One Country/1994 Nummer 2/Text

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Ausgabe 2/1994

@COUNTRY

Nachrichtenmagazin der Bahá’í International Community

»Die Erde ist mu ein Land, und alle Menschen sind seine Biir er.« — Bahá’u’lláh


Kopenhagener Weltgipfel flit sozialc Entwicklung 1995 findct scin Thema: Globale Integration

Publizistin Susanne Schaup wünscht »dcn Bahá’í mehr Ein fluB in Deutschland greiche Vorschulerzichung in Swaziland

In der Schweiz diskutieren Bahá’í

die Zukunfc der Landwirtschaft ,

M21

»Menschenrechtc als P01itikum, Essay von Christopher Sprung

SOPHIA

Rezension: Susahne Schaups »Sophia - Das Weiblichc in Com



Ein neues Leben für die Straßenkinder in Brasilien

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Taglicher Unterricht fur berufliche Bildung wnrd den Straßenkindern im Zentrum filr

soziale Fürsorge angeboten. Mitarbeiter Paulo Mendes, 25, Bi|dmitte mit Tafel, ist ein Fachlehrer für Landwirtschaft.

Am Amazonas sorgt das Zentrum für soziale Fürsorge für Schulunterricht, moralische Erzichung, Unterstfitzung der

Eltcrn und Geborgenheit für die Strchnkinder dieser Region

MANAUS, Brasilien — Mit ihrem rubinroten Lippenstift, engsitzendcm Rock und Bluse etscheim; die 13—jiihrigc Theresa fehl am Platze unter den anderen Drittkliisslem der Masrour—Bcrufsschule.

Ak Theresé das crste Mal in die Masrour—Schule kam, die imarmcn und dicht bcvélkertcn Manauser Vorort Sao José licgt, crziihlt sie den Lchrem, daß cs ihr Traum scin, einmal ein Bordell zu besitzcn. Für cin Straßenkind in einer schnell wachscndcn Mctropolc mit etwa zwei Millioncn Menschen im Herzen der Amazonas—Region war dies wohl das lxéchste Zicl, das sie für sich sclbst vorstellen konntc.

Nachdem sie einjahr in der Masrour—Schule vcrbracht hatte, wo sie nicht nur cine Grundschulbildung, sondem auch berufliche Bildung, moralischc Führung und Mahlzeitcn bekommt, hat sich Theresas Vision von ihrer Zukunft ziemlich vcriindert.

chn sie groß ist, meinte Theresa vor kurzem, machte sie Lehrerin werden. »Die Lchrer hiersind wie Eltem zu mir«, sagte Theresa (Name von der Redaktion geindert). »Sic bringcn mir Dinge bei, die ich von meinen Eltem nicht gelemt habe, wit 2.13. Mcnschen zu respektieren und wie man sich gut benimmm

Dicse Anrwort spricht Bfindc über die Masrour—Schule. Diesc Schule ist ein Teil eines grbBcren lrojckts, das hauptsiichlich zum Ziel hat, unterprivilegierten Straßenkindem zu hclfen, gesunde, bewußte und aktive Mitglicder der Gesellschaft zu wcrden.

(Fortsetzung auf Seite 4)


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ONE COUNTRY

wird vierteljfihrlich herausgegeben von der »Bahá’í International Community«, die als Nicht-Regierungs-Organisation bei den Vereinten Nationen die weltweite Bahá'iGemeinde représentiert.

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ONE COUNTRY — Deutsche Redaktion, Eppsteiner Str. 89, 65719 Hoflweim-Langenhain, Tel. 0 61 92/ 8O 79. Fax06192/26395. Herausgeber der deutschsprachigen Ausgabe:

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15,- / BS 100,- (inklusive MWSt und Portokosten).

Die Zeitschrift ONE COUNTRY kann direkt bei der Redaktion bestellt warden.

© 1994 by Bahá’í International Community

ISSN 0945-7062

Gedruckt auf RecyclingPapier.


ONE COUNTRY 9 Ausgabe 2/1994


Balance der Werte in der Familie


chn die Familicn stark sind, ist das meistc in der Welt geordnct. Im liebenden Nihrboden der Familie können wir unset vollcs Potential als lndividuum cntwickeln. Das Familienleben ist die Quelle unserer glücklichsten und erfüllendsten Gefühle.

Wenn Familicn jedoch schwach oder zerbrochen sind, funktioniert East nichts. Die aufrcibcndstcn Problems cntstammen oft £1miliiiren Schwiefigkeiten.

Im Aufruf der Vereinten Nationcn, 1994 als das >>Intemationalc jahr der Familie« auszurufen, findet

die Bcdcutung _ der Familie ihre ERSPEKTIVE Ancrkennung.

Wie in der Generalvexsammlung der Vereintcn Nationcn imjahre 1989 verkündet, hat dicscsjahr zum Leitthema: »Rcssourccn und Aufgabcn der Familie in einer sich wandelnden Welw.

In dem Lcitthelm diesesjahres liegt implizit die Ancrkennung, daß sich Fgmilien in unserer modcmcn Zeit in einem Übergangsstadium bcfinden. In jeder Kultur zerfhllen und zerbrechen die Familien unter dem Druck wirtschafilichcrundpolitischcrUmwilzungen und werdcn angesichts der moralischen und gcistigen Verwirrung geschwéicht.

Dcnnoch bleibcn die Familien dic grundlcgendstc Einheit der Gesellschaft, und olmc Neuschaflhng und Wicderbelebung dieser elementaren Institution gcriit die Zivilisation 313 games in Gefahr.

Die Lchren dcs Bahá’í—Glaubcns, der hcutc in der gcographischen Verbreitung der unabhiingigen Wcltreligioncn an zweiter Stelle steht, bietet Cine Alternative gegen viele der Kriiftc, die die Familien hcute auseinanderdividieren.

Die wcsentliche Botschaft des Bahá’í—Glaubens ist Einheit. Richtig verstzmden - so zeigcn die Erfilhrungcn der Bahá’í auf der ganzen Welt — bedeutet Einheit, die traditioncllcn Wertc mit den fortschriulichen gcscllschafilichen Grundsiitzen so vcrbinden, daß sie ein Bollwerk gcgcn die Kriiftc der Desintcgration in unserem modemcn Zcimlter sind.

Die Einhcit in der Familic beginnt mit der Ehc, einer göttlichen Einrichtung. Nach den Bahá’í—Gcsetzcn sind Mann und Frau in der Wahl ihrer Ehepartner absolut frei; sie bedürfen dunnj edoch der Zustimmung ihrcr Eltcm zur EheschlicBung. Obwohl die clterliche Zustimmung dem einen Oder anderen im

Westen recht traditional] scheinen könnte, sind die Bahá’í der Auflhssung, daß disses Gebot cntschcidend dazu bcitriigt, die Einheit der Familie über die Generationen hinweg zu schiitzen, indem es das Band zwischen den Eltcm und Kindem stirkt und so cin Bcispiel für die nachfolgendcn Gcnerationen schafli.

Das Bahá’í-Ehevcmprechen wird vor zwei Trauzeugcn abgcgcben. Es besteht aus dem cinfachen Satz: >>Wahrlich, wir wollen 3116 an Gottes Willcn festhaltem, den beide Ehcpanner nacheinander sprechen. Dieses Eheversprechen zeigt an, daß in das Band der Ehe nicht nur die beiden Partner involvicrt sind, sondem cbemo ihr Schbpfer. Dic Bahá’í verstehen dies so, daß Mann und Frau hiennit das Versprechen abgeben und damch strebcn, licbcnde Partner und Kameraden zu werden auf dem che »sowohl physisch als auch geistig vcrcint zu sein, um so die geistigc Wirklichkeitjedes Ehepartners immer weitcr voranschrcitcn zu lassem.

Richtig verstanden - so zeigen die Erfahrungen der Bahá'l auf der ganzen . Welt - bedeutet Einheit, die traditionellen Werte mit den fortschrittlichen

gesellschaftlichen Grunds§tzen so verbindén, daß sie ein Bollwerk gegen die Krfifte der Desintegration in unserem modernen Zeitalter sind.


Dieses Ehevcrsprcchen ist die Grundlage zur Schafl‘ung eines glücklichen HcimesDa der physische Zweck der Ehe in erster Linie die Schaffung einer neuen Generation ist, die Gott lichen und der Menschheit dienen wird, profitieren insbesondere die Kinder von diesem Versprechen. Abcr cbenso erflihrt hierdurch die GroßEamilie insgcsamt eine cntschcidende Unterstiitzung.

Diese Ideen sind natürlich in gewisser Hinsicht traditionell: Allc großcn Weltreligionen haben im wesentlichen die gleichen Dinge über die Wichtigkeit und den Zweck der Ehe und dcs Familienlebcns gelehrt. Aber dicsc

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traditionellen Wcrtc sind in der modemcn Welt unter BcschuB — und vielc Familicn halten diesem Angriff nicht stand.

chn diesc dauerhaftcn Wcrtcjcdoch mit den progressivcn Prinzipien diescs ncucn Zeitaltcrs vcrbundcn wcrden, entstcht daraus jene Art von Familic, die mit den Anforderungcn der hcutigcn Welt in Einklang lcbt.

Für die Bahá’í ist der viclleicht wichtigstc Grundsatz bci der Erhaltung der Einheit in der Familic die Anerkennung der fundamentalen Gleichb erechtigung zwis Chen Mann und Frau. In den hciligen Schriften der Bahá’í hciBt cs: Bevor nicht die völlige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau anerkanm und vcrwirklicht ist, ist gesellschaftliCher und politischer Fortschritt nicht möglich.

Die Bcratung, eine Methods der fnedlichen Entscheidungsfindung, gibt der Institution der Ehc eine neue Spannkraft in einer sich schncll indcmden Welt. Der Geist der Bcratung gcwiihrt Mann und Frau die Flexibilitfit, ihrc Rollen bci Bedarfanzupasscn, um den Bcdiirfnissen eines jcden Familienmitgliedcs und der Familie als ganzes gerecht zu werden.

Obwohl Mann und Frau auf gcwissen Gebieten sich ergiinzcnde Eigenschaften und Funktioncn haben, werden Frauen ermutigt, cine cigcnc Laufbahn einzuschlagcn, und Viter werdcn nicht von Aufgaben im Haushalt Oder von der Kindercrzichung befreit.

Die Familic muß stcts bemüht scin, in jedcm Mitglicd die besten Qualitiiten und höchsten Wcrtc zu hegcn und gcziclt zu

Scitc 3

férdem. Die Eltcm mfisscn für die integricrte Entwicklung allcr Fähigkeiten ihrer Kinder

sorgen — geistig, moralisch, intellcktuell, emotional und kijrpcrlich.

Deshalb müssen Madchen undjungcn die glcichc, bcstmöglichc Schulung und Bildung erhaltcn. Sollten Eltem aufgrund begrcnzter Mittel vor der Situation stchen, eine Wahl treffen zu müssen, so ist den Midchen als potcnticllen crsten Erziehcm der kommenden Generation der »Vorzug vor den 86hnen« zu geben.

Wenn Frauen die bestmöglichc Bildung erhalten, wic in den Bahá’í-Schriften gefordert, dann beweisen bercits zahlreiche StatiSIiken, daß es diesen Familien spfirbar besser geht. Das Familieneinkommen stcigt und das Geld, über das die Frauen das Sagen haben, kommt normalerweise zucrst den Kindem zugutc.

Das Erzichen von Miidchen scheint auch cincr der bcstcn Wegc zu scin, die Bevélkcrungsprobleme in cincm Land anzugehcn. Frauen, die eine Erziehung gcnosscn habcn, haben wenigcr Kinder, und diejcnigcn, die sie haben, sind normalcrweise gesiinder, besser emiihrt und 1111an eine bessere Erzichung.

Die Struktur der Familienbezichungen muß jcderzeit aufdcm höchsten moralischen Standard basiercn. Einheit, Gerechtigkeit, Liebe, Mitgefiihl, Vertrauenswürdigkeit, Héflichkeit, Aufnchtigkeit — diese Tugcnden wurden der Mcnschhcit von den Stiftcm aller Ofl‘enbarungs— und Weltreligionen gelehrt

und blcibcn das Fundament flir menschliches Glück und Wohlcrgehen. Cl


Während eines Aufenthaltes in Kiew stellten sich Mitglieder des Bahá‘iChors, die im Oktober 1993 eine zweiwéchige Tournée in RuBland, Moldawien und der Ukraine machten, dem Fotografen. Der aus

43 Séngerinnen und Séngern aus Australien, China, Iran, Israel, Kanada, Mexiko, Norwegen, Schweden, der Schweiz und den Vereinigten Staaten zusammen esetzte Chor verebrachte auch rei

Ta e im Moscfilm-Studio zur

Au ahme der im November 1992 beim zweiten Bahá’í-WeltkongreB in New York aufgeführten Musik. Zu dem Programm ihrer Konzerte im vergangenen Jahr gehörten Chorinterpretationen klassischer persischer, jfidischer und indianischer Musik sowie amerikanischer Gospellieder.

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In den armen Bairros um Manaus ist sauberes Wasser kostbar. In der Umgebung des Zentrums far soziale Fürsorge reihen die Anwohner ihre Wasserbehélter auf und warten

Zapfstelle des Zentrums zu benutzen.

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Ein neues Leben für die







Straßenkinder in Brasilien

bis sie dran sind, um die einzige (Fortsetzung von Seite 1)

Das Zentrum für sozialc Wohlfhhrt, wic das Gesamtprojekt dort gemnnt wird, geht von einem ganzheitlichen Ansatz sozialer Fürsorgc aus. N cben der allgemeinen Schulausbildung bictet das Zentrum berufliche Ausbildung und moralische Erziehung von Strchnkindem an sowic eine Sozialstation fiir die verarmten Frauen der Umgebung. Trinkwasserversorgung und Gesundheitsfürsorge rundcn das Programm ab.

Das Zentrum wird von der Bahá’í—Gcmeindc Brasiliens untcrhalten. Das besondere von dessen Ansatz ist, daß es den Kindem nicht nur rmtcricllc und pidagogische Hilfe vermittclt, sondem sie intellektuell und geistig schult, was es ihnen erlaubt, ihr Leben selbst in die Hand zu nchmen und nicht zuletzt auch anderen zu hclfcn.

