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BAHÁ’Í – STUDIENTEXTE
GUNDLAGEN DER ZIVVILISATION
Aus Ansprachen und Schriften von ‘ABDU’L-BAHÁ
Veröffentlichungs-Ausschuss des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e.V. Referat „Studienmaterial” Neckargemünd 1948
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ÜBERSICHT:
Die Notwendigkeit Göttlicher Zivilisation Seite 1-4 Dem grössten Frieden entgegen Seite 4-7 Herrschaft der Gerechtigkeit Seite 7-12 Parlamente Seite 12-14 Eine Welthilfssprache Seite 14-15 Allgemeines Wohlergehen Seite 15-18 Gleichstellung der Geschlechter Seite 18-21 Universale Erziehung Seite 21-22 Die Quelle der Kraft Seite 22-29 _________________
(Quellennachweis siehe am Schluss)
Nicht für den Druck bestimmte Notabschrift, noch nicht vom NGR überprüft.
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GRUNDLAGEN DER ZIVILISATION
Die Notwendigkeit Göttlicher Zivilisation.
Durch den Scharfsinn und die Erfindungen des Menschen ist es möglich, weite Meere zu durchqueren, in der Luft zu fliegen und unterseeische Tiefen zu befahren. Osten und Westen können in ständige Verbindung miteinander treten. Eisenbahnzüge jagen durch die Kontinente. Die menschliche Stimme wird eingefangen und wiedergegeben, wodurch der Mensch von irgendeinem Platz aus über grosse Entfernungen hin zu sprechen vermag. Dies sind einige der hervorragenden Kennzeichen dieses glänzenden Jahrhunderts. Diese grossen Fortschritte liegen im MATERIELLEN. Beachtliche Zeichen und Zeugnisse sind an den Tag getreten, verborgene Wirklichkeiten hervorgekommen. Es ist die Zeit, da sich der Mensch in Richtung auf das Geistige hin bemühen und anstrengen muss. Die materielle Zivilisation ist weit vorangeschritten, jetzt wird geistige Zivilisation benötigt. Materielle Zivilisation allein befriedigt nicht, sie kann den Gegebenheiten und Erfordernissen der Gegenwart nicht genügen. Ihre Segnungen beschränken sich auf die Welt des Stoffes, für den Geist des Menschen aber gibt es keine Schranken, da im Geiste selber Fortschritt ist, und wenn die Göttliche Zivilisation einmal erreicht ist, wird auch der Geist des Menschen vorwärtsschreiten. Wo die Empfänglichkeit entwickelt ist, wird auch die Wirksamkeit des Menschen wachsen. Die Wirk-
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lichkeit der Dinge wird in ständig wachsendem Mass entdeckt werden, und der Einfluss der Göttlichen Führung mehr und mehr erkennbar werden. Dies alles leitet zur Göttlichen Form der Zivilisation hinüber … Seht, was die heutige materielle Zivilisation hervorbringt: schuf sie nicht die Werkzeuge für den Krieg und die Vernichtung? In alten Zeiten war das Schwert die Waffe des Kriegs, heute sind es rauchlos feuernde Gewehre. Die Kriegsfahrzeuge waren vor hundert Jahren Segelschiffe, heute sind es Panzerkreuzer. Die Einrichtungen und Mittel menschlicher Zerstörung haben sich in diesem Zeitalter der materiellen Zivilisation in gewaltigem Mass vervielfacht. Doch wenn sich die materielle Zivilisation mit Göttlicher Zivilisation verbündet, wenn sich der Mensch der sittlichen Lauterkeit und des geistigen Scharfsinns um der menschlichen Besserung und Erhöhung willen mit dem Menschen der geistigen Kraft vereinigt, so werden Glück und Fortschritt der menschlichen Art gesichert sein. Alle Nationen der Erde werden sich dann eng verbinden und aneinanderschliessen und die Religionen zu einer einzigen zusammenfliessen, weil die Göttliche Wirklichkeit in ihnen alle EINE ist … Durch Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch ist die Menschheit in Krieg und Streit verstrickt gewesen. Bald war es die Religion, die dabei als Vorwand diente, bald Vaterlandsliebe, Rassenvorurteil, nationale Politik, Gebietseroberung oder Ausweitung der wirtschaftlichen Interessen, kurz, die Menschheit ist in dem ganzen Abschnitt der uns bekannten Geschichte nie zum Frieden ge-
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kommen. Wie viele Ströme Blutes sind vergossen worden! Wie viele Väter haben um den Verlust der Söhne geklagt, wie viele Söhne geweint um ihre Väter, wie viele Mütter um ihre Lieben! Menschen sind zur Nahrung und zur Zielscheibe der Schlachtfelder geworden, und überall war Krieg und Fehde der Gegenstand und Inhalt der Geschichte. Die Wildheit ist den Menschen eigentümlicher gewesen als den Tieren. Löwe, Tiger, Bär und Wolf sind wild, weil es die Notwendigkeit ihres Lebens fordert, denn ohne Wildheit müssten sie verhungern. Der Löwe kann nicht weiden, seine Zähne sind nur für fleischliche Kost geeignet, und ebenso ist es bei anderen wilden Tieren. Für sie ist die Wildheit als natürlicher Selbsterhaltungstrieb gegeben, die menschliche Wildheit aber rührt von Selbstsucht, Gier und Unterdrückung her. Sie entspringt aus keiner natürlichen Notwendigkeit. Der Mensch erschlägt, ohne zu müssen, tausend seiner Mitgeschöpfe, wird zum Helden und von der Nachwelt durch Jahrhunderte hindurch verherrlicht. Ein befehlender General kann eine grosse Stadt an einem einzigen Tag vernichten. Wie unwissend, wie ungereimt ist doch die Menschheit! Wenn jemand einen anderen erschlägt, so brandmerkt man ihn als Mörder und Verbrecher und verurteilt ihn zum Tode, doch wenn er hunderttausend Menschen tötet, ist er ein militärisches Genie, eine grosse Berühmtheit, ein Napoleon, den sein Volk vergottet. Wer einen Taler stiehlt, wird Dieb genannt und eingesperrt, wer aber militärisch einfällt und ein unschuldiges Land ausraubt und plündert, dem wird die Heldenkrone aufgesetzt. Was sind die Menschen doch für Toren! Die Wildheit gehört nicht zum Bereich des Menschen, denn sein Gebiet ist die ERHALTUNG DES LEBENS, nicht
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des Tötens. Es geziemt ihm, zur Ursache des Menschlichen Wohlergehens zu werden, doch wenn er sich in tierischer Wildheit wohlgefällt, so folgt daraus, dass in der menschlichen Gesellschaft keine Göttliche Zivilisation ist. Die materielle Zivilisation ist unverkennbar fortgeschritten, da sie jedoch mit der Göttlichen Zivilisation nicht Hand in Hand geht, herrschen Verdorbenheit und Bosheit vor. 1)
Dem Grössten Frieden entgegen.
