Zeit für Geist/Nummer 30/Text

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W Gedunken fürleine friedliche Welt

Nr. 1 /Méirz 2006

Glaube und der aufgeerklärte Mensch

,,W<':°get alles, was euch als Religion gebofen wird, sorgfältig auf der Waage der Vernunff und Wissenschaff.

Wenn es die Probe besteht, so nehmf es an, denn es ist die Wahrheit.

Stimmt es hingegen nichf damit Uberein, so weist

es zurück, denn es ist dann Unwissenheif.„ (Aus den Buhé’I'-Schriften)'

[Seite 2]Liebe Leserinnen und Leser,

Die Klage über den Verfall der öffentlichen Moral hören wir laufend. Doch ebenso schnell wie das Werte-Vakuum zunimmt, wéchst der Wunsch nach einer Rückbesinnung auf moralische Werte. Die Menschen suchen nach geistigen Prinzipien, die ihnen in einer sich rasch veréndernden und unsicheren Welt Halt und Orientierung geben. Werte sind aber nicht nur individuelle Mafistébe. Sie sollen für alle gelten und das Zusammenleben der Menschen mit gegenseitigem Vertrauen, Wärme und Sinn erfüllen. Erst durch das soziale Angewiesensein werden wir zum Menschen. Unsere Lebensverhéltnisse erleben derzeit einen tiefgreifenden Umbruch. So wie die Aufklärung und die lndustrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert zum Bruch mit der Tradition und zur Umwertung aller Werte fflhnen, fordert uns gegenwértig die Globalisierung und die dadurch entstandene soziale Krise heraus. Wir müssen den alten Wertekatalog neu formulieren und in ein modernes Lebenskonzept integrieren.

Mit dem Bewusstsein, dass ein vernunftméfliger Glaube und eine zeitgemäße Fleligiositéit - als Begründungsquelle der moralischen Werte - möglich und unumgéinglich sind, widmen wir die erste Ausgabe unserer Zeitschrift - nach einer etwa einjährigen Pause - dem Verhéltnis von Glauben und Vernunft. Die wachsende soziale und ékonomische Verunsicherung in den westlichen Léndern führt immer mehr zur Flückbesinnung auf das Religiöse. Angesichts des vielféltigen Einflusses der Religion, im positiven wie im negativen Sinne, möchten wir in unserer Zeitschrift die verschiedenen Aspekte, die ftir individuelles Wohlbefinden und soziales Leben einer aufgeklérten Gesellschaft von Bedeutung sind, beleuchten und so zum Nachdenken anregen.

Soziale Umbrüche und Krisen haben immer zwei Seiten, sie sind bedrohlich und zugleich eine produktive Herausforderung. Wir hoffen, dass Sie in dieserAusgabe einige Ideen und Impulse zum Nachdenken finden. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung und lhren Kommentar.

Die Redaktion

[Seite 3]Wiederkehr der Religion

Seit Ende des 20. Jahrhunderts erlebt Religion weltweit eine Renaissance. Der zunehmende individuelle Wunsch nach spirituellen Erfahrungen und öffentliches lnteresse am Thema werden durch Medienberichte und populare Veroffentlichungen belegt.‘ Die moderne westliche Kultur ist aber durch den Begriff Sékularisation oder Verweltlichung gepragt. Damit ist vor allem der Autoritats- und Bedeutungsverlust der religiosen lnstitutionen gemeint, der seit dem Ende des 18. Jahrhunderts nach und nach die Religion von verschiedenen sozialen Bereichen entfernt hat. Glaube ist in einer säkularen Welt Privatsache. Gesellschaftlich hat diese Entwicklung zu einer lndividualisierung bis hin zur Vereinzelung der Menschen gefllihrt, mit einem Verlust an Beziehungen und verbindlichen Normen. Bezeichnenderweise gibt es keinen Gegenbegriff zur ,,Séku|arisierung“.


ie neue Tendenz der ei§gionisierung“.......


§§

Die neue Tendenz der ,,Re|igionisierung“2 ist gegenwartig durch das zunehmende Bedürfnis vieler Menschen nach Beziehung, Gemeinschaftsleben, Sinn und Transzendenzerfahrung erkennbar. Der italienische Philosoph Gianni Vattimo, ein Vordenker der Postmoderne, geht in seinem Buch ,,Jenseits des Christentums. Gibt es eine Welt ohne Gott?“ von der Einsicht aus: Wenn Nietzsches bekanntes Wort ,,Gott ist tot“ gilt, dann gilt genauso gut das Gegenteil. Denn der Zweifel an Gott ist nichts anderes als der Zweifel an der absoluten Wahrheit, also kann auch die Todeserklarung Gottes keine letzte Geltung für sich beanspruchen. Wir sind, so Vattimo, ,,wieder frei, das Wort der Heiligen Schrift zu horen“ und erneut ,,an Gott zu glauben“.

