wie die Beschneidung, Kinderehen, Schwangerschaft im Teenageralter und die gcnerell verbreitete Diskriminierung der Frau, die das hartniickigste aller Probleme ist, mit dencn Madchen und Frauen konfrontiert werden.

Laut dem Bericht ist seit 1990 die Zahl der weiblichen Grundschfiler zwar betréichtlich gestiegen, so daß die Lage der Miidchen in dieser Hinsicht weltweit; eine merkliche Bcsscrung crtflahren hat. In weiterfijhrenden Schulen jedoch bleibe die Zahl der Madchen sehr hoch, die wegen frühcr Hcirat, Schwangcrschaft Oder Arbeit vorzeitig die Schule verlassen mußten.

Gewalt gegen Frauen - ein rechtsfreier Raum

Am bcdenklichsten ist, so der Bericht, daß in der Frage dc's Schutzes vor Gewal bisher keine Fortschritte erzielt worden sind. Gcwalt gcgen Frauen werde 0ft aus Tradition hingenommen und nicht als kriminellc Hundlung ungesehen.

Frauen wiirdcn mach wie vor sexuell 111iBbraucht,wobei die Tabuisierung Oftm Jls verhinders, daß die Tat überhaupt bekannt werde. Die SachverStiindige für ,Junge Mlidchen“ Teresita Silva V011 der philippinischen NGO „Hotfnung für Kinder", fiihrte aus, daß sexuellcr Mißbrauch in ihrer Heimat weit verbreitet sci, die Opfcr es jcdoch nicht wagten, offen darüber zu spre chen „Sexuelle Ausbeutung ereignet sich meist in der Familie — durch Vziter, Stiefvliter und "ziltere Brijder. Sugar Polizisten, Lehrer und Priester sind damn beteiligt.“

Bildungsweg als Weg aus der Abhängigkeit

Alle am Projekt mitwirkenden Organisationen waren sich einig, daß die Probleme nur zu bewéltigen seien, wenn Frauen eine gute Ausbildung erhielten, um die nötige Sclbstachtung zu cntwickeln. Nur dann kiimen sie in die Lage, ihre Rechte zu erkennen, sie durchzusetzcn und das eigene Weiterkommtn selbst in die Hand zu nchmcn.

Auch in cincr Erklärung der lntcmationnlcn Buhé'iGemeindc an die Kommission wird aufdic wcitrcichende Bedeutung von Erziehung und Ausbildung f Lir Miidchen hingewiesen. Den Eltcm wird darin empfohlen, daß sie — falls sie aus finanziellcn (?riinden nicht allen Kindcm cinc gutc Bildung bieten können — ihren Töchtern denVorrang Cinreiumen sollten.

Wie ein roter Fadcn zogcn sich diese Thcmcn durch die Berichte der 13— bis 18jhhrigen Mfidchen aus Armenian, Brasilien, Chile, Gambia, Nepal, Singapur, Grofibritannien und den USA, die beim Runden Tisch zusammengckommen waren. Ihre früheren Erfahrungen mit Minderwertigkeitsgefijhl und TeenagerSchwangerschaft machten deutlich, daß sie selbst von Ausbildung und wachsender Selbstachtung profitiert hatten. „Miidchen müssen die Schule besuchen, denn sie sind die Erzieherinnen der kfinftigen Familien“. so die 18jiihrige Milcna Dalmaschio Silva aus Brasilien, die mit Unterstiitlung der Internationalen Bahá’í—Gemeindc an der Konferenz teilnahm.

Eine anderc Teilnehmerin, die 14jiihrigc Adeline Koay aus

Singapur, betonte: „Eine gute Erzichung für Mfidchen bedcutct im Endcffckt eine gute Erzichung für die Kinder der Zukmet“. Sic gab zu bedcnken, dnli manche Eltern ihre Tijchtcr aus Angst vor sexueller Bellistigung Oder Übergriffen nicht zur Schule gehcn ließcn. Schrlinkc mzm jedoch die Ausbildung V01) Miidchen cin, aus welchen Gründen auch immer, so fiihre dies zu eincm Mange] an Selbstwertgcfiihl der Betroffenen.

Weltfrauenkonferen: von Beijing stirkte Frauenorganisationen in aller Welt

Alle5 in allem wurden die Berichte zur Lage der Frauen seit der Konferenz in Peking als ermutigend aufgenommen. Laut Bericht der Women’s Environment and

einem

Development Organization (WEDO) haben bereits 70 Prozcnt von 187 Regierungen nationals Plane entwickelt, um den Bedürfnissen der Frauen bcsscr gerecht zu werden.

Zu dieser Entwicklung haben die NGOS wesentlich beigetragen. Sic nahmen Einfluß auf die Gesetzgebung ihrer


Länder, etwa auf den Gcbieten Gewalt zu Hausa, Frauenund Kinderhandel, gcsundc Fortpflanzung, Beteiligung an politischen und sozialen Prozessen Wit auch bei Fragen des

Eigentumsrechts. El Vcronim Slzqflita/l




„M¢ldchen müssen die Schule besuthen, denn sie sind die Erzieherlnnen der kfinfllgen

Familien. “

Milena Dalmaschio Silva 18 Jahre, Brasilien

Sonia Ong und Adeline

Koay aus Singapur, beide

Bahá’í, bereiten ihren

Bericht vor, den sie am

4. Mdrz am Runden Tisch

der UN-Kommission far ‘ den Status der Frauen

abgaben.









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Schüler und Lehrer unter den Palmenbciumen des Schulgeloindes der Anis Zundzi—Schule.

SICH Aus DER INNEREN

„Die Mentalitfit, alles mil slth geschehen zu lassen und oul chef zu sagen, in neck immer verbteltet und vlelen Menschen fall! as schwer, selber Entscheidungen zu

treffen.“ Schüler der Anis-Zunflzi-Schule

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SKLAVEREI

BEFREIEN LERNEN DieAnis-Zunuzi Schule au Haiti vermittelt

1

HAITI



„Wenn man gelemt hat zusammenzuarbeiten, dann ist al/es möglich„. Diese Philosophie teilen alle, die an der Anis-Zunazi-Schule arbeiten. „Und ohne gegenseitiges Vertrauen sind Entwick/ungsprojekte zum Scheitem verurteiltjfdhrt einer der Lehrerfort.

eit den frühen Tagen der S Schule standen diese

zwei Tugenden im Mittelpunkt: die Entwicklung von Methoden der Zusammenarbeit und der gewaltfreien Konfliktlésung sowie die Férderung moralischer Tugenden

Wie Vertrauenswürdigkeit und Dienstbarkeit.

Die ersten Jahre

Die Anis—Zunfizi—Schule

wurde 1980 mjt einer auslzin zuerst

dischen Spende von 250.000 US—Dollar gegründet, darunter eine größere Summe von der Agence canadienne de développement international (ACDI). Vorerst überwachte ein internationales Gremium unter der Leitung eines deutschen Bahá’í—Ehepaares die Aktivitfiten. Nach und nach entwickelte sich die Schule zu einer Institution, die auf die Unterstfitzung der einheimischen Bevölkerung zéihlen konnte. Heute beaufsichtigt ein lokales Gremium die Schule.

Zur Zeit besuchen rund 250 Kinder und jugendliche die Schule mit ihrem Kindergarten, der Primar— und der Sekundarstufe. Daneben werden technische Programme angeboten, zum Beispiel Maschinenschreibkurse sowie Klassen für Erwachsene. Eine Computer—Klasse steht aufder Wunschliste. Ziel der Schule ist es, in einigen Jahren das Abi elbstvertrauen

tur anbieten zu können.

Die Schüler stammen vor allem aus landlichen Gegenden rund um die Hauptstadt Port au Prince. Zu Beginn kamen Spender für das Schulgeldje eines Kindes auf. Diese Praxis wurde jedoch aufgegeben, denn es zeigte sich, daß eine zu große Abheingigkeit zwischen Kind und Spender die Folge war. Leicht modifiziert, gehen heute alle Gelder in einen Fonds, wobei mit jeweils 200 Dollar die Erziehung eines Kindes fijr ein Jahr gewzihrleistet ist. Regelméfiige Information über die Fortschritte der Schule schafft ein Vertrauensverhältnis zu den internationalen Spendern, darunter mehrere schweizerische Bahá’í—Gemeinden.

Die Einkiinfte, zusammengesetzt aus ausliindischen und lokalen Spenden, Schulgeldem und anderen Einnahmequel len, belaufen sich im Rechnungsjahr 1997/98 auf57.000

[Seite 23]US—l)ollar, die Ausgaben auf 54,()()().

Ein schwieriges land

Trotz zahlrcichcr Entwicklungsprojekte ziihlt Haiti noch immer zu den lirmsten Ländern der westlichen Hemisphlire. Nach wic vor konncn 47 Prozent aller Haitianer weder lescn noch schreiben. Die Arbeitslosenquote beträgt 55 Prozent. Die durchschnittlichc Lebenserwartung liegt bci 57 Jahren.

Die schwierige Situation heingt nach Einschatzung von Entwicklungsexperten mit der Geschichte des Landes zusammen. Zwar wurde die von afrikanischen Sklaven bevolkerte Insel nach der Revolution 1804 zum ersten unabhdngigen Territorium Siidamerikas. Doch die Folgen der Sklaverei mit ihrer Erniedrigung der Menschen und der ihr eige11611 absolutcn hierarchischen Autoritiit sind noch présent.

