Erkenntnis/Text

Aus Bahaiworks
Wechseln zu:Navigation, Suche

[Seite 1]

Diese Seite enthält Texte, deren Schrifterkennung lediglich mit einem Computerprogramm erstellt wurden. Sie müssen noch auf Fehler überprüft und korrigiert werden. Lesen Sie das Originaldokument indem Sie die nebenstehenden PDF-Seiten rechts auf dieser Seite anklicken. Wenn Sie uns helfen möchten dieses Dokument in Bezug auf Rechtschreibfehler zu korrigieren, eröffnen Sie bitte ein Konto und editieren Sie die Seite.


Fehlenden Buchstaben in eckigen Klammern ergänzt: Pdf-Seite 24, docx-Seite 12: Jakob wir[d]


Seite 1 pdf . Seite I


BAHÁ’Í – STUDIENTEXTE


ERKENNTNIS


Zusammengestellte Worte von BAHÁ’U’LLÁH und ‘ABDU’L-BAHÁ



Seite 2 pdf . Seite II

[am unteren Rand:] Nicht für den Druck bestimmte Notabschrift, noch nicht vom NGR überprüft.


Seite 3 pdf . Seite III


UEBERSICHT


Gottes grösste Gabe für den Menschen Seite 1-3 Gottes grösste Gabe für den Menschen ist das Licht des Intellektes, die Möglichkeit der Erkenntnis. Es ist für ihn das höchste Licht, denn es rührt aus dem Göttlichen her.

Wissenschaft und Religion Seite 3-4 Beide streben nach der Wahrheit und können darum keine Gegensätze sein. Beide gleichsam zwei Flügel der Erkenntnis: ein Flügel allein genügt nicht, um zu fliegen.

Masstäbe der Erkenntnis Seite 4-8 Vier Masstäbe gebräuchlich: Sinneswahrnehmung, Vernunft, Ueberlieferung und Eingebung. Alle vier allein unzuverlässig. Wahre Erkenntnis nicht ohne Hilfe des heiligen Geistes möglich.

Das selbständige Suchen Seite 8-11 Pflicht für Jeden, selbständig nach der Wahrheit zu suchen. Wer das Licht der Sonne der Wahrheit sucht, muss sich von überkommenen Aberglauben und Vorurteilen befreien und sein Herz rein machen, um die Herrlichkeit Gottes begreifen zu können. Alle Wahrheit ist eine.

Die Sonne der Wahrheit Seite 11-13 Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, der Geist der Wirklichkeit und Ursprung aller Erscheinung. Von ihm hängt die Erziehung des Menschen im Reich der Gedanken ab. Sie


Seite 4 pdf . Seite IV

äussert sich in den Menschen individuell verschieden als Weisheit, Gelehrsamkeit usw. Ohne sie würde die Seele der Menschen verkümmern.

Das Niedere kann das Höhere nicht begreifen Seite 13-14 Stärke der Fassungskraft in den verschiedenen Schöpfungsreichen (Mineral-, Pflanzen-, Tier-, Menschenreich) gradweise verschieden. Das niedere Reich kann das höhere nicht begreifen. Infolgedessen Gott für den Menschen unbegreifbar. Fassbar nicht das Wesen, sondern nur die Eigenschaften. Gott erkennen, somit nur Erkenntnis Seiner Eigenschaften, nicht Seiner Wirklichkeit

Wahre Gotteserkenntnis Seite 15-18 Wahre Gotteserkenntnis nur durch die Spiegel der Offenbarer möglich. In ihnen äussern sich alle uns fassbaren Eigenschaften Gottes. Daher Erkenntnis Gottes gleichbedeutend mit der Erkenntnis Seiner Offenbarer.

Das grosse Verlangen Seite 18-19 Wenn sich der Mensch angezogen fühlt, so kann er nicht anders, als dieser Anziehung zu folgen und den Gegenstand seiner Anziehung zu suchen. So finden wir überall die Menschen auf der Suche.

Der Gottessucher Seite 19-26 Der wahre Sucher entschliesst sich, den Weg zur Erkenntnis des Urewigen zu suchen und erkennt das Wunder der ewigen Wahrheit in dem zu allen Zeiten durch die Offenbarer enthüllten Wort Gottes. Jedes aufmer-


Seite 5 pdf. Seite V

kende Ohr vermag diese Stimme Gottes zu vernehmen und die dem Suchenden bestimmte unvergängliche Stadt Gottes zu betreten, indem es auf die Stimme hört.

__________

Quellennachweis:

1) .Abdu'l-Bahá, Ansprachen in Paris, Kap. 11

2) desgl., Kap. 22

3) .Abdu'l-Bahá, Promulgation of Universal Peace, S. 27

4) desgl., S. 170

5) Ansprachen in Paris, Kap. 40

6) desgl. Kap. 43

7) Promulgation, S. 247f

8) desgl., S. 19f

9) desgl., S. 287f

10) Bahá'u'lláh, Worte der Weisheit

11) Bahá'u'lláh, Gleanings C

12) .Abdu'l-Bahá, Ansprachen, Kap. 41

13) Bahá'u'lláh, Worte der Weisheit

14) .Abdu'l-Bahá, Ansprachen, Kap. 7

15) desgl., Kap. 5

16) .Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, Kap. 59

17) ebenda

18) desgl., Kap. 37

19) Bahá'u'lláh, Verborgene Worte

20) Bahá'u'lláh, sieben Täler

21) Bahá'u'lláh, Iqán

22) Bahá'u'lláh, Gleanings CXXVI

23) desgl., CXXVII


___________


Zusammengestellt 1947


Seite 6

[leer]


Seite 7 pdf . Seite 1

ERKENNTNIS


Gottes grösste Gabe für den Menschen.

Gottes grösste Gabe für den Menschen ist der INTELLEKT, die Möglichkeit der ERKENNTNIS. Erkenntnis ist die Fähigkeit, durch die der Mensch sich Kenntnis von den verschiedenen Schöpfungsreichen und mannigfachen Stufen der Erscheinungswelt sowie von Vielem aus dem Bereich des Unsichtbaren holt. Indem er diese Gabe besitzt, ist er in sich die Summe der vorausgegangenen Schöpfung, kann er mit deren Reich in Verbindung treten und sich oft, dank seiner wissenschaftlichen Erkenntnis, bis zur prophetischen Schau erheben. Der Intellekt ist in der Tat die köstlichste Veranlagung, die die Göttliche Freigebigkeit dem Menschen zugedacht hat. Nur der Mensch besitzt unter den erschaffenen Wesen diese wunderbare Gabe. 1)


Es ist das Licht des Intellektes, durch das wir wissen und erkennen können, und ohne dieses Licht ist unser physisches Auge wertlos. Dieses Licht des Intellektes ist zuhöchst von allen Lichtern, denn es kommt vom GÖTTLICHEN LICHT her. Das Licht des Intellektes versetzt uns in die Lage, alles Bestehende zu begreifen und zu erkennen, aber nur das Göttliche Licht kann uns das Auge für das UNSICHTBARE öffnen und Wahrheiten erblicken lassen, die in der Welt erst tausende von Jahren später sichtbar werden.