Die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts haben deutlich gemacht, dass eine Gesellschaft ohne Religion normativ nicht wünschenswert ist. Die Rilckkehr der Religion im individuellen und sozialen Leben wird uns nach der Auffassung vieler Kulturhistoriker nachhaltig beschaftigen.

Eine besondere, wenn auch negative, soziale Aktualitét hat das Thema Religion durch die politischen Ereignisse der letzten Jahrzehnte erfahren. Die fundamentalistischen Bewegungen haben deutlich gemacht, welch großen Einfluss die Religion und damit verbundene Strukturen auf das menschliche Verhalten haben konnen. Wir wissen aber auch durch die Geschichte der Menschheit, dass Religionen Ausloser von Diskriminierung, Konflikten und sogar Kriegen sein konnen. Wie oft sind im Namen der Religion Menschen zu unfassbaren Taten bewegt

[Seite 4]worden. Andererseits kann das positive Potenzial von Religion nicht geleugnet werden. Glaube verleiht dem Menschen Kraft und Starke, um sich sowohl in der individuellen Lebensbewaltigung als auch auf gesellschaftlicher Ebene, z.B. beim Einsatz für Menschlichkeit und Frieden, einzusetzen.

Neue Antworten auf alte Fragen

Die alte Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt die Menschen des postindustriellen Zeitalters so sehr wie kaum eine andere. Was kann uns heute Halt geben, wer Orientierung? Die junge Generation sucht aber neue Antworten, die sie weder im Dogmatismus der alten Religionen finden kann noch im Existentialismus und philosophisch formulierten Materialismus, die jeder auf seine Weise Fragen nach einem übergeordneten Lebenssinn verneinen.

Nach dem griechischen Philosophen Aristoteles soll der Mensch durch sittliches und rechtes Handeln zum ,,guten“ Leben gelangen.

Das Individuum hat nun die Freiheit

Durch den Individualismus der Moderne ist aber die einheitliche Auffassung von ,,gutem“ Leben verloren gegangen. Das Individuum hat nun die Freiheit, sich von der Tradition, von Konventionen und von Bevormundung zu befreien. Nicht jeder ist aber in der Lage mit diesen Freiheiten umzugehen. Die Vorstellung, man müsste alies aus eigener Kraft schaffen, erzeugt einen unheimüchen Leistungs- und Erwartungsdruck. Die Haltlosigkeit führt oft zu Verunsicherung und erzeugt Angste. Um dieses Dilemma zu verhindern, wird in den Schriften der Bahá’í-Religion eine Wertesynthese hergestellt. Das heißt, ein Zusammenfügen von Werten, die familiare, soziale und giobale Bindungen starken, und Werten, welche individuelle Unabhéngigkeit und Eigenverantwortung fordern.

Warum glauben Menschen?

Die Wissenschaftler befassen sich in den letzten Jahrzehnten viel mehr mit religiosen Themen, weil sie feststellen, dass wir dem Glauben nirgendwo entkommen - selbst in der Wissenschaft nicht. Sie geben aber zu, dass die Wissenschaft in spiritueilen Fragen auf uniJberwindbare Grenzen st<")Bt.

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Wir erleben gegenwartig eine Flut wissenschaftlicher Bücher und Artikel, welche die gesundheitsfördernde Wirkung der Spiritualitat belegen. Die Menschen, die regelmaüig in den Gottesdienst gehen, Ieiden seltener an Herz- und Kreislaufkrankheiten, haben einen niedrigeren Blutdruck und leben bis zu sieben Jahre langer als Unglaubige, so behaupten manche Hirnforscher. 3

Selbst die Wirkung des Betens Iasst sich scheinbar nachweisen. Der glétubige Mensch erlebt zwar dasselbe Auf und Ab des Lebens wie jeder andere, er interpretiert es aber vbllig anders. Glaubwürdigkeit gewinnen solche Studien oft durch das Gijtesiegel renommierter Institute und den Abdruck in angesehenen Fachzeitschriften.


