[Seite 1]U r Geulnnken lür eine lrieullithe Well,’ ‘
Hi. I / 2007
Erziehung zum Frieden
lst Frleden eln unerrelchbares Ideal?
Was slnd dle tlefd;I'Jndlgen Bedlngungen
des Unfrledens? K
Wle kann man mehf Frleden In elne
unfrledllche Welt brlngen?
Zum Frleden erzlehen: V Elne globale Aufgabe "
Nachdenken über Frleden elnlge praktlsche Ratschlage
[Seite 2]Liebe Leserinnen und Leser
Die Lage der Welt ist in den letzten Jahren unsicherer und unkalkulierbarer gewdrden. Kriege sind léngst nicht mehr bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen etwa gleichstarken Staaten. Ethnische Lind religidse Konflikte, Bandenkriege, Wirtschafts— Lind Handelskriege, Informationskriege u. ĉi sind neue Formen von Konflikteni vvelche mit militerischen Mitteln kaum zu bekämpfen sind. l\/lit dern ,,internatidnalen Terrorismus“ bedrohen heute private Akteure nicht nur die Sicherheit der Staaten, sdndern auch das Leben derNormalb L'1rger. Dennoch — oder vielleicht deshaib — ist heute die Sehnsucht nach
einem friedlicnen Zusammenleben der Menschen lebendiger denn je.
Der Anspruch der Demokratien, Frieden in der Welt zu fijrdern, kann heute nicnt mehr ernst genommen werden. Hegemoniaie Bestrebungen, zunehmende Rijstungsausgaben, Entwicklung der neuen Waffentechnologien Lmd eine generelle Verherrlichung Lmd Asthetisiemng der Gewalt sind Bevveise dafilr. Die Berichte der Friedensinstitute zeigen deutlich, dass durch die müitérischen Eingriffe der letzten Jahre ,,die Verheltnisse sich nicht nachhaitig gebessert, sondern in den meisten Fallen sogar desastrés entwickeit hétten?‘ Die \/erbreitung von i\/lassenvernichtungswaffen konnte nicht eingeschränkt wer den, sondern hat sich im Gegenteil bemhleunigt.
Diese Tatsachen veranlassen uns viei tiefgrtindiger als bisher fiber die Ursachen der Gewaitanwendung nachzudenken. Wie kann der Mensch seine Machtansprtiche und Aggressionen unter Kontrolle bringen? Wie können wir uns vor Gefahren des religidsen Fundamentalismus schtitzen? Die Geschichte beweist, dass die Sicherung des Friedens durch die Politik nie dauerhaft gewesen ist. ,,Wer den Frieden will, ruste zum Krieg“. ix/lit dieser Losung wurden im Laufe der Jahrtausende sténdig Kriege geftihrt und l\/iüiionen Von Menschen auf dem Schlachtfeid geopfert.
Friede kommt nicht mit Gewait. Die Schaffung einer friedlichen Welt setzt vor allern die Erziehung zum Frieden auf globaler Ebene voraus. Dies were ein geistig—moraüscner Prozess, der viel tiefgreifender wirken soil ale blofie Appeüe zur Versdhnung, Toleranz und Achtung der l\/ienschenrechte. Die Friedenserziehung soil zum fundamentalen Mentalitétswandel in Bezug auf jegliche Formen von ,,l<ampf“ Lind ,,Gevvaltanwendung“ führen. Wir hoffen, dass die vorüegende Nummer unserer Zeitschrift einige Anre gungen in dieser Flichtung vermitteln kann.
Farah Dustdar
[Seite 3]Der Wandel cles Krieges:
Von der Symmetrie zur Asymmetrie
Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes schien die Herstellung einer globalen Friedensordnung in politischer Reichweile. Die Weltlage nat sich aber im Gegensatz zu den hocngesteckten Erwartungen der frühen 1990er Janre ganz anders enlwickell. ,,Die Perspeklive auf die Abschaffung des Krieges ist — vorléiufig jedenfalls — wieder durch die Vorslellung VOl'l dessen besténdigen Wandel erseizt worden.“2 Die Lage der Welt ist heule in den Augen mancher Beobachter bedroh|lcner und unberechenbarer als zur Zeit der Blockkonfrontation.