"l);1mals„. so sin Schüler, "mußtcn die Menschen Schrcckliches erleben. Man huckte ihnen die Arme ab Oder bccrdigte sie lebend. Die Mentalitiit, alles mit sich geschehen zu 12155611 und oui chef zu sagcn, ist noch immcr verbreitct, und viclcn Menschen fzillt cs schwcr, sclbcr Entscheidungen zu trcffcn.„

Persönliche Beliehungen

Ublicherweise bestehen in den Schulen auf Haiti keine engeren Beziehungen zwischen Lehrer und SChfilCl. Trotz Verbotes wird auch immer noch das Schlagen als Erziehungsmethode eingesetzt.

In der Zunfizi—Schule gehen die Bemühungen dahin, cnge und liebevolle Beziehungen zwischen Lehrer und Schiilcr aufzubauen, basierend auf gegenseitigem Respekt. Ceschlagen wird nicht. Den Schiilcrn ist bcwuBt, daß sie als gleichwcrtigc Menschen angcnommcn sind — mit Rechtcn, abcr auch mit Pflichten.

Ein weiterer charakteristischer Aspekt ist, daß das Lesen zlllfangs auf kreolisch gclchrt wird. Erst spiitcr folgt das Studium der franzosischen Sprache. „Die Sclliilcr müssen zuniichst verstehen, wcr sie cigentlich sind„, so cin Lchrcr.

Der Lchrstoff bcrücksichtigt das schwcrc gcschichtlichc Erbe und unterstijtzt die B'Lirger darin, es zu Liberwindcn und als gleichwertigc Partner miteinander zu arbeiten.

Die Vermittlung gcistigcr Wcrte und moralischerTugcm den — als Grundlage materieller Entwicklung — stcht dabci im Mittelpunkt. Fcrner wird besonders die Erzichung der

Miidchen gefordert. Wichtig sind gegcnscitigc Toleranz und das lrinzip der Beratung, bei der cs durum gcht, zu Entschcidungcn zu k01nmen,dic V011 allen getragen warden. Disses Beratungsprinzip wird auf allen Ebencn angcwandt und fijhrt dazu, daIS dic Schüler lernen, selbstvemntwortlich zu handcln und Konfliktc gewaltfrei auszutragcn.

Ehemalige Schüler gründen Entwicklungsprojekte

Von Anfang an war klar, daß die Zunfizi—Schule ncbcn der Wissensvermittlung auch auf anderen Gebieten aktiv zum Aufbau des Landes beitragen solltc. So cntstand eine Baumschule, die Aufforstungsprojekte zusammen mit der lokalen Bevolkerung betreibt. Drei weitere Baumprojckte sowic Vier weitere, über das Land verteiltc Schulen kamen hinzu,Auch in diesel] Projekten wird nach den gleichen Methoden der Entscheidungsfindung gearbeitet.

Hinzu kommen Cine ganze Reihe kleiner Entwicklungsprogramme in der Landwirtschaft, großtenteils ins Lebcn gcrufcn von ehcmaligen Schfilcrn, die das Gclcrnte in die lrzlxis umsetzen und so für sich und ihrc Familien eine chensbasis gcschafiln haberL


Francine Beraud und Tocher Alexandra beim Interview


„ENTWICKLUNGSARBEIT BEDEUTET, HOFFNUNG Gamma INTE RVI EW

ONE COUNTRY: Weshalb gingen Sic als Schweizcr Lehrerin nach Haiti?

FRANCINE.‘ [ch war schon als Kind von der Vielfalt der menschlichen Familic fasziniert, besonders von Afrika. wo ich leben wolltcjahrc spliter ich war bereits als Lehrerin tétig — sah ich den Diavortrag einer belgischen Bahá’í über die Anis—Zunfizi—Schule auF Haiti. Das Projekt intercssicr tc mich, und meine Schüler und ich bcgannen einen Briefaustausch mit einer Klasse dicscr Schule. Der Erfolg war durchschlagend, so daß ich mich cntschloß, in den Sommerferien die Schule zu besuchen.

ONE COUNTRY: Wie war lhr erster Eindruck?

FRANCINE: Ich war beeindruckt vom großartigen Einsatz des damaligcn Dircktoren des ganzen Teams, dic- in diesem doch schwicrigen Land ein solches Projekt i1] Angrif? genommen hatten. So entschloß ich mich kurzfristig, ein jahr lang beim Aufbau der Schule mitzuhelfenAus diescm jahr sind dann mehrere geworden.

ONE COUNTRY: Wic ka men Sie mit der fremden Mentalitzit zurecht?



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Francine Breaud lemte ihren Mann Alix bei ei nem Entwick/ungsprojekt in Haiti kennen. Zur Zeit leben beide in der

Sch weiz

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FRANCINE.‘ Am Anfang war 65 nicht immer leicht. Die Kinder kamen praktisch alle aus schwierigen fallliliirenVerhältnisscn. Armut, Brutalitiit, Gewalt — das alles brachten sie mit in die Schulc. Der Schliissel zu ihren Herzcn und zu ihrer Entwicklung lag in liebevoller und vcrstiindnisvoller Hinwendung. Langsam gewannen sie Hoffiulng, entwickcltcn eigeneVisioncn für ihre Zukunft und steckten einander mit diesem neucn Lebensgefiih] an. Dieser lrozeB hin zu eincr neuen H0ffi1ung ist für mich Entwicklungsarbeit.

ONE COUNTRY: Sic haben auch Alix, Ihrcn M21111], dort kennengelcmt?

FRANCINE.‘ Alix arbcitcte in einem 1amdwirtschaftlichen Projekt der Schule. Zuniichst waren wir einfach gute Freunde mit beiderseitigenVorurtcilen: Ich dachte, alle Haitiantr seien ihren Frauen untreu, und er glaubte, £1116 weißen Frauen profitieren von ihren Mimnern, um sie dann zu verlassen und wie ich auf Reiscn zu gehen. Nun, diese Vorurteilc haben wir inzwischen überwundcn, und zusammen mit unsererTochter Alexandra sind wir eine glückliche Familic.

ONE COUNTRY: [st 65 leicht, cine interkulturelle Beziehung ZU fijhren?

FRANCINE: Alix ist für mich das Bcispicl eines positiven Menschen, der stets versucht, das Gute im anderen zu sehen. Beijcdem Menschen finder er cine gutc Seite und versucht, sie zu fZSrdern. Zudem strahlt er eine großc Ruhc und Zuvcrsicht nus.

ONE COU NTRY: jctzt lcben Sie in der Schweiz.Warum?

FRANCINE.‘ Die politischc Situation in Haiti wurdc immer schwieriger. Es hcrrschte totalc Anarchic, wir waren unscres Lebens nicht mehr sichcr.Terrorbandcn tdtcten flir cine Konscrvenbiichsc. Die Angst, vor allem um unscre Tochtcr, wurdc so Libcrmiich tig, daß ich Alix mit vicl Über redungskunst dazu brachte, Haiti zu verlassen und in die Schweiz überzusicdeln. Doch wir gehen regelmliBig für einige Wochen zurück.

Und heute ist es unsere Tochter, die den Briefkontakt mit einer Klasse an der Zunfizi—Schule pflegt. Die Schüler arbeiten am Thema „D215 Leben eines Kindes in der Schweiz„ beziehungswei56 „Die Schüler der AnisZunfizi—Schule„. Die Einstellung Von Alexandra heißt: „Wir alle sind die Blumen des gleichen Gartens."

ONE COUNTRY: Alix, wie kamcn $16 in die ZunfiziSchule?

ALIX.’ Ich lebte in einem Dorfin der Nähe und hörte, daß d2! eine Schule entstand und daß dort Englisch unterrichtct wurde. DaS interessiertc mich, Lmd ich wurde der crstc Schijler. Das war 1979 Oder 1980, 2113 die Schule eröffnet wurde — iibrigens ein großcs Ereignis, sogar der damaligc Chefde I’Etat war anwcscnd.

ONE COUNTRY: \X/ic ging es weitcr?

ALIX.’ Ich arbcitetc zuniichst 2115 Frciwilliger, bcglcitete einen blinden Bahá’í, der 315 Projektleiter tlitig war.Von ihm habc ich Vic] gclcrnt. Zuerst untersuchten wir dic Situation der umgebcnden D&Srfer. Wie viele Kinder gchen nicht Zur Schule? Wie stcht es um die Gesundheit? Was sind die Problems, vor allcm jene der Frauen?

Vor diesem Hintcrgrund bildeten wir Basisgruppcn. Und hier begannen die erstcn Probleme, denn niemand traute jemandem. Es ging also erst einmal darum, gegenseitiges Vertraucn aufzubauen. D215 Bahá’í—BeratungssystCm, das ich inzwischen kennengelemt hatte, kam hier zum Tragen. Jeden Monat boten wir Seminarc zur Konfliktlésung an, und schon bald könnten vertraucnswürdige Leiter für die verschiedenen Projekte singe setzt werden. Die Schule wurde zu einem Zentrum der Entwicklung, die Menschen kamen in Scharen zu uns, lemtcn zusammenzuarbeiten und vor allcm, ihr Leben in die eigcnen Hinde zu nehmen. ONE COUNTRY: Waren Sie auch 2m anderen Programmen

bctciligt? ALIX: Die Schule unterst Litzt bcrcits scit 1985

AufForstungsprogrammc, und zwar in Zusammcnarbeit mit der Pan—Amcrikanischen Stiftung für Entwicklung (PFAD). Die Abholzung in Haiti ist massiv. Schiitzungcn sprcchen v01) 50 bis 60 Millioncn Biiumen, diejedes Jahr gefl'illt werden. Dem stehen kmpp sicbcn Millionen Ncupflanzungen gegenüber. Jahrelangc Appellc der Regierung konntcn die Abholzung nicht stoppcn.