Die Wissenschaft mag uns nach und nach viele neue Einsichten Iiefern, doch der Glaube hat einen viel tieferen Sinn als b|oB einen gesundheitsfördernden Effekt. Die Hirnforschung zeigt uns zwar heute, dass der Mensch seine Wirklichkeit in gewisser Weise selbst konstruieren muss, sie kann aber nicht erklären, wie er dies tun soll. Sie gibt keine Antwort auf die Grundfragen des Lebens. Woher komme ich, wohin gehe ich, woftir ist das alles gut? Die Forscher geben zu, dass zum Auffijllen dieser Leerstelle weiterhin religiöse Lehre unabdingbar sei.

Die reügiése Erziehung soll nach der Bahá’í-Auffassung zum geistigen Fortschritt und Wohlergehen des Menschen beitragen. In diesem Sinne schreibt Bahá’u’lláh, der Stifter der Bahá’í—Re|igion: ,,Der Offenbarung jedes himmüschen Buches, ja jedes von Gott offenbarten Verses Iiegt die Absicht zugrunde, aile Menschen mit Rechtschaffenheit und Verstand zu begaben, damit Friede und Ruhe fest unter ihnen begnindet seien. Was immer den Herzen der Menschen Zuversicht einfl6Bt, was ihre Stufe erhéht oder ihre Zufriedenheit fördert, ist vor Gott annehmbar. Wie erhaben ist die Stufe, die der Mensch erreichen kann, wenn er sich nur entschIieBt, seine hohe Bestimmung zu erfülieni in welche Tiefen der Erniedrigung kann er absinken, Tiefen, die die niedrigsten Geschöpfe nie erreicht haben!““

Sind Religion und Vernunft im Grunde unvertréglich?

Für moderne Menschen stehen ,,G|auben“ und ,,Denken“ oft im Gegensatz zu einander. Seit der Aufklarung wird behauptet, dass die Re [Seite 6]Iigion etwas vorwissenschaftliches, vorphilosophisches sei. Glauben bedeute, dass der Mensch, zumindest bezogen auf einen Teil seiner Auffassungen, sich seiner Vernunft nicht bediene. Der Leitgedanke der Aufklärung, den Immanuel Kant in seiner bertihmten Schrift ,,Beantwortung der Frage: Was ist Aufklarung?“ beschreibt, lautet: ,, Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Kant beginnt seinen Aufsatz mit folgender Erklärung: ,,Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündlgkeit. UnmUndigkeit ist das Unvermogen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“5. Die Wissenschaft gibt aber zu, dass alles Wissen Grenzen hat. Dass die menschliche Vernunft begrenzt ist, belegt ja auch die Hirnforschung. Die Wissenschaft erklart die Welt nie voltstandig. Wir müssen mit dem Tatbestand leben, dass das, was sich uns erschliel3t, nur ein Teil von etwas Grolierem, nicht Erfassbarem sein kann, und dass unsere Vernunft nur tiber begrenzte Einsicht verfügt.



In den Schriften der Baha I’-Religion, die etwa ein Jahrhundert nach der Epoche der Aufklärung entstanden ist, wird der Aufruf, ,,sich des eigenen Verstandes zu bedienen“, zu einem göttlichen Gebot. Der Stifter Bahá’u’lláh behauptet, dass seine Botschaft nicht nur die Prophezeiungen der vergangenen Religionen erfüllt, sondern auch das geistig-moralische Fundament einer freiheitlichen und globalen Ordnung begrtindet. ,,StUnde die Religion im Gegensatz zur logischen Vernunft, so wLirde sie aufhoren, Religion zu sein und ware lediglich Uberlleferung. Religion und Wissenschaft sind die beiden Flügel, auf denen sich die menschliche Geisteskraft zur Höhe erheben und mit denen die menschliche Seele Fortschritte machen kann.“6. Der Autor dieser Satze, Abdu’l-Baha (der Sohn und der Nachfolger des Stifters Bahá’u’lláh) erlautert in dem Buch ,,Beantwortete Fragen“ den mystischen Sinn der christlichen und islamischen Uberlieferungen und betont, dass sie nicht wortlich genommen werden dtirfen. Religion ohne Wissenschaft, so betont er, sttirzt den Menschen in den Sumpf des Aberglaubens. Wissenschaft ohne Religion lasst den Menschen in den hoffnungslosen Morast des Materialismus fallen.