»Natiirlich gibt es viclc Gruppen, die sich der Probleme der Straßenkinder annehmem, sag: Fcrial Farzin, der Direktor dcs Zentrums, »was aber unsercn Ansatz von anderen unterschcidct, ist die Suche nach dem Edelstein,

von dem wir glauben, daß er in jedcm Menschen zu finden ist.


»Dic meisten anderen Institutioncn sind wenig daran interessiert, diese Kinder als Individucn weitcrzuentwickeln<<. meint Frau Farzin. »Sie wissen, daß sie Geld brauchen, also bringcn sie ihnen bei, Eiscreme zu verkaufen. Dann habcn die Kinderaufder Strch mehr Geld und lcmen, Klebstoff zu schniiffeln, und so wichst das Problem weiter. Wir glaubcn, daß man auf das Potential dieselKinder schauen und mit ihnen damn aufcine dynamische Art zusammcnarbeiten muß, bei der das Geistige mit dem Praktischen verbunden wird. I Ein wcltweitcs Problem

Das Problem obdachloscr Kinder ist natürlich cin weltweitcs und nicht auf Brasilicn beschränkt. Laut UNICEF verdiencn sich weltwcit schitzungswcisc 100 Millioncn Kinder und Jugendlichc auf den StadtstraBen dieser Welt ihren Lebensunterhalt, von denen ctwa 10% die sogenanntcn »Straßenkinder« sind, die sich — von ihren Familicn im Stich gclasscn — allcin durchs chen schlagen.

Nach Schitzungcn von UNICEF lcbcn etwa 40% (let Strchnkinder dieser Welt in Lateinamerika. Vcrschiedenc Gründe machten disses Problem in Brasilienjedoch bcson


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ders brennend. Die Aufmerksamkeit der Weltoffendichkeit wurdc durcthfichte über nicht selten sogar organisierte Morde an diesen Kindem crregt. Nach Angabcn im Newsweek Magazin kann man davon ausgchen, dnB in den letzten vicrjahren etwa 6.000 Straßenkinder umgebracht wurden.

Zum Teil wurzelt das Problem in der sich wandelnden Bcvélkcrungsstruktur. N och vor 30 Jahren lebten etwa 70% der Bcvélkcrung Brasiliens auf dem Lande. Heute wohnen schätzungsweise 70% in schnell wachsenden Metropolen. In Verbindung mit dem raschen Bcvélkcrungswachstum von etwa 70 Millionen auf 146 Millionen hat dicse Flut vom Lande in die Städte das soziale N etz zcnisscn und alle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen untergraben.

In den wuchcmden Hilttcnstiidten Oder den Favelas, die wie Pilze aus dem Boden rund um die größeren Stiidte dcs Landes schossen, sind die Auswirkungen dieses Trends offensichtlich.

Die Straßen diescr schnell wachsenden Vorortc sind gesiumt von bchelfsmfiifiigcn Unterkiinften und Hiitten, die aus allem Méglichen gebaut sind, von Ziegcln bis Abfillholz. Die meisten Haushalte haben einen weiblichen Haushaltsvorsmnd, sagt Frau Farzin, eine Tatsachc, die hauptsiichlich darin bcgriindet liegt, daß es den Miinnem versagt ist, einenjob in der Stadt zu finden und sic deshalb gezwungen sind, aufs Land zurückzugehen und eine Anstcllung in der Forstwirtschaft oder im Bergbau anzunehmen. Das Haushaltseinkommen in dicscn Gegendcn beträgt game 60 US—Dollar pro Monat.

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Nach Angabcn der INPA (National Institute of Research of Armzonas) lcidcn fist 40% der Kinder in Manaus an Unteremiihrung. Nut 12% der Hanger habcn Sanitarcinrichtungen und fist 58% der Kinder sind von Parasiten befhllen.

Die Familien sind groB und es gibt für die Kinder wcnig zu tun, außer auf den Straßen herumzuhiingcn. Kleinkfimimlitit, KlebstoffSchniiffeln und Prostitution sind gingige Beschäftigungen für die Kinder am Rande der Gcsellsclmft.

I Als Waiscnhaus begonncn

Das Zentrum für sozialc Wohlfilhrt wurdc im jahre 1985 in gcmieteten Riiumen als Pflcgchcim gcgriindct. Bci eine Kapazitit von 50 Kindcm könnten in den Jahren von 1985 bis 1992 mehr als 300 ausgcsetzte und mißbmuchtc Kinder zur Adoption vcrmittclt wcrdcn.

1988 konnte das Zentrum am Stadtrand von Sao José 12 Morgen unemchlosscnes Land kaufcn. Unterstiitzt von privaten Spenden wurdcn mehrcre Gcbiiudc gebaut, in die dns Zentrum 1989 einzog. Zur glcichen Zeit verschob sich der Schwerpunkt der Arbcit vom einflnchen Pflcgehcim zu der heutigen Gesamtschule und Sozialstation.

Die Masrour—Grundschulc hat eine Aufnahmckapazitiit von etwa 240 Kindem, 40% davon besuchen die Schule mit frcicn Stipcndien. Von den 40% Stipendiatcn wird wiederum 40 Kindem eine kostenlosc Berufiausbildung am Nachmittag angebotcn.

Als eine Privatinitiative ist die Schule nicht nur fijr ihrcn Vctsuch, den irmsten Kindem von Sao José zu dicnen, etwas besonderes, sondem auch für ihr diflerenzicncs Curri


Das Problem der Straßenkinder Brasiliens wurzelt im wesentlichen in der sich wandelnden BevESIkerungsstruktur. Noch vor 30 Jahren lebten etwa 70% auf dem Lande. Heute wohnen schfitzungsweise 70% in schnell wachsenden Metropolen. In Verbindung mit dem raschen Bev6|kerungswachstum von etwa 7O Millionen auf 146 Millionen hat diese Flut vom Lande in die Städte das soziale Netz zerrissen und alle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen untergraben.

Lehrerin Iriana da Silva Pinheiro unterrichtet eine Dritte Klasse an der Masrour Berufsschule.


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Die Schule ist nicht nur für ihren Versuch, den firmsten Kindern von Sao José zu dienen, etwas besonderes, sondern auch für ihr differenziertes Curriculum, das darauf konzentriert ist, den Kindern zuséitzlich zu den traditionellen Féichern wie Lesen. Schreiben, Rechnen eine moralische und geistige Erziehung zu geben.

Nach der Schule treffen sich die jungen Leute auf einem Platz vorden1ZenUum,daseme attraktive Alternative zum Leben auf der Straße bietet. Hier spielt eine Gruppe Jungen FußbalI kurz nach Sonnenunter gang.

culum, das daraufkonzentfiert ist, den Kin ONE COUNTRY ' Ausgabe 2/1994

hohe Ansehen widerspiegelt, das dicscs Pro dem zusitzlich zu den traditionellen Fichcm jekt bci Stadt und Regicrung genieBt.

wie Lcsen, Schreibcn, Rechnen eine moralische und geistigc Erziehung zu geben.

Auf der Grundlagc der Bahá’í—Lehren betont der Lchrplan für Ethik und geistigc Erziehung die Einheit aller Menschen und Religioncn, was wiederum cin Ausgangspunk: für gréBcre Selbstsicherhcit und Selbsmchtung ist.

»In anderen Schulen ist die geistigc Erziehung nur kntholisclw. sagte Christina lhhamus da Paula, 29, eine Lchrcfin an der MasrourSchule, die vier Jahre 11mg an éflentlichen Schulen unterrichtet hat, bcvor sie vor einem Jahr zu dicscr Schulc sticB. »Und wcnn cs dort Schüler anderer Religionen gibt, dann fiihlcn sie sich traurig und entmutigt. Hier sprechen wir über Gott, dem Gott von allen, und das hilfi den Schijlcm. Frau Ihhamus d3 Paula fiigte hinzu, d218, wenn es dic Schule in dicser Gegcnd nicht giibc, um den Kindcm zu helfcn, die meistcn Kinder ausgesctzt wordcn wären und wie viele andere Kinder auf den Straßen leben wfirdcxm

»Vicle von den Schfilem sind aus der firmstcn Gcscllschaftsschicht und es {chlt ilmen an Ffimorgc und Zinlichkciw, sag: sic. »Ich spiirc, daß sie mcine Liebe brauchen, denn sic habcn sie oft zu Hause nicht. Nicht alle bckommen gcnug zu csscn und dcshalb ist die Schule schr wichtig. Das Gehalt von etwa der Hlilfte der Lehrer wird von der Regierung bezahlt - was das



Josue Filho, der Staatssekretiir für Erzichung für das Amazonasgebict, bctontc, daß die Regicrung gemc mi: jeder Gruppe zusammenarbeitc, die das Bildungsangebot verbesserte. Er fiigtc hinzu, daß er von der am Dienst am Menschen orientierten Philosophie des Zentrums bcsonders bceindruckt sci.

»Neben den guten Beziehungcn der Regierung zurgcsamtcn Bahá’í-Gemeinde«,sagtc Dr. Filho, »gibt es auch frcundschaftlichc Vcrbindungcn zum Govemeur von Amazonas und zu mir. Es ist eine geistigc und herzlichc Vcrbindung. I Ambulante Sozialstation

Neben der Arbeit in der Schule bemüht man sich im Zentrum, Erwachscnen und insbcsondere Frauen in den umliegenden Gemeindcn zu hclfen, sich besscr zu organisieren und sich weiterzuentwickeln.

So wurdc in der dirckten Nachbarschaft die Bildung eincr Miittergruppe gcfdrden. Vielc Familien schicken ihrc Kinder in die Schulc. Dutch diese Vcrbindung cntwickeltcn sich die Eltcm zu cincr Kraft sozialen Wandcls.

An viclcn Abenden besuchen Mitglieder der Müttergruppe Familien mi: Problemen. Sic versuchen sich gegcnscitig zu hclfcn. Frau Farzin schlith sich 6&ch diesen Gruppen an. An einem solchen Abend wurde beispielswcisc eine Nachbarschaftshilfc bei der Wasservcrteilung vercinbart.

Sauberes Wasser ist cin wichtigcs Therm im Bairro. Die Stadtverwaltung versorgt die


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sen Stadtteil von Saojosé nicht mit Wasserleitungcn und so muß alles Trinkwasscr cntweder herbeigcschlcppt oder aus 6nlichen Brunnen gefo'rdert werden.

Das Zentrum ließ zwei 50 Meter tiefe Brunnen bohren, die den größten Teil des Wasserbedarfs der Umgebung decken. Aber stat: die Entscheidungen, wo die Wasserleitungen hinkommen, zu diktieren, hat das Zentrum die Miittcrgruppe gcbeten, dicse Entscheidung zu treffcn - in Bemtung mit der ganzen Nachbarschaft.

Solch ein Problem mag trivial erscheinen. In cincr wenig organisicrtcn Nachbamchaftsgemeinschaft kann die Frage, wo ein Wasserhahn hingesetzt wird, durchaus erheblichen Streit verursachen. Ohne eine entsprechendc Einigung kann cs gcschchen, dnB die Familie, aufderen Grundstiick der Wasserhalm angebracht wurdc, vcrsucht, eine Wassergebfihr zu erhcben, such wcnn ilmen das Grundstiick formal gcschen gar nicht gchört. Eine andere Möglichkeit ist, daß eine durch einen Wasserhahn privilcgiertc Familic den Neid der Nachbam auf sich zieht und sich von daher große Probleme entwickeln.

Das Zentrum hat die Miittcrgruppe in Bcratung ausgcbildet, einer nicht auf Konfrontation beruhenden Form der Entscheidungsfindung, wic sie von den Bahá’í—Gemeinden auf der ganzen Welt angcwandt wird. Dutch die Anwendung dieschethode haben sie gelemt, sich zu einigen und ihre Schwierigkeiten selbst zu léscn.


D BEg-Esnn " E I AL A






»chn man hier über Wasser redet, birgt d_ieses Therm Streit und politische Konflikte. Ublichcrwcisc bcnutzcn die Politiker das Wasser, um Unterstiitzung zu erhaltem, berichtet Frau Farzin. »chn man andererseits das Wasser einfach frei ausgibt, sind die Bewohner nicht am Bcsitz betciligt und cs besteht die Gefixhr, daß sie die Leitungen und Hilme zexstören anstatt sie zu pflegen. Wit haben ihnenjedoch erkliirt, daß die Entscheidung bci der Nachbarschaft licgt, wo die Wasserleitungcn entlanglaufen und wie sic betrieben werden. Wit batcn sic, zusammenzuarbeiten und cincn klcinen Betrag für den Unterlmlt der Wasscrlcitungcn zu sammcln. Bisjetzt haben sie es fertiggebracht, dies ohne Konflikte zu tun. Wit meinen, dies kommt duller, daß sie gelemt haben zu beraten. Von Haus zu Hans diskutierte die Gruppe das Für und Wider einer neuen Wasserleitung und wo man dcn Wasserhahn installieten sollte. Der Proch war sehr informell, war abcr klar darauf ausgerichtet, Konsens zu bilden. Wihrend dieses Prozcsscs beginnen die Anwolmer zu vcrstehen, daß die Verantwortung fijr den Fortschritt zum Großtcil in ihren eigenen Hinden liegt.

»Die Bahá’í—Gemeindc gibt uns eine ncue Visiom, sagt Maria Edjmar, 43, cin Mitglied der Nachbarschafts—Miittergruppe und Katholikin. »Vicle Menschen machen um Versprechen, tun aber wenig, um sie einzulösen. Aber die Bahá’ís sind immer gewillt, uns zu hclfcn und zcigen dies durch Taten.« D


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Eine Gruppe von MUttern versammelt sich vor dem Eingangstor zum Zentrum fur soziale Wohlfahrt am Abend vor einer informellen Tour durch die Nachbarschaft. Durch die Ermutigung des Zentrums ist diese NachbarschaftsMflttergruppe der Ausléser far ein neues und dringend benötigtes Element in der Gemeindearbeit geworden. Maria Edjmar, die unten zitiert wird, ist die zweite von links.