Heute crkenncn immcr mehr Baucrn die vitulc Bcdcutung des Waldes. Sic bepflanzen — etwa mit Hilfc der Zunfizi—Baumschulen, dic jzihrlich 120.000 Bdume setzen — ihr Land. Dieses gtwinnt dadurch an Wert. Darüber hinaus sorgt die Bepflanzung für Regen.Wie 6111 Bauer mir sagte: „Wenn du gute Bäume hast, kannst du sicher sein, daß der Regen kommt, denn die Bäume ziehcn den Regen an. Heute ist mir klar, daß ich kein Recht babe, Béume zu roden, die mir nicht gehören. Ich emtcja auch keinen M2113, der mir nicht gchört."

ONE COUNTRY: Wie 5011 es in Haiti weitergehen?

ALIX.’ Ich bin überzeugt von der ldce dieser kleinen Basisprojcktc. Hier lernen die Menschen, gemcinsam ein sozialcs oder wirtschaftliches lrojekt auf die Beine zu stellen, wobci die geistige Natur des Mcnschen wic auch die Umwclt berücksichtigt werden, Zudcm bin ich Libcrzeugt, daß Erzichung der bests G21rant ist Für Fortschritt und Wohlergehen allcr Menschen, Die Zunflzi—Schule ist eine Kombination aus bcidcm,

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DAs

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I-INSTIT



UT

NEW ERA DEVELOPMENT INSTITUTE

EINE NEUER ZUGANG

ZUR BERUFLICHEN BILDUNG

Die Fcihigkeit, selbstcindig sich weiterzuentwickeln

Lernziel:

Das NEDI-lnstitut in Indien will seinen Studenten zwei Fcihigkeiten mit aufihren Lebensweg geben: erstens, daj3 sie ihr Leben selbstcindig in die Hand nehmen können, und zweitens, dajS sie eine Vision gewinnen, wie sie zur gemeinschaftlichen Fortentwicklung der Dorfgemeinschaft beitragen können. "Unser wichtigstes Produkt ist die Verwandlung des Menschen. "

ATARA, Maharashtra, Slndien — In Indiens aufblühender Wirtschaft

floriert das Baugewerbe und damit auch der Bedarf an

Handwerkern. A15 besonders lohnenswert erwies sich das Wissen, wie man elektrische

Leitungen verlegt. Rahul Mahamudi, 16, und

sein Freund Shivaji Shinde, 20, gehören zu den Absolventen eines anderthalbmonatigen Elektrikerkurses am Bahá’í—Zentrum. Abcr 2113

Chen: Rahul Mahamudi und Shivaji Shinde bei einem Handwerkskurs

INDIEN


die wichtigsten Lernerfahrungen zzihlen für sic — neben der beruflichen Qualiflkation — ein größeres Selbstvertrauen und ein neu erworbenes Verlangen, der Gcmeinschaft zu dienen

Der Kurs weicht V011 vcrgleichbaren Programmcn ab, \veil er auch dic pcrsdnlichc Entwicklung schult. Der Unterricht in „pcrsonal develop ment“ hilft dcn Studentcn, ihre


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Auf einem Ge/dnde von 28 Morgen in der Bergstadt Panschganifeierte das New Era Development Institute (NED!) im Oktober 1997 sein zehnjdhriges Bestehen. Auf diesem Ge/cinde stehen zur Zeit neun Gebciude, auf dem Bi/d hier ist das Verwa/tungsgebdude zu sehen.

„Der Unterricht in personal development hat uns zu der Erkenntnis angeregt, do]! wir das, was wir tun, [fir uns selbst und Für die Gemein schaft tun.“ Shivaji Shinde,

20 Jahre, Absolvent des NEDl-lnstituts

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soziulcn Flihigkeiten und ihr Selbstbild zu verbesscrn. Der Unterricht bcinhaltct auch Elements geistigcr und mora1151‘11c1' Erzichung, die den StuC1c‘11tc‘11 61116 ntllt Vision V01] sich und der Gesellschaft geben $011011.

Nicht einfach nur Geld verdienen

„G1‘undsiitz1ic11 vcr111ittc111 3116 Kurse 1111‘ Elektrikcr dasse1be technische Wissen,“ sagt Rahul M111121111udi. Er crkliirt ferner, daß die Studcntcn am Bahá’í—chtrum jcdoch gclehrt wiirdc‘11,111re Fiihigkeitcn weiterzugcbcn und 211 nutzcn, u111 anderen. wo 111111101 111(3glich, zu helfen — auch 011110 die Aussicht aut Profit. „Wc‘1111 wir fertig 51nd, 11011611 wir, der Gcmeinschaft 211 011011611“, sagt Rahul Mahamudi, ,‘1111‘111 1111111111 Geld zu verdicncn.“

Shivaji Shindc: (161' 3115 ci11c111 etwa 6 Kilometer cntferntcn Bauerndorf k0111111t. fiigt11i112112„Der Unterricht in personal development hat uns zu der Erkenntnis angercgt, 112113 wir das, was wir tun, für 1111s sclbst lmd für die Gemeinschaft tun.“

Die Einstellung dieser beidcnjungcn Studenten, die kei 11e Bahá’í 51nd, spiegelt das neuc Denkcn 1111 Bcrcich der sozialen und (Skononfischen Entwicklung wider, wic 1111111 65 am New Era Development Institute (NEDI) cntwickch hat. NEDI ist 6111 von den Bahá’í aLIfngautes Forschungsund Unterrichtszcmrmn. das 111 Panchgnni. cincr 1x16111611 Bergstadt. liegt.

Neuer Ansatz für lindliche Entwicklung

Wfihrend der 1etzte11 26111] 1211116 hat das Institut 611161] 617 genen Ansatz zur 15111111111611 Entwicklung ausgearbeitet, der dis praktische Berufsausbildung 11111 einem spczicllen Lchrplzm geistiger und 1110m1isc11cr lrinzipien verbindet. Man ist benfiiht, dadurch ei11c11 Nachwuchs 311 fiihigen und einsatzfreudigen Men51‘11011 g1uszubilden, die 111 1111‘6 1)(„11‘ter zurückkehren und neben der eigenen Unterhaltssichcrung — dauerhafte Bemij111111gc‘11 zur (Srtlichen Entwicklung aufsich 11ehmen und 11116 Mitmcnschen zur aktiven Mitwirkung ermutigen.

„U11scr Ziel ist letztlich die geistig—soziale Verwandlung dcs 111dividuul11s". sagt Serif. Rushdy, der Dircktor V011

NEDI. „Wir 1116chte11 M61]schen eine 11eueV151011 geben und das Bediirfnis 111 Ihr Herz einpflanzen, V011 Nutzen 211 $6111. W11 1116cht611 1111161] 6111 gestiirktes Selbstvertraucn und 6111 Verstandnis C161 Beziehung zwischen Dienst und 1111‘6111 cigenen Wachstu111 vermittcln. Und wir 1116cht611. daß sie c111 Handwerk erlernen, 111it dem sie Ihr Einkommen verdienen k61111c‘11, sowie weitere Flihigkeiten, die für ihre Gemcinschaft hilfreich sein können.“

Von der Alphabetisierung bis zur Existenzgriindung

Der Erfolg dieses neuen Ansntzes beginnt 111111 Liberal] 111 111111611 dcutlich zu werden. 111119111 cs aufdas Netzwerk der zwei Millionen Mitglieder 21111161111011 Bahá’í—Gemeinde 111 lndicn aufbaut und eng da111it zus;1111111c11;1rbeitet, hat NED] weitreichende Projekte 111 den Staaten V011 Gujarat, Manipur, Sikkim und Madhya Pradesh sowic 1116!‘ 111 Maharashtra 111s chen gcrufen.

Bisher habcn 1116111 2115 600 Pcrsoncn :111 (161 Ausbildung am Hauptgcliinde dcs NED1111stituts 111 Panchgani teilgcIIOIIIIIICI] und mehrcre Tausend \Vcitcrc habcn 611165 561 [Seite 27]ncr dczcntmlcn Programme bcsucht.

NEDI und seine Programme vor Ort bictcn cin wcitcs Schulungsspcktrum zur liindlichen Entwicklung: vom Angcbot an Kursen zur Alphabetisierung Oder zur Grundhygiene his 211 Atlt}1)1‘stL111gsprojektcn und Naturschutzmafinahmtn, von ijcktcn zur Einkommenssichcrung und Gründung klcincr Eindhcher Betriebc bis zur F(Srderung der Frauen.

In diescr Hinsicht rcprlisentiert das New Era Development Institute gegcnwiirtig eines der weitreichendsten Entwicklungsbem Lihtn der Bahá’í in der Welt. Es ist Fcderfijhrend im Entwurfdesscn, wie man die Bahá’í—Prinzipien zur Entwicklung anwenden kann.

Tatsiichlich ist viellcicht die interessanteste Seite der Institutsarbeit das Entwickeln eines Unterrichtsplans, der recht erfiflgrcich eine Übereinstimmung des Praktischen mit dEm (?cistigcn erreicht. NEDIMiturbeitcr sehen in solch einer Übereinstimmung den Schliissel der dic Einzelnen duzu crmutigt, aktiv zu werdcn, um sich selbst und ihre Gemeinden zu entwickeln.

Berufsausbildung von der Textilherstellung bis zur Datenverarbeitung

()Ffiziell wurde NEDI VOI‘ ctwa H) jahren gegründet, scine Anfhnge rcichen aber zurück in die frühen 7061‘ Jahrc. Es entwicktlte sich aus der New Era High School. Mir der Zcit ist NEDI in erster Lillie als ein Zentrum für Berufsausbildung im kindlichen Bercich bekanntgeworden.