Die grundlegenden Prinzipien der Bahá’í-Religion tragen deshalb den neuzeitlichen Forderungen nach Frelheit und Rechtsgleichheit aller Menschen Rechnung. lhre bedeutendsten Grundsatze und Ziele lauten: Die indlviduelle und selbstandige Suche nach der Wahrheit. Harmonie zwischen Vernunft, Wissenschaft und Glauben. Die Relativitat der religiosen Wahrheit im Hinblick auf die historische Gültigkeit im Laufe der Menschheitsgeschichte. Die Gleichstellung aller Menschen

[Seite 7]vor Gott und vor dem Gesetz. Das Ablegen religiöser, rassischer und jeglicher Vorurteile. Die Gleichstellung von Mann und Frau. Die Einheit und Gleichwertigkeit aller Volker und Nationen der Welt. Nach seinem Selbstverstandnis ist dieser junge Glaube eine Religion der Aufklarung.

Sinn und Zweck des Glaubens

Die Religion hat nach den Worten Abdu’l-Bahas nur dann einen Sinn, wenn sie zu Freundschaft und Liebe führt. ,,Bewirkt sie Entfremdung, dann bedarf man ihrer nicht; denn Religion ist wie eine Arznei: Verschlimmert sie das Leiden, dann wird sie unnötig.„ 8 ,,Das Wesen des Glaubens ist, wenig Worte zu machen und eine Fülle von Taten aufzuweisen. Wisse fürwahr, class für den, der mehr redet als er tut, der Tod besser ist als sein Leben.“ 9 Die ganze Gottesliebe, also preisen und beten, singen und Ioben sind nichts wert, wenn sie nicht begleitet werden von der bekundeten und praktizierten Solidaritat mit den Armen, Kranken, Hungernden und Verfolgten auf dieser Welt.

,,LaI3t euere Gedanken fest auf das gerichtet sein, was das Glück der Menschheit wiederherstellen und der Menschen Herzen und Seelen heiligen wird. Am besten kann dies durch reine und heilige Taten, durch ein Leben der Tugend und durch edles Betragen vollbracht werden.“ ’° ,,Der ist wirklich ein Mensch, der sich heute dem Dienst am ganzen Menschengeschlecht hingibt.“„

ln seinem bedeutenden Werk “Das Buch der Gewissheit„ befasst sich Bahá’u’lláh mit der Wandlung, die jede Offenbarung in dem Wesen, in den Gedanken und Sitten der Menschen hervorruft. “lst es nicht das Ziel jeder Offenbarung, eine Wandlung und Anderung in der ganzen Wesensart der Menschheit zu erreichen, eine Wandlung, die sich éufierlich wie innerlich erweisen und das innere Leben wie die äußeren Verhältnisse betreffen soil? Denn wenn nicht der Charakter der Menschheit gewandelt wllirde, wären Gottes allumfassende Manifestationen offensichtlich sinnlos.“ ‘3 ,,Alles, was vom Himmel des göttlichen Willens hernieder kommt, ist Mittel fur Errichtung von Ordnung in der Welt und fordert Einheit und Freundschaft zwischen ihren VciIkern.““‘ ,,Auch sendet Er in jedem Zeitalter und Zyklus nach Seiner alles Liberragenden Weisheit einen göttlichen Boten, die verzagten, entmutigten Seelen mit dem Lebenswasser Seiner Rede neu zu beleben.“‘5


Der Hauptzweck, der den Glauben Gottes und Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechts zu sic/1ern, seine Einheit zufördern und den Geist der Liebe und Verbundenheit unter den Menschen zu pflegen. Le;/3t sie nicht zur ’ Quelle der Uneinigkeit und der Zwietracht, des Hasses und der

7 Feindschaft werden.

Das erste Zeichen des Glaubens

12 ist Liebe

[Seite 8]Jede géittliche Offenbarung wurde so herabgesandt, wie sie den Verhc'1'ltnissen des Zeitalters ent spricht, in dem sie erscheint.

— Unter Glauben versteht man zuerst

bewusstes Wissen, dann das Tun

guter Taten.