»Neben den guten Beziehungen der Regierung zur gesamten Bahá’í—Gemeinde gibt es auch freundschaftliche Verbindungen zum Gouverneur von Amazonas und zu mir. Es ist eine geistige und herzliche Verbindung. Josue Filho, Staatssekretér im Kultusministerium


[Seite 8]»Nur wenn die Völker der Welt diesen Planeten als ein Heim und seine Bewohner als ein Volk ansehen lernen, wird sich die Vision, die moralische lntegritéit und das Engagement einstellen, die nBtig sind. um sich der komplexen Herausforderung einer solidarischen sozialen Entwicklung der Menschheit zu stellen. Dann und nur dann wird die Menschheit jene Sozialordnung errichten können, Für die es auf diesem Planeten keine Grenzen mehr gibt. Auszug aus der Verlautbarung der lnternationalen Bahá’í-Gemeinde an den VorbereitungsausschuB des WSSD (Weltgipfel für Sozialentwicklung)

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Vorbereitungen zum Weltgipfel für Sozialentwicklung machen deutlich: Weltprobleme sind grundsétzlich nur noch integrativ lésbar


Nach den Erfahrungen von Rio und in Vorbercitung aufdieWeltgipfel in Kairo und Beijing will man beim KopenhagenerTrcffen endlich zu einer ganzheitlichen Sicht der Weltprobleme durchdringen.


VEREINTE NATIONEN — Da der Weltgipfcl für Sozialcntwicklung (World Summit on Social Development; kurz: WSSD) nur dreijahrc nah dem Erdgipfel in Rio stattfindet und wenigc Monate vor der für 1995 geplzmtcn Vienen Wcltkonfcrcnz für Frauen, haben sich rmnchc Kritiker gefragt, warum die Vereinten Nationen dieses Treflcn schon nachstcs Jahr abhalten wollen.

Habcn wir über Entwicklung nicht schon in Rio gesprochen und dort bereits vcrlangt, daß sie dem Prinzip der Nachhaltigkeit gerecht werdcn soll? Und wird die sichcr dringlichc soziale Frage der Stellung der Frau nicht ohnchin in Beijing auf der Welt—Fraucnkonfcrenz bchandelt? Was fibcrhapt ist >>Sozialennvicklung<<?

Bereits nach der cmten Zusammenkunft dcs Vorbercitungsausschusses zur WSSD im Februar in New York war allen Teilnehmem klar, daß diese Konferenz zur Sozialcntwicklung ein überaus wichtiges Ziel verfolgt: die Entwicklung tines Konzepts zur globalen und ganzhcitlichen X'Ierangehcnswcise an die Weltproblcme.

Insbesondere gaben die Teilnehmer det Hoflhung Ausdruck, daß der Gipfcl sich dnraufkonzcntricren möge, die Probleme der vexschicdenen Gebiete zu integrieren und noch weimus bcsser in ihrcr wechselscitigen Vemetzung zu erkennen. Dazu gchércn die Thean Umwelt, Entwicklung, Frauen, intematiomle Finanzen, Menschenrechtc und Bevblkerung, die alle bereits in Rio angesprochen wurden und ebenso bei der bevorstehenden WeIt—quenkonfercnz wie der Welt—Bevölkerungskonfercnz aufder Tagesordnung stchen.

»Dic Fragen, die in Rio, Kairo und Beijing behandelt wcrden, sind Teile des größercn Problemkrciscs der Sozialcntwicklung«. sag te Dr. Yagesh Atal, der Direktor für Sozialenrwicklung der UNESCO, der die Arbcit des WSSD für die UNESCO koordiniert. »Die anderen Konferenzen widmen sich den Kriscnsymptomen. Sic konntcn dadurch viel zur BewuBtmachung der Krise und ihrer Einzclaspektc beitragcn. Der Schnittpunkt allcr dicser Kriscnsymptomc is: die Sozialentwicklung. Hier finden sie sich in ihrer Vemetzung wicdem I Ziel und chck dcs Gipfels

Das Gipeltrcffcn wird im Mfirz 1995 in Kopenhagcn stattfmden. Seine Ziele wurden von der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1992 festgclcgt mit:

1) der Verbesserung der sozialen Integration, insbesonderc von benachteiligten und Randgruppen,

2) der Milderung der Armut,

3) der Ausweitung der Produktion (dicjedoch möglichst umweltvenriiglich scin soll).

Wihrend seiner zwciwéchigen Sitzung vom 31.Januar bis 11. Februar 1994 hat der VorbereitungsausschuB hauptsichlich die Grundclemcnte einer zu vcmbschiedcnten Deklaration und cincs Aktionsprogramms skizziert, die beide die Hauptereignissc dcs Gipfeltreffcns scin sollcn.

Als Regierungsdelcgationen sich durum bemühten, die Ziele dcs Weltgipfels besser zu dcfinicrcn, zeigtcn sich untcmchiedlichc Auffassungen. GerniiB dem Muster frühcrer Weltkonferenzen der Vereinten Nationen betonten Delegationcn aus dem Norden die Menschenrcchte und mtionalc Maßmhmen zur Bchcbung der Armut, wihrcnd Delegationen dcs Südens mchdrücklich die Notwendigkeit einer Anpassung des Weltfinanzund Wclthandelssystcms forderten, um wirtschaftlichc Ungleichgewichte ausgleichen zu kcmnen.

Trotzdem wurde das Thcma der Integration aufvielfiiltige Weise hcrvorgehobcn. Die Dclegationen waren sich z.B. einig, daß »gcmeinsame Aspekte der Kemprobleme hervorgehoben und in einer intcgfiertcn Weise behandelt werden solltem, wenn Dokumente fijr die nichstc Sitzung des Vorbereitungsausschusses im August crstcllt wcrden.

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So meintc der kanadische Teilnehmer, daß die abschlicBendc Gipfelverlautbarung cin Rahmcnkoncht enthalten sollte, das es allen Nationen ermöglichc, ihre nationale Politik auf ein ganzheitliches, integricrtes Konzept der menschheitlichen Sozialentwicklung auszurichten.

Nicht—Regierungs-Organisationen spiclten bei der Betonung der gcgenseitigen Abhdngigkeit von sozialen Problemen eine entschcidendc R0116.

»Wir schließen uns jcnen Delegationcn an, die eine enge Verkniipfung der Problems 313 fiit unsere Situation kennzeichnend hervorhobem, sagte Lisinska Ulatowska, die Vcrtreterin der »World Citizens«, eincr Nicht-Regierungs-Organisati 0n mit Zweigorgzmisationen in 35 Lindcm. »Sozialcntwicklung hiingt mitwirtschafdicher Entwicklung, Gerechtigkeit, Menschenrechtcn und Verantwortlichkeit eng zusarnmcn. Jorge Durio, Prisident der brasilianischen Vereinigung der NGO's (Nicht—RegierungsOrganisationen), meintc, daß die Vemctzung weltweiter sozialer Problems den ch dafür bereitet, daß sich eine neue »soziale Allianz<< zwischen den N GO's und den Regierungen, zwischen Nord und Siid bildct. »Wir diirfcn nicht länger in Gegensiitzen zwischen Nord und Siid denken, sondem es geht um eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden. Es ist gerade die Aufgabc der NGO's, den Gedanken des Weltbfirgcrtums zu fdrdem. l Fraucntrcfl'cn iuBcrst 6&1:de

Zu den effektivsten Gruppen gehörte die Frauenversammlung, zu der sich ad hoc etwa 100 Frauen aus 23 Lindcm zusammcnfimden. Sie trafen sich tiglich parallel zur Sitzung des Vorbereitungsausschusses und veréffcntlichten am 10. Februar eine Verlautbarung, die die Regierungcn dazu aufi‘icf, »ein neues Paradigma der Entwicklung zu konzipiercn, das den Bedürfnissen der Frauen, Jugendlichen und Kinder gcrecht würde.






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Viele NGO's vertraten die Ansicht, daß sich die Lösungen für sozialc Problems nicht nur durch Mafinahmen der Regierungen finden licBen, sondern daß man mehr aufdic Biirger und ihre Beteiligung bauen mfissc.

»Je ticfer man in einem Problem steckt, desto bcsser kann man seine verschicdenen Ursachen erkcnnen; folglich muß man mit den Leuten vor On beratem, meinte John Tomlinson, derbeimVorbereitungsausschufi das Syneros—Institut vcrtrat. In New York angesiedelt, arbeitet das Syneros-Institut mit NGO's in Afiika und Latcinamerika zusammen, die sich der Bckimpfung der Armut widmen.

Lawrence Arturo, der Leiter des Umwcltbfiros der Intemationalen Bahá’í—Gcmeindc, hob das hohe Nivcau dcheratung des Voroereitungsausschusses hcrvor, das viel dazu beigctragen habe, die allgcmeinc Anerkennung der Rollc und Bedeutung dieses Weltgipfels zu férdem.

»Durch vielc Prozesse - und nicht zuletzt durch den Erdgipfel — bcginnen wir in der heutigen Welt immerbcsser zu erkenncn und anzucrkcnncn, daß die Véjlker und Linder weltweit voneinander abhiingig sind«, sagte Arturo. »Um dieser ncuen Realitiit gcrecht zu werdcn, müssen wir auf den Gebieten der Wirtschaft, Politik, Technologie, Umwelt, Recht, Finanzcn und Medien cin Wcltver stlindnis entwickeln und Maßnahmcn auf

Weltebene einlcitcn. Dabei ist die soziale Integration der Menschheit das entscheidende Bindcglied. Wie können wir die verschiedencn Teilc der Menschheit dazu bringcn und sie crmutigen, fruchtbar und harmonisch

zusammenzuarbeiten, und zwar sowohl auf

der 6rdichen, der nationalen, der kominenmlen und der Weltebene? Wenn der Weltgipfel sich cmsthaft um eine Antwort auf diese Frage bemüht, wird er weit über die kiihnsten Hoflhungen seiner besten Bcfiirwortcr hinaus erfolgreich sein.« Cl


»Wir dürfen nicht langer in Gegenséib zen zwischen Nord

und Siid denken,

sondern es geht um eine enge Zusammen arbeit zwischen beiden. Es ist gerade die Aufgabe der NGO's, den Gedanken des Weltbfirgertums zu

f6rdern. Jorge DuréoNereinigung der brasilianischen NGO's

In Gambia stellen sich vier Bahá'l aus den Vereinigten Staaten und Kanada dem Photographen zusammen mit Kindern, die an einem w6chentlichen Leseunterricht und an ethischer Erziehung im Dorf Neu-Yundun teilnehmen. Die vier Jugendlichen sind zu einem Jahr des Dienstes in Gambia.

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Bei der Festveranstaltung zum 150. Jahrestag der Bahá‘iReligion im Neuen SchloB von Stuttgart sprachen sich die Festredner for eine st‘érkere Beschéftigung der GeseHschafi mit den friedenstiftenden Konzepten der Bahá'iWeltgemeinschaft aus. V.l.n.r.: Dr. Gerhard Lang, 1. Burgermeister der Stadt Stuttgart, Dr. Susanne Schaup, evangelische Publizistin, Huschmand Sabet, Autor.

»lch wiinsche den Bahá'l, daß sie ihren großen Zielen weiter näherkommen, damit wir kfinftig alle in einer friedlichen Weltgesellschaft zusam menleben können. Dr. Gerhard Lang, 1. Bürgermeister der Stadt Stuttgart

ONE COUNTRY 0 Ausgabe 2/1994






STUTTGART. - Am 23. Mai jiihrte sich

zum 150. Male jenes Ereignis, das 313 die Gcburtsstunde der Bahá’í—Religion gcltcn kann. Einjungcr Mann namcns Báb crkliirtc am 23. Mai 1844, daß er cin Gottesbotc sei in der Rcihc von Moses bis Muhammad und daß kurz nach ihm ein zwciter folgc, dcssen Auftrag noch weir gréBcr sci, niimlich die inncre Einigung der Menschhcit. Die Bahá’í 3611611 1111 Bib den Vorliiufcr ihres Religionsstiftcrs Bahá'u'llfih und in desscn Erklärung dcn Bcginn dcs Bahá’í—Zeitaltem.

Einc der Fcicrlichkeitcn zu dicscm Anlaß Emd in Stuttgart smtt,jcncm Ort, an dem die crste Bahá’í-Gcmcindc in Deutschland entstand und den Abdu'l—Bahz'l, der Sohn Buhiu'llfihs, imjahrc 1913 besuchte.

Im WeiBen Saul dcs Neuen Schlosses begrüßte der 1. Biirgcnneister der Stadt Stuttgart, Dr. Gerhard Lang, die 450 Giistc mit den

graphisch am wcitcstcn vcrbrcitctcn Religion gcwordcn. Ich wijnsche den Bahá’í, daß sie ihren gToBcn Zielen weiter niihcrkommen, damit wir kfirlfiig alle in einer fiicdlichen Wcltgesellschaft zusammenlcbcn können. Dr. Gerhard Lang vcrwics aufdie vielEiltige historischc Vcrbindung zwischen der Stadt Stuttgart und der deutschen Bahá’í—Gcmeindc, die hier im jahre 1904 ihren Anfing nahm. Er hob insbesondere hcrvor, daß die Bahá’í hcute in Haifla am Berg Karmcl einen Bogcn schléssen, der einst von den Stuttgarter »Tcmplerm mit der sogemnntcn »deutschen Kolonie<< bcgonnen worden war: Mit der Fcrtigstcllung einer19stufigen Tcrrasscnanlage, die Dr. Lang mit dem Wcltwunder der »hiingcndcn Giirtcn der Semiramiw verglich, ziehc sich bald eine cinzigc Linic vom Ilafcn Haiflas bis zum Gipfel des Kamlel, der

Wortcn: »Dicse Religion ist dank ihrer Juderl,Clmsten und Bahá'ials »Bcrg Gottes rcligipns— und grcnzijbcmchrcitcndcn innercn Überzeugungskmft zur am dynamischsten anwachsendcn Ghubcmgemcinschafi der Erdc und nebcn dem Christentum zur geo gilt. Dr. Lang schloß mit den Women:

»In einer Zcit, in der inncrhalb der christlichen Kjrchen die 6kumcnischc Bcwegung sich immer noch scllwcr tut, in der die Angst

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Scite 10

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——_————__———————— vor dem islamischen Fundamenmlismus um sich greift, in der kriegerische Auseimndersctzungen in der ganzcn Welt und neuerdings auch in Europa Opfcr fordcm, in der Frcmdenfeindlichkeit in unserem Land, in unserer cigenen Stadt uns beunruhigcn, in einer solChen Zeit sind die zentralcn Lchren dicser Religion wic die innere Einheit der Menschheit ein Hoflhungszmker für uns allc. Und dcshalb kann ich den Wortcn Carl—Fricdnch von Weizsiickers nur uneingeschrdnkt zustimmen: Die religiöse Gemeinschaft der Bahá’í verdicnt unserc besondere Hochachtung.' Anschliefiend sprach die evangelische Publizistin und freie Schriftstellcrin Dr. Susanne Schaup, die im Sommer 1993 die Bahá’í beim »Weltparlarnent der Religioncm in Chicago kenncnlcmtc, zumThcrm >>Wclchcr Ring is: der echtc?«.

