Jahrgang 2, Heft 6, Rahmat 77 (Barmherzigkeit)
'Wirklichkeit'
Herausgeg. v. d. Bahai-Arbeitsgemeinschaft, Esslingen
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Star of the West, No.8., August 1912
'Ansprache von ABDUL BAHA in dem Woman Suffrage Meeting, das am 20.Mai 1912 in dem Metropolitan Temple, in der 7. Avenue und 14. Strasse von New York abgehalten wurde.
Stenogramm aufgenommen von E. Foster.
Einführung durch Mrs.Penfield.
Vielleicht haben keine 2 Gegenstände in der ganzen Welt in den Gemütern des Volkes soviel Furcht erweckt, wie die Abrüstung der Nationen und die Freimachung der Frauen.
Diese beiden wenden sich an die Ideale der Billigkeit und Gerechtigkeit unter den Menschen. Und es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass viele bedeutende Arbeiter in der Friedensbewegung nach jahrelanger Arbeit zu dem Schluss gekommen sind, dass der universalte Friede verwirklicht werden muss und von den Interessen der Frauen in den Senatoren und Vertretungen der Welt abhängen wird.- Es ist interessant, sich diesen Abend, wo wir diese 2 Gegenstände erörtern werden, zu erinnern, dass diese 2 grossen Bewegungen Seite an Seite miteinander gehen.
Ich habe die grosse Ehre Ihnen diesen Abend einen der bedeutensten Verteidiger der beiden, des Frauenstimmrechts und des Universalen Friedens, dem persischen Propheten Abdul Baha ,welcher in unserer Mitte weilt, vorstellen zu dürfen.- Er wird in Seiner eigenen Sprache, übersetzt von Dr.Faread, zu ihnen reden.
Ich setze voraus, dass die Meisten unter ihnen mit der Geschickte dieses bedeutenden Mannes vertraut sind, eines Mannes, welcher 40 Jahre lang in der Festung Akka als Gefangener
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gehalten - ein Gefangener, eingekerkert von der Türkei - und erst im Jahre 1908 davon befreit worden war, als die neue Verfassung angenommen wurde. Ich kann nicht besser reden, wie einer Seiner Anhänger, der Abdul Baha in diesen Worten beschreibt: „Abdul Baha wünscht als der Diener der Menschheit bekannt zu werden. Er sucht keine höherer Stellung als diese, doch als einer, der all dieses Absichten kennt, einer, welcher die Vereinigung der Menschheit u. die Erhebung, welche diese mit sich bringt, verwirklicht.
Wir hoffen, dass wir diesen Abend von diesem bedeutenden Manne nicht nur etwas über den Zustand und die Stellung der Frau in Persien, sondern auch etwas über die Verwandtschaft, welche diese zwei grossen Bewegungen - das Frauenstimmrecht und der internationale Frieden – andern gegenüber haben, hören werden.
Ich habe die grosse Ehre ihnen Abdul Baha vorzustellen.
'A n s p r a c h e von A b d u l B a h a :
Heute sind es verschiedene Fragen von grösster Wichtigkeit, denen die Menschheit gegenüber steht. Diese Fragen sind diesem strahlenden Jahrhundert besonders eigentümlich. In den vergangenen Jahrhunderten war es nicht einmal nötig, diese Probleme zu erwähnen. Insofern, als dies das Jahrhundert der Erleuchtung , das Jahrhundert des Fortschritts der Menschheit, das Jahrhundert der göttlichen Gnaden ist , deshalb werden diese Fragen der Betrachtung der öffentlichen Ansicht vorgelegt und in allen Ländern der Welt hat die Diskussion bei der Betrachtung derselben eingegriffen.