Die Grundlage aller Göttlichen Religionen ist Frieden und Einklang, statt ihrer aber haben sich Missverständnisse und Unwissenheit breit gemacht. Sind sie erst zum Verschwinden gebracht, so werdet ihr sehen, dass alle religiösen Kräfte für den Frieden wirken und die Einheit der Menschheit künden wollen. Denn allen liegt die Wirklichkeit zugrunde, und die Wirklichkeit ist nicht vervielfachbar noch teilbar. Schon Seine Heiligkeit Moses hatte sie begründet, seine Heiligkeit Christus ihre Hütte aufgerichtet, und durch den Glanz ihres Lichtes ist jede Religion erleuchtet worden. Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh verkündete die gleiche eine Wirklichkeit und übermittelte die Botschaft des „Grössten Friedens”. Selbst im Gefängnis ruhte Er nicht, bis dass Er dieses Licht im Osten entflammt hatte. Preis sei Gott! Alle, die Seine Lehren angenommen haben, lieben den Frieden und dienen ihm, bereit, ihr Leben und Gut dafür her zu geben. Lasst dieses Banner auch im Westen wehen, und es werden Viele seinem Rufe folgen. Amerika hat sich durch seine Entdeckungen, Erfindungen und
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Fertigkeiten einen Ruf erworben, es ist berühmt für eine gerechte Regierung und staunenswerte Unternehmen. Nun mag es auch als Künder und Bote des Universalen Friedens voranschreiten und gefeiert werden. Lasst dies seine Sendung und sein Werk sein und möchte sein gesegneter Impuls sich über alle Länder breiten! 2)
Heute ist für den Menschen kein grösserer Ruhm als der des Dienstes für die Sache des „Grössten Friedens”. Frieden ist Licht, wogegen Krieg Finsternis bedeuten. Im Frieden ist Leben, Tod im Kriege, Frieden ist Führung, Krieg ein Irren. Der Frieden ist Gottes Urgrund, Krieg des Teufels. Durch Frieden wird die Menschenwelt erleuchtet, durch Krieg ihr Fundament vernichtet …Wenn das Banner der Wahrheit hochsteigt, wird der Frieden zur Ursache des Wohlseins und des Fortschrittes in der Welt der Menschen werden. In allen Zyklen und zu allen Zeiten war der Krieg ein Anlass der Zerrüttung und des Kummers, wogegen Frieden und Bruderschaft die Sicherheit und Achtung der menschlichen Belange brachten. Dieser Unterschied kommt insbesondere in den gegenwärtigen Verhältnissen der Welt zum Ausdruck, hat doch der Krieg in früheren Jahrhunderten noch nicht den Grad von Wildheit und Vernichtungskraft erreicht gehabt, der jetzt für ihn bezeichnend ist. Wenn in alter Zeit zwei Länder miteinander im Kriege waren, so wurden zehn- oder zwanzigtausend Menschen aufgeopfert, in diesem Jahrhunger aber ist es unschwer möglich, hunderttausend Leben an einem Tag zu vernichten. So verfeinert ist die Wissenschaft des Tötens, so wirksam sind die Mittel und Einrichtungen für deren Durchführung geworden, dass in kurzer Zeit ein gan-
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zes Volk zunichte wird. Daher kommen vergleiche mit der Art und den Wirkungen der früheren Kriege nicht in Frage. Einem inneren Gesetz entsprechend erreichen alle Erscheinungen des Seins einen höchsten Punkt und Grad ihrer Vervollkommnung, wonach eine neue Ordnung und neue Voraussetzungen gegeben sind. Da die Mittel und die Wissenschaft des Krieges den Grad ihrer Vollkommenheit und höchsten Entwicklung erreicht haben, so ist zu hoffen, dass auch die Wandlung in der Menschenwelt nicht ferne ist und dass in kommenden Jahrhunderten alle Kräfte und Erfindungen des Menschen zur Förderung der Belange des Friedens und der Bruderschaft Verwendung finden … Um den Fortschritt der Menschheit zu gewährleisten und diese Grundsätze zu stiften hat Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh jedwede Prüfung und Schwierigkeit ertragen, ist Seine Heiligkeit der Báb den Märtyrertod gestorben und haben zwanzigtausend Männer und Frauen ihr Leben für den Glauben hingegeben. Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh war in Gefangenschaft und musste schwere Verfolgungen erleiden. Später wurde Er von Persien nach Mesopotamien und von Baghdad nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt, von wo aus man Ihn ins Gefängnis von Akka in Syrien überführte. In allen diesen Prüfungen trachtete Er Tag und Nacht, die Einheit der Menschheit zu verkünden und die Botschaft des Universalen Friedens zu verbreiten. Aus dem Gefängnis in Akka wandte Er sich in langen Sendschreiben an die Könige und Herrscher der Erde mit der Forderung nach internationaler Übereinkunft und der ausdrücklichen Feststellung, dass das Banner des „Grössten Frie-
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dens” mit Gewissheit in der Welt errichtet werden würde. Dies ist der Gang der Dinge. Die Mächte der Erde können die Vorrechte und Gaben, die Gott für dieses grosse und glänzende Jahrhundert angeordnet hat, nicht von sich weisen. Sie sind eine Notwendigkeit und ein Erfordernis der Zeit. Der Mensch kann allem widerstehen, nur nicht dem, was von Gott für das Zeitalter und seine Erfordernisse vorgesehen und angezeigt ist. Nun sind, Gott Lob, in allen Ländern der Erde Menschen zu finden, die den Frieden lieben, und diese Grundsätze werden über die Menschheit hin verbreitet. 3)
Die Menschheit teilt gemeinsam die erkenntnismässigen und geistigen Fähigkeiten einer anerschaffenen Begabung. Alle sind gleichermassen den verschiedenen Bedürfnissen des menschlichen Lebens unterworfen und entsprechend bestrebt, die Mittel für den irdischen Lebensunterhalt zu erwerben. Vom Standpunkt der Schöpfung aus gesehen stehen alle Menschenwesen in jeder Beziehung auf dem gleichen Boden, hängen sie alle von den nämlichen Erfordernissen ab und suchen sie alle die Genüsse und Labsale des Erdenzustandes. Deshalb hat die ganze Menschheit an vielem teil, das klar hervortritt. Diese gleiche Teilnahme an den physischen, erkenntnismässigen und geistigen Fragen des menschlichen Daseins ist eine starke Grundlage für die Vereinigung der Menschheit. 4)
Herrschaft der Gerechtigkeit.