Ihre Analyse der aktucllcn Geistcslage der Mcnschheit miindete in der Aussage: »Nun, wir wisses cs ja, die geschichtlichc Entwicklung hat alle Religionen insofem hinter sich gelassen, als die Zivilisation sich wcitcrentwickcltc und die Rcligionen in ihrer ursprünglichen Auspriigung stehenbliebcn. Sic hatten keine Antwort auf die rasante naturwissenschaftlich-tcchnische Enrwicklung; sic hattcn keine Antwon auf die Exzesse dcs msnschlichen Eroberungswillens, auf die immer größer werdcnde Scherc zwischen Reichen und Armen. Sic hattcn kcinc Antwort auf die Ausrottung der Arten in der Tier- und Pflanzenwelt. Sic hatten kcine Antwort auf die stillschweigende oder zum Himmcl schrcicnde, wcltweite Unterdrflkkung der wciblichen Hilfie der Menschheit. Sic hatten kcine Antwort aufdic unweigerliChe Erstarrung ihrer eigenen Institutioncn, aufdic Korrumpierbarkeit ihrer Hiker... Ein Ncuansatz war dringend geboten. Die Welt schric nach cincr neucn Ofi‘cnbarung. Und sie fuhr fort: »Diese hat es gegcbcn... Nach und nach wurde mir die GrdBe dicscr Oflcnbamng zu ihrer Zcit und ihre Bcdcutung für die Welt von hcute bewußt. Frau Dr. Schaup zcigtc auf, daß die großen Verwerfungen der mcnschlichen GeselLschaft — zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen patriarchalcr Weltordnung und der Gleichwertigkeit der Frau, zwischen der Vcrkiindigung hehrcr Ziele und der Wahl kimpferischer Mittcl — in den Bahá’í—Lehren grundlegend fibcrwunden sind und keine Chance mehr habcn.]ede Religion habe ihre besondere Frucht, cin ihr eigcnes »Herz«, das ihr Wesen und ihre Wirkung kcnnzeiclmct. Das Herz der Bahá’í—Rcligion ist der Gedan ke der Einheit — der Einheit Gottes, der Einhcit der Religionen, derEinhcit der Schöpfung und der Einheit der Menschhcit. Diescr grundlegendc, gelebte und in neue gescllschaftliche Strukturen umgcsctzte Gedanke der innercn Einheit bicte crstmals in der Menschhcitsgeschichte die reale Chance zu cincr Bcfi—iedung der Mcnschheit unter Beibehaltung und Weiterentwicklung ihrerVielEmit:

»Mir scheint, daß die Bahá’í aufgrund ihrer nie kompromittierten Kultur der Konfliktbewiltigung einen Auftrag haben, eine fricdenstiftende Rolle in unserer Welt zu spielcn... Ich wiirdc mir wünschen, daß die Bahá’í in diesem Land und in anderen Liindcm in dicscr fifiedenstiftcndcn Funktion noch mehr in Erschcinung treten und mehr Anetlgcnnung findcn würden. Dicse Funktion hat Überzcugungskraft, weil eine rcligiése Haltung dahintersteht, die in bcwußter Abstincnz von allcr Pancipolitik sich im praktischen Handcln bcwiihrt... Mir scheint, daß einzig die Bahá’í—Rcligion von diescm Hader verschont blieb, weil ihre Oflenbamng auf Einheit und Liebc zu allen Religioncn angelegt war. Es besteht für mich kein Zweifcl, daß sie in unserer Welt eine Mission zu erfiillcn hat... Den Abschluß dicser chtveranstaltung bildcte ein zwcitcr chtvortrag dcs Autoren Huschmzmd Sabct: »Die Erdc, die Menschheit, die Religion waren ihrem Wcsen nach schon immcr eine Einheit. Der Mensch hat sie aber nicht als solche gesehen, seine Sicht auf deren inneres Gleichgcwicht war vcmebelt... Dicsc Sichtweisc erweist sich nun in atcmberaubcnder Geschwindigkeit 3L9 Existenzbedrohung für Erde, Mcnschhcit und Ethik. Die ganzhcitliche Abhingigkeit jedes diesechrciche ist heutc eine unverzichtbare, ist heute die zentrale Wcrtsetzung, von deren Grundvcrstiindnis aus crst Fricden, Gcrechtigkeit und Wohlfhlm wieder gesmltbarsind.


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»Mir scheint, daß die Bahá'l aufgrund ihrer nie kompromittierten Kultur der Konfliktbewfiltigung einen Auftrag haben, eine friedenstiftende Rolle in unserer Welt zu spielen. Ich würde mir wünschen, daß die Bahá'l in dieser friedenstiftenden Funktion noch mehr in Erscheinung treten und mehr Anerkennung

finden würden. Dr. Susanne Schaup, evangelische Publizistin

Blick in das Auditorium der Festveranstaltung zum 150. Jahrestag der Bahá’í-Religion im WeiBen Saal des Neuen Schlosses Stuttgart.


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Er6ffnung der »Galerie Forum Stuttgart« mit Bérbel G. Mfihlschlegel

I STUTTGART. — Am 15. juni erbflhcte das von der Bahá’í—Gemeinde Stuttgart gctragenc Veranstaltungszcntrum «Forum Stuttgam die erste Ausstellung in der ncu geschaffenen »Galerie Forum Stuttgarw. Die Ausstellung »Dialog — Malerei, Grafik, Fotografic« der Frankfurter Kiinstlcrin und Vomitzcnden des Bundesverbandes Bildender Künsterinnen und Kiinstler (Landesverband Hesscn) Biirbel G. Miihlschlegcl (Bild rcchts mit dem indischen Kunstagemen S. Gopinath) wurde von dem Lciter des Kulturamts Sindclfingen, Dieter E. Hiille, offizicll eréffilet. In der>>Galcrie ForumStuttgart<< sollcn vor allem Künstlerinncn und Kfinstcr zur Ausstellung kommen, die in ihrcn Werkcn um Antwortcn auf die ncuc globale Verantworrung des Menschen für dic umeilbarc Erdc ringcn.

Regierung der Marschallinseln bittet

Bahá'l um Hilfe bei der Erziehung

I MARSCHALLINSELN. Auf Antrag der lokalen Regicrung dcs Majuro Atolls wurde die Bahá’í—Gcmcindc der Marschallinscln gebctcn, die Verantwortung für die Organisation und die Vcrwalrung von fiinfstaatlichen Schulcn aufdem Atoll zu fibemehmen.

Am 26. November 1993 wurde cin Memorandum untcrzcichnct, das die Einigung und die fonmlen Voraussetzungcn dieses Schrittes fcstschrcibt. Die Pliine sehen vor, dilB die Bahá’í-Gemein


dc bercits ab Friihjahr 1994 beginnen sol], sich um die Schulcn zu kiimmem, an denen etwa dreiBig Prozcnt aller Schüler der Marschallinscln untcrrichtct wcrdcn.

Die Regierung wandte sich an die Bahá’í wegcn ihres hervorragenden Rufcs in Erziehungsfmgcn. Schwcrpunktc der Vcrbcsscrungcn am Lehrplan sollen die cthischc Erziehung, eine zweisprachige Ausbildung in Englisch und Mmchallcsisch sowic die Entwicklung eines globalen Bewußtseins darstcllem

Bahá’í—Gedenkfeier durch Stadt Berlin

I BERLIN. ~ Berlin engagicn sich seit längerer Zeit für cine positive Bezichung seiner Bevélkcrung zu der in der Stadt anwesenen Vielfillt an Weltreligionen.

Im Rahmcn dieser chijhungen hick die Stadt am 11. N0vcmbcr1993 eine chenkfeier zum Geburtstag von Bahflu'llflh ab. Die Bcrlincr Bahá’í—Gcmcindc wurde von der Stadt gebcten, das Program aus eincr Andacht, Musik und T hcaterdnrbictungen zu gestalten.

chcr gab qu Dr. Gabriele Yonzm im Auftrug der Stadt Berlin eine Dokumentation über die in Berlin vcrtrctencn Weltrcligionen hcmus.

MAGAZIN

Eréffnung der »Galerie Forum 5tuttgart« mit der

Ausste/lung »Dia/o « von Bérbel G. MUh/sch egel

»One Country« auch über »lnternet I NEW YORK. — »One Country«, das Nachrichtcnmagazin der imemationalcn Bahá’í—Gcmcinde, ist nun für alle Computcrbesitzer, die an das weltwcite Kommunikations—thzwerk »Imcmct« angeschlosscn sind, auch on—line verfijgbar.

»Togethcrth« ist ein privater, gcmeinnfitzigchcrvice, der es sich zur Aufgabc gcmacht hat, ein Kommunikations— nnd lnfonmtionssystcm zu schaffcn, dns allen Organi



sationen, die aufeine lebenswerthukunfihinarbciten, zur Vcrfiigung steht. Durch die Hilfe von TogetherNet ist es nun allen Computerbesitzem, die Zugang zum Internet haben, möglich, den Text der englisch—sprachigcn Ausgabc von »Onc Country<< zu lesen.

Die Netzwerksadresse von TogetherNet lautet »gopher. together.uvrn.edu«, wobei »One Xountry<< im TogetherN et—Verzcichnis untcr »Organisations<< aufgcfiihn ist. Informationcn über Together Net sind beziehbar über: T0gcthcrNet, 130 South Willard Street, Burlington, Vermont, 05401.

Adressen

Informationen über die Themen dieser Ausgabe von ONE COUNTRY oder allgemein zur Bahá’í—Religion erhalten Sie in Osterreich und der Schweiz Cuber folgende Adressen:

l Bahá’í- ' Informationszentrum, Frankhplatz 2, A4090 Wien, Tel. (01) 403 10 80, Fax (01)

4 79 89 58.’

I Der Nationale Geisfige Rat der Bahá’í in der Schwelz, Dufourstr. 13, (2171:3005 Bern, Tel. (031) 352 10 20; Fax (031) 352 47 16. ,


Architekt Faribors Sahba erlzautert dem israe/ischen Ministerpréisidenten Rabin und dem BUrgerme/ster von Haifa die Plé'ne fdr die neunzehnstufige Terrasse am Berg Karmel, die sich an den durch die Stadt Haifa gep/anten Wiev deraufbau der deutschen Temp/erko/onie ansch/ieBen.



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Internationale Begegnungen am »Langen Tisch<< in Solingen

SOLINGEN. — Der tragische Tod tiirkischer Mitbiirgcr vor über einem jahr in Solingen bcstiirztc Millionen Menschen in ganz Deutschland. Traucr, Wut, Verzweiflung, Enttliuschung,ja Sprachlosigkeit machte sich bei all jenen brcit, die das fhedliche Miteinander mi: Vertretem anderer Völker und Kulturen im »aufgcklirtem Deutschland bcreits als Selbstvetstiindlichkeit gesehen hatten. Wic nie zuvor wurde bcwuBt, daß Worte der Betrofienheit nicht gcnfigcn und alle ein Stück Verantwortung tragen müssen.

»Eindcutiges und mutiges Auftretem für die Rechtejener »Bürger, die wir so gemc als Giste bczcichnem, »tlitige Zuneigung und Solidaritiiu {orderte die Solingcr Bahá’í—Gemeinde in einer éfl‘endichen Stellungnahme nach dem Brandanschlag auf die tfirkische Farnilie Genc. »Wir mfisscn klznstellen, daß uns ihre Freundschaft wichtig ist. D218 wir ihr Andersscin als eine Bereicherung für unser Lebcn ansehen, 2113 Chance, die Welt aus einer anderen Perspektive zu schen. .. Anthropologie, Physiologic und Psychologie kennen nur eine Gattung Mensch, wenngleich unendlich rmnnigfakig in den sekundhtcn Aspekten des Lebcns<<. Wet dicsc Wahrheit anerkenne, mfissc vorurteilsfrei werden, hieß es in der Erklärung, die aufpositivc Resonanz stieB.

Den Aktionsmonat des Solinger Tageblatts mit dem Motto »Laßt uns Frcundc sein<< mh men die Bahá’í in Solingen zum Anlaß, um den »Langen Tisch<< zu initiicren. In Zusammemrbeit mit dem Spoming und der Initiative »Einc Welt für 211a setztc die Bahá‘iGemeinde die Idee um, Menschen vemchiedenster Nationalitiiten an einem Tisch zusammenzuführen.

Ausgangspunkt war zunichst der Gedanke, daß das Miteinanderteilen von Brot und 5312 Vcrstiindigung und Gemeinschaft stiftct. Ob griechisches Gyros, tiirkisches Kebab, italicnische Pasta, chinesisches Chop-suey, spanische Paella oder deutsche Hausmannskost was lag niiher, als über die Spczialititen aller Linder den Reiz der Vielfalt zu entdecken.

An dem vom »Langen Tisch<< vorbereitcten multikulturellen Fest an eincm goldencn Oktobersonntag in der Solingcr Innenstadt und den Stadtteilen Wald und Ohlings war jeder Gas: und Gastgebcr zuglcich, indem er ctwas rr_1_itbrachtc und auf den Gabentisch stellte. Über Sclbstgekochtes und Selbstgebackcnes kamen in— und ausliindische Biirger mitcinzmder ins Gesprich, bautcn Kontakte auf und Barrieren ab.