Eine dieser Fragen betrifft die Reche der Frau und ihre Gleichheit mit dem Manne. In den vergangenen Zeiten glaubten sie an die Ungleichheit zwischen dem Mann und der Frau!; d. H: sie betrachteten die Frau niedriger als den Mann, selbst von
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dem Standpunkt ihrer Zergliederung und Erschaffung aus. Sie wurde als niedriger im Verstand betrachtet und es wurde ihr nicht erlaubt, in den Schauplatz der wichtigen Angelegenheiten zu treten. In einigen Ländern gingen die Männer sogar soweit, dass sie die Frauen betrachteten, als gehörten sie in eine andere Sphäre, als den menschlichen Kreis. Aber diesem Jahrhundert welches das Jahrhundert des Lichts und der Offenbarung der Geheimnisse ist, hat Gott zur Befriedigung der Menschheit bewiesen, dass dies ein grosser Fehler ist. Nein, vielmehr ist es klar bewiesen, dass das männliche und weibliche Geschlecht als Menschheit gleich sind, kein Unterschied ist zwischen ihnen; alle sind Menschen. Die Zustände, welche in den vergangenen Jahrhunderten existierten, waren an dem Mangel der Erziehung der Frau schuldig. Sie erzogen das weibliche Geschlecht überhaupt nicht, sondern liessen es in seinem unentwickelten Zustand. Natürlich konnte das weibliche Geschlecht so nicht vorwärts kommen. Es ist Tatsache, dass Gott die ganze Menschheit erschaffen hat und in dem Ansehen Gottes gibt es keinen Unterschied zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen. In dem Ansehen Gottes ist derjenige, dessen Herz rein ist, angenehm, sei es nun ein Mann oder eine Frau. Gott wird nicht fragen, bist du eine Frau oder ein Mann? Er wird die menschlichen Handlungen betrachten. Wenn die Taten an der Schwelle des Einen glorreichen angenehm sind, wird er ebenso belohnt werden, sei es ein Mann oder eine Frau.
Zweitens: Die Erziehung des weiblichen Geschlechts ist notwendiger & wichtiger, als die Erziehung des Mannes; denn die Frauen sind die Erzieherinnen des Mannes, wenn der Mann noch im Jugendalter ist. Wenn der Erzieher mangelhaft & unvollkommen ist, wird der Erzogene notwendig auch damit übereinstimmen. Wenn wir sagen, dass das weibliche Geschlecht mangelhaft & unvollkommen ist,
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so bringt dies einen Zustand der Mangelhaftigkeit in der Menschheit mit sich, denn die Frau ist es, welche dem Kinde befiehlt u. es erzieht. Der Vater erzieht es nicht. Deshalb wird, wenn der Erzieher vollkommen ist, sicher auch der Erzogene vollkommen sein. Dies ist augenscheinlich, klar und unbestreitbar. Ist es möglich, wenn der Lehrer unvollkommen u. ungebildet ist, dass der Schüler vollkommen u. gebildet ist? Die Mütter sind die ersten Erzieher der Menschheit; wenn sie unvollkommen sind, dann wehe für die Stellung des Mannes.
Wiederum ist es in allen Angelegenheiten festgelegt, dass solche Geschäfte, an denen die Frau nicht teil hatte, nie die Stufe der Vollkommenheit erreicht haben. Die Geschichte beweist dies. Jede wichtige Unternehmung der menschlichen Welt, bei der die Frau teilnahm, hat eine Bedeutung erlangt; selbst in der Religion. Dies ist aus der Geschichte gegriffen u. kann nicht wiederlegt werden.
Seine Heiligkeit Jesus Christus hatte 12 Jünger, einer davon, eine Frau, ist als Maria Magdalena bekannt. Judas Ischariot war zum Verräter geworden u. die übrigen 11 Jünger waren nach der Kreuzigung ungewiss u. zweifelhaft.
Die eine, welche sie aufrichtete u. wieder versammelte, war keine andere als Maria Magdalena. Wenn ihr die Evangelien aufmerksam durchlest, werdet ihr dies finden.
Es wird euch vollkommen klar werden.
Drittens: Die Welt der Menschheit besteht aus 2 Teilen, dem Männlichen u. dem Weiblichen. Wenn der eine mangelhaft bleibt, wird der andere notwendigerweise auch mangelhaft sein. Ein Glied des Körpers ist die rechte Hand, das andere die linke Hand. Wenn sich eine von diesen schadhaft zeigen sollte, wird sich dies natürlich auch auf die andere erstrecken. Die Ausbildung ist vollkommen, wenn beide Hände vollständig sind. Wenn wir sagen, dass eine Hand unvollkommen ist, beweisen wir die Unfähigkeit und Untauglichkeit der
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anderen; denn einhändig ist keine vollkommene Ausbildung. Gerade so wie die physische Ausbildung mit 2 Händen vollkommen ist, so müssen die 2 Factoren des sozialen Körpers vollkommen sein. Es ist nicht erlaubt, dass eines unausgebildet zurückbleiben soll, denn bis beide die Vollkommenheit nicht erreichen, wird das Glück der menschlichen Welt kein sicheres sein. Wenn eines unvollkommen bleibt, wie kann das Glück erlangt werden? Es ist unmöglich.