\X/as das Abgebot von qua]itntivcr Berufsausbildung 2mbctrift‘t, ist der Erfblg von NEDI beachtlich. D218 Institut bietct gcgcnwiirtig Ausbildungen in noun bcruflichen Bcrcichen an: Diesclmcchanik, Motorrudrcpamtur, Dntcnvep zlrbcitung, Tcxtilhcrstcllung, Reparatur von Kiihl— und Liittungssystemcn, Wartung von Radio und Fcrnschen. Ackerbau und Vichzucht und Ausbildung von Grund— und Vorschullchrcrn.

Eincr Untersuclumg zutbL g6, die das Institut untcr scinen Absolventen durchfiihrtc, arbeiten mehr als 70 lrozent in einem Bercich, für den sic ausgebildet wurdcn, eine relutiv hohe Rate in einem Entwicklungsland wie Indian.

Dds Imtitutsgcliinde V011 28 Morgen ist gckcnnzeichnct durch ncun Hauptgebliudc: zwci Blocks mit Klassenzimmern, vicr Wolmhcimc (zwei für Fraucn, zwci tiir Mlinncr), eine Wcrkstzltt, eine Wolmcinhcit für Angcstclltc und cin Vcrwnltungsgcbiiudc. Die gebiiudc Lmd zwci der \X/ohn bcidcn Unterrichtsheimc wurden 1997 {crtiggcstellt, dunk der Entwicklungs hilfe der Regierungcn von Kanada und Norwcgcn. Am Institut sind insgcsamt 85 Angestelltc, etwa 30 davon sind direkt 3111 Unterricht Lmd an der Vcrwaltung betciligt.

Zur Zeit sind ctwa 175 Studentcn am Institut cinge schrieben. Dis meistcn sind Anfimg 20, und sie kommen nus allen Teilcn Indians, einigc uus nnderen Linden]. (Gegcnwiirtig hat die Schule Auszubildcnde aus Bangladesh,Tansnnin Lmd dem Kongo.) Die Mchrhcit ist Bahá’í, aber mindcstcns 35 Prozent sind Hindus. Moslems Oder gehören cincr andercn Religion 2111.

Has Schulgcld ist niedrig. |)ic wirklichen Kosten des NEDI—Instituts für Ausbildung, Unterkunft undVerpflegung bclaufen sichjdhrlich auf

ctwa 1.300 Dollar pro Studen







40 % \

\\\


Wissenschaft/iche Untersuchungen ergaben, daji 30 % der Absolventen des NEDI-lnstituts Arbeit in ihrer Heimatregion gefunden haben, 4o % machten sich in ihrer Heimatregion se/bstdndig. Ein vergleichsweise geringerAnteil von 30 % verliejS nach derAusbildung die eigene Region.

Zu den Kursangboten am NEDl-lnstitut gehdrt auch eine einjcihrige Ausbi/dung in Computerwissenschaften. Wie bei al/en anderen Kursen beinhaltet dies auch eine Grundausbildung in Ethik, bei der die Studenten insbesondere lemen, wie sie an der Fortentwick/ung ihrer Gemeinde mitwirken können. Surita Kushwah aus Gwalior (Bildmitte) hilft Vyayananda Sharma aus Manipur bei einem Programmierungsprob/em.

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PANCHGANI, Maharaschtra, lndien - lm NEDl—lnstitut (New Era Development Institute) ist man bemijht, geistige Prinzipien auf Wirtschaftliche Entwicklung anzuwenden und ist dabei auf eine einfache, jedoch einleuchtende Ubung gestoBen, die fast uberall auf der Welt angewendet werden kann: In der ersten Woche am NEDIInstitut werden alle aufgefordert, ihre Dbrfer zu zeichnen.

Die meisten Studenten des Instituts kommen aus indischen Dbrfern und beabsichtigen, nach dem Abschluß in ihre Heimatgemeinden zurflckzukehren,




um dort die Entwicklung zu unterstUtzen.

Die Zeichnungen, die sie anfertigen,sind oft von kindhafterEinfachheit;sie zeigen Strichménnchen und sind kaum perspektivisch gezeichnet; auch éhneln sich die Motive, meist handelt es sich um eine Reihe von Hiltten neben einer nicht-asphaltierten Straße, umgeben von Abfall und unterernéhrten Kindern.






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Anschließend werden die Studenten aufgefordert, ihre Wunschdérfer zu zeichnen. Nun zeichnen die Studenten eine schbne gerade StrafSe, flankiert von Strommasten und einerReihe grofSerBauten; eine Schule, ein Krankenhaus, ein Verwaltungsgebéude. Es gibt nette Héuser mit Fernsehantennen, es gibt Busse,Autos, Traktoren auf den Feldern.

Menschen fehlen jedoch gewöhnlich in den Zeichnungen des"entwickelten Dorfes". Lehrer des NEDI-Instituts fragen jetzt gezielt danach und stellen es in Frage, daß diese vielen Bauten,der Komfort,der Strom und das Fernsehen die


Eine entwickelte Stadt mit gronen Gebauden

Menschen glUcinch machen.

Die Studenten beginnen nachzudenken, und es wird ihnen nach einem Gedankenaustausch bewußt,daf§sienur ihre EindrUcke von Bombay oder von einer Fernsehsendung über New York wiedergegeben haben. Die nächste Frage lautet: Sind die Menschen in Bombay oder New York glijcklich? WUrden sie selber in einem so gezeichneten Dorf glUcklich sein?

ten. Den Studenten werden uber nur 150 — 475 Dollar bercclmtt, wobci Frauen eine Er mZiBigung von 25 Prozent erhnltcn. Die Finanzicrung die? scr Subventionicrung und der


WAs IST WIRKLICHE ENTWICKLUNG?

Traktoren und Autos oder Kooperation und Einheit?

Nach einem weiteren Gedankenaustausch Iautet die Antwort meistens: Nein, die Menschen sind nicht glijcklich. Es gibt PrUgeleien und Verbrechen und die Menschen haben Angst, am Abend auf die Stra


Eine entwickeltes Dorfi in dem Menschen im Mittelpunkt stehen

Be zu gehen, sagen die Studenten. Andere sprechen von Umweltverschmutzung und Korruption. Sie kommen rasch zu dem Schluß, dafS zwar die Umgebungveréndert wurde,nicht

jedoch die Menschen und die

Gemeinde. Dann lenken die Lehrer das Gespréch auf das Thema: Was macht Menschen glUcklich und wie kann man e5 erreichen? Die Studenten beginnen dann unweigerlich über Aufrichtigkeit zu reden, Über Zusammenarbeit und Reinheit. Die Lehrer fassen dann zusammen, daß Menschen glijcklicher sein werden, wenn e5 keine Korruption gébe und wenn die Menschen sich gegenseitig helfen wurden. Nach einer weiteren Diskussion werden die Studenten am Ende gebeten, wieder ein “geistig entwickeltes„ Dorf zu zeichnen. Sie zeichnen dann eine neue Art von Dorfmit vielen Menschen, die zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstUtzen. Der Ort ist natUrIich sauberer und ordentlicher,

Arbcit des lnstituts überhaupt kommt hauptsiichlich Von der Bahá’í—Ccmcinde Indiens, von der lnternationalen Bahá’iGcmcindc und v01) langfristigen EntwicklungshiWen, die


und die Menschen sind glUcklich.

“Folglich ist bei einer Entwicklungsmaffinahme der erste Schritt, den Menschen zu helfen, sich als Menschen zu verstehen und ihr Verhal ten zu ändern,“ sagt Serif Rushdy. Direktor des NEDIInstituts. Er und andere Mitarbeiter sind Überzeugt, daß eine solche Anderung nur durch religiösen Glauben herbeigefijhrt werden kann.

"Entwicklung veréndert die Menschen und man kann die Menschen nicht ohne die Heiligen Schriften und deren Orientierung veréndern - seien es nun die Schriften von Buddha oder Krischna oder Muhammad oderJesus oder Bahá'u’lléh„, sagt Rushdy. “Die Quelle der Heiligen Schriften ist Gott und die Menschen werden bewegt, wenn sie zur Quelle der Orientierung zurückkehren."

“Andere Bewegungen haben auch durch religiöse Lehren Menschen bewegt ", sagt Rushdy, “der Bahá’í—Ansatz unterscheidet sich insofern nicht davon, nur beruhen die Lehren auf der Botschaft Bahá’u’lláhs und seinen Lösungen fUr die Probleme von heute.„

die Regierungen Kunadas und Norwegcns zugcsagt haben. Wis erwiihnt. unterstfitzt und koordinicrt das Institut auch regimmlc Ausbildungskurse als Tcil scincs AuBtn [Seite 29]progrzunms.Wic ScrifRushdy sagt, haben 1997 ctwa 1.300 Iersoncn an solchen Außenkursen, die zwci Wochen bis drci Monate dauern, teilgenommen.

Nebtn dem Angebot von Bcruffiuusbildung für Studentcn hat das Institut auch einige Entwicklungspmjekte im klcincrcn Rahmen in den l)6rfcm um Panchgani durchgefiihrt. Diese Projekte reichten von Hijhner— und Schweinczucht bis zu einem Alphabetisierungsprogramm und der Entwicklung eines BiogasEnergiesystems.

Ausarbeitung eines integrierten Entwicklungslehrplans

Wis Serif Rushdy erkliirt, haben die 6rtlichen Projcktc teilweise als Priifstein für die Ausarbeitung eines Entwicklungslehrplanes gcdicnt, die Ausarbeitung dicses Programms ist eine der bedeutendsten bisherigen Leistungen des Instituts.