DerWDR übertrug die zentrale Vcranstaltung auf dem Miihlenplatz, wo ein intcmationalcs Musikprogramm angeboten wurde. Und mtsiichlich: Am Ende tanztc der gauze Platz und der »Lange Tisch« avanciertc so zu

einem der Héhcpunkte dcs Pro—SolingcnMonats. Cl


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Szenenfoto aus dem Völkerversténdigungsfest des »Langen Tisches« in Solingen

Copyright by Uli PreuB

»Nicht erst seit cler in Solingen geschehenen Katastrophe stehen wir gemeinsam für Verstiindnis, Gesprachsbereitschaft und Offenheit - über Herkunft und Rassen hinweg. Der Lange Tisch soll uns zusammenführen. Nur der

direkte Dialog hilft,

Grenzen aufzu|6sen. Aus der viersprachigen Erklärung der lnitiatoren des »Langen Tisches« in Solingen


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Die Lehrerin Sallinah Makhanye geht mit ihrer Vorschulklasse auf dem Gelénde der Bahá'iVorschule von Hlatikulu spazieren

»Die Regierung stellt Vorschulinspektoren und vergibt Zertifikate. Und die BernardVan-Leer-Stiftung aus den Niederlanden gibt uns einen weiteren finanziellen Puffer und betréichtliche technische Unterstfitzung. Das Endergebnis dieser Zusammenarbeit ist eine qualitativ gute Lehrerausbildung und gute Schulen bei geringem Kostenauf wand. Dr. Irma Allen, Mitglied des Kinderausschusses der Bahá'l in Swaziland

ONE COUNTRY ' Ausgabc 2/1994



Erforlgelche Zusammenarbeit: Vorschulerziehung in Swaziland


HLATIKULU, Swaziland — Sallinah Makhanye zeigt auf einen großen Baum auf dem Gclfinde derBahzii—Vorschulc von Hlatikulu. Ungeführ zwanzig Schüler bilden einen Kreis und hören zu.

»Nun, Freundc«, sagt sic, während sie nach oben zeigt und ihrc Armc ausbreitct, »dieser Baum hat große Gliedmaßen. Sic sehen alle aus wie Armc. Wie ncnm man sic? »Zweigc«, sagen mehrere Kinder.

Sie zeigt auf den Stamm. »Und wie heißt dieser Teil dcs Baumcs?« fragt sic.

»Stamm«, sagt cin vorlauter Schiitzling.

»Ja«, sagt Frau Makhanye, die Direktorin der Schule. »Bitte, sagt alle gcmeinsam Smmm. »Stamm!« schallt cs zurück.

»Und wie emihn sich cin Baum?«, fragt Frau Makhanye.

»Wenn Wasser herunterkommm, sagt cin kleincrjungc.

»]a«, antwortct sic. »Wenn Wasscr hcrunterkommm

Der Lehrplan für diesc Stunde ist unkompliziert, aber die vermittelten Konzepte werdcn ein Lebcn Lang in Erinncrung bleiben.

»Das dritte, viertc und fijnfte Lebensjahr gehören zu den ausschlaggebendenjahren in der Enrwicklung eines Kindes«, sagt Dr. Ben Dlamini vom Bildungsministerium in Swaziland. >>Daher ist die Vorschule ein cmschcidender Tcil der Kindererziehung. Leider haben Regierungen nicht immcr die nötigen Mittel zur Entwicklung und zum

Betreiben eincs vollständigcn Vorschulprogramrm. Dahcr £th dicse Rollc ofi den nicht-staatlichen Organisationcn zu.

In diesem kleinen Ké'migreich im Siidcn Afrikas ist die Bahá’í—Gemeindc bei der Erfüllung dicscr Aufgabc bcsonders erfolgreich. Indem sie in ihren cigcnen Reihen ausgebildctc Pidagogcn und eine bcstfindigc Gruppe frciwilligcr Hclfcr finder und ihrer Ethik der Zusammenarbeit folgt, hat die Bahá’í—Gemeindc im Vcrlaufe der vergangenen zehn Jahre eine zunchmcnd wichtigere Rollc bei der Vorschulerzichung in Swaziland erlangt.

Die Gemeinde hat bisher

  • drei Vomchulzcntren in Städten und drci

Vorschulprogrammc auf Dorfebcnc cingcrichtet, die zusammen die vier Hauptregionen des Landes abdeckcn.

  • mitgcholfcn, eine landesweite innemchulischc Ausbildung für Vomchullchrcr cinzurichten und verwaltet und betreibt dicsc Einfichtung in Zusammenarbeit mit dem Erzichungsministerium.
  • mit dem Erziehungsministcrium einen

natiomlcn Leitfadcn Für die Vorschulerzichung emrbcitet, der den Bediirfhissen des Landcs und der Bcvélkcrung cntspricht.

I Das Them; )Zusammenarbcitq

Vielleicht noch wichtiger ist jcdoch die Tamache, daß die Erfhhrungen der7500 Bahá’í von Swaziland die Bedcutung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit bei aller Art

von Bildungsprogrammcn oder -projekten hcrausstellen.

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Seize 14

[Seite 15]ONE COUNTRY ’ Ausgabe 2/1994


»Als nichtstaatlichc Organisation stellen wir unserc Rdumlichkeitcn zur Vcrfiigung und benutzen unsere Bahá’í—Zentren als Schulgcbiudc<<, sagt Dr. Irma Allen, ein Mitglied des nationalen Ausschusses für Kindererziehung der Bahá’í—Gemeindc von Swaziland. »Wir stellen auch ausgebildetc Lchrer und übernehmen die Koordination. »Die Regierung stellt Vorschulinspektoren und vergibt Zenifikate. Und die BernardVan—Leer—Stiftung aus den N iederlanden gibt uns einen wciteren finanziellcn Puffer und betrfichtliche technische Unterstiitzung. »Das Endergebnis dieser Zusammcnarbeiw, sagt Dr. Allen, »ist eine qualimtiv gute Lehrcrausbildung und gute Schulen bci geringcm Kostcnaufiwand. Der Bildungsministcr von Swaziland, S. N . Simelzme, stimmt Dr. Allens Einschiitzung zu und meint, daß die Idce der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen nichtstaatlichen Organisationen und der Regicrung eine entscheidende Rolls in der Entwicklung der Vorschulbildung in Swaziland spielt.

»Die Bahá’í, die mit uns zusammenarbeiten, helfen uns sehr. Warm immer Problems auftauchen, versammeln sie sich und helfcn uns, eine L&Ssung zu finden. Er stellt auch fest, daß ihre Einstellung zur freiwilligen Mithilfe und zum Dienst an der Gesellschaft der Schlfisscl zum Erfolg der Gemeinde zu sein scheim. »Manchmal frag: man sich, warum Menschen ihre Zeit investieren — denn wir bezahlen sie ja nicht. I Die Gcscllschaft von Swaziland vcrfindert sich

Die Bahá’í—Gemcinde engagiert sich seit ungefiihr zehnjahren in der Vorschulbildung und rcagiertc damit auf die rapide Veränderung in der swazilfindischen Gesellschaft.

»In Swaziland beginnen heutzutage immer mehr Frauen, in die Arbeitswelt einzusteigem, sagt Dr. Allen. »Also braucht man Vorschulen, da die Mutter nicht so viel Zeit mit ihren Kindem zu Hause vcrbnngen können. »Die Vorschulc dicnt einem EntwicklungsprozeB, den Kinder oft nicht vor der Einschulung durchlaufem, sagt Frances Fletcher, ein andercs Mitglied des Bahá’í—Erziehungsausschusses. »Kinderin Swaziland haben nicht unbcdingt Zugang zu Büchern Oder SpiclsaChen, die ihnen bci der Entwicklung ihres Forschungsdrangs hclferm

I Zentrcn sind bereits vorhanden

Heutc stchen Schulcn in den Bahá’í—Zentren von Mbabane, Piggs Peak und Hlatikulu jeweils ungefzihr sechzig Schfilem zur Verfiigung. In den Dérfem Motjanc, Mnicini und Mphetseni wcrden drei wcitere Vorschulcn

von den 6rtlichen Bahá’í-Gemeindcn für ca. sechzig weitere Schüler betrieben. Alle diese Schulen funktionicren ohne Zuschfisse von außen, d2 sie sich durch ein bcscheidenes Schulgcld sclbst tragen.

Die Zentren wcrdcn auch für das nationals innerschulischc Ausbildungsprogramm für Vorschullehrer, das die Bahá’í-Gemeinden koordiniercn, benutzt. Die Bemard—VanLeer—Stiftung trigt mit finanzicllcn Mittel, die über die Regierung verteilt wcrdcn, und mi: Fachkenntnissen zum Erfolg disses Programms bei.

I Einziges Ausbildungsprogramm

»Derzeit sind wir die einzigc Gruppe, die in SwazilandVorschullehrcr ausbildem, sag: Frau Fletcher, die Koordinatorin des Programms.

Die eingeschriebenen Tcilnchmcr zollen dem Programm ihre Anerkennung. »Mcin Schuldircktor war mit der Ausbildung sehr zufi‘icdcm, sagt Nicholine Mbokazi, eine 28jiihfige Frau, die an einer katholischen Vorschule in Hlatikulu arbeitet. »Durch diese Kurse bin ich in meiner Arbeit Viel sichcrer geworden. Das in cnger Zusammenarbeit mil; dem Vorschulimpektiomprogramm derRegierung geleitcte Program bietet den Lehrem scchs Kurswochen im Jahr, so daß sie nach drei Jahren einen Abschluß als Vorschullehrer crhalten. Im September 1992 hatten bercits mehr 2113 160 Studenten diescn Kurs absolviert.

Das Ausbildungsprogramm crfijllt auch cin wichtiges Ziel der Entwicklungsarbeit, da es mchr Arbeitsmijglichkeiten für Frauen schafft.

Das Ausbildungsprogtamm folgt eincm nationalcn Lehrplan, der in Zusammenarbeit mit der Bahá’í—Gemeinde entwickelt wurde. Der Lehrplzm bctont Aktivitéitcn, die den Gegebenhciten in Swaziland entsprechen, so z.B. die Verwcndung der am Ort vorhandcncn Mittel und Materialien als Hilfsmittel im Unterricht und die Einarbcitung bestimmter Elemente der Swazi—Kultur. »Um Malpinscl herzustcllen, schlagcn wit 2. B. die Benutzung von Fedem vor; zum Flechtcn empfehlen wir Gras«, sagt Dr. Allen. »Wir raten den Schulen auch! Mutter einzuladen, damit sie traditionellc Überlieferungen erzählen. Ohne dieses Program könnte man in Swaziland kcine Vorschullehrcrausbildcn und ilmcn einen Abschluß ermöglichen. »Sie haben uns wirklich dabci geholfen, im ganzen Land etwas in Bewegung zu bnngcm, sag: Beauty K. qurmlo, die nationalc Voxschulinspcktorin des Bildungsministeriums. »Die Einstellung der Bahá’í zur Erziehung und ihre Methodc dcs Unterrichtens sind sehr gut.« CI


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»Derzeit sind wir die einzige Gruppe, die in Swaziland Vorschul lehrer ausbildet. Frau Fletcher. Koordinatorin des Ausbildungsprogramms

»Sie haben uns wirklich dabei geholfen, im ganzen Land etwas in Bewegung zu bringen. Die Einstellung der Bahá'l zur Erziehung und ihre Methode des Unterrichtens

sind sehr gut. Beauty K. qumalo, nationaIe Vorschulinspektorin des Bildungsministeriums


[Seite 16]ONE COUNTRY 9 Ausgabe 2/1994

Meditationen zur >>Einen Erde<< on tour:

Aussteflung >>Die Erde ist nur ein Land<< faszinierte 10.000 Besucher in 35 Städten




»...froh, gefunden zu haben, was der Menschheit so dringend nottut...»...noch ganz neu für mich...»...begeistert von

dieser Begegnung... Notizen aus dem Gastebuch der Ausstellung

Offenbachs Oberbfirgermeister

Wolfgang Reuter erbat nach der Ausstellung im Rathaus foyer ein Duplikat von einer der

neun Meditationsnischen. Hier bei der Übergabe des Duplikats, das nun auf Dauer im Rathausfoyer verbleiben wird.


HOFHEIM/Ts. — Einc Spur zieht sich durchs Lang. Keine Fußsmpfen im Wald, auch keine Überholspur, sondcm eine Idec in den Képfcn1Die Erde ist nur ein Land. 80 der Titcl cincr Ausstellung, die scit über zwei Jahren durch die erweitcrtc Republik wandert. lhrc Spur ist ein neues Bewußtsein: ein BcwuBtsein der globalen Einheit, das frcmde Spmchen, Hautfhrben undBekcnntnisse nicht bloß tolcricrt, sondem schiitzt und braucht.

Die ebcnso schlichtc wic starke Aussagc, daß die Erde ein einziges Land ist, stammt von Bahiu'llfih, dem Stifter der Bahá’í—Religion. Aus Anlaß scines 100. Todestagcs am 29. Mai 1992 schickte die deutsche Bahá’í—Gemcindc seine Vision aufToumcc: Texte und Bilder, wie gcschaffcn für eine Zeit, in der cin johlender Nationalismus den Friedcn zcrstért, ob in Rostock, auf dem Balkan oder anderswo in der Welt.

I Erlcbnis für Sinnc und Gcist

Bilder und Textc: Was so niichtem nach muscalcr Belchrung klingt, wird hier zum Erlcbnis für Sinne und Gcist -jedenfhlls für den, der sich dntaufcinliiBt. Zum Bcispicl für jencn Besuchcr in Berlin, der später ins Gistcbuch schreibt: »Froh, gefunden zu haben, was der Menschheit so ddngend nottuw. Wiihrcnd cin :mdercr das allcs >>noch ganz ncu fiir midm findct, ist ein dritter »bcgeistcrt von dicscr Begegnung<<.

Schon mehr 2115 10.000 Bcsuchcr haben die Exposition gesehen. In 35 Stiidtcn machte sic halt: von Hamburg bis Bic] in der Schweiz, von Luxemburg bis Berlin. Sic stand in Rathiusem und Kulturzentren, in Uni-Menscn und Schulen. Sogar eine chemalige SEDZentrale 61fnctc der Bahá’í—Botschaft buchstfiblich ihrc Schrankcn: der »chine Krem]im sachsen—anhaltinischen Zerbst, die heutige Villa »Musik & Kunsw. Und wic cs der Zufall wolltc, tagten hier gcrade 30 Bfirgcrmeister dcs Kreiscs, die sich zwischen den Bahá’í—Textwlinden nicht nur riiumlich niherkamen.