Ferner: Das wichtigste Ergebnis des heutigen Tages ist dasjenige, welches den internationalen Frieden und die Beilegung betrifft; und der Universale Frieden ist ohne das Universale Stimmrecht unmöglich. Die Kinder werden von den Frauen erzogen. Die Mutter trägt die Mühseligkeiten der Erziehung des Kindes. Sie unterzieht sich den Prüfungen der Geburt und des Lernens. Deshalb ist es für die Mütter das Schwierigste, ihre Lieben auf das Schlachtfeld zu senden, ihre Nachkommen, auf welche sie so viele Liebe und l Sorge verwendet haben. Betrachtet: ein Kind wird 20 Jahre lang von einer Mutter erzogen u. unterrichtet. Wieviele Nächte hat sie schlaflos zugebracht, wieviele Tage ruhelos und beängstigt. Mit der äussersten Mühe hat sie es zu dem Alter der Reife gebracht. Wie schwer ist es, es auf dem Schlachtfelde zu opfern. Diese Mütter werden den Krieg deshalb nicht gutheissen, noch Gefallen daran finden. So wird es kommen, dass ,wenn das weibliche Geschlecht ganz und gleich an den Angelgenheiten der Welt in dem grossen Schauplatz der Gesetzgebung u. Politik teilnimmt, der Krieg aufhören wird, denn die Frau wird das Hindernis u. die Hemmung dazu bilden. Dies ist sicher u. ohne Zweifel.
Ein anderer Punkt ist der Beachtung wert. Es ist von einigen eingewendet worden, dass die Frau nicht die gleiche Fähigkeit hat wie der Mann u. dass sie von der Erschaffung an nicht vollendet sei. Dies ist nur Einbildung. Der Unterschied, welcher zwischen dem Mann u. der Frau besteht, ist allein die Verschiedenheit in der Erziehung. Wenn dieselbe Gelegenheit für die Erziehung geboten wird, ist es ohne zweifel, dass die Frau die Gleiche des Mannes wird. Die Geschichte wird dies beweisen. In vergangenen
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Zeiten sind gewisse Frauen in den Schauplatz der Handlung getreten u. haben die Männer in ihren Ausführungen übertroffen. Unter ihnen war Zenobia, die Königin des Ostens, deren Hauptsitz Palmyra war. Heute legt die Stelle von Palmyra Zeugnis ab von ihrer Grösse, ihrer Fähigkeit und Souveränität. Jetzt noch kann der Besucher die Schloss- u. Festungsruinen sehen, die in äusserster Stärke und Wiederstandsfähigkeit von dieser bedeutenden Frau erbaut worden waren, welche in der Geschichte einig dasteht. Sie war die Frau des regierenden Generals von Athen. Ihr Gatte starb und sie übernahm das königl. Diademl an seiner Stelle. Der römische Kaiser ernannte sie zum Gouverneur und sie regierte ihre Provinz sehr segensreich.
Sie eroberte Syrien unterwarf Aegypten und gründete ein wunderbares Königreich mit äusserster Fertigkeit und Gründlichkeit.
Der römische Kaiser sandte ein unzähliges Heer gegen sie. Als dieses Heer, in bester militärischer Taktik ausgebildet, Syrien erreichte, erschien Zenobia selbst auf dem Schlachtfelde und führte ihre Soldaten an. Am Tage der Schlacht kleidete sie sich in bunte Gewänder, setzte eine Krone auf ihr Haupt, bestieg ein Pferd und ritt mit dem Schwert in der Hand voran u. bewies sich als einen grossartigen militärischen Befehlshaber. Durch ihre Tapferkeit u. ihren Mut wurde das römische Heer so geschlagen, und derart zerstreut, dass es sich auf dem Rückzug nicht sammeln konnte.-Die Regierung von Rom, die beraten hatte, sagte: Es hat nichts zu sagen, welchen Befehl wir ihr senden, wir können ihr nicht wiederstehen. Deshalb musste sich der Kaiser Aurelian mit seiner ganzen Macht Zenobia unterwerfen. Der Kaiser marschierte in Syrien mit 200 000 Soldaten ein. Das Heer von Zenobia war an Zahl bedeutend niedriger. Die Römer belagerten sie in Palmyra 2 Jahre lang ohne Erfolg. Endlich gelang es dem Kaiser die Verbindung zur Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln abzuschneiden, bis sie u. ihr Volk durch Aushungern gezwungen wurde, sich zu übergeben. Sie war im Krieg und in der Schlacht nicht besiegt worden. Aurelian führte sie
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als Gefangene nach Rom. An dem Tage seines Einzugs in diese Stadt veranstaltete er einen feierlichen Umzug - zuerst Elefanten, dann Löwen, Tiger, Vögel, Affen- nach den Affen Zenobia. Eine Krone war auf ihrem Haupt, eine goldene Kette um ihren Hals. Mit der äussersten Würde und unbewusst der Erniedrigung, nach rechts und links sehend, sage sie: Warhaftig, ich rühme mich eine Frau zu sein u. dem römischen Kaiser wiederstanden zu haben (-zu jener Zeit umfasste das römische Reich die halbe Erde). Un diese Kette um meinen Hals ist deshalb nicht ein Zeichen der Demütigung, sondern der Verherrlichung. Dies ist ein Symbol meiner Macht, nicht meiner Niederlage.