Das Zeitalter der symmelrischen Kriege, d. n. Kriege zwischen V<")lkern und Nationen, die nahezu gleich stark sind, scheint vorbei zu sein. Heuie werden die Staaten vlel mehr Von Gruppen herausgeiorderi, Von Partisanen, Von welt vernetzten Terrororganisationen. Diese Art von asymmetrischer Kriegsführung folgt anderen Gesetzm.‘-iBigkeiten. Da die kleineren Gruppen und Terrororganisalionen nichl auf gleicher Ebene mit den Staaten kéimpfen ktonnen, greifen sie sténdig zu andern lvlethoden und lvlilteln. Die asymmelriscnen Kriege werden ganz anders geführt. Entsprechend sollen sie auch anders beurteilt und bekémpil werden.
Die Benauptung ,,der Westen müsse aufrüsten, um den Terrorismus zu bekémpien“ scheint vielen logisch denkenden Menschen unplausibel. weil die hoch lechnisierle Rüstung für andere Formen der Auseinandersetzung geschaffen wurde, lür den Kampf zwischen gleichgearteten und ebenbtlrügen Gegnern. Das Friedensforschungsinslitut V0l’l der Universitét Kiel zieht aus den Erfahrungen der letzten Jahren den Schluss: .,Mi|ileirische Großangriffe - die zwangsléiuüg keine Unterschiede machen -, sind nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch nutzlos im Sinne der Von den Akteuren postulierten Zie|e.“3
Elne weitere Gefahr für den Frleden scheint heule die Ausweilung der Nuklearwaffen zu sein. Ob die Rtlstungskontrolle die unfriedliche Lage der Welt bessern wlirde, scheint héchst fragwtlrdig. “Die Abschaffung der Atomwaffen, das Verbol der Verwendung Von Glftgas oder die Achtung der bakteriellen Kriegsführung werden die eigentlichen Kriegsursachen nichl beseitigen.“ Diese Zeilen stammen aus einer Stellungnahme der Bahá’í-Gemeinde zum Jahr des Friedens 1985. ,,Die Völker slnd erfinderisch genug, um noch ganz andere Formen der Kriegsführung zu ersinnen und in ihrem endlosen Streben nach Vormachl und Herrschaft, Nahrungsmittel, Rohstoife. Finanzen, industrielle lvlacht, ldeologie und Terrorismus als lnstrumente zu ihrer gegenseitigen Vernichtung einzusetzen.““ Solange die Gewaltanwendung als legilime Methode der Konfliktregullerung auch innerhalb der westlichen Demokratien akzeptiert ist, wird Frieden in der Welt keine Chance haben.
Religion als Instrument der Kriegsfijhrung?
Der demokratische Frieden, d.h. lriedliches Zusammenleben in plurallsüschen Gesellschaften let in Europa erst durch die Trennung V0l’l .,Staat“ und .,Klrche“ möglich geworden. während die Religion als Ursprung der moralischen Werte und sozialen Normen auch innerhalb
[Seite 4],,Gefangen in der ständigen Beschaftigung mit Angelegenheiten,
die menschliche Energien zerstreuen und verpu/fen lassen, haben religiöse Institutionen allzu oft
die Menschen davon abgehalten,
die Wirklichkeit zu erforschen und
Von all den intellektuellen Fcihzgkeiten Gebrauch zu machen, durch
die die Menschheit sich auszezchnet. Die Verurteilung Von Materialismus und Terrorismus ist bei
der Bewéiltigung der gegenwcirtzgen moralischen Krise keine echte
Hilfe, wenn sie nicht zuallererst
darauf eingeht, dass die religiosen Institutionen ihrer Verantwortung nicht nachgekommen sind
und die gléiubigen Massen diesen
Einfliissen schutzlos ausgeliefiert
..6 haben.
der Liberaldemokratien eine wichtige Rolle gespielt hat und noch immer spielt. Denkt man in diesem Zusammenhang nur an die christlichen Parteien, die seit Beginn der Parteiendemokratie ihren Beitrag geleistet haben. Gefahrlich wird die Religion aber dann, wenn sie in die Privatsphare des Menschen eindringt oder im Fundamentalismus ausartet und für politische Zwecke mobilisiert und missbraucht wird.
Fundamentalismus bedeutet hegemonialer oder monopolistischer Anspruch einer Religion über andere Glaubensrichtungen und darüber hinaus über nicht religiose Positionen in der Politik. Der religiose Fun damentalismus ist daher tendenziell intolerant und nicht mit Demokratie vereinbar. Demokratie braucht hingegen einen gewissen Relativismus. Die Gefahrdung der Freiheit durch den Absolutheitsanspruch der großen Weltreligionen, vor allem Judentum, Christentum und Islam, ist seit einigen Jahren der Gegenstand einer Reihe von Publikationen. Die Diskussion über die Gefahren des Fundamentalismus führt uns zu den Fragen: An was sollen wir glauben? Welche Rolle spielt die Religion in der modernen Gesellschaft?