Seite 8 pdf . Seite 2

Es war das Göttliche Licht, das die Propheten vorausschauen liess, was sich nach zweitausend Jahren ereignen würde, und heute sehen wir, wie sich ihr Gesicht verwirklicht. So ist es dieses Licht, nach dem wir suchen müssen, denn es ist grösser als jedes andre. 2)


Die Frucht der Gabe des Intellektes ist die WISSENSCHAFT, die eine besondere Eigentümlichkeit des Menschen ist. Diese wissenschaftliche Fähigkeit erforscht und begreift das Erschaffene und die es umgebenden Gesetze. Sie ist der Entdecker der verborgenen inneren Geheimnisse der stofflichen Welt und nur dem Menschen eigen. Darum ist wissenschaftliche Erkenntnis und Vervollkommnung die edelste und rühmlichste menschliche Leistung. Wir mögen die Wissenschaft mit einem Spiegel vergleichen, der im Bilde die Geheimnisse der äusseren Erscheinungen wiedergibt. Sie stellt gleichsam alle Ergebnisse der Vergangenheit zur Schau, indem sie sie ins Feld des Wissens rückt, und knüpft das Verflossene mit der Gegenwart zusammen. Die philosophischen Schlüsse vergangener Jahrhunderte, die Lehren der Propheten und Weisheiten der früheren Weisen finden ihren Niederschlag und ihre Weiterführung in den wissenschaftlichen Fortschritten von heute. Die Wissenschaft ist die Entdeckerin der Vergangenheit. Aus ihren Feststellungen von gestern und heute ziehen wir unseren Schluss für morgen. Sie ist die Beherrscherin der Natur und ihrer Verborgenheiten, DAS Mittel für den Menschen, um die Einrichtungen der materiellen Schöpfung zu erforschen. Alles Erschaffene ist in der Natur gefangen und ihren Gesetzen unterworfen. Es kann

Seite 9 pdf . Seite 3

nicht im Geringsten noch Besonderen die Schranken dieser Naturgesetzlichkeiten durchbrechen. Die unendlichen Sternenwelten und Himmelskörper sind der Natur gehorsam. Die Erde mit ihren Myriaden von Organismen, alle Mineralien, Pflanzen und Tiere sind Knechte ihrer Oberherrschaft. Der Mensch dagegen vermag sich durch Einsatz seiner wissenschaftlichen, intellektuellen Möglichkeiten über diesen Zustand zu erheben, kann die Natur nach seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen wandeln, ändern und beherrschen. So „bricht“ die Wissenschaft gewissermassen die Naturgesetze. 3)

Wissenschaft und Religion.

Einer der Grundsätze der Lehren Bahá'u'lláh's ist, dass die Wissenschaft mit der Religion in Einklang sein soll. Die Religion muss der vernünftigen Prüfung standhalten. Sie muss mit den wissenschaftlichen Tatsachen und Beweisen harmonieren, sodass die Wissenschaft die Religion und die Religion die Wissenschaft untermauert. Beide sind der Wirklichkeit nach untrennbar miteinander verkettet und verbunden. 4)

Wir mögen Wissenschaft und Religion als ein Flügelpaar betrachten. Der Vogel braucht ZWEI Flügel, um fliegen zu können, einer alleine wäre zwecklos. Jede Form von Religion, die der Wissenschaft nicht entspricht oder zu ihre im Gegensatz steht, ist gleichbedeutend mit Unwissenheit, denn Unwissenheit ist der Gegensatz von Wissen.

Eine Religion, die sich nur aus vorurteilevollen Riten und Bräuchen zusammensetzt, ist nicht die Wahrheit. Lasst uns ernstlich stre- 


Seite 10 pdf . Seite 4

ben, zu Werkzeugen der Vereinigung von Religion und Wissenschaft zu werden. .Ali, der Schwiegersohn Muhammads, sagte: „Was mit der Wissenschaft übereinstimmt, das ist auch mit der Religion in Einklang.“ Was immer die Intelligenz des Menschen nicht zu begreifen vermag, das sollte auch von der Religion nicht angenommen werden. Die Religion geht mit der Wissenschaft Hand in Hand, und eine Religion, die der Wissenschaft widerspricht, ist nicht die Wahrheit. 5)

Es ist unmöglich, dass Religion zur Wissenschaft im Gegensatz steht, wenn auch so mancher Intellekt zu schwach oder zu unreif ist, die Wahrheit zu erkennen. Gott liess Religion und Wissenschaft erneut zur Wage unserer Erkenntnis werden. Hütet euch, eine so wunderbare Möglichkeit nicht auszunutzen. Wägt alles ab mit dieser Wage. Dem, der fähig ist zu erkennen, ist Religion ein offenes Buch, wie aber kann ein Mensch, der Vernunft und Geistigkeit nicht besitzt, die Wirklichkeiten Gottes fassen? Bringt allen euren Glauben mit der Wissenschaft in Einklang, es kann zwischen ihnen keinen Gegensatz geben, denn die Wahrheit ist nur EINE! 6)


Masstäbe der Erkenntnis.

Es gibt vier Mittel oder Masstäbe für die Urteilsbildung, mit deren Hilfe der Geist des Menschen Schlüsse zieht. Betrachten wir zunächst das Mittel der SINNE. Dies ist das Mass, das bei den materialistischen Philosophen der Welt noch