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Die Offenbarung Gottes ist kein einmaliges Phénomen

Das göttliche Gesetz zerféllt, nach Abdu’l-Bahás Worten, in zwei Teilez Der erste bezieht sich auf die geistige Wirklichkeit und umfasst Glaubensbekenntnisse und moralische Prinzipien, die den Kern im Gesetzeswerk aller Religionen ausmachen. Diese Prinzipien — Glaube an Gott, Rechtschaffenheit, Vertrauenswürdigkeit, Néchstenliebe, innerer Friede, Reinheit, Loslösung, Demut, Sanftmut, Geduld und Standhaftigkeit und ähnliche — sind Bestandteil aller Religionen und werden niemals aufgehoben, sonder in jedem prophetischen Zyklus erneuert, denn am Ende des Zeitalters jedes Propheten geht das geistige Gesetz verloren, und nur die äußere Form bleibt zurflck. [...] Der zweite Teil des göttlichen Gesetzes, der sich auf die physische Wirklichkeit der Menschen bezieht, wie zum Beispiel: Fasten, Gebet, Gottesdienst, Ehe und Scheidung, Abschaffung der Sklaverei, Gerichtsbarkeit, geschéftliche Angelegenheiten sowie Strafe und Sflhne fflr Mord, Gewa|ttat, Diebstahl und Körperverletzung usw. wird in jedem prophetischen Zyklus je nach den Erfordernissen der Zeit geändert und abgewande|t.‘7 ,,... Jeder Prophet, den der allmächtige, unvergleichliche Schöpfer zu den Völkern der Erde zu senden beschloss, war mit einer Botschaft betraut und in einer Weise zu handeln beauftragt, wie sie den Erfordernissen des Zeitalters, in dem Er erschien, am besten entsprach.““‘

Es iet der Weg zu uns selbst

,,Jedem Lande haben Wir einen Anteil verschrieben, jedem Anlass einen angemessenen Beitrag, jeder Verkflndigung die rechte Zeit und jeder Lebenslage den passenden Ausspruch.“‘9

Wie gewinnt man Glauben?

Der Weg der Erkenntnis und des Glaubens, der Weisheit und der Liebe fijlhrt durch die weiten, geheimnisvollen Landschaften des Lebens. Es ist der Weg zu uns selbst, der Frieden, Glück und Trost bringt. Wie können wir nun praktisch diesen Weg gehen:

1. Der erste Schritt ist die Bereitschaft und der Wille zu innerer Ruhe und Frieden und die Einsicht der Notwendigkeit eines geistigen Fortschritts. ,,Der Glaube eines Menschen kann nur von ihm selbst abhéngen“2‘ In jedem von euch habe ich meine Schöpfung vollendet, damit die Vortrefflichkeit Meines Werkes den Menschen vdllig offenbar werde. Daraus folgt, dass jeder Mensch aus sich selbst heraus fähig ist und weiter fähig sein wird, die Schönheit Gottes, des Verherrlichten,

[Seite 9]wahrzunehmen. Wére ihm keine solche Féhigkeit verliehen, wie könnte er dann fijr sein Versagen zur Rechenschaft gezogen werden?“22

2. Der zweite Schritt ist das selbständige Suchen. Die Mittel dazu sind: lesen, beten und meditieren, das heißt nachdenken und reflektieren. Dadurch werden wir uns der ungeheuren Kräfte bewußt, die in Gottes Worten Iiegen.

3. Der dritte Schritt ist, das Herz von Vorurteilen und Voreingenommenheiten zu reinigen. ,,Wenn du göttliches Wissen und Erkenntnis wünschest, so reinige dein Herz von ailem außer Gott, wende dich ganz dem vollkommenen Geliebten zu, suche und wéihie nur Ihn und halte dich an vernijnftige, maßgebende Beweise. Denn Beweise sind ein Wegweiser, die das Herz der Sonne der Wahrheit zuwenden. ist das Herz der Sonne zugewandt, so wird das Auge gedffnet, es wird die Sonne durch die Sonne selbst erkennen.“23

4. Der vierte Schritt: Angst und Ohnmacht vor Schwierigkeiten überwinden.

5. Der fünfte Schritt ist: Erkenntnisse gewinnen und vom Zweifel zur Gewissheit kommen. In diesem Zustand wird der Suchende ,,mit dem Auge des inneren Schauens sehen und in vertraute Zwiesprache mit seinem Geüebten [Gott] treten. Er wird die Pforte der Wahrheit und Ehrfurcht éffnen und die Türen der eitlen Einbüdungen schüeBen. In diesem Zustand wird er sich dem RatschiuB Gottes ergeben...“25 Auf dieser Stufe gelangen wir zu einer neuen Sicht der Dinge. Die a||téig|ichen Probleme scheinen uns bedeutungslos. Wir Iernen, wie wir uns durch da_s Beten und Meditieren von den gewbhnlichen Schwierigkeiten lösen kijnnen.