In den letzten Jahren ist immer wieder über die Rolle der Religionen bei den politischen Konflikten nachgedacht worden. Einige sehen im Ex-klusivitatsanspruch der großen Weltreligionen die eigentliche Ursache der Konflikte. Andere bemühen sich, gerade die friedensstiftende Kraft der Religionen zu betonen und Krieg im Namen der Religion als deren Pervertierung aufzuzeigen. In einer Botschaft an die religiosen Führer der Welt, die das oberste internationale Gremium der Baha’iGemeinde, ,,das Universale Hauses der Gerechtigkeit“ im April 2002 veroffentlicht hat, werden die Geistlichen aufgerufen, eine grundsatzliche Neuorientierung vorzunehmen und ihre Ansprüche auf Ausschließlichkeit oder Endgültigkeit aufzugeben um damit den religiosen Konflikten die Nahrung zu entziehen.
,,Tatsachlich scheint das Prinzip des evolutionaren Wesens von Religion ein den Schriften der meisten großen Religionen innewohnendes Merkmal zu sein. Was moralisch nicht gerechtfertigt werden kann, ist der Missbrauch kulturellen Erbes, das ursprünglich das geistige Sein bereichern sollte, als Mittel, Vorurteile und Entfremdung zu erregen. Die Hauptaufgabe der Seele wird immer sein, die Wirklichkeit zu erforschen, in Ubereinstimmung mit den Wahrheiten zu leben, von denen sie überzeugt ist, und den Bemühungen anderer, dasselbe zu tun, vollen Respekt entgegenzubringen. [...] Die Krise erfordert von den Führern der Religionen einen Bruch mit der Vergangenheit [...] “5 Nach der Bahá’í-Auffassung sollte ,,die Religion alle Herzen vereinen und Krieg und Streitigkeiten auf der Erde vergehen lassen, Geistigkeit hervorrufen und jedem Herzen Licht und Leben bringen. Wenn die Religion zur Ursache von Abneigung, Haß und Spaltung wird, so ware es besser, ohne sie zu sein, und sich von einer solchen Religion zuri]ckzuziehen, ware ein wahrhaft religiöser Schritt. Denn es ist klar, daß
[Seite 5]der Zweck des Heilmittels die Heilung ist, wenn aber das Heilmittel die
Beschwerden nur verschlimmert, so sollte man es Iieber lassen. Jede
Religion, die nicht zu Liebe und Einigkeit führt, ist keine Religion.7
Die verschiedenen Sphören von Religion und Politik
Demokratie und Religion sind dann kompatibel, wenn beide ihre eigenen Grenzen akzeptieren. Auch wenn beide nicht mit Ietzter Konsequenz zu trennen sind. Die Politik ist gegenüber Fragen der Gewissheit grundsatzlich neutral, Religion hingegen konzentriert ihre Gewissheitsansprüche auf Transzendenz. Auf dieser Grundlage gibt es ein pragmatisches Miteinander von Religion und Politik. Nach der Bahá’í-Auffassung befasst sich ,,die Religion mit geistigen Fragen, die Politik mit weltlichen Angelegenheiten. Die Religion hat es mit der Gedankenwelt zu tun, wahrend das Gebiet der Politik zum Bereich der außeren Gegebenheiten gehort.“ 9 ,,Die Religion ist eine Sache des Herzens, des Geistes und der Gesittung.“‘°
Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben auch in Europa deutlich gemacht, dass Religion niemals unpolitisch sein kann, dass sich aber Politik niemals in Religion auflosen lassen darf. Beide haben ihre jeweiligen Welten und ihre Spharen. Es ware eine Illusion an einervollstandigen Trennung der beiden Spharen zu glauben. Für die Demokratie ware aber auch hochst unerfreulich eine vollstandige Deckung der beiden Spharen anzustreben. Die beiden Bereiche müssen in teilweiser Autonomie voneinander bestehen konnen, auch wenn sie gleichzeitig aneinander gebunden sind.
Die tiefen Ursachen des Unfriedens.