Mir Recht beansprucht die Ausstcllung, etwas völlig Neucs zu sein. Ihr Inhalt sind keinc Gcgenstinde, sondem chanken. Mit den Women cincsjungcn Bahá’í: »einc religiöse Wcltanschauung aufTour«. Das Leitmotiv ist die Einheit: dic Einheit Gottes, der Religioncn und der Menschheit. Diese Haltung spiegclt sich in der Form der Présentation. Der Besucher bctritt einen verwinkclten Raum. Neun Nischen laden ihn ein, sich in einzelnc Themcn zu vertiefen - Themen wic Gott, Natur, Wahrhcit und Weltordnung. Das allcs fiBt die Einheit des Raumes zusammen.

Jede Nische enthält Textc von Bahá’u’lláh und ein großformatigcs Gemilde. Aus Sicht der Bahá’í sind die Worte ihres Stiftets gétt

















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lich inspiriert; sie sollen Lösungen bictcn für die politischen, sozialen und 6kologischen Problemc einer Welt, die zusammenwiichst. Wohlgemcrkt, es sind geistige, manchmal mystische Antworten, gedacht als Grundziige einer neuen, globalen Ethik. Jeder einzclne wird aufgerufcn zu Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit und dem Plancten.

I AufDauer im Rathaus Offenbach

Die Bilder hclfen dem Betrachter, sich in die Tcxte zu vcrsenken. Es sind abstrakte Gemilde, die den Aufbruch in eine neue Zeit ankfindigen. Gemalt wurdcn sie von Ute Wilke—Enders, einer Biihnenbildnerin aus Freiburg, undVolker Hofimnn aus Augsburg, Chefgcstalter eines großenModchauscs. Beidc sind Bahá’í. Der 52—j2ihngc schildert seine Arbeitsweise so: »Ich habe zuczst die Tcxte gelesen, dann mach einer spontanen Idec gcmalt. Die dunklcn Farben symbolisieren die altc Epoche, während die hellen Téne für Hoffnung und Zukunft stehem.

Daß die Kiinstlcr den richtigcn Stil getroffen haben, um die rcligiéscn Texte zu illustrieren, zeigt die Resonanz der Besucher. Besonders freut sich Volker Hofmann über cine Reaktion aus Offenbach: Oberbürgermeistcr Wolfgang Reuter war so angetan von den Bildem, daß er sich ein Exemplar furs Rathaus wünschtc. Ein Anliegen, dns die 6rtlichen Bahá’í sofort weitergabcn. Und Volker Hofmann griffgcmc emeut zum Pinsel, den Offenbachem ein Duplikat zu malcn.

W0 immcr sie aufiaucht, liiBt die Ausstellung ihr Publikum nicht unberührt. Ob Tauscnde kommen — wie auf dem Berliner

Alcxanderplatz — oder nur einigc Dutzcnd, stets crgebcn sich wcrtvolle Gespriiche und bleibende Kontakte. Das Giistebuch ist voll des Lobes, der Danksagungen und der guten Wünsche. Und das in mehr als zelm Sprachen, darumer Arabisch, Hindi, Russisch und Esperanto. Hier manifestiert sie sich bercits im Kleinen: die große Vision von der einen Welt.

Inzwischen hat die Présentation rund 30.000 Kilometer im Lastwagen zurückgelegt. Am Steuer saB meist Gerhard Jung, der technische Leiter amEuropiiischen Bahá’í-Haus der Andacht in Hoflleim/Taunus. Siebzigmal hat er die 1,2 Tonnen schwere Konstruktion aufoder abgebaut, Rekordzcit; zweieinhalb Stunden.

Am licbsten erinnert sich Gerhardjung an die Fahrtcn nach Ostdeutschlzmd. »Dort hatten die Leute wirklich ein offcnes Herz.« Gcrade in den neuen Lindem gelang es derAusstellung, verbreitete Vorbehalte gegcnüber der Religion abzubauen. 1n dicsem Sinne begrüßte der Biirgcrmcistcr im sichsischen Waldheim, Karl—Heinz Teichert, die BahiiInitiative nicht nurals kulturelle Bereicherung, sondern als ernsthaften DenkanstoB: »Denn wir alle hier in den neuen Bundesldndem stehen in einem sehr schwierigen Prozeß einer neuen Wertbildung. Die ncuc Wertbildung aber ist nicht nut in Ostdeutschland gefragt. Weltweit müßte eine Kultur der globalen Veranrwortung cntstehen. Dem kann sich nicht cntziehen, wcr die Schöpfung als Ganzes begrcift. Und deshalb ist der Ausstcllung zu wünschen, daß sie noch lange wandert — und ihre Spuren zieht. Cl


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Die erste große Présentation der Ausstellung fand im Kursaal der Stadt Wiesbaden im Juni ‘ 1992 statt. Die Vorbuchungen reichen bis weit ins Jahr 1995 hinein.

In Ostdeutschland nicht nur als kulturelle Bereicherung begriiBt, sondern als wichtigen DenkanstoB: »Denn wir alle hier in den neuen Bundesländern stehen in einem sehr schwierigen Prozeß einer

neuen Wertbildung.Karl-Heinz Teichert, Bürger meister der séchsischen Stadt Waldheim



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Teilnehmer der dritten Konferenz der lnternationalen Gesellschaft zur Entwicklung von Landwirtschaft und Ackerbau, eine Vereinigung von Bahá’í-Fachleuten, die hier bei ihrem alljéhrlichen Treffen letzten November in der Schweiz {Ur ein Gruppenfoto zusammenrückten.

».&rzte und Landwirte müssen auf einer gewissen Ebene zusammenarbeiten, damit jeder eine genauere Vorstellung davon bekommt, was gesunde Nahrung ist, wie sie hergestellt wird und wie eine 6rt|iche Nahrungsmittelproduktion zu Gesundheit und Wohlergehen einer Gemeinde beitragen kann. Sally Jamir

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Konferenz über Ernéihrung und Landwirtschaft betont interdisziplinfiren Ansatz


WIENACHT, Schweiz. ~ Die viclschichtigc und bedcutendc Rollc der Landwirtschafi für menschliches Leben und Wohlergehen war zentrales Thema dcs dritten Treffens der Intcmationalen Gescllschaft zur Entwicklung von Landwirtschaft und Ackerbau (International Society for Agriculture and Rural Development; ISARD), das vom 22. — 28. November 1993 im Konferenzzentrum Landegg Academy smttflmd.

Rund 30 Teilnchmcr aus 10 Landem hörten insgcsamt 1 1 Vortriige und 5 Podiumsdiskussionen und konmcn cinige Video—Prfisentationen zu dicscm Thema sehen.

Die Tagesordnungspunkte reichtcn von tcchnischen Darlcgungen zur Mincralstoffanreicherung dcs Bodcns über Diskussioncn zu Biotechnologien bis zur Vermarktung landwinschaftlicher Produkte. Teilnchmcm zufolge entwickelte sich auBcrdem ein speziellcs Thema aus dem ZusammenfluB von Ideen untemchicdlichcr Dcnkrichtungen aus den Bereichen der Emihrungslehre und der Landwirtschaft — ein ZusammenfluB, der das eigcntlichc Kennzcichen eines solchen Treffens von Bahá’í—Fachlcuten ist.

»Die Konfercnz zeigte den Zusnmmenhang zwichen Landwirtschaft, Gesundheit und Emillrung<<, bcnchtct Sally Jamir, eine Expertin für Landwirtschaftslehre aus den USA. »Die Tcilnchmetschar war eine wunderbare Mischung von Landwirtschaftscxpcrten, Emiihrungsspczialistcn, Gemeindcverwaltungsangestcllten und Landwirtcn. .. Für Bahá’í ist es wichtig, die untetschiedlichen Sichtwcisen und ihre chhselwirkungem in einer Gemcinde zu berücksichtigem, crkliirtc Frau Jamir. »Der Bahá’í—Ansatz be ruht auf der Wahmehmung, daß Ame und Landwinc auf einer gewisscn Ebene zusammenarbeiten müssen, damit jeder eine genauere Vomtellung davon bekommt, was gesunde Nahrung ist, wie sie hergestcllt wird und wie eine 6rtlichc Nahrungsmittelproduktion zu Gesundheit und Wohlergehen einer Gemeinde beitragen kann. Der Konferenzleiter Iraj Poostchi, ein Expcrte für Landwirtschaftsentwicklung aus England, erkliirte: »DieVortriige und Darbietuugen auf diesem Trcffen cnthalten den Samen für eine ncuc Vision von Landwirtschaft aufdiesem Planetcn. Landwirtschaft ist in der Tat die Grundlage der Weltwirtschaft, denn kein andercr Industriezwcig beschifiigt wcltwcit so viclc Mcnschen.« Er fiihrtc wcitcr aus: »Zukiinftige Landwirtschafr muß sich von ihren Wurzeln aus auf Dérfcr und landwirtschaftlichc Betriebe ausrichtcn, so etwas kann nicht von oben herab verordnet werden. Das gegenwlirtigc System von Subventionen für die Landwirtschaft kann nicht weitcr aufrcchtcrhalten wcrden. Alfred K. N eumann, Professor für Gesundheitswesen, und Geraldine S. Robarts, Verwaltungsangestellte, erkllirtcn: »Was wir bmuChen, ist ein vielseitigcr, auf Familic und Gemeinde bcruhender Ansatz, der Gesundheit und Emfihrung, Kapital und Management, soziale Komponenten wie Glcichheit der Geschlechter, univemellc Erziehung, offenc und gleichberechtigte Beratung, ethische und geistigc Lehren und Diskussionen einbezicht, um zu einem wciscn Gcbmuch neuer Einnahmequellen und zur Festigung der Einhcit in Familie und Gemeindc zu gelangcn.« D

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Zur Situation der Bahá'l

Sic stellen die grb Bte rcligio'se Minderheit im Land und werdcn in deerrfassung des Iran dennoch nicht zu den »schutzwürdigen religiösen Minderhei[em (Art. 13) gezählt, was in einem nicht—séikularen Staat drastischc Folgcn hat. Seit 15 Jahren werdcn die Bahá’í in

der Islamischen Republik Iran einzig und allein aufgrund ihrer Religionszugeho'rigkeit systematisch verfolgt, untcrdrückt und diskriminiert.

I UNO-Resolution zu Bahá’í

Im Dezember 1993 vcrabschicdctc die Vollversammlung der Vereinten Nationen cine Resolution, mit der sie ihre tiefc Besorgnis über die anhaltendc Verletzung der Menschenrechce in der Islamischen Republik Iran, cinschließlich der Verfolgung der Bahá'iGemcindc, zum Ausdruck brachte. Die Resolution mahnt, daß aufgrund der Diskriminierung der Bahá’í im Iran, ihrc »Existcnz als lcbensfhhigc religiéise Gcmcinschaft bedroht ist« und mach: unmiflvexstiindlich klar, daß die Weltgcmeimchaft sich der Verfolgung der Bahá’í einzig aufgrund ihrer Religionszugehérigkeit bcwuBt ist, trotz gegentciliger Bchauptungen der iranischen Regicrung.

Daß sich die Situation der Bahá’í im Iran nach wic vor nicht bcruhig hat, bestätigte der Bericht des UN-Sonderbcauftragten Galindo Pohl, an die dicsjiihrigc Sitzung der UNMenschenrcchtskommission in Genfim Februar 1994. Es sei angebracht, bckriiftigte er, die Situation der Menschenrcchte in der Islamischen Republik Iran auch weiterhin international zu fibcrwachen.

I Hinrichrungcn, Inhaftierungen...

Seit 1979 wurden über 200 Bahá’í hingenchtct, Hunderte gefangcngesetzt. Andere sind vexschwunden und vcrmutlich nicht mehr am Leben. Willkfirlichc Verhaftungcn dauem an.

Nach cincr Pause von eineinhalbjahrcn, in der keine Hinrichrungen zu bcklagen waren, wurde Bahman Samandm, cin Mitglicd der Bahá’í-Gemeinde im Iran, am 17. Mirz 1992 fwgenommen und am nichsten Tag im Teheraner Evin—Gcfingnis hingcrichtct. Der Sumsanwalt nannte als Hauptanklagcpunkt Spiomgc. Wic gewöhnlich wurden kcinerlei Beweise erbracht. Bis aufglen hcutigen Tag hat man seine sterblichen Überrestc nicht seiner Familie übergeben.

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1m Iran

Im August 1992 wurde bekannt, daß zwei Bahá’í aus Karaj, beide seit April 1989 ohnc formalc Anklage oder Verhandlung inhaftiert, von einem Islamischen Revolutionsgcrich: zum Tode verurtcilt wutden. Zwar wurdcn die Todesurteile in einechrufungsvcrfiahrcn aufgehoben, im November 1993 nahmj edoch ein andercs Teheraner Revolutionsgcricht die Fille wieder auf und verhängtc emcut Todesurteile. 1m Urteil vom 23. November 1993 heißt es: »Aufgrund religiöser Gesetze und theologischcr Normen kénncn die Angeklagten nicht zu den bcvorzugtcn und gcschfitzten Ungliiubigen (kuflhrc-dhimma) gerechnet werden, und daher vcrurteilt das Gericht sie zumTodc als nichtgcschiitzte Ungliiubigc, die sich im Kfieg mit der muslimischen Nation befinden. I Verfolgungcn daucm an

Auch wcnn die Zahl der Hinrichtungen in den letzten Jahren abgenommen hat, sind immer noch zahlreiche und schwcrwicgendc Fille von Verfolgung auszumachen.

So sunden im September 1993 zwei Brfider aus Shar Rey, einem Dorfbei Teheran, vor Gericht, wcil sie einen Bahá’í ausgcraubt, stranguliert und anschließcnd verbrannt hattcn. Obwohl der Tat überfiihrt, sprach sie das Gericht vom Vorwurf des Mordes frei und verurteilte sie lediglich wegen »St6rung der öffentlichen Ordnung<< zu einer18—monatigen Gcfiingnisstrafc, die sie bereits durch die Untersuchungshaft zum Großtcil abgcsessen hatren. In dem Uneil wird ausgcfiihrt, daß »cin Moslem nicht für die Tétung eines Ungliiubigen bestmft werdcn darf«.