6. Der sechste Schritt ist der Ausgleich zwischen individuellem Woh|befinden und dem Gemeinschaftsleben, wo man sich mit den Mißsté'1nden in der Welt auseinandersetzen muß.

,,AIIe Menschen wurden erschaffen, eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen... Die Tugenden, die seiner (des Menschen; Red.) Wflrde anstehen, sind Geduld, Erbarmen, Mitieid und Güte für alle V6!ker und Geschiechter der Erde.“ 26

,,Seid der Waise ein Iiebevoüer Vater, eine Zuflucht dem Hilflosen, ein Schatz dem Armen, dem Kranken Heüung. Seid jedem Opfer der Unterdrückung ein Heifer, ein Beschijtzer dem Beiadenen. Denkt zu alien Zeiten daran, wie ihr jedem Glied der Menschheit einen Dienst erweisen könnt. Schenkt Abneigung und Zuruckweisung, Geringschätzung, Feindseügkeit und Ungerechtigkeit keine Beachtung: Tut das Gegenteii.“ 27

0 Sohn des Seinsl Deirz Herz ist meine Wohnstatt; heilige es für mein Kommen. Dein Geist ist der

Ort Meines Erscheinens; ldutere ... - ihn fur Meme Offenbarung.

Beobachte deine Gedanken, derm sie werden zu deinen Worten.

Beobachte deine Worte, denn sie werden zu deinen Taten.

Beobachte deine Taten, denn sie werden zu deinen Gewohnheiten.

Beobachte deine Gewohnheiten,

denn sie werden zu deinem Chara/cter.

Beobachte deinen Charakter, derm

er wird zu deinem Schicksal.

[Seite 10]Bibliographie

  • Abdu’l-Bahá, ,,Ansprachen in Paris“, Hofheim 1973, S. 84, Ansprache von 12. November 1911.

1 Vgl. Gottfried Küenzlen, ,,Die Wiederkehr der Religion, Lage und Schicksal in der sakularen Moderne“, München 2004; Peter Sandmeyer, “Die Neue Sehnsucht nach alten Werten“ Stern-Serie, in: Stern Nr. 46, 10.11.2005; Herbert Schnadelbach, “Wiederkehr der Religion“, in: Die Zeit Nr. 33, 11.08.2005.

2 Vgl. Bernd Ulrich, ,,Zumutung des Glaubens“, in: Die Zeit Nr. 53, 22.12.2004.

3 Vgl. Ulrich Schnabel, Hirnforschung: Warum Menschen Glauben? Die Zeit 11.05.2005 Nr.20. Dazu noch:

Sabine Kersebaum / Michael Utsch, “Hilfe von oben“, in dem neuen Magazin von Spektrum der Wissenschaft: ,,Geist & Gehirn“, Nr.1-2/2006. Dazu noch: Sebastian Murken, Gottesbeziehung und psychische

Gesundheit. Die Entwicklung eines Modells und seine empirische Uberprüfung. Münster 1998. <<http://www.waxmann.com/index2.htm%7C?kat/582.htm%7C>>.

4 Bahá’u’lláh, “Ahrenlese. Eine Auswahl aus den Schriften Bahá’u||ahs„, Hofheim 1980, 101. 5 Immanuel Kant, “Beantwortung der Frage: Was istAufklé1rung?“Werke herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. IX, S. 53.

6 Abdu|-Bahá, “Ansprachen in Paris„ Hofheim 1973, S. 84.

7 Bahá’u’lláh, “Botschaften aus Akka„, Hofheim 1985, 11 :15.

8 Abdu|-Bahá, “Briefe und Botschaften“, Hofheim 1998, 227:9.

9 Bahá’u’lláh, „Botschaften aus Akká“ 10:13.

10 Ebd. 7:11.

11 Bahá’u’lláh, “Ahren|ese“ 117.

12 Abdu|-Baha, zitiert in: “Gottliche Lebenskunst“, Hofheim 1997, S. 61.

13 Bahá’u’lláh, “Das Buch der Gewissheit“, Hofheim 2000 (1. Auflage 1958) S. 270.

14 Bahá’u’lláh, „Botschaften aus Akka“ 6:26.

15 Ebd., 11:2.

16 Bahá’u’lláh, “Ahrenlese“, 34:6.

17Abdu’l-Baha, “Beantwortete Fragen“, Hoffheim 1998, S. 57 f.