Seite 11 pdf . Seite 5

immer in Geltung ist. Sie glauben, dass alles, was die Sinne wahrzunehmen vermögen, tatsächlich gewiss und fraglos da ist. So sagen sie z.B.: „hier ist eine Lampe, ihr seht sie, und weil sie für das Auge wahrnehmbar ist, so könnt ihr nicht an ihrem Dasein zweifeln. Da ist ein Baum, euer Blick bestätigt, dass er in der Tat und damit zweifellos auch da ist. Dort ist ein Mensch, ihr seht, dass er ein Mensch und darum wirklich ist. Kurz, alles, was die Sinne bestätigen, wird als so unbestreitbar und unanfechtbar angenommen wie das Produkt von fünf mal fünf, das weder sechsundzwanzig noch unter fünfundzwanzig sein kann. Infolgedessen betrachten die materialistischen Philosophen die Sinne als das oberste aller Mittel. In der Wertschätzung der Göttlichen Philosophen jedoch ist diese Beweisführung und Versicherung nicht zuverlässig, im Gegenteil, sie erachten das Mass der Sinne als mangelhaft, weil ihm die Vollkommenheit abgeht. Das Auge beispielsweise ist einer der wichtigsten Sinne und unterliegt doch vielen Täuschungen und Ungenauigkeiten. So hält es die Luftspiegelung für Wasser und die lediglich widergestrahlten Bilder im Spiegel für wirklich. Für den Menschen, der auf dem Fluss fährt, scheint sich das Ufer zu bewegen, wogegen er sich selbst bewegt und das Ufer feststeht. Für das Auge ist die Erde fest, indessen Sonne und Sterne sich um sie drehen. In Wirklichkeit sind die Himmelskörper an ihrem Ort, und die Erde dreht sich um ihre Achse. Die mächtigen Sonnen, die Planten und Sterne, die am Himmel leuchten, erscheinen dem menschlichen Auge klein, ja unendlich winzig, obgleich sie in der Tat in Ausmass und Inhalt unvergleichlich viel grösser als die Erde sind. Ein wirbelnder Funken wird

Seite 12 pdf . Seite 6

für unseren Blick zum feurigen Kreise. Es gibt unzählige Beispiele dieser Art, die den Irrtum und die Ungenauigkeit unserer Sinne zeigen. Die Göttlichen Philosophen haben darum diesen Masstab der Beurteilung für mangelhaft und nicht vertrauenswürdig erachtet. 7)

Was den zweiten Masstab, die VERNUNFT, betrifft, so ist er ebenfalls nicht zuverlässig und sicher. Diese Menschenwelt ist ein Meer verschiedenartiger Meinungen. Wenn die Vernunft das vollkommene Prüfungszeichen und Mass für unser Wissen wäre, wie könnten dann die Auffassungen verschieden sein und die Meinungen der Philosophen so gänzlich auseinander gehen? Dies ist ein klarer Beweis dafür, dass wir der menschlichen Vernunft nicht als unfehlbarem Masstab trauen können. So werden grosse Entdeckungen und Verkündigungen früherer Jahrhunderte fortgesetzt durch die Weisen von heute umgestürzt und fallen gelassen. Mathematiker, Astronomen und Chemiker widerlegen und verwerfen dauernd die Ergebnisse der Alten, nichts ist feststehend, nichts vollendet, alles befindet sich in immerwährendem Wandel, weil sich die menschliche Vernunft auf neuen Forschungswegen weiterentwickelt und täglich andere Ergebnisse hervorbringt. Vieles, das wir heute als wahr verkünden und anerkennen, wird künftig verworfen und nicht gebilligt werden. Und so wird es bis in alle Zukunft weitergehen. Wenn wir den dritten Masstab – UEBERLIEFERUNG – betrachten, der den Theologen Schnur und Richtmass für das Wissen bedeutet, so finden wir, dass auch diese Quelle kein Vertrauen verdient und wir uns nicht auf sie zu stützen vermögen. Denn die religiösen Ueberlieferungen sind Berichte und Aufzeich-


Seite 13 pdf . Seite 7

nungen von Auffassungen und Deutungen des Buches. Wodurch war ursprünglich diese Auffassung, die Auslegung verursacht worden? Dadurch, dass sie vermittels der menschlichen Vernunft zergliedert wurde. Wenn wir im Buche Gottes lesen, so ist die Vernunft die Fähigkeit des Verstehens, mit der wir unsere Schlüsse ziehen. Vernunft ist Meinung, und wenn wir nicht mit vollkommener Vernunft begabt sind, wie können wir dann den Sinn von Gottes Wort begreifen? Darum ist, wie gesagt, auch die Vernunft ihrer Natur nach endlich und fehlerhaft in ihren Schlüssen. Sie vermag nicht, bis zur Wirklichkeit selbst, der Welt des Unendlichen, vorzudringen. Da die Quelle der Ueberlieferung und Auslegung menschlich und die menschliche Vernunft nicht frei von Irrtum ist, wie können wir uns dann auf ihre Ergebnisse als wirkliches Wissen stürzen? Der vierte Masstab … ist die EINGEBUNG, die zu wirklichem Wissen vorzustossen beansprucht. Was ist Eingebung? Sie ist die Einwirkung des menschlichen Herzens. Was aber sind satanische Einflüsterungen, die die Menschen erregen? Auch sie sind Einwirkungen des Herzens. Wie sollen wir zwischen ihnen unterscheiden? Die Frage ergibt sich, wie wir denn wissen können, ob wir Eingebungen von Gott oder satanischen Einflüsterungen der Seele folgen. Kurz, der Punkt ist der, dass in der menschlichen Welt der Erscheinungen diese vier die einzigen Masstäbe des Wissens und alle fehlerhaft und des Vertrauens nicht wert sind. Was bleibt dann für uns übrig? Wie sollen wir zu wahrem Wissen gelangen? Durch den Odem und die Eingebung des HEILIGEN GEISTES, der in sich Licht und Wissen ist. Durch ihn erfährt der menschliche Geist Er-

Seite 14 pdf . Seite 8

quickung und Festigung zu wahren Schlüssen und vollkommenem Wissen. 8)


Das selbständige Suchen.

Gott hat dem Menschen das forschende Auge verliehen, durch das er sehen und erkennen möge, was wahr ist. Er hat den Menschen mit Ohren begabt, damit er die Botschaft der Wirklichkeit höre, und ihm das Geschenk der Vernunft gegeben, mit dem er selber entdecken möge. Dies ist das Rüstzeug, um die Wirklichkeit zu ergründen. Es ist nicht die Absicht, dass der Mensch durch fremde Augen schaue, noch durch die Ohren Anderer höre oder durch Anderer Hirn begreife. Jedes menschliche Geschöpf hat seine eigene Begabung, Kraft und Verantwortung im Schöpfungsplane Gottes. Stützt euch daher auf eure eigene Vernunft und euer eigenes Urteil und folgt dem Ergebnis eures eigenen Forschens, sonst werdet ihr zutiefst im Meer der Unwissenheit versinken und der Göttlichen Segnungen beraubt sein. Wendet euch zu Gott hin, bittet in Demut an Seiner Schwelle und trachtet, dass Er euch beistehen und bestätigen möge, sodass Gott die Schleier zerreisse, die euren Blick verdunkeln. Dann wird euer Auge mit Licht erfüllt sein, ihr werdet die Wirklichkeit Gottes von Angesicht zu Angesicht erschauen, euer Herz wird von den Schlacken der Unwissenheit völlig rein sein und die Herrlichkeiten und Segnungen des Gottesreiches widerspiegeln … Wir müssen uns nicht damit zufrieden geben, dass wir einer gewissen Richtung folgen, nur weil wir es beim Vater so gesehen haben. Für Jeden besteht die Pflicht, die Wirklich-