Bahá’í—Friedhéfc, Hciligc Stitten, historische Pliitzc, Verwaltungszentren und andercr Besitz bleiben seit 1979 konfisziert Oder wurden zerstört. ImJuni 1993 bcgann man auf dem großcn, zcntmlen Bahá’í-Friedhof in Tehcmn, das Geliinde von Bulldozem aufreißen zu lassen, um dnrauf ein islamischcs Kulturzentrum zu crrichten. Dabei__ wurden Grüber geéflhet, die sterblichen Überrcste cxhurniert und an cincn unbekannten Orr verbmcht. Protesten bcgegneten die iranischen Bchérden mit widersprfichlichen Aussagen und Erklärungcn.

Dcr Ffiedhof, behauptetcn sic, stelle eine Geffihrdung der éflcntlichen Gesundheit dar. Außerdcmscicn mchrcre muslimische Friedhéfc von iihnlichen Umwandlungs—Projckten bctroflcn. Es handclc sich um eine Maßnahme der Stadtplanung. Einige Beamte gaben an, die Absicht dcs Projekts liigc darin,


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In einem Urteil eines Teheraner Revolutionsgerichts vom 23. November 1993 heißt es: »Aufgrund religiöser Gesetze und theologischer Normen können die (Bahá’í—)Angeklagten nicht zu den bevorzugten und geschfitzten Ungléiubigen (kuffar—e-dhimma) gerechnet werden, und daher verurteilt das Gericht sie zum Tode als nicht-geschfitzte Unglfiubige, die sich im Krieg mit der muslimischen Nation befinden. In einem anderen Urteil gegen zwei muslimische Brüder, die des Mordes an einem Bahá'l überfijhrt waren, wird ausgeführt, daß »ein Moslem nicht Für die T6tung eines Ungléiubigen bestraft werden dark.


[Seite 20]Ein 1993 vom UNSonderbeauftragten Galindo Pohl verBffentlichtes Geheimpapier, das bereits am 25. Februar 1991 vom Obersten Revolutions-Kulturrat erlassen wurde, setzt Richtlinien für die Handhabung der »Bahá’í-Frage« fest. Das Schriftstfick formuliert einen Plan zur gezielten Achtung und umfassenden Diskriminierung der Menschenrechte von Bahá'l. Zudem wird empfohlen, »die kulturellen Wurzeln der Bahá'l außerhalb des Landes anzugreifen und zu zerstören<<.

Faksimile des am 25. Februar 1991 verabschiedeten geheimen Beschlusses des Obersten Revolutions-Kulturrates Irans.

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die Unebenhcitcn des Bodens (ca. 20—30 cm) von über 30 Jahre alten Grfibcm auszugleiChen. Mit diescn gcgensitzlichen Aussagen konnte ein unglaublicher Akt der Diskriminierung gegen die Bahá’í—Gemeinde im Iran nicht vertuscht werden. Ungefiihr 15.000 Gribet wurdcn infolge dieser Maßmhmen entweiht.

In ganz Iran stoBen Bahá’í aufSchwierigkeiten, wenn sie ihre Toten begraben oder Griber identifizieren _wollen. Sic haben 1ediglich Zugang zu Odland, das von den Bchérden fürsie bestimmt wurde. Den Bahá’í ist es nicht gestattet, die Griber ihrer Angehörigen zu kennzcichnen.

I Wirtschaftliche Situation

Die Beschlagnahmung von Eigentum ist eine der Methodcn der Regicrung, um die wirtschafiliche Grundlage der Bahá’í systematisch zu untergraben. Bahá’í-Eigcntumsrcchte warden allgemein mißachtet. Dazu gehörten im Laufe der Jahrc immer wieder willkfirliche Beschlagnahmungcn von Privat— und Geschfiftsbesitz von Bahá’í, einschließlich Hiiuser und Gehéfte. In einer Reihe von Füllen wurden die Bewohner zusitzlich schikaniert.

Vielen Bahá’í im Iran bleibt weiterhin die Möglichkeit vcrsagt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So wurden Anfimg der 8061' jahre über 10.000 Bahá’í wcgen ihrcr Religionszugehérigkeit 2113 B631th entlassen. BahziiPensionire erhaltcn keine Rente Oder milssen gar alle jelmls bczogenen Gehiilter zurückzahlen. Bahá’í dfirfcn in der Regel offiziell kein Gcschifi Oder Untemchmen créfll nen.

I Keine Bfitgerrcchte Der Bahá’í—Glaube wird in der Verfissung des Iran nicht zu den »schutzwürdigcn religi6scn Minderheitem (Art. 13) geziihlt. Dadurch sind beispiclsweise weder Bahá'iE11611 noch Schcidungcn im Iran rcchtswirk


sam. Bahá’í blciben vom Erbrecht ausgcschlosscn. Bahá’í steht cs nicht grundsiitzlich frei, außerhalb des Iran zu reisen. N ur in Ausnahmeffillen ist es möglich, Reisepiissc und Ausreisevisa zu crhalten.

Die bewußte Zerstörung des Bildungsniveaus der gesamten Gemcindc ist eine weitcrc schwerwiegendeDiskriminierung. Einer ganzen Generation von Bahá’í wurde die Chance zu héhcrer Bildung verwehrt. Seit über 13 Jahren sind Bahá’í-Jugendlichc von Hochschulen und Universititen ausgeschlosscn.

I Existenz als lebensfhhige rcligifise Gemcinschaft bedroht

Wihrend der vergangencn lOJahre wurde den Bahá’í das Versammlungsrecht sowic das Recht, ihre administrativen Körperschaften zu wiihlen, vorcnthalten. Bedenkt man, daß der Bahá’í-Glaubc keinen Klerus kennt, bedroht das Verbot dieser gewählten Gremicn die Existenz der Bahá’í—Gemeinde als lebensfihigc rcligiése Gcmcinschaft.

Die systematische Verfolgung der Bahá’í ist Regierungspolitik. Ein 1993 vorn UNSonderbeauftragten Galindo Pohl veröffentlichtes Geheimpapier, das bereits am 25. Februar 1991 vom Obersten Revolutions—Kulturrat erlassen wurde, sctzt Richtlinicn für die Handhabung der »Bahá’í-Frage« fest. Die Regierung solle sich den Bahá’í gegeniibcr »in einer solchen Weise verhalten, daß ihr Fortschritt und ihrc Entwicklung vcrhindert wird«. Das Schriftstiick formuliert einen Plan zur gezielten Achtung und umfasscnden Diskriminicrung derMenschenrcchtc vonBahá‘i. Zudem wird empfohlen, »die kulturellen Wurzeln der Bahá’í außerhalb des Landes anzugrcifen und zu zerstérem. Das Dokument wurde von Ayatollah Khamenei, der höchsten geistlichen Autoritiit des Iran, gegengezeiclmet.

I Die gréBtc rcligiésc Minderheit im Iran

Mit ca. 300.000 Mitgliedem ist die Bahá'iGemeinde die gréiBte religiöse Minderheit im Iran. Sic stellt für die iranische Führung keine Bedrohung dar. Nach den Prinzipien des Bahá’í—Glaubens sollen sich die Bahá’í ihrer jeweiligcn Regicrung gegenüber loyal verhalten. che Form parteipolitischer Aktivitit ist untersagt.

Die Bahá’í im Iran vcrlangen keine bcsonderen Privilegien. Sic wollen lcdiglich ihrc Rechte im Rahmcn der Allgemeinen Menschenrechtscrklirung wahmehmen: das Recht aqueben, das Recht aufFreiheit und Sicherheit der Person, das Recht aufBildung und Arbeit und das Recht, sich zu ihrer Religion

zu bekennen und sie auszuüben. D


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Menschenrechte als Politikum


Ein Essay von Christopher Sprung


Menschenrechte, ihrc Verletzung, dicEinforderung ihrer universellen Giiltigkeit, sind hcute wcltweites Politikum ersten Ranges geworden. Menschenrcchtc werdcn immer stirker und ungcnierter verletzt. Verfolgte wollen, daß politischer Druck auscrfolgcr ausgeiibt wird. Verfolger wollen nicht vor aller Welt stigmatisiert werden. Niermnd kann sich inzwischen den Argusaugen der Menschenrechtskomission der Vereintcn Nationen, intemationalcr Menschenrechtsorganisationcn und der Mcdicn entzichen. Ihr Drucktrugsichcr dazubei, umdieRegierungenwcstlicherLänderzu bewegcn, die Frage nach der Einhaltung von Menschenrechten über stifle Diplomatic hinaus zu den essentials intematiomler Beziehungcn zu befdrdcm.

Die Thematisicrung der Menschenrechtc durch Regicrungen ist aber zweifelsohne weit mehr als bloße Pflichtfibung. Der Katalog individuellchenschemechte entspricht durchaus der cthischen und polituchen Grundiibcrzcugung der Staatswesen, aufderen Grundlagc diejeweiligcn Regierungcn handeln. Zuglcich sind Mcnschcmechte aber der Gemengelagc handfestcr Politik ausgcsctzt: die Ausübung diplomatischen Drucks in Menschenrcchtsfragen dicnt oft als Begleitung zur Durchsetzung von thematisch nicht unmittelbarvcrkniipften lnteresscn. Exscheinen diese scparaten lntercsscn - zumcist handelt gs sich um wirtschaftlichc Oder gcopolitischc Überlegungen - als übergeordnet, kann dies zur Relativierung der Mcnschenrcchtsfrage führen. Menschenrcchte bewcgcn sich mithin im politischen Raum Der Gefilhr der Instrumentalisicrung können sie sich scltcn ganz entziehen, sie habcn jedoch das Potential, kontinuierlich die Glaubwürdigkeit politisch Handelnder auf den Priifstand zu stellen.

Trotz dieser sensiblcn Positionierung der Menschenrechtc ist kaum zu leugnen, daß

Menschenrechte seien nicht mehr universe„ gala}, sondem kulturell bedingt: Diese These wird van zahlreichen Staaten mit Vehemenz vertreten,

insbesondere aus dem islamischen ,Raum. Das Essay van Christopher Sprung bezieht sich daher vomehmlich auf den von Islamisten aujgebauten neuen »Kampf der Kulturen «.


westliche Stimmcn, die sich für ihrc Einhaltung andemprts einsetzen, dies aus crusthaficr innercr Überzcugung tun. Sic wollcn damit nicht ihr wcstlichcs Kulturvcrstlindnis und Menschenbild exponicren, sondcm von Intoleranz und Diskriminicrung Bctroflcnen hclfen, selbst wcnn im wcstlichen Heimatland glcichfills nicht allcs zum besten steht. Glcichwohl wird mitVorlicbc von Verfolgcrstaatcn und dercn Apologcten behauptet, der Einsatz um das Schicksal von Menschen, die doch in einem vomWesten unterschiedlichen kulturellen Kontext lebtcn, sei nur vordergriindig humanitfir: In Wahrheit gehe 63 um den TmmportwestlicherWertc, Bcgfifle und Motive der Menschenrcchtc cntstammten allein dem Christentum und der westlichen Kultur.

Doch Menschenrcchtc einzufordcm, dicnt zualleremt dem Willen des Verfolgten, der seinen gescllschaftspolitischen, bürgerrechtlichen Raum geradc durch die Maßnahmen dcs Verfolgcrs verlorcn hat. Es wire ein Fehlcr, sich von den Verfolgem die Diskussion eines neuen Kämpfes der Kulturen aufdrfingen zu lassen. D25 Terrain dcs Schrckkens ist dort, wo verfolgt wird, nicht abet zwischen den Kulturcn.

Dem aus politischen Gründen Inhaftiertcn, dem aus rcligiéscn Grfinden Verfolgten kommt es allcin darauf an, daß die zumeist smatlich verordncte Oder gcduldete Einschrinkung seiner individuallen Frcihcit aufgchoben wird. Gelegcntlich, etwa im Falle der Bahá’í im Iran, tritt der Wunsch nach Organisationsfreiheit für die Religionsgemeinschaft hinzu. Diescn Interessen steht allcrdings gegenüber, (1:18 beispielsweise dem islamisch organisiertcn Stan: per se I'Ieilscharakter innewohnen 3011 (so zumindest die Sicht dcs Staatcs als Gemeinschaft der Gläubigen, als umma, und der schana als für alle schrankenlos gcltcndes Gcsetz). Das Individuum, das sich


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E5 wdre ein Fehler,

sich von den Vérfolgem die Diskussion eines neuen Kämpfes der Kulturen aufdrdngen zu lassen.

Das Terrain des Schrecleens ist dart, wo veflolgt wird, nicht aber zwischen den Kulturen.


Die Ausübung

diplomatischen Drucks in Menschenrechtsfragen dient oft als Begleitung zur Durchsetzung von thematisch nicht unmittelbar verknflpften Interessen.



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Wo historisch kein Prozq/I derAujkldrung in Gang kam, der das Verhiiltnis von Individuum zum Kolleletiv und zwischen Religion und Staat zugunsten von Burgerrechten und Sdkularisation hdtte kldren kannen, fehlen Tradition, Begrflfswelt und politischer Wille, um die Warde des Menschen als jenen Oberbegriflzu gestalten, aus dem Individualanspruche gegen den Staat und aufstaatlichen Schutz gegen Gewissenszugri e der Kirchen und Religionen subsumiert werden können.



Auch der Islam sieht die suchende Seele aufihrem Weg zu Catt und spricltt sit}: so far die unnachalnnliclze Einzégartigleeit, damit auch fur die aus Cort entspringende Wertigleeit des einzelnen Menschen aux, dessen Seele, zwar gefangen im irdischen Kcifig, gleiclzwolzl aus eigener Erleennmis ihr Handeln 11in zu Colt bestimmen soll.


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dieser Frcmdbestimmungz. dem Zugn'fl' auf Gcwissen, Glauben und chrzcugung cntziehcn mochte, stellt sich schon durch diesen Wunsch nicht nur gegen den Swat, sondem gegen die den Staat erst begnindcnde und somit umüssende Religion. W0 historisch kein Proch derAufldfiirung in Gang kam, der das Verhilmis von lndividuum zum Kollektiv und zwischen Religion und Staat zugunstcn von Biirgerrechtcn und Sfikularisation hätte kliiren konnen, fchlen Tradition, Begriflfiwelt und politischcr Wille, um die Wiirde des Menschen als jenen Oberbegritf zu gestalten, aus dem Individualanspriiche gegen den Stan: und auf smatlichen Schutz gegen Gcwissenszugrifi‘e der Kirchen und Religionen subsumicn werdcn konnen.