18 Bahá’u’lláh, “/5lhrenlese“, 34:5.

19 Bahá’u’lláh, “Botschaften aus Akka„, 9:37.

20 Abdu’l-Bahá, zitiert in: “Gottliche Lebenskunst“, S. 58.

21 Bahá’u’lláh, “Ahren|ese“ 75:1.

22 Bahá’u’lláh, “Ahrenlese“, 75:1.

23 Abdu’l-Bahá, zitiert in: “Gottliche Lebenskunst“, S. 62.

24 Bahá’u’lláh, ,,Verborgene Worte“ A 59.

25 Bahá’u’lláh, “Die sieben Taler. Die vier Taler“, Hofheim 1997, S. 22.

26 Bahá’u’lláh, “i5.hrenlese“, l:92.

27 Abdu|-Baha, “Briefe und Botschaften“, 1:3 f.

28 Zitiert in: Bijan Khadem-Missagh, “Das Musische als Lebensweise. Ein Credo“ Stuttgart 1998, S. 108.

[Seite 11]Neuerscheinungen . | ,,Das Storchennest“ Bahai?

VERLAG

Der Briefroman «Das Storchennest» von Hildegard und Thomas Schaaff zeichnet den spirituellen Aufbruch eines Liebespaares zu neuen Ufern nach. Da beide - er als Priester, sie als Nonne - durch ihre Liebe ihre geistige Heimat innerhalb der katholischen Kirche verloren haben, zieht sich der Protagonist zum Nachdenken in ein mittelalterliches Stédtchen zurflck, wo er in einem Kloster ein geheimnisvolles Buch entdeckt, das ihn und seine Geliebte, die er an all seinen Lektüreerlebnissen brieflich teilhaben Iasst, in der Folgezeit zunehmend in seinen Bann ziehen wird. Diese Grundsituation, die atmospharisch - wenn auch mitunter ironisch gebrochen - an Ecos «Der Name der Rose» oder Mulischs «Entdeckung des Himmels» denken lasst, bildet den Ausgangspunkt für eine Einfflhrung in die im <<Buch der Gewissheit» des Bahá’u’lláh, des Gründers der BahaiReligion, enthaltenen Lehren.

Die Einfügung religiöser Texte in eine Rahmenhandlung erinnert an Paulo Coelho; von seinen Iiterarischen Techniken her verdankt der Roman viel Jostein Gaarders philosophischer Einführung «Sophies Welt». Denn ahnlich wie Sophie alle gelernten philosophischen Ansatze selbst durchlebt, . lassen sich auch im «Storchennest» kontinuierlich Korrespondenzen ISBN: 3-87037-375-X

zwischen der materiellen Welt und den immer wieder zwischen Hoffnung 34° 59„" 5°

und Skepsis wechselnden Reaktionen des Paares auf die für sie un- 14’°0€

erhörten Lehren finden. Deutlichstes Beispiel ist das bereits im Buchtitel genannte Storchennest, das ein Storchenpaar auf dem Dach der Kirche bezogen hat. Die brütenden und schlflpfenden Stérche, deren Zukunft immer wieder in Frage gestellt scheint, die aber schließ|ich doch auf ungewohnlichen Wegen ihr Winterquartier in Afrika erreichen, stehen sinnbildlich fflr das Wagnis, sich auf einen neuen Glauben einzulassen. Die Pioniererfahrung, die die beiden Hauptfiguren machen, spiegelt sich auch in ihren Namen, Gabriel und Maria, wieder, die symbolisch verdeutlichen, daß es hier um Verkijndigung und die «Empféngnis» eines neuen Propheten geht.

Ftir diejenigen, die sich für spirituelle Literatur interessieren und sich vielleicht auf unterhaltsame Weise über Bahai informieren möchten, konnte «Das Storchennest>> eine spannende Lektüre darstellen.

ll.il1.li—\ci'l.i-_> l)clIm"Hl.1mlpi.i~.I1lIcx'l I Eine Einfflhfung in Bahá’í'Re“9iOn ’ Von Dr. Mokhtar Afscharian

[fine Iünfülzrung in (/13; Bahá’í—I(¢Iigiun

Dr. Mokhtar Afscharian, der Iangjéhrige unermüdliche Bild-und Ton-Spezialist der deutschen Bahá’í-Gemeinde, dessen DIA-Serien Tausende Bahá’I' sowie interessierte Besucher des Ausstellungsraumes des Hauses der Andacht in Langenhain begeistert und lnformationen über unseren Glauben vermittelt haben, hat seine Erfahrungen in einer informativen DVD zusammengetragen.