„Was wir crrcicht habcn, ist die Entwicklung eincs ncuen Unterrichtssystcms, dzls eine ausgewogenc Entwicklung des Einzelnen bictet sowic seine F%ihigkeittn als EntwiCkler der Gcmeinschaft frcisetzt“, sagt Serif Rushdy,

,Jeder Studienkurs hat Vier Bereiche: cincn Bereich der Dienstleistung, einen geistigen, einen beruflichen und einen kulturellcn Bcreich. Auf diese Weiss ist unser Ziel, dafijeder Auszubildende, der uns verläßt, mit Fdhigkeiten der Dicnstleistung ausgestattet ist für Gesundheit, Hygiene, Alphabetisierung, Kindererziehung und iihnlich; mit einigcn geistigen Fiihigkeiten, so daß sie wissen, wnrum sie diese Dinge tun; mit cinigcn beruflichen Fähigkeiten, so (1218 sie Geld verdienen kblmen für ihren Lebensunterhalt; und einigen kulturellcn Flihigkeiten, d.h. Unterricht in Toleranz, Férderung derViclfalt und der Künste, $0

daß sie das Vcrtrautn gcwinncn die Mittcl dt‘l Kunst cinzusetzcn, um Entwicklungsbotschaftcn transporticrcn zu kimncn,“ sglgt Serif Rushdy.

Praktische Ethik

Dds Zentrum dieser Ausbildung ist das, was man auf dcm Campus den „KernLchrplan“ ne1mt.Egal,0bAuszubildendt zum NEDI—Institut kommen, um DieselVorschullehrer zu werden, sie alle

mcchaniker Oder lcrnen nach dem Kern—Lehrplan, nach dem jeden Tag in den ersten beiden Stunden unterrichtet wird und der sich auf Cine Erneuerung des Gemeinschaftslebens am Campus und die Anforderungen von Dienstleistungen außerhalb des Campus erstrcckt.

Das Herzstfick des KernLehrplans ist derVersuCh, Respekt für allgemeine geistigc Prinzipien Zu lehren und wie man sie auf heutige Thcmcn anwendet, sagtt Dr. Radhzl Rost, der Koordinator der Institutsausbildung.

„Wir lehren allgemeinc ethische Prinzipien, Prinzipien, die 211161) Wcltreligionen gcmeinsam sind — wir lehren nicht den Bahá’í—Glauben an sich“, sagt Dr Rost. „Gleichzeitig stammen jedoch die

meisten der Hauptelemente des Lehrplans aus den Bahá’iLehren.“

Derartige Elements des Lehrplzms beinhalten nicht nur solch fortschrittliche soziale Prinzipien wie die Gleichwcrtigkeit von Mann und Frau, die Einheit der Menschheit und die Notwendigkeit. die Extreme von Reichtum und Armut zu bescitigen, sondern auch tieflgrfindige Gespriiche über Themen, die sich mit der Seele, der gcistigen Wirklichkeit des Daseins und dem grundlegendcn Sinn dcs Lebens befilssen.

D218 tiefgriindigc Gesprfich über Religion und geistige Themen unterliegt einer Wichtigcn Those des Instituts: daß eine wirklich daucrhafte Entwicklung unmöglich ist ohne die Hilfe der Kraft des Glaubcns.

.,chn Entwicklungsorganisationen genug Gtld ausgeben, kcmnen sie jedes Irojekt ermöglichen“, sagt Herr Rushdy. „Wir glauben aber, €1le Nachhaltigkeit von innen kommt. Der Schlfissel fiir jenc Nachhaltigkeit, nach der nlle Entwicklungsorganisationen suchen, liegt in dem, was den Einzelnen dazu anspornt, für seine eigene Entwicklung wie fürjene der Gemeinschaft aktiv zu werden.“



Ein NEDI-Kurs in

Panschgani bildet die Jugend/ichen darin aus, wie sie Motorro/ler und andere Fahrzeuge reparieren können.

„ Wir glauben, dafl Nachhaltlgkelt van innen kommt. Der Schliisselfür Nachlmltigkelt llegt in dem, was den Einzelnen dazu anspornt, [fir seine eigenc Entwicklung wie für lenc der Gcmelnsclmfl aktlv zu

warden.“

Serif Rushdy, Direktor des NEDIlnstituts

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DAs NEDI- §

INSTITUT

Das New Era Development Institute (NED|) wurde 1987 gegründet. Von der Bahá'iGeminde lndiens unterstfltzt, hat es sich zum Ziel gesetzt, Studenten folgendes zu vermitteln: Die Féhigkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, Erkenntnisse zu gewinnen und diese widerum in Form einer neuen Vision vom Dienst an der Gemeinschaft weiterzutragen.

Das NED|—|nstitut liegt in Panchgani, im indischen Bundesstaat Maharashtra, und versteht sich in erster Linie als Ausbildungsstétte. Es bietet ein— oder zweijéhrige Kurse in neun Gebieten an, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft oder Ausbildungen zum Mechaniker oder Vorschullehrer.

Serif Rushdy, Direktor des NEDl-Instituts, in seinem Baro.

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Ergebnisse dieses neuen Ansatzes kommen bereits in Gebieten wie dem Dang Distrikt zum tragen.|m Zusamm e n s c h | u [3 und durch die enge gemeinsame Arbeit mit dem BasisNetzwerk der zwei Millionen Bahá’í-Gemeinde von Indien, hat das NEDl-lnstitut Projekte in entlegenen Gebieten des Dang-Distrikts im Staat Gujarat, aber auch in anderen Staaten wie Manipur, Sikkim, sowie Madhya Pradesh und Maharashtra ins Leben gerufen.

Bisher haben 6oo Personen eine Ausbildung am NED|


„Wir mcincn, daß dicser Ansporn auflnngc Sicht nicht von einem Sozialarbeitcr oder einem berufsmiiBigcn Entwicklungshelfcr kommen kann. Er cntstcht nus der persénlichchcrbindung zu Cort. Glaube ist der Schliisscl zu Dauerhaftigkeit und die Um







sctzung von Glauben in Tiitigkeit ist, was Entwicklung überhaupt ausmacht. So war es immcr. Überall in der Welt















UK,

in Panchgani durchlaufen und mindestens weitere Tausend haben an einem NEDl-Programm in einem entlegenen Gebiet teilgenommen.lnjeder Hinsicht ist das NED| mit seinen Programmen und Absolventen in breit angelegten entwicklungsorientierten Aktivitéiten involviert. Diese Aktivitéten reichen von der Einrich wurden Zivilisationcn aufdic Aktivitiitcn V(m Mcnschen auflgebaut, die eine neuc Vision hatter) und den Glzlubcn sic zu verwirklichen“, sagt Serif Rushdy. „Und dies ist, was wir unseren Studenten bier zu vermitteln hoffen, Denn wir mcinen, daß wir hier Cher damit beschiiftigt sind, eine neue Zivilisation zu errichten, als nur cine weitere Entwicklungsinstitution zu sein.“

Ist der Erfolg ethischer Maximen meflbar?

Weml es auch schwierig ist, eine konkrete Statistik zu erstellen über das Ausmaß, in dem NEDI—Absolventen tatsiichlich gcistig aufgeladen sind und cntsprcchend handeln, um ihre Diirfer zu entwickeln, so but NE1)[S Ansatz zweifellos dic wohlwollende Aufmerksamkeit mchrerer Staatlicher Entwicklungsorganisationen uutsich gezogcn. Das Institut hat Scit 198‘) für mehrere Pro . tung von Lese- und Schreibunterricht und Vermittlung von grundlegendem Wissen über Hygiene bis hin zu Plénen für das Anpflanzen von Bäumen und der Erhaltung der Umwelt, von der Gründung kleiner Unternehmen auch aufdem Land bis hin zu Férderprogrammen fijr den Fortschritt der Frau


jekte finanzielle Hilfe v01] der Regierung Indiens erhalten, und hat, wie erwlihnt, außerdem Beziehungen aufgebaut zum Internationalcn Entwicklungshilfcdienst Kanadas und der norwegischen Auslandsentwicklungsbehérde (NORAD). 1997 begann das Institut eine Vierjiihrige Zusammcnarbeit mit Norwegens Telemurk College in Notodden. Die Zusammenarbeit Illbchte den ldetnaustausch über einem Lchrplan zur Lehrerausbfldung suchen, mit einem Schwarpunkt auf gemeinsamem Lernen, Fricdcnserziehung und dem Einsutz von Theater.

Kiirzlichc Befragungen v01) NEDl—Absolventen in scchs Orten in den BundesStaaten Gujarat und Maharashtra haben crwicsen, daß vielc tatsiichlich von Selbstbcwufitsein und dem Willem zu freiwilliger Arbeit für dis Gcmcinschaft crfiillt sind.

Wit obcn erwiilmt, haben Studenten eines Kurscs für

[Seite 31]Elcktrotechnik i1) Satara wiihrend eines Interviews im N0vcmbcr 1997 dtrartige ncue Einstcllungen gcäußert. Der Kurs wurde vom Regionalcn Bahá’í-Rat von Maharashtra in Zusammenarbeit mit dcm NEDI—Institut gefdrdert.

Bahá’í-Zentren stellen Unterrichtsrfiume :ur Verfiigung

Der Rat stelltc im Bahá’iZentrum V011 Saturn Klasscnmum und Schlafinéglichkeiten und NEDI stellte dic Ausbilder und die Finanzierung des Kurses, del 29 Studcntcn 21nzog, von dencn kcincr Bahá’í ist.