Unter andern historischen Frauen ist die Frau von Peter dem Grossen, Katharina I. Russland u. die Türkei waren im Krieg. Der Kommandeur der türkischen Streitkräfte, Mohamed Pasha hatte Peter bei Serbia besiegt und war im Begriff St. Petersburg einzunehmen. Die Russen waren in einer sehr kritischen Lage. Katharina, die Frau Peters des Grossen, sagte: ich werde diese Sache anordnen. Sie hatte eine Unterredung mit Mohamed Pasha, trat in Friedensverhandlungen und veranlasste ihn zurückzuziehen. Sie rettete ihren Gatten u. ihre Nation. Nachher wurde sie gekrönt und regierte mit grösster Geschicklichkeit.
Die Entdeckung Amerikas durch Columbus geschah, wie ihr wisst, unter der Regierung der Königin Isabella von Spanien; zu diesem grossen Ereignis war Weisheit und Beistand nötig. Kurz, es gab viele bemerkendwerte Frauen in der Geschichte der Welt. Sie alle zu erwähnen ist nicht nötig. Heute finden wir unter den Bahais in Persien viele Frauen, die der grosse Stolz und Neid der Männer sind. Sie sind mit allen Erhabenheiten und Tugenden der Menschheit ausgestattet. Sie sind beredt, sie sind Dichter u. Schülerinnen und verkörpern die Quintessenz der Menschheit. Der ganze Orient legt von ihrer Grösse Zeugnis ab. In politischen
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Angelegenheiten sind sie fähig gewesen, den geistigen Anlagen der Männer zu wiederstehen. Sie haben ihr Leben gelassen und ihre Besitztümer im Märtyrertum für die Menschheit geopfert. Ihr Ruhm, ihre Ehre und ihre Spuren werden ewig dauern. Wahrlich, die Bücher der Geschichte von Persien sind durch die Leben solcher Frauen hell erleuchtet. Wenn ihr die Geschichte lesen würdet, so wäret ihr erstaunt.
Der Zweck ist, kurz gefasst, dass, wenn die Frau voll erzogen u. ihre Vorrechte bewilligt sind, sie zur Ausführung wundervoller Taten gelangen wird und sich dem Manne als gleichberechtigt erweist.
Denn sie ist der Gehilfe des Mannes. Beide sind Menschen, beide sind mit Intelligenz ausgestattet, beide verkörpern die Tugenden der Menschheit. In allen menschlichen Kräften und Verrichtungen sind sie Teilnehmer. Wenn die Frauen in allen Graden der menschlichen Tätigkeit ihre Vorrechte gegenwärtig nicht augenscheinlich macht, ist es durch den Mangel an erzieherischer Gelegenheit. Die Erziehung wird sie ohne Zweifel mit dem Manne gleich stellen.
Betrachte das Tierreich. Welcher Unterschied wird zwischen dem Männlichen und Weiblichen wahrgenommen? Sie sind in der Macht gleich u. teilen unter sich ihre Rechte. Unter den Tauben und Vögeln der Luft wird auch kein Unterschied beobachtet. Ihre Macht ist gleich, ihre Rechte erhaltend - sie wohnen zusammen in vollkommener Einigkeit und Gleichheit. Geniessen wir nicht dieselbe Gleichheit? Der Mangel dieser Gleichheit kommt dem Manne nicht zu.
Deutsche Uebersetzung von Herrn (H. S. Schwab) Esslingen. Sept.1912