Krieg ist ein unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt.“ Gewalt hat aber unterschiedliche Ausdrucksformen
und umfasst ein breites Spektrum von Angriffen und Ubergriffen auf die korperliche, psychische und soziale Würde und lntegritat eines anderen Menschen. Die Tatsache, dass wir auch in den «zivilisiertenGesellschaften tagtaglich mit den Folgen von Gewalttaten verschiedenster Auspragungen konfrontiert sind, bewegt uns, tiefgründiger über das Problem der Gewalt nachzudenken.
Die Demokratie ist mit dem Versprechen angetreten, die menschliche Natur, die sie selbst als egoistisch und gewalttatig festgeschrieben hat, zu zügeln. Der Zügelhalter der rohen menschlichen Natur ist die Kultur, welche in der Lage ist, Natur zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ihrer Lenkung zu ergreifen. Dieser Schritt ist bis heute der
Das Ziel der Religion [...] besteht darin, Einheit und Eintracht unter den Völkern der Welt zu stiften; macht sie nicht zur Ursache für Zwist und Streit. Die Religion Gottes und Sein göttliches Gesetz sind die machivollsten Werlczeuge und die sichersten Mittel dafür, daja das Licht der Einheit zwischen den M enschen anbricht. Der Fortschritt der Welt, die Enrwicklung der Nationen, die Ruhe der Völker und der F rieden aller Erdenbewohner gehören zu den
Grundsätzen und Geboten Goties.8
[Seite 6]Demokratie nicht gelungen. Gewalt spielt sich nicht nur da draußen bei
den Volkern, die noch nicht demokratisch fortgeschritten sind, sondern
genauso in unserer Kultur.
Der tiefe Grund Iiegt darin, dass unsere Gesellschaft philosophisch und wissenschaftlich Gewalt als unvermeidbaren Bestandteil unserer Natur bewertet. Gewalt wird oft nicht als Krankheitssymptom angesehen, sondern als eine prinzipielle Möglichkeit menschlichen Handelns. Vielen scheint deshalb die Vorstellung oder die Darstellung von Gewalt in den Medien durchaus normal. In diesem Zusammenhang spielen die Philosophen und Wissenschaftler eine bedeutende Rolle. Der Soziologe Heinrich Popitz behauptet in seiner Anthropologie:
,,Gewalt ist in der Tat [...] eine Option menschlichen Handelns, die standig prasent ist. Keine umfassende soziale Ordnung beruht auf der Pramisse der Gewaltlosigkeit. Die Macht zu toten und die Ohnmacht des Opfers sind latent oder manifest Bestimmungsgründe der Struktur sozialen Zusammenlebens.“‘2
Noch erschütternder ist die positive Bewertung von Toten, welche Robert Ardrey, der amerikanische Anthropologe in seinem Buch ,,Der
Wolf in uns. Die Jagd als Urmotiv menschlichen Verhaltens“ prasentiert. Seine Jagdhypothese besagt: ,,Der Mensch ist ein Mensch und kein Schimpanse, weil er wahrend seiner Entwicklungszeit von vielen Millionen Jahren für seinen Lebensunterhalt totete“‘3 Er behauptet, durch Jagd habe der Urmensch neue Formen der Zusammenarbeit und das Teilen in der Gruppe gelernt. Mit Blick auf die negative Seite der Jagermentalitat stellt Jost Herbig, der Arzt und Psychiater in seinem Buch lm Anfang war das Wort die Frage: ,,Sind wir tatsachlich die Abkommlinge eines Geschlechts zankischer Urwaldhangler, denen der Wechsel vom Wald in die Steppe und von dort in die Zivilisation danebengeraten ist? [...] ist die Fahigkeit, andere durch wirksamere Waffen und Werkzeuge und eine straffere soziale Organisation zu überflügeln, sie zu verdrangen, zu unterwerfen und zu besiegen, tatsachlich die Grundlage einer evolutionar erfolgreichen Moral?“ lm Gegensatz zu Robert Ardrey bewertet er die Jagdmentalitat nicht positiv. Seine Schlussfolgerung lautet: im Anfang standen nicht die Waffe und das Werkzeug, sondern ,,im Anfang war das Wort“.‘4
Selbst innerhalb der westlichen Kultur - trotz enormen zivilisatorischen Fortschritts — ist der Gedanke vorherrschend, dass Krieg, Gewalt und Aggression zur Mittel der Politik gehoren. Der Hang des Menschen zur Gewaltanwendung wird in den Medien und Unterhaltungsindustrie zu wirtschaftlichen Zwecken missbraucht. Kriegsberichterstattung ist für viele Männer allemal spannender als eine Friedenstheorie.