Unter den Lehren Bahá’u’lláh’s ist die der Gerechtigkeit und des Rechtes. Solange sie in
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der Ebene des Daseins nicht verwirklicht ist, wird Alles in Unordnung sein und unvollkommen bleiben. Die Welt der Menschheit ist eine Welt der Unterdrückung und der Grausamkeit und ein Reich der Streitlust und des Irrtums. 5)
O Freunde Gottes! Seid lebendige Beispiele der Gerechtigkeit, damit die Welt durch die Gnade Gottes an euren Taten sehen möge, dass ihr die Eigenschaften der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit offenbaret! Gerechtigkeit ist nicht begrenzt, sie ist eine universale Eigenschaft. Ihre Wirkung muss in alle Klassen, von der Höchsten bis zur niedersten, hineingetragen werden. Gerechtigkeit den Menschen heilig sein und das Recht eines jeden Einzelnen Beachtung finden. Wünschet für Andere nur das, was ihr euch selber wünschet. Dann werden wir unter der Sonne der Gerechtigkeit frohlocken, die am Horizonte Gottes scheint. Alle Menschen stehen auf Ehrenposten, die sie nicht verlassen sollen. Ein schlichter Arbeiter, der eine Ungerechtigkeit begeht, ist ebenso zu tadeln wie ein berühmter Zwingherr. So haben wir alle zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu wählen. Ich hoffe, dass jeder von euch gerecht sein wird und dass ihr eure Gedanken auf die Einheit des Menschengeschlechtes richtet. Ich hoffe, dass ihr niemals euren Nebenmenschen Schaden antun noch übel von ihnen reden werdet. Ich hoffe auch, dass ihr die Rechte aller Menschen achten und euch mehr mit den Interessen Anderer als mit euren eigenen befassen werdet. Auf diese Weise werdet ihr Leuchten der Göttlichen Gerechtigkeit wer-
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den und in Einklang mit den Lehren Bahá’u’lláh’s handeln, der Sein ganzes Leben hindurch unzählige Trübsale und Verfolgungen erduldetet, um der Menschheit die Tugenden der Welt der Göttlichkeit darzulegen und es euch zu ermöglichen, den Vorrang des Geistes zu erfassen und euch über Gottes Gerechtigkeit zu freuen. Durch Seine Barmherzigkeit werden über euch die Göttlichen Gaben ausgegossen werden, und darum bete ich! 6)
Der Mensch wird in seiner Lebensführung von zwei Hauptbeweggründen geleitet: von der Hoffnung auf Belohnung und der Furcht vor Strafe. Daher müssen führende Persönlichkeiten, die wichtige Regierungsposten inne haben, diesem Hoffen und Fürchten Rechnung tragen. Ihre Lebensaufgabe ist, die Schaffung von Gesetzen zu beraten und für deren gerechte Handhabung zu sorgen. Das Zelt der Weltordnung ist auf den beiden Pfeilern der Belohnung und Bestrafung aufgerichtet und begründet. Bei Gewaltregierungen, die von Männern ohne Gottesglauben geleitet werden, ist die Durchführung der Gesetze selbstherrlich und ungerecht. Es gibt keinen besseren Schutz gegen Unterdrückung als die beiden Gefühle der Hoffnung und des Fürchtens. Sie wirken sich sowohl politisch als auch geistig aus. Wenn die mit der Handhabung der Gesetze beauftragten Personen die geistigen Folgen ihrer Entscheidungen berücksichtigen und der Führung, die aus der Religion kommt, folgten, sie würden „zu Göttlichen Handlangern in der Welt des Handelns und zu Stellvertreter Gottes für Jene, die auf Erden sind, und um der Liebe Gottes willen die Belange seiner Diener ebenso verteidigen, wie ihre eigenen.”
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Wenn sich ein Herrscher seiner Verantwortung bewusst ist und sich scheut, dem Göttlichen Gesetz zu trotzen, so werden seine Urteilssprüche gerecht sein, und wenn er vor allem glaubt, dass ihm die Folgen seiner Handlungen auch über sein irdisches Leben hinaus nachgehen und er „das, was er säet, auch ernten” muss, so wird er ganz sicher Ungerechtigkeit und Unterdrückung meiden. Wenn jedoch andererseits ein Beamter glaubt, dass alle Verantwortung für sein Handlungen mit seinem irdischen Leben aufhört und er nichts von Göttlicher Güte und von einem geistigen Reich der Freude weiss noch daran glaubt, so wird er des Antriebs zu gerechtem Handeln und der Begeisterung zur Ausmerzung von Unterdrückung und Ungerechtigkeit ermangeln. Wenn ein Richter weiss, dass seine Urteile auf der Waage des Göttlichen Richters nachgewogen werden und dass er, wenn sie als nicht zu leicht erfunden werden, ins Himmelreich gelangen wird, wo ihm das Licht der Himmlischen Freigebigkeit leuchtet, dann wird er gewiss gerecht und unparteiisch handeln. Sehet, wie wichtig es ist, dass Staatsbeamte durch die Religion erleuchtet werden! 7)
Die Minister und selbst die untersten Beamten des Staates müssen über jeden Verdacht erhaben sein und sich in das Gewand der Reinheit und des lauteren Lebens kleiden, und nicht eher werden die von uns so dringlich herbeigewünschten besseren Zustände erreicht sein, als bis die Regelung des öffentlichen und privaten Gebarens einen solchen Grad von Vervollkommnung erreicht hat, dass es Niemanden möglich wäre, auch nur um Haaresbreite vom rechten Pfade abzu-
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weichen, auch wenn er es versuchen würde. So mögen alle Regierungsgeschäfte gemäss den Gesetzen der Billigkeit und des Rechtes gehandhabt werden und die verantwortlichen Minister die Unmöglichkeit, zur Rechten oder zur Linken auszuweichen und die Notwendigkeit, dem Weg der Rechtlichkeit zu folgen, empfinden. Alle Parteiergreifung und Verdrehung des Rechtes durch Bestechung, aus persönlicher Zuneigung oder Hass, ist abzuschaffen, und beide Seiten sind leidenschaftslos anzuhören. Weder sollte der Schuldige gerechtfertigt noch der Unschuldige verurteilt werden. Die Mittel und Wege, Zufriedenheit und Gutes zu erreichen, sind grobem Missbrauch zugänglich, und viel hängt von der Meinung, Fähigkeit, Frömmigkeit, Vertrauenswürdigkeit, dem Wohlwollen und Eifer der Regierten und ihrer Leiter ab … Und wenn die Betreffenden das Gewand der Reinheit und Lauterkeit bewahren und nicht den Saum mit Niedrigkeit beflecken, so wird der Beistand des Allmächtigen nicht ausbleiben, sondern sie für die ganze Welt zu einem Quell des Segens machen und Wohltaten jeder Art von ihren Zungen und Federn strömen lassen … Wenn sie sich indessen anders verhalten, werden üble Wirkungen erscheinen, wie dies in der Tat der Fall und in einigen Staaten des Auslandes zu sehen gewesen ist, wo das Parlament nach seiner Einführung zur Ursache öffentlicher Wirrnis wurde und die guten Neuerungen zu grossen Katastrophen führten. 8)
Die Gesetze Gottes sind keine Auflagen des Willens, der Macht oder der Laune, sondern Entschliessungen der Wahrheit, der Vernunft und der Gerechtigkeit. Alle Menschen sind gleich vor dem Gesetz, das unbedingte Geltung
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haben muss. Der Zweck der Strafe ist nicht Rache, sondern die Verhütung von Verbrechen. Könige müssen mit Weisheit und Gerechtigkeit herrschen. Fürsten, Adelige und Bauern haben alle gleiches Anrecht auf gerechte Behandlung. Keiner darf bevorzugt werden. Bei einem Richter darf kein „Ansehen der Person” bestehen, sondern er muss das Gesetz in jeden vor ihn gebrachten Fall mit strenger Unparteilichkeit behandeln. Wenn jemand ein Verbrechen gegen euch verübt, so habt ihr kein Recht, ihm zu vergeben, sondern das Gesetz muss den Betreffenden betrafen, um eine Wiederholung des gleichen Verbrechens durch andere zu verhindern, denn im Hinblick auf die allgemeine Wohlfahrt des Volkes ist die Pein des Einzelnen unerheblich. Herrscht dereinst in jedem Lande der östlichen und der westlichen Welt vollkommene Gerechtigkeit, so wird die Erde ein Ort der Schönheit werden, die Würde und Gleichheit aller Diener Gottes (aller Menschen) anerkannt, das Ideal der Solidarität der menschlichen Rasse, die wahre Bruderschaft der Menschen Tat geworden sein und das herrliche Licht der Sonne der Wahrheit die Seelen aller Menschen erleuchten. 9)
Parlamente.