Es solltc erwiihnt \Vcrden, daß diesc Art der Zusammen:llbeit mit regionalcn Bahá’iOrganisational und —Einrichtungen dem Auftrag von NEDI zugrundelicgcn, das von der Nationalcn Bahá’í(?emcindc Indiens gclcitet wird.

Gleichztitig untcrstiitzte dtr Bahá’í—Rnt V01] Maharashtra in dem nahegelcgcncn DOIf Biblcwadi in cincr iihnlichen Zusnmmcnarbcit mit NEDI einc Scric von Kurscn zur Verbcsscrung der Alphabctisierungsratc, zur F(irderung von Gesundheit und

Hygiene für Frauen und Kinder und zur Steigcrung der Selbstnchtung.

Wic sehr man für diesc Kursc. die kostcnlos V01) NEDl—Mimrbeitcrn und von durch NEDI ausgcbildeten Freiwilligcn gegebcn wurden, dankbur war, wurde deutlich bei eincr von den Obcrhduptern der D&Srfer am 20. November 1997 ausgcrichteten Feier. Nzlch dem Festakt, der bis spiit mach Mittemacht daucrte, hielten die Fiihrcr der Dbrfer einigc Ansprachen, die NEDI Für seine Arbeit lobten. Unter andercm sagten sic, daß sie den Ansatz des Instituts, die Selbstentwicklung durch moralische Erzichung zu crmutigen, sehr schiitzten.

„Das ist cin ganzhcitlichcs lrogramm für die Gemcinsclmft. das gauze Dorfhat cm ncues Selbstvcrtrauen bekommen“, sagteTulsimm Moré, dzls Dorfbberhnupt. „Wir habcn cinigc schlcchtc Angewolmhcitcn.Wenn jcmnnd im Don“ Fortschritte macht, versuchen wir 111anchmal. ihn zu behindern. Aber durch geistige Erzichung werden wir uns sclbst besser cntwickcln kiinnen.“

[m Dorfvon Shendutjunc, ctwa 20 Kilomctcr nérdlich.

bot eine weitcrc Zusammen arbcit mit Clem Bahá’í—Rat von













Mnhrashtra Abcndklassen zur gcistigen Entwicklung an. Dieser Kurs, der nur zwei Wochen dnucrtc, stiitztc sich aufcine Reihc von Arbeitsbiichem zu geistigen Themcn, die von Bahá’í—Erzichern in L21tcinamerikn cntwickelt wurden und die in ihrer Gesamthcit als „Ruhi—Kurs“ bekannt sind. Der Kurs umfaßtThemen wic die Natur der Seelc, dds Leben nach dem Tode und dic Verbindung zwischen der Entwicklung der Seclc und den] Dicnst an der Menschheit im irdischen Lebc IL

Die Verbindung zwischen dit St I) Themcn und der Entwicklung ihrer eigencn Gemeinde war den 12 jungen Mlinncrn, die :11] dem Kurs teilnahmen, bewußt. In Intcrviews nach dem Kurs sagtcn sic, dali die Gespriiche ihncn geholfen hätten, die Verbindung zwischen Moral und sozialcm Fortschritt zu crkcnnen.

„ cnc, die durch diesen Kurs gcgzmgen sind, werdcn niemals jemanden vcrlctzen Oder b&isc Dinge tun. weil sie sich immcr damn crinnern werdcn,d;113 Gott dz! scin wird, um uns zu unserem Hzlndeln zu befi‘ugcn“, sagt Bapujadhav. ein 2()—jiihrigcr Hindu und Landwirt. D












Puna Panchgani


Sata.ra

Das Nedi—lnstitutfdhrt Programme in den fUnf indischen Bundesstaaten Gujarat, Madhya Pradesh, Maharashtra, Manipur und Sikkim durch (dunkle Flcichen in obiger Karte). Panchgani, eine k/eine Bergstadt in der Ndhe von Bombay, ist Sitz des NEDl-Instituts (untere Karte).

In Biblewadie, einem Dorfin der Ncihe von Panschgani, fuhrte das NEDI-lnstitut in Zusammenarbeit mit dem Regionalen Bahá’í—Rat eine Serie von Kursen zur A/phabetisierung, perscinlicher Entwick/ung und Frauenfcirderung durch. Hier werden die Absolventen geehrt, wobei einige Frauen erstma/s bfi‘entliche Reden hielten.

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[Seite 32]Im Bahá’í-Institut im Dang-Distrikt trejjen sich Studenten aus der Region zu regelmafsigen Trainingskursen far Gemeindeentwicklung und ethische Erziehung. Derartige Kurse werden lokal organisiert, jedoch mit Iogistischer und Material-UnterstUtzung durch das NEDl-Institut.



IM INDISCHEN DANG-DISTRIKT BLUHEN VIELE KLEINE ENTWICKLUNGSPROJEKTE AUF

INDIEN


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In den letzten Jahren haben lokale BahciiGemeinden in einem abgelegenen Teil Indiens, dem DangDistrikt,fast ohne fremde Hilfe eine grofse Anzahl von kleineren Entwicklungsprojekten aufdie Beine geste/lt. Zu diesen Projekten zcihlen auch ein dreimonatiger Ausbildungsworkshop im Zimmererhandwerk, die PlanungFür die Anlage einer drtlichen Getreidebank, sowie ein Schulheimfürjiingere Schulkinder.

HISYA, Gujarat, IndiB C11 — Obwohl M21110—har latil dicscs klcinc

Dorf 1111 Dang—Distrikt dos Staates Gujarat regelmiiBig mehrmals im jahr besucht, um

klcinc anispmjcktc zu unterstiitzcn, war er dcnnoch vbllig iibcrrascht, 315 cr h(irte, daß die {jrtlichc lehzii—Gcmcindc, ganz uuf sich gcstcllt, einem Englischuntcrricht für Kinder undjugcndlichc ins chen gcrufcn hattc.

Manolmr latil ist der Mitarbciter der Koordinationsstclle dcs NEDI—Instituts im ca. 300 Kilometer cntferntcn Panchgani. NEDI urbcitet in der Zwischenzeit mit dem Dang Training Institute, eincr regionalen Agentur, zusammen, die von der Bahá’í—Gemeinde des Staates gegriindct wurde.

Die Zusammcnarbcit sol] die Kapazitaten der értlichen Gemeinden in diesem Distrikt, der zu den iirmstcn des Staates Gujarat ziihlt, starken. Dies wird erreicht durch verschiedene Ausbildungsprogramme, durch Mitunterstiitzung ausgewählter Irojekte und den gcnerellen Prozeß der Weitercntwicklung. Somit war 65 cine angenchme Neuigkeit für

Manohar Patil von diesem spontanen Unternehmen zu crfahren.

“Ich wuBtc noch nicht einmal von den Englisch—Klassen, bis ich sie besuchte„, sagte Manohar Patil. “Aber dies ist ganz bestimmt die Art v01) Beitrag zur Gemeindeentwicklung, die wir gems sehen,

ja, die wir erhoffen.„

Lokale Projekte enstehen

In der Tat fand 1111 Dangl)istrikt cin Aufblühen von genau diescr Art von sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsprojcktcn statt, die lokal initiicrt und durchgeführt werden. Der Dang-Distrikt wird vorrangig vom DangiVolk bewohnt, einem Eingeborenen—Volk, welches von der Regicrung als “Stamm„ bezeichnet wird.

Wihrend des letzten Jahres haben zum Beispiel lokale Bahá’í—Gemeinden im Distrikt, dic fast ausschlielilich nus

[Seite 33]Dangi—Bahá’í bestehen, folgende Irojekte ohne fremde Hilfe unternommen Oder unterstijtzt: einen dreimonatigen Ausbildungs—Workshop im Zimmerer—Handwerk, die Planung cincr (Srtlichen Getreide—Bank, ein Schulheim für jungc Schüler und die Englisch—Klassen in Bhisya.Außerdem findet regelmiiflig ein Ethik—Unterrricht für Kinder statt sowie Frauentreffen und cine Anzahl von einzelnen Unternehmungen zur Einkommensbeschaffung in Vielcn Gemeinden des Distrikts.

Geschichte einer ethischen Erneuerung

Das Aufbhjhen dieser Aktivitiiten ist zum Teil der unliingst gestarteten Zusammenarbeit mit NEDI zuzuschreiben. Die Présenz von NEDI im Distrikt ist seit 1990 allmählich größer geworden. Zu würdigen sind außerdem die Bahá’í—Aktivitiiten, die seit 30 jahren humanitére Projekte unter der Dangi—Bevblkerung unterstützen und damit zu ei ner weitreichenden Annahme

des Bahá’í—Glaubens gefijhrt haben. Unter den 144.000 Einwohnem dt S Distrikts, V01) denen 95 % Dangis sind, gibt es ungeféhr 20.000 Bahá’í.

Dies ist somit auch die Geschichte einer rcligiéscn Bewegung und ihres positiven Einflusses auf den generallen lroch sozialtr und Wirtschaftlichcr Entwicklung. Einc religiöse Bewegung, die in besonderem M386 die neue Vision V011 individuallen Fiihigkeiten und ihrer Stfirkung betont, einen starken Sinn für Gemcindcverantwortung entwickelt Lmd geistig begründet6, fortschrittlich soziale Prinzipien pflegt.

Eine isolierte Enklave mit ihren Problemen

Obwohl der Dang—Distrikt ca. 200 Kilometer nérdlich der Metropole Mumbai

(Bombay) liegt, bleibt er doch ziemlich isoliert und materiell unterentwickelt. Der Distrikt umfaßt 1 .764 Quadratkilometer und liegt in einem zerkliifteten T211, das bekannt ist für seine immer noch ursprünglichen Teakwilder. 38 "o der BeVölkerung können Lesen und Schreiben. Mit dieser Rate liegt der Dang—Distrikt an vorletzter Stelle von 19 Distrikten im Staat Gujarat.