Durch die Parole ,,Krieg gegen den Terror“ besteht die Gefahr, dass der politische Ausnahmezustand zu einer Dauererscheinung wird. Diese Tendenz führt im Endeffekt zur Normalisierung der Gewalt. Denn so
[Seite 7]ein Krieg kann kein Ende haben. Er führt zu einer dauerhaften bewaffneten Sozialregulierung im Weltmaßstab. Und damit rückt die Hoffnung auf einen Weltfrieden immer mehr in weite Ferne.
Erziehung zur Gewalt: Brutale Computerspiele
im Kinderzimmer.
Unsere Kultur ist gegenwartig alles andere als friedensfordernd. Eine riesige Fangemeinschaft Jugendlicher verbringt ihre Freizeit am PC mit Prügeln und Toten. Uber eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland nutzen Killerspiele regelmaßig.‘5 Das Problem Iiegt darin, dass die meisten Brutalspiele nicht gekennzeichnet sind und frei verkauft werden dürfen. Und die Spiele werden immer brutaler. Die Ietzten Tabus scheinen gebrochen zu sein. Für die Produzenten sind aber die Gewaltorgien völlig normal. Die Effekte seien nichts anderes als bloße Effekte, als Spezialeffekte wie in Hollywood, so behaupten die Befürworter. Sie werden Eye candy genannt. Damit erlauben sie sich, immer neue Gewaltorgien auf die Bildschirme von Kindern und Jugendlichen zu zaubern. Die Wissenschaftler widerlegen aber experimentell die Behauptung, dass die Gewaltspiele harmlos seien. Der Psychiater Manfred Spitzer von der Universitätsklinik für Psychiatrie
in Ulm hat durch eine Studie gezeigt, dass die Spiele gewaltbereit und aggressiv machen. ,,Ein friedfertiger Mensch, der viel Videospiele spielt, ist am Ende gewaltbereiter als ein eher gewaltbereiter Mensch, der gar nichts spielt. Das ist nachgewiesen.“‘5 In solcher Atmosphare kann Friedenspadagogik keine Chancen haben.
Demokratie auf dem Weg zu einer ,,Ku|tur der Gewa|t“?
Die westlichen Demokratien haben einerseits den Schutz des Lebens und des bürgerlichen Friedens auf ihre Fahne geschrieben, andererseits produzieren sie im Namen der Freiheit eine ,,Kultur der Gewalt“.
Also einerseits Friedenspadagogik und andererseits Mord und Totschlag als Genuss und Unterhaltungsware. Trotz enormen zivilisatorischen Fortschritts ist unser Verstand angeblich unfahig die Absurditat dieses Widerspruchs zu begreifen. Steckt in uns noch immer wie bei den prahistorischen Jagern das Bedürfnis zum Kämpfen und Morden? Durch die Technisierung der Arbeit werden sicherlich die Krafte überflüssig, die einst der Mensch für sein Uberleben dringend nötig hatte. Unsere Zivilisation ist angeblich noch nicht in der Lage, diesen Uberschuss an Energie positiv zu kanalisieren, damit er nicht in Gewalt ausartet.
Wir sind dringend aufgefordert, uns mit einigen grundsatzlichen Fra
[Seite 8]gen auseinanderzusetzen: Warum werden Menschen gewalttétig?
Welche Rolle spielt dabei die Erziehung?
Wie kann man mehr Frieden in eine unfriedliche Welt bringen?
Der erste Schritt zu einer friedlichen Kultur wäre ein allgemeiner Bewusstseinswandel in Bezug auf Vermeidbarkeit von Gewaltanwendung - auch im Spiel und in der Unterhaltungsindustrie. ,,...Die Ideale des Friedens müssen genéhrt und unter den Bewohnern der Welt verbreitet werden.“‘7 Deshalb bewertet die Bahái-Gemeinde die globale Erziehung zum Frieden als eine geistige und moralische Aufgabe. ,,Der Körper des Menschen ist ein Sklave der Natur; was immer sie befiehlt, wird er tun. Es steht also fest, dass Sünden, wie Zorn, Eifersucht, Streit, Habsucht, Geiz, Torheit, Vorurteil, Hass, Stolz und Herrschsucht, in der korperlichen Welt vorhanden sind. Alle diese niedrigen Eigenschaften finden sich in der Natur des Menschen. Ein Mensch ohne geistige Erziehung ist wie ein Tier.“‘8 Nur durch eine moralische Erziehung wird der Mensch fähig, seine tierisch-gewalttétige Natur unter Kontrolle zu bringen und seine Kräfte für einen geistigen Fortschritt einzusetzen.