Die Schaffung von Räten und die Bildung von Ratsversammlungen ist die sichere Grundlage der Staatskunst, doch gibt es einige Regeln, die beachtet werden müssen, um derartige Einrichtungen fest zu untermauern. Erstens müssen die gewählten Mitlieder religiöse Menschen, gottesfürchtig, hochher-
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zig und dem Gesetz ergeben sein. Zweitens sollten sie mit den Göttlichen Verordnungen, den wichtigsten Grundfragen und den Regeln für die Behandlung der inneren Angelegenheiten und auswärtigen Beziehungen genau vertraut sein, die für die Zivilisation erforderlichen Wissenschaften und Künste kennen und schliesslich mit den Einkünften ihres persönlichen Eigentuns zufrieden sein. Man braucht nicht anzunehmen, dass es unmöglich oder auch nur schwer sei, Mitglieder zu finden, die diese Eigenschaften besitzen, und mit Gottes und Seiner Heiligen Hilfe und dem ernstlichen bemühen eifriger Menschen mögen alle Hindernisse überwunden werden … Sind die Mitglieder hingegen niedrig, unwissend und ohne volkswirtschaftliche Kenntnis, sind sie ehrgeizlos und ohne Eifer, töricht, träge und nach persönlichem oder privatem Vorteil trachtend, dann kann vielleicht nichts Gutes aus derartig zusammengesetzten Räten kommen und während sich ein Armer früher, um sein Recht zu erhalten, einer Person erkenntlich zeigen musste, könnte er dann gezwungen sein, die Forderungen der ganzen Körperschaft zu erfüllen. 10)
Zweierlei gehört zu den dringendsten Erfordernissen des politischen Gebietes: 1. die gesetzgebende Gewalt,
2. die vollziehende Gewalt.
Der Mittelpunkt der vollziehenden Gewalt ist die Regierung, und die gesetzgebende Gewalt liegt in Händen nachdenklicher und weiser Menschen. Wenn diese starken Pfeiler und festen Grundlagen unvollkommen und nicht umfassend sind, wie kann man dann für den Staat auf Sicherheit und Rettung hoffen. 11)
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Durch die Völker und Regierungen aller Länder ist ein oberstes Schiedsgericht zu errichten, dessen Mitglieder aus allen Ländern und Regierungen gewählt werden. Die Mitglieder dieses grossen Rates sollen sich in Einigkeit versammeln. Alle Streitfragen internationaler Art sind diesem Gericht zu unterbreiten, das als Aufgabe Alles durch Schiedsspruch regelt, was sonst zum Kriege führen könnte. 12)
Eine Welthilfssprache.
Einer der grossen Schritte in Richtung auf den allgemeinen Frieden wäre die Einführung einer universalen Sprache. Bahá’u’lláh befiehlt den Dienern der Menschheit, zusammenzutreten und entweder eine bereits bestehende Sprache auszuwählen oder eine neue zu erschaffen. Dies wurde (1911) vor vierzig Jahren in Kitáb-i-Aqdas (Bahá’u’lláh’s „Buch der Gesetze”). Es zeigt, dass die Frage der mannigfachen Sprachen ausserordentlich schwierig ist, gibt es doch mehr als achthundert Sprachen in der Welt, und keiner könnte sie alle erlernen. Die Rassen der Menschheit sind nicht mehr abgesondert wie in früheren Tagen. Heute ist es nötig, ihre Sprachen sprechen zu können, wenn man mit allen Ländern enge Beziehungen unterhalten will. Eine universale Sprache würde den Verkehr mit allen Nationen möglich machen. Es wäre dann nur erforderlich, zwei Sprachen, die Muttersprache und die universale Sprache, zu beherrschen. Die letzte würde dem Menschen den Verkehr mit allen und jedem Einzelnen in der Welt möglich machen. Eine dritte
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Sprache wäre nicht mehr nötig. Wie nützlich und beruhigend würde es für alle sein, wenn sie ohne Dolmetscher mit Angehörigen aller Rassen und Länder sprechen könnten! Esperanto ist aus diesem Gesichtspunkt heraus geschaffen worden. Es ist eine feine Erfindung und eine ausgezeichnete Leistung, doch muss es noch vervollkommnet werden … Der Sprachenunterschied ist eine der grössten Ursachen der Abneigung und des Misstrauens zwischen den Völkern, die durch die Unmöglichkeit, einander in der Sprache zu verstehen, mehr als aus irgend einem anderen Grunde voneinander abgesondert bleiben. Wenn Jeder die gleiche Sprache sprechen könnte, um wie vieles leichter würde es dann sein, der Menschheit zu dienen! Deshalb schätzet Esperanto, denn es ist der Anfang zur Durchführung eines der bedeutsamsten Gesetze Bahá’u’lláh’s, und es muss weiterhin verbessert und vervollkommnet werden. 13)
Allgemeines Wohlergehen.