Ungefiihr 90 % der Bevölkerung lebt aufdem Lande. Sie leben am Rande Oder ein wenig fiber dem Existenzminimum. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie sich durch das Anpflanzen verschiedener einheimischer Hirse und anderer Saaten. Außerhalb der Pflanzund Erntezeit bestrcitcn sic ihren Unterhalt als umherziehende Arbeiter außerhalb des Distrikts. Das Gesundheitsamt dcs Distrikt ermittelte, (12113 ca. 70 % der Bcvélkerung an Mangelernfihrung leidet.

Zu wciteren Gesundheitsproblemen gehören weit verbreitete Hautkrankheiten wie Krétzc und Ringelflechte.“l)as Mali an Hygiene ist schr gcring„, sagt Mahcndra Chavan aus dem Gesundheitsamt. Es gibt nur ein Krankcnhaus und 57 Gcsundhcitszcntrcn, die dem Distrikt mit seiner) 311 Déjrfern zurVerfiigung stehen.

Die Mehrheit der Bevölkerung sind namentlich Hindus, obwohl Beamte des Distrikts behaupten, daß sie Vielmehr Animisten seien. “1111 Grunde verehren die Menschen Tiger und den Wald, Schlangen und die Sonne und den Mend„, behauptet M.N. Patel, der zusténdige Beamte fiir die Entwicklung des Distrikts.

Kein Katastrophengebiet

Dennoch ist der Distrikt weit davon entfernt, ein Katastrophengebiet zu sein. Die relativ stabilen und saubercn Héuser sind aus Bambusmatten gefertigt und mit ei ner Schicht aus Schlamm und Kuhdung überzogen, die in der Sonne bctongleich aushartet. Die Einwohner haben außerdem Zugang zu weiten Flfichen des wertvollen Teakholzes (dessen Export jedoch sehr genau von der Regierung kontrolliert wird). Das Dorfleben bleibt relativ unberijhrt von den Problemen der Stadt — obwohl der MißbrauCh eines einhcimischen alkoholischen Gétrankes aus Wilden Dschungelfrfichten ziemlich verbreitet ist.

Die Bahá’í—Cvemeindc von Indien began!) ihre humanitiiren Projckte in Dang vor ungeflihr 30 jahrcn, als BahziiArztc nus Bombay cinma] Oder zweimal im Monat in den Distrikt kamcn, um am Wochenendc medizinischc Camps cin zurichten. “Die Arztc arbcite


ten umsonst und brachten k0 stenlose Medikamcnte von pharmazeutischen Unternchmen mit", sagt Motilal charam Sarolia, ein Bahá’í aus Indore, der CbCI) zu dicscr Zeit


„Dies 1:! die Art van Beitrag zur Gcmclndeentwlcklung, die wir germ “hen, la, die wlr erhof fen.“ Manohar Patil, NEDl-Koordinator

Mitglieder des drtlichen Geistigen Rates der Bahá’í von Nanapada vor Getreidesdcken einer Cetreidebank.

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Die Frauen von Nanapada trefi‘en sich regelmafiig , um Über ihre Angelegenheiten zu beraten. Diejungen Frauen erwiesen sich als die mutigsten und aktivsten bei den Trefien.

„Du es nicht genug Essen und nicht genug Arbeit gibt, müssen jade: lahr viele Fumilien In Fabriken oder auf Farmen in den Nachbarstaaten arbeiten und die Kinder müssen damn die Schule

verlassen. “

Balubhai Patel, Ausbildungsbeamter

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in den Dang—Distrikt kam, eine Dangi heiratete und dann dort blieb.

Die Etablierung des Glaubens brachtc einen regulierten Prozeß des Gemeindeaufbaus mit sich. In jedem Dorf Oder jeder Stadt, wo ncun Oder mehr erwachsene Bahá’í leben, bildet diese Gruppe einen Ortlichen Geistigen Rat, einen frei gewlihlten Rat, der Entscheidungen trifft und das gemeindliche Zentrum des Bahá’í—Gemcindelebens bildet. Gegenw'firtig gibt cs 70 solcher Ortlicher Geistiger Rite im Distrikt.

Nach und nach richteten die Geistigen Rite neben ihren regulliren Treffcn EthikKlassen fijr Kinder, Frauentreffen und andere Gemeindeaktivitaten im Distrikt ein.

Das NEDI—Institut startete seine weitreichende Arbeit hier in den 90C‘I'J21h1‘611. Ursprünglich war es eine Arbeit, die sich aus einem beruflichen Ausbildungsprogramm einer Reihe junger Bahá’í aus dem Dang—Distrikt ergab. Diese kamen ins NEDI, um eine Berufsausbildung zu machen nach ihrer Rückkehr Starteten sie ein eigenes Unternehmen. “Wit begannfin damit, unseren Studenten beim Aufbau von Dienstleistungszentren behilflich zu sein und auch, um neue Studenten zu gewinnen„, sagt Manohar Patil.


Aufbauarbeit von NEDIAbsolventen

Gegenwértig gibt es mehr 211$ 50 NEDI—Absolventen in Dang. 1m Einklang mit der zugrundeliegenden Philosophie, beides zur Verfiigung zu stellen, eine Berufsausbildung sowie ein Training in der GemeindeentWicklung, hat sich herausgestellt, C1313 Vicle von ihnen die Schlfisselinitiatoren fijr neue lokale Irojekte gcworden sind.

Die Englisch—Klassen in Bhisya zum Beispiel werden auf freiwilliger Basis V011 verschiedcnen NEDI—Absolventen durchgefijhrt, die nach einoder zweijiihrigem Studium in Panchgani in ihr Dorfzurückgekehrt sind. Die Klassen tlltstanden aufgrund einer Anfrage des Ortlichen Geistigen Rates von Bhisya, der Wiederum aqunfragen aus der Gemeinde nach solchen Kursen reagiertc. Englisch zu sprechen wird hier 2115 6111 Zeichen von Erziehung und als Voraussetzung fijr Fortschritt gesehen.

“Leute aus dem DorfspraChen uns an und fragten: Ihr schickt eure Kinder nach Panchgani Zum Englisch—Unterricht, warum unterrichtet ihr nicht unsere KinderP’“, erklärte Dilip Gaikwad, 23 jahre alt und Vorsitzender des Geistigen Rates von Bhisya. Er sagte, daß die Klassenjeden Tag im Bahá’í—Zentrum V011 Bhisya zwischen 17.00 und 18.30 Uhr stattfinden, undjeder aus dem Dorf kann kostenlos daran teilnehmen. Insgesamt haben sich bisher 84 Studenten eingeschrieben.

Weiteres Projekt: Ein Schulheim

In Bhisya befindet sich auch das Schulheim, das vom

Regionalen Dang Bahá’í—AusschuB gefiihrt Wird und die gesamte Bahá’í—Bevölkerung des Distrikts représentiert. Das Heim stellt kostenlos Übernachtung undVerpflegung zur Verfiigung und hiilt täglich Ethik—Klassen fijr 28 Schüler im Alter zwischen 10 und 15 Jahren ab. Dammit wurde einem kritischen Punkt Rechnung getragen: jetzt können die Schüler innerhalb der Region die Schule besuchen, während die Eltern außerhalb des Distrikts arbeiten.

“Das größte Problem bei der Ausbildung ist die hohe Rate von saisonal bedingten Abwanderungen„, sagt Balubhai Patel, der oberste Ausbildungsbeamte des Distrikts. “Da es nicht genug Essen und nicht genügend Arbeit gibt, müssen jedes Jahr viele Familien in Fabriken Oder auf Farmen in den Nachbarstaaten arbciten und die Kinder müssen dann die Schule verlassen.„

“Die Regierung betreibt 14 Heime für Schulkinder„, sagt Balubhai Patel. “Aber das ist nicht genug, um die gescheitzten 3.500 Schulkinder unterzubringen, die die Schule aus Grfinden der Abwanderung versiumen.„

“Das Bahá’í—Schulheinl wurde 1996 mit Hilfe einer einmaligen Spende von 20.000 Rupies (ca. 600 DOIlar) gegründet, die von einem Bahá’í aus Bombay kamen. Mit diesem Geld könnten Betten, Kochgeschirr und andere Einrichtungen gekauft werden. Der Unterhalt für das Heim in Bhisya einschließlich der Miete Für das Haus belaufen sich auf ca. 7.000 Rupies (ca. 200 Dollar) monatlich. Der Großteil des Geldes kommt von Dangi—Bahá’í aus dem Distrikt„, sagt Manahar Birari (25), Direktor des Schulheims.

“Einige Leute spenden Reis Oder anderes Getreidc, um das Heim zu unterstützen,„ sagt Sarolia.“ Die Tatsache, daß 65 so Viel 6rtliche Unterstfit


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zung bekommt, ist wirklich bemerkenswert.„

Manahar Birari, der ein NEDI—Absolvent ist, stellt Cbenfalls seine Zeit zur Verfijgung. Er und seine Frau Shusila sind im wesentlichen Vollzeit—Freiwillige 1111 Heim. Zum Ausgleich erhalten sie lediglich die Unterkunft und die Verpflegung sowie ein geringes Gehalt. In dieser Hinsicht reprisentiert Mr. Birari die neuc Gneration vonjungen DangiBahá‘i. lie in Nanapada geboren, absolvierte er das NEDI 1995 mit einem Lehrerzertifikat fijr die Vorschule. Scitdem ist es 86in Ziel, die Arbeit der Gemeindeentwicklung zu un In einer Bahá’í—Fami terstützen.