Das allgemeine Bewußtsein in Bezug auf friedliches Zusammenleben der Volker ist aus der Perspektive der Bahá’í-Lehre ein Zeichen der Reife der Menschheit. Zur Reife gehort aber auch eine stürmische Zeit des Ubergangs.
Zum Frieden erziehen: Eine globale Aufgabe
Friedenserziehung und Friedenspédagogik blicken auf eine relativ kurze Geschichte. Erziehung zum Frieden ist insgesamt gesehen noch ein Randgebiet innerhalb des pédagogischen Diskurses. ,,Sie ist in vielen Schulgesetzen noch nicht oder unzureichend vertreten.“‘9 So steht in dem Bericht der UNESCO über Friedenserziehung. ,,Entsprechende pédagogische Ansétze sind in der Schulpraxis héufig auf die
Initiative einzelner besonders engagierter Lehrkräfte angewiesen. Die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft verlangen aber, dieses Anliegen zur Sache aller an der Bildung und Erziehung Beteiligten zu machen“2°
Der Einsatz gegen den Terrorismus muss sowohl auf der politischen als auch auf der pédagogischen Ebene seinen Ausdruck finden: einerseits durch Beseitigung der Ursachen von Unrechtssituationen, die héufig Ausloser blutiger Verzweiflungstaten sind; andererseits dadurch, dass man sich für eine Bildung auf globaler Ebene einsetzt, welche von der Achtung vor dem menschlichen Leben unter allen Umständen inspiriert ist. Die Einheit des Menschengeschlechtes ist nach Baha’iAuffassung stérker als zuféllige Entzweiungen, die Menschen und Volker voneinander trennen.
[Seite 9]Nachdenken über Frieden
,,Der Frieden erwachst dem Wesen nach aus einem inneren Zustand, getragen von einer geistigen oder ethischen Einstellung, und es geht vor allem darum, diese Einstellung wachzurufen, damit sich die Möglichkeit zu dauerhaften Losungen findet.“23
,,Wenn ein Kriegsgedanke kommt, so widersteht ihm mit einem starkeren Gedanken des Friedens. Ein Haßgedanke muß durch einen machtigeren Gedanken der Liebe vernichtet werden.“24
,,Der Friede muss zuerst unter den einzelnen Menschen gestiftet werden, bis er schließlich zum Frieden unter den Nationen f[]hrt.“25
,,Die Anerkennung der Einheit der Menschheit ist die erste, grundlegende Voraussetzung fur die Neuordnung und rechtliche Gestaltung der Welt als ein Land, als die Heimat der Menschheit. Die welt-weite Annah-me dieses geistigen Grundsatzes ist wesentlich fur jeden tauglichen Versuch, den Weltfrieden zu errichten. Der Grundsatz muss daher weltweit verkilndet, in den Schulen gelehrt und in jedem Land beharrlich zur Geltung gebracht werden, als Vorbereitung auf den
durch ihn bedingten organischen Wandel der Gesellschaftsstruktur.“26
Nach Auffassung der Bahá’í erfordert die Anerkennung der Einheit der Menschheit «nichts Geringeres als die Neuordnung und Entmilitarisierung der gesamten zivilisierten Welt - einer Welt, die in allen Grundfragen des Lebens, in ihrem politischen Mechanismus, ihren geistigen Be-strebungen, in Handel und Finanzwesen, Schrift und Sprache organisch zusammengewachsen und doch in den nationalen Eigenarten ihrer verbilndeten Staatenglieder von einer unendlichen Mannigfaltigkeit ist.»27
,,Die Liebe ist der eigentliche Kern des Friedens, der Friede ist ein Ergebnis der Liebe“28
Einige praktische Uberlegungen zum Frieden
(Aus einem Vortrag des Psychotherapeuten Erik Blumenthal im Jahre 1985, bei Gelegenheit des ,,Peace Concert“ im Theater der Stadt Luxemburg)
Was ist mein Beitrag zum Frieden?
Der Friedensbeitrag jedes einzelnen Menschen hangt von der Starke seines Glaubens an die Erreichbarkeit des Friedens ab. Glauben ist - genauso wie Denken oder Filhlen - eine typisch menschliche Funktion.