Zu den wichtigsten Grundsätzen in den Lehren Bahá’u’lláh ’s gehört das Anrecht eines jeden menschlichen Wesens auf das lebensnötige tägliche Brot oder der Ausgleich der Mittel für den Unterhalt des Lebens. Die Verhältnisse des Volkes müssen so geordnet werden, dass die Armut aufhört und Jeder weitestmöglich seinem Rang uns einer Stellung gemäss, an Annehmlichkeit und Wohlsein teilnimmt. 14)
Jedes menschliche Wesen hat das Recht zu leben. Alle haben ein Recht auf ruhe und auf ein gewisses Mass von Wohlergehen. Wenn ein
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Reicher von Luxus und grösster Bequemlichkeit umgeben in seinem Schloss leben kann, so sollte der Arme wenigstens zum Leben Erforderliche haben. Niemand solle Hungers sterben. Jeder genügend Kleidung haben; Keiner in Unmässigkeit leben, während Anderen die nötigsten Mittel für das Dasein fehlen. 15)
Wir sehen auf der einen Seite Menschen, die mit Reichtum überladen sind, und auf der anderen jene Unglücklichen, die völlig mittellos Hunger leiden, solche, die stattliche Paläste ihr eigen nennen, und Andere, die nichts haben, wo sie ihr Haupt hinlegen. Wir finden manchen, auf dessen Tafel Gänge teurer, reicher Speisen kommen, während Andere kaum die Krusten haben, mit denen sie ihre Leben fristen. Während sich einige in Sammet, Pelz und feine Leinwand kleiden, haben Andere nur unzureichende, armselige und dünne Kleider, um sich der Kälte zu erwehren. Derartige Zustände sind schlimm und müssen gebessert werden, doch dürfen die Massnahmen der Sorgfalt. Die Besserung lässt sich nicht erzielen, indem man völlige Gleichheit unter den Menschen herstellt. Gleichheit ist ein Hirngespinst! Sie ist vollkommen unmöglich. Selbst wenn sich Gleichheit durchführen liesse, so wäre sie dennoch nicht von Dauer, und könnte sie bestehen, so wäre dadurch die Ordnung der ganzen Welt vernichtet worden. Das Gesetz der Ordnung muss untern den Menschen erhalten bleiben. So hat es der Himmel in der Schöpfung des Menschen vorgesehen. Mancher hat ein reiches Begriffsvermögen, ein Anderer ein gewöhnliches Mass und wieder ein anderer fast keines. In diesen drei Klassen von Menschen ist Ordnung aber keine Gleichheit. Wie könnten Weisheit und
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Dummheit gleich sein? Die Menschheit muss wie eine grosse Armee einen General, Hauptleute, Unteroffiziere mit verschiedenen Rängen und Soldaten, jeden mit bestimmten Pflichten, haben. Ränge sind unbedingt erforderlich, um eine richtige Ordnung zu gewährleisten. Eine Armee kann nicht allein aus Generälen oder Hauptleuten oder lediglich aus Soldaten ohne Vorgesetze bestehen. Das unvermeidliche Ergebnis eines solchen Beginnens wäre, das die ganze Armee von Unordnung und Verwilderung ergriffen würde … Angesichts der Tatsache, dass Manche ungeheuer reich und Andere beklagenswert arm sind, bedarf es einer Ordnung, um diese Zustände zu überwachen und zu bessern. Es ist wichtig, den Reichtum zu beschränken, und ebenso wichtig, die Armut zu begrenzen. Jedes Übermass ist von Übel, und die Einhaltung der Mitte im höchsten Masse wünschenswert. Wenn es recht ist, dass ein Geldmann grosses Vermögen besitzt, dann ist es ebenso gerecht, dass seine Arbeiter ein hinreichendes Auskommen haben. Es sollte keinen Menschen mit riesigem Reichtum geben, solange noch in seiner Nähe ein Armer in schrecklicher Dürftigkeit dahinlebt. Wenn wir sehen, dass man Armut zum Hungerleiden werden lässt, so ist es zweifellos ein Anzeichen dafür, dass irgendwo Unterdrückung sein muss. Die Menschen müssen sich in dieser Frage bemühen und nicht länger die Änderung von Verhältnissen hinausschieben, die über eine sehr grosse Zahl von Menschen das Elend quälender Armut bringen. Die Reichen müssen von ihrem Überfluss abgeben, sie müssen ihre Herzen erweichen und mitleidiges Verständnis pflegen, indem sie sich der Betrübten annehmen, die unter dem Mangel am Notwendigsten leiden. Es müssen besondere Gesetze geschaffen werden, die sich mit diesen über-
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massen des Reichtums und des Mangels befassen. Die Mitglieder der Regierung sollten in ihren Planungen die Gesetze Gottes beachten. Die allgemeinen Menschenrechte müssen behütet und bewahrt werden. Die Regierungen der Länder sollten dem Göttlichen Gesetz entsprechen, das Allen gleiches Recht gewährt. Dies ist der einzige Weg, auf dem die beklagenswerte Überfülle grosser Reichtümer und die elende, entsittlichende und erniedrigende Armut überwunden werden können. Solange dies nicht geschehen ist, ist dem Gesetze Gottes nicht gehorcht worden. 16)
Gleichstellung der Geschlechter.
Männer und Frauen haben auf Erden gleiche Rechte. In Religion und Gemeinschaft ist die Frau ein sehr bedeutsamer Bestandteil. Solange die Frauen in der Entfaltung ihrer höchsten Möglichkeiten gehindert werden, können die Männer die in ihnen (den Frauen) schlummernde Grösse nicht ermessen. 17)
Gott hat alle Geschöpfe in Paaren erschaffen: Menschen, Tiere oder Pflanzen, überall in diesen drei Reichen gibt es zwei Geschlechter, die einander durchaus gleichwertig sind. Das Pflanzenreich hat männliche und weibliche Pflanzen, die gleiche Rechte und gleichen Anteil an der Schönheit ihrer Art besitzen, wenn auch vom Baum, der Früchte trägt, gesagt werden mag, dass er dem unfruchtbaren überlegen ist. Auch im Tierreich sehen wir, dass Männchen und Weibchen gleiche Rechte haben und die Vorzüge ihrer Gattung teilen. In den beiden unteren Reichen der Natur besteht dennoch keine Streitfrage hin-
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sichtlich der Rangordnung der Geschlechter, während wir in der Welt der Menschheit grosse Unterschiede finden. Das weibliche Geschlecht wird behandelt, als wäre es geringer und erhält nicht die gleichen Rechte und Vorrechte wie das männliche Geschlecht. Dieser Zustand liegt nicht in der Natur, sondern in der Erziehung begründet. In der Göttlichen Schöpfung gibt es keine derartige Unterscheidung, ist doch vor dem Antlitz Gottes kein Geschlecht dem anderen überlegen. Warum sollte denn ein Geschlecht der Unterlegenheit des anderen geltend machen und ihm die Rechte und Vorrechte versagen, als hätte Gott Seine Ermächtigung zu solch einem Vorgehen gegeben? Wenn die Frau die nämlichen erzieherischen Vorteile geniessen würde wie der Mann, so würden wir am Ergebnis sehen, dass beide zu gleichem Wissen fähig sind. Die Frau ist dem Manne in mancher Hinsicht überlegen: sie ist weichherziger, empfänglicher und mit reicherer Eingebung versehen. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Frau in verschiedenen Richtungen gegenwärtig rückständiger als der Mann ist, aber auch nicht bestreiten, dass diese vorübergehende Rückständigkeit auf mangelnde Gelegenheiten zur Erziehung zurückgeht. In den Notwendigkeiten des Lebens ist die Frau mit stärkerem Instinkt versehen als der Mann, der ihr bereits sein Dasein dankt. Wenn eine Mutter erzogen ist, so werden auch ihre Kinder wohl erzogen sein, und wenn sie weise ist, wird sie die Kinder auf den Pfad der Weisheit führen. Ist sie religiös, so wird sie ihre Kinder lehren, Gott zu lieben, und wenn sie sittenstreng ist, auch ihre Kleinen auf den Weg der Rechtschaffenheit leiten. Es ist darnach klar, dass die kommende Generation von den heutigen Müttern abhängt.