Gerade am Beispicl der Christen und Muslimc, dem Konflikt zwischen »dcm Westem und »der islamischen Welm, der neuerdings gar als »Zusammenprall der Zivilisationcm geschen wird, kann aber aufgczcigt werden, daß das Tor der Verstiindigung zwischen den Kulturcn und Gesellschaftcn nichtauwaigkeitvcrschlosscn ist. Es gibt eine Brückc, die gcrncinsam beschrittcn werden konntc. Sic muß nicht crst gcbaut wcrden. Sic ist, wie so oft, an der Quelle zu finden, am Umprung unserer Kulrur, unserer Wcrtc, unserer Religionen. So wir uns cinigen könnten, daß die Religioncn vom gleichen Catt gestiftet sind, mag auf beiden Seiten mit der Wicdercntdeckung der Gemeinsamkeiten begonnen wcrdcn. Der glciche Gott, 0b Allah oderjchova, wird den von ihm gestiftcten Religionen kaum ein widerspriichlichcs Menschenbild mit aufdcn Weg gegcbcn haben. Die Quelle jedenfiulls gibt für einen Krieg der Wcrte nichts her: Die Zcugnissc der Heiligcn Schrifien aller Religionen sprechen eine gcmeinsame Sprache, lchrcn von dem, was sie obcrflichlich und zeitbedingt trcnncn mg, ein Viclfhchcs an Gcmeinsamkeitcn.

Menschenrcchtc, wic sie in ihrerAllgemeinen Erklärung verankcrt sind, entsprechen dem allen Kulturen gemeinsamen ethischen Bild des wfirdcvollen und sclbstbestimmtcn Menschen. Die Wiirde des Menschen ist höchstes Gut allcr Religionen und Kulturen. Sclbst wenn, wie im Islam, das Kollcktiv und nicht so sehr das Individuum im Mittclpunkt gesellschaftspolitischcr und smatsrcchtlicher Vorstcllungen steht, sind Selbstbestimungund


Sclbstcntfalrung durch die Religion dcs Islam nicht etwa verpont oder vollkommen ausgeschlossen. Schließlich is: in der Viclfhlt der Schulen islamischcr Lchre eincs doch unumstritten: Auch der Islam sieht die suchende Seelc auf ihrem ch zu Gott (zu dem sic schließlich »zurückkchren« wird) und spricht sich so für die unnachahmliche Einziganigkeit, damit auch für die aus Gott entspringcnde Wemgkeit dcs einzelnen Menschen aus, desscn Seclc, zwar gefingcn im itdischen Kfifig, gleichwohl aus eigener Erkenntnis ihr Handeln hin zu Gott bestimmcn soll. Ans menschenrechtlichcr Sicht ist also noch viel deutlicher zu thematisicrcn, wie der absolute Heilsanspruch der umma and mi: ihr der scha'na mit der gleichfalls im Islam verankcrtcn Notwcndigkeit cigener Willensentscheidung des Suchers auf seincm Weg zu Gott zu versohncn ist. Einc Sichtweise, mach der die aufErden lebende Secle ihr Hcil nut fremdbestimmt flndcn konnc, also beispiclsweise bestimmt durch die Gemeimchafi (den Staat) oder die Gcistlichkeit (cine Anschauung, die im BegfiEder »Gottesherrschaft« gipfelt), istjedenfalls mit der islamischen Lehre nicht vcrcinbar. Denn sie unterstellt in gctadezu blasphemischer Qualitit, Gott wiirdc Seclcn »auf dem Weg zu Ihm zurück<< ins Lebcn rufcn, deren schließliche Annahme odeerrwerfung nicht ausschließlich durch Gott crfolge, sondem bereits auf Erden durch menschlichc Verdikte. Eine weitere Sichtweise, nach der die Seelen, die bereits Aufnahme in die Gemeinschaft Oder durch die Geistlichkeit finden, nunmchr den Weg anderer suchender Seelen vcrbindlich bestimmen oder gar mit Zwang verlangen konntcn, findet ebenfhlk keinc Grundlage in der islamischen Lehre. (Pikantcrweise konme glciches an die Adresse christlicher Kirchen gcrichtct werden, d3 dicsc aber ihrenj cwciligen I-Icilsanspruch nur noch im Binnenvcrhiilmis zu ihrcn Mitglicdcm, nicht aber mchr auf alle Staatsbiirgcr geltcnd rmchen konncn, erübrigt sich ein nihcres Eingehen auf diesc Frags.) Islamisches Staats- und Gcmeinschafisverstiindnis muß bei diesechtr-achtungswcise nicht notwcndigerwcise mit dem Individual:mspruch auffreie Selbstbcstimmung, SclbstcmfilltungundAusübungbfirgerlicherRechte kollidieren. Verinncrlichte cs gerade die oben nur fragmentmsch skizzicrtc religiose Sicht

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der Secle als suchendc, von anderen Suchem sich unterscheidendc Entitfit, von Gott kommend auf dem Weg zurück zu 111m, eine Anschauung, die ihrer Religion doch auch Hemtfick ist, so dürfte cs zur Duldung und Gewihmng dicscr Seelen in der Gesellschaft und zum Dialog mit ihnen kein waiter Weg mchr sein. Diejcnigen, die aus dicser Sicht heraus auf dem Weg sind, kiinntcn so selbst vom Islam, der sich als Gcmcinschaft der Gläubigen verstcht, nicht mehr als störendes Element empfimden wcrden.

Der Vorwurf, speziell von totalitiiren Regimen lancicrt, der universelle Geltungsanspruch der Menschenrechte sei schon deshalb grundsiitzlich in Fragc gestellt, weil er von westlicher Seite als Mittel modemen Kolonialismus benutzt wcrde und die Allgemeine Menschenrechtscrklirung ohnehin auf christlichcr, nicht universcllcr Ethik beruhe, gcht daher fchl. Gcradc weil diescr Vorwurf das religiöse Motiv für den Lebcnssinn auBcr

acht läßt, das uns der Islam und mit ihm alle Religionen offeriert, muß er als Argument rein politischen Kalkiils aufgcdeckt werden.

Im Zeitalter interreligiöscn Dialogs und beginnender globalcr Verstindigung dürfte es kaum noch Widerspruch finden zu konstatieren: Aus religiiiser Sicht hat der Mensch eine persénlichc Wfirdc vor Gott, die zu schfitzcnjedwede cthisch begründetc Gemcinschaft kraft der ihr jeweils eigencn historischen Stiftung bcmfen ist. Der Weg der Scele zu Gott is: letzclich das Motiv, in das hinein allc Religionen ihrc chrnarken und Anleitungen, ihre Gebote und, soweit sie dies wollen, ihrc Staatspolitik projizieren. Wird der individuelle ch zu Gott limiticrt, gar verhindert, indem der Weg, den manche gefunden zu haben glaubcn, andercn Scelen aufgezwungen werden sol], wird die Religion, aufdie die Zwang ausfibendc Scelen sich berufen, ad absurdum gefijhrt. CI


Susanne Schaup: >>Sophia — Das Weibliche in Gott<<

(Fortsetzung von Seite 24)

rücksichtslose Ausbeutung der Natur, der Wills zur Macht, das Prinzip des Habens stat: des Seins, Konkurrenz und Gewalt.

Susanne Schaup zcigtjcdoch auf, wie auch in der patriarchalisch gepriigten Welt Sophia immer wieder in untemchiedlichen Gestalten auftrat und sich Gehör verschaflie. Besonders eindrucksvoll sind die ungeheuer kraftvollen Visionen der Hildegard von Bingen, in denen die von Liebe durchdrungcne Sophia alle Bereiche des Dascim umfith, sowie die klaten Analysen des immer noch ist unbekannten Otfiied Eberz (1878—1958); er erkannte scharfsichtig die verhccrenden Folgen der jahmusendclangen Mißachtung des Weiblichen sowie die Notwendigkeit, das verlorene Gleichgewicht wiederherzustcllcn.

Das Wcrk von Susanne Schaup beschiiftigt sich aber nicht nur mit der Vergangenheit. Die Autorin klopft die Bcispiele der Vergangenheit systematisch auf ihrcn Bedcutungsgchalt für unserc Gegenwart und Zukunft ab. Als Ergebnis zeichnet sich für den Laser die Notwendigkeit eines ganzhcitlichen GottesbegrifE als Voraussetzung für cin ebensolches Menschenbild ab, in dem das Miinnliche und das Weibliche als Einheit in gegenscitigcr

Ergiinzung gesehen werden. Dieser »theologischc Quantcnsprung«, wie die Autonn cs nennt, ist jedoch - zumindest in der Kirche bisher noch nicht vollzogcn, wie auch insbesonderc die russischen Sophiologen erheblichc Schwiengkeitcn hatten, Sophia in das dogmatischc Gchiiuse des christlichen Gottesbildcs zu integrieren.

Aus dieser Einhcit ergcben sich weiterhin ein neuer Machtbegrifl’ auf der Basis von Gleichbcrechtigung sowie ein ncucs Geschichtsverstindnis — die Gcschichtc vcrliiuft spiralfdrmig, sich aufimmer höherc Ebenen bcwegend und um Sophia krcisend. Unserc heutige Aufgabe besteht nach Susanne Schaup darin, das Prinzip der Sophia mit Handeln zu erfüllen. Hicrfiir ist es hilfreich, sich auf die vielen Gemeinsamkeiten der vcrschiedencn Kulturen und Religionen zu bcsinnen und einen >>Grundkonsens über verbindliche ethische Werte<< zu erlangen, wie sie in allen Religioncn vcrankert sind. So bleiben die aus der Vergangenheit gewonnencn DenkzmstéiBe nicht einzeln für sich stehen, sondem miinden in für die hcutigc Menschheit fibcrlebcnswichtige Fragestellungen nach dem Gottesund Menschenbild. Insbcsondere die zwischen die einzclnen Kapitel gestellten »Meditationem dienen dazu, über verschicdcne Aspekte des Weiblichen in Gott nachzudenken. NaturgemEiB kann es hier nicht aufalle Fragen eine Antwort gcbcn, aber die Richtung ist klar. die Erkcnnmis der Einheit durch

gegenseitige Ergfinzung und die Einheit von Mensch und Natur. Yasmin Mellinglwfir Cl


Scitc 23



Islamisches Staats- und Gemeinschaftsverstdndnis muj)’ bei dieser Betrachtungsweise nicht notwendigerweise mit dem Individualanspruch auf freie Selbstbestimmung, Selbstentfaltung und Ausübung btirgerlicher Rechte kollidieren.

[Seite 24]Susanne Schaug Sophia Das Weibliche in

Gott

1994. 240 Seiten. Broschur DM 32,Miinchen 1993

K'o'se/ Verlag ISBN 3-466-20383-X

ONE COUNTRY 0 Ausgabc 2/1994


Susanne Schaup — Unterwegs zu einem ganzheitlichen Gottesbild


In ihrem neuesten Buch »Sophia - Das Weibliche in Gottsetzt sich die evangelische Publizistin mit derWiederfindung des Gleichgewichts von Logos und Weisheit auseinander


In einer Zeit, in der alte Wcrt— und Wcltvorstellungen in zunehmendem Tempo demontiert werdcn, wird untcr gliiubigen Menschen immer stärker das Leiden an dem herkémmlichen, einseitigcn Gottesbild empfunden einseitig deswegen, weil in ihm fast ausschliefilich die patriarchalischen Zfige eines strengen, strafcndcn, ziichtigcnden Gottes hcrvortrctcn, wogcgcn die Cher als »weiblich« cmpfundenen Eigenschaften Gottes seit langcr Zeit vcrdrlingt wurdcn. Da diescs einscitigc Gottesbild in uxsiichlichem Zusam SUSANNE SCHAUP






DAS WEIBLICHE VIN GOTT :



menhang mit der Entwcrtung alles Wciblichen in unscrer Kultur steht, suchen vielc Gliubigc hcute nach cincm neuen, ganzheitlichen Gottesbild, was 315 unabdingbare

Voraussctzung für eine friedvollc Zukunft

auch ein neues Menschenbild zur Folgc hat.

Im Ringen um cin solches ganzheitliches Gottesbild stellt das Buch »Sophia — Das Weibliche in Gott« von Susanne Schaup einen wichtigen Bcitrag dar. Der Weisheit kornmt hier, wic schon der Titel besagt, eine besondere Bcdeutung zu. Die Wcishcit, d.h. das Wisscn um die inncrcn Zusammenhiingc der Dingc, ist untrennbar mit der Liebe zur ganzen Schöpfung verbundcn.

Susanne Schaup erliiutert in ihrem anspruchsvollen, aber doch gut vcrständlich geschriebencn Wcrk, das sichjeglicher Polcmik enthilt, daß es schon vorjahrtausenden eine lange, blühende Tradition der Weisheit gab, und zwar in ist allen Kulturen — z.B. der igyptischen, der indischen, der chinesischen und auch der israelitischen (vgl. die Weisheitsbiicher des Altcn Testaments). Da die in der Natur waltenden schöpferischen Kriftc mit der weiblichen Schöpferkraft in engster Verbindung gesehen wurdcn, war auch der erste Begfifldcs Göttlichen zwangsliufig ein weiblichcr; die wcibliche Gotthcit brachte das Minnliche erst hervor und schließt es in sich em.

Sic [rug in den verschiedenen Kulturen die untemchiedlichsten Namcn (z.B. Isis, Maat, Demeter). Erst in spätercr Zeit — die Ursachen hierfiir sind noch nicht gcnau gekliirt — gewann der einer patriarchalischen Gesells chaftsordnung cntsprechende monotheistische Vatergott und in der Folgc auch der Logos, der eigentlich aus der Sophia erstuhervorgegangen war, immcr stirker die Überhand, his Sophia sich schließlich im Logos fist aufléste. Die Folgc der Vcrbannung Sophias aus Gottes Wesenskem waren seither die (Fortsetzung auf Seite 23)


Seitc 24