Wir glauben zu wenig an uns selbst und die Folgen davon sind Minderwertigkeitsgefilhle, Hemmungen, Perfektionismus, Rechthaberei, Streit, Angst vor Verantwortung und Pessimismus.
Wir glauben aber auch zu wenig an unsere Mitmenschen und da ,,Trachtet danach, die Herzen der Menschen zu verbinden [...]. Richter eure Kräfte auf all das, was die Er ziehung der Menschenfbrdert. “H
,,In der Weltgesellschaft wird der Nutzen emes Teils am besten dadurch gewahrt, dass der Nutzen des Ganzen gefbrdert wird. “22
raus entstehen Kontaktschwierigkeiten, Konkurrenzdenken, Aggressionen und Machtstreben.
Wir giauben zu wenig an unsere Kinder und haben deshaib Erziehungsschwierigkeiten.
Wir glauben zu wenig an unsem Partner und haben deshaib Eheschwierigkeiten.
Wir giauben zu wenig an unsere Geselischaft. die Foigen davon sind Streit, Rebellion, Terrorismus und Revomtion.
Wir soilen erkennen, was wir in uns selbst und in unserer nachsten Umgebung — in der Partnerschaft, in der Kindererziehung, an der Arbeitsstelie. mit unsern Freunden, Verwandten und Bekannten zusammen tun können, um zu einem harmonischeren und friedv0|!eren Zusammenieben zu gelangen.
Vortrag mit anschliefiender Diskussion
“Kinder brauchen Frieden„
Referent: Fari Khabirpour, Dip|.Psychologe und Psychotherapeut, Direktor des CPOS
Donnerstag, den 10. Mai 2007, um 20.00 Uhr Ort: Wiltz, Restaurant aux anciennes Tanneries 42 A, rue Joseph Simon
Sprache: Letzebuergesch Info: Tel. 269 170 58
[Seite 11]1 Vgl. AG Friedensforschung, Uni Kassel, Pressemitteilung zum Abschluss des 13. Friedenspolitischen Ratschlags, 2./3. Dezember 2006 an der Universität Kassel, Wissenschafiler und Friedensbewegung warnen Vor
1\/Iilitéirinterventionen, http://www.unikassel.de/fb 5/frieden/rat/2006/presse2.html
2 Vgl. H61‘ff1€d Münkler, Der Waridel des K rieges. Von derSymmetrie zurAsymmeirie, Göttingen 2006, www.humanities-online.de
3 aktiV.http://www.uni-kasse1.de/fly5/frieden/themen/Terrorismus/zinn.html
" Die Verhei/hing des Welfriedens. Eirie Botschaft des Urüversaleri Hauses der Gerechtigkeit an die Völker der Welt, Oktober 1985, in: Welifrieden ist rücht riur möglich, soriderri uriausweichlich. Hoflieim 1987, S. 31, siehe auch:
http://www.at.bahai.org/fileadmin/user_upload/downloads/Verheissungpdf
5 ,,Ari die religiöseri Führer der Welt“, Botschaft des ,,UniVersalen Hauses der Gerechtigkeit“, siehe: http://www.at.bahai.org/fileadmin/user_upload/downloads/Botschaft-Fuehrenpdf
5 Ebd.
7 Abdu‘1-Baha,Ansprachen in Paris, 40:14
8 Bahá’u’lláh, Botschaften aus Akka 8:63
2 Abdu‘1-Baha,Ansprachen in Paris, 40: 31, 32.
1“ Ebd. 49:10
“ Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Krieg
‘2 Heinrich Popitz, Phzüriomene der Macht. Autoritzit— Herrschafi‘ — Gewalt— T echrülg Tübingen 1986, S. 76, 82 f.
‘3 Robeit Ardrey, Der Wolf in uris. Die Jagd als Urmotiv merischlichen Verhalteris, Kiel 1984, S. 18.
“‘ Jost Herbig, Im Arifarig war das Wort. Die Evolution des Merischlichen, München 1984, S. 10.
‘5 Vgl. http://www.zdf.de/ZDFde/ inhalt/ 26/ 0,1 872,228533 8,00.htmlGewalt
‘5 Ebd.
‘7 Abdu'l-Baha, in: F riederi, eine Zusammenstellung aus den Bahá’í-Schriften, Hoflieim 1986, S. 38.
‘* Abdu'l-Baha, Bearüwortete Fragen, S. 121.