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Erlegt dies der Frau nicht eine hohe Verantwortung auf? Muss ihr darum nicht jede nur mögliche Gelegenheit zur Vorbildung für eine derartige Aufgabe gegeben werden? Deshalb gefällt es Gott gewiss nicht, dass ein so wichtiges Werkzeug wie die Frau der Ausbildung ermangelt, die nötig ist, um die für ihre grosse Lebensaufgabe wünschenswerte und notwendige Vervollkommnung zu erwerben. Da in den Augen des Himmels keines der Geschlechter über dem anderen steht, so verlangt die Göttliche Gerechtigkeit, dass die Rechte beider gleichermassen beachtet werden. Würdigkeit hängt vor Gott nicht vom Geschlecht, sondern von der Reinheit und dem inneren Erleuchtetsein des Herzens ab. Die menschlichen Tugenden gehören Allen in gleicher Weise. Die Frauen müssen daher Vervollkommnung erstreben, um den Männern in jeder Beziehung gleichwertig zu werden und überall, wo sie zur Zeit noch rückständig sind, voranzuschreiten, so dass der Mann gezwungen ist, die Ebenbürtigkeit ihre Fähigkeiten und Kenntnisse anzuerkennen. In Europa haben die Frauen grössere Fortschritte als im Osten gemacht, doch ist noch vieles, was zu tun bleibt. Wenn die Schüler am Ende ihrer Schulzeit angelangt sind, werden sie einer Prüfung unterzogen, und das Ergebnis dieser Prüfung erweist das Wissen und die Fähigkeit des einzelnen Schülers. So wird es auch mit den Frauen sein: in ihren Taten wird sich zeigen, was sie können, und sie werden ihre Stärke künftig nicht mehr mit Worten zu verkünden brauchen. Ich hoffe, dass die Frauen des Ostens genau so wie ihre westlichen Schwestern raschen Fortschritt machen werden, bis es die Menschheit zur Vollkommenheit gebracht hat. Gottes
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Gaben sind für alle da und geben Kraft zu jedem Fortschritt. Wenn die Menschen die Gleichwertigkeit der Frau besitzen, werden die Frauen nicht mehr nötig haben, ihre Rechte zu erkämpfen. Die Frauen müssen grösste Anstrengungen machen, um geistige Kräfte zu erlangen und in den Tugenden der Weisheit und der Heiligkeit zu wachsen, bis es ihrer Erleuchtung und ihrem Streben gelingt, die Einheit der Menschheit zu verwirklichen. Sie müssen mit flammender Begeisterung wirken, um die Lehren Bahá’u’lláh’s unter den Völkern zu verbreiten, so dass das strahlende Licht der Göttlichen Gaben die Seelen aller Nationen der Welt umgeben möge! 18)
Universale Erziehung.
Die Propheten Gottes sind die ersten Erzieher. Sie schenkten dem Menschen universale Erziehung und bringen ihn dazu, von den niedersten Stufen der Wildheit zu den höchsten Spitzen geistiger Entwickelung aufzusteigen … Es ist klar, dass ungeachtet der durch die Erziehung hervorgerufenen Verbesserung der menschlichen Moral, der durch sie bescherten Vorteile der Zivilisation und ihrer Hebung des Menschen von den untersten Graden bis zu Stufe der Erhabenheit, doch bei den einzelnen Menschen Unterschiede in den inneren oder angeborenen Fähigkeiten bestehen. Zehn Kinder gleichen Alters und gleichartiger Herkunft, die in derselben Schule erzogen werden, gleiche Kost erhalten, in jeder Hinsicht den gleichen Umwelteinflüssen unterworfen sind und gleiche und gemeinsame Interessen haben, werden getrennte und verschiedene Fähigkeits-
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und Fortschrittsgrade zeigen, einige hochintelligent und vorwärtsstrebend, andere von mittlerer Begabung und wieder andere beschränkt und unfähig sein. Der eine mag es zum gelehrten Professor bringen, während sich ein zweiter beim gleichen Bildungsgang als schwerfällig und dumm erweist. Obgleich die gegebenen Möglichkeiten in jeder Hinsicht gleich waren, so haben die Ergebnisse und Wirkungen doch vom höchsten bis zum geringsten Fortschrittsgrad gewechselt. Daraus folgt klar, dass die Menschheit in ihren angeborenen Fähigkeiten und inneren geistigen Gaben verschieden ist. Dennoch sind alle Mitglieder der menschlichen Rasse – trotz ungleichen Veranlagungen – der Erziehung fähig. 19)
Alle Kinder müssen erzogen werden, sodass kein einziges menschliches Wesen ohne Erziehung bliebt. Falls die Eltern durch Krankheit, Tod usw. nicht dazu imstande sind, hat der Staat das Kind zu erziehen. Ausser dieser umfassenden Erziehung muss jedes Kind eine handwerkliche oder sonstige Berufsausbildung erhalten, dass jedes einzelne Glied des Staatskörpers sich seinen Lebensunterhalt erwerben und gleichzeitig der Gemeinde dienen kann. Arbeit im Geist des Dienens ist Gottesdienst. Durch dieses System der universalen Erziehung werden die Missverständnisse unter den Menschenkindern ausgeschlossen werden. 20)
Die Quelle der Kraft.