Sie liegt z.Zt. in der deutschen, englischen, franzosischen, persischen und spanischen Sprache vor und kann mittels eines normalen DVD-Players vorgeführt werden.

Sie eignet sich für Studienabende, Heimkreise und öffentliche Vortrége sowie zur weiteren Information in Schulen und sonstigen kulturellen Einrichtungen.

Auch als Geschenk an Freunde und Bekannte, die sich über die Inhalte des Baha'iGlaubens informieren wollen, ist sie geeignet.


Preis 7 Euro Bestell-Nr. des Bahá’í-Verlages lautetz 467-101.

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[Seite 12]Die Bahá’í Religion

Zentrale Lehren

Die Einheit Gottes

Es gibt nur einen Gott, mit welchem Namen er auch benannt wird

Die Einheit der Religionen

Alle Offenbarungsreligionen bergen den gleichen Kern ewiger Wahrheiten, wie die Liebe zu Gott und den Menschen.

Bestimmte Gesetze jedoch, die zum Beispiel die Organisation der Gemeinde, das Sozialwesen oder die Hygiene betreffen, müssen sich im Zuge der

Menschheitsentwicklung verandern.

In großen Zyklen offenbart Gott sich durch seine Boten wie, Krishna, Buddha, Moses, Christus, Mohammed und Bahá’u’lláh und erneuert diesen Teil seiner

Gebote als Antrieb für den menschlichen Fortschritt.

Die Einheit der Menschheit

Die Menschheit ist eine einzige, große Familie mit völlig gleichberechtigten Mitgliedern, welche ihre Verschiedenheit als bereichern des Element willkommen heißen.

Ihren Ausdruck finden diese Grundlegenden Lehren in Prinzipien wie:

- Selbstandige Suche nach Wahrheit

- Gleichsteliung von Frau und Mann

- Soziale Gerechtigkeit

- Abbau von Vorurteilen

- Entscheidungsbildung durch Beratung

- Ubereinstimmung von Religion und Wissenschaft

Zentrale Gestalten

Bab (1819-1850), der Vorlaufer Bahá’u’lláh (1817-1892), der Stifter Abdu’l-Baha (1844-1921), der Ausleger Shoghi Effendi (1897-1957), der Htiter

Die Bahá’I’-Gemeinde

Organisiert sich in Gremien, die auf ortlicher, nationaler und internationaler

Ebene von den erwachsenen Gemeindemitgliedern in freier, gleicher und

geheimer Wahl ohne Kandidatur oder Wahlkampagnen gewahlt werden.

Es gibt keinen Klerus.

Veranstaltungen

Philosophisches Forum Luxemburg - Stadt

Monatlich

Info. fur weitere Veranstaltungen: Tel.: 819080

Gebets-und Meditationsabend «Galerie am Duerf» in Steinsel Veranstalterz Bahai Steinsel


Info: Tel. 091 334210 (Nau Jean-Marie)

4!‘


Haus der Andacht in Langenhain bei Frankfurt


lmpressum Zeit für Geist 2006 — Heft 1

Unsere grundlich veranderte Welt erfordert in allen Bereichen des Lebens ein neues Denken und Handeln. Zeit fur Geist befasst sich auf dem Hintergrund der Bahá’í-Lehre mit aktuellen Zeitfragen und méichte durch Gedankenimpulse die Entwicklung zu einer friedlichen Welt fordern.

Herausgeber: Baháfi-Arbeitsgruppe ,,Gedanken fur eine friedliche Welt“, asbl. Redaktion: Dr. Farah Dustdar, Farzin Dustdar, Heng Ries, Payam Arzani,

Claude Wiltgen

Redaktlonsanschrift:

Zeit für Geist

17, all. Leopold Goebel

L-1635 Luxemburg

Tel. 44 22 20 www.bahai.|u

Cover & Layout: Claude Wiltgen Manuskript: Farah Dustdar

Druck: Rapidpress

Vertrieb und Bestellungenz Bizhan Saberin 33, r. J—A Zinnen

L—9068 Ettelbruck

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Zeit für Geist wird lhnen kostenlos zugeschickt. Falls Sie weitere Freunde mit dieser Zeitschrift bekannt machen möchten, wenden Sie sich bitte an Vertrieb und Beste||un gen. Wenn Sie die Zeitschrift nicht mehr zu-’

geschickt bekommen möchten, wenden Sie sich bitte auch an die gleiche Adresse.

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