‘2 Vgl. Erziehurigflir F rieden, Menschenrechte und Demokratie im Unesco-Kontext. Sammelband aus gewéihlter Dokumente und Materialien, Stadtschlaining 1997, S. 5.
2“ Ebd.
21 Bahá’u’lláh,/ilhrenlese 5:5, 6
22Die Verheiflung des Welfriedens http://www.at.bahai.org/fileadmin/user_upload/downloads/Verheissung.pdf, S. 13.
23 Ebd.
2“ Abdu‘1-Baha,Ansprachen in Paris, 6:7
25 Abdu'l-Baha, Briefe und Botschaften 201:2
25 Die Verhei/3urig des Welfriedens http://www.at.bahai.org/fleadmin/user_upload/downloads/Verheissung.pdf, S. 16.
27 Ebd.
2* Abdu'l-Baha, Gedarikeri des F riederis, Die Rederi und Schriften Von Abdu'l—Bahaflir eine neue Kultur des Friederis, Wien 1985, S. 55.
11
Die Bahá’I' Religion
Zentrale Lehren
Die Einheit Gottes Es gibt nur einen Gott, mit welchem Namen er auch benannt vvird
Die Einheit der Religionen
Alle Offenbarungsreligionen bergen den gleichen Kern evviger Wahrheiten, vvie die Liebe zu Gott und den Menschen.
Bestimmte Gesetze jedoch, die zum Beispiel die Organisation der Gemeinde, das Sozialwesen oderdie Hygiene betreffen, mussen sich im Zuge der Menschheitsentvvicklung verandern.
In groI3en Zyklen offenbart Gott sich durch seine Boten vvie, Krishna, Buddha, Moses, Christus, Mohammed und Bahá’u’lláh und erneuert diesen Teil seiner Gebote als Antrieb furden menschlichen Fortschritt.
Die Einheit der Menschheit
Die Menschheit ist eine einzige, groI3e Familie mit völlig gleichberechtigten Mitgliedern, welche ihre Verschiedenheit als bereicherndes Element vvillkommen hei|3en.
lhren Ausdruck finden diese Grundlegenden Lehren in Prinzipien vvie: - Selbstandige Suche nach Wahrheit
- Gleichstellung von Frau und Mann
- Soziale Gerechtigkeit
- Abbau von Vorurteilen
- Entscheidungsbildung durch Beratung
- Ubereinstimmung von Religion und Wissenschaft
Zentrale Gestalten
Bab (1819-1850), der Vorlaufer Bahá’u’lláh (1817-1892), der Stifter Abdu|-Baha (1844-1921), derAus|eger Shoghi Effendi (1897-1957), der Huter
Die Bahá’í-Gemeinde
Organisiert sich in Gremien, die auf ortlicher, nationaler und internationaler Ebene von den erwachsenen Gemeindemitgliedern in freier, gleicher und geheimer Wahl ohne Kandidatur oder Wahlkampagnen gewahlt werden. Es gibt keinen Klerus.
Shrine des Bab in Haifa Israel
lm pressum
Zeit fur Geist 2006 — Heft 3
Unsere gründlich veranderte Welt erfordert in allen Bereichen des Lebens ein neues Denken und Handeln. Zeit fur Geist befasst sich auf dem Hintergrund der Bahá’í-Lehre mit aktuellen Zeitfragen und mächte durch Gedankenimpulse die Entwicklung zu einer friedlichen Welt fördern.
Herausgeber: Bahá’í-Arbeitsgruppe ,,Gedanken fur eine friedliche Welt“, asbl. Fledaktion: Dr. Farah Dustdar,
Farzin Dustdar, Claude Wiltgen Fledaktionsanschrift:
Zeitfflr Geist 17, all. Leopold Goebel L-1635 Luxemburg
Tel. 44 22 20 www.bahai.|u
Cover & Layout: Claude Wiltgen Manuskript: Dr. Farah Dustdar
farah,dustdar@yahoo.de
Druck: Rapidpress
Vertrieb und Bestellungen:
Bizhan Saberin
33, r. J-A Zinnen
L-9068 Ettelbruck
saberin@internet.|u
Zeit fur Geist wird lhnen kostenlos Zugeschickt. Falls Sie weitere Freunde mit dieser Zeitschrift bekannt machen möchten, wenden Sie sich bitte an Vertrieb und Beste||ungen. Wenn Sie die Zeitschrift nicht mehr zugeschickt bekommen möchten, wenden Sie sich bitte auch an die gleiche Adresse.
Ettelbruck Port payé PS/211