Geistige Entwickelung kann nur durch den Odem des Heiligen Geistes kommen. Mag die materielle Welt gleich noch so grosse Fortschritte machen, mag sie sich noch so präch-
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tig schmücken, sie kann, solange nicht die Seele in ihre ist, doch nur ein lebloser Körper sein, denn die Seele ist es, die dem Körper Leben gibt. Der Körper hat für sich alleine keine wirkliche Bedeutung. Ohne die Segnungen des Heiligen Geistes wäre der materielle Körper regungslos. 21)
Es heisst in den Lehren Bahá’u’lláh’s: „Der Mensch kann einzig durch die Kraft des Heiligen Geistes vorwärts schreiten, denn die Macht des Menschen ist begrenzt, Göttliche Macht jedoch unendlich.“ Studieren wir die Weltgeschichte, so kommen wir zu dem Schluss, dass alle wahrhaft grossen Männer, alle Wohltäter der menschlichen Rasse, welche die Menschen Liebe und Recht und Hass gegen das Unrecht lehrten und Ursache des wahren Fortschritts waren, durch die Kraft des Heiligen Geistes angetrieben wurden. Die Propheten Gottes sind nicht alle aus den Schulen der Gelehrten und Philosophen hervorgegangen, nein, sie waren in der Tat oft Männer von geringer Herkunft, dem ganzen Anschein und unwissende und unbekannte Menschen, die in den Augen der Welt ohne Bedeutung schienen und die bisweilen nicht einmal schreiben und lesen konnten. Was diese Grossen über die Menschen erhob und sie zu Lehrern der Wahrheit fähig machte, das war die Kraft des Heiligen Geistes. Der Einfluss, den sie dank dieser mächtigen Eingebung auf die Menschheit übten, war gross und alldurchdringend. Demgegenüber ist der Einfluss der weisesten Philosophen ohne diesen Göttlichen Geist gering gewesen, wie umfassend auch ihre Kenntnis und wie tief ihre Gelehrsamkeit erscheinen mögen. Der ungewöhnliche Verstand eines Plato, eines Aristoteles,
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eines Plinius oder eines Sokrates hat die Menschen nicht so stark beeinflusst, dass sie sich darnach gesehnt hätten, ihr Leben für deren Lehren hinzugeben, während manche jener schlichten Männer, die durch den Heiligen Geist erleuchtet waren, die Menschheit in einem Mass begeistert haben, dass tausende von Menschen willig den Märtyrertod erlitten, um deren Worte hochzuhalten, denn diese Worte wurden ihnen durch Gottes Heiligen Geist verliehen! Die Propheten von Juda und Israel, Elias, Jeremias, Jesaias und Ezechiel, waren bescheidene Männer, ebenso die Apostel Jesu Christi. Petrus, das Haupt der Apostel, pflegte die Erträgnisse seines Fischfangs in sieben Teile zu zerlegen und täglich einen der Teile zu verbrauchen, und wie er an den siebenten Teil kam, wusste er, dass Sabbat war. Bedenket dies und vergleichet damit seine spätere Stellung, zu welchem Ruhm er kam, weil der Heilige Geist so grosses durch ihn wirkte. Wir begreifen, dass der Heilige Geist der kraftspendende Faktor im Leben des Menschen ist. Wer immer diese Kraft empfängt, ist fähig, Alle zu beeinflussen, mit denen er in Berührung kommt. Die grössten Philosophen sind machtlos ohne diesen Geist, ihre Seelen unbelebt und ihre Herzen tot. Solange nicht der Heilige Geist in ihrer Seele wirkt, vermögen sie nichts Gutes zu vollbringen. Kein System der Philosophie wäre jemals fähig, die Sitten und Gebräuche eines Volkes zum Besseren zu verwandeln. Gelehrte, nicht durch den Göttlichen Geist erleuchtete Philosophen, standen sittlich auf niederer stufe und haben die Wirklichkeit ihrer schönen Redensarten nicht in Handlungen bekundet. Der Unterschied zwischen geistigen und anderen
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Philosophen drückt sich in ihrem Leben aus. Der geistige Lehrer zeigt seinen Glauben an die eigenen Lehren, indem er selber das ist, was er Anderen anrät. Ein einfacher Mensch, der ungelehrt, aber vom Heiligen Geist erfüllt ist, ist machtvoller als der höchstgeborene tiefgründige Gelehrte, der diese Eingebungskraft nicht besitzt. Wer durch den Göttlichen Geist geformt ist, kann zu seiner Zeit auch andere dazu führen, dass sie den gleichen Geist empfangen. Ich bete für euch, dass euch das Leben des Heiligen Geistes unterrichtet, damit ihr für andere zu Werkzeugen der Erziehung werdet. Das Leben und die Sittenreinheit eines geistigen Menschen sind in sich selbst eine Erziehung für Jene, die ihn kennen. Denkt nicht an eure eigene Begrenztheit, sondern weilt nur bei der Gnade des Königsreichs der Herrlichkeit. Denkt über den Einfluss Jesu Christi auf Seine Apostel nach und überlegt dann, welche Wirkungen sie auf die Welt ausübten. Diese einfachen Männer wurden durch die Kraft des Heiligen Geistes fähig, die Frohen Botschaften zu verbreiten! Möget ihr Alle so die Göttliche Hilfe empfangen! Keine Fähigkeit ist begrenzt, wenn sie durch Gottes Geist geführt wird. Die Erde an sich hat keine Eigenschaften des Lebens. Sie ist unfruchtbar und trocken, bis sie durch Regen und Sonne fruchtbar wird. Und doch braucht sich die Erde nicht über die ihre gesetzten Schranken zu beklagen. Möget ihr Leben empfangen! Möge der Regen der Göttlichen Gnade und die Wärme der Sonne der Wahrheit euren Garten fruchtbar machen, dass viele schöne Blumen mit auserlesenen Düften und Liebe überreich erblühen! Wendet euer Angesicht von den Betrachtungen über euer vergängliches Ich hinweg und hebt euren Blick zum Ewigen
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Glanz auf, dann werden eure Seelen die Göttlichen Kraft des Geistes und die Segnungen der unerschöpflichen Gaben Gottes voll erlangen. Bleibt ihr auf solche Art empfänglich, so werdet ihr zu leuchtenden Flammen, Sternen der Führung und fruchtbaren Bäumen für die Menschheit werden und alle ihre Finsternis und ihren Jammer durch den Glanz der Sonne der Gnade und die menschlichen Segnungen der Frohen Botschaften in Licht und Freudigkeit verwandeln. Dies ist die Bedeutung der Macht des Heiligen Geistes. 22)