Seite 15 pdf . Seite 9

keit zu erforschen, und die Erforschung der Wirklichkeit durch Andere vermag uns nichts zu nützen. Würde die ganze Welt auch reich und Einer arm sein, was hülfe diesem Mann der Reichtum? Würde die ganze Welt voll Tugend sein und Einer nur dem Laster dienen, was könnte aus diesem Gutes kommen? Würde die ganze Welt auch licht und EIN Mensch blind sein, was nützte wohl das Licht dem Blinden? Würde die ganze Welt in Fülle sein und EIN Mensch hungern, was wäre dem Menschen alle Fülle? Darum muss Jeder selber suchen. Kein Gedanke und Glaube, den Väter und Ahnen als Erbe lassen, kann genügen, denn wer ihnen nachfolgt, ahmt nur nach, und die Nachahmung war von je ein Anlass der Verzweiflung und des Irrens. Erforschet die Wirklichkeit, dass ihr zur eigentlichen Wahrheit und zum Leben findet. 9)

An diesem Tag muss der, welcher das Licht der Sonne der Wahrheit sucht, seinen Geist von den Ueberlieferungen der Vergangenheit befreien. Es muss sein Haupt mit der Krone der Trennung und seinen Tempel (den Körper) mit dem Gewand der Tugend schmücken. Dann wird er zu dem Ozean der Einheit und der Einzigkeit Gottes kommen. Das Herz muss frei vom Feuer des Aberglaubens werden, um das helle Licht der Gewissheit zu empfangen und Gottes Herrlichkeit begreifen zu können. 10)

Wir haben den Menschen verboten, den Einbildungen ihrer Herzen anzuhangen, sodass sie fähig werden möchten, Ihn zu erkennen, der der unumschränkte Ursprung und Gegenstand alles Wissens ist, und anerkennen, was immer er offenbare. 11)

Es ist darum klar, dass wir, um im Suchen

Seite 16 pdf . Seite 10

nach Wahrheit voran zu kommen, allem Aberglauben entsagen müssen. Würden alle Sucher diesem Grundsatz folgen, so würden sie ein klares Bild der Wahrheit erhalten. Wenn sich fünf Menschen treffen, um die Wahrheit zu ergründen, so müssen sie damit beginnen, dass sie sich von allen Besonderheiten frei machen und auf alle voreingenommenen Meinungen verzichten. Um die Wahrheit zu finden, müssen wir unsere Vorurteile, unsere eigenen kleinen Regungen des Alltags abtun. Ein empfänglicher Sinn ist Grundbedingung. Wenn unser Kelch von uns allein erfüllt ist, so ist kein Raum mehr für das Wasser des Lebens. Dass wir uns selber für im Recht und jeden Anderen für im Unrecht glauben, bildet das grösste Hindernis auf dem Weg zur Einheit, und Einheit ist erforderlich, wenn wir zur Wahrheit finden möchten, ist doch die Wahrheit EINE. Es ist darum gebieterische Pflicht, unseren besonderen Vorurteilen und abergläubischen Meinungen zu entsagen, wenn wir die Wahrheit ernstlich suchen wollen. Bevor wir nicht in unserem Bewusstsein zwischen Dogmen, Aberglauben und Vorurteilen einerseits und Wahrheit anderseits unterscheiden, werden wir keinen Erfolg erzielen. Wenn wir ernsthaft suchen, so werden wir allenthalben darnach schauen. Diesen Grundsatz müssen wir bei unserer Suche nach Wahrheit in die Tat umsetzen … Keine Wahrheit kann einer anderen Wahrheit widersprechen. Das Licht ist gut, in welcher Lampe es auch brennen mag. Eine Rose ist schön, in welchem Garten sie auch blühe. Ein Stern hat die gleiche Leuchtkraft, ob er von Osten scheint oder von Westen. Seid frei von Vorurteil, dass ihr die Sonne der Wahrheit

Seite 17 pdf . Seite 11

lieben möget, an welchem Punkt des Horizontes sie auch aufsteigt. Ihr werdet erkennen, dass das Göttliche Licht der Wahrheit, wenn es in Jesus Christus schien, dann auch in Moses und Buddha war. Der ernsthafte Sucher wird zu dieser Wahrheit finden. Das ist der Sinn des „Suchens nach Wahrheit“. Es bedeutet auch, dass man bereit sein muss, hinweg zu tun, was man zuvor gelernt hat, alles, was unsere Schritte auf dem Weg zur Wahrheit hindern könnte. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, unsere Erziehung, wenn nötig, ganz von vorne zu beginnen. Wir dürfen keiner Religion oder Person erlauben, unsere Augen derartig zu blenden, dass uns Aberglauben fesselt. Sind wir von allen diesen Banden gelöst und suchen wir mit freiem Geiste, dann werden wir auch fähig sein, ans Ziel zu kommen. „Suchet die Wahrheit, und die Wahrheit wird euch frei machen!“ so werden wir die Wahrheit in allen Religionen erblicken, denn die Wahrheit ist in ihnen allen. 12)


Die Sonne der Wahrheit.

Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung des Menschen im Reich der Gedanken abhängt. Sie ist der Geist der Wirklichkeit und das Wasser des Lebens. Ihr verdanken alle Dinge ihr Dasein. Es offenbart sich immer entsprechend der Fähigkeit und Farbe des Spiegels, der es widerspiegelt. Fällt sein Licht zum Beispiel auf den Spiegel des Weisen, so äussert es Weisheit, wird es vom Geist des Künstlers wiedergespiegelt, so schafft es neue und schöne Künste, und leuchtet es durch den Geist des Gelehrten hindurch, so

Seite 18 pdf . Seite 12

wird es Wissen enthüllen und Geheimnisse offenbaren. Alle Dinge in der Welt erheben sich durch den Menschen und treten durch ihn in die Erscheinung. Durch ihn erfahren sie Leben und Entwickelung, und der Mensch hängt hinsichtlich seines geistigen Daseins von der Sonne des Wortes Gottes ab. Alle guten Namen und edlen Eigenschaften sind Ergebnisse des Wortes Gottes. Das Wort ist das Feuer, das in den Herzen der Menschen glüht und alles verbrennt, was nicht von Gott ist. Der Geist der Liebenden ist immer von diesem Feuer entflammt gewesen. Es ist das Wesen des Wassers, das sich in der Form des Feuers äussert. Aeusserlich ist es brennendes Feuer, im Inneren aber ruhiges Licht. Das ist das Wasser, durch das alle Dinge Leben erhalten. 13)