In der Tat werden nur sehr wenig Spcnden V011 außerhalb fiir 6rtliche Bahá’í—Proj ekte im Distrikt verwendet. Der Zimmerer—Workshop wurde zum Beispiel von erfahrenen Bahá’í—Zimmerleuten aus dcm Dorf begleitct, die ihre Zeit kostenlos zur Verfiigung gestellt hatten. Der Workshop wurdc vom Ortlichen Geistigen Rat von Nanapada unterstiitzt und dauerte dreieinhalb Monate V01] Februar bis April 1997. Zu der Grundausbildung im Zimmererhandwerk gchörten auch andere Themen wie moralisch—ethische Erziehung, Gemeindeentwicklung sowie Wisscn über die Gründung von kleinen Unternehmen. Dreizehn junge Méinner haben diesen Kurs abgeschlossen und die meisten von ihncn haben seitdem Arbeit.

Gründung einer Getreidebank

Der Geistige Rat V01] Nanapada hat auch ein Projekt gestartet, nämlich die Planung einer (Srtlichen Getreidebank. Bemerkenswert daran ist, daß dieses Unternehmen ein Non—Profit Projekt ist und die armen Familien wzihrend der entscheidenden Pflanzzeit fiber Wasser halten 5011, Zu oft ge schieht es, erkliirt Mohan Birari,Vorsitzender des NanapadaRates, daß arms Familien gezwungen sind, ihr Saatgut während derWinterzeit zu essen.Wenr1 dann die Pflanzzeit kommt, müssen sie sich Arb€it außerhalb des Distrikts suchen, um sich neues Saatgut kaufen zu können.

“Hier wird kein Geld verdient„, sagte Mohan Birari, der Onkel von Manahar Birari. “Hier geht es nicht darum, Profit zu machen Die Bahá’í steflen Getreide zurVerfiigung, das aber für allc zugiinglich ist. Die Menge Gctreide, die verliehen wird, hingt V011 der Größe der Familie ab.„

Nanapada hat ca. 5.000 Einwohner, VOI) denen fast die Hélfie Bahá’í sind. Die Annabme des Glaubens V011 so vielen aus dem Dorf hatte einen nicht zu verleugnenden Einfluß auf die Entwicklung der Gemeinde, sagen Einwohner von Nanapada. Projekte wie der Zimmerer—Workshop, die Getreidebank und andere kleine sozialeVeriinderungen zum Besseren wurden nach und mach von jedem akzeptiert.

Frauen organisieren sich

Zum Beispiel haben die Frauen des Dorfes gelernt, ihren Bedürfnissen mehr Ausdruck zu verleihen und aktiver zu sein. Die Bahá’í-Frauen veranstaltenjcde Woche cin Treffen, zu dem alle Frauen des Dorfes eingeladcn sind. Sic singen und beten zusammen und sprechen über ihre Probleme.

Bei einem kürzlichen Treffen sprachen ein Dutzend Frauen aus Nanapada tiber die Veriinderungen in ihrem Leben. Kamala Gain, 25, deren Geschichte typisch ist, sagt, daß 516 und ihr Mann 1993 Bahá’í wurden, das war zwei jahre nach ihrer Hochzeit. Davor stritten sie sich 0ft.“lch bin ein Hitzkopf und mein Mann ist ein Hitzkopf„, sagt sie. “Und

q,

dann lasen wir in den Baha 1 Schritten über die Glcichwertigkeit V01) Mann und Frau und wir entschieden uns, 6fter miteinander zu beraten. Seitdem ?indern wir beide unsere Meinung 6fta."

Kamala Gain erzählt noch ein anderes Beispiel, wie sich die Dinge in ihrem Leben verändert haben. Sic beschreibt, wie sie zu einer regionalen Frauenkonferenz nach Ahwa, dcm Zentrum des Distrikts, fuhr. Ihr Mann hatte nichts dagcgen, daß sie ohne ihn hinfuhr und er zuhause blieb, um den gemeinsamen Sohn zu betreuen — etwas, was die meisten Männer traditionell nicht tun wiirdcn.

“Es ist wegen unseres Glaubens, daß mein Mann sagt, er hat genugVertrauen zu mir, mich allcine in ein anderes Dorf gehen zu lassen„, sagt Kamala Gain. “Ich kann mir nicht vorstellen, (138 50 etwas in den alten Zeiten möglich gcwesen wire, daß mein Vater meiner Mutter so ctwas erlaubt

hatter.„ El


„Seit wir uns entschieden haben, after miteinunder zu beraten, (indem wir beide unsere Meinung

6' er.“ Kamala Gain, 25 Jahre

Shusila und Manahar Birari sind Betreuer im Bahá’í—Zentrum von Bhisya.


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[Seite 36]05'!

REZENSION


Johann Christoph Biirgel und Isabel Schayani (Hrsg.)

Iran im 19.1ahrhundert und die Entstehung der Bahá’í-Religion

1998. Olms Verlag, Hildesheim. Broschur









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STUDIEN zun

TSTEHUNGSGESCHICHTE EINER NBARUNGSRELIGION

Annemarie Schimmel IN DER

NEUZEIT

und sieben weitere Orientalisten untersuchen die Geburt der Boibi— und Bahá’í-Religion

as jahr 1992 hatte für D die Bahá’í—Weltgemeinde besondere

Bedeutung: Zum einhundertsten Maljiihrte sich derTodestag Bahá’u’lláhs (18171892), des Stifters der Bahá’í—Religion.

Aus diesem Anlaß veranstaltete die Bonner Bahá’iHochschulgruppe im Wintersemester 1992/93 eine islamwissenschaftliche Vorlesungsreihe über den „Iran im 19. Jahrhundert und die Entstehung der Bahá’í—Religion„. Unterstijtzt wurde das Projekt vom Orientalischen Seminar und dem Studium Universale der Universitét Bonn.

Unter den Referenten waren die bekannte Orientalistin Annemarie Schimmel und weitere angesehene Gelehrte wie der Berner Islamwissenschaftler johann Christoph Bijrgel, der auch Herausgeber des vorliegenden Bandes ist. Die Vortriige der Vorlesungsreihe bilden die Grundlage dieses Buches, fijr das darüber hinaus Beitriige anderer Wissenschaftler aus der ganzen Welt gewonnen wurden.

Die acht Artikel lassen sich drei thematischen Schwerpunkten zuordnen. Der erste Schwerpunkt befaßt sich mit Entstehung, Geschichte und Inhalt der Bahá’í—Religion. Der erste Artikel stammt von Annemarie Schimmel, die bis zu ihrer Emeritierung in Harvard und Bonn forschte und lehrte. Sie untersucht das Verhalltnis des großen indo—muslimischen Denkers und Dich ters Muhammad Iqbal zur Bahá’í—Religion. Iqbal hatte Anfang dieses Jahrhunderts cine Dissertation verfaßt, in der er sich mit dem Ursprung und der Wirkung der Bahá’í-Religion beschziftigte. Mit dem Friedensgedanken in der Bahá’í—Religion befaßt sich Johann Christoph Biirgel. Moojan Momen, Autor eines umfassenden Werkes über den schiitischen Islam und zahlreicher wissenschaftlicher Bücher und Artikel auf dem Feld der Bábi— und Bahá’í—Studien, untersucht in seinem sozialgeschichtlichen Artikel die Bahá’í—Gemeinde im Iran des 19.jahrhunderts, wobei er die sozialen Strukturen der frühen Bahá’í—Gesellschaft darstellt. Schließlich beleuchtet Kamran Ekbal, Is .lam— und Geschichtswissen schaftler aus Bochum, die Entstehung der Bahá’í—Religion vor dem Hintergrund des Messianismus im 19.]ahrhundert.

Einen zweiten Themenschwerpunkt bilden die Untersuchungen zweier Bábibzw. Bahá’í—Biographien.juan R.Cole,1ranist an der University of Michigan, USA, befaßt sich mit der Autobiographie des Shaykhu r—Rais, eines Prinzen aus der QadscharenDynastic. Die Frankfurter Orientalistin Isabel Stfimpel untersucht das Leben und Wirken der Dichterin und frühen Frauenrechtlerin Téhira Qurratul—Ain.

Zu einem dritten Themenschwerpunkt lassen sich je ein

Artikel von Todd Lawson und Kamran Ekbal zusammenfassen, die sich beide mit Primarquellen der Bábi— und Bahá’iReligion befassen. Wfihrend sich Lawson mit dem Kommentar des Báb zu den Suren 103 und 108 des Korans auseinandersetzt, untersucht Ekbal die islamischen Grundlagen des Kitáb—i—Aqdas, des bedeutendsten Werkes Bahá’u’lláhs.

Das Buch „Iran im 19. jahrhundert und die Entstehung der Bahá’í—Religion„ ist ein Meilenstein auf dem Gebiet der Bábi— und Bahá’í—Studien im deutschsprachigen Raum, wo sich bis heute nur vereinzelte wissenschaftlichkritische Auseinandersetzungen zu diesem Thema finden. In der englischsprachigenWissenschaft sind dagegen seit vielen jahren zahlreiche Bábiund Bahá’í—Studien erschienen. So stammen auch drei der sieben Autoren des vorliegenden Bandes aus Großbritannien, den USA und Kanada.

Dieses Buch ist ein Muß fi'ir jeden, der Interesse an Bahá’í—Studien hat, seien es Geschichts— Oder Textstudien. Zu hoffen bleibt, daß der Band dazu beitragen wird, die Lijkke auf dem deutschen Markt im Bereich der Bahá’í—Studien allmeihlich zu schließen. El

Fiona Missag/zian