In der Heiligen Schrift wird uns gesagt, dass das „Neue Testament” auf Erden erscheinen werde, und es ist klar, dass diese Himmlische Stadt nicht eine solche aus Stein und Mörtel sein kann, sondern eine Stadt ist, die von keiner Hand gebildet wurde und die ewig im Himmel bleibt. Dies ist ein prophetisches Sinnbild und bedeutet, dass die Göttlichen Lehren wiederkommen werden, um die Herzen der Menschen zu erleuchten. Es ist schon lange her, seitdem diese Heilige Führung zuletzt das Leben der Menschheit neu gelenkt hat. Nun aber ist endlich die Heilige Stadt des Neuen Jerusalem aufs Neue in die Welt gekommen, ist sie erneut am Osthimmel erschienen: von Persiens Horizont hat sich ihr Glanz erhoben, um als Licht die ganze Welt zu erleuchten. Wir sehen in diesen Tagen die Erfüllung der göttlichen Prophezeiung, Jerusalem war verschwunden, die Himmlische Stadt zerstört; jetzt ist sie wieder aufgerichtet. Sie war bis auf den Grund verwüstet, doch nun sind Mauern und Zinnen wieder hergestellt und ragen sie empor in ihrer erneuerten und herrlichen
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Schönheit. In der westlichen Welt hat materielles Wohlergehen gesiegt, dieweil im Osten die geistige Sonne aufstieg … Der Mensch – der wahre Mensch – ist Seele und nicht Körper. Obgleich er physisch dem Tierreich angehört, erhebt ihn seine Seele dennoch über die übrige Schöpfung. Schaut, wie das Sonnenlicht die stoffliche Welt beleuchtet: so ergiesst das Göttliche Licht auch seine Strahlen über das Reich der Seele. Die Seele ist es, die das menschliche Geschöpf zu einem himmlischen Wesen macht! Durch die Kraft des Heiligen Geistes, die durch des Menschen Seele wirkt, ist er im Stande, die Göttliche Wirklichkeit der Dinge wahrzunehmen. Alle grossen Werke der Kunst und Wissenschaft sind Zeugen für die Macht des Geistes. Der nämliche Geist gibt ewiges Leben. Jene allein, die mit dem Göttlichen Geist getauft sind, werden befähigt sein, die ganzen Völker mit dem Band der Einheit zu umschliessen. Es ist die Kraft des Geistes, durch welche die östliche Welt des geistigen Denkens sich mit dem westlichen Reich der Tat vermischen kann, sodass die Welt des Stoffes Göttlich werde. Daraus folgt, dass Alle, die am Höchsten Plane mitarbeiten, Kämpfer im Heer des Geistes sind. Das Licht der Himmlischen Welt führt Krieg sagen die Welt der Schatten und des Wähnens. Diese Strahlen der Sonne der Wahrheit zerteilen die Finsternis des Aberglaubens und des Missverstehens. Ihr kommt vom Geiste! Zu euch, die ihr die Wahrheit sucht, wird die Offenbarung Bahá’u’lláh’s als grosse Freude kommen. Diese Lehre ist vom Geiste, in ihr ist keine Regel, die nicht vom Göttlichen Geiste herrührt … Die grösste Kraft des Heiligen Geistes ist
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in den Göttlichen Offenbarungen (den Manifestationen) der Wahrheit. Durch die Macht des Geistes wurde die Himmlische Lehre in die Menschenwelt getragen und durch sie erhielten die Menschenkinder immerwährendes Leben. Durch die Kraft des Geistes hat die Göttliche Herrlichkeit von Ost nach West geschienen und durch die Kraft des gleichen Geistes werden sich die Göttlichen Tugenden in der Menschheit offenbaren. 23)
In diesen Versammlungen, in denen wir zusammenkamen und miteinander sprachen, wurdet ihr alle mit den Grundsätzen dieser Offenbarung und mit der Wirklichkeit vertraut gemacht. Euch war vergönnt, dies alles kennen zu lernen, doch viele sind noch unerleuchtet und in Aberglauben gefangen. Sie haben noch wenig von dieser grossen und erhabenen Sache gehört und das, was sie darüber wissen, beruht meist auf Hörensagen. Ach, diese armen Seelen! Was ihnen bekannt ist, gründet sich nicht auf Wahrheit, die Grundlage ihres Glaubens ist nicht die Lehre Bahá’u’lláh’s … Ihr müsst euch immer bemühen, in unmittelbarem Gehorsam gegen die Lehren und Gesetze Bahá’u’lláh’s zu leben und zu handeln, dass Jeder in Allem, was ihr im Leben tut, erkennen möge, dass ihr in Worten und Taten Anhänger der Gesegneten Vollkommenheit (Bahá’u’lláh) seid. Bemühet euch, damit sich diese herrlichen Lehren über den ganzen Erdball breiten und Geistigkeit den Menschen ins Herz dringt. Der Odem des heiligen Geistes möge euch bestätigen, und obgleich sich viele gegen euch erheben werden, so sollen sie doch nicht siegen! Als Christus, der Herr, mit Dornen gekrönt war, wusste Er, dass alle Diademe der Welt zu
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Seinen Füssen lagen. Alle irdischen Kronen, wie glänzend und mächtig sie auch immer waren, sie beugten sich anbetend vor der Dornenkrone! Es war aus diesem sicheren und bestimmten Wissen heraus, dass Er die Worte sagte: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.” (Matth. 28.V.18) Nun sage ich euch, bewahret, was ich zu euch spreche, in Herz und Sinnen. Wahrlich, euer Lichtschein wird die ganze Welt erleuchten, eure Geistigkeit ans Herz der Dinge rühren. Ihr werdet fürwahr die Leuchten dieses Erdballs werden. Seid ohne Furcht und unerschrocken, denn euer Licht wird durch das dickste Dunkel dringen. Es ist die Verheissung Gottes, die ich euch verkünde. Steht auf und dient Gottes Stärke! 24) _____________________
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Quellennachweis:
1) Promulgation of Universal Peace !, S. 97 ff
2) desgl., S. 118
3) desgl., S. 119 ff
4) desgl., S. 224
5) Bahá’í World Faith, S. 290
6) Ansprachen in Paris, Kap. 48
7) ebenda
8) Mysterious Forces of Civilization, S. 22 ff
9) Ansprachen, Kap. 46
10) Mysterious Forces of Civilization, S. 24 f
11) desgl., S. 43
12) Ansprachen, Kap. 47
13) ebenda
14) Ansprachen, Kap. 45
15) desgl., Kap. 40
16) desgl., Kap. 45
17) desgl., Kap. 40
18) desgl., Kap. 49
19) Bahá’í World S. 249
20) Ansprache in Bristol, 15. Jan. 1913
21) Ansprachen, Kap. 40
22) desgl., Kap. 50
23) desgl., Kap. 28
24) desgl., Kap. 51
Die Kapitelzählung bei den Ansprachen in Paris entspricht der deutschen Ausgabe von 1921.