Auch die Sonne der Wahrheit scheint, indem sie den Seelen der Menschen Licht und Wärme spendet. Die Sonne ist der Lebensspender für die stofflichen Körper aller Geschöpfe auf Erden. Ohne ihre Wärme würde deren Wachstumskraft gehemmt und ihre Entwickelung aufgehalten werden, sie würden verkommen und sterben. In gleicher Weise brauchen die Seelen der Menschen die Sonne der Wahrheit, damit sie ihre Strahlen über die Seelen ausgiesst, sie entwickeln, erziehen und ermutigen kann. Was für den Körper die Sonne ist, das ist für die Seele des Menschen die Sonne der Wahrheit. Ein Mensch mag es zu einem hohen Grad von materiellem Fortschritt bringen, doch ohne das Licht der Wahrheit verkümmert und verhungert seine Seele. Ein anderer mag keine materiellen Gaben besitzen, er mag sich auf der untersten Staffel der Gesellschaftsleiter befinden, wenn er jedoch die Wärme der

Seite 19 pdf . Seite 13

Sonne der Wahrheit empfängt, wird seine Seele gross und sein Begreifen erleuchtet … 14)


Das Niedere kann das Höhere nicht begreifen.

Die Stärke der Fassungskraft ist in den ist in den verschiedenen Schöpfungsreichen gradweise verschieden. Die Reiche des Minerals, der Pflanze und des Tieres sind nicht im Stande, irgend welche Schöpfung ausser der eigenen zu verstehen. So kann das Mineral die Wachstumsfähigkeit der Pflanze nicht begreifen, die Pflanze weder die Bewegungsmöglichkeit des Tieres fassen, noch verstehen, was es bedeutet, sehen, hören oder riechen zu können. Alles dies liegt im Bereich der physischen Schöpfung. Auch der Mensch hat Teil an dieser Schöpfung, aber keines der niederen Reiche ist in der Lage, zu erfassen, was im Verstand des Menschen vorgeht. Das Tier ist unfähig, die Erkenntniskraft des menschlichen Wesens zu begreifen, es weiss nur, was es mit den tierischen Sinnen aufnimmt und kann sich von einer blossen Vorstellung kein Bild machen. Ein Tier wird nie begreifen, dass die Erde rund ist, dass sie sich um die Sonne dreht oder wie der elektrische Telegraf gebaut ist. Dies ist allein dem Menschen möglich. Der Mensch ist innerhalb des Schöpfungsbereichs zuhöchst erschaffen und von allen Geschöpfen Gott am nächsten. Das niedrige Reich kann alle höheren Reiche nicht erfassen; wie könnte das Geschöpf, der Mensch, dann den allmächtigen Schöpfer des Alls begreifen? Was wir uns vorstellen, ist nicht die Wirklichkeit Gottes. Er, der Unerkennbare, Unausdenkliche ist über das höchste menschliche Begreifen weit erhaben. 15)

Seite 20 pdf . Seite 14

Wir können nicht das Wesen einer Erscheinung, sondern lediglich deren Eigenschaften fassen. So entzieht sich z.B. die Sonne ihrer eigentlichen Wirklichkeit nach unserer Kenntnis, doch wird sie durch ihre Eigenschaften, Wärme und Licht, begriffen. Der Wesensbestand des Menschen ist unbekannt und unersichtlich, seine Eigenschaften aber umreissen ein Bild von ihm und geben uns von ihm Kenntnis. Somit wird alles durch seine Eigenschaften, nicht durch sein Wesen, kenntlich. Wenn der Verstand auch alle Dinge zu umfassen und das Aeussere der Geschöpfe zu begreifen vermag, so bleiben uns diese Geschöpfe ihrem Wesen nach doch fremd und nur bekannt in ihren Eigenschaften … Gott zu erkennen bedeutet damit, dass wir Kenntnis und Wissen von Seinen Eigenschaften, nicht aber von Seiner Wirklichkeit besitzen. Dieses Wissen um die Eigenschaften entspricht dem Fassungsvermögen und den Fähigkeiten des Menschen, und ist somit kein absolutes. Philosophie ist ein Erfassen der Wirklichkeit der Dinge wie sie sind, gemäss dem menschlichen Erfassen und Können. Denn die Wirklichkeit der Erscheinung kann die Urewigen Eigenschaften nur im Rahmen der menschlichen Fassungskraft begreifen. Das Geheimnis des Göttlichen ist über das Begreifen der Geschöpfe heilig und erhaben, weil der Mensch nur denken kann, was er begreift, und weil das menschliche Begriffsvermögen nicht die Wirklichkeit des Göttlichen Wesens fasst. Alles, was der Mensch zu begreifen in der Lage ist, das sind die Göttlichen Eigenschaften, deren Glanz in Welten und Seelen erscheint und sichtbar ist. 16)

Seite 21 pdf . Seite 15

Wenn wir die Welten und Seelen überschauen, so sehen wir wundervolle Zeichen der Göttlichen Vollkommenheiten, die klar und erkenntlich vor uns liegen, denn die Umfassende Wirklichkeit wird durch die Wirklichkeit der Dinge bewiesen. Die Wirklichkeit des Göttlichen lässt sich der Sonne vergleichen, die aus der Höhe ihrer Herrlichkeit über jeden Horizont scheint, und jeder Horizont und jede Seele empfängt einen Teil von ihrem Glanze. Wäre das Licht und seine Strahlen nicht, so gäbe es auch kein Dasein. Jedes Dasein bringt etwas besonderes zum Ausdruck und hat an irgend einem Strahl und einer Menge dieses Lichtes Anteil. Der Schimmer von Gottes Vollkommenheiten, Gaben und Eigenschaften strahlt und leuchtet aus der Wirklichkeit des Vollkommenen Menschen, d.h. des Einzigen, der allumfassenden Offenbarung Gottes. Andere Wesen empfangen nur einen Strahl, die allumfassende Manifestation aber ist der Spiegel dieser Sonne, die in ihm mit allen ihren Vollkommenheiten, Eigenschaften, Zeichen und Wundern erscheint und offenbar wird. 17)

Jegliche von Gott her kommende Eigenschaft und Gabe, jeder Glanz von Ihm ist in der Wirklichkeit der Heiligen Manifestationen sichtbar wie der Abglanz der Sonne und aller ihrer Vollkommenheiten und Gaben in einem klar geschliffenen Spiegel. Wenn wir aber die Spiegel als Offenbarungen der Sonne und Aufgangsorte des ansteigenden Gestirns bezeichnen, so will damit doch nicht gesagt sein, dass die Sonne herabgekommen sei aus ihrer Höhe der Reinheit und sich im Spiegel verkörpert habe, noch, dass die Unbegrenzte Wirklichkeit auf ihren Erschei-

Seite 22 pdf . Seite 16

nungsort begrenzt ward. Gott behüte! Dies glauben die Anhänger derer, die eine Vermenschlichung Gottes lehren. Nein, aller Lobpreis, die Beschreibungen und Erhöhungen beziehen sich auf die Heiligen Manifestationen, d.h. dass den Heiligen Manifestationen alle Beschreibungen, Titel, Namen und Eigenschaften gelten, die wir erwähnen, während niemand je die Wirklichkeit des Wesens Gottes beschreiben, erklären, preisen oder verherrlichen kann, da niemand jemals zu ihr vordrang. Darum bezieht sich alles, was die menschliche Wirklichkeit über die Namen, Eigenschaften und Vollkommenheiten Gottes weiss, entdeckt und fasst, auf diese Heiligen Manifestationen. Es gibt keinen anderen Zugang, „der Weg ist verschlossen und das Suchen verboten“. Dennoch sprechen wir von den Namen und Eigenschaften der Göttlichen Wirklichkeit, und wir preisen Ihn, indem wir Ihm Auge, Gehör, Kraft, Leben und Wissen zubelegen. Wir behaupten diese Namen und Eigenschaften nicht, um die Vollkommenheiten Gottes zu bezeugen, sondern um zu verneinen, dass Er der Unvollkommenheit fähig wäre. Schauen wir auf die bestehende Welt, so erfahren wir, dass Unwissenheit eine Unvollkommenheit und Wissen Vollkommenheit bedeutet. Darum sagen wir, Gottes geheiligte Wesenheit sei Weisheit. Schwäche ist Unvollkommenheit und Kraft Vollkommenheit, folglich sagen wir, dass Gottes geheiligte Wesenheit der Gipfel der Kraft ist. Nicht, dass wir Sein Wissen, Seine Schau, Seine Stärke und Sein Leben begreifen könnten, sind sie doch jenseits unseres Begreifens. Die wesentlichen Namen und Eigenschaften Gottes sind eins mit Seinem Wesen, und Sein Wesen

Seite 23 pdf . Seite 17

liegt jenseits jeglichen Begreifens. Würden die Eigenschaften nicht mit dem Wesen eins sein, so müsste es eine Mehrfältigkeit des Vorseins geben und auch ein Unterschied zwischen den Eigenschaften und dem Wesen bestehen. Da aber ein Vorsein nötig ist, so würde damit die Reihe der vorseienden Ursachen unendlich. Dies ist ein offensichtlicher Irrtum. Dennoch beziehen sich alle Eigenschaften, Namen, Lobpreisungen und Verherrlichungen auf die Stufe der Offenbarung, und alles, was wir daneben annehmen, ist nur ein Schemen, denn wir sind ausserstande, zu begreifen, was unsichtbar und unnahbar ist. Es heisst darum, dass „alles, was du in deinen flüchtigen Geistesbildern durch das Blendwerk deiner eigenen Einbildung erschaust, nur ein Gebilde deiner selbst ist und auf dich selbst zurückfällt“ (islamische Ueberlieferung). Wenn wir eine Vorstellung der Göttlichen Wirklichkeit erhalten wollten, so ist es klar, dass dieses Vorgestellte das Umfasste, wir selber aber das Umfassende wären, und das Umfassende müsste dann grösser sein als das Umfasste. Daraus folgt zwingend und klar, dass es sich um blosse Einbildung handelt, wenn wir uns eine Vorstellung der Göttlichen Wirklichkeit ausserhalb der Heiligen Manifestationen machen, weil kein Weg zur Wirklichkeit des Göttlichen hinführt, der nicht aus uns selber entsprungen wäre, und alles, was wir selbst uns vorstellen, ist nichts als blosses Wähnen. Bedenkt darum, wie manches Volk der Welt um seine Einbildungen kreist und zu den Götzen seiner Gedanken und Vermutungen betet. Sie sind sich dessen nicht bewusst, dass sie ihre Einbildungen mit der Wirklichkeit verwechseln, die doch allem Begreifen

Seite 24 pdf . Seite 18

entrückt und von jeglicher Beschreibung rein ist. Sie halten sich selber für das Volk der Einheit und die Anderen für Götzendiener, aber steinerne Götzen besitzen immerhin ein mineralisches Dasein, währen die Götzen der menschlichen Einbildungen und Gedanken Schemen sind, denen nicht einmal mineralisches Dasein eignet. „Seid gewarnt, o Besitzer von Einsicht!“ 18)


Das grosse Verlangen.

Wohin kann ein Liebender gehen, ausser in das Land seiner Geliebten? Welcher Suchende findet Ruhe fern vom Wunsch seines Herzens? Einem aufrichtig Liebenden ist Vereinigung Leben und Trennung Sterben. Seine Brust in voller Ungeduld und sein Herz kennt keinen Frieden. Hunderttausendmal setzte er sein Leben aufs Spiel, um zum Zufluchtsort der Geliebten zu gelangen. 19)

Auf dieser Wanderung wird der Verlangende eine Stufe erreiche, auf der er alle Geschöpfe in wildem Verlagen nach dem Freund erblickt: wie manch einen Jakob wir[d] er erblicken, der nach der Begegnung irrt mit manch einem Josef, wie manchen Liebenden wird er gewahr, den das Verlangen treibt, den Geliebten zu finden, und eine Welt der Zuneigung tut sich ihm auf, die dem Angebeteten nachfolgt. Jeder Augenblick, jede Stunde lässt ihn Neues, neue Mysterien schauen, denn sein Herz ist von dieser und der anderen Welt erlöst, und er ist auf dem Wege zur Ka’bih (die Kaaba in Mekka, als Sinnbild für das Ziel) des Geliebten: die Hilfe des Unsichtbaren umgibt ihn bei allen

Seite 25 pdf . Seite 19

seinen Schritten und entfacht die Glut seines Verlangens. Ermesst das Verlangen an Majnún’s leidenschaftlicher Liebe (Majnún und Layli, das klassische Liebespaar der persischen Dichtung, das grausam voneinander getrennt ward). Es heisst, dass ihn jemand eines Tages erblickte, wie er tränenden Auges die Erde siebte. „Was machst du da?“ Sprach er: „Ich suche nach Layli.“ Sprachen sie zu ihm: „Wehe dir! Ist Layli doch reinen Geistes und du suchst sie im Staube!“ Fürwahr, wenn die Weisen auch sagen, es zieme sich nicht, den erhabenen Herrn im Staub zu suchen, so zeugt es doch von äusserstem Mühen und Verlangen. Wie der Hadith (die islamische Ueberlieferung) sagt: „Wer sucht mit Bemühen, wird sicherlich finden.“ 20)


Der Gottsucher.

O Mein Bruder, die Perlen köstlichen Wissens sind nur am Grund des Göttlichen Meers zu finden, der Duft der Myrthe weht nur in den himmlischen Gärten der Wirklichkeit, und die Rosen der Kenntnis der Einheit entspriessen nur dem Boden gereinigter Herzen. „Auf gutem Grunde wachsen die Pflanzen, wenn es Gott gefällt, in Hülle und Fülle, dünn gesät jedoch auf schlechtem Grunde.“ Wenn du weisst, dass der Gesang der Taube des geheiligten Wesens nur durch Sein Volk erfasst wird, musst du dann nicht erkennen, dass Jedermann die Besitzer strahlender Herzen, die Bewahrer der Geheimnisse der Einheit um die Lösung Göttlicher Fragen und schwieriger Stellen in den Heiligen Offenbarungen bitten muss.

Seite 26 pdf . Seite 20

Dann werden göttliche Segnung und Barmherzigkeit diese Fragen lösen und nicht erworbenes Wissen. „Frag jene, welche die Schriften besitzen, so du es nicht selbst weisst.“ Aber, Mein Bruder, der Suchende, der den Pfad der Belehrung des Königs, dem die Urväter nachfolgten, folgen will, muss sein Herz von dem Staube menschlichen Wissens und von den Einflüsterungen des Satans frei machen, denn sein Herz ist der Ort, da die Göttlichen und unsichtbaren Geheimnisse wohnen. Er muss seine Seele heiligen, denn dort wird der ewige Vielgeliebte thronen. Er muss seinen Geist von allen Dingen ohne Wirklichkeit und von eitlen Schatten befreien, so dass sich in ihm keine Spur von Liebe oder Hass zu erhalten vermag, denn Liebe mag leicht auf schlechtem Weg verleiten, und Hass leicht hindern, dass wir den guten wählen. Ist es heutzutage nicht Liebe oder Hass, was so viele Menschen des ewigen Antlitzes der Göttlichen Erhabenheit beraubt hat und sie führerlos in der Wüste des Verderbens und Vergessens gebannt hält? Auch muss sich der Suchende jeden Auenblick seines Lebens zu Gott flüchten, sich von den Menschen wenden und der Welt des Staubes entsagen, sich selber vor keinem Anderen den Vorzug geben, aus seinem Herzen den Hochmut und den Stolz verbannen, sich mit Geduld und Ausdauer umgürten, dem Gebot des Schweigens folgen und sich vor eitlen Worten hüten. Denn die Zunge ist ein Feuer, das schwärt, und der Missbrauch des Wortes ist tödliches Gift. Und während das natürliche Feuer den Körper verzehrt, verzehrt das Feuer der Zunge Geist und Herzen. Jenes hinterlässt nach einer Stunde keine Spur, dieses jedoch währt durch Jahr-

Seite 27 pdf . Seite 21

hunderte weiter. Der Suchende muss wissen, dass Verleumdung ein Verbrechen ist, und sich stets davor hüten, denn dieses Verbrechen würde die strahlende Lampe seines Herzens löschen und das Leben der Seele vernichten. Er muss sich mit wenig begnügen und nie mehr als er hat begehren. Er muss sich an Jene anzuschliessen versuchen, die sich von den weltlichen Dingen gelöst haben, und die Prahler meiden. Er muss vom Morgengrauen an beten, mit ganzer Kraft darnach ringen, den Vielgeliebten zu finden, und seine eigene Lässigkeit mit dem Feuer der Liebe und des Gebets bekämpfen. Er muss so schnell wie der Blitz die Ungläubigen fliehen, um all sein Sorgen den Unglücklichen zuzuwenden und sie teilnehmen zu lassen an den Segnungen, die auf ihm ruhen. Er muss gut zu den Tieren sein und besser noch zu den Menschen … Aus Liebe zum Vielgeliebten darf er nicht am Leben hängen und, wenn er auf Erden unglücklich ist, sich nicht von Gott abwenden. Er darf einem Anderen nicht antun, was er selber sich nicht antun lassen wollte. Er darf nicht versprechen, was er nicht auch halten könnte. Er muss seinen Untergebenen verzeihen und für sie die Verzeihung Gottes erflehen. Er darf die Bösen nicht verachten, denn keiner weiss, über wen dereinst ein gutes Urteil gefällt wird. Wieviele Böse werden vor dem Tod den reinsten Glauben erlangen, vom unsterblichen Weine kosten und sich zum höchsten Königreich erheben! Und wieviel Gläubige, die im Augenblick des Aufstiegs ihres Geistes ihre Haltung verloren haben, werden sich auf der untersten Stufe des Fegfeuers finden! Der Zweck aller dieser Erläuterungen und klaren Worte ist, dem Suchenden vor Augen zu führen, dass alles, was nicht Göttlich, sterb-

Seite 28 pdf . Seite 22

lich ist, und dass ausser dem Angebeteten nichts zu bestehen vermag. Nur wer sich diesen Lebensregeln anpasst, wird ein in Geistigkeit erzogener Mensch sein, und sie werden ihn durch seine eigene Erfahrung ans Ziel seines Suchens nach Gewissheit führen. Wenn er diese Eigenschaften in sich vereinigt, so wird der wahrhaftig Suchende, losgelöst von allen menschlichen Dingen, ans Ziel gelangen. Und ist er durch die Anstrengungen in Gottes Sache gefestigt, dann wird er sicherlich auf die Göttlichen Pfade kommen. Denn wenn er in seinem Herzen die Lampe des Forschens, des Sich-Mühens, des Liebens entzündet, und wenn der Wind der Göttlichen Barmherzigkeit ihn umweht, dann wird alsbald die Nacht des Irrtums, des Zweifels und des Unfriedens verschwinden und dem Lichte des Wissens und der Gewissheit weichen. Dann wird der geistige Bote der Göttlichen Stadt sich mit seinem Gefolge von frohen Botschaften wie die Morgenräte erheben und durch die Posaune der Belehrung Seele, Herz und Geist erwecken, die auf dem Lager der Nachlässigkeit in Schlummer lagen. So schenkt uns die Güte und unsichtbare Hilfe des ewigen Heiligen Geistes neues Leben. In dem Masse, wie der Suchende neue Augen, neues Gehör, ein neues Herz und eine neue Seele erlangt, womit er die offenbaren Zeichen der Welt und die dunkeln Geheimnisse der Seele schauern wird, wird er auch fassen, dass sich im kleinsten Ding eine Türe findet, durch welche man in den Bereich der Klarheit, Gewissheit und Ueberzeugung eintritt. In jedem Ding wird er das Geheimnis der göttlichen Formwerdung und Erscheinung schauen. Ich schwöre, dass der Wahrheitssuchende,

Seite 29 pdf . Seite 23

der zu jener erhabenen Stufe gelangt, die Düfte Gottes aus den entlegensten Gärten atmen wird. Er wird den herrlichen Morgen der Führung in allen Morgenröten erblicken. Das kleinste Atom wird ihn zum Vielgeliebten führen. Er wird Gut und Böse unterscheiden wie Sonne und Schatten. Wenn die Göttlichen Winde von Osten her wehen, dann wird er auch den Westen erkennen. Er wird die Wahrzeichen Gottes in den wunderbaren Worten, den unnachahmbaren Taten der Manifestationen finden und sie von den Worten und Taten der Menschen unterscheiden, wie der Bergmann Edelsteine und Felsen unterscheidet, und wie der Mensch Frühling vom Herbst und Wärme von Kälte trennt. Wenn sein Geist von Menschendingen befreit ist, dann wird er in das liebliche Land, in die Stadt der wundervollen Weisheit Göttlicher Erhabenheit treten. Dort werden ihm die Bäume durch das Rauschen ihrer Blätter die verborgensten Wissenschaften enthüllen. Er wird den Staub dieser Stadt Loblieder auf Gottes Herrlichkeit singen hören. Er wird mit den Augen des Geistes die Geheimnisse der Auferstehung erblicken. Wie soll ich die Eindrücke, die Zeichen, die Erscheinungen beschreiben, die der Wille des Königs der Namen und Merkmale dieser wunderbaren Stadt vorbehalten? In dieser Stadt wird er durchaus keines Wassers bedürfen, um seinen Durst zu stillen, noch der Flamme, um das Feuer seiner Liebe zu schüren. Dort finden sich in jeder Pflanze verborgen die Geheimnisse der höchsten Weisheit. Auf den Zweigen eines jeden Rosenstrauches singen Tausende von Nachtigallen in verführerischer Wonne. In den wundersamen Anemonen zeigt sich das Geheimnis des Feuerbusches und im Balsam des Windes findest du den heiligen Geist von Jesus wieder.

Seite 30 pdf . Seite 24

Reichtum wird dort nicht durch Gold gemessen, und Tod nicht der Unsterblichkeit vorausgehen müssen. Jedes Blatt birgt Paradiese und in jeder Kammer sind Kostbarkeiten von tausend Weisheiten verschlossen. Die Gottsucher, die sich von den irdischen Dingen gelöst haben, kennen diese Stadt so wohl, dass sie sie nicht einmal für Augenblicke verlassen, damit sie den letzten Hauch der Balsamdüfte der Lilie erleben. Ihnen wird die Schönheit der Rose und der Gesang der Nachtigall zum klaren Beweis für diese Stadt, die sich von Weltalter zu Weltalter erneuert und verschönert. O Mein Freund, ringe darum, dass du diese Stadt erreichest, und zerreiss die dichten Schleier durch Göttliche Gnade und Grossmut. Dann wirst du im Herzen Gewissheit haben und auf den Wegen des neuen Vielgeliebten den Rest deines Lebens opfern, und du wirst hunderttausendmal um diesen Segen beten. Diese Rede ist nichts anderes denn die Heiligen Schriften: die Bibel zur Zeit Moses, das Evangelium zur Zeit Jesu, unter Muhammad, dem Propheten Gottes, der Forkan (der Qurán), in unseren Tagen der Bayan, und zur Zeit „Jenes, den Gott offenbaren wird“, Sein Buch, welches die Ergänzung aller anderen sein wird, über welchen Er in Seiner ganzen Erhabenheit thronen wird. Diese Stadt ist ewige Speise und Gnade. Sie spendet diese in Fülle. Den Menschen von Bildung verleiht sie die Wohltaten der Einheit, Segensgüter Jenen, die der irdischen Güter beraubt sind, und den Kelch des Wissens jenen, die in den Wüsten des Nichtwissens umherirren. Führung, Güte, Wissen, Glauben, Gewissheit in allem, was unter dem Gewölbe des Himmels ist, ruhen wie Kleinodien in ihren Mauern. 21)

Seite 31 pdf . Seite 25

Das Tagesgestirn der Wahrheit, das in seinem Mittagsglanz scheint, sei Unser Zeuge! Die, die das Volk Gottes sind, besitzen keinen Ehrgeiz ausser dem, die Welt zu beleben, ihr Leben zu veredeln und ihre Völker zu erneuern. Wahrhaftigkeit und Wohlwollen haben zu allen Zeiten ihre Beziehung zu allen Menschen bezeichnet. Ihr äusseres Verhalten ist nur eine Spiegelung ihres inneren Lebens und ihr inneres Leben ein Spiegel ihres äusseren Verhaltens. Kein Schleier birgt oder verdunkelt die Wahrheiten, auf denen ihr Glaube gründet. Vor den Augen aller Menschen sind diese Wahrheiten offengelegt und unmissverständlich zu erkennen. Ihre blossen Taten bezeugen die Wahrheit dieser Worte. Jedes unterscheidende Auge kann an diesem Tage die Morgenröte der Offenbarung Gottes schauen und jedes aufmerkemde Ohr die Stimme erkennen, die vernehmlich aus dem Brennenden Busch kam. Derart ungestüm ist das Wasser der Göttlichen Gnade, dass Er, der Morgen der Zeichen Gottes und der Offenbarer des Augenscheins Seiner Herrlichkeit, sich ohne Schleier und Geheimnis den Völkern der Erde und ihresgleichen gesellt hat und mit ihnen redet. 22)

Wenn ihr, o Völker, wünscht, Gott zu erkennen und die Grösse Seiner Macht zu entdecken, so schaut auf Mich mit Meinen eigenen Augen und nicht mit den Augen irgend eines Anderen ausser Mir. Denn anders würdet ihr niemals fähig sein, Mich zu erkennen, selbst wenn ihr Meine Sache so lange überdächtet, wie Mein Reich währt, und über alles Erschaffene nachsinnen würdet durch die Ewigkeit Gottes hindurch, des allbeherrschenden Herren, des Allmächtigen, des Immerbleibenden, des All-

Seite 32 pdf . Seite 26

weisen. So haben Wir die Wahrheit Unserer Offenbarung bekundet, damit die Menschen aus ihrer Nachlässigkeit erweckt werden möchten und von denen sind, die begreifen. 23)


___________